Die sensationelle Dokumentation über Hansrudi Wäschers „Nick, der Weltraumfahrer“
Text: Kai Stellmann
Originalausgabe
Hardcover | 276 Seiten | Farbe | 36,00 €
ISBN:978-3-9821984-0-8
Deutschland, Ende der Fünfziger Jahre: Die Kriegsfolgen sind größtenteils überwunden, das Wirtschaftswunder hat Fuß gefasst, die Stimmung ist aber immer noch stark konservativ geprägt. Aus den USA ist eine Kampagne herübergeschwappt die Bildgeschichten für den Auslöser von Verrohung der Jugend hält und schon wieder zur Verbrennung von Schund aufruft. Es gibt eine Institution die Publikationen auf Verstöße gegen den Jugendschutz überprüft und gegebenenfalls indiziert. Trotzdem lassen sich viele Kinder und Jugendliche den Spaß nicht verbieten und kaufen oder tauschen Piccolos, kleine Hefte mit farbigem Umschlag und einem Streifen an schwarz-weißen Bildern, die anfangs für 20 Pfennig verkauft werden.
Der Autor, Kai Stellmann, hat diese Zeit als Kind selbst erlebt. Er beschreibt die Piccolos nicht aus der Sicht des Sammlers, sondern als Leser und Fan. In späteren Jahren hat er selbst eine Buchhandlung für Comics in Bremen geführt und Comic-Käufer*innen wie mich beraten.
Für 20 Pfennig Abenteuer
Während anfangs viele der Comics-Serien als Übersetzungen aus Italien kommen, hier aber oft der Indizierung zum Opfer fallen, setzt sich im Laufe der Zeit ein Name immer mehr durch: Hansrudi Wäscher. Dieser hatte als Kind in der Schweiz lange Zeit im Bett verbringen müssen und dort italienische Comics verschlungen. Als Erwachsener sollte er einen riesigen Ausstoß von Bildgeschichten produzieren und zum wesentlichen Zeichner der später nach dem bekanntesten Verlag sogenannten Generation Lehning werden.
Wäscher zeichnete und textete Dschungelabenteuer, Rittergeschichten und Science-Fiction für mehr als 1100 Piccolos und über 400 Großbände in nur 15 Jahren und bewies damit seine Ausnahmestellung. Dazu muss gesagt werden, dass die produzierten Seiten nicht nur quantitativ aus der Masse hervorstechen, sie waren auch für die damalige Zeit auf einem qualitativ sehr hohen Niveau und wurden vielfach nachgedruckt bzw. fortgesetzt. Es stellt sich daher die berechtigte Frage nach der Herkunft all der grundlegenden Ideen für diese doch sehr unterschiedlichen Genres.
Quellen der Inspiration
Für die Serien um Nick, zunächst als Der Weltraumfahrer, später als Pionier des Weltraums hat Kai Stellmann sich in jahrelanger Recherche bemüht, alle Einflüsse aufzuspüren und zusammenzustellen. Die „sensationelle Dokumentation“ Science Fiction Pop Art beschreibt akribisch für jeden der 13 Piccolo- und 10 Großband-Zyklen die Werke, aus denen Wäscher seine Ideen gezogen hat. Die Ursprünge liegen teils in Romanen, teils in Comics und Zeitungsstrips, verwerten aber auch Science-Fiction-Filme der damaligen Zeit.
Ich möchte hier nicht spoilern und auf Quellen verweisen, ein paar seien aber gestattet: Brick Bradford, Mystery in Space und Metaluna 4 antwortet nicht. Auch Nick war natürlich selbst wieder eine Quelle für Folgewerke und so sind auch Hinweise auf diese Rezeptionen, z. B. in Perry Rhodan oder Verfilmungen wie Stargate in der Ausarbeitung enthalten.
Der Aufbau der einzelnen Zyklen folgt immer dem gleichen Schema: Auf eine grobe Inhaltsangabe der einzelnen Hefte bzw. Großbände folgt eine Herleitung welche Quellen Wäscher vermutlich benutzt hat und meistens auch noch eine tabellarische Übersicht der einzelnen Sequenzen oder Motive. Dabei arbeitet Stellmann auch mit vielen Bildzitaten, um deutlich zu machen, dass Details sehr eng kopiert worden sind. Alle diese Auflistungen haben aber nicht das Ziel, den Autor der tausende von Seiten erstellt hat als Plagiator zu bezeichnen. Im Gegenteil, Stellmann treibt eine große Ehrfurcht vor Wäscher und seiner Fähigkeit, Elemente neu zu verknüpfen oder sogar erstmals vertieft und vollständig darzustellen.
Der Kauftipp
Der Autor bringt immer wieder Querverweise auf andere Serien von Wäscher, bezieht die späteren Abenteuer mit ein und verknüpft die damaligen Lebensumstände direkt mit dem Serieninhalt, etwa wenn es um Ideen eines Serienendes geht. Persönlich wird es dann, wenn die auf der beiliegenden CD befindlichen Stücke in den Kontext von Nick gestellt werden. Warum ist das jeweilige Stück entstanden und wer war beteiligt? Dieses eingeflossene Herzblut unterscheidet dieses Buch von einem trockenen Sachbuch!
Insofern ist die Dokumentation Science Fiction Pop Art nicht nur ein Blick hinter die Kulissen, sondern ein Must-Have für die Generation Lehning, Wäscher-Fans im Allgemeinen und auch für Liebhaber*innen der Science-Fiction der 50-er Jahre, egal in welchem Medium. Und nebenbei bemerkt: Für die akribische Arbeit und die liebevolle Ausgestaltung im eigenen Verlag mit CD ist das Preis-Leistungs-Verhältnis mehr als angemessen!
Natürlich passt dazu nur die auf der beiliegenden CD enthaltene Musik von Wolfsmond bzw. den Wild Black Jets. Man kann sich hier festlesen, deshalb kann ein Old Pulteney nebst einer Flasche Wasser nicht schaden.
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