Der Wolf
Story: Jean-Marc
Rochette
Zeichnungen: Jean-Marc Rochette
Originaltitel: Le Loup
Hardcover | 112 Seiten | Farbe | 22,00 € |
ISBN: 978-3-95728-378-8
Diese Graphic Novel könnte so vieles sein: eine Rachegeschichte, eine Erzählung über die Urgewalten der Natur, über das Entstehen von Respekt aber auch eine vom rauen Leben in den Bergen. Definitiv ist sie aber ein Beitrag zur aktuellen Debatte über die Neuansiedlung von Wölfen in Europa.
Die Story
Gaspard lebt als Schäfer ganz alleine mit seinem Hund in den Bergen. Von Zeit zu Zeit kommt die Post und einmal im Jahr treibt er seine Herde in das Tal wenn der Winter kommt und die Tiere für den Schlachthof verladen werden. Er ist sich selbst genug und lebt im Einklang mit der Natur. Er jagt und versorgt sich selbst und behütet seine Schafe.
Sein natürlicher Gegner ist – neben den Unbillen der Natur – der Wolf, denn dieser versorgt sich ebenfalls selbst und jagt, allerdings eben auch die Schafe, die Gaspards Lebensunterhalt dienen. Sie stehen aber auch unter dem Schutz der Ranger. Eines Tages erlegt Gaspard eine alte Wölfin, ihr kleiner Welpe überlebt zunächst unbemerkt. Im Laufe der kommenden Zeit bemerkt Gaspard ihn, will ihn aber noch nicht töten, da er aktuell keine Gefahr darstellt.
Gaspard hat durchaus Verständnis für seine „Mitbewohner“ der Bergregion; einem Adler überlässt er die Eingeweide eines gerade geschossenen Rehs und auch dem kleinen Welpen helfen diese Gaben groß und stark zu werden bis eines Tages wieder Tiere aus Gaspards Herde getötet werden. Es entwickelt sich ein dramatischer Kampf auf Leben und Tod in den tief verschneiten Bergen und als auch noch ein tagelang wütender Sturm aufzieht, müssen beide um ihr reines Überleben kämpfen. Es kommt zum „Show down“ als sich die beiden Antagonisten verletzt gegenüberstehen.
Die Zeichnungen
Jean-Marc Rochette hat nicht nur ein grandioses Szenario geschrieben, sondern auch überragend illustriert! Seine Berge und Landschaften lassen die Leser*innen die Schönheit der Natur fast riechen, allerdings auch die unpersönliche Gefahr. Ein Fehler und die Felsspalte hat dich verschluckt! In der echten Natur gibt es keine Bambi-Romantik, die dem Kitz hilft, wenn die Ricke nicht mehr da ist. Und genau diese atemberaubende Urgewalt ist in den Bildern zu spüren! Dazu passt dann auch, dass viele Seiten ohne Text auskommen!
Rochette hat Ehrfurcht vor der Natur, den Jägern und den Opfern aber gleichermaßen auch vor dem Mensch, der sie annimmt, um mit der Herde und dem Hund dort draußen zu leben. Er verzichtet auf ein moralisch wertendes Gut-Böse-Schema und er beschreibt, dass es in der Natur keinen Platz gibt für die menschengemachten Freund/Feind-Schemata, sondern nur für eine Schicksalsgemeinschaft, die keinen Herrscher kennt, kein Gewinnstreben und keine Profitmaximierung.
Das Nachwort von Baptiste Morizot weist darauf hin, dass es (auch in Frankreich) immer schwieriger wird, Nachfolger für die in den Ruhestand gehenden Schäfer zu finden, dass die wieder angesiedelten Wölfe weder verklärt werden dürfen noch verteufelt, und dass der spätindustrielle Mensch seine Mitte möglicherweise verloren hat. Alle diese Gedanken finden ihren Ursprung in der vorliegenden Graphic Novel!
Die Empfehlung
Der Wolf gehört für mich zum Besten, was bisher in diesem Jahr erschienen ist! Eine mehrschichtig zu lesende Story, erfreulich entschleunigt in dieser hektischen Zeit, grandiose Zeichnungen in einer sehr stimmigen Hardcoverausgabe! Erfreulich finde ich auch den Mut zu kritischen Fragen, die ohne vorgefertigte mit Sendungsbewusstsein verbreitete Antworten daher kommen und die Leser*innen zum Denken auffordern. Must have gerade in diesen Zeiten, in denen wir uns wieder auf uns besinnen müssen und nicht mehr dem lauten Verdrängen föhnen können.
Dazu passen ein Obstbrand und die Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg.
© der Abbildungen Casterman/ Jean-Marc Rochette 2019/Knesebeck-Verlag 2020