ICOM Comic!-Jahrbuch 2022

Krisen im Blick: Umwelt und Corona!

Hrsg: Burkhard Ihme

Interessenverband Comic e. V. ICOM

Din A4 | 216 Seiten | s/w, teilweise farbig | 15,25 €

ISBN: 978-3-88834-952-2

Cover ICOM Comic! Jahrbuch 2022

Nach der sehr kurz ausgefallenen Jubiläumsausgabe im letzten Jahr hat es der Interessenverband Comic e.V. ICOM in diesem Jahr wieder geschafft, ein sehr dickes Jahrbuch zu produzieren. Wegen der gestiegenen Druckpreise (bereits zu den Zeiten des Vorwortes rund 35% und steigend) sollte man im kommenden Jahr allerdings wieder von einer deutlich dünneren Publikation ausgehen. Der ICOM ist Bestandteil der deutschen Independent Szene und das Jahrbuch hat zwei Zielgruppen. Natürlich soll es der Szene Beachtung verschaffen und auch diejenigen erreichen, die nicht auf Mailinglisten oder noch schlimmer Karteikarten stehen. Es dient aber auch der internen Vernetzung, Kommunikation und Wissensvermittlung!

Future is green! Oder Comics und Umwelt

Welche Rolle spielt eigentlich “Die Umwelt“ in Comics? Was unterscheidet eine lebensfreundliche/-feindliche Umwelt in einer Science-Fiction-Story von der irdischen Klimakatastrophe? Muss man das immer mit der Holzhammermethode präsentieren oder gibt es auch subtile Wege? Und schließlich, in welchen Comics finde ich denn was? Das Thema „Umwelt“ wird in diesem Jahrbuch erfrischend praktisch angegangen. Es geht nicht um theoretische Einordnungen, sondern um praktische Reiseführer, die potentiellen Leser*innen einen Überblick verschaffen wollen. Subjektiv, exemplarisch, aber eben auch informativ!

Detail COMIC!Jahrbuch page 9

Anschließend geht es in die deutsche Szene: Corona, die sehenswerte Ausstellung von Unveröffentlichtem in Oberhausen sowie die verschiedenen Fördermöglichkeiten stehen dabei im Mittelpunkt. Nicht fehlen dürfen dabei die Atelierbesuche: Weissblech, Franz Gerg und Jürgen „Geier“ Speh zeigen Kostproben und verraten, welche Katastrophen wie gemeistert wurden bzw., welche Pläne für die Zukunft vorliegen. Da die Independent-Szene in den üblichen Publikationen zusammen oft weniger Raum bekommt als hier die einzeln vorgestellten jeweils haben, zeigt den Unterschied!

In weiteren Artikeln geht es um die Märkte in den USA, den Niederlanden, Japan und Italien. Auch hier wird der Fokus gezielt auf die Nischen gelenkt. Leider gilt es natürlich auch im ICOM der Toten zu gendenken. Abschließend (der ICOM vertritt Comic-, Cartoon- und Trickfilmschaffende) folgt noch ein Rückblick auf das 29. Trickfilmfestival.

Die Preisträger*innen 2021 und 2022

Neben den allgemeinen Themen und Vorstellungen dient das Comic! Jahrbuch aber auch dazu, die ICOM Preisträger*innen bekanntzumachen! Vorstellungen der Personen, exemplarische Beispiele für ihr Schaffen und die preisgekrönte Publikation sowie die Begründungen gehören auf jeden Fall dazu. Die Gewinner*innen des letzten Jahres sind auch mit einem Interview vertreten, die des Jahres 2022 haben das Jahrbuch praktisch gleichzeitig mit dem Ergebnis überreicht bekommen und konnten daher noch nicht Stellung nehmen. Nach einer langen internen Diskussion über Fehler der Vergangenheit und eine Neuaufstellung gibt es mittlerweile nur noch drei Preise:

Der beste Independent Comic als Selbstveröffentlichung war 2021 Kein Vatertag von Sascha Dörp, 2022 wurde der Preis Jürgen „Geier“ Speh für The Most Dangerous Game zuerkannt.

Detail COMIC!Jahrbuch page 196

Der beste Independent Comic als Verlagsveröffentlichung in 2021 stammt von Anna Rakhmanko und Mikkel Sommer; Vasja, Dein Opa ist bei Rotopol erschienen. 2022 konnte ein Western diesen Platz erklimmen: Murr von Josephine Mark, veröffentlicht bei Zwerchfell.

Schließlich bleibt der Sonderpreis für eine besondere Leistung oder Publikation, der im letzten Jahr dem Handbuch polnische Comickulturen nach 1989 verliehen worden war. Hier bestehen für den deutschen Markt mehr als nur einige Möglichkeiten, liegt doch kaum etwas des vorgestellten Materials in Übersetzung vor! In diesem Jahr konnte Oliver Ottitsch mit Liebe ist stärker als der Tod den Preis gewinnen.

Must have für alle, jenseits des Mainstreams schauen wollen

Die Kurzvorstellungen der Nominierten des letzten Jahres finden sich in der 2021er-Ausgabe, dieser Band stellt alle aktuellen Nominierungen vor! Allein dieser Überblick über einen kleinen Teil der deutschen Independent-Szene ist es wert, nicht nur einen Blick zu riskieren! Informationen aus erster Hand, Nützliches und natürlich auch Gossip. Wer weiß, dass es gute Comics auch außerhalb des Mainstreams gibt, bekommt hier Anregungen noch und nöcher. Aufgrund der gezeigten Beispiele kann dann auch jede*r entscheiden, einen Kauf zu wagen, denn gerade hier gilt, dass jenseits des Massengeschmacks nicht alles allen gefallen soll.

Detail COMIC!Jahrbuch page 82

Dazu passen The Adicts mit “Life goes on” und ein junger Grauburgunder.

© der Abbildungen Interessenverband Comic e. V. ICOM 2022 / Coverillustration by Franz Gerg/Geier

Mazurage  – Sea Shepherd 1

Milagro

Story: Guillaume Mazurage
Zeichnungen: 
Guillaume Mazurage
Originaltitel: 
Sea Shepherd 1 – Milagro

Egmont Comic Collection
Hardcover | 56 Seiten | Farbe | 16,00 €
ISBN: 
978-3-7704-0309-7

Cover Mazurage Sea Shepherd 1

Seit einigen Jahren ist Comic-Journalismus eine anerkannte Kunstform. Was als Bestandteil der „Graphic Novel“ angefangen hat, ist nun eigenständig und vielfältig. Neben Kriegsberichterstattung geht es um die Begleitung Sterbender, Gentrifizierung von Stadtteilen oder ganzer Regionen oder die Klimakrise. In dieser neuen Serie des jungen französischen Künstlers Guillaume Mazurage werden die Leser*innen mitgenommen auf ein Schiff der Organisation Sea Shepherd. Diese NGO kämpft für die Meere und den Erhalt des vielfältigen Lebens auf und in den Weltmeeren. Fast nie ist dieser Kampf ohne Risiko, teils sogar für das Leben, zumindest aber für die körperliche Unversehrtheit der Freiwilligen.

Der Vaquita – eine der bedrohtesten Säugetierarten überhaupt

Der Vaquita ist ein Schweinswal, der nur in einem kleinen Gebiet im Golf von Kalifornien vorkommt. Er hat es geschafft, auf die Liste der 100 meistgefährdeten Tierarten weltweit zu kommen. Ende 2019 gab es in freier Wildbahn schätzungsweise noch 19 (!) lebende Tiere. Dabei ist der Schweinswal gar nicht das Ziel der Fischerei, er verendet typischerweise als Beifang. Sea Shepherd hat daher die Operation Milagro gestartet, um zu versuchen, die Tiere doch noch vor dem Aussterben zu bewahren.

Sea Shepherd 1 page 3

Der Comic beginnt sehr dramatisch – ein kleines Schlauchboot der Aktivist*innen von Sea Shepherd versucht einen Wal, der sich in einem Netz verfangen hat, zu befreien. Unter ihnen ist der Erzähler, Guillaume Mazurage, der sich auf Anraten seines Freundes und Mentors Pierre Christin aufgemacht hat. Er will nicht über den Walfang schreiben und zeichnen, sondern über die Jäger der Jäger. Was läge also näher als sich selbst in die Gefahr zu begeben und hautnah einige Aktionen mitzumachen.

Gesagt, getan: Im März 2018 wird der Künstler und Journalist Besatzungsmitglied auf der John Paul DeJoria und nimmt an der Milagro-V-Kampagne teil. Er berichtet von der Gefahr für die Aktivist*innen, die von den Fischern sowohl an Land als auch auf See teilweise massiv angegriffen werden, und von den verzweifelten Versuchen, gefangene Großsäuger zu befreien. Es gibt aber auch positive Aspekte: das freundschaftliche Miteinander im Team und die notwendigen Veränderungen im täglichen Leben. Natürlich lebt die Crew vegan.

Sea Shepherd 1 page 4

Grausame Menschen, großartige Natur?

Bei den Zeichnungen ist Mazurage nicht ganz so klar. Zum einen sehen die meisten Aktivist*innen noch sehr jugendlich aus. Das kann natürlich der angepeilten Zielgruppe geschuldet sein. Wer auf Veränderung zielen will, muss die Jugend im Blick haben. Die Älteren haben das Problem entweder schon verstanden oder aber andere Sachen im Kopf und sind kaum noch erreichbar.

Die Schurken sind dagegen klar erkennbar: verhärmte Gesichter, Drei-Tage-Bart und pure Aggression. Für eine vertiefte Auseinandersetzung wäre es vielleicht notwendig, Alternativen zum Fischfang zu entwickeln. Nicht, dass ich die Überfischung verteidigen wollte. Trotzdem stellt sie für die dortige Bevölkerung teilweise die einzige Einnahmequelle dar. Wie schon Bert Brecht sagte: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Die Zeichnungen des Meeres, die Dünung und auch die teils großartigen Begegnungen mit seinen Bewohnern sind dagegen großartig und machen auch die Größenunterschiede zwischen Menschen und Walen sehr deutlich.

Sea Shepherd 1 page 5

Eine klare Empfehlung

Früher gab es immer die Aussage, dass zu bestimmten Anlässen wie Konfirmation/Firmung oder ähnlichen Anlässen ein „gutes Buch“ verschenkt werden sollte. Milagro ist so etwas! Allerdings nicht ganz im Sinne von früher: Sea Shepherd ist eine Organisation, die klar zu illegalen Aktionen aufruft und sie auch durchführt. Sie möchte die Meere und ihre Bewohner*innen schützen und richtet ihre Handlungsweisen daran aus.

Diese Comic-Reportage stellt die Frage nach dem Sinn. Darf der Kapitalismus in seiner Verwertungslogik alles oder gibt es Werte, die darüberstehen sollten? Trotz COVID und Ukraine dürfen wir die Klimakrise, die Umweltzerstörung und die Ausrottung vieler Tier- und Pflanzenarten nicht vergessen. Milagro ist ein (sehr pointierter) Beitrag zu dieser Diskussion und daher zu empfehlen. Meine Meinung dazu: Jede*r, der/die behauptet, die absolute/einzige Wahrheit zu kennen, hat das Problem noch nicht in seiner ganzen Bandbreite erkannt. Ein „die Augen verschließen“ ist aber keinesfalls die Lösung.

Dazu passen The Smiths mit „Meat is Murder“ und ein (veganes) Sierra Nevada Pale Ale.

© der Abbildungen Hachette Livre 2020 | 2022 Egmont Comic Collection

Aidans/Duval – Sven Janssen GA 1

Gesamtausgabe Band 1: 1963 – 1967

Story: Édouard Aidans
Zeichnungen: 
Jacques Acar, Yves Duval

Kult Comics

Hardcover | 264 Seiten | Farbe | 45,00 € | 
ISBN: 978-3-96430-185-7

Cover Sven Janssen Integral 1

Édouard Aidans war einer derjenigen, die mit ihren Serien das Koralle-ZACK maßgeblich geprägt haben. Am bekanntesten sind sicherlich seine Geschichten über Tunga vom Stamme der Ghmour und seine Gefährt*innen. Aber auch Tony Stark war von den Leser*innen hoch geschätzt worden. Daneben gab es aber auch noch eine Reihe, die ein wenig aus dem Rahmen fällt: ein Reporter macht sich mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn auf, um auf allen Kontinenten Naturdokumentationen zu drehen, auf Probleme wie Unterernährung und Wasserknappheit hinzuweisen und für bessere Bildung einzutreten. Natürlich ist die Rede von Marc Franval oder Sven Janssen, dessen gesammelte Geschichten jetzt ebenfalls bei Kult Comics erscheinen.

Logo Sven Janssen

Am Anfang stand ein Playboy

1963 waren noch Stereotypen gefragt und auch Marc Franval startete entsprechend. Er war ein Playboy, der von Jacques Acar wie „just another hero“ angelegt war: keine finanziellen Sorgen, gepflegter Umgang, Schriftsteller, der auf der ganzen Welt zuhause ist. In Sven Janssen jagt den Kondor verschlägt es ihn nach Polynesien. Dort muss er sich mit einer Bande von Gangstern herumschlagen zu der auch ein ehemaliger deutscher Nazi gehört. Schon in diesem ersten Abenteuer bekommt er aber einen jugendlichen Sidekick.

Sven Janssen Integral 1 page 19

Es geht aber trotzdem nicht in Serie. Stattdessen erscheinen im folgenden Jahr zunächst Kurzgeschichten von Yves Duval mit einem veränderten Setting. Aus dem Playboy ist ein Familienvater geworden, die Schriftstellerei ist gegenüber dem Drehen von Filmen in den Hintergrund getreten und die Familie unternimmt nun ihre Streifzüge in einem roten VW-Bus. Blutiges Elfenbein lässt aber bereits deutlich erkennen, dass es nicht wie in den Kurzgeschichten darum gehen wird, Großwild darzustellen; das Krimi-Element bleibt erhalten. Und auch Visa für drei Kontinente macht klar, dass es für Svens Frau Britta und den kleinen Didi nicht immer einfach und gefahrlos zugeht. Neben der beherrschbaren Gefahr durch wilde Tiere sind es immer wieder Kriminelle, die die Familienmitglieder bedrohen, kidnappen oder sogar verletzen. Der Held arbeitet dabei immer auch an seinen Filmen und bekommt dadurch die Chance, Missstände anzuprangern.

Wieder zurück in Afrika scheint in Geieralarm eine fast vergessene afrikanische Sekte einen neuen Aufstand zu proben. Heute mag das fast wie Folklore erscheinen, Ende der 60er Jahre waren antikoloniale Aufstände allerdings durchaus ein Thema. Jagd durch Marokko ist das erste Album mit der heute gebräuchlichen Standardseitenzahl von 44. Die vorherigen waren auf 30 begrenzt und ließen daher weniger Raum für das Ausbreiten der Story. Wieder wird Sven ungewollt in eine Geschichte verwickelt, die ihn dieses Mal in die Wüste verschlägt.

Sven Janssen Integral 1 page 25

Schließlich geht es in Reiseziel Desertas um Kunst. Zwei auf den amerikanischen Straßen geschulte Mietgangster sorgen dabei für die Spannung. Man merkt den wechselnden zeitlichen Einfluss, obwohl die Geschichten doch in dem kleinen Zeitraum von 5 Jahren entstanden sind. Anfangs der eloquente Held, den nichts aus der Ruhe bringt, solange er seine Pfeife hat, am Ende brutale Gangster, die vor nichts zurückschrecken (naja, verglichen mit heutigen TV-Serien waren auch das noch harmlose Exemplare). Was man allerdings auch merkt ist das Rollenbild, dass Brittas Rolle einengt. Sie darf einkaufen, Pflaster kleben und vor allem natürlich kochen und abwaschen, während sich die Männer in die Gefahr begeben.

Natur und Action im Tintin-Stil

Aidans zeichnete für das Magazin Tintin/Kuifje. Dementsprechend ist sein Stil natürlich auch geprägt durch den alles dirigierenden Chef im Hintergrund, Hergé. In einem Interview hat ein Mitarbeiter dieses Magazins mal gesagt, dass er selbst nachts davon träume von Hergé kontrolliert zu werden. In diesem Fall war das augenscheinlich nicht schlecht. Im Laufe der Jahre werden die Zeichnungen sicherer und flotter.

ExLibri Sven Janssen Integral 1 VZA
ExLibris der limitierten Vorzugsausgabe

Besonders gelungen finde ich vor allem die Wüstenszene: die Seite flimmert geradezu vor Hitze, die Endlosigkeit ist spürbar und auch die scheinbare Ausweglosigkeit. Alle Geschichten kommen natürlich mit bibliographischen Angaben, die auch die bisherigen Veröffentlichungen in Deutschland in MV Comix oder ZACK benennen.

Lang erwartete Komplettierung des Hauptwerkes von Aidans

Kult Comics hat nun auch die letzte große Serie des belgischen Künstlers in das Programm genommen. Dankenswerter Weise kommt auch diese Gesamtausgabe mit einem großen redaktionellen Teil von Volker Hamann, der nicht nur die Szenaristen vorstellt, sondern auch viele Abbildungen enthält. Mir gefallen die großformatigen Bilder allerdings nicht so gut, da die Figuren dort sehr unnatürlich aussehen. Hervorzuheben ist aber, dass mehrere Kurzgeschichten das Bild vervollständigen.

Cover Sven Janssen Integral 1 VZA
Cover der limitierten Vorzugsausgabe

Mit dieser Gesamtausgabe sind einige Sachen erstmals (ungekürzt) auf Deutsch erhältlich, die meisten waren seit den 70-ern vom hiesigen Markt verschwunden. Für die Sammler*innen gibt es wieder eine auf nur 99 Exemplare limitierte Vorzugsausgabe mit ExLibris und Variantcover. Beide Bände sind auf dem bereits gewohnten etwas dickeren Papier gedruckt und als stabiles Hardcover gefertigt.

Dazu passen The Music Machine mit ihrem Garage-Pre-Punk und ein Hot English Rum Flip.

© der Abbildungen 2021 by Duval & Aidans / 2021 Comic Combo, Leipzig

Zep – The End

Ein Ökothriller

Story: Zep
Zeichnungen: 
Zep

Originaltitel: The End

Schreiber und Leser

Hardcover | 96 Seiten | Farbe | 19,80 € |

ISBN:  978-3-96582-026-5

Vor Corona schien es nur ein Thema zu geben: Die drohende ökologische Katastrophe, ausgelöst durch den menschenverursachten Klimawandel und die daraus erwachsenden Folgen für die Menschheit. Jetzt ist die Mode vorbei und Viren, Verschwörungstheorien und Rassismus haben die aktuelle Medienhoheit. Trotzdem sollten wir uns nichts vormachen: Das Thema Ökologie wird uns weiterhin beschäftigen müssen.

Der in der Schweiz geborene Comickünstler Zep hat zwei Standbeine. Einerseits arbeitet er an seinem Millionenseller Titeuf für alle Altersgruppen, andererseits veröffentlicht er schon seit Längerem inhaltlich getriebene Graphic Novels. In The End fabuliert er eine Antwort der Natur auf das Ausbleiben des Wandels.

Die Story      

Die Dystopie beginnt romantisch mit einem Liebespärchen in der Natur, doch schon nach wenigen Augenblicken sind die beiden tot und es liegen noch weitere Leichen herum – Szenenwechsel: Ein Praktikant tritt seine Stelle bei einem leicht verschrobenen Wissenschaftler in Schweden an. Dieser ist nicht nur ein Liebhaber der Doors (und der Titel ist auch eine Reminiszenz daran) sondern glaubt, eine Eigenart der DNA aller Bäume entdeckt zu haben. Seiner Meinung nach speichern alle Bäume die gesamte Geschichte der Erde in ihrer DNA, löschen diese aber, wenn Menschen dem Baum zu nahekommen. Er konnte diesen Fund nur in einem vor Millionen Jahren tiefgefrorenen Baum nachweisen.

Er geht weiter davon aus, dass Bäume miteinander kommunizieren und dafür sowohl Gase als auch Pilze nutzen. Die Bäume seien sogar so etwas wie die Hüter der Erde. Natürlich wurde er dafür angefeindet und hat schließlich seinen Lehrstuhl verloren. Leicht verbittert arbeitet er in der schwedischen Einsamkeit weiter an seinen Ideen.

Der Praktikant findet im Wald unbekannte Pilze und versucht, diese auf die nahegelegene Chemiefabrik zurückzuführen. Er selbst war früher Aktivist einer Öko-Gruppe und scheut den Einsatz unerlaubter Mittel nicht. Tatsächlich schlägt wie so oft Ökonomie Ökologie und so gibt es genügend illegale Entsorgungen. Wird die Natur zurückschlagen?

Das Artwork

Die meisten Bilder bestehen nur aus einer Farbe, schwarzen Konturen und manchmal weißen Flächen. Die dadurch erzeugte Stimmung passt perfekt zu dem Thema, zumal die Farben mit ihren Erdtönen bzw. dem gewählten Grün der Natur entsprechen. Die Zeichnungen sind dabei durchaus realistisch, allerdings durch die Kolorierung sehr zurückhaltend. Da die einzelnen Bilder keine Rahmen haben wirkt das Ganze dabei sehr luftig und „natürlich“ im Gegensatz zur menschgemachten „Ordnung“.

Im Gegensatz zu manchem post-Katastrophen-Szenario steht hier im Übrigen die Action nie im Vordergrund! Die Schockeffekte wirken auch ohne Gewalt und die Erklärung ist durchaus einleuchtend. Natürlich kann man der Story von Zep vorwerfen, etwas esoterisch zu sein, aber auch dafür gibt es eine lange Tradition zu der unter anderem der im Werbetext genannte Mega-Roman „Herr der Ringe“ gehört. Bäume sind schließlich nicht die schlechtesten Erdretter! Und tatsächlich erweisen sie sich auch in gewisser Weise als fair!

Kurzum: Top Tipp für alle, die über Corona den Klimawandel nicht vergessen haben, für alle, die gut gemachte Science-Fiction mögen und für alle, die eine spannende Story abseits ausgetretener Pfade lieben! Die Ausstattung im Hardcover mit schwerem Papier tut ihr übriges!

Dazu passen ein nachhaltig angebauter Wein und ein Album von Pole, etwa „2“. Natürlich mag der Eine oder die Andere auch die Doors auflegen wollen…

© der Abbildungen 2020 Verlag Schreiber & Leser / 2019 Rue de Sèvres, Paris

Rochette – Der Wolf

Der Wolf

Story: Jean-Marc Rochette
Zeichnungen: 
Jean-Marc Rochette

Originaltitel: Le Loup

Knesebeck Verlag

Hardcover | 112 Seiten | Farbe | 22,00 € |

ISBN: 978-3-95728-378-8

Diese Graphic Novel könnte so vieles sein: eine Rachegeschichte, eine Erzählung über die Urgewalten der Natur, über das Entstehen von Respekt aber auch eine vom rauen Leben in den Bergen. Definitiv ist sie aber ein Beitrag zur aktuellen Debatte über die Neuansiedlung von Wölfen in Europa.

Die Story

Gaspard lebt als Schäfer ganz alleine mit seinem Hund in den Bergen. Von Zeit zu Zeit kommt die Post und einmal im Jahr treibt er seine Herde in das Tal wenn der Winter kommt und die Tiere für den Schlachthof verladen werden. Er ist sich selbst genug und lebt im Einklang mit der Natur. Er jagt und versorgt sich selbst und behütet seine Schafe.

Sein natürlicher Gegner ist – neben den Unbillen der Natur – der Wolf, denn dieser versorgt sich ebenfalls selbst und jagt, allerdings eben auch die Schafe, die Gaspards Lebensunterhalt dienen. Sie stehen aber auch unter dem Schutz der Ranger. Eines Tages erlegt Gaspard eine alte Wölfin, ihr kleiner Welpe überlebt zunächst unbemerkt. Im Laufe der kommenden Zeit bemerkt Gaspard ihn, will ihn aber noch nicht töten, da er aktuell keine Gefahr darstellt.

Gaspard hat durchaus Verständnis für seine „Mitbewohner“ der Bergregion; einem Adler überlässt er die Eingeweide eines gerade geschossenen Rehs und auch dem kleinen Welpen helfen diese Gaben groß und stark zu werden bis eines Tages wieder Tiere aus Gaspards Herde getötet werden. Es entwickelt sich ein dramatischer Kampf auf Leben und Tod in den tief verschneiten Bergen und als auch noch ein tagelang wütender Sturm aufzieht, müssen beide um ihr reines Überleben kämpfen. Es kommt zum „Show down“ als sich die beiden Antagonisten verletzt gegenüberstehen.

Die Zeichnungen

Jean-Marc Rochette hat nicht nur ein grandioses Szenario geschrieben, sondern auch überragend illustriert! Seine Berge und Landschaften lassen die Leser*innen die Schönheit der Natur fast riechen, allerdings auch die unpersönliche Gefahr. Ein Fehler und die Felsspalte hat dich verschluckt! In der echten Natur gibt es keine Bambi-Romantik, die dem Kitz hilft, wenn die Ricke nicht mehr da ist. Und genau diese atemberaubende Urgewalt ist in den Bildern zu spüren! Dazu passt dann auch, dass viele Seiten ohne Text auskommen!

Rochette hat Ehrfurcht vor der Natur, den Jägern und den Opfern aber gleichermaßen auch vor dem Mensch, der sie annimmt, um mit der Herde und dem Hund dort draußen zu leben. Er verzichtet auf ein moralisch wertendes Gut-Böse-Schema und er beschreibt, dass es in der Natur keinen Platz gibt für die menschengemachten Freund/Feind-Schemata, sondern nur für eine Schicksalsgemeinschaft, die keinen Herrscher kennt, kein Gewinnstreben und keine Profitmaximierung.

Das Nachwort von Baptiste Morizot weist darauf hin, dass es (auch in Frankreich) immer schwieriger wird, Nachfolger für die in den Ruhestand gehenden Schäfer zu finden, dass die wieder angesiedelten Wölfe weder verklärt werden dürfen noch verteufelt, und dass der spätindustrielle Mensch seine Mitte möglicherweise verloren hat. Alle diese Gedanken finden ihren Ursprung in der vorliegenden Graphic Novel!

Die Empfehlung

Der Wolf gehört für mich zum Besten, was bisher in diesem Jahr erschienen ist! Eine mehrschichtig zu lesende Story, erfreulich entschleunigt in dieser hektischen Zeit, grandiose Zeichnungen in einer sehr stimmigen Hardcoverausgabe! Erfreulich finde ich auch den Mut zu kritischen Fragen, die ohne vorgefertigte mit Sendungsbewusstsein verbreitete Antworten daher kommen und die Leser*innen zum Denken auffordern. Must have gerade in diesen Zeiten, in denen wir uns wieder auf uns besinnen müssen und nicht mehr dem lauten Verdrängen föhnen können.

Dazu passen ein Obstbrand und die Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg.

© der Abbildungen Casterman/ Jean-Marc Rochette 2019/Knesebeck-Verlag 2020

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