Worley/Waller – Omaha 2

Omaha the Cat Dancer – Band 2

Story: Kate Worley
Zeichnungen: 
Reed Waller

Originaltitel: The Omaha The Cat Dancer Series 2

Schreiber und Leser

Klappenbroschur | 256 Seiten | S/W | 29, 80 € |

ISBN:  978-3-96582-038-8

nur für Erwachsene

Mit dem zweiten Sammelband der Geschichten über die Tänzerin Omaha und ihre Freund*innen von Kate Worley und Reed Waller bringt der Hamburger Verlag Schreiber & Leser wiederum eine Perle der Comicliteratur nach Deutschland. Die Serie zählt zu den bekanntesten Independent-Klassikern der 80-er Jahre aus den USA und wird oft fälschlicherweise mit Fritz the Cat verglichen. Sie ist aber im Gegensatz zu ihm nicht einer zu hinterfragenden Männerphantasie entsprungen, sondern erzählt aus mehreren Blickwinkeln eine relevante Geschichte. Mehr dazu bei Band 1.

Beziehungsdrama und Krimi, feministisch und queer in einem

Omaha ist vor allem vielseitig: eingebettet in einen fortlaufenden Handlungsablauf wird von Beziehungen und ihren Problemen erzählt. Bemerkenswert für die damalige Zeit ist, dass dabei hetero- und homosexuelle selbstverständlich gleichwertig nebeneinanderstehen. Außerdem werden Abhängigkeitsverhältnisse, Unehrlichkeiten und Treue thematisiert. Es geht aber auch um Politik, Korruption und das Ausnutzen christlich-fundamentalistischer Strömungen für Gentrifizierungsansätze, Erpressung und sogar Mord.

Die Schönheitstänzerin und titelgebende Heldin Omaha ist verliebt in einen Kater, der sich als reicher Erbe (wider Willen) entpuppt. Nun müssen beide damit umgehen, dass plötzlich viel Geld und Verantwortung vorhanden ist. Die Rollenmodelle in der Beziehung werden hinterfragt und die Kommunikation lässt zu wünschen übrig. Währenddessen müssen ihre durch einen Unfall an einen Rollstuhl gefesselte Freundin und ihr Freund und Betreuer klären, ob Arbeits- und Privatbeziehungen kombinierbar sind und wie eine nicht bevormundende Betreuung und Hilfe funktionieren kann.

In einer Parallelstory versuchen Kriminelle ein etwas herunter gekommenes Stadtviertel zum Sanierungsgebiet zu machen, um möglichst viel Geld damit verdienen zu können. Die Mittel zum Zweck sind egal und brutal. Natürlich gibt es in diesem Zusammenhang auch genügend Vertreter mit Doppelmoral.

Und nicht zuletzt geht es um Emanzipation: eigenständige Frauen mit eigenen Rechten, eigener Verantwortung und beruflicher Gleichstellung! Während das Thema unterschwellig immer mitspielt, wird es teilweise sehr deutlich und greift nicht nur Männer an, sondern auch die Frauen, die die Unterdrückung zementieren.

Die grafische Umsetzung

In jeder der einzelnen Folgen hat das eine oder andere Pärchen irgendwann Sex, der auch explizit dargestellt wird. Im Regelfall geht es dabei aber um einvernehmliche Handlungen. Eine Überschreitung eines NEIN wird zwar einmal gezeigt, aber nur um als solche auch thematisiert werden zu können.

Wer also Omaha auf Sex reduzieren würde, täte diesem Independent-Klassiker Unrecht! Terry Moore erklärt dann auch in einem der beigefügten Artikel wieviel er für seine eigene Serie Strangers in Paradise von Omaha kopiert bzw adaptiert hat und wie stark er Worley und Waller für ihre Serie bewunderte.

Alle handelnden Akteur*innen sind Tiere. Einige davon symbolisieren klischeehafte Vorurteile, andere sind eher neutral. Durch diesen Trick werden einerseits ein paar Verbote im Bereich der bildhaften Darstellung umgangen, andererseits erlauben die Erwartungen an bestimmte Tiere natürlich auch eine fabelhafte Übertreibung und Symbolisierung. Obwohl Independent, haben die Zeichnungen nichts Unreifes an sich. Sie sind pointiert, detailliert und handwerklich auf hohem Niveau. Das Spiel mit Schatten und Schraffuren kommt mir persönlich zwar etwas zu kurz, wenn es aber da ist, ist es großartig!

Die Wertung

Für erwachsene Liebhaber von gesellschaftskritischen Serien, für Fur-Fans und für Leser*innen (!) anspruchsvoller erotischer Comics eine echte Empfehlung! Schöne Aufmachung im Klappenbroschur mit fast schwarzem Cover und zwei Beiträgen von Dennis Kitchen und Terry Moore. Ein Independent-Klassiker der Kategorie „Auch heute noch lesenswert“.

Dazu passen die Klänge der modernen Ska-Combo „Bite me Bambi“ und ein etwas herber Schlehen-Gin-Coktail.

© der Abbildungen 1978 – 2020 Reed Waller / Verlag Schreiber und Leser

Posy Simmonds – Cassandra Darke

Eine Weihnachtsgeschichte

Story: Posy Simmonds
Zeichnungen: 
Posy Simmonds

Originaltitel: UK Cassandra Darke

Reprodukt

Hardcover | 96 Seiten | Farbe | 24,00 € |

ISBN:  978-3-95640-196-1

Eigentlich gibt es für Comics, die hier besprochen werden, eine von zwei Begründungen: Entweder sind sie neu oder aber so erwähnenswert, dass sie im Rahmen der Klassiker des Quartals bzw. im Serienkompass vorgestellt werden. Cassandra Darke ist von 2019 und fällt in keine Kategorie. Damals ist mir der Band irgendwie durchgegangen aber zum Glück steht ja auch in diesem Jahr Weihnachten vor der Tür und so kann ich Versäumtes wieder gut machen!

Weihnachten für Weihnachtsmuffel und Krimifans

Cassandra Darke ist oder besser war eine Kunsthändlerin aus London. Nach Jahren der Trennung war sie in die Galerie ihres Ex-Mannes wieder eingestiegen und hatte nach seinem Tod ein paar „kreative“ Geschäfte getätigt, die deutlich mehr Kund*innen mit „echten“ Kunstwerken versorgten als es eigentlich möglich gewesen wäre. Da Cassandra zudem boshaft ist und egozentrisch obendrein fällt sie tief als der Betrug aufgedeckt wird.

Nun ist Weihnachtszeit, alle Welt tätigt (vor Corona) ihre Einkäufe in überfüllten Läden mit kitschiger Musik, Cassandra aber hasst Weihnachten, und Gedenkgottesdienste, und noch vieles mehr. Sie ist also „bester“ Stimmung und genau deshalb passt das Album auch so gut in diese Jahreszeit!

In Rückblicken erzählt die Autorin und Zeichnerin Posy Simmonds davon, wie Cassandra die junge Aktionskünstlerin Nicki aufgenommen hat und von dieser in eine zwielichtige Kriminalgeschichte hineingezogen wird. Ein Gangster bekommt unter ihrer Nummer zweifelhafte Nachrichten und das Übel nimmt seinen Lauf: Es gibt Überfälle, Tote, ein wenig Slapstick aber auch immer wieder kleine liebenswerte Szenen in all dem Unmut!

Natürlich geht die Geschichte tragisch aus! Aber auch irgendwie weihnachtlich, also mit einer Art Happy End.

Die Zeichnungen

Das Werk ist mehr eine Collage verschiedener Stilrichtungen als ein Comic im herkömmlichen Sinne. Es gibt Bilder mit Sprechblasen die jedoch teilweise eingebettet in Seiten mit dominierenden Textpassagen. Manchmal ist auch nur ein Panel weggelassen und stattdessen hat sich ein Text dort eingenistet, oder etwas, das aussieht wie eine Vorzeichnung, hat sich dort breitgemacht. Manchmal treiben diese Bilder die Leser*innen zu einer wahnwitzigen Geschwindigkeit, manchmal strahlen sie eine solche Ruhe aus, dass das Ganze entschleunigt.

Nie aber ist eine der Seiten langweilig! Und das ist genau der Grund, warum Cassandra Darke dann doch noch den Weg hierher gefunden hat; der Band ist einfach großartig und bespielt mit tiefschwarzem Humor, einer klugen Story und tollen Figuren eine riesige Bandbreite an Emotionen. Die Zeichnungen und die dargestellten Personen sind nicht schön, aber ehrlich. Selbst die Statisten in der Bar haben erkennbare Gesichter, Eigenschaften und lassen ein Eigenleben erahnen und das macht die Geschichte aus. Nie ist sie eindimensional.

Die Ausgabe

Reprodukt macht schöne Bücher! Auch dieses ist mal wieder ein Beweis dafür. Ein festes Hardcover mit Effektlack, dickes, ganz leicht glänzendes Papier, das die Farben gut präsentiert und dann auch noch ein weihnachtliches ExLibris! Der Deutsche Verlagspreis 2020 kam nicht von ungefähr!

Definitiv auch in diesem Jahr noch ein Tipp für eure Sammlung oder aber zum Verschenken für alle, die England, seine schrulligen Leute und den speziellen Humor mögen, Krimifans sind oder aber Weihnachten mit all seinen Filmen und der immer gleichen Musik nicht ganz ernst nehmen können.

Dazu passen die Roten Rosen mit ihrer Weihnachts-CD, die sich ebenfalls an diesem Thema abarbeiten, und ein Gin-Tonic mit einer Zimt-Kardamom-Note.

© der Abbildungen 2018 Posy Simmonds / 2019 Reprodukt

O´Barr – The Crow

Ultimate Edition

Text: James O´Barr

Zeichnungen: James O´Barr

Originaltitel: The Crow

dani books

Hardcover | 272 Seiten | S/W, Farbe | 25,- €

ISBN: 978-3-95956-130-3

Der Hintergrund – Tragik im Doppelpack

The Crow ist im eigentlichen Sinne (Selbst-)Therapie. James O´Barr konnte es sich nicht leisten, mit seinem kaputten Auto noch einmal von der Polizei angehalten zu werden und hatte deshalb seine Freundin gebeten, ihn abzuholen. Diese war auf dem Weg zu ihrem Auto angefahren und tödlich verletzt worden. O´Barr rutschte daraufhin in eine Spirale aus Selbstmitleid und Selbsthass und konnte sein Tief nur dadurch überwinden, dass er begann The Crow zu zeichnen.

Diese düstere Graphic Novel hatte erstaunlicherweise großen Erfolg und sollte verfilmt werden. Am Set starb Brandon Lee auf tragische Weise und wieder begann die Spirale von neuem. Natürlich ist im weiteren Sinn der Autor des verfilmten Werkes der Anlass für eine Verfilmung, von persönlicher Schuld wird man aber in beiden Fällen nicht sprechen können. Trotzdem ist es natürlich richtig, dass man sich selber vergeben muss auch wenn man unberechtigte Schuldgefühle loswerden muss. Die Story ist daher in mehreren Teilabschnitten entstanden, hat sich entwickelt und liegt jetzt erstmals in dieser kompletten Fassung auf Deutsch vor.

Die Story – Ein Wutbürger sieht rot

Die Geschichte lässt sich auf zweierlei Weisen lesen:  Die eine ist eine zutiefst romantische. Der Held ist so voller Liebe, dass er nicht loslassen kann. Die beiden sind nicht nur für immer sondern sogar für ewig verbunden. Dazu passen dann auch einige der melodramatischen Szenen dieses Comics und natürlich auch das Kostüm, das sich der tote Eric gibt.

Die andere ist eine selbstsüchtige, Gesellschaft und Rechtsstaat verachtende, zutiefst reaktionäre Männlichkeitsideale feiernde Rachestory. Wie etwa auch in ein Mann sieht rot oder in Rambo stellt sich ein Mann über die Regeln, ernennt sich zum Ankläger, Richter und Vollstrecker in einer Person und zieht mordend und brandschatzend durch die Gegend. Nicht nur die fünf Crack-Junkies die Eric und seine Freundin vergewaltigt und ermordet haben unterfallen dem Richtspruch, weitere (zugegebener Weise nicht Unschuldige) werden ebenfalls hingerichtet. The Crow nimmt es sich sogar heraus, zu entscheiden ob sein Gegenüber einen schnellen oder langsamen, qualvollen Tod verdient habe.

Ich will jetzt nicht sagen, dass das Lesen eines Comics wie diesem irgendwelche Mordbrenner inspiriert auf Amoktour zu gehen. Ich muss aber zugeben, dass ich den Comic, den ich das letzte Mal vor 25 Jahren gelesen habe, damals anders bewertet habe und nun den Hype darum nicht mehr wirklich nachvollziehen kann.

Die Ausgabe

Jano Rohleder hat sich sehr viel Mühe gegeben und es hat sich gelohnt! Das Cover hat eine leicht weiche Anmutung, der Band enthält mehrere Vorworte, alle im Nachhinein erschienenen Zeichnungen und wurde komplett neu übersetzt. Es gibt gleich zwei verschiedene limitierte Ausgaben mit einem oder zwei signierten ExLibris und für alle, die beweisen können, dass sie das Werk legal erworben haben, sogar eine digitale Ausgabe als Gratiszugabe!

Die Zeichnungen von O´Barr sind zum Teil wirklich hochklassig und transportieren sowohl die Brutalität als auch die Romantik. Durch die farbigen Zeichnungen im Anhang wird noch einmal ein ganz anderer Zugang ermöglicht und O´Barr muss seine Fähigkeiten keinesfalls in Zweifel ziehen. Insgesamt bleibt also ein sehr zwiespältiger Eindruck: gutes Artwork in guter Aufmachung aber grottenüberflüssige Machostory.

Dazu kann eigentlich nur Musik passen, die sich selbst nicht ernst nimmt und dadurch die Balance wieder herstellt: Kapelle Petra und als Getränk ein Root Beer.

© der Abbildungen © 2020 James O’Barr. All Rights Reserved/ dani books

Madsen/Kure – Walhalla 2

Die gesammelte Saga Band 2

Story: Peter Madsen nach Hans Rancke, Per Vadmand & Henning Kure
Zeichnungen: 
Peter Madsen

Edition Roter Drache

Hardcover | 196 Seiten | S/W und Farbe | 40,00 € |

ISBN:   978-3-96815-006-2

Tja, zur Gesamtausgabe und den Hintergründen der Serie habe ich alles schon in der Besprechung des guten ersten Bandes gesagt. Die nordischen Götter stehen im Mittelpunkt wie auch die Göttinnen, Riesen und einige Menschen natürlich auch. Es geht den Autoren vor allem um eine moderne Darstellung der nordischen Mythen, abseits von verstaubten Texten und mit Schalk im Nacken neu erzählt.

Ein Film versetzt den Schwerpunkt ein wenig

Und doch kommt im Leben alles immer anders. Der große Erfolg der Serie hat damals (wie heute) alle überrascht und so verwundert es nicht, dass der Wunsch nach laufenden Bildern aufkam. Was im Comic funktioniert muss aber auf der Leinwand noch lange nicht passen und andersrum natürlich genauso. So musste erst einmal viel Arbeit in die Planung des Films gesteckt werden. Das eigentliche Konzept, für ein Album auf ein oder zwei Mythen aufzusetzen, wollte für den Film nicht so recht passen, und so kam es, dass eine eigentlich als Nebenfigur erdachte Figur plötzlich im Mittelpunkt stand: Quark! Der kleine Riese ist nervig, quirlig, einfallsreich und somit perfekt für eine generationenübergreifende Hauptrolle geeignet.

Für den Comic musste die Filmstory überarbeitet werden um dem Serienkonzept wieder näher zu kommen und so wurde ein Zweiteiler daraus: Quark trumpft auf und Im Reich der Riesen erschienen als Band 4 und 5. Zunächst einmal lässt Loki, der immer mal ein bisschen über den Durst trinkt und dann mit den Folgen leben muss, sich reinlegen und muss den kleinen Quark mit nach Hause nehmen. Eigentlich soll natürlich er sich um die Erziehung kümmern, er schafft es aber, andere mit der Aufgabe zu belasten und auch noch Unfrieden zu säen. Das Ende vom Lied ist, dass alle Erwachsenen Quark so schnell wie möglich wieder loswerden wollen, die kleine Röskva aber seine wahre Natur erkennt und auch Tjalfi auf ihre Seite ziehen kann.

Schlussendlich beschließen Thor, Loki und die Kinder aufzubrechen um Quark Utgardloki zurückzubringen. Dabei werden sie von einer List der Riesen getäuscht (und hier ist dann wieder eine Mythe der Hintergrund) und müssen sich geschlagen geben. Dabei spielen ein Feuer, das Meer, die Midgardschlange und das Alter große Rollen. Und auch die Sache mit Quark findet ein positives Ende; die Autoren hatten keine Lust, den Quirl auch noch die Serie aufmischen zu lassen.

Den Abschluss dieses Bandes machen Die Goldenen Äpfel. Die Bewohner*innen Asgards sind keinesfalls vor den Unbillen des Alterns gefeit. Nur wenn sie jährlich von den goldenen Äpfeln Iduns essen bleiben sie jung. Es gibt eine Mythe über die Tochter eines Riesen, Skadi, die die Asen herausfordert und die Göttin Idun entführt. Eben diese Geschichte wird hier neu erzählt. Natürlich bringt Loki wieder alle in Gefahr und ebenso natürlich wird die Situation im Endeffekt wieder glücklich bereinigt werden.

Die Zeichnungen

Dankenswerterweise enthält die Gesamtausgabe so viel zusätzliches Material, dass einerseits Vorzeichnungen und Studien den Werdegang der Akteure nachvollziehbar machen. Es wird aber auch deutlich, welche Unterschiede zwischen Film und Comic bestehen und wieviel Arbeit notwendig war, beides glaubwürdig darstellen zu können.

Ansonsten lassen die Illustrationen erahnen, dass die Zeichnungen auch ganz anders hätten ausfallen können: erwachsener und düsterer. Man hat sich aber bewusst für diese familienfreundliche Version entschieden, die dem Inhalt eine möglichst weite Verbreitung erlaubt. Auch das ist eine Entscheidung, die nicht hochgenug gewertschätzt werden kann! Es geht nicht um Selbstverwirklichung wie in so mancher modernen Graphic Novel sondern um das gesteckte Ziel.

Trotzdem zeigen die Zeichnungen einerseits die Kinder und ihre Emotionen aber auch gleichwertig daneben die Ränke Lokis und die Unbeherrschtheit Thors und sind daher vielschichtiger zu lesen!

Die Wertung

Ich bin immer noch begeistert über den zusätzlichen Inhalt dieser Gesamtausgabe. Nicht nur werden die Hintergründe der Geschichten erklärt, die Illustrationen ermöglichen auch einen tiefen Einblick in Arbeitsweise und Entwicklung! Dazu kommt, dass alles neu übersetzt worden ist.

Die enthaltenen Originalbände

Es ist der Edition Roter Drache zu wünschen, dass die Ausgabe den Absatz findet, den sie verdient. Inhaltlich passt die Geschichte natürlich perfekt in das Verlagsprogramm, es ist aber in Deutschland immer noch ein Wagnis, Text und Bilderzählung nebeneinander zu stellen ohne die Purist*innen beider Seiten gegen sich aufzubringen. Danke für diesen verlegerischen Mut!

Dazu passen der Glühwein zuhaus und Musik von Rebecca Lou.

© der Abbildungen Edition Roter Drache, Peter Madsen, Henning Kure & Carlsen Verlag 2020

Madsen/Kure – Walhalla 1

Die gesammelte Saga Band 1

Story: Peter Madsen nach Hans Rancke, Per Vadmand & Henning Kure
Zeichnungen: 
Peter Madsen

Edition Roter Drache

Hardcover | 244 Seiten | S/W und Farbe | 40,00 € |

ISBN:   978-3-946425-90-8

Üblicherweise schließe ich ja mit Aussagen zur Ausgabe, aber hier muss ich das umdrehen: So sieht eine fast perfekte Gesamtausgabe aus! Originaltöne der Künstler, Einordnung in die Zeitgeschichte inklusive einiger Anekdoten, viel zusätzliches Bildmaterial und dann auch noch eine Erklärung zu den der Geschichte zugrunde liegenden Sagen in einem schön gemachten Hardcover mit Effektprägung. Vielen Dank! Einzig editorische Notizen über die bisherigen Veröffentlichungen hätten noch zur 10 gefehlt, so bleibt es bei einer grandiosen 9,9!

Die nordische Sagenwelt bei Walhalla

Nicht erst seit Ragnar Lodbrock und seinen Abenteuern in „Vikings“ sind Wikinger und ihre alten Sagen wieder en vogue. Insbesondere im Norden und Osten Deutschlands waren sie aber nie ganz verschwunden und so gab es bei Carlsen zwischen 1987 und 1991 bereits sechs Bände der 15 im dänischen Original erschienen Abenteuer.

Im Vorwort des ersten Bandes der Gesamtausgabe – jeder Band wird drei Geschichten beinhalten – erfahren wir, dass sich Henning Kure, Peter Madsen und Hans Rancke ursprünglich eine Art dänischen Asterix vorgestellt hatten. Sie sind dann aber umgeschwenkt auf die Darstellung der nordischen Götter basierend auf den Liedern sowohl der älteren als auch der jüngeren Edda, den wohl bedeutendsten Sammlungen der skandinavischen Sagenwelt. Während in Deutschland klassische Sagen etwa um Siegfried zwar noch als Hintergrundgeschichte für TV-Verfilmungen dienen oder als Wagnersche Inszenierung zur gesellschaftlichen Hochkultur zählen, sind die Geschichten im hohen Norden noch viel verwurzelter in der Alltagskultur.

Die Edition Roter Drache aus Thüringen hat es sich zur Aufgabe gemacht, Werke aus den Bereichen Steampunk, Fantasy, Phantastik und Heidentum zu veröffentlichen, allerdings ohne dabei der in Deutschland so oft vorhandenen Konnotation „nordische Mythen“ gleich „rechts“ zu folgen. Die Gesamtausgabe der dänischen Comics erfolgt dadurch aber in einem spannenden Umfeld und der Verlag hofft sicherlich auch darauf, dass die Comicleser*innen einen Blick auf die Bücher werfen und die klassischen Leser*innen an den Comics nicht vorbeigehen werden.

Die Comics

Odin, Thor und Loki dürften auch in Deutschland den meisten Leser*innen grundsätzlich bekannt sein. Was aber ist mit dem Rest der Götterfamilie, den Riesen und den Orten Asgard, Midgard oder Utgard? Wer weiß noch, wer die Seelen der im Kampf gefallenen Krieger nach Walhall bringt? Zur Beantwortung all dieser Fragen dient Odins Reise oder das versäumte Vorwort, das hier ebenfalls abgedruckt worden ist. In sehr kompakter Weise wird hier grafisch der Grund für die weiteren Geschichten gelegt.

In Der Wolf ist los wird die Mythe vom Fenriswolf erzählt. Der Fenriswolf wurde größer und größer, stellte somit eine Gefahr für die Asen, die nordischen Götter, dar und musste in Schach gehalten werden. Natürlich wird diese Mythe in der Comicform etwas ausgeschmückt, folgt aber grundsätzlich wie auch alle folgenden Geschichten dem Original wie es in einer der Eddas erzählt wird. Um die Geschichten näher an die Welt der potentiellen Leser*innen zu bringen und sie kindgerechter erzählen zu können, werden zwei neue Hauptpersonen hinzugeschrieben, die Kinder Tjalfi und seine kleine Schwester Röskva. Der kleine, menschliche Junge wird von Loki verleitet, Blödsinn zu machen und muss daher als Strafe Thor dienen. Auch seine schlaue, aufgeweckte Schwester darf mitkommen und fortan begleiten sie Thor. Obwohl die beiden ein sehr kindliches Element in die Story bringen, schadet das der Erzählung nicht, lockert im Gegensatz sogar auf und verhindert einen „Geschichtsunterricht“.

Thors Brautfahrt bringt die Leser*innen in das Land der Riesen. Thrym hat Thors Hammer gestohlen und verlangt als Preis für die Rückgabe eine Hochzeit mit Freya. Diese ist allerdings keineswegs darauf erpicht zu heiraten und schon gar nicht diesen Riesen. Der einzige Ausweg scheint eine Reise der als Frauen verkleideten Götter Thor und Loki zu sein. Verwechslungsspaß mit Männern in Frauenrollen ist deutlich älter als Tootsie oder Mrs. Doubtfire!

Die letzte Geschichte des ersten Bandes zeigt, dass die nordischen Götter menschlichen Schwächen nicht abgeneigt waren. In Odins Wette lässt sich das Oberhaupt auf einen Wettstreit ein und behauptet, bessere Krieger für Walhall finden zu können als die eigentlich zuständigen Nornen. Während seiner Abwesenheit übernehmen seine chaotischen Brüder die Herrschaft.

Die Zeichnungen

Der erste Band wurde erstmals 1979 veröffentlicht und Peter Madsen hat für die damalige Zeit recht innovativ gezeichnet. Alle Figuren sind etwas überzeichnet und leicht karikiert, Bewegungen wirken eher wie ein Trickfilm im Standbild und der Hintergrund ist manchmal sehr farbig, meistens aber vor allem einfach. Trotzdem ist die Kolorierung von Soeren Hakansson stimmig.

Das ändert sich im Laufe der weiteren Veröffentlichungen deutlich und sehr schnell: die Figuren werden in ihren Proportionen besser, die Hintergründe detaillierter und die Seitenaufteilung variabler. Spätestens ab dem dritten Band merkt man, dass er sich mit seinen Figuren und Settings wohl fühlt.

Seine Schwarzweiß-Zeichnungen und Illustrationen zeigen viel mehr von seinem Können: Düster und ausdrucksstark fängt er die Unwirtlichkeit der Landschaft und die Distanz von Göttern zu Menschen ein. Und das schließt den Kreis zu den einleitenden Worten, denn der Abdruck so vieler zusätzlicher Illustrationen ist nicht unbedingt üblich! Als Bonus gibt es sogar noch eine Geschichte mit dem eingangs erwähnten Ragnar!

Empfehlung für alle, die sich nicht nur für die eingefahrenen Pfade des frankobelgischen Comics interessieren und ein Stück skandinavische Kulturgeschichte zu schätzen wissen. Ab dem dritten Band werden es im Übrigen deutsche Erstveröffentlichungen sein!

Dazu passen Björk und ein Spionen IPA aus Dänemark!

© der Abbildungen Edition Roter Drache, Peter Madsen, Hans Rancke, Per Vadmand, Henning Kure, Soeren Hakansson & Carlsen Verlag 2020

ICOM Comic!-Jahrbuch 2020

ICOM Comic!-Jahrbuch 2020

Hrsg: Burkhard Ihme

Interessenverband Comic e. V. ICOM

Din A4 | 272 Seiten | Farbe | 15,25 €

ISBN: 978-3-88834-950-8

Ihr sitzt wegen Corona zuhause und wisst nicht, was ihr tun sollt? Das Comic! Jahrbuch 2020 bietet genügend Lesestoff auf 272 Seiten!

Kurz zum Hintergrund: Der Interessenverband Comic, Cartoon, Illustration und Trickfilm e.V. ICOM existiert bereits seit 1981 und bemüht sich darum, Zeichner*innen und Autor*innen ein Forum für Meinungs- und Informationsaustausch zu bieten um dadurch ihre berufliche Situation zu verbessern. Der ICOM ist anerkannter Berufsfachverband und bietet für seine Mitglieder nicht nur Infos, sondern auch konkrete Beratung und Hilfestellung. Das Jahrbuch ist also auch als Werbung zu verstehen für den Verband, vor allem aber auch für seine Mitglieder und hat daher einen extrem niedrigen Verkaufspreis!

Die Becker/König/Crumb-Kontroverse

War das letzte Jahrbuch noch von der Diskussion um die Juryzusammensetzung für den 25. ICOM Independent Comic-Preis geprägt, bewegt dieses Jahr eine andere Auseinandersetzung die Gemüter: Franziska Becker, langjährige Karikaturistin und EMMA-Zeichnerin, wird vorgeworfen, Islamophob zu sein indem sie muslimische Frauen mit Kopftuch verunglimpfe, Ralf König soll auf seinem Wandbild für das Brüsseler Rainbow-Haus transphobe und rassistische Vorurteile transportiert haben und auf internationaler Bühne wird Robert Crumb gewaltverherrlichender Sexismus und Rassismus vorgeworfen. Ein großer Teil dieses Jahrbuchs versucht mit Artikeln und Interviews Sachlichkeit in der Diskussion zu ermöglichen und fragt, ob sich Bewertungsmaßstäbe ändern können oder müssen!

Den Hintergrund bildet immer wieder die Frage, was Satire darf oder sogar muss, ob Grenzen des guten Geschmackes auch Grenzen der Moral sind und wo Überspitzung zu Hate Speech wird. Ist es noch ein Stilmittel, wenn große Lippen zur Kennzeichnung von People of Colour gezeichnet werden? Wie groß ist der Unterschied zu einer Hakennase oder anderen antisemitischen Klischees? Wenn ich religiösen Fanatismus kritisieren möchte, muss ich dann immer mindestens drei Religionen gleichzeitig kritisieren oder kann ich mich in der Auswahl beschränken? Und darf ich dann immer wieder die gleiche einschränkende Auswahl treffen? Schwierige Fragen, die auf Stammtisch-Niveau nicht zu beantworten sind! Der Ansatz, sachliche Informationen aus erster Hand durch Interviews und verschiedenste Artikel zu bieten, ist dabei meiner Ansicht nach als sehr positiv zu bezeichnen!

Das Jahrbuch bietet auf mehr als 50 (Din A-4) Seiten O-Töne von Crumb und König sowie viel Hintergrundinfo und Zusammenfassungen der Kritik!

Die deutsche Comicszene

Was wäre das Jahrbuch des ICOM ohne eine ausführliche Beschreibung der Entwicklung des deutschen Marktes… Würdigungen des Münchner Comicfestes und der „Cons“ machen den Anfang der thematischen Artikel; Berichte über I. Astalos und seine Beiträge für das deutsche MAD und ein Bericht zum 50. Geburtstag der U-Comix folgen. Es geht aber auch um ein neues Magazin über SF-Comics und eine Internetplattform verschiedenster Künstler*innen namens Toonsup. Leider auch ein Thema sind Nachrufe.

Im Bereich Atelier werden fünf Kreative etwas ausführlicher vorgestellt, viele andere dagegen mit einer Aktualisierung der Werkschau! Unverzichtbar für alle, die einen Überblick über die deutsche Independentszene gewinnen oder behalten wollen!

Niederlande, USA und andere Länder

Alles andere als provinziell zu sein war schon immer der Anspruch des ICOM! Die Berichte über andere Länder sind aber dreifach anders als normal: Neben Berichten aus Frankreich und den USA gibt es auch noch die Niederlande, Italien und Japan; die Betrachtungen konzentrieren sich auf Entwicklungen der Independents und sie sind ebenfalls nicht nur reich bebildert, sondern auch sehr persönlich verfasst! Lesenswert sind sie alle, als Anlesetipp möchte ich die Geschichte der StripSchrift nennen. Dazu kommt noch mein Favorit in dieser Rubrik: historische Vorbilder für Comiczeichnungen. Vor allem die Ähnlichkeiten zu Märklin-Katalogen sind verblüffend!

Die Preisträger*innen

Eine vierköpfige Jury hat die Aufgabe übernommen, den ICOM Independent Comic-Preis 2019 für Eigenproduktionen zu bestimmen. Für 2020 sind weitere Veränderungen geplant. Wie immer sind im Jahrbuch die Preisträger*innen mit Begründung und Leseproben versammelt und schon das sollte ein Grund für das Kaufen und Lesen dieses Jahrbuches sein!

Als Bester Independent-Comic wurde im Juni 2019 „Don’t touch it!“ von Timo Grubing, erschienen bei Zwerchfell ausgezeichnet. Horror bleibt preiswürdig! Der Verlag konnte noch zwei weitere Preise abräumen, unter anderem für die beste Newcomerin Natalie Ostermaier, die sich in Kramer mit Religion und Hexenverfolgung auseinandersetzt. Alle Preisträger*innen gibt es hier.

Der Sonderpreis für Guido Weißhahn soll noch kurz Erwähnung finden: Guido baut seit Jahren an einem Archiv für in der DDR erschienene Comics oder besser Bildgeschichten und leistet einen großen Beitrag zur Aufarbeitung und Bewahrung dieses Teils der deutschen Comic-Geschichte!

Das Fazit

Auch wenn der Trickfilm dieses Jahr etwas kurz gekommen ist, bleibt das ICOM Comic!-Jahrbuch unverzichtbares Rüstzeug für alle, die auch jenseits des Mainstreams nach guten Comics suchen, über die Entwicklungen auf dem Laufenden bleiben wollen und bereit sind, über das Gelesene vielleicht auch noch mal zu reflektieren! Diskussionen sind schmerzhaft und das Ändern liebgewonnener Gewohnheiten weder von vornherein richtig noch falsch. Die Diskussion darüber ist aber notwendig.

Dazu passen neben einem kühlen Kopf und Wasser für die diskursiven Teile und ein Ipanema für die anderen sowie Musik von Blaggers ITA!

© Interessenverband Comic e. V. ICOM 2020

© der Abbildungen bei den Verlagen, Zeichner*innen, Autor*innen und Fotograph*innen

Schwarwel – Gevatter 1

Kapitel 1: Verleugnung

Story: Schwarwel

Zeichnungen: Schwarwel

Glücklicher Montag

Heft | 36 Seiten | SW | 3,90 € |

ISBN: 978-3-9817615-7-3 (regulär) | 978-3-9817615-8-0 (variant)

Schwarwel ist dem einen oder der anderen frühen Leser*in von comix-online noch aus den Zeiten von EEE (Extrem Erfolgreich Enterprises) und als Mastermind des Schweinevogels bekannt. Mittlerweile hat er sich hauptsächlich auf das Zeichnen von Karikaturen verlegt, die unter anderem über Facebook für jede*n frei verfügbar sind und arbeitet bei „Glücklicher Montag“ unter anderem an Trickfilmen.

Gevatter ist Schwarwels erstes Comicprojekt seit einigen Jahren; der erste Teil ist gerade sowohl in einer regulären Ausgabe als auch als Variant mit einem Titelbild von Sascha Wüstefeld (Das UpGrade) erschienen. Die Hefte 2 – 5 sollen in kurzen Abständen folgen.

Der Inhalt

Die Graphic Novel wird von der FUNUS Stiftung herausgegeben die sich für einen unverkrampften Umgang mit dem Tod einsetzt. Jeder Mensch muss früher oder später sterben und mehr man sich im Vorfeld damit auseinandergesetzt hat, desto besser kann man damit umgehen. So veranstaltet die Stiftung z. B. das Leipziger Endlichkeitsfest „Die Stadt der Sterblichen“ vom 6. bis 29. September mit. Sie unterstützt aber auch Publikationen, die sich mit dem Tod beschäftigen und somit auch den Gevatter.

Schwarwel hat eine sehr persönliche Geschichte geschrieben: Tim, der in seinem Heranwachsen gezeigt wird, ist das Alter Ego des Autors. Es beginnt mit einem verzweifelten Anruf: der „Held“ dieser Story steht kurz davor, sich das Leben zu nehmen, ruft aber noch einmal einen Freund an, dem er damals in einer ähnlichen Situation geholfen hatte. Nun also muss der Freund das Gleiche tun…

In Rückblicken wird dann die Geschichte des kleinen jungen erzählt, der wie alle Kinder immer wieder mit dem Tod konfrontiert wird. Sei es die alte Frau, der verletzte Igel oder die potentiell tödliche Krankheit. Keinem Kind können diese Situationen erspart werden. Es bleibt aber zu hoffen, dass nicht alle Kinder mit ihren Fragen alleine gelassen werden…

Im weiteren Verlauf der Serie werden noch weitere persönliche Erlebnisse des Künstlers thematisiert werden: Alkohol, Depressionen, Sucht und Verzweiflung. Es gehört unheimlich viel Mut dazu, sein Innerstes so offen zu legen, sich angreifbar zu machen und die Deckung zu verlassen.

Gerade dieser Mut ermöglicht es aber auch, die im Anhang abgedruckten Adressen zur Hilfe bei Depressionen, schweren Krankheiten oder Trauerbegleitung nicht als Werbung zu verstehen sondern als Angebot von jemand, der weiß, wovon er spricht.

Genau diese Tiefe und der Wille zum Diskurs kommen auch aus den Interviews mit Schwarwel selbst, Sascha Wüsterfeld und Frank Pasic, dem Vorsitzenden von FUNUS zum Ausdruck.

Die Umsetzung

Die Graphic Novel erscheint in schwarz-weiß und damit in dem einzig passenden Rahmen. Farbe würde die Details überdecken und auch eine falsche Stimmung repräsentieren. Die Seiten folgen im Prinzip dem 3×3-Aufbau, sind aber flexibel und erlauben somit ein Zusammenfassen oder aber auch ein Verteilen des Motivs auf mehrere Panels.

Der Horror im Gesicht des jungen Tim, die Verzweiflung und Hoffnung im Gesicht des älteren brauchen keine Worte zur Unterstützung sondern erklären das gesamte Setting aus sich heraus. Machtverhältnisse, Schrecken und Rückzugsräume sind deutlich zu erkennen und erlauben eine fast filmische Rezeption.

Der faire Preis, die Gestaltung mit festem Einband und das Variantcover von jeweils unterschiedlichen Künstler*innen sollten ebenfalls dazu beitragen, dass die Geschichte über den Tod und den Umgang damit ihre Käufer*innen findet! Für mich definitiv ein Kandidat für die Top 5 des Jahres!

Dazu passen A place to bury strangers und ein Rotwein.

© der Abbildungen 2019 Glücklicher Montag und Schwarwel

ICOM Comic!-Jahrbuch 2019

Hrsg: Burkhard Ihme

Interessenverband Comic e. V. ICOM

Din A4 | 256Seiten | Farbe | 15,25 €

ISBN: 978-3-88834-949-2

cover ComicJahrbuch 2019

Schon zum 19-ten Mal bringt der ICOM sein Jahrbuch heraus und es ist wieder vollgepackt mit Artikeln über die deutsche Independent-Szene!

Der Interessenverband Comic, Cartoon, Illustration und Trickfilm e.V. ICOM existiert bereits seit 1981 und bemüht sich darum, Zeichner*innen und Autor*innen ein Forum für Meinungs- und Informationsaustausch zu bieten um dadurch ihre berufliche Situation zu verbessern. Der ICOM ist anerkannter Berufsfachverband und bietet für seine Mitglieder nicht nur Infos sondern auch konkrete Beratung und Hilfestellung. Ein Baustein dabei ist das Jahrbuch, das gleichzeitig auch als Werbung nach Außen dient und die sonst eher nicht im Rampenlicht stehende Independent-Szene präsentiert.

Das diesjährige Jahrbuch hat einen ungeplanten Schwerpunkt da es insbesondere in Erlangen auf dem Salon eine Kontroverse um die Besetzungder Jury für den 25. ICOM Independent Comic-Preis gab. Ein Jurymitglied bemängelte die Zusammensetzung als nicht divers genug und bezog sich explizit auf das Verhältnis von Männern und Frauen. In der Auseinandersetzung mit demVorwurf beschäftigen sich einige Artikel mit diesem Vorwurf aus persönlicher aber auch allgemeiner Sichtweise: Beschränkt sich der Vorwurf auf das Verhältnis Mann/Frau oder greift das zu kurz da auch sexuelle Orientierung, Hautfarbe, Alter, Religion und weitere Kriterien zu berücksichtigen sein. Zudem scheint auch die Möglichkeit genügend Zeit investieren zu können ein nicht zuunterschätzender Faktor zu sein. Möge sich jede*r selbst eine Meinung dazubilden. Meiner Meinung nach ist diese Diskussion wichtig, sollte aber sachlich geführt werden…

Comic-Jahrbuch 2019 page 173

Einen weiteren Schwerpunkt bieten die diesjährigen Preisträger*innen, dient diese Publikation doch auch dazu, die Gewinner*innen der Öffentlichkeit vorzustellen und ihre Fähigkeiten herauszustellen. Natürlich gibt es eine Übersicht der Nominierten und die jeweiligen Gewinner*innen der Sparten „Bester Independent-Comic“, „Bester Kurzcomic“, „Herausragendes Szenario“, „Herausragendes Artwork“, 2 Sonderpreise und beste*r Newcomer*in.  Es werden aber auch Interviews mit den Preisträger*innen unterstützt durch eine Vielzahl von Beispielen der jeweiligen Arbeiten und Aus- und Einblicke in die jeweiligen Portfolios gegeben. Alle Beiträge stehen unter der Leitlinie, dass es hier nicht um Stars geht sondern um Aktive, die keinesfalls im Scheinwerferlicht der Medien oder des Feuilletons stehen. Nebenbei kommt aber auch immer wieder ein wenig Stolz zum Vorschein wenn es darum geht, dass der eine oder die andere in einer Independent-Veröffentlichung ihre ersten Schritte gemacht haben und sich dann zum erfolgreichen Mainstream „hoch-“ oder besser weiterentwickelt haben. In allen Beiträgen geht es aber auch darum, ob und wie sich die jeweiligen zu dem Konflikt verhalten haben und warum.

Auch der Artikel über die holländische Szene hat ein politisches Thema als Ausgangspunkt: Ist der Umgang mit de zwarte Piet, dem Sidekick für den holländischen Santa, noch zeitgemäß oder rassistisch konnotiert?

Dieser Teil ist sicherlich in der aktuellen Sekundärliteratur in Deutschland einzigartig. Nirgendwo sonst wird das Thema„Comic“ mit dieser politischen Herangehensweise gesehen. Immer wieder spielen Rassismus (beim Thema Flüchtlinge/Migration oder auch Sklaverei), Sexismus (ja,auch ohne #metoo ein Thema!) oder Kapitalismus eine Rolle, nirgendwo aber miteiner solchen Schärfe und Diskussionstiefe, die an die 80er Jahre erinnert.

ComicJahrbuch 2019 page 28

Daneben (und eigentlich wohl im Vordergrund geplant) gibt es eine Reihe von Artikeln über die aktuelle Independent-Szene aus verschiedenen Blickwinkeln: Welche Arbeitsmittel werden benutzt?, Wo kommen die Ideen her?, Sind Web-Comic-Erfolge auf Print-Ausgaben übertragbar?, Wieviel Arbeitszeit mit anderen Dingen brauche ich, um mir Arbeitszeit mit Comics leisten zu können? Nicht nur für Szenebeteiligte aufschlussreich und unbedingt lesenswert! Oft erwähnt und mittlerweile für alle bekannt ist, dass man in Deutschland nur sehr schwer vom Comic-Zeichnen leben kann. Was das aber konkret bedeutet lässt sich hier wieder einmal anschaulich in konkreten Beispielen erfahren.

Spannend finde ich das Interview mit Eckart Sackmann über Die Deutsche Comicforschung daseinerseits die Verdienste der letzten Jahre würdigt, andererseits  aber auch die Probleme (der heutigen Zeit?)mit tiefgründiger Recherche und Analyse beschreibt. Wie viele Autor*innenwollen noch so tief einsteigen und sich wissenschaftlich mit einem Themabeschäftigen wenn es doch auch mit wenigen Zeichen möglich ist? Nebenbei äußerter sich auch über die Zukunft seines Verlages der im Auslaufen begriffen ist.Weitere Artikel des Bereiches „Verlage und Literatur“ beschäftigen sich mit demThema der Definition „Comic“, italienischer Comic-Kunst oder dem Jubiläum des Zwerchfell-Verlages.

Hilfreich ist sicherlich die Ankündigung der Neuauflage des ICOM-Ratgebers „Honorare, Verträge, Urheberrecht“ von Christof Ruoss, Frank Pfeiffer und RA Martin Boden, die schon in ihrer Kurzform nützliche Informationen liefert. Gerade für„nebenbei“ Tätige oder Neulinge ist das einer der Fallstricke, der sehr teuer werden kann. Dazu gibt es Einblicke in verschiedene Geschäftsmodelle, Versicherungen und Berufsverbände! (ISBN 978-3-88834-924-9; 208 Seiten; 20,-€)

ComicJahrbch 2019 page 230

Mit diesen Preis überhaupt keine Frage: Auch wenn Teile des Inhalts sicherlich nicht für jede*n von Interesse sind, bietet das Jahrbuch für alle, die mehr wollen als bunte Bilder zu konsumieren, genügend Lesestoff, Einblicke mit vielfältigen schwarzweißen oder farbigen Illustrationen in die aktuelle Szene und Hilfestellungen und sollte daher in keinem Bücherschrank fehlen.

Dazu passt No Respect – Excuse my smile am besten! Unterstützung bietet ein Rotwein (und wem hierzu ein alter Spontispruch einfällt sei gegrüßt!), gerne auch vegan. Für die Infoteile und die Interviews wäre auch ein starker fairgehandelter Kaffee nicht zu verachten.

© 2018 Interessenverband Comic e. V. ICOM 2018

© der Abbildungen bei den Verlagen, Zeichnern, Autoren und Fotographen

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