Julie Wood – Gesamtausgabe 1
Originaltitel: Julie Wood, L´integrale 1
Text: Jean Graton
Zeichnungen: Jean Graton
MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag
Hardcover | 180 Seiten | Farbe | 29,95 €
ISBN:978-3-86462-158-1
UPDATE: Ab dem Frühjahr 2025 werden im ZACK die neuen Abenteuer von Julie Wood zu verfolgen sein. Sie sollen thematisch direkt an die bekannten Stories anschließen. Warten wir ab, was das für die alten Geschichten bedeuten mag.
Jean Graton ist bekannt als der Vater von Michel Vaillant und damit dem Automotorsport auf das innigste verbunden, er hat in den siebziger Jahren aber auch eine Serie über eine Motorrad fahrende junge Frau geschrieben: Julie Wood! Der MOSAIK Verlag hat sich nicht nur der Aufgabe verschrieben, Michel Vaillant komplett und einheitlich zu veröffentlichen, er hat auch eine Gesamtausgabe mit den Abenteuern „der kleinen Schwester“ begonnen. Der erste Teil der Gesamtausgabe beinhaltet die ersten drei Alben, die ursprünglich noch unter dem Serientitel „Die Woods“ bei Dargaud erschienen sind. In Deutschland erschienen alle drei Bände bereits 1977 bzw. 1978 im alten ZACK, die ersten beiden später dann ebenfalls als Alben im Koralle-Verlag. Auf eine Neuveröffentlichung mussten die Fans also 40 Jahre warten!
Das Warten hat sich allerdings gelohnt: Man merkt den Zeichnungen an, wieviel Spaß Jean Graton dabei hatte, rasante Rennszenen mit Motorrädern zu erstellen! Die Geschichten sind auf dem Höhepunkt seines Schaffens entstanden und atmen den Geruch von Motoröl und die Lautstärke der aufheulenden Motoren förmlich aus.
Julie Wood und ihr Bruder Indy sind mit Autos aufgewachsen. Beide verbindet der Wunsch, Rennen zu fahren und an ihren Fahrzeugen zu basteln. Während Indy als Mann zwar gewisse Widerstände zu überwinden hat, letztendlich aber relativ einfach seinen Berufswunsch umsetzen kann, hat es Julie als junge Frau deutlich schwieriger. Trotzdem schafft sie es, ihren Vormund zu überzeugen, und darf eine Lizenz als Fahrerin beantragen. Während ihres ersten Rennens muss sie sofort erfahren, dass Fahrkünste allein nicht ausreichen um sich auf der von Machos dominierten Piste durchzusetzen. Ihrem Status als zukünftige Heldin geschuldet kann sie aber trotzdem beweisen, dass sie eine gute Fahrerin ist.
Für die damalige Zeit äußerst selten ist, dass die Geschichten einen längeren Handlungsbogen transportieren. Zwar ließen sich alle Bände aufgrund der Einführungen auch alleine konsumieren, der Bogen um die Beziehungen zwischen Julie und ihren Kontrahenten, die Entwicklung im Verhältnis der beiden Geschwister und der Krimiplot im Hintergrund wird aber erst in der Kombination der Bände ersichtlich und spannend.
Eingeleitet wird die Gesamtausgabe mit einem Artikel über die „echte“ Julie, also die Frau, die für die den Zeichnungen zugrundeliegenden Fotos auf einem Motorrad posierte, und ihre Beziehung zu Jean Graton. Um das Gefühl der Siebziger besser verstehen zu können werden in der Einleitung des Weiteren DIE Motorräder der Zeit, prägende Schallplatten und wichtige politische Ereignisse beschrieben. Für alle, die die damalige Zeit nicht miterlebt haben, sicherlich eine sehr gute Hilfestellung um sich einzugrooven. Alles schien möglich, alles war neu und doch gab es schon Anzeichen, dass nicht alles toll sein würde. Definitiv war es aber die richtige Zeit um den Kerlen eine toughe Heldin an die Seite zu stellen, die nicht nur ihren eigenen Kopf hat, sondern aus eigenen Fähigkeiten heraus der männerdominierten Welt zeigen konnte, wo es langgehen wird.
Die Tatsache, dass es sich dabei um eine Blondine handelt, hat in einem Magazin, das hauptsächlich Jungs als Zielgruppe hatte, sicher nicht geschadet.
Erwähnt werden sollte dabei, dass Graton mit diesem Thema durchaus offensiv umgeht. So muss sich die Heldin nicht nur damit herumschlagen, dass eine Fotoserie mit ihr nicht nur die Sportlerin zeigen soll sondern sie auch zu anzüglichen Posen aufgefordert wird. Zudem ist Julie sehr schlagkräftig und die von ihr verteilten Ohrfeigen entwickeln sich fast schon zum Running Gag!
Über die Handlung selbst möchte ich gar nicht allzu viel verraten. Neben den zu erwartenden Rennen gibt es eine Liebesgeschichte, den bereits erwähnten Krimiplot, der so auch von Greg in einem Andy Morgan Abenteuer hätte verwendet werden können, sehr schöne Wüstenlandschaften und das, was neudeutsch comig-of-age heißen würde: Das Erwachsenwerden ist nicht leicht und Träume sind in der Realität nicht immer so einfach umsetzbar.
Ist Julie Wood ein Comic für ältere Männer, die mit dem ZACK groß geworden sind? Sicherlich! Ein großer Schuss Nostalgie und die damit transportierten Erinnerungen an die eigene Jugend gehört für die Käufer dieser Gesamtausgabe bestimmt dazu! Trotzdem wird hier eine moderne Heldin dargestellt, die sich in einer Männerwelt zu behaupten weiß und ständig reflektiert, ob sie das richtige macht, sich letztendlich aber immer dafür entscheidet, keinen Rollenbildern zu gehorchen, sondern ihren eigenen Träumen zu folgen. Mag das Setting etwas veraltet wirken, das Thema ist es nicht.
Den Zeichnungen von Jean Graton ist anzumerken, dass sie zu seiner besten Zeit entstanden sind: kraftvoll, dynamisch und trotzdem voller Details. Wie für dieses Genre üblich sind oft Details über Maschinen oder Rennstrecken eingestreut, so dass der Textanteil manchmal etwas zu hoch wirkt. Er entspricht aber den Erwartungen der Leser*innen, dabei und informiert sein zu wollen. Die Übersetzung beinhaltet teilweise Sprechblasen mit englischem Content, insbesondere bei Ausrufen oder anderen emotionalen Inhalten, was teilweise etwas deplatziert wirkt.
Insgesamt hat Uwe Löhmann bei der Übersetzung aber einen guten Job gemacht!
Da auch die Cover der deutschen und französischen Originale sowie einige Titelbilder des ZACK abgebildet sind und in der Einführung die oben bereits beschriebenen weiterführenden Informationen vorhanden sind, erfüllt die Ausgabe alle Anforderungen an eine moderne Gesamtausgabe und ist allen Freund*innen des klassischen Rennsportcomics wärmstens zu empfehlen!
Wer die Zeit bis zum Erscheinen des zweiten Bandes nicht abwarten kann, sollte einen Blick in die aktuellen Veröffentlichungen der Hauptserie Michel Vaillant werfen: im gerade erschienenen Band „Die Bugatti-Affäre“ spielt Julie Wood ebenfalls mit.
Da der Comic in den USA spielt, passt dazu ein klassisches Budweiser und nichts anderes als Joan Jetts „I love Rock’n’Roll“!
Abbildungen © 2017 MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag