Interview mit Pippo von Schreiber & Leser

Eindrücke aus dem Verlagsalltag, Corona und Ausblick auf 2021

Der Verlag Schreiber & Leser aus Hamburg ist mit mehreren Titeln unter den meistgelesenen Beiträgen vertreten und hat sich auch in der Jahresbestenliste 2020 prominent platzieren können. Es wurde daher dringend Zeit, den Verlag ein wenig genauer vorzustellen und wie könnte das besser geschehen als jemand aus dem Verlag selbst zu befragen. Pippo ist derjenige, der dafür sorgt, dass alles läuft und hat comix-online gut gelaunt Rede und Antwort gestanden. Aber lest selbst:

c-o: Hallo Pippo, könntest du dich / ihr euch und den Verlag Schreiber & Leser für die Leser*innen von comix-online kurz vorstellen?

Gerne. Ich sage ja immer, dass Schreiber und Leser nicht unangefochten der älteste deutschsprachige Verlag sein mag, der speziell Grafische Literatur für Erwachsene Leser*innen herausbringt, denn etwa der einstige Feest Verlag und das ebenfalls nicht mehr existierende Carlsen-Verlagslabel Edition ComicArt entstanden ungefähr gleichzeitig direkt Anfang der 1980er, aber S&L ist in diesem Programmbereich definitiv der langlebigste Verlag. Der erste Splitter Verlag, Salleck Publications oder der Reprodukt Verlag starteten schließlich erst um 1990 herum, der Dino Verlag, der die ersten dezidiert erwachsenen US-Comics im großen Stil rüberbrachte, sogar noch etwas später, und mit den Manga ging es ja erst kurz vor der Jahrtausendwende richtig los in Deutschland. Man möge mich hier aber gerne auch in allen Punkten oder teilweise korrigieren

Das jedenfalls steht aber fest: Seit den Anfängen konzentrierte man sich bei S&L, namentlich die heutige Senior-Verlegerin und Max-und-Moritz-Preisträgerin Rossi Schreiber, auf europäische Comic-Lizenzen. Bis heute auch ist man dem italienischen (u.a. Manara, Serpieri, Hugo Pratt) und besonders dem frankobelgischen Comic treu geblieben, auch wenn das Programm mit der Zeit um US-Indie-Comics von Künstlern wie etwa Terry Moore sowie um die frühen Manga von Jiro Taniguchi erweitert wurde. Superhelden- und High-Fantasy-Geschichten liegen (aktuell) nicht im Fokus, aber darüber hinaus kennt das S&L-Programm keinerlei Einschränkungen: Uns ist nur wichtig, dass die Geschichten spannend und zeitgemäß bzw. bestens gealtert sind. S&L geht also, natürlich im krassen Gegensatz zu allen anderen Comic-Verlagen auf der Welt, ganz nach dem Motto vor: Qualität statt Masse. Das zeigt sich auch schon darin, dass wir im Monat nur sehr selten mehr als 2-3 Titel veröffentlichen.

Comics für Erwachsene

c-o: Ihr macht Comics für Erwachsene, definiert das aber anders als andere Verlage. Gibt es ein Bindeglied zwischen Serien wie Druuna oder Venus H. auf der einen und den Geheimnisvollen Städten oder Lincoln auf der anderen Seite?

Definieren die anderen Verlage das anders? Nach meinem Verständnis gibt es im Bereich der Grafischen Literatur (und wahrscheinlich der Unterhaltungsliteratur insgesamt) nur Geschichten, die sich im Spektrum zwischen All-Age-tauglich und nicht All-Age-tauglich bewegen, und wir sind mit unseren Titeln eher nicht so All-Age aufgestellt: mal aufgrund der expliziten Darstellungen von Erotik oder Verbrechen, mal aufgrund der verhandelten Inhalte, die eine gewisse Lebenserfahrung voraussetzen, um alle Nuancen zu verstehen, mal aufgrund ironischer oder anderer literarischer Verweise, die ein jüngeres Lesepublikum sehr wahrscheinlich noch gar nicht herausfiltern und erkennen kann. Da es aber zum Glück noch nie an Verlagen mangelte, die ganz bewusst All-Age-taugliche grafische Literatur herausbringen (der uralte Spruch, Comics seien nur für Kinder, kommt ja nicht von ungefähr), sehen wir da auch keine Dringlichkeit, unsere Expertise und unser nun schon viele Jahre gepflegtes Profil im Bereich der Erwachsenenliteratur komplett infrage zu stellen.

Corona

c-o: Das Jahr 2020 war geprägt von der Pandemie und Verschwörungstheorien und somit ganz anders als erwartet. Was ist bei euch anders gelaufen als geplant?

Als klar wurde, dass jetzt Stichworte wie „Lockdowns“ und „Veranstaltungsabsage“ zum Alltag gehören, haben wir erst einmal alles pausiert, was nicht zwingend zum Kerngeschäft gehört – eine Reaktion, die sicher auch bei vielen anderen Kolleg*innen zutreffen wird, denke ich. In den letzten Monaten war dann auch viel Kommunikation wichtig. Glücklicherweise durften wir aber rasch feststellen, dass wir unserer Philosophie treu bleiben können, keinen Trends zu folgen, sondern einfach auf gute, zeitlose Geschichten zu setzen. Es zeigte sich der große Wert unserer über Jahrzehnte gepflegten und gewachsenen Stammleserschaft, denn die Verkäufe blieben über das ganze Jahr 2020 stabil. Soweit ich das überblicke, teilen wir diese Erfahrung aber mit den meisten Comic-Verlagen, die ein klares Profil verfolgen und ebenso engagiert sind.

Publikumsverlage, die ein ganz breite Leserschaft ansprechen, hatten es da definitiv schwerer, da diese die Leser*innen teilweise gar nicht kennen und erst suchen und abholen müssen – wenn Geschäfte zu sind, niemand die Werbemittel mitnimmt, niemand das Marketing in den Schaufenstern sieht, haben diese Verlage natürlich ein massives Problem. Es hat sich in dieser Krise daher für uns noch mal in aller Deutlichkeit gezeigt, dass es durchaus seine Vorteile hat, als kleine Nussschale durch den großen Buchhandelsozean zu segeln statt als großer Verlagstanker, der ständig irgendwelche Bestseller- und Schnelldreherlizenzen durchboxen muss, um den ganzen Apparat am Laufen zu halten.

Aber das soll jetzt nicht respektlos klingen, denn Hut ab vor den Kolleg*innen, die in den Großverlagen arbeiten und mit Abstand größere geschäftliche Risiken eingehen als wir – aber solche Spekulationsakrobatik ist aber einfach nicht das Ding von S&L, auch wenn das heißt, das wir so definitiv nie Millionäre werden, wie die Kontoauszüge auch leider immer wieder beweisen

Ausblick auf 2021 – das Verlagsprogramm

c-o: Könnt ihr schon einen Ausblick auf das kommende Jahr werfen? Gesamtausgaben wie die Western von Serpieri und Corto Maltese sind (erstmal) abgeschlossen, was kommt jetzt? Worauf freut ihr euch am meisten?

Richtig, die zwei Serien der italienischen Comic-Legenden Hugo Pratt und Serpieri liegen jetzt abgeschlossen vor – mit den beiden sind wir aber noch lange nicht fertig! Von Serpieri etwa folgt im Sommer bereits der Auftaktband einer bibliophil aufgemachten Artbook-Reihe, u.a. mit Halbleinenumschlag und einem Sonderdruck in der kompletten Erstauflage. Der erste Band dieser Reihe mit dem Titel „West“ nimmt die Western Serpieris in den Blick, und was danach folgt, dürfte klar sein: mindestens ein Artbook von Druuna! Auch von Hugo Pratt gibt es noch ein paar Schätze zu heben, zuerst aber werden seine „Wüstensskorpione“ fortgesetzt, ebenfalls in der mittlerweile etablierten doppelten Ausführung, also einmal als Farbausgabe und dann als Klassiker-Ausgabe in Schwarz-Weiß: Der 2. Band ist für Mai 2021 geplant. Und wir hoffen natürlich, dass die beiden spanischen Erben von Pratt, der Zeichner Rubén Pellejero und der Szenarist Juan Díaz Canales, mindestens noch eine Fortsetzung von Corto Maltese abliefern.

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Es ist eigentlich immer unmöglich, das eigene Programm objektiv zu hierarchisieren. Wenn man etwas herausbringt, dann, weil man davon überzeugt ist, sonst würde man es nicht tun, vor allem nicht als Kleinstverlag. Aber so ganz persönlich gesprochen und wenn man mich zwingen würde, zumindest einen Titel hervorzuheben, dann würde meine Wahl aktuell fallen auf: Winczlav – 1. Vanko 1848! Das mag mit Blick auf die ganzen anderen Highlights im Programm 2021 vielleicht etwas überraschen, aber ich finde es einfach genial, dass die legendäre Largo-Winch-Serie jetzt ein Spin-off bekommt, das zumal die Vorgeschichte erzählt, dazu noch vom legendären Berthet gezeichnet, dessen Zeichen- und Erzählstil mich schon immer beeindruckt hat, und dann ist da noch das Comeback von Jean van Hamme. Wäre das nicht echt, man könnte es sich nicht ausdenken! Doch wer weiß, vielleicht wird dieser Ausflug den einen oder anderen Largo-Winch-Puristen auch total enttäuschen, ich aber freue mich schon enorm auf die deutsche Ausgabe und die Reaktionen der Leser*innen und bin da ganz optimistisch, dass das Dreamteam Berthet/van Hamme eine meisterliche Leistung abliefert.

Tops’n‘Flops

c-o: Für die Statistiker*innen unter uns: Welche Titel waren in 2020 Top? Und welcher Titel hat euch am meisten positiv oder negativ überrascht?

Wie erwähnt, verlief 2020 sehr stabil für uns, auch, weil wir von Experimenten oder irgendwelchen Panikreaktionen abgesehen haben, obwohl Letzteres sehr unserem Naturell entspricht hier in Hamburg. Weil aber alles so lief, wie noch vor Corona-Zeiten ausgemalt, muss man angesichts der schwierigen Umstände bei den klassischen Verkaufsstellen sagen, dass die Titel anscheinend sogar so stark waren, dass die Leser*innen mindestens einen Schritt mehr gegangen sind, um ranzukommen. Das beeindruckt uns aktuell nach wie vor und dafür sind wir allen Leser*innen da draußen sehr dankbar!

Um aber einmal zu den Zahlen zu kommen: Wie in den Vorjahren liegt die Durchschnittsauflage einer Publikation bei S&L mindestens im niedrigen 4-stelligen Bereich – einzige Ausnahme nach unten in den letzten Jahren nur die Klassik-Edition von Corto Maltese. Neben Neuauflagen von Corto Maltese, Largo Winch, Taniguchi-Manga und Bänden der Serpieri-Collection hat uns besonders die rasche 2. Auflage von „The End“ von Zep gefreut. Aktuell erscheint auch die 2. Auflage von „Shooting Ramirez“. Und wenn es so weiter geht, steuern auch „Mechanica Caelestium“, „Im selben Boot“ und der 1. Band von „Omaha the Cat Dancer“ auf eine 2. Auflage zu.

c-o: Vielen Dank! Möchtet ihr zum Schluss noch etwas mitgeben?

Im Internet steht meistens eigentlich nur Quatsch, glaubt also nicht alles, was ihr da findet!

© der Abbildungen 2021 Schreiber und Leser sowie die entsprechenden Lizenzgeber und Künstler*innen

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