I see a Darkness
Story: Reinhard Kleist
Zeichnungen: Reinhard Kleist
Originalausgabe
Hardcover Book | 224 Seiten | s/w + Sonderfarbe | 26,00 €
ISBN: 978-3-551-76000-5
Es gibt nur wenige Musiker*innen, die so bekannt sind, dass wirklich jede*r (ab einem gewissen Alter) den Namen schon einmal gehört hat. Das bedeutet nicht unbedingt, dass man die Musik auch mag, man hat sie aber auf jeden Fall im Ohr. Immer häufiger erscheinen zu diesen Künstler*innen auch (auto-)biographische Comics, etwa zu Marylin Monroe, David Bowie, Iron Maiden, KISS oder den Sex Pistols. Aus Anlass des zwanzigsten Todestages von Johnny Cash erscheint das Werk von 2006 in Neuausgabe.
Authentizität und Abstürze
Johnny Cash galt zeitlebens als einer, dem man seine Songs „abnahm“. Ihm wurde geglaubt, dass die Seelenpein, der Schmerz, die Einsamkeit und alles andere nicht nur Bausteine zu einem Erfolgshit waren, sondern selbst erlebte, zumindest aber selbst gefühlte Wahrheiten. Die Jugend des Sängers in eher marginalisierten Verhältnissen hat dazu mit Sicherheit vieles beigetragen. Cash war selbst im Knast, kannte Schlägereien nicht nur vom Hörensagen und konnte das Kindergeschrei im Nachbarzimmer nebst frustrierter Ehefrau gut beschreiben.
Der endgültige Durchbruch war der Auftritt im Gefängnis von Folsom vor einer Gruppe von Schwerkriminellen. Dieses – aufgenommene und daher immer wieder abspielbare – Konzert mit einer ganz eigenartigen Stimmung prägte den Erfolg des Man in Black. Mindestens genauso prägend waren aber die Exzesse des Musikers, seine konstanten Drogen- und Alkoholprobleme und seine innere Zerrissenheit.
Kleist beschreibt dieses Dilemma des Mannes, der weiß, dass er sich überfordert und doch nicht anders kann, sehr glaubhaft und ohne eine Wertung. Weder die erste Ehe noch die zweite mit June Carter haben ihn zu irgendetwas gezwungen. Und doch lagen musikalischer Erfolg und Glaubwürdigkeit und persönliche Niederlage sehr dicht beieinander.
Ungeschminkter Realismus
Reinhard Kleist hat im Laufe der Zeit bereits mehrere „Rock-Stars“ portraitiert. Cash war seine erste Arbeit, Nick Cave und David Bowie sollten folgen. Während letzteres fast schon zu poppig ist, ist Cash in realistischem schwarz-weiß gehalten. Lediglich ein senf-gelbes Ocker gesellt sich von Zeit zu Zeit hinzu und unterstützt.
Während die Story sehr realistisch gezeichnet ist, werden die eingestreuten Songtexte so in den Kontext aus Wort und Bild eingearbeitet, dass man beim Lesen nicht nur den Inhalt liest, sondern auch die Musik im Hintergrund „sehen“ kann. Natürlich hilft es dabei ungemein, wenn man die Stücke schon einmal gehört hat. Aber, um zum Eingangsstatement zurückzukommen: Cash kennt eigentlich jede*r.
Kleist selbst schreibt zu der Neuausgabe: „Ich habe den „Cash“-Band für die neue Ausgabe noch einmal von vorne bis hinten durchgearbeitet und habe nur an einigen Stellen den Text noch etwas verändert und angepasst. Ich glaube, nach mehrmaligem Durchlesen kann ich sagen, dass ich damals einen guten Job gemacht habe. Dramaturgisch würde ich nichts mehr ändern wollen. Das Buch hält eine gute Balance aus biografischen Fakten, Spannung und emotionaler Tiefe. Nur bei ein paar Panels habe ich dann doch gemerkt, dass ich mich zeichnerisch weiterentwickelt habe.“
Wohlwollend, aber nicht kritiklos
Werke über einen Star sind oft eine gewisse Gratwanderung. Sind sie zu positiv, wird unterstellt, dass es reine Lobhudelei sei. Sind sie zu kritisierend, ist es von Neidern verfasst worden. Kleist schafft meines Erachtens nach den Königsweg, verschweigt er doch weder die persönlichen Entgleisungen des Musikers noch seine Sucht, lässt andererseits aber keinen Zweifel an der Genialität und der Einfühlsamkeit des Mannes.
Passend zum 20-sten Todestag von Johnny Cash am 12. September 2023 bringt Carlsen eine überarbeitete, ergänzte Neuausgabe des Werkes heraus. Die Schmuckfarbe lässt einige der Szenen noch intensiver erscheinen und die zusätzlichen Zeichnungen stellen eine tolle Ergänzung dar. Zudem haben andere Länder schon lange vor uns begriffen, dass das Hardcover eigentlich die richtige Präsentationsform für Comics ist, die nicht nach einmaligem Lesen weitergereicht werden sollen.
Dazu passen natürlich Johnny Cash (Folsom Prison Blues) und ein Sierra Nevada Kellerweis.
© der Abbildungen Reinhart Kleist, Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2023