Schnurrer – Das war Schwermetall 2

Band 2: 1988 – 1999

Texte zur graphischen Literatur Band 4

Text: Achim Schnurrer

Verlag Volker Hamann Edition Alfons

Paperback | 240 Seiten | Farbe | 24,95 €

ISBN: 978-3-946266-22-8

Schwermetall?

Das Comicmagazin Schwermetall war eine der langlebigsten Comicpublikationen Deutschlands und hat sicherlich einen prägenden Einfluss auf eine ganze Menge von Comicleser*innen gehabt. Wenn ich dem Autor glauben darf, waren die Geschlechter durchaus ungleich verteilt aber beide vorhanden. Das Magazin lebte von seiner Vielfalt in der Themenauswahl, der dargebotenen Stilrichtungen, dem Ruf der abgedruckten Künstler*innen, vor allem aber sicherlich wegen seiner Freizügigkeit.

Achim Schnurrer war die letzten 14 Jahre Chefredakteur von Schwermetall und dem Schwestermagazin U-Comix, später auch Verlagsinhaber der Edition der Comics. Dieser Verlag übernahm in den 90-ern den Alpha Comic Verlag und die beiden Magazine sowie diverse Albenpublikationen. Der erste Teil des Rückblicks ist bereits vor einiger Zeit als Band 2 dieser Reihe erschienen.

Achim Schnurrer erzählt in einem sehr launigen Stil anhand der Cover und Inhaltsverzeichnisse der Ausgaben 100 bis 219/220 und verrät dabei die eine oder andere Episode mit diversen Künstler*innen oder Freund*innen der Neunten Kunst. Schwermetall richtete sich explizit nur an Erwachsene und brachte die Inhalte von Metal Hurlant, Charlie Mensuel, Hara Kiri oder Zona nach Deutschland. Dazu gab es immer wieder auch deutsche Beiträge, die dann teilweise sogar den umgekehrten Weg gingen. Moebius, Andreas oder etwa Miguelanxo Prado fanden so ihren Weg nach Deutschland. Daneben gab es aber auch Künstler wie Magnus, Serpieri oder Denis Sire deren Werke eher dicht an pornographischer Natur waren.

Wer in diese Zeit eintauchen möchte, findet mit den Erinnerungen von Achim Schnurrer, die dieser in Art einer Kaminfeueratmosphäre erzählt, sicherlich einen guten Einstieg. Wer damals in der Sprechblase die Erinnerungen von Peter Wiechmann verfolgt hat, weiß, was ich meine.

Strong arm of the law

Wie könnte es anders sein: Immer gibt es jemanden, der sich an der Kunst stört, sie nicht versteht und deshalb glaubt, andere davor beschützen zu müssen. So war es auch damals: Ein Staatsanwalt meinte jugendgefährdendes Material in Comics im Allgemeinen, im speziellen aber in solchen des Alpha Comic Verlages zu finden. In einer beispiellosen Verfolgungswelle wurden Verlag, Auslieferung und hunderte Buchhandlungen in ganz Deutschland durchsucht, absurde Konstrukte in die Welt gesetzt (etwa, dass das Cover „Maus“ von Spiegelman den Nationalsozialismus verherrliche) und verschiedenste Prozesse angestrengt.

Damals gab es eine große Welle der Solidarität und viele der Verfahren wurden eingestellt. Im Ergebnis waren aber Kunst der Comics/Alpha Comic und die Auslieferung Packwahn pleite und Schwermetall und U-Comix verschwanden von der Bildfläche. Sehr emotionale Ausführungen dazu in diesem Band! Natürlich stehen diese Anfeindungen in einer langen Deutschen Tradition gegen sog. Schmutz und Schund. Und ebenso natürlich kommen viele Argumente aus den USA von dem berüchtigten Herrn Wertham und galten schon damals als widerlegt. Der Schaden war aber angerichtet!

Ein weißer, alter Mann regt sich auf

Schnurrer schlägt allerdings einen großen Bogen von der größtenteils  berechtigten Kritik an der überzogenen Reaktion des Staates gegen „die Kunst“ zu der heutigen Debatte um Rassismus, Sexismus und korrektes Verhalten. Der sich selbst als weißen, alten Mann bezeichnende Autor will nicht verstehen, dass sich Künstler (sic!) die Frage gefallen lassen müssen, ob ihre Geschichten frauenverachtend und gewaltverherrlichend sind! Es ist alles andere als Zensur, wenn sich Minderheiten über die Behandlung durch Mehrheiten beschweren, wenn Frauen misogyne Erzählungen kritisieren und nicht mehr unter dem Label der Kunstfreiheit hinnehmen wollen.

Hier zeigt sich leider sehr deutlich, dass Nutznießer der Macht (also Männer in führenden Positionen) dazu neigen, jede Kritik als unberechtigt abzutun. Dabei kommen allerdings sehr witzige Konstrukte zum Vorschein, wie etwa, dass  ein Künstler, der Frauen auf ihre ständige Verfügbarkeit als Sexobjekt reduziert und die entsprechenden Handlungen auch aus allen Perspektiven voyeuristisch darstellt, ja eigentlich Kritik an dem eindimensionalen Männerbild übe.

War im ersten Teil die Auseinandersetzung mit diesem Thema noch gänzlich unterblieben, hat Schnurrer sie hier in einem Extrakapitel wenigstens geführt. Leider nicht mit sich selber, mit einer zeitgebundenen Einstellung die aus heutiger Sicht anders zu betrachten wäre, sondern nur mit den seiner Ansicht nach moral-getriebenen Kritikern, die schon wieder Zensur ausüben wollten.

Im letzten ZACK gab es einen gut hergeleiteten Kommentar über die Vergleichbarkeit von Sex-Shops und Comic-Läden in den 70-er Jahren. Leider beweist Achim Schnurrer wie wenig abwegig dieser Vergleich war. Comic-Läden haben sich seitdem sehr stark geändert und die Comic-Kultur hat sich weltweit geöffnet und entwickelt. Für einige der alten Protagonisten gilt das leider nicht!

Fazit

Die Texte zur graphischen Literatur wollen einen Einblick in die faszinierende Welt der Comics und darüber hinaus bieten. Das gelingt sicherlich! Außerdem ist dieser Band natürlich eine Fundgrube für alle Statistiker*innen unter uns: was ist wann und wo erschienen, inklusive Originaltitel und Erstveröffentlichungsangaben. Wie immer bei der Edition Alfons lobenswert und hilfreich.

Auch die launigen Erinnerungen an die Zeit von Schwermetall sind auf jeden Fall ein Zeitdokument und somit interessant. Die Statements zur aktuellen Debatte werden dagegen hoffentlich nicht unwidersprochen bleiben.

Dazu passen eine Kanne Kaffee und die Lassie Singers!

© der Abbildungen 2020 by Achim Schnurrer / Edition Alfons

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