OST-WEST – Beobachtungen von Pierre Christin
Story: Pierre
Christin
Zeichnungen: Philippe Aymond
Originaltitel: Est-Ouest
Carlsen Comics
Hardcover | 144 Seiten | Farbe | 22 € |
ISBN: 978-3-96219-192-4
Ost-West ist die autobiographische Geschichte des Comicszenaristen Pierre Christin. Mehr als drei Jahre hat der mittlerweile 80-jährige zusammen mit dem Zeichner Philippe Aymond an dieser Graphic Novel gefeilt. Sie beginnt noch während des zweiten Weltkrieges mit der ersten Begegnung zwischen Christin und Jean-Claude Mézières, dem späteren kongenialen Partner der Valerian und Veronique-Reihe. Später sollten diese beiden sich in den USA wiedertreffen und eine lange Reise zusammen unternehmen.
Reisen, nicht zu den touristischen Sehenswürdigkeiten sondern durch die weiten Landschaften und zu den kleinen Alltäglichkeiten, und sich verweigernde Transportmittel sind Konstanten in dem Leben Pierre Christins. Nach seiner Jugend in Frankreich, die durch Literatur und Liebe zu Jazz geprägt wird, nimmt er eine Stelle im Lehrkörper der Universität von Salt Lake City an. Dort lernt er einerseits viele Errungenschaften der Moderne kennen, erlebt andererseits aber auch den zugrundeliegenden Rassismus und die Verlogenheit der amerikanischen Gesellschaft aus erster Hand. Die auf den Reisen von diesem Basispunkt aus erlebten Eindrücke werden später die ersten gemeinsamen Abenteuer im Weltraum prägen. Mézières und Christin verbringen zunächst einige Zeit gemeinsam zu zweit. Später wird Pierres Familie nachkommen doch die beiden Freunde werden sich nie wieder aus den Augen verlieren.
Während dieser Zeit entwickelt sich die Erkenntnis, dass Christins Begabung weder in der Musik noch in der Zeichnerei besteht. Ersteres wird zwar durchaus professionell als Mitglied verschiedener Jazz-Kapellen ausgeübt, aber es langt nicht zur Virtuosität. Letzteres wird nach einem Vergleich mit den Zeichnungen Girauds gar nicht mehr versucht. Immerhin beschließt der Franzose aber, es als Comic-Szenarist zu versuchen. Die ersten Gehversuche erscheinen noch unter Pseudonym um die universitäre Karriere nicht zu gefährden und Jean-Michel Charlier und René Goscinny leisten Schützenhilfe indem sie ein Beispiel eines Comicszenarios zeigen, aber schon bald entwickelt Christin seinen eigenen Stil und die ersten Werke, umgesetzt von Tardi und Mézières erscheinen.
Nach den Wirren der Revolte Ende der sechziger Jahre, dem Verlust des Glaubens an die Segnungen des amerikanischen Materialismus und der Erkenntnis, dass die östliche Lebenswirklichkeit nur durch eigene Erfahrung und Anschauung erkannt werden kann, bricht Christin erneut zu langen Reisen auf. Auf der anderen Seite des Vorhangs erlebt er andere Weiten, andere Begrenzungen und daraus angeleitete Wünsche, die der amerikanischen Lebenswelt einerseits total entgegengesetzt sind, andererseits in der Abstrahierung dann wieder ähnlich. Dazu kommen Pannen, die – wie Andreas C. Knigge in seinem Nachwort vermerkt – den Reisenden immer wieder aus seinen Träumen in die Wirklichkeit zurückholen.
Neben den bereits erwähnten Comicschaffenden haben auch Annie Götzinger und Enki Bilal ihren Auftritt.
Alle geschilderten Abschnitte sind immer wieder mit Beziehungen zu den in der jeweiligen Zeit erschienenen Comics versehen, so dass wir als Leser*innen immer wieder eigene Leseerfahrungen und Erinnerungen mit den geschilderten Auslösern in Beziehung setzen können. Dadurch ist die Autobiographie viel näher am eigenen Leben als typischerweise wenn maximal äußere Begebenheiten das Leben des Akteurs und des Rezipienten verknüpfen.
Der Zeichner Philippe Aymond ist in Deutschland vor allem durch die Serie Lady S. bekannt. Nach dem Erscheinen einzelner Bände im ZACK-Magazin bzw. der ZACK-Edition wird die Serie jetzt komplett neu im ALL-Verlag erscheinen.
Aymond variiert in seiner Seitenaufteilung zwischen ganzseitigen Illustrationen und zwei- bzw. dreireihigem Layout. Die Erinnerungen Christins sind als Textzeilen wiedergegeben die von Sprechblasen ergänzt werden. Der in Frankreich spielende, die westlichen und östlichen Reisen verbindende Teil ist teilweise in schwarz-weiß wiedergegeben. Die farbigen Panele sind mit einer gedämpften Farbpalette gezeichnet. Nie drängt sich dadurch ein Detail in den Vordergrund, immer steht die gesamte Komposition im Blickfeld. Dabei beherrscht Aymond die in die unendliche Weite gehende Landschaft genauso gut wie die detaillierte fokussierte Nahaufnahme.
Abgerundet wird die durch das Hardcover sehr hochwertige Ausgabe durch einen mehrseitigen Beitrag von Andreas C. Knigge über eine Reise mit Pierre Christin in den Süden. Die beiden haben eine lange gemeinsame Geschichte und hatten unter anderem einen internationalen Sammelband mit Eindrücken zum Fall der Mauer und dem Ende der Sowjetunion herausgegeben. Dadurch werden noch einmal andere Zugänge zu Pierre Christin ermöglicht.
Dazu passen Kaffee und alter Jazz, etwa von Miles Davis, etwa das 1959 erschienene Kind of Blue.
© der Abbildungen 2019 Carlsen Verlag GmbH
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