Jahresrückblick 2023 – Die besten Comics

Meine Jahresbestenliste und ein paar Worte zum Geleit

Dann wollen wir mal … Schon wieder ist ein Jahr vergangen. Vieles ist gleichgeblieben, München ist zum Beispiel zum elften Mal hintereinander Deutscher Meister geworden. Vieles hat sich aber auch geändert: das politische Klima ist rauer geworden, Emanzipation und Bekämpfung der Klimakrise sind nur noch Worthülsen, während zum Beispiel ein Tempolimit in weite Ferne gerückt ist.

Im Comic-Bereich durften wir dagegen einiges erleben: angefangen mit Magazin-Neustarts etwa bei Zauberstern oder mit dem neuen Independent-Blättchen Graphica über das 50jährige Jubiläum des ZACK bis hin zur erstmaligen Veröffentlichung frankobelgischer Klassiker in Deutschland!

comix-online Reporter
Immer für euch unterwegs

Auch für comix-online gab es einen neuen Rekord: Erstmals waren es mehr als 100.000 direkte Zugriffe auf einzelne Artikel, also ohne die Startseite! Vielen Dank für dieses Vertrauen! Die Charts mit den am häufigsten aufgerufenen Seiten der letzten 30 Tage bzw. der „All-Time-Favourites“ zeigen durchaus Bewegung und lassen eure Präferenzen deutlich werden. Trotzdem freue ich mich über Kommentare oder Feedback, gerade auch bezüglich Informationen, die euch fehlen.

Die besten Comics

Grundsätzlich sind sich die meisten Seiten in diesem Jahr einig: Der neue Asterix, Die weiße Iris, ist seit Jahrzehnten der beste „neue Asterix“. Dem kann ich mich durchaus anschließen. Der neue Szenarist Fabcaro hat es geschafft, ein altbekanntes Thema (Die Römer versuchen das gallische Dorf von innen heraus zu zerstören) völlig neu zu inszenieren und dabei eines der modernen Streitthemen, Wokeness, satirisch zu erfassen. Die Zeichnungen von Conrad stehen für sich!

Cover Asterix 40
Offizielles Cover Asterix #40 Die Weiße Iris – (c) Egmont Ehapa Media GmbH Fotograf: LES ÉDITIONS ALBERT RENE

Platz 2 geht für mich an den ersten Band der neuen Reihe Wikinger im Nebel. Lupano und Ohazar haben mit ihrem sehr witzigen und teils schwarzen Humor das Sujet umgekrempelt und neben den Schlachtengemälden und Hägars Familienstrip eine eigenständige Welt aufgemacht, die filosofische Fragen stellt (Plündern ja, Kirchen abfackeln nein?) und Rollenbilder neu definiert!

Platz 3 geht an einen Altmeister: Francois Bourgeon hat mit Die Zeit der Blutkirschen 2 vermutlich sein letztes Werk vorgelegt. Es schließt den letzten Zyklus der Saga Reisende im Wind ab und endet während der Revolution. Diese Serie gilt nicht zu Unrecht als Startpunkt für die historizierenden Comics.

Knapp danach ein weiterer Titel aus dem Splitter-Verlag: Carbon und Silizium von Mathieu Bablet ist die Geschichte zweier KI, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch beide verloren sind. Gerade im Zuge der Diskussionen um ChatGPT, Bard und Co ein wichtiger Ansatz, der auch grafisch überzeugt.

Auf Platz 5 folgt ein weiterer melancholischer Beitrag über künstliche Wesen: Rostige Herzen von dem Duo, dem fast alles gelingt, BeKa und Munuera, ist der Einstieg in eine neue Reihe, die böse Menschen und gute Roboter als Symbole für vieles, was bei uns nicht mehr stimmt, benutzt.

Die besten Graphic Novels

Was kein Comic ist und auch kein Strip, das muss wohl eine Graphic Novel sein … In diesem Sinne die Top 3!

Platz 1 geht mit einem Tusch an Ein unerwarteter Todesfall von Dominique Monféry. Toxische Männlichkeit im Hohen Norden zeigt brutale männliche Gewalt, die nicht immer nur unter Druck entsteht und eine trotz allem erfolgreiche Überlebensstrategie einer jungen Frau.

Cover Ein unerwarteter Todesfall

Ein deutscher Titel konnte sich an zweiter Stelle platzieren: Der Zeitraum von Lisa Frühbeis schildert die Ängste und Nöte einer zwangsläufig alleinerziehenden Frau. Zwar ist das Thema keinesfalls neu, die grafische Umsetzung ist jedoch vollkommen anders als gewohnt und vereinbart persönliche Betroffenheit und „Nicht-Kunst“ mit genialen Farbakzenten.

Knapp dahinter eine Biografie auf Platz 3: In Fritz Lang schildern Arnaud Delande und Èric Liberge die Lebensgeschichte des deutschen Regisseurs, seiner Auseinandersetzung mit dem aufkeimenden Faschismus und seine teils skandalösen Beziehungen.

Die besten Gesamtausgaben

Einer meiner Lieblinge unter den frankobelgischen Zeichner*innen war schon immer Pierre Seron. Umso mehr freut es mich, dass nun endlich auch seine poetischste Serie, Die Zentauren, erstmals komplett auf Deutsch erscheint! Es darf allerdings nicht verheimlicht werden, dass der Verfasser als Übersetzer des redaktionellen Teils beteiligt war.

Cover Die Zentauren Integral 1

Auch in diesem Jahr sind drei neue Bände der Marvel Comics Library bei Taschen erschienen. Die XXL-Bände haben rund 700 Seiten, sind mehrere Kilo schwer, und präsentieren im Coffee-Table-Format die bahnbrechenden ersten Ausgaben der Marvel-Klassiker, die etwas ganz Neues erschaffen hatten. Sorgfältige Reproduktionen erlauben einen 100%igen Genuss, der von sachkundigen Einführungen abgerundet wird! Ein stolzer, aber berechtigter Kaufpreis ist der einzige, kleine Wermutstropfen!

Der dritte Platz steht ein wenig stellvertretend für ein ganzes Albenprogramm: Georg F. W. Tempel, der Herausgeber von ZACK und ZACK-Edition, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Perlen neu oder erstmals komplett auf Deutsch herauszugeben. Dazu zählen etwa Reihen wie Jari oder Alain Cardain. Preiswürdig ist aber die Reihe Bob Morane Classic, in der erstmals alle 19 Abenteuer von Dino Attanasio und Gerald Forton erscheinen werden!

Die besten Sekundärwerke

Es gibt kaum jemanden, der so gut lesbar so viele Informationen und Debattenbeiträge zwischen zwei Buchdeckel packen kann wie Dr. Alexander Braun. Dementsprechend führt er auch dieses Jahr wieder die Liste der besten Werke über Comics an: Staying West! ergänzt, was in seinem ersten Werk über Comics und den Wilden Westen außen vor bleiben musste, nimmt Stellung in der Debatte über Politische Korrektheit und grenzt Notwendiges von Übertriebenem ab und erzählt ganz nebenbei noch vieles über Italienische Westerncomics, Karl-May-Adaptionen und den Streit im Studio Vandersteen. Ein Muss!

Cover Braun - Staying West!

Platz 2 gehört der Reddition, die Jahr für Jahr erscheint! Im Frühjahr hieß der Schwerpunkt Schweiz, das Winterheft war der neuen Generation der Spirou-Künstler gewidmet (Besprechung folgt!). Anregende Artikel, ausführliche Listen und meistens gute Einordnungen machen das Magazin ebenfalls zu einem Must-Have!

Platz drei geht an Burkhard Ihme und das ICOM Comic!-Jahrbuch. Ebenfalls Jahr um Jahr schafft es der Verein, nicht nur seine Preisträger*innen ausführlich darzustellen und zu Wort kommen zu lassen, sondern präsentiert Informationen, stößt Debatten an und macht Spaß!

Die besten Magazine

Vor mittlerweile über 50 Jahren ist die erste Ausgabe des ZACK erschienen. Die Namensgebende Zeit (Generation ZACK) endete dann aber doch und jahrelang war es düster; frankobelgische Magazine kamen und gingen. Seit 295 Ausgaben läuft aber das „neue ZACK“, das es mittlerweile auf mehr Ausgaben geschafft hat als das alte Koralle-ZACK. Jeden Monat ein bunter Querschnitt durch das frankobelgische Spektrum (und Angrenzendes) und erneuerte Klassiker wie Rick Master oder Michel Vaillant sind den ersten Platz in dieser Sparte wert!

Cover ZACK 284

Gleich dahinter kommen die Magazine des Zauberstern Verlages. Was mit dem Phantom begonnen hatte, hat mittlerweile durch Mikros, Flash Gordon, Van Helsing und Savage Dragon Verstärkung bekommen! Hut ab und weiterhin viel Erfolg!

Platz 3 ist dagegen ein Nachruf! Leider musste die Comixene mit der Nummer 146 ihr Erscheinen einstellen. Lesenswerte Informationen, streitbare Meinungen und tolle Illustrationen werden allerdings nicht ganz verschwinden, sondern sollen Alfonz ein wenig aufpeppen!

Und dann ist da noch …

… ein geglückter Relaunch! Das Universum um Spirou drohte unterzugehen. Jetzt allerdings ist die erste Folge eines Mehrteilers aus der Hauptserie erschienen (Der Tod von Spirou), die Spezial-Bände enthalten Variationen von unterschiedlichen Teams, dem Meister Franquin wird vielfältig gehuldigt, unter anderem mit einer Neuausgabe der Gesamtausgabe, und die Freunde von Spirou (Rezension folgt) bringen erneut die politische Dimension während des Zweiten Weltkrieges zurück! So kann man es machen!

Cover Spirou und Fantasio 54

Eure Lieblinge in 2023

Eure Charts, basierend auf den Abrufzahlen:

Platz 1 geht an Hägar und die Gesammelten Chroniken von 1973, gefolgt von dem ZACK-Spezial 7 und dem zweiten Bob Morane-Sonderband von Forton. Sehr knapp dahinter Mitton und Messalina 1/2.

Die weiteren Plätze: ZACK-Spezial 6 – Jari 1, Asterix – Die weiße Iris, Sammy & Jack Integral 3, Michel Vaillant Collector’s Edition 1, Michel Vaillant Legendes 1 (die NL-Ausggabe! Wenn man die deutsche Ausgabe dazu addiert, wäre das mit weitem Abstand die Höchstmarke!), Asterix – Im Reich der Mitte und Lakota von Serpieri.

Das erste ZACK (284) folgt auf Platz 12, der erste Sekundärtitel (Staying West!) auf Platz 32.

© der Abbildungen bei den jeweiligen Verlagen und Künstler*innen

Zauberstern – Van Helsing 1

Das Licht in der Finsternis Teil 1 – 4

Story: Pat Shand
Zeichnungen: 
Tony Brescini & Andres Esparza

Originaltitel: Van Helsing – The Darkness and the Light 1 – 4 2014, USA

Zauberstern Comics

Heft |100 Seiten | Farbe | 9,99 € |

ISBN: 978-3-98953-201-4, 978-3-98953-202-1, 978-3-98953-203-8

Cover Van Helsing 1 Variante 1

Und immer größer wird das Zauberstern Comic Portfolio … Nach den “Fanboy-geprüften” Reihen mit Phantom, Mikros und Flash Gordon nun erstmals ein Fangirl-geprüfter Auftritt! Liesel Van Helsing ist die Tochter von Dr. Abraham Van Helsing und wurde von ihrem Vater zur Vampirjägerin ausgebildet. Ihre eigene Serie wird nun komplett von Zauberstern veröffentlicht.

Ein bisschen Bram Stoker, ein wenig Buffy, …

Prinzipiell ist es nichts Neues, dass junge Frauen sich mit einem Stock bewaffnet auf die Jagd nach Vampiren uns ähnlichem machen. Dass es durchaus förderlich ist, ein striktes Trainingspensum zu absolvieren und die eigenen körperlichen Defizite gegenüber den Monstern durch Bewaffnung auszugleichen, ist ebenfalls selbsterklärend. Und der Support durch eine Gruppe von Unterstützer*innen ist spätestens seit Buffy bekannt. Neu in diesem Setting ist allerdings, dass Hades, immerhin Gott der Unterwelt, dabei eine Rolle spielt.

Liesel Van Helsing wurde von ihrem Vater ausgebildet und trainiert und hat den Kampf gegen die Vampire als ihren eigenen akzeptiert. Ihr Vater wurde im Kampf gegen das Böse getötet und nun ist sie im Wesentlichen allein, sieht man von ihrem Techtel mit Hades einmal ab. Jetzt scheint es aber so, dass ein Tagebuch mit Einträgen ihres Vaters in Italien aufgetaucht ist.

Cover Van Helsing 1 Variante 3

Dort angekommen trifft sie auf Jonathan Harker, einen Engländer, der einen Buchladen führt und ihr einige Blätter übergibt. Vorher allerdings kommt es zu einem Scharmützel mit spitzzähnigen Angreifer*innen. Aus dieser ersten Begegnung heraus entwickelt sich eine Art Schnitzeljagd, die festgeglaubte Wahrheiten erschüttern wird. Pat Shand erzählt actionlastig genug, um alle bei der Stange zu halten, streut aber genug Humor und Sarkasmus ein, um sich von dem Mainstream abzuheben.

US-Independent

Die Serie erscheint seit einigen Jahren bei Zenescope Entertainment und ist ursprünglich ein Spin-Off aus einer Serie mit mehreren Held*innen gewesen. Augenscheinlich ist das Thema „Frau jagt Vampire“ aber tragfähig genug, um jahrelang am Kiosk zu überleben. Der Zauberstern-Verlag hat eine eigene Verbindung zu einer Van Helsing, hat der Verlagsgründer doch jahrelang Hörspiele über eine Verwandte von Liesel geschrieben.

Die Zeichnungen sind typisch amerikanisch, actionorientiert und variabel im Layout. Obwohl im Original etwas kleiner angelegt, schadet des den Zeichnungen keinesfalls, dass sie skaliert worden sind. Dazu kommen einige Splash-Panels und die jeweils mit abgedruckten Cover-Illustrationen mit Posen der etwas altmodisch und zu leicht gekleideten Heldin. Aber über praktische Kleidung denkt in Comics ja nie jemand nach …

Cover Van Helsing 1 Variante 2

Passende Erweiterung des Portfolios

Die Rückkehr der Helden war bisher relativ Männer-lastig. Zwar gibt es in allen Reihen weibliche Nebencharaktere, Van Helsing ist aber schon ein wenig anders. Es bleibt abzuwarten, wie der Marketingslogan umgesetzt werden wird, dass die Heldin nahezu jedes bekannte Monster treffen wird. Wenn es gelingt, das passend in die Story einzubinden, könnte es eine sehr spannende Mischung aus Vampir-, Horror- und Abenteuer-Comic werden. Auf jeden Fall schon einmal eine Gratulation für diesen Schritt.

Für Fans gibt es drei verschiedene Cover-Motive zur Auswahl, allerdings ist das Heft zu dicht gefüllt, um auch noch Platz für ein Poster zu haben. Wir dürfen auf die nächsten Ausgaben gespannt sein.

Dazu passen Devo und ein Bloody Mary.

© der Abbildungen 2014, 2023 Zenescope Entertainment, Inc. / 2023 Zauberstern Comics

ICOM COMIC! Jahrbuch 2023

Das Independent Jahr

Herausgeber: Burkhard Ihme
Interessenverband Comic E.V.
Heft Din A 4 | 108 Seiten | Farbe | 7,50 €
ISBN: 978-3-88834-953-9

Cover ICOM Jahrbuch 2023

Der ICOM ist die Interessenvertretung der deutschen Comicschaffenden und als solcher Berufsverband mit einer Vielzahl an Hilfe und Unterstützung für seine Mitglieder. Er ist aber auch die Homebase für die deutsche Independentkultur und vergibt als solcher jährlich Preise. Zu dem Informationskonzept gehört auch ein ebenfalls jährliches Buch, das COMIC!-Jahrbuch.

Künstliche Intelligenz und ihre Risken und Chancen

Neben Rückblicken und Preisen samt ausführlicher Berichterstattung steht fast immer ein inhaltliches Thema im Mittelpunkt. In diesem Jahr ist es die in keinem Segment mehr zu übersehende Künstliche Intelligenz. Einerseits stellen die verschiedenen Tools zur Generierung von Texten, aber auch Grafiken eine Bedrohung des Urheber*innenrechts dar. Niemand weiß so genau, welche Werke zu Trainingszwecken gefüttert worden sind. Dementsprechend groß ist die Gefahr, dass die KI (oder international AI – Artificial Intelligence) sich bei existierenden Werken bedient. Dementsprechend gibt es mehr offene Fragen als Antworten. Ein Beitrag von Dr. Martin Bahr klärt aus rechtlicher Sicht auf. Das Fazit mag unbefriedigend sein, aber ehrlich: Aktuell sind keine klaren Aussagen möglich.

Neben diesen allgemeinen Fragestellungen gibt es aber auch einen Beitrag von Steff Murschetz, der die Vorteile einer „richtigen“ Nutzung beschreibt. Es bleibt notwendig, zu wissen, was man erschaffen will. Wenn man seine Prompts (= die entsprechenden Befehle an die KI) richtig anwendet, kann man aber zumindest gute Vorschläge generieren und schnell ausprobieren. Die Entwicklung dieser Technik wird den Beruf des Comiczeichners verändern, ihn aber nicht durch Technik ersetzen können.

Werbecomics

Siegmund Riedel beschäftigt sich mit der Historie und aktuellen Entwicklung von Werbecomics. Waren diese zunächst eher als Werbemittel auf Kinder ausgerichtet, etwa junior oder KNAX, stehen mittlerweile eher Erwachsene als Zielgruppe im Fokus. Immer mehr Firmen haben Chefs, die mit dem Medium aufgewachsen sind, und die Geschichte ihrer Firma etwa als Graphic Novel aufbereitet haben möchten. Und es gibt auch viele Sachcomics, die das Medium für niedrigschwellige Information nutzen.

Backcover ICOM Jahrbuch 2023
Das Back Cover

Die Frau mit dem Silberstern

Und natürlich findet auch die Auseinanderetzung um das Einstampfen der Buchausgabe der Frau mit dem Silberstern Erwähnung. Martin Frei hatte in insgesamt 8 Folgen im ZACK die Geschichte der Lehrerin und des Städtchens Silver Creek weitergesponnen. Nachdem Blueberry als Sheriff eingesetzt worden war und für Ruhe gesorgt hatte, musste das Leben in dem kleinen Ort weitergehen. Und natürlich sorgt eine einmalige Aktion für keinen Frieden. Was als Magazinbeitrag erlaubt war, wurde nach Druck leider von den Erben von Charlier verboten. Martin Frei nimmt dazu in einem Interview ausführlich Stellung. Auch der Verfasser dieser Zeilen ist betroffen, hatte er doch einen Beitrag zum Werk Freis beigesteuert.

Die Preisträger*innen

Die Gewinner*innen dieses Jahres, also 2023, werden ausführlich vorgestellt und interviewt. Zu jedem nominierten Werk gibt es einen Beitrag und Bildmaterial. Für alle Freund*innen des Independent-Comics ein Muss!

Bester Independent Comic / Selbstveröffentlichung: Sascha Dörp | Drinnen

Bester Independent Comic /Verlagsveröffentlichung: Franz Suess | Diebe und Laien

Sonderpreis: Michael Mikolajczak (Stories) | Tick Tock – Kult Geschichten 1

Zusätzlich gibt es Interviews mit den Preisträger*innen des letzten Jahres: Jürgen Geier Speh (The Most Dangerous Game), Josephine Mark (Murr) und Oliver Ottitsch (Die Liebe ist stärker als der Tod).

Trickfilm

Zu guter Letzt gibt es den traditionellen Rückblick auf das (mittlerweile 30.) Internationale Trickfilmfestival Stuttgart. Neben launigen Bemerkungen über das Festivaltreiben und einige der dort gezeigten Werke folgt eine Auflistung der preisgekrönten Werke nebst Inhaltsangabe und allen relevanten Metadaten.

Eine klare Empfehlung!

In den letzten Jahren war der Jahresband meistens ein echtes Brett. Dieses Jahr ist er mit rund 100 Seiten etwas schmaler ausgefallen, nichtsdestotrotz aber jede Minute Lesezeit wert! Burkhard Ihme als Hauptverantwortlicher hat mit seinem Team wieder eine tolle Sammlung und einen nirgendwo sonst erhältlichen Überblick vorgelegt. Und der Preis tut auch in Zeiten der Inflation niemandem weh! Der einzige Malus ist die Anzeige eines Verlages dessen Verleger sich nicht zu schade ist, ein rechtsradikales Erzeugnis als Schullektüre zu empfehlen. Hier wäre es besser gewesen, klare Haltung zu zeigen.

Dazu passen ein selbstgesprudeltes Wasser und das New York Ska Jazz Orchestra!

© der Abbildungen Verleger, Zeichner und Fotografen c/o Interessenverband Comic e.V. ICOM 2023

Reddition 77 – Comics aus der Schweiz

Alles zwischen Fanzine und Megaseller

Herausgeber: Volker Hamann
Verlag Volker Hamann, Edition Alfons
Heft Din A 4 | 84 Seiten | Farbe | 12,00 €
ISSN: n/a

Cover Reddition 77

Im schönen Wechsel mit der personenbezogenen 76 steht wieder ein Thema im Mittelpunkt. Die Schweiz hat eine eigenständige Szene, die sich über die letzten Jahre zudem stark entwickelt hat. Dabei gibt es mittlerweile neben einem starken Independent-Bereich Künstler*innen, die auch im Ausland für hohe Auflagen grade stehen.

Die Anfänge

Aus der Geschichte zu lernen, erfordert, sie zu kennen. Den Anfang machen also zwei eher historisch ausgerichtete Artikel über den Genfer Comic-Pionier Rodolphe Töpfer und eine kleine Deutschschweizer Comicgeschichte, die Startpunkte und erste Verbindungen aufzeigen. Auch das Interview mit Edith Oppenheim-Jonas, der Erfinderin von Papa Moll, gibt in lesenswerter Manier hilfreiche Eindrücke über die Zeit in den 60-er und 70-er Jahren.

Reddition 77 page 4

Tatsächlich wurde die bei uns wohl hauptsächlich aus dem in Apotheken verteilten Magazin junior bekannte Figur bis zum Ende der 80-er Jahre von seiner Schöpferin gestaltet. Nach mehreren Übergaben erscheinen noch immer neue Folgen! Und auch das Magazin selbst, mit monatlich knapp 1,2 Millionen Exemplaren nicht gerade ein Leichtgewicht, wird vorgestellt.

Die Stars

Wohl kaum einer, der Comics mag oder aber zumindest Kinder hat, die den KiKa sehen, kennt Derib nicht. Wer mehr über den Künstler wissen will, der einerseits mit Yakari einen Klassiker für Kinder, mit Buddy Longway eine der großen, lesenswerten Western-Reihen und neuerdings immer mehr sozialkritische Stoffe in seiner Vita vereint, wird hier fündig werden.

Vielleicht etwas weniger bekannt, nicht aber weniger geschätzt ist Cosey. Nach Anfängen bei Spirou hat sich der Schweizer immer mehr von Zwängen befreit und bis dahin akzeptierte Grenzen erfolgreich überwunden. Weder seine Reihe Jonathan noch gar seine Kurzgeschichten „Auf der Suche nach Peter Pan“ folgten klassischen Erfolgsrezepten. Zu beiden gibt es die hochgeschätzte Comic-Bibliographie von Volker Hamann. Ein Punkt, der in keiner Reddition fehlen darf.

Reddition 77 page 60

Ebenfalls ausführlich werden Zep und Jared Muralt vorgestellt. Während erster mit seinen Auflagen sowohl im Graphic Novel-Bereich als auch bei den Funnies (Titeuf) unzweifelhaft in die Star-Kategorie fällt, wirkt die Aufnahme des begabten Künstlers hinter der international bekannten Serie The Fall etwas willkürlich. Immerhin gibt es dann auch noch einen Artikel über sieben Zeichnerinnen, die auf sechs Seiten vorgestellt werden.

Die „Infrastruktur“

Für eine erfolgreiche Szene braucht es Vernetzung, Publikationen und Lobbyarbeit, vor allem aber auch Menschen, die sich dem mit Herzblut widmen. Pierre Strinati, René Lehner, etwa mit der Comixene, sowie die Teams um die Edition Moderne und das Strapazin haben hier unschätzbare Beiträge geleistet, die entsprechend gewürdigt werden. Dazu kommen ein Artikel über die Genfer Szene als auch über das extrem wichtige Fumetto-Festival.

Reddition 77 page 17

Die deutsche Referenzreihe

It’s a man’s world … Immerhin gibt es ein langes Interview mit der durch Papa Moll bekannt gewordenen Edith Oppenheim-Jonas und einen Überblicksartikel über Les Demoiselles Pencil. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so wenig Erzählbares über Frauen im Comic-Business gibt und auch nicht, dass nicht-Männer darüber nicht schreiben wollen.

Abgesehen davon ist die Ausgabe eine sehr informative Reise in das Land unserer südlichen Nachbar*innen, das Verbindungen aufdeckt, aber auch Unterschiede. Wie immer gut geschrieben, hinreichend belegt und informativ (und unterhaltend) illustriert! Von daher ein Muss für alle, die das gewisse „Mehr“ haben und nicht nur konsumieren wollen. Es lohnt sich übrigens auch weiterhin, die Reddition im Abo zu haben. Es gibt nämlich immer eine limitierte Beilage, in diesem Fall eine Geschichte aus der Reihe Ein Abenteuer von Paul Aroïd von Cosey in deutscher Erstveröffentlichung!

Beilage Reddition 77

Dazu passen Consensus und ein Wädenswiller Ur-Weizen.

© der Abbildungen Cover © 2023 Cosey sowie bei den jeweiligen Autoren und Verlagen / Verlag Volker Hamann, Edition Alfons 2023

ICOM Comic!-Jahrbuch 2022

Krisen im Blick: Umwelt und Corona!

Hrsg: Burkhard Ihme

Interessenverband Comic e. V. ICOM

Din A4 | 216 Seiten | s/w, teilweise farbig | 15,25 €

ISBN: 978-3-88834-952-2

Cover ICOM Comic! Jahrbuch 2022

Nach der sehr kurz ausgefallenen Jubiläumsausgabe im letzten Jahr hat es der Interessenverband Comic e.V. ICOM in diesem Jahr wieder geschafft, ein sehr dickes Jahrbuch zu produzieren. Wegen der gestiegenen Druckpreise (bereits zu den Zeiten des Vorwortes rund 35% und steigend) sollte man im kommenden Jahr allerdings wieder von einer deutlich dünneren Publikation ausgehen. Der ICOM ist Bestandteil der deutschen Independent Szene und das Jahrbuch hat zwei Zielgruppen. Natürlich soll es der Szene Beachtung verschaffen und auch diejenigen erreichen, die nicht auf Mailinglisten oder noch schlimmer Karteikarten stehen. Es dient aber auch der internen Vernetzung, Kommunikation und Wissensvermittlung!

Future is green! Oder Comics und Umwelt

Welche Rolle spielt eigentlich “Die Umwelt“ in Comics? Was unterscheidet eine lebensfreundliche/-feindliche Umwelt in einer Science-Fiction-Story von der irdischen Klimakatastrophe? Muss man das immer mit der Holzhammermethode präsentieren oder gibt es auch subtile Wege? Und schließlich, in welchen Comics finde ich denn was? Das Thema „Umwelt“ wird in diesem Jahrbuch erfrischend praktisch angegangen. Es geht nicht um theoretische Einordnungen, sondern um praktische Reiseführer, die potentiellen Leser*innen einen Überblick verschaffen wollen. Subjektiv, exemplarisch, aber eben auch informativ!

Detail COMIC!Jahrbuch page 9

Anschließend geht es in die deutsche Szene: Corona, die sehenswerte Ausstellung von Unveröffentlichtem in Oberhausen sowie die verschiedenen Fördermöglichkeiten stehen dabei im Mittelpunkt. Nicht fehlen dürfen dabei die Atelierbesuche: Weissblech, Franz Gerg und Jürgen „Geier“ Speh zeigen Kostproben und verraten, welche Katastrophen wie gemeistert wurden bzw., welche Pläne für die Zukunft vorliegen. Da die Independent-Szene in den üblichen Publikationen zusammen oft weniger Raum bekommt als hier die einzeln vorgestellten jeweils haben, zeigt den Unterschied!

In weiteren Artikeln geht es um die Märkte in den USA, den Niederlanden, Japan und Italien. Auch hier wird der Fokus gezielt auf die Nischen gelenkt. Leider gilt es natürlich auch im ICOM der Toten zu gendenken. Abschließend (der ICOM vertritt Comic-, Cartoon- und Trickfilmschaffende) folgt noch ein Rückblick auf das 29. Trickfilmfestival.

Die Preisträger*innen 2021 und 2022

Neben den allgemeinen Themen und Vorstellungen dient das Comic! Jahrbuch aber auch dazu, die ICOM Preisträger*innen bekanntzumachen! Vorstellungen der Personen, exemplarische Beispiele für ihr Schaffen und die preisgekrönte Publikation sowie die Begründungen gehören auf jeden Fall dazu. Die Gewinner*innen des letzten Jahres sind auch mit einem Interview vertreten, die des Jahres 2022 haben das Jahrbuch praktisch gleichzeitig mit dem Ergebnis überreicht bekommen und konnten daher noch nicht Stellung nehmen. Nach einer langen internen Diskussion über Fehler der Vergangenheit und eine Neuaufstellung gibt es mittlerweile nur noch drei Preise:

Der beste Independent Comic als Selbstveröffentlichung war 2021 Kein Vatertag von Sascha Dörp, 2022 wurde der Preis Jürgen „Geier“ Speh für The Most Dangerous Game zuerkannt.

Detail COMIC!Jahrbuch page 196

Der beste Independent Comic als Verlagsveröffentlichung in 2021 stammt von Anna Rakhmanko und Mikkel Sommer; Vasja, Dein Opa ist bei Rotopol erschienen. 2022 konnte ein Western diesen Platz erklimmen: Murr von Josephine Mark, veröffentlicht bei Zwerchfell.

Schließlich bleibt der Sonderpreis für eine besondere Leistung oder Publikation, der im letzten Jahr dem Handbuch polnische Comickulturen nach 1989 verliehen worden war. Hier bestehen für den deutschen Markt mehr als nur einige Möglichkeiten, liegt doch kaum etwas des vorgestellten Materials in Übersetzung vor! In diesem Jahr konnte Oliver Ottitsch mit Liebe ist stärker als der Tod den Preis gewinnen.

Must have für alle, jenseits des Mainstreams schauen wollen

Die Kurzvorstellungen der Nominierten des letzten Jahres finden sich in der 2021er-Ausgabe, dieser Band stellt alle aktuellen Nominierungen vor! Allein dieser Überblick über einen kleinen Teil der deutschen Independent-Szene ist es wert, nicht nur einen Blick zu riskieren! Informationen aus erster Hand, Nützliches und natürlich auch Gossip. Wer weiß, dass es gute Comics auch außerhalb des Mainstreams gibt, bekommt hier Anregungen noch und nöcher. Aufgrund der gezeigten Beispiele kann dann auch jede*r entscheiden, einen Kauf zu wagen, denn gerade hier gilt, dass jenseits des Massengeschmacks nicht alles allen gefallen soll.

Detail COMIC!Jahrbuch page 82

Dazu passen The Adicts mit “Life goes on” und ein junger Grauburgunder.

© der Abbildungen Interessenverband Comic e. V. ICOM 2022 / Coverillustration by Franz Gerg/Geier

ZACK 276

ZACK 276 (Juni 2022)

Herausgeber/Chefredaktion: Georg F. W. Tempel

Blattgold Verlag

Heft Din A 4 | 92 Seiten | Farbe | 9,00 €
ISSN: 1438-2792

Cover ZACK 276

Schon wieder ist ein Jahr halb vorbei: die großen europäischen Fußball-Ligen sind durch, die bisher letzte COVID-Welle auch und selbst die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des ersten ZACK sind geschafft. Wirklich? Nein, es kommt (mindestens) noch die ZACK-Lach-Box! Mehr demnächst hier. Zunächst aber die reguläre Ausgabe, deren Aufgabe es ist, die Zeit bis zu den Ferien zu überbrücken!

Die Neustarts

Ein plötzlich hochaktuell gewordener Polit-Thriller kehrt zurück: In Empire USA 2.4 geht es um die Frage, wer den Freund und Partner des Helden, Jared Gail, erschossen hat. Die Ermittlungen haben bisher ergeben, dass sich im Gemisch aus früherem KGB und neuen Oligarchen zwei Fraktionen gebildet haben, die sich bis aufs Blut bekämpfen. Es könnte sein, dass der ermordete Duanne zwischen die Fronten geraten ist. Niemand konnte ahnen, dass diese Serie einmal so aktuell werden würde! Spannendes Szenario von Stephen Desberg. Den Zeichenstift hat nun Alain Mournier übernommen. Die Bilder sind weniger glatt als zuletzt bei Griffo, die Gesichter etwas schematischer.

ZACK 276 page 23

Ebenfalls wieder dabei sind das kleine Bergdorf Luthon-Höge und seine schrägen Bewohner*innen. Willem Ritstier geht erneut in die Vergangenheit: Ein Unfall mit Folgen scheint unaufgeklärt geblieben zu sein. Als dann auch noch der Metzger im Schaufenster seines Ladens liegt, ist höchste Verwirrung angesagt. Auch Weder Fleisch noch Fisch ist wieder eine bitterböse Satire mit granteligen Zeichnungen von Michiel Offermann für Independent-Fans!

ZACK 276 page 39

Die Fortsetzungen

Während ihr Verehrer die hübsche Wahrsagerin Julie Kleinnagel ins Bett bekommen möchte, denkt sie ans Heiraten. Es steht aber noch ein Konflikt mit ihrer Mutter ins Haus. Das Mädchen von der Weltausstellung vermischt auch in 1867 Politik und Menschliches. Der Freiheitskampf der polnischen Nation, Klassenunterschiede, Innovationen und der Kampf um ein kleines bisschen Glück sind die von Jack Manini virtuos kombinierten Ingredienzien. Étienne Willem setzt das Ganze in einer sehr humorvollen Weise um, die Emotionen überbetont, Spaß macht und altersgruppenübergreifend wirkt. Die Heldin gibt mit ihren Verehrern im Juni das Covergirl.

Detail ZACK 276 page 3

Bob Morane von Henri Vernes ist einer der Klassiker der belgischen Literatur. Auch im Comic war er jahrzehntelang vertreten. Nun haben Christophe Bec und Corbeyran eine neue Geschichte geschrieben, die zwar auf der Figur basiert aber keinen existierenden Roman zur Grundlage hat. Es scheint so, als ob die Legende der 100 Dämonen des Gelben Schatten einen wahren Kern hätte. Wie aber passen die offensichtlich geklonten Ninja-Kämpferinnen in das Bild? Die Helden vermuten, dass jemand den Krieg in Indochina als Deckung benutzt, um viel Schlimmeres anzugehen. Paulo Grella setzt das spannende Szenario im Dunstkreis zwischen Thriller und Science-Fiction in manchen Bildern etwas zu glatt um, in anderen wiederum sehr schön. Geben wir ihm etwas Zeit und einen Folgeband, um zu noch mehr Spitzenleistungen zu gelangen.

ZACK 276 page 47

Die Abschiede

Von Rani müssen wir uns dagegen schon wieder verabschieden. Die zu Unrecht verfolgte Adelige hat sowohl den Transport auf dem Gefangenenschiff nach Indien als auch den Verkauf als Sklavin an das örtliche Bordell überstanden. Dort hat sie sich zur Chefin geputscht und verspricht nun den örtlichen Honoratioren und der Kirche mehr Profit. Ihre Methoden sind dabei fast schon revolutionär. Jean van Hamme und Alcante vermischen in ihrem Szenario Zeit- und Lokalkolorit mit einer Prise Kritik. Dabei haben sie eine patente und toughe Heldin geschaffen, die genregemäß immer wieder in Schwierigkeiten gerät, aber auch immer wieder eigene Lösungen findet.  Klassisch grandios umgesetzte History-Schmonzette von Francis Vallès. Ein spoilernder Ausblick auf weitere Teile im Serienkompass.

ZACK 276 page 61

Normalerweise lesen wir über Familienkriege nur in der Zeitung. Wenn sie sich in der Finanzwelt abspielen, haben sie Auswirkungen auf Börsenkurse und manchmal kommen sogar kriminelle Aspekte hinzu. Pierre Boisserie und Philippe Guillaume beschreiben in Die Bank einen sehr intensiven Krieg zwischen den Geschwistern Saint-Hubert, der mittlerweile die Zweite Generation zu Protagonist*innen gemacht hat. Die Kämpfe werden mit allen Mitteln geführt und zielen auf Leib und Leben aber auch die Ehre, mögliche Kollateralschäden inbegriffen. Sehr schöne Umsetzung durch Malo Kerfrieden, der Stadt und Zeitkolorit Raum gibt, die Geschichte aber dadurch nicht erdrückt!

ZACK 276 page 77

Und sonst?

Der fälschlich angekündigte Johnny Focus wartet mit seinem nächsten Auftritt noch auf die angekündigte Gesamtausgabe. Natürlich gibt es aber wieder einen One-Pager mit Parker & Badger sowie die üblichen Infos und Kolumnen. Christian Endres stellt im ersten längeren Artikel die Gesamtausgabe von Jacques Tardis Klassiker Adeles Abenteuer vor. Der Verfasser dieser Zeilen blickt zurück auf 11 Jahre bahoe books, einen kleinen, aber sehr rührigen Verlag mit Anspruch aus Wien. Last but not least blickt Michael Klein auf den Juni 1972 und die damaligen ZACK-Ausgaben zurück.

Vor fünfzig Jahren hieß es „Jede Woche Spaß, Spannung, Abenteuer!“ Mittlerweile hat sich die Frequenz auf den Monat geändert, der Anspruch ist geblieben. Und er wird mit hoher Regelmäßigkeit qualitativ hochwertig bedient.

Dazu passen das Foolish Ska Jazz Orchestra und eine Rhabarberschorle mit Sprudel oder Secco.

© der Abbildungen 2022 bei den jeweiligen Autoren und Verlage c/o Blattgold GmbH

Jahresrückblick 2021

Immer noch Corona, meine persönlichen Favoriten und gute Wünsche

Wer hätte das gedacht? Die Pandemie hat uns auch das ganze letzte Jahr in Atem gehalten: Lockdown, Beschränkungen für Kulturveranstaltungen, Verlagerung des Einkaufsverhaltens von lokalen Läden hin zu Online- und Versandhändler*innen. Natürlich wird das Auswirkungen auf die Comic-Branche haben. So finden wir zunächst im Independent-Bereich, etwa dem ZEBRA, bereits Auseinandersetzungen mit den Folgen. Da wird sicherlich noch mehr kommen. Ausstellungen sind weniger geworden oder sie waren zu mindestens schlechter besucht. Auch ich war während des Jahres daher leider nur im MoCa in Noordwijk  und im Jan Kruis-Museum in Orvelte.

Die Digitalisierung ist allerdings weiter fortgeschritten. Immer mehr Verlage bieten auch elektronische Ausgaben an. Für mich persönlich ist das allerdings nichts. So gerne ich elektronische Medien und Tools auch nutze, graphische Literatur lese ich immer noch am liebsten auf Papier, freue mich an der Haptik (wenn der Comic entsprechend dargeboten wird) und am Anblick einer Reihe im Regal.

Nachdem meine Winterpause jetzt vorbei ist wünsche ich uns allen für das kommende Jahr, dass mehr Normalität zurückkehrt. Dafür ist es allerdings wichtig, dass alle, denen es möglich ist, sich impfen lassen!

R.I.P.

Wie immer sind wieder viel zu viele Comic-Schaffende gestorben. Ein paar davon sollen hier eine letzte Erwähnung finden: Marcel Uderzo, Jean Graton, Benôit Sokal, Nikita Mandryka, Raoul Cauvin, Dieter Kalenbach und Gérald Forton.

Die besten Comics in 2021

Auch dieses Jahr wieder präsentiere ich hier meine Favoriten: subjektiv, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und unabhängig von Verlagsbemusterungen. Dem letzten Jahr folgend gibt es wieder die gleichen Kategorien: Alben, Graphic Novels, Gesamtausgaben, Sekundärwerke und Zeitschriften. Ein Sonderpreis geht an das „Comeback des Jahres“. Natürlich darf auch die Liste der meistgeklickten Beiträge des Jahres nicht fehlen. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle Leser*innen: Die Zugriffszahlen sind um rund 20% gegenüber 2020 gestiegen!

Album des Jahres

Der beste Comic des Jahres kommt für mich aus Deutschland: Ralf König hat sich einen Jugendhelden vorgenommen und ihm nicht nur Brustwarzen verpasst, sondern auch eine sehr liebevolle Hommage verfasst: Zarter Schmelz übernimmt alle klassischen Elemente von Lucky Luke, twisted aber das gesamte Setting. Seine schwulen, knollennasigen Cowboys, die lila Kühe und Calamity Jane sind so großartig, dass sie zurecht den Mainstream erobert haben.

Cover König Zarter Schmelz
© Lucky Comics 2021 – All Rights reserved by Ralf König/Egmont Ehapa Media

Eine ganz andere Interpretation des „Wilden Westens“ kommt von Jean Dufaux und Rubén Pellejero. Ihr Regenwolf stellt eine Frau als Hauptakteurin in den Mittelpunkt einer Rachegeschichte. Blanche McDell steht im Schnittpunkt von Liebesgeschichten, Mythologie, Rassismus und Männlichkeitswahn. Obwohl die Vermischung dieser Themen in eine langweilige Political Correctness-Definition abgleiten könnte, ist den Autoren hier eine perfekte, spannende Geschichte ohne erhobenen Zeigefinger mit toller visueller Umsetzung gelungen.

Auffällig in diesem Jahr ist die Anzahl der Western unter den Top 5: Nur Mademoiselle J. von Yves Sente und Laurent Verron konnte sich auf Platz 3 dazwischenschieben. Die ursprünglich als Nebenfigur in einem Spirou-OneShot eingeführte wissbegierige junge Dame hat nun ihre eigene Reihe und bringt Zeitgeschichte in dem typischen, leicht modernisierten Marcinelle-Stil an ihre Leser*innen. Sie atmet gleichzeitig den Charme der 30-er Jahre als auch den des Aufbruchs in eine gleichberechtigtere Welt!

Einer meiner Lieblingszeichner ist Patrick Prugne. Obwohl er sich durchaus auch schon anderen Themen zugewandt hat, sind seine Geschichten aus dem westlichen Amerika/Kanada am besten. In Tomahawk erzählt auch er die Geschichte einer „Rache“, allerdings eingebettet in viel Natur und die spannende Vorgeschichte zu einem erbarmungslosen Krieg. Fast jedes Panel könnte gerahmt an einer Wand hängen!

Platz 5 geht an eine überlange Geschichte, die einen Helden einer Serie nach sehr langer Zeit gealtert und vollkommen verändert zurückbringt: Wenn der Tiger erwacht erzählt die Geschichte von Chinaman, seiner Posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund der Schrecken des Sezessionskrieges und die Annäherung zwischen ihm und seinem Sohn. Serge Le Tendre und Olivier TaDuc sind nach fast 15 Jahren zu ihrer einstigen Erfolgsserie zurückgekehrt, haben alle Elemente übernommen aber sehr konsequent weitergeführt. So ist eine eigenständige Geschichte daraus geworden, die für sich alleine stehen könnte, aus ihrer „Vergangenheit“ aber noch mehr gewinnt.

Die besten Graphic Novels in 2021

Wie auch bei den Comics war es ein gutes Jahr für Graphic Novels. Die Platzierungen:

Ohne jeden Zweifel geht der erste Rang an Die Bestie von Zidrou und Frank Pé. Ihre Interpretation des Marsupilamis ist so faszinierend anders, dass eigentlich jede*r einen Blick hineinwerfen sollte. Einerseits ist die Story „erwachsen“ geworden: ein verängstigtes, wildes Tier kommt mit einem Schiff als Ware für den Zoo nach Brüssel. Es kann nichts anderes tun, als seiner Natur zu folgen, und sich zu befreien. Dazu passt die langsam wachsende, auf Vertrauen beruhende Beziehung zu einem kleinen Jungen, der seinerseits Ausgestoßener ist. Die Zeichnungen von Pé sind – wie immer – allesamt kleine Kunstwerke!

Zidrou/Frank Pé – Die Bestie 1 Cover

Platz 2 geht an Das Susan-Problem aus der Neil-Gaiman-Bibliothek. P. Craig Russel und Paul Chadwick haben Kurzgeschichten von Gaiman für das Medium Comic aufbereitet und zusammen mit Scott Hampton gezeichnet. Sie beweisen nicht nur, dass Stoffe von Gaiman wie auch die von Ray Bradbury perfekte Startpunkte für Comic-Kleinode sein können, sondern auch, dass sogar literaturtheoretische Abhandlungen so umgesetzt werden können. Der Preis geht aber auch an die Übersetzung und die vielen editorischen Hinweise für Nicht-Engländer*innen!

Beate und Serge Klarsfeld sind die Nazijäger! Was mit einer Ohrfeige begann, endete mit der erst durch die Beiden möglichen gerichtlichen Verurteilung von vielen Nazi-Kriegsverbrechern. Die spannende Geschichte, die Rückschläge aber auch die unermüdliche Aufopferung im Kampf für Gerechtigkeit und dadurch erst mögliche Freiheit schildern Pascal Bresson und Sylvain Dorange!

Platz 4 geht an die in diesem Jahr beendete Gesamtausgabe von Omaha, eine erotische Soap-Opera, die weit weg ist von jedem Schmuddelfaktor! Kate Worley (und nach ihrem Tod Jack Vance für den Abschluss der Serie) hat eine Geschichte im Schnittpunkt von Korruption, Machtmissbrauch, gesellschaftlicher Veränderung und Beziehungsproblemen geschrieben, die auch die Freuden des Sex nicht auslässt. Reed Waller, anfangs noch ihr Ehemann, später von ihr geschieden, hat das Ganze im Furry-Stil graphisch umgesetzt und damit einen der Klassiker des Independent-Comic gezeichnet. Auch heute noch lesenswert!

Der Reigen wäre nicht vollständig ohne die Kinder der Resistance! Auch hier ist die Geschichte an sich nicht neu, die Veröffentlichung in Deutschland ließ aber auf sich warten. Es gab im vergangenen Jahr einige Geschichten über die Resistance, das Schicksal von Kindern unter der deutschen Besatzung und die zaghaften, teils gescheiterten, teils erfolgreichen Versuche der Gegenwehr. Dazu zählen etwa die Bände von Émile Bravo oder Kris/Bailly. Die Kinder der Resistance von Vincent Dugomir und Benoît Ers beschreiben die anfängliche Naivität und Emotionalität und die Entwicklung hin zu wirklichem Widerstand aber auch wirklicher Gefahr für die Handelnden.

Die besten Gesamtausgaben in 2021

Trara! Platz 1 im Bereich der Gesamtausgaben geht an Caroline Baldwin! Schreiber & Leser fährt dabei zweigleisig: Einerseits erscheinen die bereits früher auf Deutsch veröffentlichten Geschichten (1 bis 16) in vier Sammelbänden von denen 3 bereits erschienen sind, andererseits veröffentlichen die Hamburger die bisher nicht erhältlichen Bände 17 bis 19 in Einzelbänden. Für das kommende Jahr sind dann noch Specials geplant! Die Heldin der in einer modernen Klaren Linie gezeichneten Geschichten von André Taymans ist tough, hat ein Alkoholproblem, ein selbstbestimmtes Sexualleben und ist HIV positiv. Das hält sie aber nicht davon ab, auf der ganzen Welt zu ermitteln und immer auf der Seite der Schwachen zu stehen. Zum Serienkompass.

Cover Caroline Baldwin Integrale 1

Platz 2 geht an Jerry Spring. Der „Vater des europäischen Westerncomics“ war vor Jahren fast komplett in einer schwarz-weißen Integralausgabe erschienen. Nun hat der All-Verlag die erste farbige komplette Ausgabe gestartet, die nicht nur alle von Jijé gezeichneten Geschichten beinhalten wird, sondern auch den letzten Band von Festin und Franz, der in 2021 erstmals auf Deutsch im ZACK erschienen ist. Ohne Jerry Spring hätte es vermutlich weder Blueberry noch Comanche gegeben.

421 ist eine Serie über einen Geheimagenten  von Stephen Desberg und Eric Maltaite. Der Held ist aber nicht nur von James Bond beeinflusst, sondern übernimmt auch Elemente von Indiana Jones und schreckt sogar vor Zeitreisethematiken nicht zurück. Erstaunlicherweise hat diese klassische Geschichte aus dem Spirou-Magazin in der Vergangenheit keinen Weg nach Deutschland gefunden. Das Integral präsentiert daher deutsche Erstveröffentlichungen: Platz 3!

Platz 4 teilen sich gleich drei Integrale von klassischen ZACK-Serien. Die Collector’s Edition von Greg/Hermanns Comanche war ein Meilenstein der jetzt in Sammelbänden angeboten wird. Édouard Aidans und Yves Duval haben mit Sven Janssen einen Abenteurer kreiert, der die ökologischen Aspekte in den Vordergrund stellt und bereits früh kolonialistische Missstände und Hunger in Beziehung gesetzt hat. Ebenfalls besonders ist, dass er alles zusammen mit Frau und kleinem Kind erlebt. Schließlich kommt auch die Collector‘s Edition von Michel Vaillant von Jean und Phillippe Graton erstmalig auf den deutschen Markt. Alle Kurzgeschichten und ungekürzten Geschichten in 20 Hardcovern mit einheitlichem Rückendesign und vielen editoriellen Notizen.

Die besten Sekundärwerke in 2021

Dieses Jahr haben es drei Werke über längst verstorbene Künstler in die Top 3 geschafft.

Das beste Werk ist mit Sicherheit der als Ausstellungskatalog entstandene aber auch perfekt solo zu genießende Band von Dr. Alexander Braun über Will Eisner. Graphic Novel Godfather führt ein in das Werk des amerikanischen Ausnahmekünstlers und beschreibt die Innovationen des Spirit sowie die Gebrauchsorientiertheit seiner Sachcomics die schließlich dazu geführt haben, dass Eisner zum Godfather der modernen Graphic Novel geworden ist. Viele Bildbeispiele  belegen den leicht verständlichen, flüssig geschriebenen und extrem informativen Text. Wenn alle Sekundärliteratur so gut lesbar wäre gäbe es nur noch Expert*innen!

Cover Braun - Will Eisner Graphic Novel Godfather

Platz 2 geht an die Fleißarbeit des Bremers Kai Stellmann und Science Fiction Pop Art Nick. Die im Selbstverlag erschiene Untersuchung ist nie fertig: Mit jeder neuen Auflage kommen Details hinzu. Stellmann belegt für alle Nick-Geschichten aus der Feder von Hansrudi Wäscher welche Quellen und Inspirationen eingeflossen sind und welche Absichten Wäscher damit verbunden haben könnte. Besser kann der Einblick in einen Entstehungsprozess nicht sein.

Platz drei geht erstmals an ein nicht gedrucktes Medium! Nun ja, es gibt eine kleine Begleitbroschüre, der Gewinner ist aber ein Film: Katzenjammer Kauderwelsch von Martina Fluck! Sie dreht die Annäherung eines Comic-Zeichners aus Heide – Tim Eckhorst – an die großen Söhne der Stadt, Rudolph und Gus Dirks, die in den USA Karriere gemacht haben. Katzenjammer Kids lief schlussendlich bis 2006 und ist einer der ganz großen Zeitungsstrips. 85 lohnende Minuten auf DVD!

Die besten Zeitschriften in 2021

Überraschenderweise heißt der Seriensieger bei Zeitschriften wieder ZACK! Das Magazin feiert in 2022 das Erscheinen der ersten Ausgabe von vor 50 Jahren und profitiert nach dem Verlagswechsel zu Blattgold davon, dass Verleger und Chefredakteur Georg F. W. Tempel nun frei schalten kann. Mit Blechschildern und Pins sowie einer neuen Albenreihe nur für Abonnent*innen expandiert der Kosmos. ZACK bringt sowohl erneuerte Klassiker wie Rick Master, Michel Vaillant oder Tanguy & Laverdue wie auch hochklassige europäische Comic-Kunst wie Amoras, Rani oder Millenium Saga! Die bei euch am häufigsten angeklickte Rezension war im Übrigen die Nummer 264.

Cover ZACK 267

Platz zwei geht an ein immer noch innovatives Medium aus den Niederlanden: StripGlossy präsentiert viermal im Jahr eine Mischung aus Sekundärliteratur, Interviews und aktuellen Comics mit und über Comicschaffende aus dem niederländisch/flämischen Raum! Definitiv das Highlight des Jahres war die Doppelnummer 21/22 über Suske en Wiske die sogar in eine zweite Auflage gehen musste!

Die Reddition ist wohl die bekannteste und anerkannteste Sekundärzeitschrift Deutschlands. Zweimal im Jahr erscheint eine Nummer, die sich tiefschürfend mit einem Thema beschäftigt. Durch die gewählte Breite der Artikel kann das gewählte Gebiet oder der Künstler im Fokus vielseitig beleuchtet werden. 2021 ging es um Tillieux und Comics und Musik (Rezension folgt).

Comeback des Jahres

Wie immer an dieser Stelle eine lobende Erwähnung eines – oft unerwarteten – Comebacks einer Serie oder eines Einzeltitels. Dieses Jahr fällt die Wahl schwer und daher sind es dieses Jahr zwei ganz unterschiedliche Gewinner, die es zu feiern gilt: Einerseits hat der Taschen Verlag gerade mit der Marvel Comics Library ein neues Projekt gestartet, das Meilensteine in einem XL-Format wieder zugänglich macht. Band 1 Spider –Man 1962 – 1964 ist gerade erschienen (und mittlerweile auch besprochen). Neben einer informativen Einführung präsentiert der limitiert Prachtband den unvergesslichen Run von Stan Lee und Steve Ditko über den wohl untypischten Superhelden aller Zeiten! Noch nie habe ich Spider-Man in diesem Format genießen können!

Cover Spider-Man Vol. 1

Andererseits hat Georg F. W. Tempel damit begonnen, bisher unentdeckte Perlen der ZACK-Geschichte aufzubereiten. Johnny Focus von Attilio Micheluzzi ist so eine! Vier schwarz-weiße Stories über den Reporter sind in Der Weg nach Mombasa bereits erschienen, eine weiter kommt in der diesjährigen Aprilausgabe des ZACK. Durch die fehlende Kolorierung sind die Fähigkeiten des Zeichners unverfälscht sichtbar. Erstaunlich, dass es noch so vieles von dieser Serie auf Deutsch zu entdecken gäbe.

Cover Johnny Focus - ZACK Spezial 2

Eure Lieblinge in 2021

Die Spitzengruppe der meistgeklickten Beiträge ist sehr dicht beieinander: Der Gewinner ist der Serienkompass zu Rani, dicht gefolgt von Caroline Baldwin Band 1 und dem dazugehörigen Serienkompass!

Dahinter kommt eine ebenfalls dicht gedrängte Gruppe, angeführt von Johnny Focus: Serienkompass Bruno  Brazil, Lucky Luke 99 und das Programm des All-Verlages.

Will Eisner von Alexander Braun, die Berichte über Asterix 39 und über den Abschluss der Michel Vaillant Reihe im MOSAIK-Verlag komplettieren die Top 10.

comix-online Reporter
Immer für euch unterwegs

Was bleibt?

Auch dieses Mal verbleibe ich mit den besten Wünschen für ein tolles, erfolgreiches und von Gesundheit geprägtes Jahr! Stay safe and healthy! Ich freue mich über eure Kommentare.

© aller Abbildungen bei den jeweiligen Verlagen und Künstler*innen wie in den Linkzielen genannt.

Head – Chartwell Manor

Ein Comic-Memoir

Story: Glenn Head

Zeichnungen: Glenn Head

Originaltitel: US – Chartwell Manor

Carlsen Comics
Hardcover |248 Seiten | s/w | 26,00 €
ISBN: 
978-3-551-78172-7

Cover Head - Chartwell Manor

In den letzten Jahren hat es vermehrt Berichte über sexuellen Missbrauch und/oder Misshandlungen Schutzbefohlener gegeben. Je nach Land stehen dabei mehr die Kirche und sexueller Missbrauch im Vordergrund, mal überwiegt eher der Rassismus gegenüber Indigenen. Allen gemeinsam ist, dass die Überlebenden oft ihr ganzes Leben nicht nur mit schwersten Traumata weiterleben müssen sondern auch oft mit dem Vorwurf konfrontiert werden, dass diese Geschichte ja wohl so nicht stimmen könne. Insofern ist es gut, dass in Kunst, Literatur, Comics aber auch in der allgemeinen Meinung ein Wandel eingesetzt hat, der Betroffenen Gehör schenkt!

Internat des Schreckens

Head - Chartwell Manor page 12

Auch Glenn Head, Texter und Zeichner von Chartwell Manor, ist ein Betroffener. Er hat Jahre damit verbracht, seine eigenen Erlebnisse nicht zu erzählen und sich in Süchte geflüchtet. Als kleiner Junge war er ein schwieriger Schüler, der sich nicht unbedingt im Griff hatte. Seine Eltern, sicherlich zum Teil verzweifelt mit der Situation, hatten von einem Internat gehört, dass sich auf schwierige Fälle spezialisiert haben sollte.

Aus heutiger Sicht hätte schon der erste Besuch jedes Elternteil stutzig machen sollen, wenn der Schulleiter davon spricht, dass das Befolgen von Regeln auch mit körperlichen Maßregeln durchgesetzt wird. Es blieb aber nicht bei „Klapsen“, die Kinder wurden gequält, misshandelt und dabei sexuell ausgebeutet. Zusätzlich übte der Schulleiter auch noch sexuelle Handlungen an ihnen aus. Was alle Schüler*innen wussten, wollte kein Erziehungsberechtigter hören und so lief die Schule Jahr über Jahr mit neuen Kindern. Sehr anschaulich und schonungslos beschreibt der Autor, wie seine Eltern einerseits die Diskussion verweigerten, andererseits sich selbst immer wieder zu entschuldigen suchten.

Head - Chartwell Manor page 13

Viele der ehemaligen Schüler haben die Behandlungen nicht verwunden und sind Süchtige, Ersatzbefriediger, Gewalttäter geworden. Andere haben sich in eine Scheinwelt geflüchtet (Soo schlimm war es doch gar nicht). Zu einem bestimmten Zeitpunkt aber kippt die Situation, die Geschichte wird öffentlich, Zeitungen fangen an zu berichten und Gerichte werden aktiv.

Wie stellt man die Hölle gleich mehrfach dar?

Glenn Head hat mehrere höllische Situationen, die er darstellen muss: Seine Gefühle als Junge auf dem Internat, die Situation, dass seine Eltern das Erlebte einfach ignorieren, seine Süchte und das schließliche sich der Vergangenheit und dem eigenen Handeln Stellen-Müssen.

Sein vom frühen US-Underground-Comic beeinflusster Stil ermöglicht es ihm, Emotionen zu übersteigern, Köpfe explodieren, Drogen oder Alkohol den ganzen Menschen verändern zu lassen. Die Panels wechseln von schwarz auf weiß zu weiß auf schwarz, variieren Größe und Form und sind mal mehr realistisch mal komplett karikierend.

Head - Chartwell Manor page 15

Die Graphic Novel ist keine leichte Kost, weder inhaltlich noch in ihrer graphischen Darstellung. Sie erfordert von den Leser*innen das Sich-Einlassen auf die persönliche Erzählung, die unterstützende Emotionalität und keine Aufgeregtheit, die eher sich selbst als das Opfer in den Mittelpunkt stellt. Wir lesen fast tagtäglich von neuen Missbrauchsfällen in der Zeitung, von Vergewaltigungen und wissen doch um die immer noch extrem hohe Dunkelziffer, weil sich viele Opfer nicht erneut einer unmenschlichen Tortur unterziehen wollen, wenn sie von ihrem Fall erzählen.

Und nun?

Verändert diese Graphic Novel die Welt? Nein, sicherlich nicht! Aber wenn jede*r Leser*in sich selbst ein ganz klein wenig anders verhält, Opfer unterstützt und leise Andeutungen ernst nimmt und der Sache nachgeht, dann kann das vielleicht ein ganz kleines bisschen dazu beitragen, eine Welt ohne Unterdrückung und Missbrauch zu schaffen. In diesem Sinne: Wir alle haben die Zukunft in der Hand und müssen die Opfer der Vergangenheit ernst nehmen und ihnen unterstützend zuhören.

Head - Chartwell Manor page 107

Dazu passen Lady Gaga mit „Till it happens to you“ und ein Glas Wasser.

© der Abbildungen Glenn Head 2021 / Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2021

Rucka/Southworth – Stumptown 2

DER FALL DES BABYS IM SAMTKOFFER

Story: Greg Rucka
Zeichnungen: Matthew Southworth

Originaltitel: Oni – Lion forge – US-Stumptown II 1 – 5

Splitter Verlag

Hardcover Book | 144 Seiten | Farbe | 22,00 € | 
ISBN: 978-3-96792-027-7

Cover Rucka/Southworth Stumptown 2

Stumptown ist ein creator-owned Krimi der in Portland, Oregon spielt. Im Mittelpunkt steht die Privatermittlerin Dexedrine Dex Parios und ihr Bruder Ansel der am Down-Syndrom leidet. Die Stadt ist nicht besonders hipp, eher durchschnittlich und hat dementsprechend schöne Ecken aber auch Gegenden, in denen man sich nicht aufhalten möchte. Greg Rucka hat mit Stumptown seiner Verehrung für Detektiv Rockford Ausdruck gegeben. Immer zerknautscht aber nie aufgeben! Mehr zu den Personen und dem Setting hier.

Drugs and Sex and Rock’n’Roll

Stellt euch vor, dass ihr nach einer langen Tour mit eurer Band endlich wieder in eurer Heimatstadt gelandet seid. Keine Hotels mehr, keine Aftershowpartys, keine Reise am kommenden Tag. Die Crew kümmert sich um eure Instrumente und alles ist gut. Leider müsst ihr am kommenden Morgen feststellen, dass euer „Baby“, eure Lieblingsgitarre, verschwunden ist. Genauso ergeht es Miriam Bracca.

Stumptown 2 page 7

Die besagte Gitarristin beauftragt Dex mit dem Fall des Babys im Samtkoffer. Diese wiederum steht kurz vor dem finanziellen Kollaps und kann fast jeden Fall gebrauchen. Leider interessiert sich aber auch die Drogenfahndung für die Band da ein Verdacht besteht, dass sie teilweise oder in Gänze in einen riesigen Drogenschmuggel involviert ist.

Um das Setting komplett zu machen, gibt es noch ein paar dumme, aber brutale Schläger, jede Menge an persönlichen Vorgeschichten und ehemaligen Liebesaffären und den Konflikt zwischen Dex und Portlands Gangsterboss Hector Marenko. Alle Zutaten für einen Noir-Cocktail sind angerichtet, mögen die Spiele beginnen! Greg Rucka beweist zum wiederholten Mal, dass er nicht nur spannende Superheld*innen-settings verfassen kann. Seine Geschichte steht den Altmeistern wie Hammett in nichts nach!

Stumptown 2 page 15

Dunkles Artwork

Matthew Southworth fängt das Klima in Portland in jedem seiner Panels ein: etwas verbraucht, etwas düster, nicht gerade optimistisch gestimmt aber auf keinen Fall depressiv! Also ein perfektes Setting für einen Noir-Krimi, oder nicht? Auch die Figuren passen ins Bild: Es wird keinen Wert auf Schönheit gelegt, die Figuren haben viel Schatten und Andeutungen, wirken teilweise sogar unfertig.

Tempo wird durch Überlappungen der Bilder und eine schnelle Bildfolge generiert bei denen man fast hört, wie die Musik im Hintergrund den Beat anzieht. Gesichter geraten in die das ganze Panel ausfüllende Totale und wirken dadurch noch verzerrter. Andererseits wirken aber auch ruhige Momente. Aufgelockert wird der Band durch die Titelbilder der einzelnen Hefte die als Kapiteltrenner dienen. Diese Illustrationen sind viel schärfer und bilden dementsprechend einen wirklichen Gegensatz.

Stumptown 2 page 23

Nicht nur für Krimifans!

Natürlich ist Stumptown in erster Linie eine Top-Empfehlung für alle Krimi- und Noir-Fans! In diesem Genre gibt es aktuell nicht allzu viel Neues, diese Serie wird aber zumindest recht zügig veröffentlicht. Dex Parios ist aber auch eine der starken Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen, keinem Mann etwas kampflos überlassen aber trotzdem auf keinem Kriegspfad sind. Und amerikanische Comics jenseits von Grapic Novels und Superwesen haben ihren Reiz und ihre eigene Fanbase.

Dazu passen Hole etwa mit “Celebrity Skin” und ein Ale von der Hair of the dog Brewery.

Detail Stumptown 2 page 82

© der Abbildungen Greg Rucka & Matthew Southworth, 2021 Oni-Lion Forge Publishing Group, LLC / Splitter Verlag GmbH & Co. KG · Bielefeld 2021

Worley, Vance/Waller – Omaha 4

Omaha the Cat Dancer – Band 4

Story: Kate Worley, Jack Vance

Zeichnungen: Reed Waller

Originaltitel: The Omaha The Cat Dancer Series 4

Schreiber & Leser

Broschur | 336 Seiten | S/W | 29,80 €
ISBN: 
978-3-96582-071-5

Cover OMAHA 4

Omaha ist eine Serie für Erwachsene, keine Frage. Sie enthält explizite Darstellungen und ist doch ganz anders als so viele andere Comics, in denen Sex entweder als Machtausübung dargestellt wird oder aber rein voyeuristisch. Kate Worley hat die Geschichte von „normalen Menschen“ beschrieben, die unabhängig von Gesundheitszustand, Einkommen, Hautfarbe oder sexueller Orientierung persönliche und berufliche Probleme meistern müssen, für eine gesellschaftliche Weiterentwicklung eintreten, nicht fehlerfrei sind und nebenbei auch noch Beziehungen leben.

Gentrifizierung, Bauskandale und Korruption und immer wieder Beziehungsprobleme

Die Bewohner*innen von Mipple City haben es nicht leicht. Heutzutage gibt es kaum noch Konflikte, die die Bevölkerung nicht in annähernd gleiche feindliche Blöcke spalten. Ende der 80-er Jahre war das noch selten. Während die eine Hälfte der Stadt eine Gegend mit Bars, Clubs und alternativem Leben als Schandfleck empfindet, ist eben jenes für die andere Hälfte der Teil der Stadt, der ein Aufatmen, eine gewisse Freiheit erst ermöglicht und unbedingt zu unterstützen ist.

OMAHA 4 page 8

Bei großen Bauprojekten war man es früher fast schon gewöhnt, von Bestechung, Korruption und Pfusch am Bau zu lesen. So ist auch hier Manipulation mit Fake News, Bestechung und sogar Gewalt im Spiel und – wie im richtigen Leben – scheint es auch hier so zu sein, dass es keine „reine“ Seite gibt. Die Spielregeln waren schon so weit verschoben, dass ein völlig legales Verhalten außer Frage stand. Vielleicht haben auch solche Geschichten wie Omaha dazu beigetragen, dass Korruption nicht mehr ganz so offen praktiziert werden kann.

Aber auch beziehungstechnisch werden die als Tiere dargestellten Personen bis über ihre Grenzen hinaus gefordert. Es geht um nicht reflektierte Machtstrukturen, falsche Erwartungen und immer wieder auch um Ehrlichkeit und Kommunikation. Daneben gibt es Konflikte, die man klären kann und die eine Versöhnung ermöglichen. Einige davon sind so grundlegend, dass eine Trennung unvermeidlich erscheint. Und es gibt mehr oder weniger suchthafte Reaktionen.

Kate Worley hat lange gegen ihren Krebs gekämpft, schließlich aber doch verloren. Zum Beginn von Omaha war sie noch mit Reed Waller, dem Zeichner, liiert. Nach einer Trennung lebte sie schließlich mit dem Autoren Jack Vance zusammen, der es wiederum nach ihrem Tod übernommen hat, die Geschichte um die Schönheitstänzerin Omaha und Mipple City zu beenden.

OMAHA 4 page 9

Furry pictures

Ursprünglich war es wohl die Idee, Zensur zu umgehen. Die Tatsache, dass hier vermenschlichte Tierfiguren dargestellt werden, hat aber im Laufe der Zeit sehr viele Fans gefunden und es gibt eine eigene Kategorie für solche Comics. Dem Lesevergnügen tut es jedenfalls keinen Abbruch, ja, es schafft sogar eine gewisse Distanz. Reed Waller setzt die Vorgaben seiner Szenarist*innen im gleichen Geiste um. Es geht nicht darum, jemanden bloßzustellen, Behinderungen oder Vorlieben ins Lächerliche zu ziehen oder Erwartungen eines männlichen Publikums zu befriedigen.

Zeichnungen können verletzten oder wertfrei darstellen. Hier passiert das Letztere und trotzdem feiern die Zeichnungen das Leben und alles, was dazu gehört! Das ist der große Unterschied zu vielen Altmännerphantasien in der sogenannten Independent-Szene, die doch nur eine andere Art für Misogynie ist.

Wie groß die Zustimmung in der Comicwelt zu dieser Serie gewesen ist, wird vielleicht auch durch den Anhang deutlich. Reed Waller erkrankte 1993 ernsthaft an Krebs, besaß aber keine ausreichende Krankenversicherung. An dem Unterstützungsprojekt „Images of Omaha“ beteiligten sich mehr Künstler*innen als erwartet, unter anderem Will Eisner, Bryan Talbot, Scott McCloud oder Frank Miller. Die gesammelten Bilder sind Bestandteil dieses Abschlussbandes!

OMAHA 4 Anahng

Eine Graphic Novel für die Sammlung

Jede*m bleibt es selbst überlassen, welche Comics man mag. Es gibt glücklicherweise keinen Kanon! Wer sich aber für Graphic Novels interessiert, wer wissen möchte, wie Menschen interagieren, wie ziviler Widerstand gegen Großprojekte angefangen hat und wie Darstellung von gewaltfreier Sexualität sein kann, der darf hier gerne einen Blick riskieren!

Handwerklich gut gemachter Independent (und das ist in diesem Fall nicht als Entschuldigung für technisches Unvermögen gemeint!) mit teils sympathischen Figuren, eben wie aus dem Leben gegriffen. Die Aufmachung durch den Hamburger Verlag in vier dicken, aber sehr handlichen Paperbacks mit einführenden Worten passt dazu perfekt! Für mich ein Top-Tipp!

Dazu passen Die Broilers aus Düsseldorf und ein Fiege Bernstein.

© der Abbildungen 1978 – 2020 by Reed Waller & CatDancer Corporation, 2021 Verlag Schreiber & Leser

error: Content is protected !!