Das Frühwerk
Story: Claude Renard
Zeichnungen: François Schuiten
Originaltitel: Metamorphoses
Hardcover | 176 Seiten | Farbe | 34,80 € |
ISBN: 978-3-96582-102-6
Es gibt ein paar Große der Comicwelt, die es auch heute noch schaffen, ihre Werke in einen Zusammenhang zu stellen. Auch wenn formal betrachtet die Bände unabhängig voneinander sind, kann man teilweise doch gleiche Motive erkennen und eine Entwicklungslinie ziehen. Einer davon ist François Schuiten, hauptsächlich bekannt für seine Geheimnisvollen Städte, die er zusammen mit Benoît Peeters entwickelt hat. Dass er schon vorher in dieser Richtung unterwegs war, belegt das Frühwerk mit Claude Renard eindrücklich!
Experimentelle Arbeiten, die Schichten aufdecken
Der Band mit unterschiedlichen Geschichten heißt nicht umsonst Metamorphosen! Alle Geschichten haben mehrere Ebenen, die Oberfläche hat nicht unbedingt etwas mit dem Darunterliegenden zu tun und nichts endet wie geplant. Den Anfang macht eine von den beiden Künstlern zusammen entwickelte Story mit Bleistiftzeichnungen. Die Mediane von Zymbiola verknüpft mehrere Handlungs- und Zeitebenen. Es geht um Architektur, gesellschaftliche Weiterentwicklung und Macht. Wie immer gibt es Forschende und solche, die nur auf die eigenen Pfründe schauen. Und die Reaktion ist nicht immer bereit, zu unterscheiden.
Express ist der Versuch der Beiden, bei etwas Neuem mitzumachen. Plötzlich waren Comics nicht mehr minderwertig, sondern Kunst und Literatur ebenbürtig und z.B. Portfolios möglich. Schuiten und Renard haben eine Folge von 8 Blättern entworfen, die ohne Worte erzählen, wie ein Zug sich zu etwas Anbetungswürdigem verwandelt und gleichzeitig eine erotische Eskapade ihren Lauf nimmt.
Den Abschluss bildet Das Gleis: ein Funktionär muss erkennen, dass er und das, für das er steht, nicht mehr gewollt ist und Neues sich Bahn bricht. Immer wieder stehen Züge im Mittelpunkt von Geschichten von Krimis oder auch Science-Fiction-Serien, weil sie Technik und Beherrschbarkeit der Umgebung mit der Situation des Eingeschlossen- und Ausgeliefertseins verbinden. Es gibt kein Entkommen!
Gelungene Experimente!
Die Verknüpfung von Form und Inhalt wird hier teilweise auf die Spitze getrieben. Formalisierte Konzepte erlauben nur kleine Veränderungen, die erst in ihrer Abfolge wirksam werden. Die Geschichte in der Geschichte, die trotzdem Crescendo und Beruhigung teilt, ist mehr als eine Spielerei. Und die Verknüpfung von Architektur und Gesellschaftskritik über die Zeiten hinweg ist ein spannender Einfall, der das Lesen zum Genuss macht.
Wer die schnelle Lektüre sucht, wird hier sein Glück nicht finden. Wer aber Spaß hatte an der Dekonstruktion der klassischen Erzählweise, an den neuen Möglichkeiten, die Metal Hurlant bot, der sollte hier zuschlagen!
Schöne Ergänzung zu den Geheimnisvollen Städten
Der Band mit dem Frühwerk von François Schuiten ergänzt die Reihe nahezu perfekt. Auch ohne Kenntnisse ist er aber ein Leckerbissen der besonderen Art, der durch die Skizzen im Anhang noch einmal gewinnt. Sehr schön präsentierte anspruchsvolle Sachen die der Bezeichnung „Neunte Kunst“ vollauf gerecht werden!
Dazu passen David Gilmour mit „In Any Tongue“ und ein trockener Bordeaux.
© der Abbildungen 2022 Casterman / Verlag Schreiber & Leser