Oger/Div. – Gunmen of the West

Revolverhelden und ihre Geschichten

Story: Tiburce Oger
Zeichnungen: 
Tiburce Oger, Dominique Bertail, Benjamin Blasco-Martinez, Paul Gastine, Christian Rossi, Ronan Toulhoat, Hugues Labiano, Félix Meynet, Jef, Laurent Hirn, Olivier Vatine, Eric Hérenguel, Stefano Carloni, Nicolas Dumontheuil

Originaltitel: Gunmen of the West

Splitter Verlag

Hardcover Überformat |112 Seiten | Farbe | 25,00 € | 
ISBN: 978-3-98721-377-9

Cover Gunmen of the West

So schön wie (Comic-)Romane und langlaufende Serien sind, so schön ist es auch, knackige, auf den Punkt gebrachte Geschichten serviert zu bekommen. Bereits zum dritten Mal hat Tiburce Oger sich ein Thema vorgenommen, kleine Episoden mit einer Rahmenhandlung versehen, und befreundete Kolleg*innen um die zeichnerische Umsetzung gebeten. Das ergänzt sein Portfolio, das er selber umgesetzt hat, etwa Ghost Kid.

Erschafft die Waffe den Revolverhelden? Oder nutzt er die Waffe?

In der Sammlung über die Gunmen of the West dreht sich alles um Revolverhelden. Der Anknüpfungspunkt sind aber bestimmte Waffen, die ebenfalls eine gewisse Berühmtheit erlangt haben. Alles beginnt mit dem Überfall auf eine Waffenhandlung. Ein junger Spund überschätzt sich maßlos und will Patronen klauen. Der Inhaber des Ladens verwickelt ihn in eine Diskussion in dem er von bestimmten Waffen und ihren Besitzern zu erzählen beginnt.

Alle diese Geschichten beruhen auf wahren Geschichten (wobei auch hier natürlich niemand mehr mit Bestimmtheit sagen kann, wo die Wahrheit aufhört, und die Legende beginnt). Die entsprechenden Fakten sind im Anhang nachzulesen. Auf teilweise innovative Weise bestätigen die Stories die Regel, dass Revolverhelden oft nicht lange genug gelebt haben, um ihre Geschichte selber erzählen zu können. Trotzdem haben sie eine wichtige Rolle gespielt.

Gunmen of the West page 3

Allerdings sind die geschilderten Leben keineswegs identisch. Einige haben es geschafft, der Vernichtung zu entgehen, Motive für den Werdegang sind komplett unterschiedlich und schließlich sind auch die Charaktere der „Helden“ nicht zu vergleichen.

Ein aktueller Überblick über realistische Stilrichtungen

Da jede einzelne Geschichte von anderen Zeichner*innen umgesetzt wurde, bildet der Band einen guten Überblick über aktuelle Arten, einen Western-Comic umzusetzen. Es gibt Randbereiche, die hier (meiner Meinung nach) zum Glück fehlen, so gibt es zum Beispiel keine sehr karikativen Elemente. Aus dem Bereich der realistischen Zeichnungen sind hier aber viele Ansätze vertreten.

Wer am Western-Comic besonders die weiten Landschaften mag, wird hier nicht ganz glücklich werden. Wer aber am liebsten die Interaktion mehr oder weniger hartgesottener Raubeine (übrigens beiderlei Geschlechts) mag, ist hier vollkommen richtig! Allerdings gibt es auch Einschläge von Romantik, Rache, Kampf um Gerechtigkeit einerseits, Selbstüberschätzung, toxischer Männlichkeit und Größenwahn andererseits.

Gunmen of the West page 6

Wie eine klassische Western-TV-Serie

Die Sammlungen von Tiburce Oger sind irgendwie vergleichbar mit Staffeln einer alten TV-Western-Serie. Jeweils unter einem (Season-)Thema versammeln sich unterschiedliche Interpretationen, die alle ihren eigenen Reiz haben, trotzdem aber zusammengehalten werden. Für mich eine perfekte Ergänzung zu den Reihen, die sich nur um eine Hauptfigur gruppieren bzw. den epischen Einzelwerken.

Handwerklich ist der Band wie alle Splittertitel ohne Fehl und Tadel, das Cover ist fast schon genial und die Qualität der einzelnen Darbietungen ausgezeichnet. Was will man mehr?

Detail Gunmen of the West page 8

Dazu passen JohnnyCash, etwa mit „Man in Black“, und ein Schlitz Tall Boy!

© der Abbildungen 2023 Bamboo Édition | Splitter Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld 2024

Bottier/Callixte – Hercule Poirots Weihnachten

Agatha Christie Classics 3 – Ein Poirot-Krimi

Story: Isabelle Bottier nach Agatha Christie

Zeichnungen: Callixte

Originaltitel: Le Noel D’Hercule Poirot

Carlsen Comics
Hardcover | 64 Seiten | Farbe | 20,00 €
ISBN: 
978-3-551-80426-6

Cover Hercule Poirots Weihnachten

Es weihnachtet wieder. Während die einen anfangen, nervös zu werden, weil sie nicht wissen, was sie schenken sollen, fangen die anderen an, sich mit Plätzchen und Geschichten in die richtige Stimmung zu bringen. Auch Carlsen hat mindestens einen Weihnachtsklassiker pro Jahr im Angebot. Auf Dickens folgt nun die Queen of Crime.

Die Familie, ein Hort des Friedens

Und noch ein Gegensatz: Während die einen sich darauf freuen, im Kreis der Familie ein paar glückliche Tage zu verbringen, es zu genießen, dass alle wieder vereint sind und von ihren Leben erzählen, gibt es andere, die jetzt schon wissen, dass sie die Heuchelei nicht aushalten werden.

Diese Geschichte gehört eher zu der zweiten Kategorie: Der Hausherr, reich und alt, ist ein wenig speziell und gängelt seine Kinder durchaus. Die meisten von ihnen sind aber folgsam, hängen sie doch am finanziellen Tropf. Für dieses Jahr hat er aber auch das schwarze Schaf der Familie eingeladen und zusätzlich noch eine uneheliche Enkelin. Als dann auch noch bekannt wird, dass der alte Herr sein Testament ändern möchte, ist der Siedepunkt erreicht, die Stimmungen kochen über.

Natürlich wird der alte Simeon Lee tot aufgefunden und Hercule Poirot ist zur Stelle, den Fall aufzuklären. In für Agatha Christie typischer Manier wird eine verborgene Sache nach der anderen aufgedeckt und am Ende ist wirklich jede*r verdächtig. Trotzdem wird natürlich der Fall geklärt werden müssen.

Hercule Poirots Weihnachten page 3

Weiß!

Die Zeichnungen von Callixte bringen die Atmosphäre eines englischen Landgutes und seiner Bewohner*innen gut zum Tragen. Kostüme und Dekors sind sehr stimmig und die Eigenarten im Verbergen von Gefühlen, die einigen Bewohner‘*innen der englischen Inseln zugeschrieben werden, werden ebenfalls sehr glaubwürdig dargebracht. Mit den Gesichtern, speziell den Mundpartien, steht Callixte jedoch eindeutig auf Kriegsfuß!

Wer darüber hinwegsehen kann, dass – wie so oft – eine weiße Aussparung den Mund darstellt, findet hier eine unterhaltsame Wiedergabe des klassischen Krimistoffes. (Innen-)Architektur und Kleidung gelingen jedenfalls gut genug, um trotzdem eine Empfehlung abgeben zu können!

Hercule Poirots Weihnachten page 4

Zur Einstimmung!

Weihnachtliche Katastrophengeschichten erlauben einem immer, sich zu freuen, dass es bei einem selbst anders oder aber mindestens nicht so schlimm ist. Insofern eignen sie sich perfekt zur Einstimmung. Der Baum wird geschmückt, die entsprechenden Teilchen müssen doch irgendwo im Keller sein, oder? Nachdem alles bereitet ist, kann man sich mit Hercule Poirots Weihnachten gemütlich im Sessel zurücklegen und entspannen!

Doch halt: Es fehlen noch Geschenke! Zumindest zur Adventszeit ist dieses Buch eine sehr gelungene Möglichkeit, auch andere an der Freude teilhaben zu lassen!

Hercule Poirots Weihnachten page 5

Dazu passen „Rudolph“ in der Version von Amasic und ein erster Glühwein.

© der Abbildungen BELG Prod. (2017), 1938, Agatha Christie Limited / 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Nuyten – Apache Junction 4

Sierra Madre

Story: Peter Nuyten
Zeichnungen: 
Peter Nuyten

Originaltitel: Sierra Madre

Splitter Verlag

Hardcover Überformat |64 Seiten | Farbe | 18,00 € | 
ISBN: 978-3-98721-411-0

Cover Apache Junction 4

Immer wieder passiert es, dass Vergleiche von lebenden Künstlern mit verstorbenen „Helden“ gezogen werden. Oftmals soll das nur als Marketinginstrument dienen und dafür sorgen, dass Verkäufe anziehen und sich die Fans des Alten zu solchen des Neuen konvertieren lassen. Manchmal aber ist eine Ähnlichkeit nicht von der Hand zu weisen. Und so glaube ich, dass wer Blueberry von Giraud mochte, Apache Junction auch mögen wird.

Ein neuer Zyklus

Vor mittlerweile mehr als zehn Jahren war der erste Band dieser Reihe erschienen, der noch nicht einmal einen eigenen Titel hatte. Schon damals waren die Ähnlichkeiten mit der großen europäischen Western-Serie aufgefallen, Peter Nuyten schaffte es im Folgenden, dieses zu bestätigen. Der drei Bände umfassende erste Zyklus ist mittlerweile als Gesamtausgabe erhältlich.

Die Geschichte spielt im Grenzgebiet der Apacheria, dem angestammten Stammesland der Apachen-Völker, Mexikos und der Vereinigten Staaten. Während sich mexikanische Rurales und amerikanische Soldaten im Wesentlichen in Ruhe lassen und Kriminelle sich in den Weiten der Sierra Madre gut verstecken können, werden die Apachen von allen verfolgt. Die Mexikaner haben eine bereits lange andauernde Feindschaft mit ihnen, die Amerikaner wollen die ursprünglichen Bewohner*innen am liebsten ausrotten, wenigstens aber in weit entfernte und unfruchtbare Reservate verbannen.

Apache Junction 4 page 3

In diesem Grundsetting kämpfen verschiedene indianische Gruppen, teilweise unter Führung von Geronimo, gegen Alle und vor allem um das nackte Überleben. In einem zweiten Strang versucht Roy Clinton für Gerechtigkeit zu sorgen. Einerseits möchte er für seinen Taten geradestehen, er sucht aber auch Rehabilitation für die ihm zu Unrecht angelasteten Geschehnisse. Vor allem aber möchte er die Unschuld von Ann Bentley beweisen. Diese glaubt zwar nicht daran, bricht aber trotzdem mit ihm auf.

Grandiose Bilder!

Peter Nuyten hat die Serie nicht nur geschrieben, er setzt sie auch alleine grafisch um. Seine Bilder aus der Wüste sind grandios! Die Weite und die Lebensfeindlichkeit werden mit jedem Blick deutlich und auch die Gebirgslandschaften könnten fast ohne Geschichte auskommen! Hier wird seine Liebe zum Detail deutlich, denn keine Kleinigkeit stört weder diese großartigen Totalen noch die Hintergründe der Action-Szenen. Und auch seine Darstellungen der handelnden Personen lassen auf eine ausgezeichnete Recherche schließen!

Apache Junction 4 page 4

Dem Band ist ein Anhang beigefügt, der ein wenig in die damalige Zeit und ihre Hintergründe einführt und auch viele Illustrationen besitzt. Diese verdeutlichen die Übereinstimmung der Fiktion mit der Realität! Für Fans des realistischen Western ein Muss! Der Niederländer ist in vielen Settings ein Meister, einer endzeitlichen Metro, dem asiatischen Dschungel und eben der Apacheria. Mein Liebling ist definitiv die Sierra!

Must have!

Wer in seinem Regal Serien wie Jerry Spring und Blueberry stehen hat, wird an Apache Junction seine/ihre helle Freude haben! Nicht nur grafisch, auch von der Erzählweise her gibt es hier viele Gemeinsamkeiten. Eine gut erzählte Geschichte mit mehreren Ebenen, glaubwürdigen Figuren und genügend klassischen Elementen, um rundum zu gefallen!

Detail Apache Junction 4 page 5

Die Aufmachung (gutes Papier, Hardcover mit guter Bindung und das bekannte etwas größere Format) sorgen für eine angemessene Präsentation; der Anhang unterstreicht die Wertigkeit, die der Verlag dem Start des neuen Zyklus beimisst.

Dazu passen The Wolfgangs, etwa mit „Cannibal Family“, und ein Rye Whiskey!

© der Abbildungen 2023 Peter Nuyten | Splitter Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld 2024

Jadoul/Piroton – ZACK Spezial 12: Michel und Thierry

Der große Wettkampf

Story: Charles Jadoul
Zeichnungen: 
Artur Piroton

Originaltitel: Le Grand Raid (Spirou 1239 – 1260 ; 1962)

Blattgold Verlag – ZACK Edition

Softcover | 52 Seiten | Farbe| 16,00 € | Limitiert auf 555 + 55 Exemplare

ISBN: n/a

Cover ZACK Spezial 12

Zunächst einmal eine gute Nachricht für alle potentiellen Leser*innen, die das ZACK nicht abonniert haben. Ab jetzt können die Spezial-Alben auch ohne Abo direkt beim Verlag und bei einigen Zwischenhändlern erworben werden. Die ersten acht Bände sind aber definitiv verlagsvergriffen. In der Reihe erscheinen Klassiker aus der frankobelgischen Hochzeit der Magazine, die Auflage ist limitiert. Oft sind zusätzlich begleitende ExLibris vorbestellbar.

Sportsgeist ermöglicht Völkerverständigung

In Sportwettkämpfen treten schon seit der Antike Athlet*innen aus verschiedenen Ländern an, um friedlich herauszufinden, wer der oder die Beste sein möge. Während der ursprünglichen Olympischen Spiele herrschte daher eine Waffenruhe. Mittlerweile hat sich durch die Entwicklung von Technik und Technologie der Sportbegriff deutlich erweitert. Zudem finden die Vergleiche längst nicht mehr nur alle vier Jahre statt. Das Thema der „Friedlichkeit“ blenden wir für heute mal aus…

Die beiden Helden trennt nicht nur ein gewaltiger Altersunterschied, sie kommen auch aus zwei zwar benachbarten, aber doch selbständigen Ländern: Belgien und Frankreich. Sie vereint ihre Liebe zum Modelflugsport und ihre Fähigkeit, die selbstgebauten Maschinen zu beherrschen. Eine Firma veranstaltet zu einem 50-jährigen Jubiläum eines Fluges einen Wettkampf, bei dem die Modelle die damalige Flugstrecke von Stockholm nach Genf ebenfalls bewältigen müssen.

Der Comic beginnt mit einem der nationalen Ausscheidungswettkämpfe in dem die beiden Helden gegeneinander antreten. Aus anfänglichen Konkurrenten werden Freunde die gemeinsam als Team an dem Finale teilnehmen. Leider werden die Wettkämpfe durch Sabotage gestört und es entwickelt sich ein Krimi-artiger Nebenplot. Jadoul streut immer geographische oder wissenschaftliche Informationen ein, die die Spannung mit Wissensvermittlung kombinieren.

ZACK Spezial 12 page 14

Ein sehr typischer Vertreter seiner Zeit

Die Zeichnungen von Artur Piroton sind ein sehr gutes Beispiel für die realistischen Spirou-Comics der damaligen Zeit. Einerseits werden selbst die für die humoristischen Einlagen vorgesehen Personen mit Respekt gezeichnet, andererseits stecken die einzelnen Panel voll mit Details. Zwar erlauben die Zeichnungen aufgrund ihrer Konzeption noch einen Abdruck in schwarz-weiß, sie sind aber bereits als kolorierte Werke geplant.

Naben den (ausdrucksstarken) Gesichtern legt Piroton augenscheinlich viel Wert auf die Detailtiefe der Flugzeuge. Nicht nur am Boden oder während ihrer Entstehung, auch die Luftkämpfe der Modelle sind gut gelungen. Da diesem ersten Band weitere gefolgt sind, hat die Serie augenscheinlich auch damals ihre Fans gehabt. Das Nachwort gibt einen guten Überblick über die Serie und die Künstler!

Eine schöne Serie

Die ZACK-Spezial Alben richten sich an Fans der Comics aus den 60-ern und frühen 70-ern. Viele aus dem ZACK oder der MV bekannte Serien haben es auch hierzulande geschafft, eine stabile Fanbasis zu erhalten. Daneben gibt es aber immer noch viele bis heute ungehobene Schätze. Obwohl qualitativ gut, gibt der deutsche Comic-Markt eine reguläre Veröffentlichung nicht her. Daher gibt es gerade in diesem Segment eine Vielzahl an Kleinverlagen, die teilweise nur eine Serie oder aber ein Segment bearbeiten und in Kleinstauflagen veröffentlichen.

Die ZACK Spezial-Alben erreichen dagegen wegen des Markennamens ZACK und der Bewerbung in dieser Zeitschrift einen doch größeren potentiellen Kund*innenstamm, profitieren aber trotzdem von der im Direktvertrieb günstigeren Kostenstruktur. Wie auch immer, die hier präsentierten Serien finden bisher und hoffentlich auch weiterhin genügend Käufer*innen um die Serie fortzuführen und erlauben daher den Bewohner*innen des Comicentwicklungslandes Deutschland aufzuschließen!

Dazu passen The Kinks mit „Sunny Afternoon“ und ein Eierlikör!

© der Abbildungen Piroton/Jadoul – 2023 | 2024 Blattgold GmbH

ZACK 304 (Oktober 2024)

ZACK 304

Herausgeber/Chefredaktion: Georg F. W. Tempel

Blattgold Verlag

Heft Din A 4 | 100 Seiten | Farbe | 9,70 €
ISSN: 1438-2792

Cover ZACK 304

Das Jahr ist nun schon zu drei Vierteln passé, der Winter steht vor der Tür. Das bedeutet einerseits, dass es Zeit wird, einen Termin für das Aufziehen der Winterreifen zu organisieren, andererseits kehren aber auch alte Bekannte wieder ein! Mit einem Monat Verspätung startet das bereits 12. Abenteuer aus der Zweiten Staffel von Michel Vaillant! Zeitgleich sind auch der vierte Teil der Bob Morane Classics und ZACK-Spezial 12 erschienen. Das schlechte Wetter kann also kommen.

Der Neustart

Das Titelbild kündigt es bereits an, der aktuelle Michel Vaillant setzt neue Maßstäbe.  Cannonball hatte es schon angedeutet: Die Zeiten sind härter geworden und nationale Spinner machen sich immer mehr breit. Steve Warson ist theoretisch ein geeigneter Kandidat für das Amt des US-Vizepräsidenten und wird damit auch zum Ziel der Atomwaffen-Division, einer rechtsradikalen Terrortruppe mit Sitz in den USA. Und natürlich ist auch Bob Cramer involviert … Hochspannung von Denis Lapière mit Zeichnungen von Marc Bourgne & Benjamin Benéteau in der Schnittmenge aus Politthriller und Rennsport. Wie immer werden Purist*innen die Gesichter bemängeln.

ZACK 304 page 5

Die Fortsetzungen

Weiter geht die Serie von Kurzgeschichten mit Harry und Platte. In Gabrielle steht zunächst Action im Vordergrund, denn Platte und ein Gangster liefern sich eine Prügelei auf Leben und Tod auf den Waggondächern eines fahrenden Zuges. Erst im Laufe der Zeit erfahren wir aus eingestreuten Rückblicken etwas über die Hintergründe. Auch hier beweist Denis Lapière seine Klasse im Konstruieren eines extrem spannenden Szenarios. Wieder nimmt er aktuelle Probleme auf und verarbeitet sie in einer sehr wertenden Weise! Die Zeichnungen von Alain Sikorski zeigen einen eigenen Stil, müssen sich aber vor den „Klassikern“ der Serie nicht verstecken. Die Veröffentlichung dieser Kurzgeschichten und einiger längerer Alben kann nur als gelungener Coup bezeichnet werden.

ZACK 304 page 36

Lambik hat es mittlerweile geschafft, auf der Insel Amoras zu landen und läuft sofort ein paar Fatties über den Weg. Diese hatten sich allerdings etwas anderes versprochen! Suske wiederum soll nach seiner Gefangennahme exekutiert werden. Möglicherweise ist es allerdings von Vorteil, dass gerade jetzt die Erde bebt und nicht einmal potentielle Todesschützen gerne draußen herumlaufen möchten. Mit einer Familienserie hat diese Adaption von Marc Legendre und Charel Cambré wahrlich nichts mehr gemein, mit einer sehr spannenden Endzeit-Science-Fiction allerdings sehr wohl. Top-Tipp!

ZACK 304 page 51

Nach ihrer doppelten Flucht ist Rani noch immer ohne Erinnerungen an ihr früheres Leben. Die Wilde beweist allerdings, dass sie ihren unbedingten Überlebenswillen nicht eingebüßt hat und zeigt ein paar Strandräubern, dass mit ihr nicht gut Kirschen Essen ist. Schließlich erreicht sie Pondicherry, ein Territorium unter französischer Herrschaft. Dort gibt es einige, die Jolanne wiedererkennen. Die ursprünglich als TV-Serie geplante Geschichte von Jean Van Hamme & Alcante ist eine Mischung aus Historie, Schmonzette und Entwicklungsroman und zurecht sehr erfolgreich. Das liegt allerdings auch an den großartigen Zeichnungen von Francis Vallès.

ZACK 304 page 65

Die Abschiede

Zwei Abschiede bedeuten zweimal Vorfreude auf Neues im kommenden Heft, zwingen uns aber auch, Abschied zu nehmen.

Auch die Familiengeschichte der Saint-Huberts böte genügend Stoff für eine Verfilmung. Intrigen, Verfehlungen und maßlose Gewinne und Verluste sind miteinander verwoben und werden durch Missgunst zusammengehalten. Das Ende der Scheckhefte von Panama ist ein schöner Cliffhanger für die weitere Zukunft, ist die Familie doch mal wieder völlig unzufrieden mit den Entscheidungen eines Sprösslings. Pierre Boisserie & Philippe Guillaume zeigen uns in die Bank wie Familie „richtig“ geht und Stéphane Brangier findet bei all der Schlechtigkeit noch genügend Zeit für eingestreute schöne Szenen..

ZACK 304 page 21

Und auch Bootblack geht zu Ende. Mikaël vermischt mehrere Zeitebenen, deutet die Verzweiflung und die objektive Hoffnungslosigkeit von Verlieren an und erlaubt seinen Figuren doch immer wieder, nicht aufgeben zu wollen. Dabei ist es egal, ob die Unterlegenen diejenigen sind, die in der Stadt die dreckigen und gefährlichen Geschäfte erledigen müssen, ob sie in den Schützengräben stecken, oder ob sie mit den Hoffnungen ihrer Eltern leben müssen, Selbstbestimmung geht anders. Giant/Bootblack/Harlem war eine der besten Graphic-Novel-Serien der letzten Jahre!

ZACK 304 page 81

Und sonst?

Für Freund*innen des Zombie-Humors erleben Tizombi, das kleine Steak und Co eine längere Geschichte mit einer neuen Gattung: Spielfiguren, Kuscheltiere und auch Haustiere werden immer öfter begraben und können daher folgerichtig auch wiederkommen. Dazu Parker & Badger, Grott & Bott und die üblichen Rubriken von Frank Neubauer und Michael Klein. Die Artikel dieser Ausgabe (übrigens vom Verfasser dieser Zeilen) beschäftigen sich mit den Flüssen der Zeit und den Chroniken von Amoras, zwei neuen Serien in der ZACK-Edition.

Dazu passen The Wolfgangs und ein Oktoberfestbier (ohne Festzelt!).

© der Abbildungen bei den jeweiligen Künstlern und Verlagen / Blattgold GmbH, Bad Dürkheim 2024

Vernes/Attanasio – Bob Morane Classic 4

Die Kristalltürme

Story: Henri Vernes
Zeichnungen: 
Dino Attanasio
Originaltitel: 
Les tours de cristal

Blattgold Verlag – ZACK Edition

Hardcover | 64 Seiten | Farbe | 20,00 €

ISBN: 978-3-949987-30-4

Cover Bob Morane Classic 4

Viele der Romane von Charles-Henri-Jean Dewisme, der unter dem Namen Henri Vernes schrieb, waren erfolgreich und wurden auch multimedial umgesetzt. Bob Morane, ein klassischer Abenteurer mit Science-Fiction-Einschlag, durfte bereits mehr als 200-mal den Helden geben. Auch in Deutschland erschienen einige der Romane, Comics und eine TV-Serie. Während die meisten der späteren Comics teilweise bereits mehrfach veröffentlicht worden sind, bringt die Reihe Bob Morane Classic die ersten 19 Geschichten mit Zeichnungen von Dino Attansio und Gérald Forton erstmals komplett in einer Hardcover-Edition auf den Markt.

Eine Reise in die Vergangenheit

Zeitreisen sind immer ein beliebter Kniff von Autor*innen langlebiger Serien, erhöhen sie doch das Potenzial möglicher Geschichten ungemein. Dabei ist es unerheblich, ob das Ziel die schottischen Highlands sind, geschichtliche Epochen, oder – wie in diesem Fall – ein längst versunkener Kontinent. Wir, also die Leser*innen der französischen Frauenzeitschrift Femmes d’Aujourd’hui bzw. dieser Serie wissen bereits, dass Professor Clairembart ein Experte für die untergegangene Kultur Mu ist. Als er zusammen mit Commander Morane und Bill Ballantime nach einem Meteoriteneinschlag in einer Gegend zu sich kommt, die vertraut aber doch anders ist, kann er aufgrund der veränderten Himmelskonstellation nur vermuten, dass die Drei eine Reise zurück in die Vergangenheit der Erde gemacht haben.

Dort stoßen sie an der Küste auf eine Ansammlung von Artefakten, Die Kristalltürme. Sie stellen fest, dass die Gebäude von einer fortschrittlichen Kultur errichtet worden sind und irgendwie in einer Verbindung mit anderen pazifischen Kulturen steht, wie etwa denen der Osterinsel. Und tatsächlich tauchen kurze Zeit später Menschen auf, die sich als Musianer herausstellen. Was für ein Glück, den Objekten der Forschung plötzlich gegenüber treten zu können.

Bob Morane Classic 4 page 3

Leider ist der Kontinent akut bedroht und den in der Zeit verloren gegangenen Jetztzeitlern bleibt gar nichts anderes übrig, als mit den Bewohner*innen nach Lösungen zu suchen. In einer gewohnt spannenden Weise verknüpft Vernes Technik- und Fortschrittsgläubigkeit mit wissenschaftlichen und phantastischen Elementen und erzählt eine spannende, in sich sogar glaubhafte Story!

Frühe 60-er

Bob Morane ist eine der Serien, die obschon immer aus dem realistischen Sektor, ihr Erscheinungsbild immer wieder verändert hat. Wenn man sich die heutigen Folgen im ZACK, die immer noch in der Vernes-schen Tradition stehen, ansieht, ist es schwer die Folgen von Attanasio damit zu vergleichen. Allerdings hatten diese auch mit ganz anderen Anforderungen in der Zeichenkunst (nämlich ohne irgendwelche technischen Hilfsmittel) und Produktion (Papierqualität) zu kämpfen. Logischerweise sind die Zeichnungen daher etwas detailärmer.

Innerhalb dieser Unterschiede sind die Zeichnungen aber auf der Höhe ihrer Zeit! Figuren und Hintergründe sind gut ausgearbeitet, die Proportionen und Bewegungen stimmen und die Darstellung der Science-Fiction-Elemente ist auch heute noch ein absoluter Genuss. Hier ist die Einfachheit der heutigen Darstellung bei weitem überlegen!

Bob Morane Classic 4 page 4

Eine gelungene Classics-Reihe

Bob Morane hat in Deutschland schon viele Präsentationsformen durchlebt und ist sogar als Satire verarbeitet worden. Die ursprünglichen Geschichten sind aber immer irgendwie „vergessen“ worden. Glücklicherweise gibt es nun diese Reihe, in der noch ein weiterer Band aus der Feder von Dino Attanasio erscheinen wird, bevor es dann im Frühjahr 2015 mit dem ersten der Forton-Titel weitergeht.

Wer den klassischen realistisch gezeichneten Abenteurercomic aus der Glanzzeit der franko-belgischen Magazine genießen möchte, ist hier richtig. Klare Erzählstruktur, eine Verbindung aus Wissenschaft und Spannung und ein paar zukunftsweisende Elemente erlauben einen unbedenklichen Genuss!

Dazu passen Prince Buster mit eigentlich allem und ein beruhigender Whisky Sour.

© der Abbildungen Vernes – Bob Morane Inc / Attanasio – Ed. Hibou | 2024 Blattgold GmbH, Bad Dürkheim

Cauvin/Kox – Dein Freund und Helfer Integral 1

Immer im Dienst

Story: Raoul Cauvin
Zeichnungen: 
Daniel Kox
Originaltitel:
Agent 212 – Tome 1 – 5

Kult Comics

Hardcover | 244 Seiten | Farbe | 40,00 € | 
ISBN: 978-3-96430-412-4

Cover Dein Freund und Helfer Integral 1

Raoul Cauvin war in seiner Zeit nicht nur ein sehr erfolgreicher Szenarist, er war auch sehr fleißig! Viele seiner Werke sind in Deutschland bisher nicht in kompletten Editionen erschienen, sondern haben eine sehr wechselhafte Geschichte mit unterschiedlichen Magazinen. Albenreihen und Verlagskonzepten hinter sich. Glücklicherweise gibt es aktuell mehrere Integralreihen, die dem abhelfen. Stellvertretend seien hier Sammy & Jack, Die blauen Boys oder Spirou und Fantasio genannt.

Ein bemitleidenswerter Polizist

Meistens gibt es in Cauvins humoristischen Szenarien ein Pärchen, das für die lustige Interaktion sorgt. Diese Kombination erlaubt, Charakterzüge besonders ausgeprägt aufeinanderprallen zu lassen und findet sich auch in TV-Paaren wie Stan & Olli, Matthau/Lemmon oder Pat & Patachon wieder. Agent 212 – so der Originaltitel – ist aber in sich lustig genug und braucht kein Gegenüber.

Dein Freund und Helfer Integral 1 page 13

In diesem Integral finden sich die ersten fünf Bände, die in den 80-er Jahren bei Feest erschienen waren. Dein Freund und Helfer ist immer im Dienst, ist immer hilfsbereit und doch fast nie erfolgreich. Mehr als einmal wird er daher dazu verdonnert, den Verkehr auf einer belebten Kreuzung zu lenken. Doch selbst das gelingt nur selten ohne Komplikationen und fast immer ist es sein Vorgesetzter, der Kommissar, der die Verfehlungen bemerkt.

Man kann von Glück sagen, dass die Abenteuer nur gezeichnet sind; so viele Blessuren, Brüche, Verbrennungen und weitere Verletzungen möchte man keinem Schauspieler zumuten. Trotz des teilweise brachialen Humors macht sich Cauvin aber an keiner Stelle über Wachtmeister 212 oder seine Frau lustig. Auch das muss man erst mal schaffen! Fast immer sind die Stories in vier bis sechs Seiten erzählt.

Klassischer Spirou-Stil

Die Zeichnungen von Daniel Cox entsprechen dem Spirou-Stil der 80-er. Grundsätzlich sind immer noch Anklänge an Franquin zu erkennen, das Dekors, die Autos und die Mode sind aber bereits modern. Der Vorsatz zeigt sehr schön die gewollte Typisierung der Figur: Beruf und Privatleben sind für den armen Helden gleich gefährlich, ist es doch immer gleiche Mensch! 

Dein Freund und Helfer Integral 1 page 14

Für die Dynamik wendet Kox teilweise eine Besonderheit an: Wachtmeister 212 bewegt sich so schnell, dass sein Kopf auf einem Panel zweimal vorhanden ist. Diese Geschwindigkeit unterstützt den Witz und unterstreicht den klamaukhaften Charakter vieler Szenen. Ansonsten sind die Knollennasen freundlich und geeignet auch für ein jüngeres Publikum.

Ein bisher fehlendes Mosaikteilchen!

Viele Serien von Raoul Cauvin haben mittlerweile ihren Weg nach Deutschland gefunden und doch gibt es noch so einiges, was zu entdecken wäre. Dein Freund und Helfer schließt eine der Lücken! Wer mehr über das gesamte Spektrum der Arbeit von Cauvin wissen möchte, sei an die Vorworte der Sammy & Jack-Integrals verwiesen.

Aber auch ohne Bezug zu den anderen Serien ist Wachtmeister 212 ein perfekter Tipp für alle, die gerne humorige Geschichten lesen, in denen niemand verächtlich gemacht wird. Fans von moderner Comedy werden sich hier also möglicherweise nicht so gut unterhalten fühlen. Wie immer gibt es auch eine limitierte Vorzugsausgabe mit Variantcover und ebenfalls limitiertem Druck!

Dazu passen The Silver Shine mit „Jolene“ und ein wärmender Tee.

© der Abbildungen Dupuis 1981, 1982, 1983, 1984, 1985, by Cauvin, Kox / 2024 Comic Combo, Leipzig

div – Kurzgeschichten Die Blauen Boys

Die Festschrift zum 60. Album

Story: Thierry Gloris, Sti, Munuera, Renaud Collin, Olivier Dutto, Aimée de Jongh, Denis Lapière, Olivier Schwartz, Clarke, Lapuss‘, Joris Chamblain, Zidrou, Blutch nach Salvèrius, Lambil und Cauvin
Zeichnungen: 
Denis Bodart, Denis Goulet, Munuera, Renaud Collin, Olivier Dutto, Aimée de Jongh, Pau, Olivier Schwartz, Clarke, Baba, Olivier Frasier, Maltaite, Blutch nach Salvèrius, Lambil und Cauvin

Originaltitel: Les Tuniques Bleues – Des Histoires courtes par …

Piredda Verlag

Hardcover | 120 Seiten | Farbe | 30,00 € 
ISBN: 
978-3-949968-05-1

Cover Kurzgeschichten Die Blauen Boys

Die Blauen Boys sind eine der erfolgreichsten und bekanntesten Westernserien aus dem frankobelgischen Semi-Funny Comic-Segment. Einzig Lucky Luke spielt in einer komplett anderen Liga. 2016 erschien das 60. Album der beiden (Anti-)Helden Corporal Blutch und Sergeant Chesterfield. Da es schon seit geraumer Zeit im Spirou-Magazin üblich war, gut laufende Serien unter dem Signet „… par …“ wechselnden Teams anzuvertrauen, bot es sich an, die bis dahin im Magazin erschienenen Kurzgeschichten mit ein paar weiteren als eigenständigen Hommage-Band zu vermarkten. Nun endlich ist auch eine deutsche Übersetzung erschienen!

Kritik am Militarismus

Die allerersten Anfänge der Serie, noch gezeichnet von Salvérius, hatten eher ein Fort der Armee der Nordstaaten als Ausgangspunkt für Komik und Slapstick. Schon sehr bald wurden aber die Schlachtfelder des Sezessionskrieges der Blueprint für die Abenteuer und trotz der weiterhin vorhandenen großen Prise Humor begann die Kritik am bedingungslosen Abschlachten, an unfähigen Vorgesetzen und allgemein am Militarismus einen breiten Bereich einzunehmen.

Auch die dreizehn in diesem Band versammelten Kurzgeschichten, die jeweils einen persönlichen Blick der jeweiligen Szenarist*innen und Zeichner*innen darstellen, nehmen diese Grundtendenz auf. So steht natürlich auch hier das Thema der Fahnenflucht im Mittelpunkt einiger Geschichten. Neu ist aber, dass auch der Vorgesetzte seine Zweifel äußern darf. Eine sehr berührende Geschichte kommt von Aimée de Jongh, die das Thema der auf dem Schlachtfeld eingesetzten Kinder visualisiert.

Kurzgeschichten Die Blauen Boys page 5

Allen Geschichten gemein ist, dass, obwohl die Essenz der Serie immer getroffen wurde, sehr unterschiedliche Interpretationen entstanden sind. Der Band eröffnet daher einen, nein, viele neue Blicke auf ein Grund-Szenario, das schon viele Iterationen hinter sich hat. Gleichzeitig erfordern die Stories aber kein „Expert*innen-Wissen“. Jede*r kann sofort einsteigen und findet im Blaue-Boys-Setting viele Western-Narrative wieder.

Sehr unterschiedliche Zeichenstile

Wie auch schon die Story-lines sind die Zeichnungen nicht als Kopie des Originals angelegt. Im Gegenteil, die Zeichner*innen sollten ihren eigenen Stil einbringen und so ist ein bunter Strauß dabei herausgekommen. Einiges ist sehr realistisch, anderes ist bunt, frech und karikaturesk. Mit anderen Worten: Alle im Spirou der letzten 10 Jahre vorkommenden Stile finden sich auch in diesem Sammelband wieder.

Daher ist vollkommen klar, dass jede*r bestimmte Seiten nicht so gerne mag. Darauf kommt es aber nicht an, denn das Ziel ist, die Essenz in der fremden Darstellung wiederzufinden und Wert zu schätzen! Wer sich darauf einlassen kann, wird hier viel Spaß haben.

Detail Kurzgeschichten Die Blauen Boys page 9

Die Weitung de Perspektive

Für mich ist es wichtig, immer wieder die Möglichkeit zu haben, etwas Neues zu entdecken. Manchmal muss man leider feststellen, dass sich eine Sache totgelaufen hat. Für mich trifft das weder auf die Hauptserie zu, noch auf diesen Jubiläumsband. Es stecken so viele Möglichkeiten darin und sehr viele davon werden hier präsentiert!

Die Ausgabe als Hardcover ist gediegen, das Layout der jeweiligen Einführungsseiten sehr ansprechend und der haptische Eindruck hervorragend. Wer sich einen ersten Eindruck verschaffen möchte, braucht nur die hintere Umschlagseite zu nehmen und sich die dreizehn verschiedenen Profile anzusehen. Viel Spaß damit!

Kurzgeschichten Die Blauen Boys page 3

Dazu passen Jack White mit “Seven Nations Army” und ein starker Kaffee.

© der Abbildungen DUPUIS 2016, by Thierry Gloris, Sti, Munuera, Renaud Collin, Olivier Dutto, Aimée de Jongh, Denis Lapière, Olivier Schwartz, Clarke, Lapuss‘, Joris Chamblain, Zidrou, BlutchDenis Bodart, Denis Goulet, Pau, Baba, Olivier Frasier, Maltaite  / 2024 Piredda Verlag

Pevel/Willem – Die Flintenweiber

Gesamtausgabe

Autor: Pierre Pevel

Zeichnungen: Étienne Willem

Originaltitel: Les Artilleuses

Blattgold Verlag

Hardcover | 156 Seiten | 39,00 €
ISBN: 978-3-949987-07-6

Cover Die Flintenweiber Gesamtausgabe

Manchmal enthalten Gesamtausgaben begleitende Texte, die nicht direkt mit dem Comic zu tun haben. Georg F. W. Tempel beendet diese Ausgabe sehr persönlich mit einem emotionalen Statement über den freiwilligen Tod des Zeichners Étienne Willem. Auch dafür muss in der heutigen, oberflächlichen Zeit Platz sein!

Ein Raub und eine Staatsaffäre

Das dreiteilige Abenteuer über eine Gruppe von drei jungen Frauen, die Flintenweiber, und den von ihnen durchgeführten Raub eines ganz besonderen Siegelrings spielt im Jahr 1911 im Paris der Wunder. Dieses von Pierre Pevel geschaffene Universum entstand durch die Öffnung einer Verbindung zwischen der uns bekannten Umgebung und der Anderswelt. Und so werden nun beide Welten sowohl von Menschen als auch von magischen Wesen bewohnt. Dies ermöglicht eine humorvolle, trotzdem aber spannende Verbindung zwischen Action-Szenen und niedlichen Drachen.

Lady Remington, Miss Winchester und Mamsell Gatling waren mit dem Diebstahl beauftragt worden, die geplante Übergabe wird jedoch massiv gestört und ihr Auftraggeber, ein krimineller Faun, getötet. Es entwickeln sich im Verlauf mehrere Schlachten zwischen Polizei, verschiedenen Geheimdiensten und den drei Damen. Dabei wird deutlich, woher die Drei ihre Kampfnamen haben, denn neben magischen Waffen kommen ganze Waffenarsenale zum Einsatz. Die Deutschen kommen dabei übrigens nicht besonders gut weg.

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Immer wieder gelingt es Pevel, die Möglichkeiten der Anderswelt in die Story zu integrieren. Dabei geht es nicht nur um Situationskomik (der polternde Troll), auch die „bösen“ Wesen machen viel Spaß. Und so entwickelt sich eine rasante Story, voll mit Verfolgungsjagden, internen Reibereien, Konflikten zwischen konkurrierenden Dienststellen und Mächten, aber eben auch politischen Strategien. Während der Veröffentlichung über 3 Jahrgänge des ZACK fand ich die Cliffhanger toll, nun aber, in einem Rutsch gelesen, hat die Dramatik noch mal einen ganz neuen Charakter!

Humor und Action

Die Zeichnungen von Étienne Willem vereinbaren die beiden inhaltlichen Komponenten kongenial. In fast jedem Panel ist irgendeine lustige Szene versteckt. Trotzdem werden rasante Actionszenen präsentiert, ja, selbst Folter und Hinrichtungen gehören zum Inhalt. Die ganze Niedlichkeit darf also nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier Leben in Gefahr sind. Diese Gewissheit ist bei den Heldinnen zwar zu spüren, sie drücken aber eine gewisse Überheblichkeit aus, wenn sie ihr eigenes Glück voraussetzen.

Die Hintergründe sind extrem detailliert und auch die Nebenfiguren sind exakt ausgeführt. Es tauchen im Verlauf der Geschichte eine ganze Menge technischer Gadgets auf, die von Kampfdrohnen bis hin zu mechanischen Wesen reichen. Auch diese sind eine Mischung aus Realität und Art-Deco-inspirierten Manierismen. Kurzum: Das Betrachten der Zeichnungen wird auch nach wiederholtem Ansehen nicht langweilig!

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Extrem gute Unterhaltung

Eine Gesamtausgabe ist in gewisser Weise die gedruckte Möglichkeit des bingens. Man ist nicht gezwungen, nach wenigen Seiten (im Magazin) oder einem Band zu warten, sondern kann ganz in die Materie eintauchen und genießen. Das trifft natürlich insbesondere bei einbändigen Ausgaben zu. Die Flintenweiber ist eine Quelle für vorzügliche Unterhaltung mit Suspense, Magie, Gewalt, Verfolgungen, magischen Momenten, Glück und Verlust. Mehr Drama geht nicht!

Wer jetzt Lust bekommt, der sei auf das Universum des Paris der Wunder hingewiesen. Die Länder Frankreich und Ambremer bieten Stoff für viele weitere Abenteuer, die zum Teil bereits erschienen sind, zum Teil aber auch nur angekündigt sind. Stay tuned! Natürlich gibt es auch wieder eine limitierte Vorzugsausgabe mit entsprechendem Druck.

Dazu passen Bite me Bambi mit „Girls of Summer“, und ein sommerlicher Gin Tonic mit Limone.

© der Abbildung 2023 Drakoo par Pierre Pevel & Étienne Willem / 2024 Blattgold Verlag, Bad Dürkheim

M. und J.-F. Charles – China Li

Gesamtausgabe

Story: Maryse & Jean-François Charles
Zeichnungen: 
Jean-François Charles

Originaltitel: China Li Vol. 1 – 4 (Shanghai, L’honorable monsieur Zhang, La fille de l’eunuque, Hong Kong – Paris)

Splitter Verlag

Hardcover Überformat |264 Seiten | Farbe | 45,00 € | 
ISBN: 978-3-98721-379-3

Cover China Li

Das Ehepaar Maryse & Jean-François Charles hat sich schon mehrfach mit Dreams/Träumen auseinandergesetzt. Egal, ob in Frankreich, Afrika oder Indien, immer beschreiben sie persönliche Schicksale und verknüpfen kriegerische und weltpolitische Ereignisse mit diesen Geschehnissen. Während die Geschichtsschreibung sich auf die großen, heroischen Momente konzentriert, sind die Auswirkungen im Alltäglichen manchmal ganz anders, zeitversetzt und alles andere als heroisch.  

Die Tochter eines Eunuchen

Wie immer in ihren Werken stellt das belgische Ehepaar eine Frau in das Zentrum ihrer Geschichte. Diese spielt in China während des Übergangs zur Moderne. Die chinesische Nation musste während dieser Zeit einige Demütigungen erdulden. Zunächst einmal waren die europäischen Staaten als Konzessionsmächte tonangebend, die japanische Armee war brandschatzend, vergewaltigend und mordend eingefallen und der Kampf zwischen den Truppen des nationalistischen Generals Chiang Kai-shek mit den revolutionären Organisationen unter Führung der Kommunistischen Partei und Mao Ze-Dong hatte ebenfalls immense Opferzahlen zur Folge.

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Neben der politischen Führung gab es aber zu Beginn des letzten Jahrhunderts eine große Schattenwirtschaft um Opiumkonsum, Prostitution und Bestechung, die von den chinesischen Organisationen der Triaden geleitet wurde. Und nicht zuletzt spielten auch die alten Traditionen noch eine immense Rolle und in ihnen das Schicksal der Eunuchen. Diese wurden teilweise bereits als kleine Kinder entmannt und in die Dienste innerhalb der Verbotenen Stadt gegeben. So geschah es auch dem Eunuchen Zhang, der sich im Verlauf der Zeit zum skrupellosen Führer der in Shanghai herrschenden Triade entwickelt hat. Er nimmt die junge Chinesin Li unter seine Fittiche, als diese im Alter von 7 Jahren als Wettschuld verkauft wird.

Die Geschichte erzählt, teilweise ineinander verwoben, sowohl von dem Aufstieg und der Herrschaft Zhangs, als auch das Leben von Li, die von einem misshandelten Mädchen zur einflussreichen Adoptivtochter des mächtigen Herrschers wird. Dabei gibt es nicht nur spannende Momente in ihrer Jugend, sie geht später nach Paris, begleitet Mao auf seinem langen Marsch und versucht, den letzten Auftrag ihres Adoptivvaters auszuführen. Nach chinesischer Religion ist es nämlich wichtig, dass der Körper eines Toten komplett vergraben wird. Ansonsten ist der Weg in das Paradies versperrt. Also bedeutet dass, das die entfernten Testikel im Besitz des Eunuchen sein müssen.

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Zartes Aquarell und heftige Brutalität

Die Zeichnungen von Jean-François Charles, der wieder selbst den Pinsel übernommen hat, sind in ihrer grundsätzlichen Ausformung zarte Aquarelle. Diese passen insbesondere zu den teils ganzseitigen Bildern, die die Natur darstellen und von der chinesischen Tradition inspiriert sind! Meistens enthalten sie Elemente von Yin und Yang und drücken damit ein Gleichgewicht aus. Neben diesen ruhigen Haltepunkten gibt es aber auch die Hektik der Großstadt, die Verzweiflung der Süchtigen und Armen, vor allem aber die Gewalt. Diese wird hauptsächlich von Männern ausgeübt und richtet sich gegen angeblich Minderwertige und Andersdenkende.

Natürlich sind auch die Auseinbandersetzungen innerhalb der Triaden und mit europäischen Mafia-ähnlichen Gruppen nicht gerade friedlich. Während diese aber irgendwie noch Sinn machen, ist die Gewalt der japanischen Besatzer und die der kriegsführenden Parteien gegenüber allen Anderen kaum noch nachvollziehbar. Umso erstaunlicher ist es, dass die Erzählung immer wieder ihren Weg zurück zu der Geschichte findet und die gewalttätigen Szenen letztlich nur als Beiwerk einbindet und deutet. Hier werden auch kulturelle Aspekte immer wieder eingewoben.

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Gelungene Kombi aus „Großem“ und „Kleinem“

Geschichte leidet immer ein wenig darunter, dass sie entweder die relevanten Ereignisse in den Vordergrund stellt und so tut, als ob sie eine Abfolge von Kalenderdaten wäre, oder aber die sozialgeschichtlichen Aspekte überbetont. Dem Ehepaar Charles ist es in China Li gelungen, beide Sichtweisen zu vereinen. Während die Struktur „bekannt“ ist, sind es die persönlichen Biographien, an denen die Auswirkungen deutlich werden. Dieser Anspruch ist nicht neu, scheitert aber (viel zu) oft!

Zusätzlich gefällt mir die zarte, pinselgetriebene Zeichnung in den Panels, die selbst in stressigen Situationen eine gewisse Ruhe ausstrahlt. Am besten gelingen dabei die grandiosen Darstellungen der Natur. Aber auch das Treiben in den Städten (so wohl der europäischen als auch der asiatischen) ist glaubhaft. Und in dem Gewimmel, das teilweise zum Besten gegeben wird, verstecken sich eine Unmenge an Details. Und schließlich bietet der Band auch für die Freund*innen der Cameos die eine oder andere versteckte Überraschung!

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Dazu passen The Oldtones, etwa mit „Tocamos Ska“, und ein Singapore Sling!

© der Abbildungen Casterman 2018, 2020, 2021, 2023| Splitter Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld 2024

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