ZACK 301 (Juli 2024)

ZACK 301

Herausgeber/Chefredaktion: Georg F. W. Tempel

Blattgold Verlag

Heft Din A 4 | 100 Seiten | Farbe | 9,70 €
ISSN: 1438-2792

Cover ZACK 301

Im letzten Heft, der 300. Ausgabe des „neuen“ ZACK, gab es außerhalb der Fortsetzungen nur Kurzgeschichten aus der Jubelnummer zu 77 Jahren Tintin-Magazin. Nicht nur comix-online fand das gut und so wird Ende des Jahres ein ZACK-Sonderheft erscheinen, das weitere Kurzgeschichten daraus präsentiert. Zu vermelden ist leider auch, dass Étienne Willem, Zeichner von Paris der Wunder, Die Flintenweiber, Das Mädchen von der Weltausstellung und vieler weiterer Titel aus dem Leben geschieden ist. R.I.P.

Die Neustarts

Coverboy dieser Ausgabe ist Al Chrysler, einer derjenigen, die sich als Bootblack im New York der 30-er Jahre das Geld verdienen. Al ist gerade aus dem Knast entlassen worden als er feststellen muss, dass die alten Sünden keineswegs vergeben sind. Der Mafiaboss hat ein gutes Gedächtnis und vermisst eine ganze Menge an Geld… Mikaël vermengt auch im zweiten Teil dieser Geschichte wieder Rückblicke des WWII-Teilnehmers auf seine Jugend in dem Moloch New York mit der Gegenwart. Der Vorgänger, Giant, wird in Kürze in der ZACK-Edition als Gesamtausgabe erscheinen.

Detail ZACK 301 page 5

Ebenfalls neu ist Die Bank. Band 5, Die Scheckhefte von Panama, setzt die Familiengeschichte aus der Welt der Kredite und Finanzspekulationen fort. Joseph de Saint-Hubert landet in New York, um die neue Welt zu erobern. Wie wir alle bereits wissen, wird das allerdings nicht einfach sein, besteht die Familie doch fast nur aus Intriganten! Das Team Pierre Boisserie & Philippe Guillaume (Szenario) sowie Stéphane Brangier (Zeichnungen) hat auch das Gold der Belgier verantwortet.

Detail ZACK 301 page 86

Die Fortsetzungen

Die Geschichte um Mata Hari, die mit ihrer Erschießung begonnen hatte und nun den Weg dorthin beschreibt, geht mit einer Episode in Paris weiter. Margaretha Zelle tanzt sich in die gehobene Gesellschaft, muss sich aber erstmals mit ihrer eigenen Geschichte und den darum sorgfältig konstruierten Lügen befassen. Sehr einfühlsame Erzählung von Esther Gil mit realistischen Zeichnungen von Laurant Paturaud. Ein Beweis dafür, dass Biographien sehr spannend aufbereitet werden können, obwohl der Inhalt eigentlich bekannt ist.

Detail ZACK 301 page 25

Metamorphosis ist der sechste Band von Harmony. Der Mystery-Thriller von Mathieu Reynès verbindet gesellschaftspolitische Themen (das Ausnutzen von Kindern für Geschäftsinteressen und Brutalität) mit paranormalen Topics wie Psy-Fähigkeiten und übernatürlichen Kulten. Die Spannung steigt tatsächlich von Folge zu Folge und obwohl immer mehr Fäden verknüpft werden, ist ein Ende nicht wirklich zu hoffen. Die Zeichnungen kombinieren dabei moderne Elemente der Tablet-Kunst, des Manga und der klassischen frankobelgischen Linie.

Detail ZACK 301 page 42

Aleksis Strogonov ist weiterhin im Umfeld der stupiden lila Hemden unterwegs. Die Geschichte Kino von Jean Regnaud verknüpft klassische Elemente des Rechtsradikalismus wie Rassismus und nationale Überhöhungen mit einem Drama über einen Menschen, der alles will, aber nicht bereit ist, dafür auch wirklich etwas zu leisten. Dadurch wird mir leider nicht klar, was der Autor eigentlich erreichen will. Émile Bravo versucht mit seinen Zeichnungen, das Beste daraus zu machen.

Detail ZACK 301 page 57

Die klassische Fliegerserie Tanguy & Laverdure entwickelt sich immer mehr zu einem Politthriller in der Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft, Verschwörung auf der einen und Drama auf der anderen Seite. Auch Die unsichtbare Grenze ist wieder ein solcher Fall. Während Laverdure lernen muss, eine ihm unbekannte Maschine zu fliegen (und zu stehlen) entdeckt Tanguy, dass wesentlich mehr Player involviert sind als zunächst angenommen. Spannende Geschichte von Patrice Buendia & Frédéric Zumbiehl mit Zeichnungen von Sébastien Philippe, die den ursprünglichen Spirit gekonnt modernisiert haben.

Detail ZACK 301 page 71

Und sonst?

100 Seiten bedeuten, dass es jetzt monatlich sechs Geschichten in Fortsetzungen geben wird. Georg F.W. Tempel kann also zum Glück mehr Stories unterbringen. Parallel dazu werden immer mehr Ankündigungen für die ZACK-Edition bekanntgegeben. Neben den Tanguy & Laverdure-Bänden kehrt mit den Minimenschen auch die Hauptserie von Pierre Seron zurück: zum Label „ZACK“, aber auch zum Verleger, der die Serie im Feest-Verlag vor Jahrzehnten das erste Mal in adäquater Form in Deutschland präsentiert hatte.

Im Heft gibt es auch noch Parker & Badger, Grott & Bott sowie Tizombi als Onepager, die Seite über das ZACK vor 50 Jahren von Michael Klein sowie Artikel über ein Manga-Road-Movie und ein Interview mit Baru, einem französischen Graphic Novel Künstler.

Dazu passen die ebenfalls nicht älter werdenden AC/DC, etwa mit „Riff Raff“ und passend zum Wetter eine Weisweinschorle.

© der Abbildungen bei den jeweiligen Künstlern und Verlagen / Blattgold GmbH, Bad Dürkheim 2024

Dahmen – Columbusstraße

Eine Familiengeschichte 1935 – 1945

Story: Tobi Dahmen

Zeichnungen: Tobi Dahmen

Originalausgabe

Carlsen Comics

Hardcover Book | 528 Seiten | Farbe | 40,00 €
ISBN: 
978-3-551-79663-9

Cover Dahmen - Columbusstraße

Es gibt nicht mehr allzu viele Zeitzeug*innen des sogenannten „Dritten Reiches“, aber immer noch eine ganze Menge an offenen Fragen. Eines ist jedoch sicher: je größer der Abstand wird, desto unverständlicher werden Motive, Situationen und Emotionen, die ein Handeln begründet haben. Und da sich die Diskussionskultur gerade nicht unbedingt positiv entwickelt, ist es auch kein Wunder, dass Vorwürfe (egal aus welcher Richtung) die Tonalität bestimmen. Columbusstraße ist nicht als Beitrag zu einer Diskussion gedacht, es dient zunächst einmal der eigenen Information. Natürlich stellen sich daraus aber auch Fragen nach Verantwortung. Mehr zum Thema hier. Tobi Dahmen hat seine eigene Jugend in Fahrradmod beschrieben.

Der Feind sitzt in Russland

Tobi Dahmen hatte die Gelegenheit, nachzufragen. Und diese hat er weidlich genutzt, um die Geschichte seiner eigenen Familie während fast der gesamten Zeit der Nazi-Herrschaft aufzuzeichnen. Dabei geht er keineswegs einen leichten Weg. Viele Aussagen, Situationen und auch Zeichnungen sind nur schwer zu ertragen. Er hat allerdings den Vorteil, dass eine ganze Menge an Diskussionen schon gelaufen ist. Vor rund 20 Jahren zog die „Wehrmachtsausstellung“ durch die Deutschen Lande. Sie räumte mit der landläufig vertretenen Meinung auf, dass sich der Landser keiner Verbrechen schuldig gemacht hätte. Was damals noch Bombenattentate rechtsradikaler Aktivisten zur Folge hatte, ist heute Allgemeingut.

Detail aus Dahmen - Columbusstraße 2

Dieses Wissen droht allerdings von Fake-Facts übertüncht zu werden. Umso wichtiger ist es, die Geschehnisse immer wieder und wieder einfach nur darzustellen. Es geht nicht um den moralischen Impetus, die Frage an die heutige Generation, wie sie sich verhalten hätte (mit dem Wunsch auf zwei völlig unterschiedliche Antworten, je nach eigener Position) und auch nicht um Effekthascherei. Was könnte dafür geeigneter sein als Erinnerungen, die einfach nur wiedergegeben werden?

Und so lässt Dahmen sie alle zu Wort kommen, die Soldaten, den landverschickten Buben, den christlichen Vertreter der Moral, den Kriegswirtschaftsverwalter und viele andere mehr. Es mag störend sein, dass Antisemitismus, Antibolschewismus, Chauvinismus und andere -ismen quasi ungefiltert geäußert werden. Sie sind aber notwendig, um die Situation zu beschreiben, eine Antwort geben zu können, was jede*r (nicht) gewusst haben könnte/müsste, und damit authentische Zeugnisse gewinnen zu können.

Detail aus Dahmen - Columbusstraße 3

Realismus als Prinzip

Der Anspruch dieser Graphic Novel ist die Wiedergabe von Fakten. Die Aufgabe der Leser*innen ist es, diese zu bewerten und Schlüsse daraus zu ziehen. Und natürlich lässt einen der Realismus von Content und Zeichnungen oftmals daran zweifeln, ob es auch nur die leichteste Möglichkeit gibt, das Dargestellte gut finden zu wollen. Und doch gibt es das, wir müssen uns also damit auseinandersetzen. Dabei geht es natürlich nicht um Kollektivschuld oder ähnliche Vorwürfe. Es geht darum, zu verstehen, wie und warum sich so etwas entwickeln konnte.

In einer aktuellen Serie, die im Berlin der Nachkriegsjahre spielt und die in der ZDF-Mediathek abrufbar ist, heißt es, dass schlimmer als ein Nazi nur der Helfer eines Nazis sei. Aussagen dieser Art werden in Columbusstraße nicht getroffen. Die Zeichnungen erlauben in ihrer Emotionalität dafür aber durchaus, den Unterschied zwischen öffentlicher Rede (etwa in Feldpostbriefen) und eigenem Erleben darzustellen. Manchmal allerdings klingt das bereits sehr zynisch. Alles in Allem ist Tobi Dahmen dafür zu bewundern, dass er diese Geschichte und ihre Details outet. Er macht sich angreifbar, weil er es wichtig findet, Verantwortung zu übernehmen!

Detail aus Dahmen - Columbusstraße 1

Must Have!

Die Aussage, dass etwas ein „Must have“ sei, ist immer mit Vorsicht zu genießen. Natürlich „muss“ sich niemand mit deutscher Geschichte befassen. Niemand ist gezwungen, nachzuforschen, ob seine oder ihre Verwandten involviert waren. Wer aber noch nachfragen kann, sollte das jetzt tun, denn die direkte Erinnerung mag zwar im Laufe der Jahrzehnte getrübt sein, ist aber trotzdem einer gefilterten Aussage aus zweiter Hand vorzuziehen. Wer diese Möglichkeit nicht (mehr) hat, bekommt mit diesem Werk die Möglichkeit, eine fremde, authentische Erinnerung nachzuvollziehen.

Natürlich wird es auch hier Lücken gegeben haben, die bewusst oder unbewusst gefüllt worden sind. Bevor jetzt akribisch veranlagte Menschen damit anfangen, die Fensterscheiben in einem historischen Gebäude auf „Wahrheit“ zu überprüfen: Das ist nicht der Punkt! Es geht um die Beschreibung der Zeit, um authentische Gefühle und Wahrnehmungen. Im Laufe der Zeit mögen Details sich dagegen leicht verschieben. Ein wichtiges Buch, dass sogar die Chance verdient hätte, als Schullektüre verwendet zu werden.

Bild aus Dahmen - Columbusstraße

Dazu passen die Toten Hosen mit “Moorsoldaten“ und ein Füchschen Altbier.

© der Abbildungen 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg, by Tobi Dahmen

Ramar – Digger

Der ICOM-Preisträger 2024

Story: Ramar (Ralf Marczinczik)
Zeichnungen: 
Ramar (Ralf Marczinczik)
Originaltitel:
Digger auf www.comixfactory.de

Kult Comics

Hardcover | 192 Seiten | s/w und Farbe | 25,00 € | 
ISBN: 978-3-96430-320-2

Cover Digger

Comics über Gefangene sind gar nicht so häufig. Natürlich gibt es die Umsetzungen des Klassikers über den Grafen von Monte Christo, die aber nicht originär als Comics gedacht waren. Dazu fallen wahrscheinlich den Meisten die Daltons ein, die immer wieder (erfolglos) ausbrechen und ansonsten Steine klopfen. Und außerdem vielleicht noch Bobo von Paul Deliège, der seine ersten deutschen Auftritte in den Kauka-Publikationen, insbesondere Fix & Foxi, hatte. Im Independent-Bereich gibt es schon mehr, teilweise autobiographisch, aber eben auch unbekannter. Den diesjährigen ICOM-Preis für die beste Selbstveröffentlichung hat Digger gewonnen! Ein Werk, das größtenteils in einem sehr abgelegenen Gefängnis spielt.

Reduktion auf sich selbst

Die Anregung, sich mit diesem Thema zu befassen, war während des Lockdowns entstanden. Wie würde es sein, wenn man noch mehr eingeschränkt wäre? Das Gefängnis ist ein Ort, der seine Insassen auf sich selbst reduziert (zu mindestens dann, wenn es sich nicht um Fernseh-Massen-Knäste handelt in denen sich Dutzende eine Räumlichkeit teilen). Das wird im Comic auch mehrfach angesprochen, insbesondere die verschärfte Form der Isolation.

Digger page 1

Trotzdem gibt es immer wieder Hoffnung auf etwas Größeres. Das kann ein Ausblick sein, ein wachsendes Samenkorn, ein Tier … Es kann aber auch ein rein gedankliches Element sein, etwa wenn Zahlen plötzlich eine Rolle spielen. Zudem besitzt Digger auch noch ein Geheimnis. Alle diese Dinge lassen sich aber auf ein Motiv zurückführen: die Hoffnung!

Digger ist nicht wie die anderen Gefangenen: Er ist groß und massig, damit auch kräftig. Er glaubt nicht an seine Unschuld und vor allem ist er nicht aufmüpfig oder sonst auffällig. Über die Jahre freundet er sich mit einem Mithäftling an, teilt Sorgen und Hoffnungen, und entkommt dadurch ein Stück weit dem dumpfen Loch, in das fast alle irgendwann fallen.

Digger page 2

Die Hoffnung ist Blau

Ramar hat den Comic nicht nur geschrieben, sondern auch gezeichnet.Die ganze Geschichte beginnt grau. Diese Farbe steht wie etwa im grauen November für Trauer, Trübsal und das Ende des blühenden Sommers. Ganz langsam schleicht sich aber Farbe in die Zeichnungen. Zunächst ist es nur eine Reflektion des blauen Himmels, dann eine blaue Mütze, es werden aber noch mehr farbige Elemente erscheinen. Die Farbigkeit ist natürlich die Hoffnung!

Die Geschichte ist zunächst als Webcomic entstanden und passt daher perfekt zu dem kleineren Buchformat. Meistens bilden drei Panel untereinander den Content, eine Seite kann aber auch mehr oder weniger komplex sein. Diese kleinen Häppchen passen optimal zum seeeeehr langsamen Zeitablauf; rasante Action verheißt in diesem Setting nichts Gutes!

Digger page 7

Top-Tipp!

Allzu oft werden Bücher, die Mut machen, entweder als Geschenkbüchlein belächelt, oder aber in die Esoterik-Ecke verbannt. Digger macht Mut, ohne platt zu sein und ist auch nicht gefällig. Der „Held“ ist ein Krimineller, aber er ist kein „böser Mann“. Und natürlich liegt es auf der Hand, dass Isolation nicht nur hinter Gefängnismauern stattfindet. Es gibt genügend Möglichkeiten, diese entweder selbst zu wählen, oder aber von außen in seine solche gezwungen zu werden.

Der Aufruf ist, nicht aufzugeben! Auch Rückschläge können (und werden) passieren, dürfen aber nicht als Entschuldigung für das Aufgeben genommen werden. Der sympathische Held Digger ist dafür ein gutes Vorbild! Wer möchte kann sich im Übrigen auch eine limitierte Vorzugsausgabe mit signiertem Druck gönnen!

Cover Digger VZA

Dazu passen Sham 69 mit „Borstal Breakout“, und jedes Getränk Eurer Wahl, das ihr so richtig vermissen würdet.

© der Abbildungen 2024 Ralf Marczinczik / 2024 Comic Combo, Leipzig

Schwarwel – Gevatter

Die fünf Phasen (Gesamtausgabe)

Story und Zeichnungen: Schwarwel
Originaltitel:
Gevatter 1 – 5

Glücklicher Montag und FUNUS Stiftung

Softcover | 168 Seiten | s/w | 19,90 € | 
ISBN: 978-3-948518-22-6

Cover Schwarwel Gevatter Gesamtausgabe

Gute Graphic Novels nutzen das selbst Erlebte um darauf aufbauend andere anzuregen. Fragestellungen können dabei mehr oder weniger existenziell sein, gehen aber oft wirklich in die Tiefe. Gerade wenn es sich dabei um Themen dreht, die nicht unbedingt im Mainstream der gesellschaftlichen Diskussion mitschwimmen können, sind sie nicht nur für die Leser*innen herausfordernd. Es gehört viel Mut dazu, sich als „anders“ zu outen. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob es sich dabei um sexuelle Orientierungen handelt, um Missbrauchserfahrungen, oder – wie hier – um die eigene Depressions- und Suchtgeschichte!

Der Hintergrund

Schwarwel nimmt seine eigene Geschichte als Ausgangspunkt und lässt seinen Protagonisten Tim sehr vieles autobiographisch erleben. Aufgewachsen in der DDR, bereits als Kind mit dem Sterben konfrontiert, aktiver Bestandteil der Subkultur als Musiker und Künstler, Alkoholiker und Drogenabhängiger, Depressiv und Angststörungspatient… Schon die Aufzählung würde Raum genug für mehrere Geschichten geben. Hier aber ist alles kombiniert.

Schwarwel Gevatter Gesamtausgabe page 12/13

Viele, die unter dem oben beschriebenen leiden, haben keine Möglichkeiten, dem Erlebten Ausdruck zu geben der von einer größeren Gruppe wahrgenommen wird. Schwarwel jedoch ist als früherer Art Director der Ärzte, als Herausgeber von EEE-Comics, als Filmemacher in Leipzig und als täglich veröffentlichender Karikaturist bekannt. Zudem beherrscht er die Zeichenkunst ausgesprochen gut.

Ein dritter hilfreicher, aber auch notwendiger Bestandteil war die Unterstützung der FUNUS-Stiftung. Kein Künstler kann eine Arbeit wie Gevatter erstellen, wenn er (nur) davon leben muss. Es geht also auch immer um ein Mäzenatentum, das Dinge vorantreiben kann. Die Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, die Endlichkeitskultur zu fördern. Hinter diesem Begriff verbirgt sich nichts weniger als die Frage, wie man im Wissen um den kommenden Tod sein Leben sinnvoll, nachhaltig und bewusst leben kann.

Der Prozess der Bewusstwerdung

Ich bin mir sicher, dass eine ganze Menge von Leser*innen dieser Seite Probleme schon mal mit (zu viel) Alkohol beiseitegeschoben haben. Natürlich ist allen bewusst, dass das auf Dauer nicht hilft, aber … Etwas weniger gesellschaftlich akzeptiert und trotzdem oft genug ausgelebt ist der gleiche Prozess, aber mit Rauschmitteln anderer Art. Einigen mag es gelingen, diese Flucht zu beherrschen, meistens aber braucht es eines Anstoßes, um sie zu beenden und die Probleme anzugehen.

Schwarwel Gevatter Gesamtausgabe page 76/77

Manchmal ist das jedoch nicht möglich: Probleme verfestigen sich, entwickeln sich zu krankhaften Monstern die ohne professionelle Hilfe nicht mehr zu bewältigen sind. Wie immer ist der erste Schritt aber das Eingeständnis, dass etwas angegangen werden soll. Schwarwel hat seine Geschichte daher in fünf – ursprünglich als separate Hefte erschienene – Kapitel eingeteilt, die den Phasen der Trauerbewältigung von Kübler-Ross folgen: Verleugnung, Zorn, Verhandlung, Depression und Akzeptanz. Er lädt uns ein, seinem alter Ego durch diese Schritte zu folgen, und natürlich auch, uns selbst dagegen zu reflektieren. Er spart dabei die vielen Situationen nicht aus, in denen ein selbstgewähltes Ende eine Lösung zu sein schien.

Dabei verknüpft er geschickt Rückblicke auf sein früheres Leben mit Phasen im therapeutischen Gespräch. Sämtliche Fachbegriffe werden dabei in einem leicht verständlichen Deutsch im Anhang genauso erklärt wie die zahlreichen Bezüge auf Punk und Metal-Bands. Besonders spannend dabei sind die Hinweise auf die ostdeutsche Tradition, die vielen unbekannt sein dürfte.

Uneingeschränkte Empfehlung!

Gevatter sticht nicht nur durch die Zeichnungen hervor! Das strikte Raster gibt Stabilität die gleichzeitig Tempiwechsel möglich macht. Die Zeichnungen gewinnen durch die Kontraste der schwarz-weißen Zeichnungen, die Details können nicht übermalt werden. Die Geschichte geht dadurch wesentlich eher unter die Haut als eine „schöne“ Version. Trotz der teilweisen Übertreibungen steht der Realismus im Vordergrund und viele Erfahrungen werden gerade dadurch eher glaubhaft. Trotz allem gelingen auch die (Alp-)Traum-Sequenzen und integrieren sich in den Ablauf.

Neben den fünf Teilen enthält die Gesamtausgabe auch weitere Illustrationen, einen sehr ausführlichen Anhang mit Erläuterungen und Informationen über FUNUS und Schwarwel. Das Pressepack kam zusätzlich noch mit einem längeren Interview, das einen tieferen Einblick in die Gedankenwelt ermöglicht. Vieles davon ist in diesen Artikel eingeflossen.

Dazu passen Chelsea mit „Be what you want to be” und ein alkoholfreies Weizenbier.

© der Abbildungen Glücklicher Montag und Schwarwel 2024

Stalner – 13H7 in Jonathan Lassiters Leben

Einmal runderneuern bitte …

Story: Éric Stalner
Zeichnungen: 
Éric Stalner
Originaltitel: 
13 heures 17 dans la vie de Jonathan Lassiter

Blattgold Verlag – ZACK Edition

Hardcover | 104 Seiten | Farbe | 32,00 € ISBN: 978-3-949987-17-5

Cover 13H17 in Jonathan Lassiters Leben

Es gibt Menschen, die dazu verdammt sind, ein eintöniges, langweiliges und unbefriedigendes Leben zu führen. Wenn sie Pech haben, kommen auch noch Spott und Häme dazu. Und da das Schicksal gerne noch einen draufsetzt, gehen dann auch noch die Dinge schief, von denen man geglaubt hatte, dass sie das Leben lebenswert machen würden. Wer also zu Depressionen neigt, sollte sich überlegen, ob er/sie hier zugreifen möchte.

Alles geht schief … oder doch nicht?

Jonathan Lassiter ist ein Angestellter bei einer Versicherung in einer kleinen, austauschbaren amerikanischen Kleinstadt. Seinen Job erledigt er mehr schlecht als recht und er zieht das Gespött seiner Kollegen geradezu magisch an. An einem dieser ganz speziellen Tage macht seine Freundin genau in dem Moment mit ihm telefonisch Schluss, in dem er die sofortige Kündigung überreicht bekommt. Er verdirbt sich daraufhin die Zukunft in dem er den größten Mobber blutig schlägt.

Als er auf die Straße geworfen wird, fängt es an zu regnen, den Whiskey in der Bar kann er nicht bezahlen, da ihm die Brieftasche geklaut wurde. Und das ist der Moment in dem ein Fremder – ein etwas undurchsichtiger aber scheinbar vermögender Mann – seien Bekanntschaft macht und ihn auf die bisher ungewöhnlichsten 13 Stunden und 17 Minuten seines Lebens mitnimmt.

Die beiden fahren in einem alten Cadillac durch die Stadt, gehen in Clubs und Bars, treffen korrupte Polizisten und bissige Hunde. Mr. Edward ist kultiviert, scheut sich aber nicht, Jonathan zu triezen und immer wieder herauszufordern. Nur langsam wird klar, was er an dem Abend vorhat. Die Spannung, die Stalner aufbaut, steigert sich nur langsam aber unaufhörlich bis es tatsächlich in einem Crescendo endet!

Cover 13H17 in Jonathan Lassiters Leben VZA

Realismus pur

Alle Panel in diesem superdicken Band haben keine Rahmen, sondern werden nur durch das Ende des Hintergrundes definiert. Der Realismus der Zeichnungen wird dadurch noch verstärkt, wirken die Bilder dadurch doch teilweise wie Fotos. Éric Stalner zeichnet die Geschichte fast schon hyper-realistisch, allerdings teilweise mit dem Charme von älteren Schwarz-Weiß Filmen mit Helden wie Cary Grant. Fast alles ist tatsächlich farblos (sieht man mal von gewissen bläulichen oder gelblichen Hintergründen ab).

Farbe kommt nur dann ins Spiel, wenn ein Akzent gesetzt werden soll: etwa blendende Autoscheinwerfer oder generell rote, gefährliche Momente: das Auto, blinkende Sirenen, verstörende Werbung. Alle Zeichnungen sitzen punktgenau, sind aber ebenfalls unaufgeregt und lassen die Geschichte sich entwickeln.

Noir in Bestform

Sarkasmus, ein Hauch Nostalgie, ein anarchistischer „Held“, eine schöne Frau, eine Entwicklungsgeschichte und ein paar blaue Augen, alle notwendigen Bestandteile einer Noir-Story sind vorhanden und Stalner baut daraus eine perfekte Komposition! Jedes Detail passt zu den anderen und nirgendwo hat man beim Lesen das Gefühl, dass etwas fehlt oder zu viel ist.

ExLibris 13H17 in Jonathan Lassiters Leben VZA

In der ZACK-Edition erscheinen Einzelbände, die es möglicherweise auch in das ZACK hätten schaffen können, es aber dann aber (oft aus Platzgründen) doch nicht haben. Dieser Noir in extra-dickem Hardcover verdient es, wahrgenommen zu werden und braucht sich nicht hinter Publikationen anderer Verlage zu verstecken. Wer will, kann direkt beim Verlag wieder eine limitierte Vorzugsausgabe mit signiertem Druck bestellen!

Dazu passen The Be Good Tanyas („Waiting Around to Die“) und ein Woodford Reserve.

© der Abbildungen 2023 Bamboo Édition par Éric Stalner / 2024 Blattgold GmbH, Bad Dürkheim

Garcia, Rouge/Rouge – Rio 1

Gott für uns alle

Autor: Louise Garcia, Corentin Rouge

Zeichnungen: Corentin Rouge

Originaltitel: Rio: Dieu pour tous

Blattgold Verlag

Hardcover | 64 Seiten | 20,00 €
ISBN: 978-3-949987-21-2

Cover Rio 1

Rio – Paradiesische Strände und Luxushotels, die Statue Cristo Redentur und Karneval – ein Traumurlaubsziel für Viele.

Rio – Slums und Straßenkinder, Kriminalität und Polizeiwillkür, extreme Armut und unermesslicher Reichtum.

Rio – Heimat für alte Religionen und angepassten Katholizismus.

Das Ziel: Überleben!

Um in dem Moloch Rio überleben zu können kann man verschiedene Strategien anwenden. Viele davon haben mit Gewalt zu tun. Diese kann entweder angewendet werden oder muss qeduldet werden. Im zweiten Fall ist es notwendig, sie zu überleben!

Die Serie Rio stellt verschiedene Formen von Gewalt in den Vordergrund. Einerseits gibt es die Gewalt von Männern, die Frauen ausnutzen, erniedrigen und schlimmstenfalls auch ermorden. Dazu kann es schon kommen, wenn die Geliebte plötzlich Ansprüche stellt und mit ihrer Nebenrolle nicht mehr einverstanden ist. Es geht aber auch um Straßenkinder, die ihren täglichen Kampf um das Überleben führen müssen. Dazu ist es zunächst natürlich notwendig, genügend Nahrung zu ergattern und sich mit Diebstählen notwendige Ressourcen zu beschaffen.

Cover Rio 1 VZA
Vorzugsausgabe

Das Leben erfordert aber auch, Todesschwadronen, Gangstern und anderen tödlichen Gefahren auszuweichen. Gewalt wird aber auch – obwohl gut gemeint – von kirchlichen und anderen Institutionen ausgeübt die Kinder zu einem gesellschaftlich akzeptierten Leben zwingen wollen. Nicht immer wird diese Hilfe auch als solche empfunden.

Aggressivität und Dynamik

Die Bilder von Corentin Rouge sind rau und ungeschminkt. Die Menschen sind entweder reich und schön oder arm und gezeichnet. Dazwischen stehen die gewalttätigen Männer mit sehr schnell entgleisten Gesichtszügen. Die Held*innen sind eine Gruppe von Straßenkindern und zwei gerade zu Waisen gewordenen Geschwister. Der Junge muss mit ansehen, wie ihre Mutter von ihrem Liebhaber, einem Polizisten, erschossen wird. Er versucht, seine kleine Schwester so gut wie möglich zu beschützen. Ihre Niedlichkeit wird zur Waffe gegen die Reichen und könnte sogar ihre Rettung werden.

Immer wieder wird die Niedlichkeit aber durch Schmerzen und Gewalt aufgehoben. Rouge lässt keinen Platz für Sentimentalität oder Hoffnung. Seine Zeichnungen drücken die Verzweiflung und die Hoffnungslosigkeit aus. Dieser Kontrast macht einen großen Teil der Stimmung aus. Die Dynamik der Gewalt, sei es in Schießereien, Fluchten oder Prügeleien, unterstreicht diese Ausweglosigkeit.

Exlibris Rio 1 VZA
Druck der VZA

Ein Lehrstück über Gründe der Migration!

In Rio haben die Protagonist*innen bisher keine Möglichkeit, ihrer Situation zu entkommen. Bis auf das kleine Mädchen sind sie zu alt und zu verwahrlost, um sich Hoffnungen auf eine Adoption zu machen. Es bleibt nur der Kampf um das Überleben nach eigenen Regeln. In der Comic-Situation haben sie nicht einmal die Möglichkeit der Flucht. In Europa und den angrenzenden afrikanischen und arabischen Regionen besteht diese Möglichkeit. Ein besseres Leben gibt es nur woanders.

Der Comic ist nichts für schwache Nerven und lädt ein, die Ungerechtigkeit wahrzunehmen. Er rüttelt auf, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger zu winken. Er will nicht belehren, zeigt aber die Schattenseiten des Lebens deutlich auf. Technisch einwandfrei und auf drei Bände angelegt. Ein besonderer Tipp für alle, die gut erzählte Comics abseits des Mainstreams lieben. Es gibt auch eine limitierte Vorzugsausgabe mit beigelegtem Druck.

Dazu passen Blaggers ITA mit „The Way to Die“, und ein Desperado.

© der Abbildung Editions Glénat 2016 by Louise Garcia & Corentin Rouge / 2024 Blattgold Verlag, Bad Dürkheim

Hennessey, Smith/McConnell – Bier

Die Graphic Novel

Story: Jonathan Hennessey, Mike Smith
Zeichnungen: 
Aaron McConnell

Originaltitel: The Comic Book Story of Beer

Panini Comics

Hardcover | 176 Seiten | Farbe | 29 €
ISBN: 978-3-7416- 3609-7

Cover Bier - Die Graphic Novel

Ein Spielbein der Graphic Novels ist die Kategorie der lehrreichen und trotzdem unterhaltsamen Sachcomics. Diese müssen aber nicht immer nur komplexe politische oder ökonomische Theorien vorstellen, sie können sich auch mit geschichtlichen Themen befassen. Die Historie der Bier- und Braukultur ist auf jeden Fall ein Thema nicht nur für Nerds; alle, die gerne Bier trinken sind hier angesprochen. Was läge also näher als eine Besprechung dieses Werkes, schließt doch jeder Beitrag auf comix-online mit einer Empfehlung für passende Musik und Getränkeauswahl.

12.000 Jahre Trinkgenuss

Aktuell gibt es eine sehr lebendige Craftbier-Szene, die nicht nur dafür gesorgt hat, dass fast in jeder Stadt wieder mindestens eine (Mikro-)Brauerei anzutreffen ist, sondern auch viele alte, fast vergessene Biersorten neu belebt hat. Für eine lange Zeit stand in Deutschland das Pils fast schon als Synonym für Bier, und auch in anderen Ländern reduzierte sich das Angebot hin zu massenverträglichen Angeboten „ohne Ecken und Kanten“. Das deutsche Reinheitsgebot wurde nicht hinterfragt, sondern zu einem Dogma erhoben. Ausländische Biere, die oft andere Zusätze enthielten, durften hier nicht als Bier verkauft werden.

Wie aber hatte sich das Getränk, dass weltweit in seiner Konsumption nur von Kaffee und Tee übertroffen wird, entwickelt? Genau diese Frage stellen sich die beiden Autoren, Jonathan Hennessey und Mike Smith, und starten ihre Untersuchungen in der Frühzeit der Menschen. Aufgrund von Ausgrabungen wissen wir, dass schon vor rund 12.000 Jahren vergorene Getränke auf Getreidebasis von Menschen genossen wurden. Sie wurden allerdings wahrscheinlich nicht bewusst gebraut! Es war notwendig, dass natürlich vorkommende Hefe-Bakterien ihren „zufälligen“ Anteil leisteten. Auf dieser Stufe blieb die Geschichte des Bieres bzw. seiner Vorläufer über eine lange Zeit.

Bier page 5

Während der folgenden Jahrhunderte sind zwei Entwicklungen in Verbindung miteinander: Einerseits setzen die Hochkultur und das frühe religiöse Establishment eher auf Wein denn auf Bier, das eher für Barbaren und Pöbel geeignet schien, andererseits erkannten (und erkennen) Herrscher immer wieder die Einnahmequellen, die der Verkauf von Bier und der Prozess seiner Herstellung bieten. Ein letztes Aufflammen dieser Auseinandersetzung waren die Prohibitionsbemühungen. Andererseits war es geschichtlich betrachtet lange Zeit wesentlich gesünder, bearbeitete (und dadurch gekochte) Flüssigkeit in Form von Bier zu sich zu nehmen als verunreinigtes Wasser.

Abwechslungsreiches Layout

Sach-Comics haben oft ein sehr abwechslungsreiches Layout, da sie verschiedene Erzählformen zu bedienen haben. Diese reichen von der reinen, textlastigen Informationsvermittlung über die grafische Unterstützung derselben hin zu szenischen Momenten die pars pro toto Geschichten erzählend Inhalte vermitteln. Per se kann man das daher sehr spannend gestalten. Natürlich erfordert das ein sehr spezifisches Können! Aaron McConnell hat schon verschiedene Sachcomics mit Jonathan Hennessey umgesetzt, die beiden sind ein eingespieltes Duo.

Bier page 6

Die angewendeten Zeichenstile variieren und schaffen dadurch mehr Abwechslung. Während prinzipiell ein realistischer Stil bevorzugt benutzt wird, gehen die Zeichnungen teilweise in karikaturenhafte Übertreibung oder einen holzschnittartigen Stil. Sie betonen dadurch auch die unterschiedlichen Wissensvermittlungsarten.

Nicht nur für IPA-Fans!

Über eine lange, lange Zeit verlor Bier immer mehr an unterschiedlichen Facetten und migrierte von lokalen Besonderheiten zu standardisierten, globalen Produkten. Mit der Craft-Beer-Bewegung hat sich das seit einigen Jahrzehnten wieder in das Gegenteil gekehrt; noch nie gab es so viele Brauereien und Spielarten wie heute. Die Geschichte des Bieres als Kulturgut wird hier nachvollziehbar beschrieben. Es mag die eine oder andere Kritik an einzelnen Elementen geben, grundsätzlich bekommt man hier aber einen guten Überblick.

Bier page 8

Aufgrund seiner Professionalität ist das Buch auch nicht nur für Fans und Trinker geeignet, es ist interessant genug, um sowohl reinzublättern als auch um es komplett durchzulesen und kann daher auch eine Funktion als „Mini“-Coffee-Table-Book und Themengenerierer wahrnehmen. Wer will wird eine Sonderedition mit Rudi-Cover erwerben können. Wer über einen kleineren Zeitabschnitt lesen möchte, kann zusätzlich zu Hopfen und Malz greifen.

Dazu passen ein Guinness und The Business mit „Guinness Boys“!

© der Abbildungen 2023 by Jonathan Hennessey and Michael Smith, 2023 by Aaron McConnell / 2023 Panini Verlags GmbH

Jahresrückblick 2023 – Die besten Comics

Meine Jahresbestenliste und ein paar Worte zum Geleit

Dann wollen wir mal … Schon wieder ist ein Jahr vergangen. Vieles ist gleichgeblieben, München ist zum Beispiel zum elften Mal hintereinander Deutscher Meister geworden. Vieles hat sich aber auch geändert: das politische Klima ist rauer geworden, Emanzipation und Bekämpfung der Klimakrise sind nur noch Worthülsen, während zum Beispiel ein Tempolimit in weite Ferne gerückt ist.

Im Comic-Bereich durften wir dagegen einiges erleben: angefangen mit Magazin-Neustarts etwa bei Zauberstern oder mit dem neuen Independent-Blättchen Graphica über das 50jährige Jubiläum des ZACK bis hin zur erstmaligen Veröffentlichung frankobelgischer Klassiker in Deutschland!

comix-online Reporter
Immer für euch unterwegs

Auch für comix-online gab es einen neuen Rekord: Erstmals waren es mehr als 100.000 direkte Zugriffe auf einzelne Artikel, also ohne die Startseite! Vielen Dank für dieses Vertrauen! Die Charts mit den am häufigsten aufgerufenen Seiten der letzten 30 Tage bzw. der „All-Time-Favourites“ zeigen durchaus Bewegung und lassen eure Präferenzen deutlich werden. Trotzdem freue ich mich über Kommentare oder Feedback, gerade auch bezüglich Informationen, die euch fehlen.

Die besten Comics

Grundsätzlich sind sich die meisten Seiten in diesem Jahr einig: Der neue Asterix, Die weiße Iris, ist seit Jahrzehnten der beste „neue Asterix“. Dem kann ich mich durchaus anschließen. Der neue Szenarist Fabcaro hat es geschafft, ein altbekanntes Thema (Die Römer versuchen das gallische Dorf von innen heraus zu zerstören) völlig neu zu inszenieren und dabei eines der modernen Streitthemen, Wokeness, satirisch zu erfassen. Die Zeichnungen von Conrad stehen für sich!

Cover Asterix 40
Offizielles Cover Asterix #40 Die Weiße Iris – (c) Egmont Ehapa Media GmbH Fotograf: LES ÉDITIONS ALBERT RENE

Platz 2 geht für mich an den ersten Band der neuen Reihe Wikinger im Nebel. Lupano und Ohazar haben mit ihrem sehr witzigen und teils schwarzen Humor das Sujet umgekrempelt und neben den Schlachtengemälden und Hägars Familienstrip eine eigenständige Welt aufgemacht, die filosofische Fragen stellt (Plündern ja, Kirchen abfackeln nein?) und Rollenbilder neu definiert!

Platz 3 geht an einen Altmeister: Francois Bourgeon hat mit Die Zeit der Blutkirschen 2 vermutlich sein letztes Werk vorgelegt. Es schließt den letzten Zyklus der Saga Reisende im Wind ab und endet während der Revolution. Diese Serie gilt nicht zu Unrecht als Startpunkt für die historizierenden Comics.

Knapp danach ein weiterer Titel aus dem Splitter-Verlag: Carbon und Silizium von Mathieu Bablet ist die Geschichte zweier KI, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch beide verloren sind. Gerade im Zuge der Diskussionen um ChatGPT, Bard und Co ein wichtiger Ansatz, der auch grafisch überzeugt.

Auf Platz 5 folgt ein weiterer melancholischer Beitrag über künstliche Wesen: Rostige Herzen von dem Duo, dem fast alles gelingt, BeKa und Munuera, ist der Einstieg in eine neue Reihe, die böse Menschen und gute Roboter als Symbole für vieles, was bei uns nicht mehr stimmt, benutzt.

Die besten Graphic Novels

Was kein Comic ist und auch kein Strip, das muss wohl eine Graphic Novel sein … In diesem Sinne die Top 3!

Platz 1 geht mit einem Tusch an Ein unerwarteter Todesfall von Dominique Monféry. Toxische Männlichkeit im Hohen Norden zeigt brutale männliche Gewalt, die nicht immer nur unter Druck entsteht und eine trotz allem erfolgreiche Überlebensstrategie einer jungen Frau.

Cover Ein unerwarteter Todesfall

Ein deutscher Titel konnte sich an zweiter Stelle platzieren: Der Zeitraum von Lisa Frühbeis schildert die Ängste und Nöte einer zwangsläufig alleinerziehenden Frau. Zwar ist das Thema keinesfalls neu, die grafische Umsetzung ist jedoch vollkommen anders als gewohnt und vereinbart persönliche Betroffenheit und „Nicht-Kunst“ mit genialen Farbakzenten.

Knapp dahinter eine Biografie auf Platz 3: In Fritz Lang schildern Arnaud Delande und Èric Liberge die Lebensgeschichte des deutschen Regisseurs, seiner Auseinandersetzung mit dem aufkeimenden Faschismus und seine teils skandalösen Beziehungen.

Die besten Gesamtausgaben

Einer meiner Lieblinge unter den frankobelgischen Zeichner*innen war schon immer Pierre Seron. Umso mehr freut es mich, dass nun endlich auch seine poetischste Serie, Die Zentauren, erstmals komplett auf Deutsch erscheint! Es darf allerdings nicht verheimlicht werden, dass der Verfasser als Übersetzer des redaktionellen Teils beteiligt war.

Cover Die Zentauren Integral 1

Auch in diesem Jahr sind drei neue Bände der Marvel Comics Library bei Taschen erschienen. Die XXL-Bände haben rund 700 Seiten, sind mehrere Kilo schwer, und präsentieren im Coffee-Table-Format die bahnbrechenden ersten Ausgaben der Marvel-Klassiker, die etwas ganz Neues erschaffen hatten. Sorgfältige Reproduktionen erlauben einen 100%igen Genuss, der von sachkundigen Einführungen abgerundet wird! Ein stolzer, aber berechtigter Kaufpreis ist der einzige, kleine Wermutstropfen!

Der dritte Platz steht ein wenig stellvertretend für ein ganzes Albenprogramm: Georg F. W. Tempel, der Herausgeber von ZACK und ZACK-Edition, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Perlen neu oder erstmals komplett auf Deutsch herauszugeben. Dazu zählen etwa Reihen wie Jari oder Alain Cardain. Preiswürdig ist aber die Reihe Bob Morane Classic, in der erstmals alle 19 Abenteuer von Dino Attanasio und Gerald Forton erscheinen werden!

Die besten Sekundärwerke

Es gibt kaum jemanden, der so gut lesbar so viele Informationen und Debattenbeiträge zwischen zwei Buchdeckel packen kann wie Dr. Alexander Braun. Dementsprechend führt er auch dieses Jahr wieder die Liste der besten Werke über Comics an: Staying West! ergänzt, was in seinem ersten Werk über Comics und den Wilden Westen außen vor bleiben musste, nimmt Stellung in der Debatte über Politische Korrektheit und grenzt Notwendiges von Übertriebenem ab und erzählt ganz nebenbei noch vieles über Italienische Westerncomics, Karl-May-Adaptionen und den Streit im Studio Vandersteen. Ein Muss!

Cover Braun - Staying West!

Platz 2 gehört der Reddition, die Jahr für Jahr erscheint! Im Frühjahr hieß der Schwerpunkt Schweiz, das Winterheft war der neuen Generation der Spirou-Künstler gewidmet (Besprechung folgt!). Anregende Artikel, ausführliche Listen und meistens gute Einordnungen machen das Magazin ebenfalls zu einem Must-Have!

Platz drei geht an Burkhard Ihme und das ICOM Comic!-Jahrbuch. Ebenfalls Jahr um Jahr schafft es der Verein, nicht nur seine Preisträger*innen ausführlich darzustellen und zu Wort kommen zu lassen, sondern präsentiert Informationen, stößt Debatten an und macht Spaß!

Die besten Magazine

Vor mittlerweile über 50 Jahren ist die erste Ausgabe des ZACK erschienen. Die Namensgebende Zeit (Generation ZACK) endete dann aber doch und jahrelang war es düster; frankobelgische Magazine kamen und gingen. Seit 295 Ausgaben läuft aber das „neue ZACK“, das es mittlerweile auf mehr Ausgaben geschafft hat als das alte Koralle-ZACK. Jeden Monat ein bunter Querschnitt durch das frankobelgische Spektrum (und Angrenzendes) und erneuerte Klassiker wie Rick Master oder Michel Vaillant sind den ersten Platz in dieser Sparte wert!

Cover ZACK 284

Gleich dahinter kommen die Magazine des Zauberstern Verlages. Was mit dem Phantom begonnen hatte, hat mittlerweile durch Mikros, Flash Gordon, Van Helsing und Savage Dragon Verstärkung bekommen! Hut ab und weiterhin viel Erfolg!

Platz 3 ist dagegen ein Nachruf! Leider musste die Comixene mit der Nummer 146 ihr Erscheinen einstellen. Lesenswerte Informationen, streitbare Meinungen und tolle Illustrationen werden allerdings nicht ganz verschwinden, sondern sollen Alfonz ein wenig aufpeppen!

Und dann ist da noch …

… ein geglückter Relaunch! Das Universum um Spirou drohte unterzugehen. Jetzt allerdings ist die erste Folge eines Mehrteilers aus der Hauptserie erschienen (Der Tod von Spirou), die Spezial-Bände enthalten Variationen von unterschiedlichen Teams, dem Meister Franquin wird vielfältig gehuldigt, unter anderem mit einer Neuausgabe der Gesamtausgabe, und die Freunde von Spirou (Rezension folgt) bringen erneut die politische Dimension während des Zweiten Weltkrieges zurück! So kann man es machen!

Cover Spirou und Fantasio 54

Eure Lieblinge in 2023

Eure Charts, basierend auf den Abrufzahlen:

Platz 1 geht an Hägar und die Gesammelten Chroniken von 1973, gefolgt von dem ZACK-Spezial 7 und dem zweiten Bob Morane-Sonderband von Forton. Sehr knapp dahinter Mitton und Messalina 1/2.

Die weiteren Plätze: ZACK-Spezial 6 – Jari 1, Asterix – Die weiße Iris, Sammy & Jack Integral 3, Michel Vaillant Collector’s Edition 1, Michel Vaillant Legendes 1 (die NL-Ausggabe! Wenn man die deutsche Ausgabe dazu addiert, wäre das mit weitem Abstand die Höchstmarke!), Asterix – Im Reich der Mitte und Lakota von Serpieri.

Das erste ZACK (284) folgt auf Platz 12, der erste Sekundärtitel (Staying West!) auf Platz 32.

© der Abbildungen bei den jeweiligen Verlagen und Künstler*innen

Pratt, Quenehen/Vivès – Corto Maltese 2

Die Königin von Babylon

Story: Martin Quenehen nach Hugo Pratt
Zeichnungen: 
Bastien Vivès
Originaltitel: 
La Reine de Babylone

schreiber & leser

Hardcover | 192 Seiten | Farbe und s/w | 24,80 €
ISBN: 
978-3-96582-154-5

Cover Corto Maltese - Königin von Babylon

Corto Maltese, der „Kapitän ohne Schiff“, wurde von Hugo Pratt geschaffen und tauchte an vielen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten während der Wirren der Anfänge des letzten Jahrhunderts auf, um mit bekannten und erfundenen Zeitgenoss*innen Abenteuer zu erleben. Diese Reihe wies Lücken auf, die von Diaz Canales und Pellejero gefüllt wurden. Vor einigen Jahren trat ein als One-Shot angekündigter Band daneben, der den Helden in die heutige Zeit versetzte. Er muss erfolgreich genug gewesen sein, denn diese Geschichte ist die Fortsetzung dieses Konzepts. Mehr zu Corto im Serienkompass.

Melancholie und böse Überraschungen

Erstens kommt es anders … In der Welt von Corto Maltese ist ein Plan niemals etwas realisierbares. Immer wurde die eine oder andere Variable falsch belegt. So auch hier. Corto trifft Die Königin von Babylon, Semira, eine hübsche junge Frau, die die Schrecken der Balkan-Kriege überlebt hat. Während dieser Zeit hat sie lernen müssen, aus allem das Beste zu machen. Ein Coup gelingt, doch darauf folgt nicht eine gemütliche Auszeit.

Quenehen verwebt geschickt Realität und Fantasie indem er Erzählungen aus dem mitteleuropäischen Krieg anführt, erfundenen Personen echte Erlebnisse mitgibt und den Fatalismus aber auch die Verachtung der Überlebenden für Regeln beschreibt. In einer eingebetteten Sequenz stößt Corto auf fahrende Roma, die ihn teilweise als einen der Ihren akzeptieren, ihn teilweise aber auch als fremden Eindringling sehen.

Corto Maltese - Königin von Babylon page 16

Leser*innen, die mit der Hauptfigur, den Gefühlen und Anspielungen auf Kultur und Geschichte nicht so vertraut sind, empfehle ich das Nachwort von Jean Hatzfeld, das verständliche Hinweise gibt.

Reduziert

Bastien Vivès reduziert seine Bilder in diesem Comic oft genug auf das Wesentliche. Details werden wie auch Mimik nur angedeutet, kommen dadurch aber auf eine ganz andere Weise zur Geltung, als wenn sie Bestandteil eines „vollen“ Panels wären. Diese Gestaltung passt zur Melancholie der Geschichte. Natürlich sind die Handelnden keine Getriebenen eines vorher feststehenden Plans. Sie müssen aber auch keine übermäßigenden Anstrengungen für eine Planung aufwenden, da es doch anders kommen wird. Diese Haltung wird vom Artwork aufgenommen. Der Anhang enthält zusätzliche Illustrationen.

Um den Künstler gab es vor rund einem Jahr eine tiefgreifende Debatte. Einige Kritiker*innen werfen Vivés vor, das Thema Pädophilie, das in einigen seiner Werke eine Rolle spielt, nicht richtig dargestellt zu haben. Er tradiere damit die Gewaltverhältnisse. Eine geplante Ausstellung seiner Werke in Angoulême wurde nach den Protesten vom Veranstalter abgesagt. Er selbst hat daraufhin klar Stellung gegen den sexuellen Missbrauch bezogen. Immerhin ist es gut, dass solche Diskussionen nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden.

Corto Maltese - Königin von Babylon page 17

Ein Remake – muss das sein?

Bei fast jedem Remake gibt es zwei Meinungen: Während die einen, die Traditionalist*innen, jede Modernisierung ablehnen und das Werk des Meisters „rein“ halten wollen, sind andere immer bereit, alte Zöpfe abzuschneiden und das Neue zu begrüßen. Für mich persönlich kommt es darauf an, ob „die Neuen“ es geschafft haben, die Essenz zu verstehen und neu zu präsentieren. Das gelingt hier: Die Figur des Corto Maltese ist auch in dem aktuellen Jahrhundert ein möglicher Kulminationspunkt für Konflikte und Debatten.

Die einzige Kritik, die ich hätte, ist, dass die Stories etwas seichter geworden sind. War vorher noch der Kanon eines internationalen Bildungsbürgers zumindest hilfreich, langt heute schon ein aufmerksamer Zeitungsleser mit Gedächtnis, der die Literaturseite typischerweise überschlägt. Von der Aufmachung her passen auch die neuen Bände zur „alten“ Reihe, sollten aber spätestens beim nächsten Band eine Reihenidentifikation und Nummerierung bekommen.

Dazu The Smiths „How soon is Now?“ und ein gut gekühlter Frascati.

© der Abbildungen 2023 Cong SA, Switzerland, www.cong-pratt.comwww.cortomaltese.com | 2023 Schreiber & Leser, Hamburg

Karabulut – Das Tagebuch der Unruhe 1

Kapitel 1 bis 6

Story: Ersin Karabulut

Zeichnungen: Ersin Karabulut

Originaltitel: Journal Inquiet D`Istanbul – Volume 1

Carlsen Comics

Hardcover Book | 160 Seiten | Farbe | 25,00 €
ISBN: 
978-3-551-02094-9

Cover Karabulut - Tagebuch der Unruhe 1

Gute Autobiographien erlauben einen Einblick in das Seelenleben des Künstlers, lassen die Leser*innen nachvollziehen, warum wann welche Entscheidungen getroffen wurden, und sparen auch die Fehlentscheidungen des Lebens nicht aus. Möglicherweise ermutigen sie sogar andere, einen ähnlichen Weg einzuschlagen. Schlechte dagegen dienen nur der Selbstbeweihräucherung. Das Tagebuch der Unruhe gehört meiner Meinung nach in die erste Kategorie!

Aber ich möchte Comiczeichner werden …

Der Autor, Ersin Karabulut, zählt heute zu den bekanntesten und erfolgreichsten türkischen Comickünstlern. In dieser mehrteiligen Graphic Novel erzählt er nicht nur, warum er Comiczeichner werden wollte, er beschreibt auch die Schwierigkeiten auf dem Weg dahin. Geboren und aufgewachsen ist er in Istanbul. Diese Stadt war damals einerseits die modernste und offenste des ganzen Landes, gleichzeitig aber auch ein Beispiel für die traditionelle Türkei.

Die Jugend Karabuluts war geprägt von durchaus gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen linken Säkularisten, die aufbauend auf Atatürk eine moderne, dem Westen zugeneigte Türkei wollten, und den islamistisch orientierten rechten Kräften, die einen Gottesstaat wollten. Wer immer am öffentlichen Leben teilnehmen wollte, konnte davon ausgehen, dass mindestens eine der Seiten ihn gewinnen und benutzen wollte. Das führte oft zwangsläufig zu mindestens angedrohten Gegenmaßnahmen der anderen Seite.

Ersin Karabuluts Eltern hatten große Pläne mit und für ihren Sprössling. Er sollte es einmal besser haben und so wurde der Plan ausgearbeitet, einen Ingenieur aus ihm zu machen. Schon als kleiner Junge las dieser allerdings immer wieder Comics und träumte davon, später einmal Comiczeichner zu werden. Ein großer Teil der Story handelt davon, wie er seine Eltern schließlich überzeugen konnte und seinen Weg vom Bewunderer und Kopisten zum eigenständigen Zeichner gegangen ist. Dabei spart er auch nicht mit Kritik an seinem eigenen Verhalten, denn der frühe Starruhm hatte aus ihm nicht unbedingt einen besseren Menschen gemacht.

Tagebuch der Unruhe 1 page 5

Politische Cartoons

Am Anfang vieler Zeichner*innenkarieren stehen selten Bilderzählungen. Meistens beginnt es damit, die eine oder andere Zeichnung in zumeist kleinen Publikationen unterzubringen und sich langsam, aber stetig zu verbessern. Ersin Karabulut ist einen ähnlichen Weg gegangen. Die meisten Magazine in der damaligen Türkei, die für solche Zwecke in Frage kamen, waren aber der politischen Satire verpflichtet. Zwangsläufig nahmen die dort Publizierenden damit Stellung im Konflikt zwischen Rechts und Links.

Durch den Aufstieg der religiösen Parteien wurde allerdings der Spielraum für solche Provokationen immer kleiner und der erste Teil endet damit, dass Karabulut eine Wahl treffen muss: Will er mit seinen Zeichnungen, die nicht schön sind, den Kern der Materie aber sehr genau treffen, Kritik an den herrschenden Verhältnissen üben, oder will er sich in das Private, Unverfängliche und damit Zustimmende zurückziehen.

Tagebuch der Unruhe 1 page 6

Eine politisch brisante Frage

Natürlich ist diese Autobiographie zunächst einmal nur der Beginn einer Darstellung des Werdegangs eines bekannten Künstlers. Die Stationen werden deutlich, der Kampf gegen die traditionelle Kultur, die Comics nicht als etwas Wertvolles akzeptiert, und somit auch das Erwachsenwerden. Dazu gehört es Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie falsch sind.

Daneben gibt es aber die politische Dimension. Der Band nimmt klar Stellung und erzählt aus persönlicher Sicht wie sich das Land von einer säkularen Idee zu einer islamistischen hin verändert hat. Waren die Demokratie und persönliche Freiheiten vorher das Ziel, stehen nun Gottgefälligkeit und Konformität im Vordergrund. Ein Beitrag der mit Sicherheit sehr kontrovers aufgenommen werden wird.

Dazu passen Athena (etwa “Kime Ne“) und ein Efes.

© der Abbildungen Dargaud 2022 | 2023 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

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