Lemoine/Dufau, Baril – Spirou und Fantasio Spezial 43

Die Schweinebucht

Story: Christophe Lemoine

Zeichnungen: Elric Dufau, Baril

Originaltitel: La Baie Des Cohones

Carlsen Comics
Softcover | 64 Seiten | Farbe | 12,00 €
ISBN: 
978-3-551-80470-9

Cover Spirou und Fantasio Spezial

Auch bei Spirou haben sich die Zeiten geändert, die tatsächliche und die erdachte Welt nähern sich immer mehr an und tatsächliche Figuren aus Politik und Zeitgeschichte dürfen oder vielmehr müssen unter ihrem wahren Namen Rollen übernehmen. Ob das jede*r gut finden wird? Wahrscheinlich nicht! Aber Kritik ist die Serie ja gerade gewöhnt, die in Deutschland als Band 42 erschienene Geschichte von Yann und Dany wurde in Frankreich sogar zurückgezogen.

Abenteuer in Kuba …

Tatsächlich wagen sich die Macher der Serie an zwei Ikonen der lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen: Fidel Castro und Che Guevara! Während ersterer nicht nur die kubanische Mafia aus Kuba vertrieben, sondern dadurch gleichzeitig auch den amerikanischen Einfluss dramatisch reduziert hatte, war letzterer sowohl vorher als auch nachher in anderen lateinamerikanischen Revolutionen aktiv. Das Portrait von Che auf rotem Hintergrund hat sich zu einem die Jahrzehnte überdauernden popkulturellen Postermotiv entwickelt dessen Entstehungsgeschichte hier karikiert wird.

Überhaupt sie die realen Akteure, gleich ob kubanischen oder amerikanischen Ursprungs nicht wirklich nett und vertrauenswürdig. Während die CIA-Agenten eher als dusselig geschildert werden, ist bei den kubanischen der Machismo überdeutlich prominent. Auf jeden Fall wird in die Schweinebucht deutlich, dass beide Seiten für das Erlangen ihrer Ziele über Leichen gehen würden und keine Rücksicht auf irgendjemand anders nehmen werden!

Spirou und Fantasio Spezial 43 page 3

Spirou wird verhaftet, Fantasio möchte ihn befreien, versucht aber gleichzeitig Steffani in Bezug auf eine Reportage über Kuba austzustechen. Das Marsupilami stiftet Chaos und zerstört dabei die eine oder andere Dekoration oder Auslage und Agent Longplaying darf nach langer Zeit (Franquins Tal der Budhhas) wieder einmal auftreten. Und auch der GAG spielt eine tragende (oder besser  schwebende) Rolle. Die Geschichte von Christophe Lemoine schwankt zwischen Real-Satire, Anklage und Splapstick-Spannung und versucht so, den klassischen Esprit der Serie wieder einzufangen.

… in klassischer Manier!

Die Zeichnungen von Elric Dufau und Baril versuchen, den klassischen Vorbildern zu folgen. Natürlich sind die Hintergründe, die Klamotten und auch die technischen Geräte wie Autos im Jahre 1961 nicht viel anders als diejenigen, die Andre Franquin inspiriert haben. Es gelingt daher auch relativ einfach, den Charme dieser Zeit einzufangen. Trotzdem bewegen sich die Figuren darin anders, moderner und von dem aktuellen Erwartungshorizont beeinflusst. Das betrifft nicht nur die Witze (niemand würde heute noch Gottschalk als Textgeber für aktuelle Produktionen haben wollen), sondern auch die Slapstickeinlagen.

Detail Spirou und Fantasio Spezial 43 page 5

Den beiden Zeichnern gelingt diese schwierige Spagatlage ziemlich gut. Zudem schaffen sie es, den kritisierten Persönlichkeiten ein wenig Würde zu lassen. Sie machen somit den Widerspruch zwischen einigen Revolutionserrungenschaften und der Missachtung der Interessen der Einzelnen deutlich und nachvollziehbar. Und auch das Thema der Emanzipation taucht unterschwellig immer wieder auf.

Eine Annäherung!

Grundsätzlich ist der Band eine gelungene Hommage an die wohl erfolgreichste Periode der Serie. Der kleine präpubertäre Giftzwerg ist nicht ganz mein Geschmack und erinnert zu sehr an die andere große belgische Serie. Ansonsten wird der Band den Fans sicherlich gefallen. Ob man damit neue Fans gewinnen kann, wage ich allerdings zu bezweifeln. Dafür ist das Thema heutzutage zu unbekannt und von aktuellen Krisen (und Popkultur-Heroen) bereits lange verdrängt.

Spirou und Fantasio Spezial 43 page 7

Das Backcover gefällt mir dagegen sehr gut, stellt es doch einen Zusammenhang des aktuellen Bandes mit Vorläufern und mit anderen Bänden der beteiligten Künstler her. Zudem wird endlich klar, wie groß der Kosmos um die miteinander verbundenen Serien bereits geworden ist!

Dazu passen „Viva la revolución“ in der Version von den Toten Hosen und ein kubanischer Rum.

© der Abbildungen DUPUIS, 2024 / 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Sente/Verron – Mademoiselle J. 2

1945: Bis ans Ende der Welt

Story: Yves Sente

Zeichnungen: Laurent Verron

Originaltitel: Jusq’au bout du monde

Carlsen Comics
Hardcover | 64 Seiten | Farbe | 12,00 €
ISBN: 
978-3-551-76749-3

Cover Mademoiselle J. 2

Ein Spin-Off, das sich aus einer Hommage entwickelt hat. Diese nicht allzu häufige Konstruktion finden wir hier. Mademoiselle J(uliette) erblickte das Licht der Welt in einem der „Spirou par“-Bände die in Deutschland unter dem Titel Spirou und Fantasio Spezial erscheinen. Sein Name war Ptirou, so der Titel, war so erfolgreich und die Figur der aufgeschlossenen und unerschrockenen jungen Frau so vielversprechend, dass eine Reihe daraus entstanden ist.

Die Besatzung, der Holocaust und die Folgen

Die Geschichte ist wieder in eine fortlaufende Rahmenhandlung eingebettet: Onkel Paul kommt zu Besuch und erzählt die Abenteuer von Juliette de Sainteloi. In Band 1 hatte sie sich gerade noch weigern können, das Unternehmen ihres Vaters an einen Nazi verkaufen zu müssen. Als am 14. Juni 1940 die deutsche Armee in Paris einmarschiert, wird der Betrieb allerdings zwangsenteignet. Und auch ihre Wohnung in der Hauptstadt wird zumindest teilweise zweckentfremdet, wird doch dort ein deutscher Offizier einquartiert.

Während die meisten Deutschen als brutal und stupide gekennzeichnet werden, ist der einquartierte Offizier wenigstens höflich und hat sich ein wenig Menschlichkeit bewahrt. Juliettes Freundin Lea und ihre Eltern sind jüdischen Glaubens. Leider befolgen sie den Rat zur Flucht nicht und bei ihren Menschenjagden greifen die Deutschen sie auf und verfrachten sie in Vernichtungslager im Osten.

Mademoiselle J. 2 pages 3, 4

Nach der Befreiung durch die Alliierten macht sich Mademoiselle J bis ans Ende der Welt auf, Lea zu suchen. Dabei kommt ihr zur Hilfe, dass sie sich im Widerstand aktiv in der Redaktion einer Untergrundzeitung engagiert hat. Yves Sente spinnt den Lebensfaden dieser mutigen Frau weiter. Sie steht ein für Freiheit, gegen Unterdrückung und Machtmissbrauch und natürlich auch für die Rechte der Frau. Immer wieder taucht ein geträumter Ptirou auf, um sie moralisch zu unterstützen, er ist aber eindeutig nur eine Nebenfigur und nimmt keine Heldenrolle ein.

Realistische Zeichnungen

Die (überlange) Folge kombiniert in ihren Zeichnungen knallharten Realismus mit der romantischen Marcinelle-Schule. Die moderne Variante macht klar, dass keine Wichtel um die Ecke kommen werden. Eine magische Wendung ist ebenfalls ausgeschlossen. Trotzdem vermittelt Lauren Verron das Prinzip Hoffnung. Solange es Menschen gibt, die sich für das Gute und die Freiheit einsetzen, ist nicht alles verloren.

Dementsprechend machen auch die Physiognomien bereits deutlich auf welcher Seite die Personen stehen. Böse Menschen haben sowohl eine ständig bedrohliche Körperhaltung als auch einen entsprechenden Gesichtsausdruck. Wenn es etwas zu meckern gibt, dann vielleicht, dass Juliette eine Blondine mit Model-Maßen ist. Ein wenig mehr „Alltag“ wäre hier möglicherweise besser gewesen.

Mademoiselle J. 2 pages 5, 6

Ein der spannendsten Serien aus dem Spirou-Kosmos!

Der Spirou-Kosmos wächst und wächst. Neben der wieder neu laufenden Hauptreihe gibt es unzählige Interpretationen durch Gast-Künstler*innen. Dazu kommen lokale Interpretationen, die bei Erfolg weltweit ausgerollt werden. Im Zuge des 100. Geburtstag von André Franquin wurden viele Titel neu aufgelegt und dann gibt es ja noch die ganzen Reihen mit dem Marsupilami.

Viele der neuen Reihen (etwa die „Freunde“ oder von Bravo) beschäftigen sich mit dem Zweiten Weltkrieg und den Gräueltaten der Deutschen. Mademoiselle J. fügt aber einen aufgeklärten Feminismus hinzu der weder belehren noch erziehen will. Danke!

Dazu passen Operation Ivy mit “Unity“ und eine Limetten Limonade.

© der Abbildungen DUPUIS 2023 / 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Cauvin/Lambil – Die Blauen Boys GA 5

1977 – 1978

Story: Raoul Cauvin
Zeichnungen: Willy Lambil

Originaltitel: Le Tuniques Bleues 13, 14, 15

Salleck Publications

Hardcover | 160 Seiten | Farbe | 34,90 € | 
ISBN: 978-3-89908-817-5

Cover Blaue Boys Gesamtausgabe 5

Wo sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere. Die Blauen Boys haben schon mehrere solcher Türen hinter sich. Entstanden aufgrund des Weggangs einer anderen Serie verstarb der erste Zeichner Salvérius bereits nach wenigen Alben (GA 1 und 2) und Lambil (GA 3 und 4) musste einspringen. Mittlerweile ist auch der Texter Cauvin verstorben, die Serie läuft aber weiter (auf Deutsch in Vorbereitung). Dazu kommen ein einmaliger Band von BeKa und Munuera sowie eine Hommage, die ebenfalls bald auf Deutsch escheinen wird.

Schlachten ganz unterschiedlicher Art

Obwohl die Serie sich bei unseren westlichen Nachbarn ausgesprochen gut verkauft, hatte sie in Deutschland einen schwierigen Start. Als Bud und Chester bei Bastei gestartet, wurde die Serie eher ins Klamauk-hafte gepackt. Carlsen übernahm dann später, versuchte aber unterschiedliche Formate, unter anderem am Kiosk, und erst bei Salleck erhielt sie unter dem Namen Die Blauen Boys eine regelmäßige und angemessene Veröffentlichungsform. In der Gesamtausgabe werden nun die ersten Bände neu übersetzt und gelettert in einer dementsprechenden Weise präsentiert.

Die Schlammschlacht beschreibt eine Wettersituation, die von Soldaten im Feld gefürchtet wird. Lang andauernder Regen macht das Gelände weich und rutschig und fügt den Schrecken einen weiteren hinzu: die Unkalkulierbarkeit. Leider nehmen nicht alle Vorgesetzten darauf Rücksicht. In einer Parallelhandlung geht es um romantische Gefühle, Ehre und Verrat. Der Grünschnabel enthält noch viel mehr Gefühle, besucht Sergeant Chesterfield doch Fort Bow. Dort muss er feststellen, dass scheinbar jemand seiner Angebeteten den Hof macht.

Nach dem ganzen Chaos wird es in Rumberley wieder etwas ernster. Wie immer ist die Kavallerie fast komplett aufgerieben worden. Neben einer Unmenge an Toten gibt es auch ein paar schwer Verletzte. Aufgrund taktischer Überlegungen beschließt de Generalstab, die Verletzten in Örtchen Rumberley zurückzulassen. Dessen Bewohner*innen sind der Sache aber alles andere als wohlgesonnen und rufen die Südstaatler.

Die Kombination aus lieblich und grausam macht’s

Lambil ist ein wahrer Meister darin, wunderschöne Landschaften auf das Papier zu bringen. Grüne Bäume, kräftiges Gras, der eine oder andere Vogel pfeift fröhlich vor sich hin und man sieht fast die Eichhörnchen durch den Wald fegen. Doch schon die nächste Szene kann komplett gegenläufig sein und von Kanonendonner künden, Leichenteile zeigen oder sonstige Schreckensszenarios präsentieren.

Bei all diesen Schockmomenten verletzt Lambil niemals die Grenzen des guten Geschmacks. Der Comic kann durchaus von Jugendlichen gelesen werden, diese werden bestimmte Szenen einfach überlesen und sind aus dem Manga-TV eh Schlimmeres gewohnt. Für mich macht diese Spannung aber einen großen Teil des Reizes aus, der den schon ansonsten üblichen Marcinelle-Genuss deutlich erhöht. Vielleicht ist der Moment auch genau der richtige, ist ein Stellungskrieg in Europa doch seit mittlerweile drei Jahren wieder Realität.

Ein – bei uns – unterschätzter Western

Das Genre des Western-Comics ist extrem vielfältig. Neben den klassischen Narrativen Rache, Macht, Gewalt und Eroberung gibt und gab es auch immer wieder weichere Themen. Neben der Saddle Romance gehören dazu auch interne Konflikte wie der Wunsch, dem Soldatendasein durch Desertion zu entfliehen oder wohlverstandene Kameradschaft. Chesterfield und Blutch bilden diese Topics ab, agieren aber gleichzeitig in einem klassischen Armee-Szenario mit Semi-Funny Elementen.

Die gewählte Form der Gesamtausgabe bringt endlich (!!) auch die frühen Abenteuer der Beiden in einer lesbaren Übersetzung und Ausstattung nach Deutschland. Die Ausgabe inkludiert die Titelbilder der Spirou-Vorveröffentlichungen und die der deutschen Erstausgaben. Dazu kommt ein eigens von Volker Hamann verfasster Text über die Serie.

Dazu passen Alice Cooper, etwa mit “Go to Hell” und ein Cuba Libre!

© der Abbildungen DUPUIS 1978, 1979, by Cauvin & Lambil / 2024 Eckart Schott Verlag

Franquin – Für die Familie

Gezeichnete Gutscheine und Glückwünsche

Text und Zeichnungen: André Franquin

Originaltitel: Bon pour … Dessins de famille

All Verlag

Hardcover | 120 Seiten | Farbe | 19,80 € |

ISBN: 978-3-96804-269-5

Cover Franquin - Für die Familie

André Franquin, einer der beiden ganz großen Zeichner aus der Hochzeit des frankobelgischen Comic-(Magazin-)Booms und Vertreter der Dupuis/Marcinelle-Linie, wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Sein Hauptwerk erscheint in Deutschland bei Carlsen und wir durften bereits einige Jubiläumsausgaben genießen. Sein Werk umfasst aber auch Schmankerl außerhalb von Gaston,  Spirou und Marsupilami. Einige schöne Zeichnungen hat seine Tochter Isabelle hier zusammengestellt.

Gutscheine – Wohl dem, der es kann!

Gutscheine sind eine etwas zwiespältige Sache. Einerseits zeigt man dem/der Beschenkten, dass man an den Anlass gedacht hat und man ihn würdigen möchte. Andererseits hängt aber auch immer ein „Entschuldigung, ich bin zu spät“-Manko an Gutscheinen. Es sei denn, dass die Gestaltung des Gutscheins an sich schon eine zeitaufwändige, künstlerische und eigenständige Leistung ist.

Detail Franquin - Für die Familie 10

Der Zeichner Franquin hatte natürlich andere Voraussetzungen als der normale Mensch. Kreativität und Können erlaubten es ihm, teilweise wahre Kunstwerke zu schaffen. In diesem Band sind diejenigen zusammengefasst, die noch vorhanden und familienbezogen waren. Im Wesentlichen sind es Gutscheine an Frau und Mutter, unterzeichnet von Franquin selbst und der gemeinsamen Tochter Isabelle, deren Alterungsprozess Leser*innen sehr gut über die Illustrationen nachvollziehen können. Aus dem kleinen Mädchen wird eine Jugendliche und schließlich eine erwachsene Frau.

Kompositionen für den Moment

Es ist nicht einfach, eine einfache Zeichnung zu entwerfen! Gerade in der Reduktion auf das Wesentliche liegt eine Kunst, die hier über Jahre hinweg gut nachzuvollziehen ist. Die Anlässe sind immer wieder gleich (Geburtstag, Muttertag, Namenstag), die guten Wünsche auch. Geschenkideen und Emotionen sind dagegen sehr unterschiedlich und zeigen auch eine Entwicklung, sprechen aber immer eine liebevolle Sprache!

Detail Franquin - Für die Familie 14

Natürlich kann man diesen Band auch als eine Sammlung von Anregungen verstehen. Tatsächlich sehe ich das Ganze aber eher als Abrundung des Bildes über den Künstler André Franquin, der eben nicht nur aus – in gewisser Weise – Auftragsarbeiten für seine Comics bestanden hat, sondern auch ein privates Leben hatte, in dem er seine Talente genutzt hat.

Einfach schön!

Ist dieser Band notwendig? Nein, sicherlich nicht. Aber schön! Ein paar wenige Zeichnungen aus diesem Band sind bereits in dem alten Klassiker „Das große André Franquin-Buch“ abgedruckt worden, die meisten aber waren bisher nur der Familie zugänglich und bekannt. Sie zeigen Facetten des Künstlers abseits des Mainstreams und abseits von hochwissenschaftlicher Deutung, denn sie sind „Alltag“.

Detail Franquin - Für die Familie 12

Insofern wünsche ich allen Käufer*innen viel Spaß und Freude damit! Das Geschenk mag für andere sein oder für einen selbst. Man muss es nur genießen wollen! Das Hardcover ist auf jeden Fall eine angemessene Erscheinungsform. Und die einführenden Worte von Isabelle Franquin machen das Ganze noch etwas persönlicher.

Dazu passen Sophia George mit „Girlie Girlie“ und ein gemeinsames Feierabendgetränk.

© der Abbildungen 2023 Isabelle Franquin und CFC-Éditions / 2024 All Verlag

Cauvin/Berck – Sammy & Jack Integral 4

1978 – 1981

Story: Raoul Cauvin
Zeichnungen: 
Berck
Originaltitel:
Sammy Integraal 4

Kult Comics

Hardcover | 272 Seiten | Farbe | 39,00 € | 
ISBN: 978-3-96430-252-6

Cover Sammy & Jack Integral 4

Cauvin ist einer der produktivsten Szenarist*innen seiner Zeit gewesen. Dabei deckte er verschiedenste Gebiete ab, allerdings immer mit einem unverkennbaren Humor. Seine Westernserie Die Blauen Boys verband Situationskomik mit einer geharnischten Kritik an Kriegen, Kadavergehorsam und Autoritäten, Die kranken Schwestern nahmen Arztserien auf die Schippe, Pierre Tombal das Leben und Sterben an sich. Wie auch in Sammy & Jack ist der Humor dabei teils slapstikhaft, oft genug aber auch komplett anarchistisch. Die Integral-Reihe enthält alle Episoden, auch die Kurzgeschichten, erstmals komplett und in chronologischer Reihenfolge.

Leibwächter mit weltweiten Einsätzen

Das Setting mit zwei gegensätzlichen Charakteren funktioniert innerhalb einer Geschichte perfekt. Damit trotzdem genügend Abwechslung eingebaut werden kann, ist es notwendig den lokalen Bezug immer wieder zu verändern. Neben den in Chicago spielenden Prohibitionsstories versetzt Cauvin seine Leibwächter Sammy & Jack daher immer wieder in fremde Gegenden. Das große Bibbern ist eine Wissenschaftskatastrophenstory: Ein Experiment geht schief und einer der Beteiligten ist nun eine unermesslich heiße Batterie. Die einzige Chance ihn vor der Überhitzung zu bewahren ist eine Reise an den Nordpol. Leider erweckt sein Zustand auch Begehrlichkeiten.

Sammy & Jack Integral 4 page 53

Passend zur baldigen Fußball-EM thematisiert Die Gorillas machen ein Tor sowohl übergriffige Fußballfans als auch Hooliganismus. Manchmal vergessen wir alle, dass es doch nur ein Spiel ist bzw. sein sollte! Zurück in den USA werden unsere Gorillas in Hollywood für einen Mafiafilm gecastet. Die Darstellung einer queeren Persönlichkeit würde heutzutage sicherlich etwas anders laufen müssen, die Story an sich hat aber ihren Charme.

In deutscher Erstveröffentlichung kommt nun endlich auch die Episode Ku-Klux-Klan zu uns. Dieses Highlight parodiert die leider gar nicht lustige amerikanische rassistische Realität und spielt mit der Beschränktheit der weißen Protagonisten. Die Mischung aus Dumm und Böse liefert genügend Stoff für den explosiven Inhalt. Erstaunlich, dass diese Geschichte bisher immer ausgelassen worden war.

Sammy & Jack Integral 4 page 57

Bester Spirou-Style

Arthur Berckmans bzw. Berck hat seinen Stil über die Jahre perfektioniert und liefert hier sehr routiniert hochklassige Zeichnungen ab. Sowohl in den Kurzgeschichten als auch in den vier Alben ist zu merken, dass die Zusammenarbeit mit Cauvin klappt, seine eigenen Stärken eingesetzt werden können und Langeweile vermieden wird.

Der ausführliche redaktionelle Teil gibt einen Einblick in Zeiten der Karriere, in denen das nicht der Fall war. Anhand der ausführlichen Illustrationen ist der Werdegang und auch die Professionalisierung nachzuvollziehen.

Sammy & Jack Integral 4 page 58

Fast schon ein Teil einer kommentierten Werksausgabe

Das hier übersetze Integral ist sehr ausführlich bezüglich des Werdeganges der Kreativen und enthält zudem noch umfassende Artikel zu den einzelnen Abenteuern. Den Leser*innen wird dadurch ein ganz anderer Zugang zu den Geschichten ermöglicht, liegen einige der Ereignisse doch schon mehr als 40 Jahre in der Vergangenheit. Trotzdem sind die Stories und Gags aber nicht veraltet, sondern entwickeln ihren Humor immer noch mit der gleichen Schärfe. Es sei hier erwähnt, dass der Verfasser dieser Zeilen für die Übersetzung der redaktionellen Beiträge verantwortlich war.

Wie immer gibt es auch eine limitierte Vorzugsausgabe mit Variantcover und drucksigniertem ExLibris. Zu empfehlen ist der Band definitiv allen, die Semi-Funnies aus der Hochzeit des Spirou-Magazins mögen: Explosionen, haarsträubende Experimente, ein sich kabbelndes Duo und spannende Handlungsabläufe!

Dazu passen Earth, Wind and Fire mit „Boogie Wonderland“, und ein Cuba Libre.

© der Abbildungen Dupuis, 1980, 1981, 1982, 1983 / Berck, 2023 / 2023 Comic Combo, Leipzig

Yann/Dany – Spirou und Fantasio Spezial 42 – UPDATE

Spirou und die blaue Gorgone

Story: Yann

Zeichnungen: Dany

Originaltitel: Spirou et la Gorgone bleue

Carlsen Comics
Softcover | 96 Seiten | Farbe | 14,00 €
ISBN: 
978-3-551-79956-2

Cover Spirou und Fanstasio Spezial 42

UPDATE: Mittlerweile hat DUPUIS den Band zurückgezogen, er wird nicht mehr verkauft. Es hatte – wie bereits unten vorausgesagt – eine intensive Diskussion gegeben, ob es sich um Satire handele oder um Bild-gewordenen Sexismus und Rassismus. Auch auf der deutschen Seite von Carlsen ist der Band nicht mehr gelistet, er wurde allerdings nicht zurückgezogen, er wird nur nicht nachgedruckt.

Dany hat erklärt, dass er den Band als Hommage an die 60-er Jahre betrachtet hat und keineswegs jemanden verletzen wollte. Er hätte den Fehler eingesehen und würde ihn nicht wiederholen.

Während die reguläre Serie über den Hotelpagen und seine Freund*innen ein mittlerweile sehr gemäßigtes Publikationstempo aufgenommen hat, erscheinen die „Spirou par …“-Bände, die bei uns in Deutschland als Teil der Spezial-Reihe erscheinen, deutlich häufiger. Kein Wunder, haben doch hier die Autor*innen und Zeichner*innen viel mehr Freiheiten bezüglich des Stils und der Kontinuität. Yann ist bereits ein alter Bekannter, hat er doch sowohl reguläre als auch Sonderbände bereits mehrfach getextet. Für Dany ist es das erste Mal.

Kampf gegen Fastfood

Heutzutage wird die Klimakatastrophe bzw. die menschgemachte Klimaänderung nur noch von Wissenschaftsleugnern angezweifelt. Ein Teil des Problems ist die weltumspannende Fast-Food-Kultur, die unter anderem zu einer aktuell nicht mehr beherrschbaren Menge an (Verpackungs-)Müll führt. Sehr deutlich wird in dem Comic auf den sog. 8. Kontinent hingewiesen, der aus schwimmendem Müll besteht.

Es gibt eine alles beherrschende Fast-Food-Kette, die von einem sehr reichen Mann geführt wird der einen verblüffend an einen unsympathischen Mann erinnert. Bei ihren potentiellen Kund*innen ist die Kette vor allem wegen der hochwertig inszenierten Werbeclips und Sammelobjekte beliebt. Die Kette ist aber auch das Hauptziel der blauen Gorgone. Ihre Kämpferinnen treten vermummt und in einheitlichem Outfit auf um mit Sachbeschädigungen auf die Gefahren von Fast-Food aufmerksam zu machen.

Spirou und Fanstasio Spezial 42 page 5

Plötzlich ändert die Organisation jedoch ihre Handlungsweise und entführt das Anchor Girl der Kette, die gleichzeitig Lebensgefährtin des Chefs ist. Stefanie ist als Reporterin undercover live dabei und auch Spirou und Fantasio werden in die Ermittlungen hineingezogen. Selbst der Graf von Rummelsdorf scheint eine Rolle zu spielen.

Traditionell und doch unerwartet

Dany kann sehr wohl realistisch zeichnen (etwa hier), bewegt sich bei diesem Abenteuer grundsätzlich aber in den gewohnten Spirou-Bahnen. Es gibt jedoch einige Anspielungen, die eher nicht kindgerecht sind, etwa das Aussehen eines bestimmten Pilzes. Und auch Gorgonen wie Strandurlauberinnen sehen etwas anders aus. Ansonsten trifft er aber den Ton der Serie: Fantasio ist rechthaberisch und aufbrausend, Spirou eher die Ruhe selbst und Pips der Rächer der Machtlosen!

Spirou und Fanstasio Spezial 42 page 6

Da der Band recht lang ist, besteht genügend Zeit, grundlegende Szenen auszudehnen und nicht in ein oder zwei Panel abhandeln zu müssen. Dany nutzt das aus, um mit Perspektivwechseln zusätzliche Bewegung aufzunehmen. Die Geschichte wirkt dadurch sehr flott erzählt. Manchmal verliert man dabei den Blick für die Details. Ich empfehle daher mindestens einen zweiten Durchgang!

Grandiose Satire!

Yann schafft eine wirklich grandiose Satire auf die heutige Zeit mit den sinnlosen Abwehrkämpfen gegen wissenschaftliche Erkenntnisse. Leider haben die Leugner immer wieder die Dummheit der Masse auf ihrer Seite. Zudem beweist die Story, dass man nicht immer gut sein muss um Gutes zu wollen und vice versa. Mir gefällt auch der Anfang, der die Leser*innen an eine bestimmte Schaffensperiode von Dany erinnert. Während die Zeichnungen in diesem Stil bleiben, ist der Inhalt mit Oh LaLa natürlich keineswegs zu vergleichen.

Spirou und Fanstasio Spezial 42 page 9

Die Militärs und Geheimdienste sind genau so überzeichnet wie Kapitalist*innen und naive Beschützer*innen. Wahrscheinlich werden sich einige Leute auf allen Seiten auf den Schlips getreten fühlen. Tatsächlich ist hier aber ein großer Spaß entstanden, der allerdings trotzdem klar macht, auf welcher Seite man steht.

Dazu passen Paul Wellers neues Album “66“ und hand-made Lemonade.

© der Abbildungen Dupuis, 2023 | 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Wasterlain – Monika Morell Integral 1

Die Abenteuer von Monika Morell – Fotoreporterin – 1982 – 1987

Story: Marc Wasterlain
Zeichnungen: 
Marc Wasterlain
Originaltitel:
Jeannette Pointu

Kult Comics

Hardcover | 240 Seiten | Farbe | 39,00 € | 
ISBN: 978-3-96430-322-6

Cover Monika Morell Integral 1

In den 80-er Jahren änderte sich die Comic-Welt ein weiteres Mal. Comics begannen sich auch im etablierten Spirou-Magazin an ältere Leser*innen zu richten ohne dabei allerdings dem Muster der „Comics für Erwachsene“ zu folgen. Politische Themen hielten Einzug, es durfte gestorben werden und ja, es durfte tatsächlich auch Heldinnen außerhalb von Fantasy and Science-Fiction geben!

Eine starke Frau

Monika Morell ist eine Fotoreporterin, die sich weder vor Reisen in Kriegs- und Krisengebiete scheut noch davor zurückschreckt, Ikonen kritisch zu hinterfragen. Nicht immer wird ihr das wirklich gedankt, und doch sind ihre Fotos immer wieder auf der ersten Seite zu sehen. Wasterlain schafft es, aktuelle Themen der Zeit aufzunehmen und lässt seine Heldin in Ostasien, Lateinamerika und der afrikanischen Wüste agieren. Dort hat sie nicht nur mit lokalen Mächten und Unruhestiftern zu tun, oft genug muss sie sich auch gegen männliches Machtgehabe und Sexismus durchsetzen.

Monika Morell Integral 1 page 7

Die Geschichte beginnt auf dem Schlachtfeld und die Heldin bekommt von einem Sterbenden ein Amulett geschenkt. Der grüne Drache wird im Laufe des Abenteuers noch eine große Rolle spielen, ist er doch das Symbol eines weltumspannenden Geheimbundes. Es ist unschwer zu erkennen, dass die gezeigte Gegend Kambodscha repräsentiert. Weiter geht es in den Anden: Der Sohn des Inka ist auf der einen Seite eine Geschichte über die Ausbeutung und Aneignung der indigenen Geschichte, andererseits ein Paradebeispiel über brutale Diktaturen dieser Gegend.

Paris-Dakar fügt der Weltpolitik, die erneut in Form der Vernichtung der Ökologie in sogenannten Dritt-Welt-Ländern eine Rolle spielt, eine sexistische Komponente hinzu. Monikas Kollege, der sein wahres Ich bereits im vorherigen Band zeigen durfte, geht in die Offensive. Und dann folgt noch ein Band, der unter anderem in Tibet spielt und den Yeti bzw. Yeren zum Thema hat. Und wieder kommt die sogenannte zivilisierte Welt nicht wirklich gut weg.

Monika Morell Integral 1 page 8

Eine Reporterin aus Belgien, aber ohne Hund

Man merkt Wasterlain an, dass er großen Respekt vor einem anderen Reporter hat. Immer wieder tauchen Motive auf, die Bilder von Herge in einen anderen Zusammenhang setzen. Teilweise werden dadurch Assoziationen geweckt, die die Geschichte unterstützen, teilweise sind es aber auch gegensätzliche, „moderne“ Auslegungen, die der Zeichner im Sinn hat.

Die Seiten sind zeitgemäß streng in vier Streifen gegliedert. Zwar gibt es nur wenige Überschneidungen, die Panel sind aber keineswegs gleichförmig oder langweilig. Wasterlain wechselt die Perspektive, fügt viele detaillierte Hintergründe hinzu und schafft eine Mischung aus Realismus und Knollennase.

Detail Monika Morell Integral 1 page 13

Gelungene Mischung aus Comics und Information

Im Gegensatz zu anderen Integralen mit sehr langen einführenden Vorworten ist dieser Teil hier eher kurzgehalten, allerdings mit ausreichender Information versehen. Jede einzelne Geschichte wird dagegen vorgestellt, auf historische Hintergründe hin beleuchtet und mit zusätzlichen Illustrationen angereichert. Gut gemacht! Der Band enthält auch Zeichnungen, die extra für die neue französische Gesamtausgabe angefertigt worden waren. Obwohl Wasterlain in allen einzelnen Teilen politische Themen aufgreift und Missstände offenlegt, ist Monika Morell keineswegs als Agitation zu beschreiben. Es ist eine sehr humanistische Grundhaltung, die Gegensätze dazu beschreibt. Schlüsse muss jede*r selber daraus ziehen!

ExLibris Monika Morell Integral 1 VZA

Die insgesamt 20 Alben werden zusammen mit den zusätzlich erschienenen Kurzgeschichten in insgesamt 5 Integral-Bänden erscheinen. Wie immer bei Kult gibt es auch eine auf 99 Exemplare limitierte Vorzugsausgabe der ein ExLibris beiliegt. Für alle, die ihre Lieblingsserie nicht nur im Regal stehen haben, sondern auch einen schönen Druck an die Wand hängen wollen.

Dazu passen The Selecter mit „Celebrate the Bullet“, und ein Leffe Bruin.

© der Abbildungen 2024 Editions du Tiroir & Marc Wasterlain / 2024 Comic Combo, Leipzig

Delaf – Gaston 22

Die Rückkehr eines Chaoten

Story: Delaf nach André Franquin

Zeichnungen: Delaf nach André Franquin

Originaltitel: Gaston 22 – Le Retour de Lagaffe

Carlsen Comics
Hardcover | 48 Seiten | Farbe | 15,00 €
ISBN: 
978-3-551-64001-7

Cover Gaston 22

Wir feiern (immer noch) den 100. Geburtstag eines der besten Comic-Künstler überhaupt, der den europäischen Comic wie nur wenige andere beeinflusst hat: André Franquin. Viele seiner Werke sind gerade in Sondereditionen neu erschienen, die Zeitschrift Spirou hat gar eine sehr schöne Sondernummer (4473 – 4474) veröffentlicht. Natürlich sind mit diesem Namen Serien wie Spirou und Fantasio oder Mausi und Paul verknüpft, das gelb-schwarze Wundertier hüpft über die Seiten. Daneben gibt es aber auch die anarchistische Seite, die sich in einigen Schwarzen Gedanken äußert, in der Kritik an der Institution Kirche, vor allem aber in den Abenteuern des Büroboten Gaston.

Zurück in die Zukunft …

21 Bände mit den aberwitzigen Geschichten von Gaston sind erschienen und eine sehr lange Zeit sah es so aus, als ob es dabei bleiben würde. Zwar kamen immer neue Gesamtausgaben auf den Markt und wurden teilweise vergessene Bruchstücke hinzugefügt, Neues schien aber verboten zu sein. Natürlich mal abgesehen von den unzähligen Hommagen und Cameoauftritten. Schließlich schon es so weit zu sein, der Kanadier Delaf (mit bürgerlichem Namen Marc Delafontaine) fabrizierte einige Seiten, aber ein Rechtstreit verhinderte zunächst die Veröffentlichung. Bis jetzt …

Die Jahrzehnte, die zwischen Band 21 und Band 22 liegen, haben in gewisser Weise gar nicht stattgefunden. Fräulein Trudel ist noch genauso die alte wie Herr Bruchmüller, Demel oder Polizist Knüsel. Während das bei Letzteren nicht weiter schadet, ist das Rollenbild der verliebten Kollegin leider „leicht“ veraltet. Die Gags funktionieren trotzdem und bringen das gesamte Ensemble auf die Bühne: sogar Spirou, Demels Vorgänger Fantasio und das Marsupilami dürfen mittun!

Gaston 22 page 3

Die Gags modernisieren die Umgebung nur leicht und sind daher für Kids möglicherweise nicht ohne Erklärung verständlich. Das mobile Telefon ist für die Älteren unter uns aber ein genauso großer Spaß wie der Campingurlaub und die nur auf Papier vorhandenen Verträge. Es gibt aber auch bereits erste E-Bikes und Reminiszenzen an Spider-Man. Ein gelungener Versuch, den alten Stallgeruch aufzunehmen und (sehr zaghaft) zu modernisieren.

Zeichnungen, die das Flair einfangen

Natürlich ist Delaf kein Franquin. Wer das erwartet, glaubt aber auch an den Weihnachtsmann. Delaf kopiert jedoch den Stil sehr originalgetreu und schafft damit das Vertrauen, das es braucht, eine Meisterserie fortsetzen zu können. Einige Bilder mögen etwas zu voll sein, natürlich fehlt die lustige, immer wieder andere Signatur und das Tempo stimmt (noch) nicht immer.

Gaston 22 page 4

Das ist aber ein Meckern auf hohem Niveau! Für mich springt der Funke über, der Irrwitz aus Respektlosigkeit, grenzenloser Naivität und unbekümmertem Urvertrauen wird durch die Zeichnungen perfekt unterstützt. Weiter so! (Und: Ja, ich weiß, dass es Purist*innen gibt, die das Ganze nur als Affront verstehen während anderen die Modernisierung nicht weit genug geht…).

Ein gelungenes Comeback

Viele alte Serien aus der Blütezeit des frankobelgischen Comics sind „runderneuert“ wieder auf dem Markt, andere sehen sich eher den Traditionen verbunden. Der „neue“ Gaston gehört definitiv in die zweite Kategorie. Kids sind eindeutig nicht die Zielgruppe! Fairerweise muss man allerdings zugestehen, dass die beruflichen Erlebnisse einer Redaktion schon immer aus der Welt der Erwachsenen entnommen waren.

Wir haben heutzutage viel zu wenig Spaß in unserer auf Verwertung und Optimierung getrimmten Welt. Gaston ist definitiv ein Ereignis, eine Naturgewalt, von der man hofft, dass sie andere Firmen heimsuchen und die eigene verschonen möchte. Trotzdem gibt sie genau das, was fehlt: Anarchie im Alltag! Für mich ein Top-Tipp!

Dazu passen Bite Me Bambi mit “Bad Boyfriend“ und ein Grauburgunder.

© der Abbildungen Delaf d`après Franquin Dupuis 2023 | 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Franquin – Huba!

Eine Marsupilami-Liebesgeschichte

Story: André Franquin

Zeichnungen: André Franquin (Adaption Catheline & Frédéric Jannin)

Originaltitel: Houba ! Une histoire d´Amour

Carlsen Comics
Hardcover Querformat | 64 Seiten | Farbe | 18,00 €
ISBN: 
978-3-551-71129- 8

Cover Franquin - Huba!

Wenn ein berühmter Autor einen runden Geburtstag feiert, erst recht, wenn es der 100. ist, erscheinen alle möglichen Sonderausgaben. Einerseits versucht natürlich der Verlag, Umsatz zu machen, andererseits ist es oft auch eine wirkliche Anerkennung der Leistung. Zum Jubiläum von André Franquin erscheinen auf Deutsch einige spezielle Ausgaben, u.a. eine neue Gaston Gesamtausgabe, Luxuseditionen der Bravo Brothers und der Schwarzen Gedanken. Neu ist ebenfalls die Geschenkband-Edition der wohl bekanntesten Marsupilami-Geschichte überhaupt.

Romantik pur

Die Geschichte über die Anbahnung einer Liebesbeziehung war ursprünglich eingebettet in ein Abenteuer der Serie um Spirou und Fantasio. Das Nest im Urwald erzählte von einer Expedition in den Urwald Palumbiens und das Fabeltier, genannt Marsupilami, war fortan der heimliche Star der Serie. Franquin behielt jedoch die Rechte an der Figur als er die Geschichten um Spirou in andere Hände abgab, um zusammen mit Batem eine eigene Reihe zu starten. Erst vor einigen Jahren und nach jahrelangem Gezerre konnte die Figur erneut in ihrer eigentlichen Serie wieder auftreten.

Franquin - Huba! - Detail 1

Dieser Band enthält die wortlose Liebesgeschichte zweier Marsupilamis. „Er“ lebt sein Leben im Urwald, bis er auf „Sie“ trifft und sofort begeistert ist. Zunächst einmal muss er sie allerdings überzeugen, dass sein Werben ernst gemeint ist. Da es sich um eine Liebesgeschichte handelt wird nicht zu viel verraten, wenn erwähnt wird, dass aus dieser Beziehung drei Kinder entstehen.

Neben der gehörigen Portion Romantik besticht die Geschichte aber auch mit dem unverwechselbaren Humor der bitterbösen Klamauk auf Kosten von Großkatzen und Piranhas mit dem liebevollen Schmunzeln über die Sorgen junger Eltern beim Entwirren der verknoteten Schwänze mischt.

Modernisierte Zeichnungen

Die Geschichte erscheint in einer leicht modernisierten Form, adaptiert von den beiden Jannins und auf das Querformat ummontiert. Die einzelnen Panel sind dadurch etwas größer und kommen naturgemäß besser zur Geltung. Während die Figuren selbst unverändert sind, ist der Hintergrund teilweise angepasst worden. Das stört aber nicht.

Franquin - Huba! - Detail 2

Die Details in den Blättern der Pflanzenwelt des Urwaldes laden dazu ein, Überraschungen und Anspielungen zu entdecken. Die Körpersprache der Tiere drückt viel mehr aus als jedes Wort vermöchte und die Fähigkeit, Eigenarten zu präsentieren, ist perfekt ausgebildet.

Ein Geschenk …

… für alle, die Humor, Romantik und Kunstfertigkeit zu schätzen wissen. Wer diese Geschichte noch nicht hat, sollte durchaus überlegen, sich selbst ein Geschenk zu machen! Alle Altersstufen werden ihre Lesart finden. Insofern kann man damit eigentlich nichts verkehrt machen. Und in heutigen Zeiten kann es auch mal notwendig sein, etwas Unbeschwertes haben oder verschenken zu wollen.

Franquin - Huba! - Detail 3

Der doch stattliche Preis wird über ein vernünftig fadengebundenes Hardcover gerechtfertigt, das im eher ungewohnten Querformat daher kommt.

Dazu passen The Smiths mit “Some Girls are bigger than others“  und ein trockener Prosecco.

© der Abbildungen Dupuis, Dargaud-Lombard SA 2010, by Franquin| 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Franquin – Schwarze Gedanken

Gesamtausgabe

Story: André Franquin (und andere)

Zeichnungen: André Franquin

Originaltitel: Idées Noires L´Intégrale

Carlsen Comics
Hardcover | 80 Seiten | Farbe | 22,00 €
ISBN: 
978-3-551-79839-8

Cover Franquin - Schwarze Gedanken Gesamtausgabe
© Franquin – Fluide Glacial, 2020

André Franquin ist einer der bekanntesten belgischen Comic-Künstler überhaupt. Seine Version von Spirou und Fantasio ist immer noch die Referenz für alle Nachfolger, seine eigene Schöpfung Gaston ein unglaublicher Geniestreich. Zu seinem 100. Geburtstag bringt sein deutscher Hausverlag einige spezielle Ausgaben, u.a. eine neue Gaston Gesamtausgabe, Luxuseditionen der Bravo Brothers und des Marsupilami, aber eben auch die wohl schrägsten Produkte seiner Fantasie, die Schwarzen Gedanken!

Humor der besonderen Art

Spirou war lange Jahre die publizistische Heimat für André Franquin, allerdings auch eine fordernde, musste er doch möglichst jede Woche eine neue Seite der Titelserie abliefern. Mit dieser Serie wurde der Star nie richtig warm, waren es doch immer „fremde“ Figuren. Viel mehr Spaß brachte ihm der anarchistische Bürobote Gaston, der einfach kein Verständnis für Regeln und Hierarchien hatte. Zeitweise arbeitete er auch an Mausi und Paul für das Konkurrenzblatt Tintin.

Eine ganz neue Möglichkeit bot sich, als Dupuis beschloss, Spirou mit einer Beilage für ein älteres Publikum anzureichern, Le Trombone Illustré. In dieser erschienen die ersten Folgen der Idées Noires, in der der Künstler erstmals schwarzen Humor präsentieren konnte. Franquin machte sich Gedanken über den Zustand der Welt, die Kriegstreiber und Umweltzerstörer, aber auch diejenigen, die Regeln der Gesellschaft zu ihrem eigenen Vorteil veränderten. Ein besonderes Verhältnis pflegte Franquin zudem zu den Jägern!

Schwarze Gedanken page 8
© Franquin – Fluide Glacial, 1981 & 1984

Nach der Einstellung der Dupuis-Beilage wechselte Franquin mit seinen Schwarzen Gedanken zu Fluide Glacial, einem Magazin, das sich nur an ältere Leser*innen richtete. Im Laufe der Jahre kamen immer wieder einzelnen Seiten dazu. Je nach Publikationsdatum sind die verschiedenen Ausgaben also durchaus unterschiedlich. Diese Gesamtausgabe enthält Band 1 und 2 der endgültigen Sammlung und ist somit vollständig.

Schwarz auf Weiß

Schwarze Striche und Flächen auf weißem Grund sind das Mittel der Wahl, um den bitteren Ton der einzelnen Gedanken zu präsentieren. Manchmal langt bereits ein Streifen, die meisten füllen aber eine Seite. Tatsächlich sind die einzelnen Panel, obwohl teilweise sehr gefüllt, befreit von allem Überflüssigen. Sie nehmen manchmal bekannte Bilder auf, um sie in eine dunkle Variante zu überführen, teilweise sind sie einfach nur bitterböse.

Schwarze Gedanken page 12
© Franquin – Fluide Glacial, 1981 & 1984

Einige der Geschichten sind Ausdruck von tiefer Depression und gefühlter Einsamkeit, andere sprühen gerade so vor Energie, etwa wenn er die Todesstrafe kritisiert. Diese Mischung aus Kunstfertigkeit, Emotion und Inhalt macht die Sammlung zu einer ganz besonderen, die sowohl Comicfans als auch Liebhaber*innen der Karikatur begeistern dürfte. Beide Zielgruppen gleichermaßen bedienen zu können ist nicht gerade häufig. Ein besonderer Blick sollte im Übrigen den Signaturen gelten, die jeweils den Geist der Geschichte widerspiegeln.

Ein Klassiker, der nicht fehlen sollte

Irgendwann werden die frankobelgischen Klassiker nicht mehr die Auslagen füllen und durch andere ersetzt werden. Es mag also durchaus sein, dass die 100. Geburtstage von Ikonen wie Franquin oder Morris eine der letzten Gelegenheiten sind, ihre Werke in hochwertigen Editionen zu ergattern. Die Schwarzen Gedanken stechen aufgrund ihrer Einzigartigkeit aus dem ohnehin schon beeindruckenden Schaffen von André Franquin heraus und sollten in keiner Sammlung fehlen.

Schwarze Gedanken Gesamtausgabe Vorsatz
© Franquin – Fluide Glacial, 2020

Es ist allerdings wahr, dass die „Gedanken“ schon mehrfach ihren Weg zu einem deutschen Publikum gefunden haben. Die Argumente für diese Ausgabe sind der Hardcovereinband, ein Vorwort von Volker Hamann, Interviewausschnitte von André Franquin mit diversen Fanzines und ein kleiner Skizzenanhang.

Dazu passen The English Beat mit “Save it for later“ und ein guter Bordeaux.

© der Abbildungen Franquin – Fluide Glacial, 1981 & 1984, Franquin – Fluide Glacial, 2020 | 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

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