Kleist – LOW

David Bowie’s Berlin Years

Story und Zeichnungen: Reinhard Kleist

Originalausgabe

Carlsen Comics
Hardcover Book | 176 Seiten | Farbe | 25,00 €
ISBN: 
978-3-551-79363-8

Cover Kleist LOW

Rock’n’Roll ist im Sprachgebrauch fest verbunden mit Drogen, Aussetzern und psychologischen Auffälligkeiten. Zwar sterben nur die wenigsten mit 27 Jahren, bei vielen scheint das aber eher zufällig zu sein. Auch David Bowie war kurz davor, sich in seinen Kunstfiguren wie Ziggy Stardust zu verlieren. Die Abgrenzung zu sich selbst schilderte der erste Band dieser Biografie. Mittlerweile lebt der Star mehr schlecht als recht in Los Angeles und beschließt, sein Leben erneut zu verändern …

Das innovative Zentrum in der Provinz … Westberlin

1976 ist Berlin noch weit davon entfernt, wiedervereint zu werden. In West-Berlin endet jeder Weg irgendwann an der Mauer und trotzdem entwickelt sich die Stadt zu einem Ort, der künstlerische Innovationen fördert. Schon immer war Berlin Avantgarde mit Brecht, Weil oder der Berliner Brücke, in den wilden Zwanzigern war es auch das Zentrum einer alternativen, freizügigen Partylandschaft.  Und doch ist es gleichzeitig so provinziell, dass Stars wie etwa David Bowie unerkannt durch die Straßen spazieren können.

Diese Mischung ist es, die Bowie nach Westberlin zieht. Natürlich hat er Iggy Pop im Schlepptau. Bowie versucht, sich zum wiederholten Male neu zu erfinden und mietet sich in einem Plattenstudio ein, dass vorher eher Die Flippers produziert hat. Für Fans folgen nun viele Konversationen und Begegnungen mit Brian Eno, Kraftwerk, Tangerine Dream und natürlich immer wieder Iggy über „wahre“ Kunst, das Unverständnis des Mainstreams und der Plattenfirmen und die technischen Herausforderungen.

Kleist LOW page 6

Gleichzeitig muss der Star seine Drogensucht und seine Psychosen mit sich herumschleppen. Auch hier stellt Iggy eine Art Gegenentwurf dar und beschwert sich sogar darüber, dass Bowie ihn kopieren wolle. Aber auch Romy Haag, schon damals ein(e) erfolgreiche(r) Travestie-Künstler(in), stellt die richtigen Fragen. Kleist gräbt sich in die Materie ein und präsentiert das Ganze – wie etwa auch in Cash – mit einer Leichtigkeit, die die Schwierigkeit immer genau die richtigen Worte zu finden komplett überdeckt.

Chaos und Selbstdarstellung

Reinhard Kleist ist natürlich wieder für die Zeichnungen in seinem Werk verantwortlich. Mir gefällt der Gegensatz des sich selbst inszenierenden Stars, der nach androgynem Weltraumwesen, verlorenem Raumfahrer, arrogantem Dandy nun als gereifte Avantgarde auftritt und des chaotischen, in den Tag hineinlebenden Suchenden. Dieser Gegensatz findet sich auch im Seitenlayout wieder, das zwischen durchgestylt und chaotisch changiert.

Kleist LOW page 7

Selbst der aufkommende Punk hat Einfluss, nimmt er doch einiges an Druck von den Musikakteur*innen die plötzlich mehr „sie selbst“ sein dürfen (wenn sie denn wollen). Auch diese Freiheit findet ihren Weg in die Zeichnungen. Zudem ist Low nicht nur eine Biografie des Künstlers und seiner Szene, sie ist auch eine Liebeserklärung an die Stadt in der der gebürtige Hürther seit fast dreißig Jahren lebt!

Eine Empfehlung ohne Einschränkung!

Biografien sind relativ dankbare Objekte. Zwar ist es sehr schwierig, den zu porträtierenden Menschen so tief zu erfassen, dass es wirklich eine „gute“ Produktion wird. Auf der anderen Seite ist der Kreis der potenziellen Käufer*innen aber immer relativ hoch da Fans oft automatisch zugreifen. Hier allerdings lohnt sich der Kauf unbedingt und für alle, die einfach nur ein Interesse an Musik oder der Stadt Berlin haben, ebenfalls!

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Beim Lesen werden viele bekannte Melodien im Kopf ein zweites Leben beginnen und vielleicht war ja auch der eine oder die andere in den Siebzigern in Berlin. Ob junge Menschen sich damit erreichen lassen werden? Wahrscheinlich nicht, aber das macht auch nichts. Es gibt genügend Ältere, die diese Graphic Novel unter dem Weihnachtsbaum vorfinden dürften. Und sie dürfen sich schon mal darauf freuen. Es gibt im Übrigen auch eine Luxusausgabe …

Dazu passen natürlich nur „Heroes“ von David Bowie und ein Berliner Kindl.

© der Abbildungen 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

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