Der Wandelnde Geist kann nicht nur nicht getötet werden, da jeweils ein Sohn das Geschäft seines Vaters übernimmt und den Mythos erhält, er hat auch eine bewegte Reise durch die unterschiedlichen Comic-Verlage hinter sich. 1988 hatte er bei DC Halt gemacht. Heft 10 enthält die komplette Mini-Serie als Deutsche Erstveröffentlichung!
Geschichte wiederholt sich (nicht)
Von Zeit zu Zeit kommt es vor, dass nicht nur die „Guten“ eine Traditionslinie begründen, sondern auch ihre Gegner. Bei normalen Lebewesen spricht man dann von Erzfeind*innen, die immer wieder kehren, oder aber von Organisationen. Diese mögen ihre führenden Köpfe verlieren, sie wachsen aber (leider, allerdings zum Vergnügen der Leser*innen) immer wieder nach.
Die Miniserie erzählt zweigleisig von sich wiederholenden Ereignissen. Zunächst einmal sind da die potentiellen Nachfolger ihres Vaters in der Reihe der Träger des Phantom-Kostüms, die heimlich in dem Buch der Geschichte stöbern und die Aufzeichnungen ihrer Vorgänger studieren. Auf der anderen Seite steht die Familie Chessman, die zunächst in ihrer Inkarnation als Piraten dem 13. Phantom das Leben schwer gemacht haben. In der Jetztzeit ist es wieder so weit. Die Familie besitzt ein Konglomerat aus mehr oder weniger legalen Unternehmungen und kreuzt erneut die Wege und die Klingen mit dem Kämpfer für Gerechtigkeit.
Joe Orlandos Interpretation des Phantom
Joe Orlando war einer der ganz großen des US-Comic-Business. Seine Karriere hatte bei EC begonnen. Über Warren und Marvel kam er zu DC, wo er bis zum Vice President aufstieg. Seine Wurzeln im Horror-Comic lassen sich aus seinen Pencils für das Phantom noch gut herauslesen. Der Dschungel (egal ob grün oder grau) hat fast schon eine eigene Persönlichkeit und drückt Gefahr aus. Seine Personen sind fast immer teilweise im Schatten.
Orlando unterstützt dabei die Parallelität der Geschichten und ermöglicht über die Teile hinweg eine immer mehr steigende „Suspense“, die auch durch die Heftwechsel (im Original erschien die Story in 4 separaten Teilen) nicht beeinträchtigt wird. Klassischer US-Style der 80-er und damit natürlich auch für z. B. Batman-Fans interessant!
Die Mischung machts!
Die Phantom-Reihe aus dem Zauberstern-Verlag unterscheidet sich von den zur Zeit drei anderen aktuellen Veröffentlichungen durch die Vielfalt des präsentierten Materials. Natürlich riskiert man dabei, dass jeweils eine Fraktion erklärt, mit diesem Heft nicht ganz glücklich zu sein. Man erschafft aber eine breite Basis, die das wirtschaftliche Überleben (und damit das weitere Erscheinen) sichert! Zudem dürfte die breite Masse zufrieden über die Abwechslung sein.
Das Format sichert eine gute Lesbarkeit, insbesondere wenn schreibschriftähnliche Fonts auf farbigem Hintergrund benutzt werden! Aufgrund der etwas längeren Story fallen in diesem Heft Werbeanzeigen, Poster und Leser*innenseite weg.
Dazu passen The Jam („When You’re Young“) und ein Potts alkoholfreies Weizen.
Vor einiger Zeit noch totgesagt, lebt das Western-Genre munter vor sich hin. Im Streaming entsteht gerade ein ganzes Universum von miteinander verknüpften Serien um das Spätwesternepos Yellowstone; im Comic haben etwa Die Blauen Boys und Lucky Luke den Schritt auf neue Kreativteams vollzogen, nachdem ihre Schöpfer verstorben sind. In Deutschland vergeht kaum ein Monat, in dem nicht mehrere neue Westerncomics veröffentlicht werden.
Der wohl berühmteste europäische Cowboy
Es gibt eine ganze weitere Reihe von bahnbrechenden, erfolgreichen und guten europäischen Westernserien: Jerry Spring, Blueberry, Buddy Longway, Yakari, Chinaman, Durango aber auch Manos Kelly, Tex oder die Western von Serpieri. In das Allgemeinwissen hat sich aber der Cowboy, der schneller schießt als sein Schatten integriert: Lucky Luke! Erfunden wurde er als Figur von Morris (Maurice de Bevere), seine erste Hochform hat er allerdings erst mit den Szenarios von René Goscinny erlangt.
Seeßlen beschreibt in seinem Werk nicht nur die allgemeine Entwicklung des Westerns als Kunstform, ausgehend von (Heft-)Romanen und Filmen über Pulps und TV-Serien bis hin zum Comic, er arbeitet auch sehr verständlich die Hauptbestandteile dessen, was einen Western eigentlich ausmacht, heraus. Diesen Kanon überprüft er dann wiederum anhand der Lucky-Luke-Geschichte. Dabei geht er auf die Entwicklung der Serie ein, die sich über die Jahrzehnte den jeweiligen Anforderungen des Publikums zwar angenähert hat, niemals aber darauf eingelassen hat, zeitgebunden zu werden.
Für Fans des Genres ist es spannend nachzuvollziehen, wie der Aufbau einer Westerngeschichte fast schon formelhaft ablaufen kann. Man nehme ein paar Ingredienzien, mixe sie im richtigen Verhältnis, köchele ein wenig und fertig ist das Gericht, äh, der Comic. Nun ja, ganz so einfach ist es dann doch nicht! Und Seeßlen beschreibt auch, warum manche Szenarios einiger Autoren einfach eben nicht funktionieren.
Die Serie im Besonderen
Neben den Erläuterungen über den Western als Solches geht Seeßlen detailliert auf jeden einzelnen Band der Serien Lucky Luke, Rantanplan, Lucky Kid und der Hommage-Bände ein. Er gibt jeweils den Inhalt wieder, reichert das mit sehr persönlichen Kommentaren an und lässt uns sogar wissen, welches sein Lieblingsbild in dem Band ist.
Fans der Serie erhalten so einen sehr konzentrierten Überblick, der ein Lexikon ergänzen kann. Die Bewertung bezieht sich dabei auf die aktuellen Veröffentlichungen bis zu Band 101 und der zweiten Hommage von Bonhomme.
Top-Tipp!
Der Band ist eine gute Ergänzung sowohl zu den allgemeinen Werken über Western-Comics, etwa von Alexander Braun (Going West!, Staying West!), aber auch zu dem offiziellen Lucky-Luke-Lexikon. Seeßlen schafft es, viele Inhalte verständlich zu erklären, lässt seine eigenen Vorlieben deutlich erkennen, und pickt einen überschaubaren Ausschnitt aus dem Riesen-Thema. Der Band enthält 92 Fotos, die teilweise einen anderen Fokus haben als die bereits hinlänglich bekannten.
Wer sich nicht nur für das Lesen von Comics interessiert, sondern etwas darüber wissen möchte, sollte hier einen Blick riskieren! Von Seeßlen ist im Übrigen im gleichen Verlag auch schon ein Band über Herge und Tim und Struppi erschienen.
Dazu passen Elvis Presley mit seinem „Lonesome Cowboy“ und ein Whiskey.
Die Abenteuer des wohl bekanntesten klassischen amerikanischen Science-Fiction Helden gehen weiter. Der Zauberstern Verlag folgt in seinen Serien zwei unterschiedlichen Konzepten: Flash Gordon und Phantom enthalten Material aus diesem Jahrtausend und gleichzeitig klassische Stoffe, die bisher nicht auf Deutsch erschienen sind, Van Helsing, Mikros und Savage Dragon bringen die jeweiligen Serien fortlaufend.
Das Böse ist immer und überall …
… war eine nette Textzeile aus einem deutschen Titel der 80-er. Die moderne Story Zeitgeist, die im Original bei Dynamite erschienen ist, kombiniert den klassischen Stoff, der quasi neu erzählt wird, mit dem Bösen, das auf der Erde zumindest im 20. Jahrhundert durch die Nazis und Adolf Hitler verkörpert worden ist. In einer an Computerspiele angelehnten Grafik unterstützen die bekannten Handelnden Menschen jüdischen Glaubens gegen die kombinierten Angriffe von Ming und Nazis, während auf Mongo Flash Gordon, Dale und Zarkov versuchen, den Tyrannen zu bekämpfen.
Der zweite Teil des Heftes bringt fortlaufende Geschichten aus der amerikanischen Heft-Serie aus dem Jahr 1967.
Inhaltlich sind die Geschichten sehr gleichwertig, zeichnerisch stechen die Zeichnungen von Al Williamson heraus! Wer klassische amerikanische Comics liebt, die sich an Zeitungsstrips orientieren, wird hier auf jeden Fall zuschlagen wollen! Für Fans enthält das Heft nicht nur eine Karte von Mongo, sondern auch zwei klassische Heft-Cover als Abbildungen.
Der Klassiker in Serie
Weit bevor Science-Fiction durch Star Trek und Star Wars neu definiert worden war, dominierten Held*innen von Edgar Rice Burroughs oder Hans-Rudi Wäscher den Markt. Ihr Erfolg wurde weltweit nur noch getoppt durch Flash Gordon (und seine Nachahmungen). Dementsprechend schön ist es, dass die Serie jetzt auch endlich wieder auf Deutsch erscheint und viele der noch fehlenden Klassiker erhältlich werden. Die Purist*innen werden sich aufregen, dass „der moderne Krams“ nicht dazu passt, andere werden sich über das „alte Zeugs“ beschweren. Ökonomisch gesehen macht es Sinn, beide Zielgruppen zu vereinen!
Dazu passen Madness („Shut Up“) und ein Mönchshof Kellerbier.
Softcover | 64 Seiten | Farbe| 18,00 € | nur für ZACK-Abonnent*innen
Limitiert auf 555 + 55 Exemplare
ISBN: n/a
Nur für ZACK-Abonnent*innen gibt es frankobelgische Klassiker in der Reihe ZACK-Spezial. Neben Einzelbänden erscheinen dort auch Serien, die in Deutschland bisher vernachlässigt worden sind. Jari ist eine Sportserie über ein Tennis-Wunderkind und seinen väterlichen Freud, den Paris-Open-Gewinner Jimmy Torrent von Raymond Reding, der in Deutschland hauptsächlich für seinen Fußball-Comic Kai Falke bekannt ist. Er hat aber auch Section R verfasst. Jari ist teilweise zwischen 1958 und 1960 im Pony aus dem Bastei-Verlag erschienen.
Mehr als Tennis und ein Crossover
In der Reihenfolge der fortlaufenden Geschichten ist Jari und die große Katastrophe der zweite Teil. Schon hier zeigt sich, dass Reding weit mehr erzählen möchte als eine Abfolge von sportlichen Herausforderungen und Siegen. Es beginnt damit, dass Jimmy Torrent ein Finale eines großen Turniers nur noch unter Schmerzen zu Ende spielen kann. Ein Tennisarm verlangt eine ReHa. Sportsmann der er ist, spielt er aber ohne Aufgabe zu Ende um den Erfolg des Gegners nicht zu schmälern.
Jari und Torrent beschließen, Jaris Freund zu besuchen, der gerade auf Erholungskur in einem Skiort weilt. Auf dem Weg dorthin entgehen sie nur knapp einer Katastrophe, da die Verletzung Torrent beim Fahren behindert und es fast zu einem Unfall kommt. Sie treffen dabei auf einen alten Freund, der mittlerweile als Arzt und Pilot einer kleinen Propellermaschine Verletzte vor Ort in den Bergen betreut. Er bringt sie in den kleinen Ort Priolans.
Dort kommt es tatsächlich zu einer großen Katastrophe, denn eine Felsnadel stürzt ein und verursacht eine Überschwemmung, die den halben Ort vernichtet. Torrent wird zunächst vermisst. Wurde die Katastrophe künstlich herbeigeführt? Können die Menschen und der Ort gerettet werden? Und können die sportlichen Pläne weiterverfolgt werden? Fragen über Fragen. In der Folge kommt es im Übrigen zu einem Crossover mit Michel Vaillant. Dessen und Jaris Abenteuer überschnitten sich in Tintin während beide „am gleichen Ort“ waren und so tauchten sie jeweils auf den Seiten des anderen auf. Mehr dazu in ZACK 295!
Tintin-Style!
Ende der 50-er Jahre hatte Hergé sein Tintin-Magazin noch fest im Griff und wachte darüber, dass die abgedruckten Serien seinen stilistischen Vorgaben folgten. Natürlich gehörte auch Raymond Reding zu den folgsamen Zeichnern. Ein Crossover zwischen Gratons Vaillant und Redings Jari wurde dadurch vereinfacht, waren sich beide Serien doch sehr ähnlich. Tatsächlich ist der Rennfahrer dem Original aber ferner als derjenige der Zweiten Staffel.
Zeitgemäß ist das vierstreifige Layout vorgegeben und wird strikt eingehalten. Die Zeichnungen sind sehr realistisch und geben etwa die Bergwelt und die kleinen Siedlungen in ihr sehr gut wieder. Obwohl sie ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel haben, sind sie doch immer noch frisch und haben den Charme eines Klassikers, ohne verstaubt zu wirken.
Wertarbeit
Jari hat, wie auch die anderen ZACK-Spezial Alben, eine so hohe Qualität, dass die Bände auch heute noch nicht nur gelesen werden können, sondern auch noch eine so große Fangemeinde haben, dass sie auch verkauft werden können. In ein Magazin wie das ZACK würden sie aber nicht mehr passen, soll es doch einen aktuellen Überblick geben und auch jüngere Leser*innen erreichen. Es ist daher konsequent, die Klassiker auszugliedern.
Das Konzept der Sub-Reihen unter dem gemeinsamen Titel Spezial folgt der alten Koralle-Idee der ZACK-Boxen und passt daher ebenfalls. Trotz allem ist die Anzahl der Käufer*innen begrenzt. Eine entsprechend kleine Auflage erfordert aber fast zwangsläufig eine Beschränkung auf den Direktvertrieb. Und so sind sechs der bisherigen zehn Titel mittlerweile auch vergriffen. Wer will, kann übrigens auch dazu passende Drucke erwerben!
Dazu passen Lorde mit „Tennis Court“ und ein Jager Tee!
Comic_Leser*innen in Deutschland dürften – außerhalb von Walt Disney Titeln – im Wesentlichen drei Zeichner aus Italien bekannt sein: Hugo Pratt, Milo Manara und Guido Crepax. Letzterer ist hauptsächlich durch seine erotischen Werke bekannt. Seine Federzeichnungen sind aber auch geeignet, ganz andere Sujets darzustellen.
Grusel vom Feinsten
Die Geschichte über den mächtigsten Fürsten aller Vampire, Graf Dracula (im Original Conte Dracula) wurde schon oft erzählt. Meistens stehen dabei der Vampir selbst oder seine Jäger im Vordergrund. Crepax stellt dagegen die Opfer in das Zentrum seiner Adaption. Da wäre zunächst ein Mann, der immer mehr in eine Geisteskrankheit abrutscht. Er scheint Befriedigung darin zu finden, zu sehen, wie sich immer größere Tiere von kleineren ernähren und entwickelt eine teils sehr aggressive Verhaltensweise.
Des Weiteren wären da die weiblichen Protagonistinnen. Sie sind gezwungen, zuhause zu bleiben, während ihre Männer in spe in der Weltgeschichte unterwegs sind. Eigentümlicherweise werden sie immer stiller, zurückhaltender, blutärmer. Gleichzeitig haben sie aber erotische Träume und wachen des Morgens wie ausgezehrt auf.
In einer Parallelhandlung wird erzählt, basierend auf dem Tagebuch des jungen Harker, wie Dracula selbst und seine Gespielinnen dem jungen Mann zugesetzt haben. Dem Vampir ist es schließlich gelungen, Transsylvanien zu verlassen und Nester in England zu gründen. Natürlich bleibt die große Frage, ob es gelingen kann, seinem Treiben Einhalt zu gebieten.
Meisterhafte dynamische Strichführung
Die Zeichnungen von Guido Crepax sind außergewöhnlich. Einerseits treibt er die Handlung voran mit Bildern, in denen die Striche wie dahingeworfen erscheinen und eine Hektik ausdrücken. Andererseits kann er aber auch verweilen und scheinbar das tiefste Detail ausloten wollen. Diese Momente sind den orgiastischen Szenen inne, aber auch den Charakterstudien der Hauptfiguren. Die Details kommen dabei aus Schraffuren und dem Spiel zwischen Hell und Dunkel! Das Layout ist dabei an keine Grenzen gebunden.
Diese Optik passt perfekt zur Schauerromantik, die dem Ganzen zu Grunde liegt. Der Vampir, der das Dunkle braucht, dessen Auswirkungen aber das Helle vernichten, ist eine perfekte Aufgabe für eine schwarz-weiße Umsetzung. Der feine Federstrich von Crepax erlaubt es dabei, sowohl Körper als auch Kleidung sehr genau wiederzugeben und doch der Fantasie noch Raum zu lassen.
Atemberaubend
Viele Comics mit dem Label erotisch oder sinnlich sind weder das eine noch das andere und zeigen nur viel nackte Haut. Crepax versteht es jedoch, die sinnliche Komponente der Geschichte von Bram Stoker aus einem anderen Blickwinkel zu zeigen und die Gefahr der Besessenheit bzw. der völligen Hingabe zu verbildlichen. Dabei verlässt er den Bereich des Guten Geschmacks nicht!
Wer Schauerromantik gerne liest, wird sich hier wohlfühlen. Auch Leser*innen von Young Adult Themen sollten einen Blick auf diesen Klassiker werfen. Das Werk von Crepax wird in Deutschland gerade wiederentdeckt, etwa beim avant-Verlag. Auch bei Splitter sind weitere Bände angekündigt. Hingewiesen sei auch noch auf die Einführung von Gianni Guadalupi!
Dazu passen Good Feelins mit ihrem „Shattered“ und ein Elephant Gin!
Valerian & Veronique gilt als die bedeutendste Science-Fiction-Serie des europäischen Comics und vereinbarte Raumfahrt, Zeitreise und kritische politische Wertung mit einer Handlung, die sich teilweise über mehrere Alben zog. 1967 wurden die ersten Seiten veröffentlicht, in Deutschland gehörte sie zu den erfolgreichen Serien im Koralle-ZACK und fand danach eine verlegerische Heimat bei Carlsen. Dort sind nicht nur die Original-Bände erschienen, sondern auch begleitendes Material, Kurzgeschichten, die Gesamtausgabe und zuletzt die die Spezial-Reihe.
Die Essenz der Serie auf wenigen Seiten
Das 50-jährige Jubiläum der Serie 2017 wurde in Frankreich groß mit einer Hommage als Sonderausgabe des (schon lange eingestellten) Pilote-Magazins gefeiert. Aktuelle Stars am Comic-Himmel sowie noch lebende Wegbegleiter von Pierre Christin und Jean-Claude Mézières waren gebeten worden, ihre ganz persönliche Sicht auf die Serie in einer Kurzgeschichte oder als One-Pager abzuliefern.
Die deutsche Ausgabe war schon vor längerem angekündigt worden, musste allerdings mehrfach verschoben werden. Das Warten hat sich jedoch gelohnt! So dürfen wir nicht nur die Gedanken von Blutch, Bonhomme oder Munuera genießen, auch deutsche Künstler wie Thilo Krapp, Kim Schmidt oder Ralf Marczinczik sind vertreten.
Einige Beiträge stellen dabei auf die Heldin ab, die anfangs sicherlich einigen pubertären Jungen den Kopf verdreht hat. In den späteren Nummern wurde sie allerdings zur wahren Chefin, die dafür gesorgt hat, dass der etwas vertrottelte Valerian auch im nächsten Abenteuer noch dabei sein konnte.
Ein Sammelsurium der Stile
Ein sicherlich beeindruckender Fakt dieser Sammlung ist die Breite de vertretenen Künstler*innen. Wer hier mehr oder weniger fixiert ist auf den französischen/frankobelgischen Mainstream, wird sich verwundert umschauen. Karikaturen, Wimmelbildchen, Graphic-Novel-Style und vieles mehr ist vertreten und erlaubt umso mehr, die Essenz der Serie zu begreifen. Es geht weniger um das „Wie“ in der Darstellung, das „Was“ steht im Vordergrund.
Man muss sich allerdings darauf einlassen wollen, um es genießen zu können. Wie immer treffen nicht alle Beiträge jedermanns Geschmack und dann darf man auch einfach umblättern! Im Ganzen ist der Band aber eine willkommene Ergänzung der Serie und sollte unbedingt dazu gehören!
Eine Ehre!
Ehrungen sind manchmal etwas komisch. Nicht immer versteht man, warum dieser oder jener Aspekt herausgehoben wird. Manchmal ist sogar der Gegenstand der Ehrung höchst fragwürdig. Valerian & Veronique dagegen ist über jeden Zweifel erhaben: Das Sujet wurde erneuert und vor allem um eine politische Komponente erweitert, die über einen Western im Weltraum weit hinausgeht! Die Szenarios und die Zeichnungen haben zurecht Preise eingeheimst und mit der Spezial-Reihe ist auch ein erster Ansatz gemacht, um über die Lebzeiten der Schöpfer hinaus zu existieren.
Der Hardcover-Band passt in der Aufmachung zu den Integralen und den neu aufgelegten Sonderbänden und sollte in einer V&V-Sammlung keinesfalls fehlen. Sehr positiv ist auch der Artikel von Volker Hamann über die Rezeption der Serie in Deutschland zu werten!
Dazu passen David Bowie mit “Moonage Daydream“ und ein The Cosmonaut Cocktail.
Meine Jahresbestenliste und ein paar Worte zum Geleit
Dann wollen wir mal … Schon wieder ist ein Jahr vergangen. Vieles ist gleichgeblieben, München ist zum Beispiel zum elften Mal hintereinander Deutscher Meister geworden. Vieles hat sich aber auch geändert: das politische Klima ist rauer geworden, Emanzipation und Bekämpfung der Klimakrise sind nur noch Worthülsen, während zum Beispiel ein Tempolimit in weite Ferne gerückt ist.
Im Comic-Bereich durften wir dagegen einiges erleben: angefangen mit Magazin-Neustarts etwa bei Zauberstern oder mit dem neuen Independent-Blättchen Graphica über das 50jährige Jubiläum des ZACK bis hin zur erstmaligen Veröffentlichung frankobelgischer Klassiker in Deutschland!
Auch für comix-online gab es einen neuen Rekord: Erstmals waren es mehr als 100.000 direkte Zugriffe auf einzelne Artikel, also ohne die Startseite! Vielen Dank für dieses Vertrauen! Die Charts mit den am häufigsten aufgerufenen Seiten der letzten 30 Tage bzw. der „All-Time-Favourites“ zeigen durchaus Bewegung und lassen eure Präferenzen deutlich werden. Trotzdem freue ich mich über Kommentare oder Feedback, gerade auch bezüglich Informationen, die euch fehlen.
Die besten Comics
Grundsätzlich sind sich die meisten Seiten in diesem Jahr einig: Der neue Asterix, Die weiße Iris, ist seit Jahrzehnten der beste „neue Asterix“. Dem kann ich mich durchaus anschließen. Der neue Szenarist Fabcaro hat es geschafft, ein altbekanntes Thema (Die Römer versuchen das gallische Dorf von innen heraus zu zerstören) völlig neu zu inszenieren und dabei eines der modernen Streitthemen, Wokeness, satirisch zu erfassen. Die Zeichnungen von Conrad stehen für sich!
Platz 2 geht für mich an den ersten Band der neuen Reihe Wikinger im Nebel. Lupano und Ohazar haben mit ihrem sehr witzigen und teils schwarzen Humor das Sujet umgekrempelt und neben den Schlachtengemälden und Hägars Familienstrip eine eigenständige Welt aufgemacht, die filosofische Fragen stellt (Plündern ja, Kirchen abfackeln nein?) und Rollenbilder neu definiert!
Platz 3 geht an einen Altmeister: Francois Bourgeon hat mit Die Zeit der Blutkirschen 2 vermutlich sein letztes Werk vorgelegt. Es schließt den letzten Zyklus der Saga Reisende im Wind ab und endet während der Revolution. Diese Serie gilt nicht zu Unrecht als Startpunkt für die historizierenden Comics.
Knapp danach ein weiterer Titel aus dem Splitter-Verlag: Carbon und Silizium von Mathieu Bablet ist die Geschichte zweier KI, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch beide verloren sind. Gerade im Zuge der Diskussionen um ChatGPT, Bard und Co ein wichtiger Ansatz, der auch grafisch überzeugt.
Auf Platz 5 folgt ein weiterer melancholischer Beitrag über künstliche Wesen: Rostige Herzen von dem Duo, dem fast alles gelingt, BeKa und Munuera, ist der Einstieg in eine neue Reihe, die böse Menschen und gute Roboter als Symbole für vieles, was bei uns nicht mehr stimmt, benutzt.
Die besten Graphic Novels
Was kein Comic ist und auch kein Strip, das muss wohl eine Graphic Novel sein … In diesem Sinne die Top 3!
Platz 1 geht mit einem Tusch an Ein unerwarteter Todesfall von Dominique Monféry. Toxische Männlichkeit im Hohen Norden zeigt brutale männliche Gewalt, die nicht immer nur unter Druck entsteht und eine trotz allem erfolgreiche Überlebensstrategie einer jungen Frau.
Ein deutscher Titel konnte sich an zweiter Stelle platzieren: Der Zeitraum von Lisa Frühbeis schildert die Ängste und Nöte einer zwangsläufig alleinerziehenden Frau. Zwar ist das Thema keinesfalls neu, die grafische Umsetzung ist jedoch vollkommen anders als gewohnt und vereinbart persönliche Betroffenheit und „Nicht-Kunst“ mit genialen Farbakzenten.
Knapp dahinter eine Biografie auf Platz 3: In Fritz Lang schildern Arnaud Delande und Èric Liberge die Lebensgeschichte des deutschen Regisseurs, seiner Auseinandersetzung mit dem aufkeimenden Faschismus und seine teils skandalösen Beziehungen.
Die besten Gesamtausgaben
Einer meiner Lieblinge unter den frankobelgischen Zeichner*innen war schon immer Pierre Seron. Umso mehr freut es mich, dass nun endlich auch seine poetischste Serie, Die Zentauren, erstmals komplett auf Deutsch erscheint! Es darf allerdings nicht verheimlicht werden, dass der Verfasser als Übersetzer des redaktionellen Teils beteiligt war.
Auch in diesem Jahr sind drei neue Bände der Marvel Comics Library bei Taschen erschienen. Die XXL-Bände haben rund 700 Seiten, sind mehrere Kilo schwer, und präsentieren im Coffee-Table-Format die bahnbrechenden ersten Ausgaben der Marvel-Klassiker, die etwas ganz Neues erschaffen hatten. Sorgfältige Reproduktionen erlauben einen 100%igen Genuss, der von sachkundigen Einführungen abgerundet wird! Ein stolzer, aber berechtigter Kaufpreis ist der einzige, kleine Wermutstropfen!
Der dritte Platz steht ein wenig stellvertretend für ein ganzes Albenprogramm: Georg F. W. Tempel, der Herausgeber von ZACK und ZACK-Edition, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Perlen neu oder erstmals komplett auf Deutsch herauszugeben. Dazu zählen etwa Reihen wie Jari oder Alain Cardain. Preiswürdig ist aber die Reihe Bob Morane Classic, in der erstmals alle 19 Abenteuer von Dino Attanasio und Gerald Forton erscheinen werden!
Die besten Sekundärwerke
Es gibt kaum jemanden, der so gut lesbar so viele Informationen und Debattenbeiträge zwischen zwei Buchdeckel packen kann wie Dr. Alexander Braun. Dementsprechend führt er auch dieses Jahr wieder die Liste der besten Werke über Comics an: Staying West! ergänzt, was in seinem ersten Werk über Comics und den Wilden Westen außen vor bleiben musste, nimmt Stellung in der Debatte über Politische Korrektheit und grenzt Notwendiges von Übertriebenem ab und erzählt ganz nebenbei noch vieles über Italienische Westerncomics, Karl-May-Adaptionen und den Streit im Studio Vandersteen. Ein Muss!
Platz 2 gehört der Reddition, die Jahr für Jahr erscheint! Im Frühjahr hieß der Schwerpunkt Schweiz, das Winterheft war der neuen Generation der Spirou-Künstler gewidmet (Besprechung folgt!). Anregende Artikel, ausführliche Listen und meistens gute Einordnungen machen das Magazin ebenfalls zu einem Must-Have!
Platz drei geht an Burkhard Ihme und das ICOM Comic!-Jahrbuch. Ebenfalls Jahr um Jahr schafft es der Verein, nicht nur seine Preisträger*innen ausführlich darzustellen und zu Wort kommen zu lassen, sondern präsentiert Informationen, stößt Debatten an und macht Spaß!
Die besten Magazine
Vor mittlerweile über 50 Jahren ist die erste Ausgabe des ZACK erschienen. Die Namensgebende Zeit (Generation ZACK) endete dann aber doch und jahrelang war es düster; frankobelgische Magazine kamen und gingen. Seit 295 Ausgaben läuft aber das „neue ZACK“, das es mittlerweile auf mehr Ausgaben geschafft hat als das alte Koralle-ZACK. Jeden Monat ein bunter Querschnitt durch das frankobelgische Spektrum (und Angrenzendes) und erneuerte Klassiker wie Rick Master oder Michel Vaillant sind den ersten Platz in dieser Sparte wert!
Gleich dahinter kommen die Magazine des Zauberstern Verlages. Was mit dem Phantom begonnen hatte, hat mittlerweile durch Mikros, Flash Gordon, Van Helsing und Savage Dragon Verstärkung bekommen! Hut ab und weiterhin viel Erfolg!
Platz 3 ist dagegen ein Nachruf! Leider musste die Comixene mit der Nummer 146 ihr Erscheinen einstellen. Lesenswerte Informationen, streitbare Meinungen und tolle Illustrationen werden allerdings nicht ganz verschwinden, sondern sollen Alfonz ein wenig aufpeppen!
Und dann ist da noch …
… ein geglückter Relaunch! Das Universum um Spirou drohte unterzugehen. Jetzt allerdings ist die erste Folge eines Mehrteilers aus der Hauptserie erschienen (Der Tod von Spirou), die Spezial-Bände enthalten Variationen von unterschiedlichen Teams, dem Meister Franquin wird vielfältig gehuldigt, unter anderem mit einer Neuausgabe der Gesamtausgabe, und die Freunde von Spirou (Rezension folgt) bringen erneut die politische Dimension während des Zweiten Weltkrieges zurück! So kann man es machen!
Eure Lieblinge in 2023
Eure Charts, basierend auf den Abrufzahlen:
Platz 1 geht an Hägar und die Gesammelten Chroniken von 1973, gefolgt von dem ZACK-Spezial 7 und dem zweiten Bob Morane-Sonderband von Forton. Sehr knapp dahinter Mitton und Messalina 1/2.
Die weiteren Plätze: ZACK-Spezial 6 – Jari 1, Asterix – Die weiße Iris, Sammy & Jack Integral 3, Michel Vaillant Collector’s Edition 1, Michel Vaillant Legendes 1 (die NL-Ausggabe! Wenn man die deutsche Ausgabe dazu addiert, wäre das mit weitem Abstand die Höchstmarke!), Asterix – Im Reich der Mitte und Lakota von Serpieri.
Das erste ZACK (284) folgt auf Platz 12, der erste Sekundärtitel (Staying West!) auf Platz 32.
Die erste Serie über den Rennfahrer Michel Vaillant hatte mit 70 Alben, unzähligen Kurzgeschichten und verschiedenen Sonderbänden ihren Zenit überschritten. Jean Graton wollte sein Zepter niederlegen, Sohn Phillipe, der schon lange an den Szenarios beteiligt war, endgültig übernehmen. Es war aber klar, dass es kein einfaches „Weiter so!“ geben konnte. Phillipe hatte das Gefühl, dass wenn er sich schon beim Schreiben der nächsten Story langweilen würde, es den Leser*innen erst recht so gehen müsste. Es musste also ein Neuanfang her!
Ein radikaler Schnitt
Die sogenannte Zweite Staffel der Geschichten von Michel Vaillant brachte gleich mehrere Veränderungen mit sich. Angepasst an die von TV-Serien mittlerweile gewöhnte Rezeption von Inhalten wurde eine Storyline entwickelt, die von Anfang an über sechs Alben geplant war. Waren ursprünglich ein bis zwei Seiten das Wochenpensum, das mit einem Cliffhanger enden musste, sind die neuen Einheiten die Episoden von 52 bis 54 Seiten. Und auch das Image der Firma Vaillante sollte sich ändern. Mit dem Ruhestand des alten Patriarchen zogen nicht nur neue Geschäftsmodelle ein, die Firma setzte plötzlich auf Elektromotoren.
Zusätzlich sollte sich der Soap-Anteil der Serie dramatisch ändern und dadurch moderner werden. Das Idealbild einer intakten Familie bekam plötzlich Risse: Der Sohn von Michel und Francoise will von Eltern und Familienverband nichts mehr wissen und schmeißt sogar die Uni. Michel, der bisherige Musterknabe, verliert seine Lizenz und hat vielleicht sogar eine Affäre? Und auch der Rest der Vaillantes kommt nicht ungeschoren davon!
Im Namen des Sohnes zeigt überforderte Eltern, die verzweifelt versuchen, ihren Sohn zu verstehen und zu beschützen. Tatsächlich bringt Michel deswegen sogar seine Karriere in Gefahr. Die Firma bestreitet neue Wege und geht eine Kooperation mit einem Finanzinvestor ein. Spannung spielt in Bonneville; erneut geht es um einen Geschwindigkeitsrekord und um einen Konflikt mit den Leader. Beide wollen den Rekord für E-Antriebe knacken. Gefährliche Liebschaften schließlich zeigt einen der wenigen Küsse des Helden im Bild, allerdings nicht mit seiner Frau.
Cover Teil 2
Modernisierter Stil
Eine der Vorgaben von Jean Graton für die Serie war, sich von allen Traditionen zu befreien. Die Hauptfiguren haben daher einen neuen, moderneren Look. Selbstverständlich sind sie in ihren Grundzügen zu erkennen. Die Zeichnungen sind aber eine Mischung aus dem alten Vaillant-Stil und Marc Bourgnes eigenem, den er etwa in Franc Lincoln schon gezeigt hatte. Die Hintergründe und Rennwagen kommen dagegen von Marc Benéteau.
Wie immer gibt es die Traditionalist*innen, die jede Veränderung ablehnen. Insgesamt aber wurde die Serie gut angenommen und läuft selbst bereits seit über 10 Jahren! Der modernisierte Stil entspricht den heutigen Lesegewohnheiten und bringt Perspektivwechsel in den Alltag. Die Rennszenen, insbesondere diejenigen, die auch die Umgebung zeigen, sind rasant und dramatisch wie eh und je und fügen der Soundwordcollection sogar noch neue Begriffe zu, die sich auf E-Mobilität beziehen!
Soap, Rennsport, Leidenschaft und Gefahr!
Inhaltlich haben sich die Geschichten von Phillipe Graton und Denis Lapière viel breiter aufgestellt als jemals zuvor. Gefahren erwachsen heutzutage viel eher aus finanzpolitischen Entscheidungen und Gegebenheiten, die über die sozialen Medien gepuscht werden. Die „heile Welt“ der Vaillantes ist gar nicht mehr so heil und damit auch weniger langweilig und anstelle des nächsten Sieges treten neue Herausforderungen.
Cover Teil 3
Für mich sowohl inhaltlich als auch zeichnerisch eine der absolut geglückten Neudefinitionen klassischer Serien! Die Abenteuer der zweiten Staffel erscheinen auf Deutsch zunächst im ZACK, dann als Einzelband in der ZACK-Edition. Es war an der Zeit, der Collector’s Edition der ersten Staffel eine Entsprechung folgen zu lassen! Vroaamm und Whiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!
Jahreszeitlich bedingt passen Jona Lewie („Stop the Cavalry“) und ein Tuborg Julebryg.
Corto Maltese, der „Kapitän ohne Schiff“, wurde von Hugo Pratt geschaffen und tauchte an vielen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten während der Wirren der Anfänge des letzten Jahrhunderts auf, um mit bekannten und erfundenen Zeitgenoss*innen Abenteuer zu erleben. Diese Reihe wies Lücken auf, die von Diaz Canales und Pellejero gefüllt wurden. Vor einigen Jahren trat ein als One-Shot angekündigter Band daneben, der den Helden in die heutige Zeit versetzte. Er muss erfolgreich genug gewesen sein, denn diese Geschichte ist die Fortsetzung dieses Konzepts. Mehr zu Corto im Serienkompass.
Melancholie und böse Überraschungen
Erstens kommt es anders … In der Welt von Corto Maltese ist ein Plan niemals etwas realisierbares. Immer wurde die eine oder andere Variable falsch belegt. So auch hier. Corto trifft Die Königin von Babylon, Semira, eine hübsche junge Frau, die die Schrecken der Balkan-Kriege überlebt hat. Während dieser Zeit hat sie lernen müssen, aus allem das Beste zu machen. Ein Coup gelingt, doch darauf folgt nicht eine gemütliche Auszeit.
Quenehen verwebt geschickt Realität und Fantasie indem er Erzählungen aus dem mitteleuropäischen Krieg anführt, erfundenen Personen echte Erlebnisse mitgibt und den Fatalismus aber auch die Verachtung der Überlebenden für Regeln beschreibt. In einer eingebetteten Sequenz stößt Corto auf fahrende Roma, die ihn teilweise als einen der Ihren akzeptieren, ihn teilweise aber auch als fremden Eindringling sehen.
Leser*innen, die mit der Hauptfigur, den Gefühlen und Anspielungen auf Kultur und Geschichte nicht so vertraut sind, empfehle ich das Nachwort von Jean Hatzfeld, das verständliche Hinweise gibt.
Reduziert
Bastien Vivès reduziert seine Bilder in diesem Comic oft genug auf das Wesentliche. Details werden wie auch Mimik nur angedeutet, kommen dadurch aber auf eine ganz andere Weise zur Geltung, als wenn sie Bestandteil eines „vollen“ Panels wären. Diese Gestaltung passt zur Melancholie der Geschichte. Natürlich sind die Handelnden keine Getriebenen eines vorher feststehenden Plans. Sie müssen aber auch keine übermäßigenden Anstrengungen für eine Planung aufwenden, da es doch anders kommen wird. Diese Haltung wird vom Artwork aufgenommen. Der Anhang enthält zusätzliche Illustrationen.
Um den Künstler gab es vor rund einem Jahr eine tiefgreifende Debatte. Einige Kritiker*innen werfen Vivés vor, das Thema Pädophilie, das in einigen seiner Werke eine Rolle spielt, nicht richtig dargestellt zu haben. Er tradiere damit die Gewaltverhältnisse. Eine geplante Ausstellung seiner Werke in Angoulême wurde nach den Protesten vom Veranstalter abgesagt. Er selbst hat daraufhin klar Stellung gegen den sexuellen Missbrauch bezogen. Immerhin ist es gut, dass solche Diskussionen nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden.
Ein Remake – muss das sein?
Bei fast jedem Remake gibt es zwei Meinungen: Während die einen, die Traditionalist*innen, jede Modernisierung ablehnen und das Werk des Meisters „rein“ halten wollen, sind andere immer bereit, alte Zöpfe abzuschneiden und das Neue zu begrüßen. Für mich persönlich kommt es darauf an, ob „die Neuen“ es geschafft haben, die Essenz zu verstehen und neu zu präsentieren. Das gelingt hier: Die Figur des Corto Maltese ist auch in dem aktuellen Jahrhundert ein möglicher Kulminationspunkt für Konflikte und Debatten.
Die einzige Kritik, die ich hätte, ist, dass die Stories etwas seichter geworden sind. War vorher noch der Kanon eines internationalen Bildungsbürgers zumindest hilfreich, langt heute schon ein aufmerksamer Zeitungsleser mit Gedächtnis, der die Literaturseite typischerweise überschlägt. Von der Aufmachung her passen auch die neuen Bände zur „alten“ Reihe, sollten aber spätestens beim nächsten Band eine Reihenidentifikation und Nummerierung bekommen.
Dazu The Smiths „How soon is Now?“ und ein gut gekühlter Frascati.
Das Phantom ist ein echtes Phänomen: jahrelang war es vom deutschen Markt verschwunden und nun erscheinen neue Geschichten gleichzeitig hier bei Kult, bei Zauberstern, bei ECR und bei Wick. Während bei den letzteren Publikationen die Titelfigur im Vordergrund steht, fokussiert Kult Comics auf den Zeichner! Dieser hatte zunächst für einen kleinen französischen Verlag an Superheldencomics gearbeitet. Jener Verlag wurde dann von Semic gekauft, der wiederum in einigen Ländern das Phantom-Magazin herausgab. Und so markiert Das Phantom einen Wendepunkt in der Karriere des Zeichners von Stoffen wie Mikros zu Alwilda oder Vae Victis.
Einsatz für die Schwächsten
Ich möchte nicht behaupten, dass schwarz-weiße Zeichnungen und Comic-Geschichten per se besser wären als kolorierte. Oft fehlt ohne Farbe etwas und Zeichner wie etwa Prugne haben eine solche Meisterschaft mit dem Pinsel erreicht, dass es blödsinnig wäre, ihre Werke in einen solchen Vergleich zu ziehen. Auf der anderen Seite lassen sich etwa die verschiedenen Jerry Spring-Ausgaben von Jije nebeneinanderlegen und offenbaren ihre jeweiligen Stärken. Die Geschichten von Mitton für das schwedische Fantomen-Magazin erscheinen nun erstmals komplett auf Deutsch in der schwarz-weißen Originalfassung.
Der gelbe Tod stellt eines der immer wieder kehrenden Themen in den Mittelpunkt: die aufgrund von Profitinteressen in-Kauf-genommene Zerstörung von Lebensräumen für Mensch und Umwelt. Worubu ist eher traditionell: Es gibt einen Gangster, der mit Hilfe von mehr oder weniger freiwilligen Komplizen versucht, einen Coup zu landen. Dabei werden Unbeteiligte in Mitleidenschaft gezogen. Hier wird in einer sehr spannenden Weise die Dschungelpatrouille mit einbezogen.
Die Kinder des Dschungels handelt erneut von der scham- und grenzenlosen Ausbeutung der Natur und ihrer tödlichen Folgen auf die indigene Bevölkerung. Zwar nennen die Autoren es weder Völkermord noch Rassismus, nehmen aber klar Stellung in der Verurteilung. Den Abschluss bildet Der Nektar der Götter, eine Story mit mehr Fantasy-Einfluss. Man nehme ein wenig Conan, ein wenig Edgar Rice Burroughs und eine Prise Phantom und eine sehr spannende Erzählung ist das Ergebnis!
Lichte Schattenmalerei!
Mitton darf hier zeigen, was er kann! Sein Spiel mit Licht und Schatten ist grandios und lässt die Zeichnungen sehr plastisch wirken. Emotionen sind klar ersichtlich, die Actionsequenzen sind punktgenau getroffen. Der zum Absprung bereite Panther drückt sämtliche Konzentration und Anspannung aus die notwendig ist, um im geistigen Auge des/der Leser*in den Sprung folgen zu lassen!
Die Zeichnungen enthalten dabei genug Referenzen an die Vergangenheit als Zeitungsstrip und die großen Meister dieses Stils. Sie zeigen aber auch die Meisterschaft in der Komposition der gesamten Seite, die nicht auf den Cliffhanger am Ende jeder Zeile setzen muss. Wer hier allerdings die eher spärlich bekleideten Frauen aus dem Spät-Werk Mittons sucht, wird enttäuscht sein.
Schöne Zusammenstellung
Die Grundlage eines der ältesten kostümierten Helden überhaupt ist der Pulp: einfach konstruierte und spannungsgetriebene Geschichten, die die täglich kleine Flucht ermöglichen. Aus dieser Einfachheit hat sich das Phantom schon lange entfernt. Trotz einer internationalen Lizenzproduktion ist allen Produkten gemein, dass sie auf der Seite des Richtigen stehen und Missachtung fremder Kulturen, Zerstörungen von Lebensräumen und persönliche Gier zutiefst verachten! Insofern ist es schön, dass sie auch in Deutschland wieder Fuß fassen konnte.
Die Softcover-Reihe mit den Geschichten von Jean-Yves Mitton ergänzt die aktuellen Hefte, indem sie einen Zeichner in den Fokus nimmt und herausstellt. Wick und ECR sind eher an den Sammler gerichtet, Zauberstern setzt auch auf Gelegenheitskäufer*innen. Wer möchte, kann sich auch die limitierte Vorzugsausgabe ansehen, die gleich mit zwei Ex Libris daherkommt!
Ex Libris der Vorzugsausgabe (Ausschnitt)
Dazu passen The Offenders mit „Hasta La Muerte“, und ein Gouden Carolus Noël.