David Bowie’s Ziggy Stardust Years
Story und Zeichnungen: Reinhard Kleist
Originalausgabe
Hardcover |176 Seiten | Farbe | 25,00 €
ISBN: 978-3-551-79362-1
Comics über Musik bzw. Musiker*innen sind seit einigen Jahren in. Lange gab es so etwas nur in kleinen Fanzines für Bands aus verschiedensten Subkulturen. Doch wie immer hat der Mainstream bisher noch jede Innovation vereinnahmt und zu Geld gemacht. Nicht, dass das immer schlimm oder verwerflich wäre! Hier haben wir es mit einem Künstler zu tun, der eine ganze Stilrichtung beeinflusst hat und einem Zeichner, der seine Einfühlungsvermögen in Musiker schon mehrfach bewiesen hat. Allerbeste Voraussetzungen also!
Der langsame Weg in den Wahnsinn
Welcher jugendliche Musiker kennt nicht den Wunsch, erfolgreich, berühmt und reich zu werden? Selbst wenn das Talent ausreichend ist, braucht es viel Glück zur richtigen Zeit. Und: Das Showbusiness verlangt vollen Einsatz. Was aber, wenn das Konzept sich irgendwann verselbstständigt?
Reinhard Kleist beschränkt seine Comic-Biografie über David Bowie auf die Ziggy Stardust-Jahre. Es beginnt Anfang 1972: The Spiders werden am Ende eines Konzertes noch mit Flaschen beworfen. Die Themen stehen aber schon zur Verfügung: Die Welt wird sich selbst vernichten, Gewalt, Chaos, Umweltzerstörung, Atomwaffen und alles, was sich der menschliche Geist sonst noch überlegt hat, werden dafür sorgen. Doch es gibt Hoffnung: Außerirdische werden uns retten! Und David Bowie aka Ziggy Stardust ist genau dieser jene, der die Hoffnung verkörpert.
Im Weiteren geht es immer mehr darum, wie Ziggy fast schon zum Messias aufgebaut wird und seine Fans ihn und die Spiders from Mars vergöttern. Die Geschichte des langsam steigenden Ruhms wird erzählt, die Verbindungen zu Iggy Pop, Andy Warhol und allen Groupies, die um die Helden herumschwirren. Es geht aber auch um den langsam anwachsenden Wahnsinn, den Verlust der eigenen Persönlichkeit im künstlichen Konzept Ziggy und den Versuch, trotz allem Ruhm ein eigenes, ehrliches Leben mit Kind und Frau, Mutter und krankem Bruder zu führen.
Dieser Widerspruch zwischen dem Idol und dem Leben, der schockierenden Androgynität im Drogenrausch und dem kleinstädtischen Leben der Mutter ist das, was Kleists Werk auszeichnet. Es ist nicht die tausendste Lobhudelei, es ist der Versuch, den Menschen zu entdecken, freizulegen und verständlich zu machen.
Die Explosion der Farben und Formen
Nicht nur der Text ist von großem Respekt gekennzeichnet, auch die Bilder zeigen immer wieder einen verletzlichen Bowie. Einerseits kann nichts schrill genug sein, wenn es um Kostüme oder Frisuren geht und auch die Zeichnungen übernehmen das mit grellbunten Farben und Formen. Andererseits ist der Mensch vor dem Spiegel ängstlich und leise.
Sepiatöne für das Private, grelle, schreinernde Farben für das Öffentliche. Stärker können die Gegensätze nicht sein. Dazu kommen teilweise Übernahmen aus dem Pulp mit grob gerasterten Zeichnungen und immer wieder Umsetzungen der Bühnenauftritte, die fast schon an eine filmische Dokumentation erinnern. Reinhard Kleist beweist erneut seine Wandlungsfähigkeit und sein Einfühlungsvermögen!
Nicht nur für Bowiefans eine Empfehlung
Vermutlich wird der Band bei vielen Bowie-Fans unter dem Weihnachtsbaum liegen. Wer sich für die Musik der 70-er Jahre interessiert, wird daran definitiv seine Freude haben, die Zielgruppe ist also weiter als „nur“ die Ziggy-Fans. Wer erst mit den 90-ern angefangen hat, wird sich allerdings fragen, was denn dieser Mainstream-Künstler früher so alles gemacht hat.
Die Graphic Novel ist aber auch psychologisch Interessierten zu empfehlen: Dr. Jekyll & Mr. Hyde, Dorian Gray und Artverwandtes findet hier eine Entsprechung in der Erschaffung eines Idols für die Massen. Kann ein Mensch den Musikzirkus eigentlich überstehen? (Und natürlich: es geht! Viele haben es aber erst nach Entziehungskuren oder Psychiatrieaufenthalten geschafft.) Zum Glück ist ein weiterer Teil bereits angekündigt.
Das Werk ist im Übrigen auch als Luxusausgabe mit limitiertem handsigniertem Druck erhältlich. Auch die reguläre Ausgabe enthält aber bereits im Anhang ganzseitige Illustrationen.
Dazu passen logischerweise nur Ziggy Stardust and the Spiders from Mars und ein Korn mit Kirsch.
© der Abbildungen Reinhard Kleist/Carlsen Verlag GmbH · Hamburg 2021.