Im schauraum: comic + cartoon in Dortmund läuft bereits die
zweite Ausstellung unter der Leitung von Dr.
Alexander Braun, dem aktuell wohl profiliertesten Kurator in diesem
Bereich. Unter dem Titel „Nimm das,
Adolf!“ wird in dem kleinen, rund 160 m² großen Raum gegenüber vom Dortmunder
Hauptbahnhof der Zweite Weltkrieg im Comic thematisiert. 80 Jahre nach Beginn
des Krieges werden fast 100 seltene, zumeist erstmals ausgestellte
Originalzeichnungen und Dokumente gezeigt.
Superhelden gegen Adolf
Die USA waren zunächst nicht bereit, in das (europäische) Kriegsgeschehen einzugreifen. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 und der daraufhin erfolgten Kriegserklärung Nazi-Deutschlands an die USA änderte sich die Situation grundlegend. Nun begannen auch die sich gerade in ihrer ersten Blüte befindenden Superhelden den Kampf gegen die faschistischen Staaten Deutschland und Italien sowie gegen Japan aufzunehmen. Auch der Zeitungsstrip konnte und wollte das Thema nicht länger ignorieren. – Im schauraum sind viele Beispiele zu sehen, der aktuelle Katalog gibt allerdings noch einen viel tieferen Einblick und ist unbedingt zu empfehlen!
Es wird aber nicht nur die amerikanische Seite gezeigt, denn
auch in Deutschland nahmen sich Zeichner und Journalisten des Themas an. Eine noch
heute nicht ganz überwundene Folge des Ganzen ist die Verfemung der Sprechblase
als dekadent, kulturlos und „entartet“.
Spirou und Tintin – zwei Strategien
Der Situation in dem von den Deutschen besetzten Belgien sind gleich zwei Themenblöcke gewidmet: Während sich die Zeitschrift Spirou in zivilem Ungehorsam übte und verboten wurde, wechselte Hergé mit Tintin zur deutsch kontrollierten Le Soir, verdoppelte deren Auflage und sorgte damit für eine bessere Verbreitung der deutschen Ideologie. Die Diskussion ist in dem beschränkten Raum der Ausstellung sicherlich nicht zu führen, auch hier sei aber der Hinweis auf die vertieften Inhalte im Katalog erlaubt.
Von den 70-ern bis heute
Ein weiterer Schwerpunkt widmet sich der Enthistorisierung des Themas: Nazi-Zombies, Pornos und Satire verwenden den Hintergrund nur noch als einen Bestandteil der Pop-Kultur. Andere Wege gehen graphic novels wie etwa Maus oder aber Wannsee, die sich bemühen, historisch korrekt Aufarbeitung in einer besonderen Kunstform, dem Comic, zu ermöglichen. Auch hier werden Originale und Werke aus Italien gezeigt wie auch zwei Originale von Fabrice Le Hénanff.
Gerade in heutigen Zeiten in denen Populisten weltweiten Zulauf
haben und die jüngere deutsche Geschichte massiv umgedeutet wird kann es nicht
schaden, sich diesem Thema zu widmen. Es muss ja nicht gleich ein 1000-Seiten
Wälzer sein.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 15. März 2020 täglich außer Montags ab 11:00 Uhr. Der Eintritt ist frei. Der bereits mehrfach erwähnte Katalog von Alexander Braun (ISBN: 978-3-9820732-1-7) ist nur im schauraum erhältlich und ist jeden Cent seiner 20 EURO wert! Er umfasst 224 Seiten und enthält rund 340 Abbildungen.
Zum Katalog passen eine Kanne fair gehandelter Biokaffee und Banda Bassotti aus Italien.
Wie beschreibt man das Unbegreifbare? Und wie macht man
deutlich, dass ein eigentlich fast schon banales Arbeitstreffen mit
anschließendem Frühstück das Todesurteil für Millionen von Menschen besiegelt
hat?
Der Bretone Fabrice Le Hénanff versucht mit seiner Graphic Novel Wannsee genau das! In einer bürgerlichen Villa in Berlin-Wannsee kommen am 20. Januar 1942 fünfzehn hochrangige Vertreter des Nazi-Regimes unter Leitung von Adolf Eichmann zusammen um die Endlösung der Judenfrage zu diskutieren. Das Treffen ist auf maximal zwei Stunden ausgelegt und gut vorbereitet. Um der Nachwelt keine Informationen zu liefern wird das stenographische Protokoll sofort im Anschluss vernichtet und auch die später ausgegebenen Protokolle sollten nach der Besprechung mit den jeweiligen Vorgesetzten eigentlich vernichtet werden. Ein Protokoll aber überlebt und so wissen wir heute von dieser Konferenz.
Es wurden noch weitere Vorkehrungen getroffen um das zu planende
Grauen handhabbar zu machen. In feinster Orwellscher Manier wird nur von
Evakuierungen und Sonderkommandos gesprochen, nicht aber von Exekutionen.
Trotzdem geht es um eine Plankapazität von bis zu 60.000 Juden pro Tag in den
Vernichtungskammern. Die Begründung ist denkbar einfach: Munition ist knapp,
Massenerschießungen belasten die Ausführenden zu stark emotional, und
schließlich lassen sich damit auch nicht genügend große Zahlen „evakuieren“.
Die Beteiligten an dieser Konferenz sind zum größten Teil Juristen; nicht verwunderlich also, dass es auch darum geht, wie man diese Planungen rechtlich umsetzen und vereinfachen kann, etwa wenn es um die Behandlung von „Mischlingen“ geht oder um Ehen zwischen Ariern und Nicht-Volljuden. Die Abstraktionsfähigkeit der Teilnehmer führte später dazu, dass sie teilweise als Mitläufer mit nur leichter Belastung eingestuft worden sind. Deutsche Justiz in den ersten Jahren nach ´45 war nicht immer ein Ruhmesblatt um es mal höflich auszudrücken.
Die Umsetzung
Le Hénanff hält
sich nicht sklavisch an die im Protokoll überlieferten Abläufe und Inhalte, er
ergänzt etwa eine Beschreibung des Massakers von Babi Yar um das Grauen
greifbarer zu machen. Er ergänzt die Beschreibung der Konferenz auch um
Biographien der Teilnehmer. Hier führt er nicht nur auf, was die Männer vor der
Konferenz getan haben, sondern auch danach und eben auch, wie die Zeit bis zu
ihrem Tod verlaufen ist. Ihm kommt dabei zugute, dass er sich schon in früheren
Werken intensiv mit dem Zweiten Weltkrieg auseinandergesetzt hat.
Die Grundfarbe der Bilder ist ein Sepiaton. Dadurch wirkt
alles alt und dokumentarisch, obwohl es natürlich eine Fiktion ist. Bilder
erstrecken sich dabei manchmal über mehrere Panele einer oder sogar mehrerer
Reihen und ermöglichen dadurch ein Innehalten in einer Situation, die mehr Text
bedarf oder mehr Bedeutung hat. Durch das teilweise eingesetzte leichte Rot auf
den Gesichtern wirken die Personen einerseits wie gut genährte Schweinchen
(während die Bevölkerung in einen Hungerwinter geht) andererseits manchmal wie
verpickelt und mit Eiterbeulen überseht. Dadurch wird quasi eine maximale
Distanz zwischen Künstler und dargestellten Personen geschaffen.
In einer Sub-Story treffen Mäuse in eben jenem Gebäude auf eine hungrige Katze. Es sei dahingestellt, ob es sich dabei um eine Hommage an Art Spiegelmann handelt oder eine um Allegorie. Sie entspricht auf jeden Fall der gnadenlosen Umsetzung des Plans der Vernichtung des europäischen (und später weltweiten) Judentums mit deutscher Gründlichkeit und effizienter, industrieller Planung.
Zu der Hardcover-Ausgabe im Knesebeck-Verlag gehören auch
ein Vor- und ein Nachwort, Literaturangaben und Quellenverweise, die eine
Einordnung des Tages in die zeitliche Historie und die Geschichte des Holocaust
ermöglichen, trotzdem aber die singuläre Bedeutung dieser Konferenz
herausstreichen. Ein wichtiger Titel, der einigen nicht gefallen wird und eine
Mahnung an alle, niemandem zu vertrauen, der von Vogelschiss redet.
Dazu passen ein schwarzer Tee und „Zog nit keyn mol az du geyst dem letsn veg“ von Hirsch
Glik.
Charles Darwin
dürfte dem Namen nach jedem bekannt sein; seine fast fünfjährige Reise auf der HMS Beagle erlaubte ihm, unzählige Artefakte
zu sammeln, Theorien zu entwickeln und diente als Basis für sein
wissenschaftliches Werk, das die Naturwissenschaften revolutionierte und ihn in
scharfen Gegensatz zu der damaligen Auffassung brachte. Über diese Reise gibt
es bereits viele Bücher, nicht zuletzt von Darwin
selbst aber auch vom Kapitän der Beagle Fitz
Roy. Nun liegt eine Graphic Novel aus dem Knesebeck-Verlag vor, die diese Reise beschreibt.
Der Hintergrund
Darwin war ein etwas kränklicher junger Mann und so war die erste Hürde, die zu nehmen war, das Einverständnis des Arztes der Familie. Seereisen waren damals, wir schreiben das Jahr 1831, noch etwas anderes: ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Die Überfahrt war gefährlich, Kommunikation nur möglich, wenn man ein anderes Schiff traf oder während des Aufenthaltes in einem Hafen und es gab genügend Hinweise auf Kannibalen und feindlich gesinnte Bewohner unbekannter Landstriche.
Zudem waren die Schiffe der damaligen Zeit zwar durchaus
seetauglich, Luxus wie auf einer heute so beliebten Kreuzfahrt war aber nicht
zu erwarten. Der Kapitän der HMS Beagle,
der auf der zweiten Fahrt dieses Schiffes die Küste Südamerikas kartographieren
sollte, wünschte sich Gesellschaft durch einen gebildeten Gefährten während der
Fahrt und so kam es, dass der junge Darwin
eingeladen worden war. Da es keine Smartphones mit Kamera gab war auch ein
Maler mit an Bord um die Eindrücke festzuhalten. Die erwünschte Konversation
muss allerdings sehr beschränkt gewesen sein, Darwin litt nicht unerheblich an Seekrankheit.
Er entwickelte aber schnell ein großes Interesse an
Naturforschung und Geografie und stellte bereits auf dem ersten Stopp auf den
Kapverden fest, dass die Erde wohl nicht erst 6000 Jahre alt ist – so die
damalige theologisch begründete Annahme, sondern wesentlich älter. Die Erde
schien sich entwickelt zu haben (Blasphemie 1) und das Antlitz ihrer Oberfläche
schien aus verschiedenen Schichten aufgebaut zu sein.
Ein weiterer Punkt, in dem der junge Forscher einen totalen Gegensatz zur damals herrschenden Meinung einnahm, war die Frage der Sklaverei. Er empfand durchaus, dass alle Menschen gleich sein und die postulierte Minderqualität nicht aus dem Menschen selbst heraus zu begründen war. Die Zivilisation sei es, die die Menschen und ihre kulturelle Entwicklung geprägt hätte und dort gäbe es tatsächlich Unterschiede. Natürlich glaubte der Engländer an die Superiorität seiner Kultur und empfand durchaus eurozentristisch und paternalistisch, zweifelte aber an der Gottgegebenheit dieser Situation (Blasphemie 2).
Auf seinen weiteren Stationen dieser fast fünf Jahre
andauernden Reise entdeckte er Skelette von Fossilien und entwickelte
schließlich aufgrund der Tatsache, dass sich auf den einzelnen Galapagos Inseln
unterschiedliche Ausprägungen zum Beispiel von Finken finden ließen, die Theorie,
dass sie sich aus einem gemeinsamen Ursprung entwickelt hätten (Blasphemie 3). Diese Theorie sollte später sein
Hauptwerk werden unter dem Namen Der
Ursprung der Arten, der Begründung der modernen Evolutionstheorie!
Die Umsetzung
Grolleau und Royer haben sich in ihrer Umsetzung
dagegen entschieden, alle Details haarklein nachzuerzählen. Sie wollen etwas
vereinfachen, ja sogar romantisieren, wie sie in ihrem Vorwort gestehen. Ihnen
kommt es nicht darauf an, jede Entdeckung, jeden Landgang und jede Idee
wiederzugeben, sie wollen die Linie und die Entwicklung aufzeigen die vom
jungen, idealistischen Träumer hin zu dem genauen Wissenschaftler verläuft. Dadurch
gelingt es ihnen zu zeigen, wie sich einzelne Begebenheiten und Funde quasi wie
Puzzlesteine mühsam zu einem Größeren zusammenfinden und erst langsam die
Grundlage für die Theorie bilden. Noch einmal zurück in die damalige Zeit:
Fundstücke mussten katalogisiert werden, verpackt und dann nach England
verschifft werden. Sie waren teilweise Jahre vor dem Forscher in der englischen
Heimat und hatten bereits eine Diskussion angeregt, die von Darwin selbst gar nicht zu beeinflussen
war.
Zudem waren auch die Kategorien gar nicht bekannt und entwickelten sich erst im Laufe der Zeit, zum Beispiel die Wichtigkeit der geographischen Bezeichnung der Fundorte. Wenn alle Arten gleichzeitig von Gott geschaffen worden waren, war es nicht so wichtig, ihren Fundort zu beschreiben. Erst dann, wenn man von separaten Entwicklungen ausgeht, macht der Fundort überhaupt Sinn! Diese Weiterentwicklung in der wissenschaftlichen Herangehensweise wird durch die beiden Kreativen quasi nebenbei erläutert und das ist auch schon ein Hinweis auf ihre Leistung: Wissenschaft und vor allem die langsame Theoriebildung und ihre Verifikation werden perfekt und spannend beschrieben und erwecken Verständnis für die Leistung aber auch Neugier und möglicherweise den Spaß an eigenen Versuchen.
Die Graphic Novel lässt sich daher vielschichtig lesen: Sie
ist zu erst einmal eine spannende biographische Bilderzählung einer
fünfjährigen Reise und insofern fast wie ein Roman von Jules Verne, nur in echt. Sie ist die Beschreibung der Entwicklung
einer revolutionären Theorie, die unsere Welt nachhaltig geändert hat (auch
wenn es immer noch eine Vielzahl von Menschen gibt, die glauben, dass die Bibel
und ihre Genesis wörtlich zu nehmen ist). Und sie ist die behutsame
Heranführung an Wissenschaft und ihre Anforderungen.
Die Zeichnungen
Mir wurde auf keiner einzigen der 170 Seiten langweilig – der Stil ist so abwechslungsreich und wechselt zwischen Nahaufnahmen der Gesichter, der Situationen oder Tierdarstellungen und weiten Landschaften hin und her. Dabei ist das Gesicht Darwins den Bildern der damaligen Zeit so gut nachempfunden, dass man ihn sofort wiedererkennt, seine Entwicklung über die beschriebene Zeit aber auch sehen kann. Aus dem offenen, etwas ängstlichen jungen Mann wird einer, der weiß, was er zu tun haben wird um seine gesammelten Eindrücke zusammenzufügen.
Auch die Härte der Seefahrt, die Schrecken der Sklaverei und
die Beschreibung der südamerikanischen Lebensverhältnisse sind gut und vor
allem nachvollziehbar getroffen. Dazu gibt es immer wieder grandiose Bilder wie
etwa das als Titelbild genutzte Panel oder die Sammlung der Käfer die in ihrer
Weite und Detailtiefe die emotionale Beteiligung des/der Leser*in geradezu
erzwingen. Trotz aller Details vereinfachen die Bilder genug um nicht vom
Wesentlichen abzulenken und sind daher besser geeignet als Fotos es wären.
Die Ausgabe
Der Knesebeck-Verlag
veröffentlicht seit geraumer Zeit Graphic Novels. Viele davon sind aus der
Schnittmenge von Zeitgeschichte und Biografie und alle setzen den Willen der
Konsument*innen voraus, sich auf das Thema einlassen zu müssen. Das kurze Vergnügen
mit anschließendem Vergessen ist nicht gewollt, eher schon die Basis für eine
tiefere Auseinandersetzung. So laden die Werke auch alle dazu ein, sie mehr als
einmal zu lesen.
Das Buch kommt als Hardcover mit festem Papier. Obwohl sehr glatt, glänzt es nicht und reflektiert daher auch nicht störend. Der Buchhändler würde es etwas altertümlich als wohlfeil beschreiben… Durch die strukturierenden Kapiteleinleitungen mit einem Kartenausschnitt wird die Leser*in geführt und der Überblick gewährleistet.
Uneingeschränkte Empfehlung für alle, die nicht nur die
schnelle Ablenkung suchen, sondern eine Bildgeschichte gerne auch wiederholt in
die Hand nehmen und als Ausgangspunkt für eigene Überlegungen nutzen wollen!
Dazu passen Joe
Jackson mit Big World und Mate jeglicher Geschmacksrichtung.
Karikaturen oder Cartoons sind ein schwieriges Unterfangen: sie müssen mit einem, maximal zwei Bildern und minimalem Text Betrachter*innen unterschiedlicher Herkunft, Bildung und Alter ansprechen und etwas auslösen. Ziel muss es also sein, mit Symbolen und (grafischen) Allgemeinplätzen eine spezifische Aussage zu treffen. Was im schnelllebigen Alltag wegen der Platzierung einer Karikatur in der Zeitung neben einer tagesaktuellen Meldung noch einigermaßen funktioniert, wird in Sammelbänden schon schwieriger, denn der Kontext fehlt vollkommen.
Noch schwieriger wird es, wenn anstelle eines gemeinsamen Erfahrungshorizontes plötzlich die internationale Bühne gesucht wird. Was im nahen Umfeld vielleicht noch vorausgesetzt werden kann, ist in diesem Rahmen nicht mehr zu beeinflussen und so müssen noch plakativere Bilder gefunden werden.
Cartooning Syria versucht, politische Karikaturen zum Thema Krieg in Syrien zusammenzustellen und für Frieden (und Freiheit) zu werben. Sie richten sich daher gegen Assad, aber auch gegen den IS/DAESH und andere streng religiöse Gruppen, gegen die kriegsbeteiligten Mächte USA und Russland, vor allem aber sind sie FÜR etwas, nämlich das Recht auf Leben, auf Meinungsfreiheit und auf Zukunft.
Sie benutzen dabei Bilder, die auch von Nicht-Syrern
verstanden werden: Bomben und andere Waffen, Blut und immer wieder die Umrisse Syriens.
Themen sind die tägliche Gewalt und natürlich die Flucht mit all ihren Lebensgefahren.
Die Zusammenstellung beschränkt sich dabei nicht auf 39 Künstler*innen aus Syrien bzw. anderen arabischen Staaten, sondern enthält in ihrer zweiten Auflage auch Werke von europäischen Cartoonist*innen. Sie reflektiert damit die Ausstellungen in Europa und bietet uns als Rezipient*innen der Bilder die Möglichkeit, den fremden und den eigenen Blick zu vergleichen.
Abgerundet wird die Ausgabe von 156 Bildern mit Portraits und Essays über bekannte und zum Teil im Konflikt getötete Cartoonisten und über die Stellung der Karikaturen in der syrischen Revolution. Dabei wird im Übrigen nicht nur auf „revolutionäre“ Künstler verwiesen, sondern auch auf regierungstreue, denn die Auseinandersetzung um die Meinungsherrschaft wird natürlich von beiden Seiten geführt. Obwohl es sich um einen Verlag aus Amsterdam handelt, ist der Text komplett in Englisch. Es sollte also keine Verständigungsschwierigkeiten geben.
Die Sammlung wird niemanden überzeugen, die eine oder andere Seite zu vertreten. Sie ist aber ein gutes Beispiel dafür, dass fast überall und immer die Leidtragenden einer kriegerischen Auseinandersetzung eigentlich das gleiche wollen: Das Recht auf ein – nämlich ihr – Leben und auf eine angstfreie Zukunft für sich und ihre Kinder!
Dazu passen weder ein Getränk noch Musik irgendwelcher Art.
Der 1944 in Venedig geborene Paolo Eleuteri Serpieri hat ursprünglich Architektur und Malerei
studiert. Seit 1975 ist er jedoch als Zeichner, später auch als Szenarist im
Comicbusiness aktiv. Seine bekannteste Figur ist sicherlich Druuna, die in einem
Science-Fiction-Setting erotische Abenteuer erlebt. Diese Reihe ist auf Deutsch
ebenfalls bei Schreiber und Leser
vorrätig. Auch biblische Geschichten hat er für eine Weile gezeichnet. Seine
Karriere begonnen hat er aber mit Geschichten aus dem Wilden Westen, anfangs
noch getextet von Raffaele Ambrosio.
Der Schamane ist der zweite Band der Serpieri-Western-Collection; in drei Hardcover-Bänden wird das Frühwerk des Italieners in eigener Zusammenstellung des Hamburger Verlages neu aufgelegt. Dabei ist jeweils eine Geschichte farbig, die anderen werden unkoloriert abgedruckt. Serpieri ist natürlich eines der Zugpferde des Verlages; umso erstaunlicher ist es, dass man darauf verzichtet hat, editorische Notizen zu den einzelnen Geschichten hinzuzufügen. Gerade im Zuge einer Zusammenstellung der oft nur in kleinen Magazinen veröffentlichten und lange nicht lieferbaren Geschichten wäre es ein netter Zug gewesen, darauf hinzuweisen, wann die Story erstmals erschienen ist und ob und wo sie bereits einmal auf Deutsch erschienen ist. Vielleicht könnte das im abschließenden dritten Band ja noch nachgeholt werden. Der Vollständigkeit halber (wenn schon nicht aus Höflichkeit) hätte aber zumindest ein Hinweis gutgetan, dass einige der Stories von Ambrosio getextet worden sind. So bleibt nur die Suche nach dem kleinen Kästchen mit einem oder eben zwei Namen.
Ansonsten gibt es aber nichts zu meckern! In dem großen
Format kommen die Zeichnungen gut zur Geltung. Auch die kleinsten Striche sind
klar und scharf und erlauben einen Einblick in die Kunst des Italieners, die in
der farbigen Version oft verdeckt wird. Serpieris
Seitenaufteilung ist flexibel, Panele überlappen sich, verschieben sich
ineinander und sind in der Größe sehr variabel. Wenn es denn gar nicht anders
geht führen Pfeile die Leser*innen auf den vorgegebenen Pfad. Die Geschichten bekommen
jeweils eine Vorsatzseite mit freigestellter Illustration; dies würdigt die
Teile mehr als ein hintereinanderweg Publizieren es täte und schafft Ruhe! Zur
Besprechung des ersten Teils geht es hier.
Der Inhalt
Der Band beginnt mit der titelgebenden Geschichte Der Schamane in Farbe. Sie vereinigt viele der wiederkehrenden Motive der Geschichten von Serpieri und Ambrosio: Machtgelüste und Rassismus als Antreiber vieler Weißer, Freiheitsliebe und Ohnmacht auf indianischer Seite und ein gewisses mystisches Etwas, das nicht zu erklären ist. Und so kommt es, wenn schon nicht zu Gerechtigkeit so doch zu einem gewissen Ausgleich. Die teilweise falschfarbige Kolorierung unterstützt gerade den letzten Aspekt deutlich und fügt sich so als gestaltendes Element in den Geschichtsaufbau ein.
John und Mary| Mary und John hat einen völlig anderen Fokus. Auch wenn hier von kriegerischen Auseinandersetzungen mit tödlichen Folgen und Menschenraub erzählt wird, stehen der Mann und die Frau im Mittelpunkt. Wie können sich Menschen, die so traumatisiert worden sind und so unterschiedliche Startpunkte und Möglichkeiten haben, aufeinander einlassen? Auch diese Geschichte ist aus der Feder von Raffaele Ambrosio. Umso erstaunlicher ist es, dass die Geschichte in weiten Teilen ohne Text auskommt.
Die Weisse Indianerin
ist keine Koproduktion. Zeichnerisch ist diese Geschichte einer der stärksten,
vielleicht auch, weil hier das Schwarz nicht soo schwarz ist und die Details dadurch
mehr Raum bekommen. Die titelgebende „Beute“ ist eine als Mädchen von den
Indianern geraubte Frau. Nach Jahren der Unwissenheit scheint jetzt ihr Aufenthaltsort
bekannt und zwei unterschiedlich motivierte Gruppen machen sich auf die Reise. Den
meisten der beteiligten Männer geht es allerdings um pure Rache, Auslöschung
ist das Ziel und das Schicksal der jungen Sarah ist allein Rechtfertigung. Wie
so viele Geschichten dieser Art ist sie zweideutig lesbar: als heroische
Beschreibung des Feldzuges des verzweifelten Mannes (wie in so vielen
Actionfilmen seit 50 Jahren) oder als Kritik an dem Männlichkeitswahn und der
stumpfsinnigen und nur noch mehr Leid schaffenden Rache.
Auch in Frauen an die Front greifen Ambrosio und Serpieri wieder das Geschlechterthema auf. Der erste Schritt der Besiedelung ist der Kampf gegen die Natur. Der zweite Schritt die Verteidigung des Bodens gegen andere Interessenten (um mal eine Verharmlosung für die ursprünglich Ansässigen zu nehmen) und gewaltsame Sicherung. Der dann folgende ist aber die Überführung der Ausnahmesituation in Alltag. Dazu gehört neben der Etablierung von Recht (Sheriff) und Wirtschaft (Hotel, General Store, Bank) auch die Familie; es müssen also irgendwie heiratswillige Frauen in den Westen kommen. Davon und vor allem von ihren Schwierigkeiten handelt diese Geschichte.
Eine außergewöhnliche
Geschichte ist dagegen eher eine (derb-)humorvolle Einzelfallaufnahme in
der ein Weißer einen ganzen indianischen Stamm auszutricksen versucht. Der alte Maler basiert ebenfalls auf
einem Trick. Es ist zwar ein ganz anderes Setting, Ambrosio erzählt aber auch hier von den Möglichkeiten den
Ohnmächtigen.
Den Schlusspunkt setzt Das
vermaledeite Gold, mit dem der Motivreigen wieder auf die mystische Welt
der Geister zurückgeführt wird.
Die Wertung
Für alle Fans des Italieners wahrscheinlich eh ein Muss, für
alle Westernfans aber ebenfalls sehr zu empfehlen. Die Geschichten sind
stimmig, die Zeichnungen in ihrem Stil sehr speziell und machen zu zitterig.
Mir gefallen sie gerade in ihrer Reduktion auf die Zeichnung. Auch die
kolorierte Geschichte ist aber gerade wegen ihrer Falschfarbigkeit ein echtes
Highlight.
Auch wer nicht unbedingt Westernfan ist, die Arbeit des
Zeichners aber pur genießen möchte, sollte daher einen Blick in diese Ausgabe
werfen!
Wer Serpieri allerdings nur wegen der prallen Rundungen zu kaufen pflegt, könnte in diesem Band enttäuscht werden. Davon gibt es – passend zum Inhalt der Geschichten – nicht viel!
Teil eines Lesezeichens
Dazu passen ein amerikanisches leichtes Bier (kein Light!),
nicht wirklich gekühlt, und indianische Musik, auch wenn es vielleicht zu
pathetisch klingt oder von diversen „movements“ genutzt wird.
1853 beweint ein Mann den Tod seiner Tochter vor 10 Jahren. Noch immer kennt seine Trauer keine Grenzen und noch immer lässt er seine andere Tochter, seine Frau und seine Geliebten darunter leiden. Am Abend des 11. September jedoch spricht während einer Seance die Tote zu ihrem Vater, der nun weiß, dass es seine Aufgabe sein wird, den Tod aufzuklären. Es handelt sich um Victor Hugo, den Schriftsteller aber eben auch Politiker, der auf der Flucht vor Napoleon III. die Insel Jersey als Ort des Exils gewählt hat.
Die Handlung
Um den Tod seiner geliebten Tochter Leopoldine aufklären zu können, muss Hugo aber zurück auf das Festland, ja sogar in die Hauptstadt
Paris. In seinem Heimatland ist aber ein beträchtliches Kopfgeld auf ihn ausgesetzt
und niemand in Hugos Umgebung kann das Risiko verstehen. Sie alle glauben an
einen Unfall und halten Hugos Vermutungen für Hirngespinste.
In Paris selbst ist Napoleon II.I gerade dabei, zusammen mit Baron Haussmann die Stadt neu zu planen: die Stadtteile sollen übersichtlicher, kontrollierbarer und „gehobener“ werden – heutzutage nennt man so etwas Gentrifizierung – und die Straßen sollen ausgebaut werden. Letzteres ist natürlich für den zunehmenden Handel wichtig, erlaubt aber auch schnelle Truppenbewegungen im Falle eines der vielen Aufstände. Insofern lässt sich dieser Band durchaus in Kombination mit der Zeit der Blutkirschen lesen!
Und auch der Tod am Galgen von John Charles Tapner findet seinen Eingang in die großartige
Geschichte. Tapner war mit Sicherheit
ein kleiner Gauner. Ob er auch ein Mörder war, wird zumindest in dieser Geschichte
bezweifelt, auf jeden Fall aber war seine Geschichte der Aufhänger für eine engagierte
Diskussion um die Todesstrafe unter Beteiligung Victor Hugos und wurde erst durch den direkten Einsatz des
französischen Botschafters in London beigelegt: Der junge Mann wurde zwei Tage
später gehängt.
Die Bilder, die Hugo auf der Fahrt nach Paris und dort selbst zeigen, zeichnen ihn als einen sehr selbstbezogenen, starrköpfigen aber auch mutigen Mann. Während dieser kurzen Zeit wohnt er gleich zwei Geliebten bei, bekommt in Paris aber auch genügend Eindrücke in die Not der Unterprivilegierten und der Machtstrukturen, die später in Les Miserables verarbeitet werden sollten.
Die Künstler*innen
Während viele Fakten in dieser Geschichte verarbeitet worden sind, ist sie als solche doch reine Fiktion. Wir wissen, dass Hugo unendlich um seine Tochter getrauert hat, an Seancen beteiligt war und tatsächlich geglaubt hat, seiner Tochter bzw. ihrem Geist begegnet zu sein. Auch sein Exil, seine Geliebten und sein Gegenspieler in Paris Vidocq sind verbürgt. Die Details sind aber der Fantasie von Esther Gil entsprungen. In ihrem Nachwort erklärt sie, dass sie schon während der Schulzeit von der Maßlosigkeit der Trauer des Vaters beindruckt war. Später – und im Verlauf von minutiösen Nachforschungen – kam dann der Einsatz gegen die Todesstrafe hinzu und das Szenario konnte geschrieben werden. Gil hat damit eine Geschichte vorgelegt, die einerseits sehr viel Sympathie mit ihren Personen zeigt, ohne aber tatsächlich alle Aktionen gutzuheißen. Andererseits ist daraus ein spannender Krimi geworden, der zusätzlich noch viele geschichtliche Details transportiert.
Laurent Paturaud hat die Geschichte kongenial umgesetzt. Die ersten zwei Seiten sind Romantik pur und führen bildgewaltig in die Stimmung des fast schon gefühlstoten Vaters ein. Paturaud kann aber auch stille Gesprächsszenen oder Armutsdarstellungen aus Paris. Nicht zuletzt gelingen ihm auch die intimen Szenen zwischen Hugo und seinen Geliebten sachlich und ohne Voyeurismus. Dabei wechselt er von kleinen Panels zu großen, integriert Bilder in einen Hintergrund oder benutzt eine Graufärbung um Erinnerungen zu kennzeichnen.
Die Ausstattung
Natürlich handelt es sich auch bei diesem Band um ein typisches Splitter-Hardcover. Man hat sich aber entschieden, nicht nur die 94 Seiten der Geschichte zu veröffentlichen, sondern insgesamt 120 Seiten daraus zu machen. So kommen einerseits die Autorin Esther Gil und Victor Hugo selbst zu Wort, andererseits bleibt auch genügend Platz um auf geschichtliche Hintergründe näher einzugehen und die Geschichte damit verständlicher zu machen.
Und – quasi als Sahnehäubchen – kommen auch noch Skizzen, und Ex Libris-Entwürfe zum Abdruck! Schöner kann man einen solchen Band nicht machen! Der Preis dafür ist fast schon unverschämt gering. Im Nachhinein ist es etwas unverständlich, warum es sechs Jahre gedauert hat bis dieses Werk auch auf Deutsch erschienen ist. Das Original erschien ursprünglich bei Editions & Galerie Daniel Maghen.
Dazu passen französischer Cidre und The Damned aus ihrer dunklen Phase.
Der Comic von Jacques Post und Eric Heuvel basiert auf einem bereits 1984 erschienenen Buch von Post und wurde in den letzten zwei Jahren in StripGlossy vorabgedruckt. Er war im Mai dieses Jahres der meistverkaufte niederländisch sprachige Comic in den Niederlanden und auch in Belgien mit Platz 6 sehr erfolgreich (Quelle: StripGlossy 13).
Die Geschichte
De
Meimoorden (auf Deutsch: Die Morde im Mai) ist auf den
ersten Blick ein spannender Krimi aus dem Rotterdam des Jahres 1940. Der Vater
der Hauptperson Henk Maalbeck ist ein Taxifahrer und wird ermordet, das Taxi
wird geklaut. Henk versucht nun, die
Hintergründe zu verstehen und aufzuklären.
Ein zweiter Handlungsstrang beschreibt die Verwicklungen von deutschen Spionen zur Vorbereitung des unmittelbar bevorstehenden Überfalls der Niederlande und ihre persönlichen Bereicherungsmotive sowie den Einmarsch und die Bombardierung Rotterdams selber. Jacques Post bedient sich dabei zweier Zeitlinien. Einerseits müssen Henk und seine Freundin Leentje inmitten der Wirren überleben und zugleich versuchen, die Hintergründe aufzudecken, andererseits geht es um die parlamentarische Enquetekommision, die 1948 versucht, die Verwicklungen von Einheimischen aufzuspüren und zu bewerten.
Post bringt unheimlich viel an historischem Detail in dieser Geschichte
unter und dementsprechend ist der Textanteil teilweise sehr hoch, allerdings
immer noch geringer als etwa bei Blake
und Mortimer. Es geht dabei um den deutschen Spion Flenter, der mit dem
niederländischen Steuerberater Moret krumme Dinger dreht und um die Verwicklung
des lokalen Polizeichefs Dechy, der mehr weiß, als er dürfte.
Die Geschichte springt aber nicht nur zeitlich hin und her. Flenter verlässt Rotterdam kurz nach dem Mord und kehrt zunächst nach Deutschland zurück um dann während der Invasion wieder niederländischen Boden zu betreten. Nicht immer sind die einzelnen Handlungen den Strängen ohne Weiteres zuzuordnen so dass den Leser*innen ein Mitdenken abverlangt wird. Zugleich wird vieles an historischen Fakten durch fiktive persönliche Erlebnisse ergänzt, so dass die Geschichte verständlicher, aber auch emotionaler wird.
Gerade für deutsche Leser*innen ist die Story
nicht einfach. Einerseits wird die Effizienz der deutschen Eroberungsarmee
gezeigt, die Widerstand im Keim erstickt und wenig Skrupel besitzt. Auch die
Vorbereitung durch Spionage und verdeckte Aktionen wird deutlich und zeigt die
Akribie des Plans. Andererseits wird aber auch deutlich, welche Folgen der Einmarsch
für die Bevölkerung und insbesondere die Stadt Rotterdam hatte. Die Zerstörung
war immens und auch das wird in den Bildern sehr deutlich. Glücklicherweise hat
es die europäische Nachkriegsgeschichte geschafft, Europa zu befrieden und
staatliche Machtgelüste zu überwinden. Trotzdem ist es nicht unbedingt
selbstverständlich, dass die heutige Generation die Deutschen mit einer so
großen Freundlichkeit willkommen heißt.
Die Umsetzung
Eric Heuvel ist in Deutschland zwar vor allem durch seine Geschichten um January Jones bekannt. Er hat aber auch viele Sachcomics geschrieben, unter anderem in Zusammenarbeit mit der Anne Frank Stiftung einen Comic über das Schicksal einer jüdischen Familie in den Niederlanden unter deutscher Besetzung, der unter dem Titel Die Suche auch auf Deutsch erschienen ist.
Heuvel ist ein Vertreter der Ligne
claire, auch wenn seine Zeichnungen teilweise vor Details schier zu bersten
scheinen. Er scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, unheimlich viele
kleine Details in seinen Zeichnungen unterzubringen, und der als Grundlage
dienende Roman bietet viel davon. Zudem ist Heuvel
im Thema drin und hat ein (Bild-)Wissen der damaligen Zeit angesammelt, das
fast jede Szene möglich macht. Manchmal ist aber ein zu großes Detail-Wissen
hinderlich für den Flow und so befördern einige Bilder nicht die Geschichte,
sondern stehen separat.
Abgesehen davon ist es aber eine gelungene
Umsetzung, die die Schrecken anschaulich darstellt und gleichzeitig die
Kriminalstory vorantreibt.
Comics, die den Zweiten Weltkrieg zum Thema haben, sind aktuell en vogue. Oft stehen dabei aber die technische Faszination im Vordergrund oder das Soldatenleben. Hier geht es zwar auch um die Hintergründe, im Vordergrund aber steht der Alltag der Zivilbevölkerung.
Die Sprache stellt meiner Ansicht nach nicht
zu große Herausforderungen und ist daher keine echte Barriere. Außerdem
unterstützen die Bilder aufgrund ihres Detailreichtums und helfen über
unbekannte Wendungen hinweg. Vielleicht findet sich ja auch ein deutscher
Verlag für die Geschichte der Uitgeverij
Personalia. Es wäre zu wünschen! Es gibt im Übrigen auch eine
Hardcoverausgabe für 19,99€.
Dazu passen ein Cassis und Golden Earring, die mehr zu bieten haben
als das bekannte Radar Love!
Der am 6. September 2018 verstorbene Belgier Edouard
Aidans war einer der Zeichner, die zunächst entweder in Tintin oder dem Konkurrenzprodukt Spirou veröffentlicht hatten, dann aber
vom Hamburger Koralle-Verlag abgeworben worden waren. Das „alte“ ZACK hatte eine Zeitlang so hohe
Verkaufszahlen, dass eine internationale Expansion erfolgversprechend schien.
Sehr zum Leidwesen der deutschen Leser*innen, vor allem aber der Künstler, die
auf das Angebot eingegangen waren, hielt der Hype nicht lange genug. So musste
auch Aidans reuevoll zu Tintin bzw. Le Lombard zurück, wurde dort allerdings
auch mit offenen Armen empfangen.
Mehr zu den Hintergründen dieser Geschichte findet sich im von Volker Hamann redaktionellen Teil dieses Integrals. Natürlich gibt es auch in diesem Teil wieder viele zusätzliche Illustrationen und Artikel über Aidans und Tunga. Die Besprechung zum dritten Teil bietet ebenfalls noch weitere Informationen zur Serie und zu ihrem Schöpfer.
Die
ZACK-Ära
Ab 1978 produzierte Aidans für den Koralle-Verlag vier Kurzgeschichten, die
inhaltlich eine fortlaufende Einheit bildeten und in der ZACK-Parade zum Abdruck kamen. Die ersten drei Teile wurden dabei
auch in den internationalen Ablegern Super
As, Wham! und Super J publiziert
sowie unter dem Titel „Der Feuermacher“
in die Albenausgabe integriert. Die letzte, 1979 in der ZACK-Parade 35 erschienene Story „Im Tal der Dämonen“, brauchte fast 20 Jahre um in einem
französischen Fanzine auf schwarz-weiß abgedruckt zu werden, schaffte es aber
weder in ein Album noch in das Integrale von Joker Editions.
Alle Geschichten sind von Aidans nach dem altbewährten Muster geschaffen: Obwohl ursprünglich für das kleine Taschenbuchformat konzipiert können sie ohne Verlust in das größere Magazin-/Albenformat ummontiert werden wobei jeweils zwei kleine eine große Seite ergeben. Man kann die Meisterschaft des Künstlers dabei nicht zu hoch einschätzen, denn das Layout erzählt die Geschichte genauso wie der Text und dieses so anzulegen, dass es ohne Abstriche in zwei unterschiedlichen Aufbauten funktioniert ist hohe Kunst!
Inhaltlich geht es darum, dass Tunga, Ohama
und Nooun in einem mysterienhaften Szenario auf ein unbekanntes Objekt stoßen.
In einer Höhle in der Nähe treffen sie auf einen „Guru“ der Nooun die Gabe
schenkt, mit Hilfe von Flintsteinen Feuer zu entfachen.
Zeichnerisch hat Aidans keine seiner Qualitäten verloren. Ob die Raptoren aber wirklich
notwendig waren möchte ich bezweifeln. Wer weiß, von wem die Idee dazu kam,
möchte dieses bitte im Kommentarfeld unten vermerken.
Rückkehr zu
Tintin/Kuifje
Das ZACK
war Geschichte und bis zum nächsten Ausflug in die Zeit vor 100.000 Jahren
sollte es bis 1983 dauern: Mit „Die
verlorene Fährte“ kehrte der Belgier triumphal auf die Seiten des
angestammten Magazins zurück und präsentierte einen moderneren Helden.
Wieder einmal werden Tunga und Ohama getrennt und müssen ihre eigenen gefährlichen Situationen bewältigen. Dazu gehört auch der jeweils emotionale Konflikt der Sorge um die andere Person. Der Zeichenstil ist viel freizügiger, raumgreifender und dynamischer, natürlich auch aufgrund der Befreiung von den Zwängen zur Doppelverwendung. Auch die Kolorierung ist offensiver und überdeckt teilweise sogar Details der Zeichnungen, ermöglicht aber eine zusätzliche Ausdruckskraft gerade für emotionale Darstellungen. Auch die von Aidans (und seinem Vorbild Hogarth) schon immer eingesetzte Schraffur wird noch einmal feiner und lässt mich fast wünschen, es gäbe den Comic zusätzlich auch in einer nicht-farbigen, unverfälschten Version. Vielleicht findet sich ja tatsächlich genug Nachfrage?
„Die
letzte Prüfung“ von 1984 beendet diesen Band mit einer erneut stark
besetzten Frauenrolle. Tunga erlebt ein Soloabenteuer auf einer Insel, die von Amazonen
bevölkert ist. Dort gibt es eine sehr kämpferische Frau namens Ulcha und eine
eher bedächtige, heilende Ilcha. Unser Held braucht relativ lange, bis er
erkennt, dass es sich tatsächlich nur um zwei Ausdrucksformen der gleichen Person
handelt. Obwohl hier die Action durchaus im Mittelpunkt steht, wäre es
verkehrt, die Erzählung darauf zu reduzieren.
Aidans
gelingt es immer wieder, das prähistorische Setting zu benutzen um allgemeingültige
Handlungsweisen positiv zu beschreiben: Planung, Vertrauen, Teamgeist und der
Wille, gemeinsam zu Lernen sind die Facetten menschlichen Verhaltens die den Sieg
und das Überleben in der Urzeit ermöglichen und auch heute noch gebraucht
werden. Insofern ist Tunga sicherlich auch „ein Klassiker“, trotzdem aber weder
angestaubt noch altmodisch!
Es wäre daher dem Comic und dem Verlag zu
gönnen, dass die Serie nicht nur von ein paar alten Knackern die mittlerweile
ihre Kindheitserinnerungen in guter Qualität neu erstehen können gekauft wird
sondern ein breites Publikum findet. Verdient hat es gerade diese Phase der
Serie allemal!
Es gibt übrigens auch wieder eine (verlagsvergriffene) Vorzugsausgabe, dieses Mal mit drei Ex Libris als Bonus für die Produktionsprobleme.
Dazu passen ein Getränk auf Mangobasis und als
Gegenpol etwas Industrial oder etwa die Einstürzenden
Neubauten.
Mijn Oorlog erzählt die (Über-)Lebensgeschichte von Guy-Pierre Gautier, einem französischen Resistance-Kämpfer mit sozialistisch/ kommunistischem Hintergrund. Nachdem er in Frankreich gefasst worden war, wurde er zunächst in Frankreich selbst interniert, später dann aber in das KZ Dachau überführt, dass als Stätte billiger Arbeitskräfte für die umliegenden Werke diente.
In den Niederlanden ist die Autobiographie bei dem kleinen Label Microbe erschienen, ein deutscher Verleger hat sich noch nicht gefunden. Vielleicht wäre das kommende 75-jährige Jubiläum der Befreiung von der Nazi-Herrschaft ja ein geeignetes Datum? Während die Schicksale der jüdischen Opfer in Deutschland zumindest nicht mehr verschwiegen, teilweise sogar sehr vielschichtig behandelt werden, und der bürgerliche Widerstand ebenfalls seinen Platz in der Aufarbeitung gefunden hat, sind der Kampf und die Verluste der Linken noch nicht so im (literarischen) Alltag angekommen.
Gautier erzählt ehrlich und eindringlich seinen Lebensweg vom unbedarften Jugendlichen aus La Rochelle zum Kämpfer gegen die Besatzung Frankreichs durch die Deutschen und beschreibt dabei einerseits, wie viele seiner Generation auf die verschiedensten Weisen „verheizt“ worden sind, andererseits aber auch, dass für viele eine Alternative gar nicht bestanden hat. In Rückblicken, ausgehend von der mit militärischen Ehren durchgeführten Verleihung des Ritters der Ehrenlegion für Guy-Pierre Gautier am 8. Mai 2015, werden schlaglichtartig Szenen aus dem Leben aufgereiht und verknüpfen sich so zu einer Geschichte.
Tiburce
Oger hat die Erzählungen in Bilder übersetzt. In
Deutschland bekannt ist er durch seine im Splitter-Verlag erschienenen Western Buffalo Runner und Canoe Bay. In diesem Werk darf er jedoch die Erinnerungen seines
eigenen Großvaters mütterlicherseits umsetzen. Man merkt den Zeichnungen die
persönliche Betroffenheit an, sie gehen unter die Haut und lassen keine Details
aus. Teilweise erscheint „das Böse“ in den Gesichtern der Deutschen KZ-Aufseher
und SS-Männer als Fratze, aber es gelingt Oger
durchaus zu differenzieren.
80 Seiten sind einerseits viel zu wenig, um die – exemplarische – Leidensgeschichte Gautiers von 1943 bis zu seiner persönlichen Befreiung am 30. April 1945 zu beschreiben, andererseits sind sie aber genug, um sich vor Augen zu führen, dass so etwas nie wieder passieren darf; Nicht in Europa aber auch sonst nirgendwo!
Die Graphic Novel sollte überall in den
Niederlanden und dem flämischen Teil Belgiens erhältlich sein.
Dazu passen Wasser, etwas abgestanden, und „Die Moorsoldaten“.
Das Duo Eric Warnauts und Guy Raives ist in Deutschland wahrlich nicht unbekannt, gehörte aber bisher eher in die Kategorie Geheimtipp. In den neunziger Jahren brachte der Carlsen Verlag den Einzelband Congo 40, die Abrechnung mit Deutschlands Nationalsozialismus (Die zerbrochene Zeit) und die ersten vier Teile von Lou Cale, einer Krimiserie um einen Pressefotografen heraus, Finix führte vor ein paar Jahren fort. Panini hat bereits den Vierteiler Zeitenwende veröffentlicht, der ebenfalls im und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg spielt.
Das Thema
Der aktuellen deutschen Erstveröffentlichung, die bei Casterman bereits vor rund 20 Jahren erschienen ist, liegt auch ein historisches Setting zugrunde: Das Venedig des 18. Jahrhunderts. Der Stadtstaat wird durch ein Konglomerat aus verschiedenen Institutionen beherrscht die sich wiederum aus traditionellen Familien rekrutieren. Dekadenz und Laster haben sich im Alltag der besser gestellten breitgemacht und unter der Fassade des Maskerade passieren die unglaublichsten Dinge.
Als mehrere Frauen
ermordet und misshandelt aufgefunden werden, versucht Alessandro, die
abscheulichen Verbrechen aufzuklären. Schnell wird klar, dass es sich bei der
Serie um Ritualmorde handelt und dass Magie ebenfalls eine Rolle spielt. Zudem drängen
sich Verbindungen in die Vergangenheit auf. Es scheint um Rache zu gehen…
Außerdem spielen Rötelzeichnungen einer jungen, unbekleideten Schönheit eine
große Rolle, allerdings erkennen nur wenige die Zeichen.
Die Titel der Einzelbände „Die Skizzen“, „Rotes Venedig“ und „Exil“ lassen den Handlungsablauf ein wenig erkennen, die Story ist aber vielschichtig genug, um nicht einfach nur einem Plot zu folgen: Es geht um (Miss-)Achtung, Rassismus und Machtgelüste, aber auch um den Versuch starker Frauen, sich eigenständig zu entwickeln und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Während einige Männer dieses verstehen können, müssen andere es leidvoll am eigenen Körper erfahren lernen.
Die Umsetzung
Warnauts und Raives setzen bei ihren Seiten auf die Macht des Bildes: oft werden sie von wenigen, großen Panelen beherrscht; ganze Seiten kommen ohne Text aus. Mal wird gegen ein dreireihiges, mal gegen ein vierreihiges Grundraster verstoßen und ständig wechselt die Anordnung. Dahinter liegt aber kein chaotisches Ausprobieren: Die Formen folgen der Notwendigkeit der Handlung und ihrer Dynamik. Das Überformat bringt dabei die Seiten noch mehr zur Geltung als es das typische A4-Format täte.
Die Gesichter sind durch die etwas großflächige Kolorierung manchmal etwas entstellt, wirken dadurch aber auch im Alltag fast maskenhaft und stören daher in diesem Zusammenhang nicht. Die Formen und die Anatomie der Figuren zeigen dagegen keine unerwünschten Besonderheiten, sondern sind korrekt. Auch das architektonische und kleidungsbezogene Dekors ist aufwändig und stimmig.
Panini hat für jeden Band das Einzelcover in Farbe und als Vorzeichnung mit aufgenommen. Insofern wird die Erwartung an eine Gesamtausgabe erfüllt. Es gibt auch einen kurzen Textteil, der in das politische Venedig der damaligen Zeit einführt. Editorische Notizen, ergänzende Illustrationen und Texte, also alles, was die Leser*innen heute in einem Integral typischerweise geboten bekommen, fehlen dagegen. Hier kann der Panini-Verlag sich sicherlich noch eine Scheibe von seinen Konkurrenten abschneiden.
Vor einigen Jahren wäre die Serie wahrscheinlich bei comicplus+ erschienen. Vielleicht hilft dieser Hinweis zur Einordnung des Ganzen. Spannende und vielschichtige Story mit ansprechendem Artwork!
Dazu passen gelassen prickelnder
Pro Secco und italienische Musik: Klasse
Kriminale (und im speziellen Johnny
too bad).