1950 – 1952
Herausgeber/Autor: Grant Geissman
Artist: Bill Gaines, Al Feldstein, Wally Wood, Harry Harrison, Harvey Kurtzman, Jack Kamen u.a.
Originalausgabe
Hardcover XXL | 462 Seiten | Farbe | 150,00 €
ISBN: 978-3-8365-9733-3 (EN)
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Anfang der 50-er-Jahre waren die Schrecken des Zweiten Weltkrieges gerade einmal fünf Jahre her. Der Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki hatten die Weltgeschichte verändert, die „Wissenschaft“ hatte begonnen, eine stärkere Rolle als Panzer zu spielen. Waren in der Vergangenheit Science-Fiction-Themen eher Abenteuer gewesen, die in fremden Gegenden spielten, war die Vernichtung der Menschheit ein nun durchaus gängiges Szenario. Diese Bilder mussten sich die Konsument*innen aber oftmals in ihrem Kopf selber erzeugen, denn die visuelle Umsetzung von Science-Fiction wurde durch Serien wie Flash Gordon dominiert.
Eine Revolution!
Doch dann kam der New Trend der EC-Comics und mit ihm Weird Science und Weird Fantasy! Die zunehmenden UFO-Sichtungen wurden genauso thematisiert wie eine potentielle Überlegenheit einer außerirdischen Zivilisation. Weiße „Täter“ wurden plötzlich zu „Opfern“ in dem sie kolonialisiert, ausgebeutet, vermessen oder aber einfach vernichtet wurden. Altbekannte moralische Grundsätze des Zusammenlebens wurden in Frage gestellt oder sogar ad absurdum geführt. Das weibliche Geschlecht ließ sich nicht mehr auf die Küche und die Kinder reduzieren, sie waren aktive, verführerische und tödliche Bestandteile der neuen Ordnung.
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Gleichzeitig wurden Monster, Mutationen und auch Vernichtungen bildlich dargestellt und schufen damit eine ganz neue Ästhetik, die nichts mehr mit den vom Orient inspirierten Zeichnungen zu tun hatten, die in einem Tarzan-Comic aber auch auf dem Mars oder einem anderen Planeten für das „Fremdartige“ sorgen sollten. Das „Neue“ war anders, eklig und gefährlich, aber eben auch verführerisch und inspirierend!
Zudem spielte die Science-Fiction nun endlich auch ihre Extrapolationsfähigkeiten aus: Es ging um wissenschaftliche Grenzbereiche, das Hinüberwechseln in andere Universen, die in uns liegen, aber auch um psychologische Fragestellungen. Immer wieder tauchte die vorher nie gestellte Frage auf, wie weit Wissenschaft gehen darf und wie sie ethisch zu kontrollieren wäre. Heute können wir uns nicht mehr vorstellen, Fragen und Themen dieser Art nicht im Kino, im Streaming und natürlich auch in Comics zu sehen. 1950 war das eine Revolution!
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Die ersten elf Ausgabe des ersten „echten“ Science-Fiction Comics!
Wie Grant Geissman schon in seinem fantastischen Kompendium über die Geschichte des EC-Verlages ausgeführt hat: Neben Leuten, die umsetzen, benötigt es immer einen, der als Katalysator Sachen ermöglicht! Hätte es nicht den durch ein Unglück verursachten, ungewollten Einstieg von Bill Gaines in den Verlag seines Vaters gegeben, und wäre es nicht dazu gekommen, dass ein kongeniales Gespann Story-Ideas am Fließband ausgebrütet hätte, würden Monster vielleicht immer noch niedlich aussehen. Natürlich haben viele Faktoren das visuelle Geschehen von heutiger Science-Fiction beeinflusst: Star Trek, 2001, Barbarella, Babylon 5, … Insbesondere der SF-Comic war aber nach der EC-Ära nie wieder so wie vorher!
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Diese Ausgabe bietet die Chance, die Entwicklung mitzuvollziehen. Die ersten elf Ausgaben dieser Heftreihe sind hier komplett abgedruckt, sie enthalten also auch die Leser*innenbriefseiten, Textbeiträge und Anzeigen. Es mag dabei heute wie ein Treppenwitz wirken, dass ganzseitige Anzeigen die Kids auffordern, ihren Eltern zu erklären, dass die EC-Magazine des New Trend dem Comics Code unterfallen und daher geprüftermaßen unbedenklich sind. Dank der sehr ausführlichen bibliographischen Angaben kann jeder Beitrag bestimmten Künstlern zugewiesen werden. Jede*r kann daher z.B. nachvollziehen, warum die kombinierten Arbeiten von Harrison und Wood ein Erfolg waren, die Arbeiten von Harrison alleine aber nicht.
Must-Have für Science-Fiction-Fans
Must-Have ist eine Eigenschaft, die oft genug von Marketing-Abteilungen verwendet wird und für den guten Abverkauf sorgen soll. Sie ist aber auch ein Qualitätsmerkmal: Wer sich ernsthaft mit einem Thema beschäftigen will, kommt daran nicht vorbei. Wer verstehen will, warum und vor allem wie Science-Fiction den Schritt von der Space-Opera machen konnte, wird hier viele Anfänge von späteren Linien finden können. Das gebrochene Verhältnis zu den Auswirkungen von Technologie, der ethiklose Wahnsinn, das Hinterfragen von Moral durch die Betrachtung von außen, das Fehlen jeglicher Schranken bei gefräßigen, hungrigen Tieren und vieles mehr findet sich hier!
Dazu kommt eine wie immer vorzügliche Einleitung, die in diesem ersten Band von Grant Geissman stammt. Der hervorragende Kenner von EC-Titeln und preisgekrönte Musiker erzählt detailreich und doch persönlich. Das Coffeetable-Format der Taschen-Bände hat mittlerweile in einigen Haushalten Einzug gehalten, sind doch schon Werke über EC, Donald und Mickey, aber eben auch die ersten Jahrgänge der Marvel-Serien erschienen. Besser kann man die Inhalte nicht präsentieren!
Es gibt im Übrigen auch hiervon eine limitierte Collector‘s Edition! Aber auch die reguläre Ausgabe wiegt bereits fast 4 Kilogramm, besitzt einen schönen Umschlag, ein Lesebändchen und kommt in einem passenden, extra angefertigten Karton.
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Das „Köln-Concert“ von Keith Jarrett ist gerade 50 Jahre alt geworden. Vielleicht kann man es ja aus dem Schrank hervorholen und zu den Comics, die noch einmal 25 Jahre mehr auf dem Buckel haben, genießen! Und dazu in kleinen Häppchen einen wirklich alten Whisky nach Wahl mit Torf- oder Sherry-Aromen.
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