ZACK 303 (September 2024)

ZACK 303

Herausgeber/Chefredaktion: Georg F. W. Tempel

Blattgold Verlag

Heft Din A 4 | 100 Seiten | Farbe | 9,70 €
ISSN: 1438-2792

Cover ZACK 303

Eine Überraschung gleich zum Start. Obwohl angekündigt, wird Michel Vaillant nicht in diesem Heft starten. Alle Fans sind aufgefordert, sich weitere 4 Wochen zu gedulden. Dafür gibt es aber passend zum Ende der Sommerferien gleich zwei Neustarts und die erste von vier Kurzgeschichten mit Harry und Platte der Nach-Will-Ära. Ein gelungener Coup!

Die Neustarts

Cover-Girl und Opener ist Rani. Der bereits fünfte Band – Die Wilde – setzt nach der geglückten Flucht der ehemaligen Bordellchefin ein. Sie ist als Schiffbrüchige gestrandet und in einem Fischerdorf aufgenommen worden, hat aber ihr Gedächtnis verloren. Obwohl sie ein relativ sorgenfreies Leben führen könnte, mehren sich ihre Zweifel und als ein Maharadscha das Dorf besucht, gerät ihr Leben mal wieder an einen Wendepunkt. Spannend konstruierte Saga um eine toughe Frau, die unter falscher Identität in eine französische Strafkolonie nach Indien verbracht worden war, von Altmeister Jean Van Hamme & Alcante mit geübten Zeichnungen von Francis Vallès. Wer früher die Weihnachtsvierteiler geliebt hat, wird diese Serie ebenfalls mögen!

ZACK 303 page 5

Es dürfte unnötig sein, die beiden Detektive Harry und Platte näher vorzustellen. Sie sind auf Deutsch unter unterschiedlichen Namen bei verschiedenen Verlagen publiziert worden, die nun präsentierten Kurzgeschichten von Denis Lapière und Alain Sikorski fehlten allerdings bisher. Maskerade beginnt mit einem Schocker: Eine junge Frau bittet die beiden Helfen um Hilfe und wird eine halbe Seite später auf offener Straße erschossen. Sofort eilt Platte dem vermeintlichen Täter hinterher, nur um festzustellen, dass es sich dabei um eine alte Freundin handelt. Schöner Plot mit vielen Twists und viel Action mit Zeichnungen, die nicht ganz an die Hochzeiten der Serie herankommen, trotzdem aber ihren eigenen Charme verbreiten!

ZACK 303 page 36

Ebenfalls wieder dabei ist Amoras. Die Suske und Wiske-Adaption für Erwachsene geht in die vierte von sechs Runden. Im Mittelpunkt steht dieses Mal Lambik. Während der in seinem Inneren gutherzige Lambik versucht, mit Hilfe der Zeitmaschine Suske und Wiske zu Hilfe zu eilen, müssen sich diese auf der Insel Amoras in ihrer Zukunftslinie den Unbillen der Natur und der Attacken von Krimson erwehren. Ein spannendes und düsteres Szenario das trotzdem die wesentlichen Züge der seit Jahrzehnten etablierten Figuren übernimmt. Die Kenntnis der Originalserie wird aber keinesfalls vorausgesetzt! Die ebenfalls von Marc Legendre geschriebene und von Charel Cambré umgesetzte Nachfolgeserie Die Chroniken von Amoras erscheint übrigens in Kürze in der ZACK-Edition!

Detail ZACK 303 page 73

Die Fortsetzungen

Ach, wie schön kann Bruderliebe sein? Es ist immer wieder erstaunlich, wie verfeindet in der Sippe der Saint-Huberts die Familienmitglieder sind. Eine Re-union, die jetzt gerade selbst Oasis wieder zusammenbringt, ist hier eher nicht zu erwarten. Die Scheckhefte von Panama sind eine grandiose Aneinanderreihung von Boshaftigkeiten; Pierre Boisserie & Philippe Guillaume lassen es in die Bank erneut krachen. Stéphane Brangier darf sogar Zeit auf die Kleinsten verwenden und lässt uns ahnen, dass die nächste Generation eher noch schlimmer werden wird.

Detail ZACK 303 page 21

In Bootblack, dem wohl düstersten Teil der New-York-Trilogie, vermischt Mikaël immer wieder Kriegserfahrungen mit dem verzweifelten Versuch, (s)ein Leben selbst bestimmen zu können. Wer nicht auf der Sonnenseite geboren wurde, muss entweder zu drastischen Mitteln greifen und mit Bestrafung durch Konkurrenten oder Polizei rechnen, oder aber seinen Körper oder Seele verkaufen. Das gelingt nicht immer! Oft bleibt der Krieg als letzte Zuflucht, diese hat allerdings eigene Risiken! Geniale Graphic Novel. Der Vorläufer Giant ist gerade als Gesamtausgabe erschienen.

ZACK 303 page 55

Die Abschiede

Die Comicbiographie Mata Hari hatte mit ihrer Hinrichtung als deutsche Spionin begonnen und dann in Form einer großen Rückblende das Leben der jungen Frau erzählt. Der letzte Teil schließt den Kreis und beschreibt, wie sich die größeren und kleineren Lügen schließlich zu einer Schlinge verknüpfen, vor der es kein Entrinnen mehr gibt. Das sehr persönliche Szenario von Esther Gil erlaubte, die Legendenbildung besser zu verstehen, die Zeichnungen von Laurent Paturand machten das Ganze zu einem Vergnügen. Schade, dass es nun vorbei ist.

Und sonst?

Passend zu den Kurzgeschichten von Harry und Platte führt Volker Hamann gewohnt sorgfältig in die Serie ein und Christian Endres berichtet über die Comic-Adaption von Cormac McCarthys The Road/Die Straße. Dazu kommen wie immer News, Rezensionen und Meinungen sowie der Rückblick auf das ZACK vor 50 Jahren. Wem die Jubiläumsnummer 300 gefallen hat und deswegen mehr Kurzgeschichten aus dem Tintin-Originalband lesen möchte, kann ab sofort das ZACK-Sonderheft 1 beim Verlag bestellen. Es ist kein Bestandteil des regulären Abos.

Dazu passen Chris Murray der mit „Rock Steady“ zeigt, dass man „alte“ Musik „neu“ machen kann und ein Ricard auf Eis.

© der Abbildungen bei den jeweiligen Künstlern und Verlagen / Blattgold GmbH, Bad Dürkheim 2024

Schultz/Yeates – Prinz Eisenherz II Band 26

Jahrgang 2021/2022

Autor: Mark Schultz

Zeichnungen: Thomas Yeates

Originaltitel: Hal Foster’s Prince Valiant 4378 – 4481

Bocola Verlag

Hardcover Überformat | 112 Seiten | 24,90 €
ISBN: 978-3-946842-56-9

Cover Prinz Eisenherz II 26

Freudestrahlend hatte ich die Vorzugsausgabe vor rund einem Jahr als Gewinner eines Preisausschreibens in Empfang nehmen können, doch dann gelangte der Band aus unerfindlichen Gründen an das hintere Ende meines Lesestapels. Nun habe ich es endlich geschafft, mich ihm zu widmen. Und er war es wert! Die 1937 erstmalig erschienene Serie hat mittlerweile ihren vierten Zeichner, vermag aber immer noch zu begeistern.

Ritter, Ränke und fantastische Abenteuer

Vielleicht eine kleine Einordnung vorweg: Der Held, Prinz Eisenherz, ist ein Ritter von König Arturs Tafelrunde und als solcher Kamerad von Gawain, Galahad und anderen bekannten Recken. Gleichzeitig ist er aber auch ein Prinz der Wikinger aus Thule. Mit seinem „singenden Schwert“ hat er unzählige Kämpfe siegreich bestanden und vieles von der Welt gesehen. Er ist verheiratet mit Aleta, der ehemaligen Herrscherin der Nebelinseln. Ihr gemeinsamer Sohn Arn ist mittlerweile der Regent des Königreiches. Bei Bocola erscheinen Sammelbände, die jeweils zwei komplette Jahrgänge umfassen.

Generell ist zu bemerken, dass die Serie schon von Beginn an sehr frei mit der tatsächlichen Geschichte umgegangen ist. Wenn dramaturgisch notwendig, wurden schon einmal Jahrhunderte übersprungen und kombiniert. Und so beginnt der Band auch mit einem gewagten Experiment. Ein kleines Fürstentum macht seine Erfahrungen mit „Demokratia“, einer Volksherrschaft. Da es die Leibeigenen angrenzender Fürstentümer anzieht, kommt es zum Konflikt und zu einem Kampf auf Leben und Tod.

Auf der sich anschließenden Heimreise des Helden, der Jugenderinnerungen zelebriert, kommt es zu einem eher fantastischen Intermezzo. Bedingt durch Zauberei und die Einnahme eines magischen Trankes wird Eisenherz in ein Horror-artiges Traumreich gezogen. Kann die von ihm im Traum zu Hilfe gerufene Aleta ihn vor der Attacke durch Morgan Le Fay retten?

Prinz Eisenherz II 26 page 15

Detailliertes Artwork, spannendes Layout

Seit dem 13.2.1937 erscheint jede Woche eine farbige Sonntagsseite, zunächst von Hal Foster (Prinz Eisenherz I). Danach übernahm John Cullen Murphy den Zeichenstift, gefolgt zunächst von Gary Gianni, bevor Thomas Yeates ab April 2012 fortführte. Schon immer war ein Markenzeichen der Serie die Detailtiefe der Zeichnungen. Die Seite muss zwar regelmäßig und pünktlich geliefert werden, erlaubt aber trotzdem mehr darauf verwendete Arbeitszeit als für andere Serien zur Verfügung stünde. Die Zeichnungen sind daher typischerweise extrem ausgearbeitet und auch die Seitenkompositionen sind alles andere als standardisiert!

Auch Yeates verwendet viel Zeit auf die Komposition und zeigt zudem deutliche Unterschiede zwischen den „realen“ und den „magischen“ Sequenzen. Seine Figuren haben trotz der Kolorierung noch viele Schraffuren und sind dadurch dem Medium des Zeitungsstrips weiterhin deutlich zugehörig. Das Überformat der Ausgabe bringt das perfekt zur Geltung.

Cover Prinz Eisenherz II 26 VZA

Eine wunderschöne Ausgabe

Die Älteren unter den Leser*innen werden sich noch an die Carlsen-Ausgabe erinnern. Obwohl diese natürlich nicht schlecht war, gefällt mir die wohlfeile Bocola-Hardcover-Reihe doch deutlich besser. Die fundierte Einführung erläutert Hintergründe und ermöglicht es auch Neulingen, sofort einzusteigen! Die auf 150 Exemplare limitierte Vorzugsausgabe hat nicht nur ein Variantcover, sondern enthält zudem auch noch einen signierten Druck von Thomas Yeates. Für diesen Jahrgang ist sie aber mittlerweile verlagsvergriffen.

Nicht nur als Erinnerung an Jugendtage ist diese Reihe einen Blick wert! Nostalgie mischt sich hier mit innovativen Zeichnungen und für ein Abenteuer ist die Einbettung als Ritter, Western oder Science-Fiction nur ein wichtiges Stilmittel. So war es ganz folgerichtig, dass der Recke in den 70-ern auch auf den Seiten des ZACK sein Schwert geschwungen hat. Notwendig ist aber immer die Fähigkeit, die Geschichte handwerklich ansprechend zu gestalten. Und das ist hier zweifellos gelungen.

Dazu passen die Grail Knights mit ihrer Mischung aus Metal und Showtime und ein Zwarte Magie Black IPA.

© der Abbildungen 2023 King Features Syndicate, Inc ./Distr. Bulls/2023 Bocola Verlag

M. und J.-F. Charles – China Li

Gesamtausgabe

Story: Maryse & Jean-François Charles
Zeichnungen: 
Jean-François Charles

Originaltitel: China Li Vol. 1 – 4 (Shanghai, L’honorable monsieur Zhang, La fille de l’eunuque, Hong Kong – Paris)

Splitter Verlag

Hardcover Überformat |264 Seiten | Farbe | 45,00 € | 
ISBN: 978-3-98721-379-3

Cover China Li

Das Ehepaar Maryse & Jean-François Charles hat sich schon mehrfach mit Dreams/Träumen auseinandergesetzt. Egal, ob in Frankreich, Afrika oder Indien, immer beschreiben sie persönliche Schicksale und verknüpfen kriegerische und weltpolitische Ereignisse mit diesen Geschehnissen. Während die Geschichtsschreibung sich auf die großen, heroischen Momente konzentriert, sind die Auswirkungen im Alltäglichen manchmal ganz anders, zeitversetzt und alles andere als heroisch.  

Die Tochter eines Eunuchen

Wie immer in ihren Werken stellt das belgische Ehepaar eine Frau in das Zentrum ihrer Geschichte. Diese spielt in China während des Übergangs zur Moderne. Die chinesische Nation musste während dieser Zeit einige Demütigungen erdulden. Zunächst einmal waren die europäischen Staaten als Konzessionsmächte tonangebend, die japanische Armee war brandschatzend, vergewaltigend und mordend eingefallen und der Kampf zwischen den Truppen des nationalistischen Generals Chiang Kai-shek mit den revolutionären Organisationen unter Führung der Kommunistischen Partei und Mao Ze-Dong hatte ebenfalls immense Opferzahlen zur Folge.

China Li page 3

Neben der politischen Führung gab es aber zu Beginn des letzten Jahrhunderts eine große Schattenwirtschaft um Opiumkonsum, Prostitution und Bestechung, die von den chinesischen Organisationen der Triaden geleitet wurde. Und nicht zuletzt spielten auch die alten Traditionen noch eine immense Rolle und in ihnen das Schicksal der Eunuchen. Diese wurden teilweise bereits als kleine Kinder entmannt und in die Dienste innerhalb der Verbotenen Stadt gegeben. So geschah es auch dem Eunuchen Zhang, der sich im Verlauf der Zeit zum skrupellosen Führer der in Shanghai herrschenden Triade entwickelt hat. Er nimmt die junge Chinesin Li unter seine Fittiche, als diese im Alter von 7 Jahren als Wettschuld verkauft wird.

Die Geschichte erzählt, teilweise ineinander verwoben, sowohl von dem Aufstieg und der Herrschaft Zhangs, als auch das Leben von Li, die von einem misshandelten Mädchen zur einflussreichen Adoptivtochter des mächtigen Herrschers wird. Dabei gibt es nicht nur spannende Momente in ihrer Jugend, sie geht später nach Paris, begleitet Mao auf seinem langen Marsch und versucht, den letzten Auftrag ihres Adoptivvaters auszuführen. Nach chinesischer Religion ist es nämlich wichtig, dass der Körper eines Toten komplett vergraben wird. Ansonsten ist der Weg in das Paradies versperrt. Also bedeutet dass, das die entfernten Testikel im Besitz des Eunuchen sein müssen.

China Li page 4

Zartes Aquarell und heftige Brutalität

Die Zeichnungen von Jean-François Charles, der wieder selbst den Pinsel übernommen hat, sind in ihrer grundsätzlichen Ausformung zarte Aquarelle. Diese passen insbesondere zu den teils ganzseitigen Bildern, die die Natur darstellen und von der chinesischen Tradition inspiriert sind! Meistens enthalten sie Elemente von Yin und Yang und drücken damit ein Gleichgewicht aus. Neben diesen ruhigen Haltepunkten gibt es aber auch die Hektik der Großstadt, die Verzweiflung der Süchtigen und Armen, vor allem aber die Gewalt. Diese wird hauptsächlich von Männern ausgeübt und richtet sich gegen angeblich Minderwertige und Andersdenkende.

Natürlich sind auch die Auseinbandersetzungen innerhalb der Triaden und mit europäischen Mafia-ähnlichen Gruppen nicht gerade friedlich. Während diese aber irgendwie noch Sinn machen, ist die Gewalt der japanischen Besatzer und die der kriegsführenden Parteien gegenüber allen Anderen kaum noch nachvollziehbar. Umso erstaunlicher ist es, dass die Erzählung immer wieder ihren Weg zurück zu der Geschichte findet und die gewalttätigen Szenen letztlich nur als Beiwerk einbindet und deutet. Hier werden auch kulturelle Aspekte immer wieder eingewoben.

Detail China Li page 9

Gelungene Kombi aus „Großem“ und „Kleinem“

Geschichte leidet immer ein wenig darunter, dass sie entweder die relevanten Ereignisse in den Vordergrund stellt und so tut, als ob sie eine Abfolge von Kalenderdaten wäre, oder aber die sozialgeschichtlichen Aspekte überbetont. Dem Ehepaar Charles ist es in China Li gelungen, beide Sichtweisen zu vereinen. Während die Struktur „bekannt“ ist, sind es die persönlichen Biographien, an denen die Auswirkungen deutlich werden. Dieser Anspruch ist nicht neu, scheitert aber (viel zu) oft!

Zusätzlich gefällt mir die zarte, pinselgetriebene Zeichnung in den Panels, die selbst in stressigen Situationen eine gewisse Ruhe ausstrahlt. Am besten gelingen dabei die grandiosen Darstellungen der Natur. Aber auch das Treiben in den Städten (so wohl der europäischen als auch der asiatischen) ist glaubhaft. Und in dem Gewimmel, das teilweise zum Besten gegeben wird, verstecken sich eine Unmenge an Details. Und schließlich bietet der Band auch für die Freund*innen der Cameos die eine oder andere versteckte Überraschung!

China Li page 6

Dazu passen The Oldtones, etwa mit „Tocamos Ska“, und ein Singapore Sling!

© der Abbildungen Casterman 2018, 2020, 2021, 2023| Splitter Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld 2024

Mikaël – Giant

Gesamtausgabe

Story:  Mikaël
Zeichnungen: 
Mikaël
Originaltitel: 
Giant Compilation

Blattgold Verlag – ZACK Edition

Hardcover | 128 Seiten | Farbe | 32,00 €

ISBN: 978-3-949987-37-3

Cover Giant GA

Eine Graphic Novel in 3 Bänden, die jeweils in zwei Teilen erschienen sind. Eine Geschichte, die sich aus Geschichten zusammensetzt und deren heimlicher Star eine Stadt ist, die das alles erst möglich macht. Geschichten, die nur sehr lose miteinander verknüpft sind und doch viel miteinander zutun haben. All das (und noch vieles mehr) ist die New-York-Trilogie von Mikaël! Band 1, Giant, war in 2019/2020 in mehreren Folgen auf Deutsch im ZACK abgedruckt worden und ist nun als wohlfeile Gesamtausgabe in der ZACK-Edition erschienen.

Schmelztiegel New York?

Wenn wir heute über New York reden, bezeichnen wir die Stadt oft als melting pot, als Schmelztiegel. Leider ist der Weg dahin meistens vergessen worden. Dass alle Anfänge schwer sind, erzählt Mikaël unter anderem. Er erzählt aber auch von Irland, der trostlosen Situation dort, die Hunderttausende zur Migration gezwungen hat, von der Situation der einfachen Leute zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise und nicht zuletzt von kleinen persönlichen Schicksalen die gleichzeitig mit Ereignissen stattfinden, an die wir uns heute noch allgemein erinnern.

Im Zentrum des Geschehens steht Giant, ein schweigsamer, kräftiger Mann, der auf Baustellen von Hochhäusern Nieten in Stahlträger treibt. Er steht meistens etwas abseits – im Verlauf der Geschichte wird einiges aus seiner Vergangenheit bekannt, dass genügend Gründe dafür enthält – ist aber trotzdem ein hilfsbereiter Kollege. So übernimmt er es, der in Irland verbliebenen Frau eines bei einem Arbeitsunfall Getöteten die Todesnachricht und die Spende der Gewerkschaft zu übermitteln. Welche Auswirkungen können Entscheidungen haben?

Wir werden als Leser*innen aber auch Zeug*innen von Auseinandersetzungen zwischen irischen und italienischen Migranten, Feierabendvergnügungen, der Entstehung eines berühmten Fotos und vor allem dem Alltagsleben in der Großstadt. Gerade die Verknüpfung von Ereignissen und Alltäglichem macht die Geschichte so unglaublich lesenswert!

Sensible Zeichenkunst

Mikaël hat einen sehr feinen Strich und nimmt zusätzlich die Motive etwas aus dem Vordergrund, indem er die meisten Zeichnungen in ein Sepia hüllt. Dadurch schafft er nicht nur eine Stimmung, die klar macht, dass die Geschehnisse sich vor langer Zeit abgespielt haben, er nimmt auch Hektik raus. Zudem macht er dadurch deutlich, dass die Bedeutung der Ereignisse je nach Standpunkt unterschiedlich gewichtig ist. Was für einen Einzelnen von immenser Tragweite sein kann, ist aus der Vogelperspektive verschwindend gering.

Trotz allem sind die Zeichnungen sehr realistisch, wenn auch nicht fotorealistisch. Wie viel Mühe sich Mikaël mit den Figuren gemacht hat, wird ein wenig deutlich durch den Anhang, der sehr viele Skizzen enthält. Die gleiche Sorgfalt hat er für die Architektur aufgewendet!

Eine meiner Lieblingsserien!

Die New York-Trilogie von Mikaël Giant, Bootblack (aktuell im ZACK) und Harlem gehört definitiv zu meinen Lieblingsserien. Sie ist eine Graphic Novel, die sehr persönliche Geschichten erzählt, dem Ganzen einen sequenziellen Sinn beifügt, gleichzeitig aber auch erlaubt, den Kreis von einem beliebigen Startpunkt (erneut) zu durchlaufen. Zudem besticht die Geschichte nicht nur von der Storykomposition her, auch die Zeichnungen sind außergewöhnlich.

Die Gesamtausgabe enthält im Gegensatz zum Abdruck im ZACK zusätzlich 16 Seiten mit Skizzen und ein Vorwort von Jean-Louis Tripp, einem der beiden Künstler hinter Das Nest. Die Verwandtschaft dieser beiden sehr unterschiedlichen und doch ähnlichen Serien ist verblüffend: Beide zwingen uns, Altbekanntes zu hinterfragen und das Große aus dem Kleinen zu verstehen. Die Vorzugsausgabe enthält neben einem Variantcover zusätzlich noch einen limitierten, signierten Druck!

Giant GA VZA ExLibris

Dazu passen The Pogues mit „Rum, Sodomy & the Lash” und ein Blackbush.

© der Abbildungen Dargaud Benelux (Dargaud-Lombard S.A.) 2017 & 2018, by Mikaël / 2024 Blattgold GmbH, Bad Dürkheim

ZACK 302 (August 2024)

ZACK 302

Herausgeber/Chefredaktion: Georg F. W. Tempel

Blattgold Verlag

Heft Din A 4 | 100 Seiten | Farbe | 9,70 €
ISSN: 1438-2792

Cover ZACK 302

Ein Heft ohne Neustart und das bei sechs Fortsetzungen. Dafür steigt aber auch die Vorfreude auf die kommende Ausgabe, denn es gibt immerhin drei Abschiede. Ansonsten bleibt der diesjährige Sommer gleichzeitig zu warm und zu nass, lässt also genügend Möglichkeiten offen, die 100 Seiten zu genießen! Außerdem lohnt sich definitiv ein Blick in das Programm sowohl der ZACK-Edition, die nun auch Tanguy und Laverdure eine Heimat gibt, als auch der ZACK-Spezial Bände. Wem die Ausgabe 300 gefallen hat, sollte sich schon mal das ZACK-Sonderheft 1 vormerken, das weitere Kurzgeschichten aus der Tintin-Jubiläumsnummer auf Deutsch veröffentlichen wird.

Die Fortsetzungen

ZACK 302 wartet auf dem Cover mit einer Abbildung aus Die Bank auf. Während die beiden Protagonisten hier fast friedlich nebeneinanderstehen, ist die wirtschaftliche Lage tatsächlich etwas komplizierter. Bankgeschäfte versprechen nun einmal große Profite, erlauben aber auch ebenso hohe Verluste. Band 5, Die Scheckhefte von Panama, spielt in der Neuen Welt, zeigt aber die alten Konflikte. Pierre Boisserie & Philippe Guillaume lassen dabei erneut nicht nur die männlichen Mitglieder der Familie agieren. Stéphane Brangier zeichnet sehr realistisch mit einem Faible für ausgefallenen Perspektiven.

ZACK 302 page 5

Im letzten Teil war Mata Hari „freundlich“ überredet worden, ihre Verbindungen in Frankreich zugunsten des Deutschen Reichs als Spionin zu verwenden. Nun ist sie wieder in Paris angekommen und muss tatsächlich ein falsches Spiel spielen. Und trotz aller Ängste findet sie die Chance einer neuen Liebe. Esther Gil erzählt das dramatische Leben mit Achtung vor den Beteiligten und Laurant Paturaud setzt das sehr angemessen um. Sicherlich ein Kandidat für die Überlegung einer späteren Albenpublikation.  

ZACK 302 page 68

Der zweite Teil des zweiten Bandes von Bootblack, seines Zeichens zweiter Teil der New York Trilogie, konfrontiert den Protagonisten mit den Taten aus der Vergangenheit. Dabei gehen die Zeitebenen ansatzlos ineinander über und erfordern von den Leser*innen ein gewisses Mitdenken. Wie auch im ersten Teil Giant (der gerade als Gesamtausgabe erschienen ist) steht weniger eine personenbezogene Handlung im Vordergrund als die Situation, die Menschen in ihrem Überlebenskampf zu bestimmten Handlungen verleitet. Für mich eine grandiose Graphic Novel von  Mikaël , die auch noch beim zweiten oder dritten Lesen fasziniert. Dazu trägt natürlich auch das etwas andere Artwork bei.

ZACK 302 page 83

Die Abschiede

Im europäischen Osten treten mehr und mehr Konflikte zu Tage, die darauf beruhen, dass sich Russland (und seine Verbündeten) und die westlich orientierten Staaten unterschiedlich entwickeln wollen. Natürlich sind damit auch ökonomische Einflusssphären gemeint. Ein Faktor in diesem „Spiel“ ist Waffentechnologie und damit fast logisch verbunden entsprechende Wirtschaftsspionage. Tanguy und Laverdure werden in Die unsichtbare Grenze mitten in eine solche Auseinandersetzung gezogen und schweben in Lebensgefahr. Auch diese Episode von Patrice Buendia & Frédéric Zumbiehl ist wieder der Anfang eines Mehrteilers, der das Leben der Kampfpiloten mit politischen Ereignissen verknüpft. Wie auch in den gerade erschienenen Alben 24 und 25 darf Sébastien Philippe grandiose Actionszenen am Boden und in der Luft zeichnen.

ZACK 302 page 23

Die Posse um eine strohdoofe Truppe von rechtsradikalen Schlägern im Zusammenhang mit den Dreharbeiten eines expressionistischen Filmes in der Episode Kino um Aleksis Strogonov hat nun ein Ende. Émile Bravo mit seiner modernen Interpretation der klaren Linie hat zurecht seine Fans, und auch Jean Regnaud hat bereits gute Szenarien abgeliefert. Hier wollten sie vielleicht einfach zu viel. Möglicherweise verstehe ich aber auch einfach ihre Art des Humors nicht.

ZACK 302 page 39

Ebenfalls zu einem vorläufigen Ende gekommen ist Harmony. Metamorphosis, der sechste Band der Reihe von Mathieu Reynès, bringt ein weiteres überraschendes Detail ans Licht (das hier natürlich nicht verraten werden soll). Auf jeden Fall steht die Frage im Mittelpunkt, ob es gelingen wird, die Held*innen wieder zu vereinen. Sehr spannende Kombination aus Mystery und Krimi mit modernen Zeichnungen und einem spannenden Layout. Dieses passt sich den jeweiligen Erfordernissen an Tempo und Dramatik an und vermittelt eine sehr filmähnliche Wahrnehmung.  

ZACK 302 page 53

Und sonst?

Was wäre das Heft ohne die Rubriken, Artikel und One-Pager? Näher vorgestellt werden die Gesamtausgaben der Flintenweiber (von Georg F. W. Tempel) und Giant (vom Verfasser dieser Zeilen). Frank Neubauer lästert in seiner Kolumne, stellt aber auch Neuerscheinungen vor und kommentiert Meldungen aus der Welt der Bildgeschichten. Michael Klein erinnert an das ZACK vor 50 Jahren und Parker & Badger, Grott & Schrott und Tizombi und seine Freunde dürfen sich mit nicht alltäglichen Alltäglichkeiten herumschlagen.

Dazu passen die unverwüstlichen Deep Purple mit ihrem neuen =1 und ein Bockbier aus der „Unwrap-Serie“ für das Blindtasting zuhause.

© der Abbildungen bei den jeweiligen Künstlern und Verlagen / Blattgold GmbH, Bad Dürkheim 2024

Dufaux/Miralles – Djinn Gesamtausgabe 1

Erster Zyklus

Story: Jean Dufaux

Zeichnungen: Ana Miralles
Originaltitel: 
Djinn – Integrale premier cycle

schreiber & leser

Hardcover | 232 Seiten | Farbe | 39,80 €
ISBN: 
978-3-96582-168-2

Cover Djinn Gesamtausgabe 1

Der Hamburger Verlag hatte bereits die einzelnen Teile der Serie Djinn verlegt und vor über 10 Jahren eine erste Gesamtausgabe in einem verkleinerten Format herausgebracht. Diese ist seit langem vergriffen. Nun also erneut, aber im Format A4! Der vielseitige Dufaux ist als Szenarist an dem historischen Comic Murena ebenso beteiligt wie an dem (grandiosen!) Western Regenwolf.

Machtspiele

Dufaux beschreibt im Vorwort, dass er durchaus Probleme damit hatte, eine Geschichte über Machtausübung gegenüber Frauen zu schreiben, ohne dass eine Frau beteiligt wäre. In der Zusammenarbeit mit Ana Miralles sei es aber gelungen, diese Teile so zu schreiben, dass sie nicht zu männerdominiert wären.

Es geht einerseits um Kim Nelson und um ihre Großmutter Jade. Beide tragen/trugen möglicherweise eine Djinn in sich. Als Djinn sind sie zwar nicht mehr in der Lage echte Gefühle zu entwickeln, können aber Macht über Männer ausüben und ihnen den Kopf verdrehen. Gleichzeitig geht es um politische Ränkeschmiede im Vorfeld des Ersten Weltkriegs und um die Suche nach einem Schatz. Dufaux verwirbt dabei die beiden Zeitebenen ständig und lässt ähnliche Handlungen an gleichen Orten in unterschiedlichen Epochen passieren.

Die Favoritin bereitet das Setting, führt die Personen ein und führt Kim erstmals in das Bordell, das ihr weiteres Leben bestimmen wird. Zudem wird die Geschichte von Jade und ihrem Sultan begonnen. Dreißig Glocken erzählt den Weg, den eine Frau unternehmen muss, um in einen Harem aufgenommen zu werden. Dieses ist der dunkelste Band der Reihe. Das Tattoo führt in die eher mytischen Themen ein und vermischt Traum und Wirklichkeit. Der Schatz schließlich führt die offenen Fäden zusammen und kulminiert in einem Finale, dass natürlich genügend Raum für eine Fortsetzung lässt.

Djinn Gesamtausgabe 1 page 28

Realistische und offenherzige Zeichnungen

Ana Miralles lässt in ihren Zeichnungen viel nackte Haut zu, ist aber keineswegs pornographisch. In vielen aktuellen Filmen ist mehr zu sehen als bei ihr, allerdings verknüpft sie Farben, leicht durchsichtige Kleidung und die Umgebung zu einem Farbenspiel, das an Träume vom „exotischen Orient“ erinnert. Es sei mal dahingestellt, wie viele Vorurteile da eingeflossen sind…

Ihre Zeichnungen sind aber sehr detailgetreu und realistisch und bieten daher weit mehr Augenfreude als auf den wenigen expliten Seiten. Immerhin erlaubt sie auch ein paar Momente der Rache für Unterdrückung. Auch hier ist sie aber eher eine Meisterin der Andeutung!

Djinn Gesamtausgabe 1 page 29

Eine sehr gelungene Gesamtausgabe!

Alle Teile werden separat eingeleitet und auch der Anhang erlaubt einen guten Einblick in die Ideen, Vorbilder und Überlegungen der Künstler*innen. Das große Format ist den Zeichnungen deutlich angemessener als die verkleinerte Ausgabe und so kann die neue Reihe allen empfohlen werden, die auf diese Art von Serien stehen.

ExLibris DJINN Erster Zyklus VZA

Natürlich gibt es auch wieder eine Vorzugsausgabe mit beigelegtem Druck, die auf 222 Exemplare limitiert ist!

Dazu The Skatalites mit „Oriental Ska“ und ein Manhattan.

© der Abbildungen Dargaud Benelux (Dargaud – Lombard s.a.)2006, by Miralles, Dufaux | 2024 Verlag Schreiber & Leser, Hamburg

Sente/Verron – Mademoiselle J. 2

1945: Bis ans Ende der Welt

Story: Yves Sente

Zeichnungen: Laurent Verron

Originaltitel: Jusq’au bout du monde

Carlsen Comics
Hardcover | 64 Seiten | Farbe | 12,00 €
ISBN: 
978-3-551-76749-3

Cover Mademoiselle J. 2

Ein Spin-Off, das sich aus einer Hommage entwickelt hat. Diese nicht allzu häufige Konstruktion finden wir hier. Mademoiselle J(uliette) erblickte das Licht der Welt in einem der „Spirou par“-Bände die in Deutschland unter dem Titel Spirou und Fantasio Spezial erscheinen. Sein Name war Ptirou, so der Titel, war so erfolgreich und die Figur der aufgeschlossenen und unerschrockenen jungen Frau so vielversprechend, dass eine Reihe daraus entstanden ist.

Die Besatzung, der Holocaust und die Folgen

Die Geschichte ist wieder in eine fortlaufende Rahmenhandlung eingebettet: Onkel Paul kommt zu Besuch und erzählt die Abenteuer von Juliette de Sainteloi. In Band 1 hatte sie sich gerade noch weigern können, das Unternehmen ihres Vaters an einen Nazi verkaufen zu müssen. Als am 14. Juni 1940 die deutsche Armee in Paris einmarschiert, wird der Betrieb allerdings zwangsenteignet. Und auch ihre Wohnung in der Hauptstadt wird zumindest teilweise zweckentfremdet, wird doch dort ein deutscher Offizier einquartiert.

Während die meisten Deutschen als brutal und stupide gekennzeichnet werden, ist der einquartierte Offizier wenigstens höflich und hat sich ein wenig Menschlichkeit bewahrt. Juliettes Freundin Lea und ihre Eltern sind jüdischen Glaubens. Leider befolgen sie den Rat zur Flucht nicht und bei ihren Menschenjagden greifen die Deutschen sie auf und verfrachten sie in Vernichtungslager im Osten.

Mademoiselle J. 2 pages 3, 4

Nach der Befreiung durch die Alliierten macht sich Mademoiselle J bis ans Ende der Welt auf, Lea zu suchen. Dabei kommt ihr zur Hilfe, dass sie sich im Widerstand aktiv in der Redaktion einer Untergrundzeitung engagiert hat. Yves Sente spinnt den Lebensfaden dieser mutigen Frau weiter. Sie steht ein für Freiheit, gegen Unterdrückung und Machtmissbrauch und natürlich auch für die Rechte der Frau. Immer wieder taucht ein geträumter Ptirou auf, um sie moralisch zu unterstützen, er ist aber eindeutig nur eine Nebenfigur und nimmt keine Heldenrolle ein.

Realistische Zeichnungen

Die (überlange) Folge kombiniert in ihren Zeichnungen knallharten Realismus mit der romantischen Marcinelle-Schule. Die moderne Variante macht klar, dass keine Wichtel um die Ecke kommen werden. Eine magische Wendung ist ebenfalls ausgeschlossen. Trotzdem vermittelt Lauren Verron das Prinzip Hoffnung. Solange es Menschen gibt, die sich für das Gute und die Freiheit einsetzen, ist nicht alles verloren.

Dementsprechend machen auch die Physiognomien bereits deutlich auf welcher Seite die Personen stehen. Böse Menschen haben sowohl eine ständig bedrohliche Körperhaltung als auch einen entsprechenden Gesichtsausdruck. Wenn es etwas zu meckern gibt, dann vielleicht, dass Juliette eine Blondine mit Model-Maßen ist. Ein wenig mehr „Alltag“ wäre hier möglicherweise besser gewesen.

Mademoiselle J. 2 pages 5, 6

Ein der spannendsten Serien aus dem Spirou-Kosmos!

Der Spirou-Kosmos wächst und wächst. Neben der wieder neu laufenden Hauptreihe gibt es unzählige Interpretationen durch Gast-Künstler*innen. Dazu kommen lokale Interpretationen, die bei Erfolg weltweit ausgerollt werden. Im Zuge des 100. Geburtstag von André Franquin wurden viele Titel neu aufgelegt und dann gibt es ja noch die ganzen Reihen mit dem Marsupilami.

Viele der neuen Reihen (etwa die „Freunde“ oder von Bravo) beschäftigen sich mit dem Zweiten Weltkrieg und den Gräueltaten der Deutschen. Mademoiselle J. fügt aber einen aufgeklärten Feminismus hinzu der weder belehren noch erziehen will. Danke!

Dazu passen Operation Ivy mit “Unity“ und eine Limetten Limonade.

© der Abbildungen DUPUIS 2023 / 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Dubois/Delvaux – Die Abenteuer von Jacques Gibrat 10

Der Schatz von Noirmoutier

Story: Thierry Dubois
Zeichnungen: Jean-Luc Delvaux

Originaltitel: Une aventure de Jacques Gipar Tome 10 : Le Trésor de Noirmoutier

Salleck Publications

Hardcover | 48 Seiten | Farbe | 15,00 € | 
ISBN: 978-3-89908-808-3

Cover Jacques Gibrat 10

Salleck Publications ist einer der vielen kleinen deutschen Verlage, ohne die die hiesige Comic-Landschaft sehr viel trostloser wäre. Für die großen Platzhirsche Splitter, Carlsen, Egmont Ehapa und Panini zählen ganz andere finanzielle Anforderungen als für die kleinen. Salleck kann daher Serien und Einzelbände veröffentlichen, die zwar qualitativ nicht schlechter sind, die es aber nie geschafft haben, einen Marketing-Hype zu entfachen.

Eine ganz besondere Insel

Die Geschichte spielt im April 1956 auf Noirmoutier, einer kleinen Insel, die bis 1971 nur durch die Passage du Gois mit dem Festland verbunden war. Die mehr als 4 KM lange Straße war nur bei Ebbe für 3 Stunden befahrbar und lag ansonsten unter Wasser. Um für Unfälle und Pannen aller Art gewappnet zu sein, gab es alle 500 Meter kleine erhöhte Plattformen auf der sich Personen in Sicherheit bringen konnten. Diese Passage spielt eine wesentliche Rolle in diesem Band.

Er beginnt mit einem tragischen aber doch fast schon alltäglichen Ereignis: Bei einer Schlägerei zwischen Betrunkenen stirbt ein Mann, ein früherer Sträfling wird der Tat verdächtigt und festgenommen. Er ist gleichzeitig der Wirt des kleinen Cafés, für das ein Kaufangebot gemacht worden war. Dieses hat er nicht nur abgelehnt, er beteuert auch seine Unschuld.

Jacques Gibrat wird gebeten, nach dem Rechten zu sehen und beginnt seine Ermittlungen in deren Verlauf Verbindungen zur Nazi-Zeit deutlich werden. Es scheint, dass untergetauchte Kollaborateure ihre Finger im Spiel haben. Vielleicht gibt es ja sogar einen mittelalterlichen Schatz von Noirmoutier. Thierry Dubois erzählt routiniert und spannend und führt die Leser*innen immer wieder über die gefährliche Passage.

Modern mit einem leicht nostalgischen Flair

Jean-Luc Delvaux setzt die Geschichte in zwar modernen Zeichnungen um. Diese lassen aber ein nostalgisches Flair aufkommen und passen sich an den Dekors, die Mode und die Autos der 50-er Jahre an. Das strenge vierstreifige Layout der Seiten, die reduzierte Mimik und in gewisser Weise auch die Gemütlichkeit der Aktionen bezeigen die Verbundenheit mit der älteren Zeichenschule.

Man möge dieses allerdings nicht als Kritik missverstehen: Die Reminiszenzen sind gewollt und passend, die Zeichnungen passen perfekt zur Geschichte. Während heute vieles gleich aussieht, haben sich Dubois und Delvaux eine Zeit ausgesucht, in der Unterschiede noch eine viel größere Rolle spielten. Vor allem Autoliebhaber*innen kommen hier auf ihre Kosten!

Ein Ausflug in die Vergangenheit

Eine Brücke hat die Passage (für Autos) ersetzt, Unterschiede sind nivelliert worden und Taten aus der Vergangenheit sind mittlerweile (zum Glück) zu einem wesentlichen Teil gesühnt. Geschichten wie diese müssen also in die Vergangenheit verlegt werden. Es geht aber nicht um eine „Flucht“ in die „gute, alte Zeit“, es ist nur ein Stilmittel, um eine spannende Geschichte zu erzählen.

Dazu passen Frank Sinatra, etwa mit einem Hit von 1956 “The Tender Trap” und einem Cognac!

© der Abbildungen BELG Prod. 2022, by Dubois & Delvaux / Eckart Schott Verlag 2024

ZACK 301 (Juli 2024)

ZACK 301

Herausgeber/Chefredaktion: Georg F. W. Tempel

Blattgold Verlag

Heft Din A 4 | 100 Seiten | Farbe | 9,70 €
ISSN: 1438-2792

Cover ZACK 301

Im letzten Heft, der 300. Ausgabe des „neuen“ ZACK, gab es außerhalb der Fortsetzungen nur Kurzgeschichten aus der Jubelnummer zu 77 Jahren Tintin-Magazin. Nicht nur comix-online fand das gut und so wird Ende des Jahres ein ZACK-Sonderheft erscheinen, das weitere Kurzgeschichten daraus präsentiert. Zu vermelden ist leider auch, dass Étienne Willem, Zeichner von Paris der Wunder, Die Flintenweiber, Das Mädchen von der Weltausstellung und vieler weiterer Titel aus dem Leben geschieden ist. R.I.P.

Die Neustarts

Coverboy dieser Ausgabe ist Al Chrysler, einer derjenigen, die sich als Bootblack im New York der 30-er Jahre das Geld verdienen. Al ist gerade aus dem Knast entlassen worden als er feststellen muss, dass die alten Sünden keineswegs vergeben sind. Der Mafiaboss hat ein gutes Gedächtnis und vermisst eine ganze Menge an Geld… Mikaël vermengt auch im zweiten Teil dieser Geschichte wieder Rückblicke des WWII-Teilnehmers auf seine Jugend in dem Moloch New York mit der Gegenwart. Der Vorgänger, Giant, wird in Kürze in der ZACK-Edition als Gesamtausgabe erscheinen.

Detail ZACK 301 page 5

Ebenfalls neu ist Die Bank. Band 5, Die Scheckhefte von Panama, setzt die Familiengeschichte aus der Welt der Kredite und Finanzspekulationen fort. Joseph de Saint-Hubert landet in New York, um die neue Welt zu erobern. Wie wir alle bereits wissen, wird das allerdings nicht einfach sein, besteht die Familie doch fast nur aus Intriganten! Das Team Pierre Boisserie & Philippe Guillaume (Szenario) sowie Stéphane Brangier (Zeichnungen) hat auch das Gold der Belgier verantwortet.

Detail ZACK 301 page 86

Die Fortsetzungen

Die Geschichte um Mata Hari, die mit ihrer Erschießung begonnen hatte und nun den Weg dorthin beschreibt, geht mit einer Episode in Paris weiter. Margaretha Zelle tanzt sich in die gehobene Gesellschaft, muss sich aber erstmals mit ihrer eigenen Geschichte und den darum sorgfältig konstruierten Lügen befassen. Sehr einfühlsame Erzählung von Esther Gil mit realistischen Zeichnungen von Laurant Paturaud. Ein Beweis dafür, dass Biographien sehr spannend aufbereitet werden können, obwohl der Inhalt eigentlich bekannt ist.

Detail ZACK 301 page 25

Metamorphosis ist der sechste Band von Harmony. Der Mystery-Thriller von Mathieu Reynès verbindet gesellschaftspolitische Themen (das Ausnutzen von Kindern für Geschäftsinteressen und Brutalität) mit paranormalen Topics wie Psy-Fähigkeiten und übernatürlichen Kulten. Die Spannung steigt tatsächlich von Folge zu Folge und obwohl immer mehr Fäden verknüpft werden, ist ein Ende nicht wirklich zu hoffen. Die Zeichnungen kombinieren dabei moderne Elemente der Tablet-Kunst, des Manga und der klassischen frankobelgischen Linie.

Detail ZACK 301 page 42

Aleksis Strogonov ist weiterhin im Umfeld der stupiden lila Hemden unterwegs. Die Geschichte Kino von Jean Regnaud verknüpft klassische Elemente des Rechtsradikalismus wie Rassismus und nationale Überhöhungen mit einem Drama über einen Menschen, der alles will, aber nicht bereit ist, dafür auch wirklich etwas zu leisten. Dadurch wird mir leider nicht klar, was der Autor eigentlich erreichen will. Émile Bravo versucht mit seinen Zeichnungen, das Beste daraus zu machen.

Detail ZACK 301 page 57

Die klassische Fliegerserie Tanguy & Laverdure entwickelt sich immer mehr zu einem Politthriller in der Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft, Verschwörung auf der einen und Drama auf der anderen Seite. Auch Die unsichtbare Grenze ist wieder ein solcher Fall. Während Laverdure lernen muss, eine ihm unbekannte Maschine zu fliegen (und zu stehlen) entdeckt Tanguy, dass wesentlich mehr Player involviert sind als zunächst angenommen. Spannende Geschichte von Patrice Buendia & Frédéric Zumbiehl mit Zeichnungen von Sébastien Philippe, die den ursprünglichen Spirit gekonnt modernisiert haben.

Detail ZACK 301 page 71

Und sonst?

100 Seiten bedeuten, dass es jetzt monatlich sechs Geschichten in Fortsetzungen geben wird. Georg F.W. Tempel kann also zum Glück mehr Stories unterbringen. Parallel dazu werden immer mehr Ankündigungen für die ZACK-Edition bekanntgegeben. Neben den Tanguy & Laverdure-Bänden kehrt mit den Minimenschen auch die Hauptserie von Pierre Seron zurück: zum Label „ZACK“, aber auch zum Verleger, der die Serie im Feest-Verlag vor Jahrzehnten das erste Mal in adäquater Form in Deutschland präsentiert hatte.

Im Heft gibt es auch noch Parker & Badger, Grott & Bott sowie Tizombi als Onepager, die Seite über das ZACK vor 50 Jahren von Michael Klein sowie Artikel über ein Manga-Road-Movie und ein Interview mit Baru, einem französischen Graphic Novel Künstler.

Dazu passen die ebenfalls nicht älter werdenden AC/DC, etwa mit „Riff Raff“ und passend zum Wetter eine Weisweinschorle.

© der Abbildungen bei den jeweiligen Künstlern und Verlagen / Blattgold GmbH, Bad Dürkheim 2024

Dahmen – Columbusstraße

Eine Familiengeschichte 1935 – 1945

Story: Tobi Dahmen

Zeichnungen: Tobi Dahmen

Originalausgabe

Carlsen Comics

Hardcover Book | 528 Seiten | Farbe | 40,00 €
ISBN: 
978-3-551-79663-9

Cover Dahmen - Columbusstraße

Es gibt nicht mehr allzu viele Zeitzeug*innen des sogenannten „Dritten Reiches“, aber immer noch eine ganze Menge an offenen Fragen. Eines ist jedoch sicher: je größer der Abstand wird, desto unverständlicher werden Motive, Situationen und Emotionen, die ein Handeln begründet haben. Und da sich die Diskussionskultur gerade nicht unbedingt positiv entwickelt, ist es auch kein Wunder, dass Vorwürfe (egal aus welcher Richtung) die Tonalität bestimmen. Columbusstraße ist nicht als Beitrag zu einer Diskussion gedacht, es dient zunächst einmal der eigenen Information. Natürlich stellen sich daraus aber auch Fragen nach Verantwortung. Mehr zum Thema hier. Tobi Dahmen hat seine eigene Jugend in Fahrradmod beschrieben.

Der Feind sitzt in Russland

Tobi Dahmen hatte die Gelegenheit, nachzufragen. Und diese hat er weidlich genutzt, um die Geschichte seiner eigenen Familie während fast der gesamten Zeit der Nazi-Herrschaft aufzuzeichnen. Dabei geht er keineswegs einen leichten Weg. Viele Aussagen, Situationen und auch Zeichnungen sind nur schwer zu ertragen. Er hat allerdings den Vorteil, dass eine ganze Menge an Diskussionen schon gelaufen ist. Vor rund 20 Jahren zog die „Wehrmachtsausstellung“ durch die Deutschen Lande. Sie räumte mit der landläufig vertretenen Meinung auf, dass sich der Landser keiner Verbrechen schuldig gemacht hätte. Was damals noch Bombenattentate rechtsradikaler Aktivisten zur Folge hatte, ist heute Allgemeingut.

Detail aus Dahmen - Columbusstraße 2

Dieses Wissen droht allerdings von Fake-Facts übertüncht zu werden. Umso wichtiger ist es, die Geschehnisse immer wieder und wieder einfach nur darzustellen. Es geht nicht um den moralischen Impetus, die Frage an die heutige Generation, wie sie sich verhalten hätte (mit dem Wunsch auf zwei völlig unterschiedliche Antworten, je nach eigener Position) und auch nicht um Effekthascherei. Was könnte dafür geeigneter sein als Erinnerungen, die einfach nur wiedergegeben werden?

Und so lässt Dahmen sie alle zu Wort kommen, die Soldaten, den landverschickten Buben, den christlichen Vertreter der Moral, den Kriegswirtschaftsverwalter und viele andere mehr. Es mag störend sein, dass Antisemitismus, Antibolschewismus, Chauvinismus und andere -ismen quasi ungefiltert geäußert werden. Sie sind aber notwendig, um die Situation zu beschreiben, eine Antwort geben zu können, was jede*r (nicht) gewusst haben könnte/müsste, und damit authentische Zeugnisse gewinnen zu können.

Detail aus Dahmen - Columbusstraße 3

Realismus als Prinzip

Der Anspruch dieser Graphic Novel ist die Wiedergabe von Fakten. Die Aufgabe der Leser*innen ist es, diese zu bewerten und Schlüsse daraus zu ziehen. Und natürlich lässt einen der Realismus von Content und Zeichnungen oftmals daran zweifeln, ob es auch nur die leichteste Möglichkeit gibt, das Dargestellte gut finden zu wollen. Und doch gibt es das, wir müssen uns also damit auseinandersetzen. Dabei geht es natürlich nicht um Kollektivschuld oder ähnliche Vorwürfe. Es geht darum, zu verstehen, wie und warum sich so etwas entwickeln konnte.

In einer aktuellen Serie, die im Berlin der Nachkriegsjahre spielt und die in der ZDF-Mediathek abrufbar ist, heißt es, dass schlimmer als ein Nazi nur der Helfer eines Nazis sei. Aussagen dieser Art werden in Columbusstraße nicht getroffen. Die Zeichnungen erlauben in ihrer Emotionalität dafür aber durchaus, den Unterschied zwischen öffentlicher Rede (etwa in Feldpostbriefen) und eigenem Erleben darzustellen. Manchmal allerdings klingt das bereits sehr zynisch. Alles in Allem ist Tobi Dahmen dafür zu bewundern, dass er diese Geschichte und ihre Details outet. Er macht sich angreifbar, weil er es wichtig findet, Verantwortung zu übernehmen!

Detail aus Dahmen - Columbusstraße 1

Must Have!

Die Aussage, dass etwas ein „Must have“ sei, ist immer mit Vorsicht zu genießen. Natürlich „muss“ sich niemand mit deutscher Geschichte befassen. Niemand ist gezwungen, nachzuforschen, ob seine oder ihre Verwandten involviert waren. Wer aber noch nachfragen kann, sollte das jetzt tun, denn die direkte Erinnerung mag zwar im Laufe der Jahrzehnte getrübt sein, ist aber trotzdem einer gefilterten Aussage aus zweiter Hand vorzuziehen. Wer diese Möglichkeit nicht (mehr) hat, bekommt mit diesem Werk die Möglichkeit, eine fremde, authentische Erinnerung nachzuvollziehen.

Natürlich wird es auch hier Lücken gegeben haben, die bewusst oder unbewusst gefüllt worden sind. Bevor jetzt akribisch veranlagte Menschen damit anfangen, die Fensterscheiben in einem historischen Gebäude auf „Wahrheit“ zu überprüfen: Das ist nicht der Punkt! Es geht um die Beschreibung der Zeit, um authentische Gefühle und Wahrnehmungen. Im Laufe der Zeit mögen Details sich dagegen leicht verschieben. Ein wichtiges Buch, dass sogar die Chance verdient hätte, als Schullektüre verwendet zu werden.

Bild aus Dahmen - Columbusstraße

Dazu passen die Toten Hosen mit “Moorsoldaten“ und ein Füchschen Altbier.

© der Abbildungen 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg, by Tobi Dahmen

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