Karabulut – Das Tagebuch der Unruhe 1

Kapitel 1 bis 6

Story: Ersin Karabulut

Zeichnungen: Ersin Karabulut

Originaltitel: Journal Inquiet D`Istanbul – Volume 1

Carlsen Comics

Hardcover Book | 160 Seiten | Farbe | 25,00 €
ISBN: 
978-3-551-02094-9

Cover Karabulut - Tagebuch der Unruhe 1

Gute Autobiographien erlauben einen Einblick in das Seelenleben des Künstlers, lassen die Leser*innen nachvollziehen, warum wann welche Entscheidungen getroffen wurden, und sparen auch die Fehlentscheidungen des Lebens nicht aus. Möglicherweise ermutigen sie sogar andere, einen ähnlichen Weg einzuschlagen. Schlechte dagegen dienen nur der Selbstbeweihräucherung. Das Tagebuch der Unruhe gehört meiner Meinung nach in die erste Kategorie!

Aber ich möchte Comiczeichner werden …

Der Autor, Ersin Karabulut, zählt heute zu den bekanntesten und erfolgreichsten türkischen Comickünstlern. In dieser mehrteiligen Graphic Novel erzählt er nicht nur, warum er Comiczeichner werden wollte, er beschreibt auch die Schwierigkeiten auf dem Weg dahin. Geboren und aufgewachsen ist er in Istanbul. Diese Stadt war damals einerseits die modernste und offenste des ganzen Landes, gleichzeitig aber auch ein Beispiel für die traditionelle Türkei.

Die Jugend Karabuluts war geprägt von durchaus gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen linken Säkularisten, die aufbauend auf Atatürk eine moderne, dem Westen zugeneigte Türkei wollten, und den islamistisch orientierten rechten Kräften, die einen Gottesstaat wollten. Wer immer am öffentlichen Leben teilnehmen wollte, konnte davon ausgehen, dass mindestens eine der Seiten ihn gewinnen und benutzen wollte. Das führte oft zwangsläufig zu mindestens angedrohten Gegenmaßnahmen der anderen Seite.

Ersin Karabuluts Eltern hatten große Pläne mit und für ihren Sprössling. Er sollte es einmal besser haben und so wurde der Plan ausgearbeitet, einen Ingenieur aus ihm zu machen. Schon als kleiner Junge las dieser allerdings immer wieder Comics und träumte davon, später einmal Comiczeichner zu werden. Ein großer Teil der Story handelt davon, wie er seine Eltern schließlich überzeugen konnte und seinen Weg vom Bewunderer und Kopisten zum eigenständigen Zeichner gegangen ist. Dabei spart er auch nicht mit Kritik an seinem eigenen Verhalten, denn der frühe Starruhm hatte aus ihm nicht unbedingt einen besseren Menschen gemacht.

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Politische Cartoons

Am Anfang vieler Zeichner*innenkarieren stehen selten Bilderzählungen. Meistens beginnt es damit, die eine oder andere Zeichnung in zumeist kleinen Publikationen unterzubringen und sich langsam, aber stetig zu verbessern. Ersin Karabulut ist einen ähnlichen Weg gegangen. Die meisten Magazine in der damaligen Türkei, die für solche Zwecke in Frage kamen, waren aber der politischen Satire verpflichtet. Zwangsläufig nahmen die dort Publizierenden damit Stellung im Konflikt zwischen Rechts und Links.

Durch den Aufstieg der religiösen Parteien wurde allerdings der Spielraum für solche Provokationen immer kleiner und der erste Teil endet damit, dass Karabulut eine Wahl treffen muss: Will er mit seinen Zeichnungen, die nicht schön sind, den Kern der Materie aber sehr genau treffen, Kritik an den herrschenden Verhältnissen üben, oder will er sich in das Private, Unverfängliche und damit Zustimmende zurückziehen.

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Eine politisch brisante Frage

Natürlich ist diese Autobiographie zunächst einmal nur der Beginn einer Darstellung des Werdegangs eines bekannten Künstlers. Die Stationen werden deutlich, der Kampf gegen die traditionelle Kultur, die Comics nicht als etwas Wertvolles akzeptiert, und somit auch das Erwachsenwerden. Dazu gehört es Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie falsch sind.

Daneben gibt es aber die politische Dimension. Der Band nimmt klar Stellung und erzählt aus persönlicher Sicht wie sich das Land von einer säkularen Idee zu einer islamistischen hin verändert hat. Waren die Demokratie und persönliche Freiheiten vorher das Ziel, stehen nun Gottgefälligkeit und Konformität im Vordergrund. Ein Beitrag der mit Sicherheit sehr kontrovers aufgenommen werden wird.

Dazu passen Athena (etwa “Kime Ne“) und ein Efes.

© der Abbildungen Dargaud 2022 | 2023 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Sejic – Fine Print 1

Achte auf das Kleingedruckte

Story: Stjepan Sejic
Zeichnungen: 
Stjepan Sejic
Originaltitel: 
US-Fine Print

Panini Comics

Hardcover Überformat | 176 Seiten | Farbe | 29 €
ISBN: 978-3-7416- 3330-0

Stellt euch eine Welt vor, auf der nicht nur Menschen leben. Sie hat auch so etwas wie eine „Unterwelt“, die von zwei weiteren Spezies bewohnt wird. Während die einen mit Menschen Verträge abschließen können, die den Unterzeichnenden Liebe versprechen, enthalten die anderen als angebotene Leistung Lust. Der Gegensatz dieser beiden Gefühlszustände wird hier wieder einmal neu interpretiert.

Warum ein göttlicher Vertrag nicht unbedingt das beste Heilmittel für ein gebrochenes Herz ist

Dieser etwas längere offizielle Untertitel weist schon darauf hin, dass Verträge mit Gottheiten fast immer irgendeinen Haken haben. Es handelt sich nicht um ein Geschenk, es wird eine Gegenleistung erwartet. Wir kennen dieses Muster aus unzähligen Beispielen wo „die Seele“ hingegeben werden muss. Von fast allen Menschen unbemerkt leben Succubi und Cupids unter uns. Wenn sie allerdings wahrgenommen werden, können sie Verträge unterschiedlicher Güteklassen anbieten.

Während erstere die Befriedigung der Begierden versprechen, fokussieren die anderen auf die Ermöglichung einer grenzenlosen Liebe. Beides ist nicht unbedingt einfach und ohne Nebenwirkungen. Zudem scheint es so, als ob Vertreter*innen dieser beiden fast schon antagonistischen Richtungen sich nicht immer als Gegner*innen verstehen, sogar unerlaubte Beziehungen eingehen können. Alle diese Verwicklungen schaffen einen schönen Mix aus unerfüllten Wünschen, falschen Entscheidungen und daraus folgenden Verwicklungen und dem langsamen Erwachsenwerden.

Cover Fine Print 1

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Lauren Thomas. Sie ist nicht unbedingt der Star, verliebt sich aber in Mathew Collins. Lauren ist gut darin, falsche Entscheidungen zu treffen und so entscheidet sie sich denn auch gegen diese Beziehung und für eine internationale Karriere als Model. Der Preis dafür ist Einsamkeit … Es gibt aber auch weitere irdische wie göttliche Handlungsstränge.

Freizügig, aber nicht anstößig

Die Zeichnungen von Stjepan Sejic, der sowohl das Szenario als auch das Artwork von Fine Print verantwortet, zeigen viel nackte Haut. Das war aufgrund seiner anderen Serie Sonnenstein auch nicht anders zu erwarten. Die Serie richtet sich explizit an young adults und verlässt den Grenzbereich des Erlaubten nicht. Trotzdem sind neben den Alltagsgeschichten viele nackte und muskulöse Körper zu begutachten.

Die Gesichter weisen teilweise einen leichten Manga-Einfluss auf und vereinbaren europäische modern-Fantasy-Einflüsse und amerikanischen image-style. Mir gefällt gut, dass Panini sich gegen ein glänzendes Papier entschieden hat. Die leicht matte Oberfläche bringt die Zeichnungen besser zu Geltung. Das Layout ist teilweise klassisch streifig, bietet aber auch viele ganzseitige Gestaltungen, die teilweise sogar Poster-Qualitäten hätten.

Gelungen!

Panini präsentiert die Geschichte im Albenformat und versammelt die ersten Kapitel in einer Stärke, die wir sonst eher von Gesamtausgaben kennen. Dadurch wird der Einstieg in dieses neue Universum erleichtert; viele Aspekte erschließen sich erst durch die Gesamtschau. Im Nachwort erklärt Stjepan Sejic, dass die nächsten Bände bereits konzipiert sind und verspricht noch mehr Verwicklungen.

Man muss als Leser*in von Fine Print mit dem aktuellen, sexualisierten young-adult-Bereich einverstanden sein. Früher war weniger Erotik und mehr Romance. Wer sich damit allerdings anfreunden kann, findet eine durchaus neue, witzige Interpretation des klassischen Gegensatzes von Liebe und Lust, kombiniert mit all den falschen Entscheidungen, die man beim Erwachsenwerden machen kann. Ein anderer Ansatz findet sich etwa hier.

Dazu passen ein Energy-Drink und Lilly Allen!

© der Abbildungen 2022 Stjepan Sejic, Top Cow Productions, Inc., Image Comics, Inc. / 2023 Panini Verlags GmbH

Smythe – Lore Olympus 1

Episoden 1 bis 25

Story: Rachel Smythe
Zeichnungen: 
Rachel Smythe
Originaltitel: 
Lore Olympus. Volume One

Lyx Verlag

Hardcover | 384 Seiten | Farbe | 24,00 €

ISBN: 978-3-7363-1874-8

Cover Lore Olympus 1

Die Standardvorstellung über einen Comic basiert immer noch auf der klassischen Vorstellung, dass das Ergebnis sich als gedruckte Seiten zwischen zwei Buchdeckeln oder aber in einem Zeitschriftenumschlag wiederfindet. Immerhin hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass die Leserichtung unterschiedlich sein kann. Dabei gibt es schon seit geraumer Zeit sogenannte Webtoons, also Comics die originär und teilweise ausschließlich im Web veröffentlicht werden. Lore Olympus ist eines der meistgelesenen Webtoons der Welt!

Love against prejudice

Rachel Smythe kommt aus Australien, hat Lore Olympus aber auf der internationalen Plattform für Web-Comics, webtoons.com, veröffentlicht und hatte damit von Anfang an ein weltweites Publikum. Für ihre erste Serie Lore Olympus wurde sie gleich mehrfach ausgezeichnet mit einem Eisner- und dem Goodreads-Choice-Award. Zudem ist es ihr gelungen, einen #1-NEW-YORK-TIMES-Bestseller abzuliefern. Der Lyx-Verlag ist spezialisiert auf das Genre New-Adult und bringt das Opus jetzt auf Deutsch in mehreren Hardcover-Bänden.

Lore Olympus 1 page 8

Die junge Göttin Persephone ist neu in Olympus, der Götterwelt. Ihr bisheriges Leben hat sie unter der kontrollierenden Obhut ihrer Mutter im Reich der Sterblichen verbracht, durfte allerdings noch nicht einmal ein Smartphone besitzen. Nun hat sie ein Stipendium und tritt dem Kreis der Göttinnen Ewiger Jungfräulichkeit bei. Zu ihren neuen Möglichkeiten gehört auch das Besuchen von Partys.

Hier trifft sie Hades, den König der Unterwelt, der nach Tod riecht und eher nicht unter den bevorzugten Partnern zu finden ist. Im Gegensatz zu einigen anderen Olympianern behandelt er Persephone aber absolut korrekt und es könnte sein, dass sich da etwas anbahnt…

Innovativ!

Die Zeichnungen und ihr Layout folgen keinem festen Schema, entziehen sich auch der Logik einer begrenzenden Seite. Natürlich sind alle Zeichnungen von Rachel Smythe am Tablet entstanden, aber keineswegs eintönig. Sie wechselt häufig zwischen den Stilrichtungen und passt die Grafiken somit der Stimmungslage an: schwarz-weiß, verwaschene Grautöne, düstere Höhlenstimmungen und anderes mehr.

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Auch die Größe der Abbildungen folgt keinem Raster, sondern liefert das gerade Notwendige. Sehr angenehm! Die Figuren, ihre Darstellung, die Grundfarben, alles das ist im Vergleich zu einem Agententhriller oder einem Fantasyabenteuer sehr weiblich. Es gibt keine Helden, die glänzen müssen, im Gegenteil, die glänzenden Posen fallen immer wieder zusammen.

Der Geschenke-Tipp

Ob sich potenzielle Comicleserinnen jetzt eher von dem Paradebeispiel eines Comicbuchladens (samt Nerds) haben abschrecken lassen oder ob doch eher die auf eine männliche Zielgruppe ausgerichteten Inhalte die Hauptschuld getragen haben, ist eine beliebte Frage für Diskussionsrunden. Lore Olympus interessiert sich nicht dafür und bietet eine sehr lesbare Geschichte für young adults aus weiblicher Perspektive.

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Insofern ist der Versuch des Bastei-Lübbe-Imprints Lyx definitiv als gelungen zu bezeichnen: Rechtzeitig vor Weihnachten gibt es gleich zwei Bände zum Einstieg die einerseits mit Preisen werben können, andererseits aber wohl auch durch die Mund-zu-Mund-Propaganda der einschlägigen Portale empfohlen werden werden. Definitiv ein Geschenke-Tipp!

Dazu passen ein Chai mit laktosefreier Milch, ein veganes Plätzchen und Nina Chuba!

© der Abbildungen 2021 by Rachel Smythe und WEBTOON™ / 2022 Bastei Lübbe AG, Köln

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