Nun hat es der Titel wie von mir gehofft tatsächlich anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung geschafft, auf Deutsch zu erscheinen. Ein deutscher Verlag ist es allerdings nicht geworden. Die in Wien beheimateten Bahoe books haben sich spezialisiert auf revolutionäre Themen und setzen dabei verstärkt auch auf Comics. Ein Schwerpunkt ist dabei die Auseinandersetzung mit dem Faschismus und dem Widerstand.
Insofern passen die Erinnerungen von Guy-Pierre Gautier aus mehreren Gründen perfekt in das Programm: Gautier war Mitglied des sozialistisch-kommunistischen Flügels der französischen Resistance und nach seiner Verhaftung politischer Insasse im Konzentrationslager Dachau. Die Geschichte beginnt mit der Auszeichnung zum Ritter der Ehrenlegion 2015. Der lange Weg dorthin wurde aufgezeichnet und grafisch umgesetzt durch den bekannten Comiczeichner Tiburce Oger, Enkel des Protagonisten.
Die Geschichte
Der junge Guy-Pierre wächst in La Rochelle auf und beteiligt sich schon kurz nach dem Einmarsch der Deutschen 1940 am Widerstand. Aus Botendiensten und Flugblattaktionen werden schon bald Sabotageaktionen doch viele der Beteiligten wurden damals schlichtweg verheizt und so erfolgt 1943 die Festnahme des gesamten Trupps. Zunächst sind die jungen Männer noch in Frankreich inhaftiert doch dann erfolgt die Verlegung nach Dachau und das Gräuel beginnt.
Eindrucksvoll werden die Schikanen geschildert, die mit den (Todes-)Zügen beginnen, den Foltern und Misshandlungen weitergehen und der Vernichtung durch Arbeit nicht aufhören. Gautier und Oger gelingt es, den Schrecken und den Terror exemplarisch darzustellen und dadurch sichtbar zu machen.
Auch die Befreiung selber, die Unwissenheit, ob die geflüchteten Deutschen zurückkommen würden, die erneute gesundheitspolitische begründete Kasernierung durch die Amerikaner und das Umgehen mit den KaPos werden geschildert.
Die deutschsprachige Ausgabe
Im niederländischen heißt der Titel „Mein Krieg – von La Rochelle nach Dachau“, hier wurde er auf das Überleben in Dachau reduziert. Mir gefällt der ursprüngliche besser, den auch die Zeit in der Résistance gehört zum Leben des Guy-Pierre Gautier das hier geschildert wird. Auch während dieser Zeit gab es Entscheidungen und Kritikpunkte. Der Titel lässt das nicht unbedingt erwarten.
Trotzdem ist die Graphic Novel zu empfehlen. Einerseits stehen die „Politischen“ auch heute noch gerne unter dem Vorwurf „Ihr habt es ja selbst zu verantworten“ und andererseits kann es gerade in der heutigen Situation in Deutschland nicht schaden, immer wieder zu zeigen, was passiert, wenn Nazis die Macht übernehmen.
Dazu passen No Respect mit “No nazis friend” und kalter Caro-Kaffee.
Wer kann glaubhafter über den Weg in die Drogensucht und die Kriminalität berichten als einer, der diesen Weg selbst beschritten hat? – Niemand!
Insofern ist der Auftrag eines Ex-Junkies an sich, andere anhand des eigenen Beispiels davon zu überzeugen, einen anderen Weg einzuschlagen, ein toller, schwieriger und vor allem bedingungslos zu unterstützender! Man muss sich das eher so wie ein Mosaik vorstellen: Der eine macht es so, die andere so und erst in der Draufsicht ergibt sich ein schlüssiges Bild, das alle Bestandteile erfordert.
Die Geschichte
Ein Steinchen in diesem Konzept ist der jetzt erschienene Comic, der in Form einer Graphic Novel zunächst von Domink Forsters Jugend erzählt. Domi war nicht wirklich akzeptiert bei seinen Mitschüler*innen: zu strebsam, zu langweilig, zu uncool. Später muss er auf einer Freizeit feststellen, dass trinken und rauchen notwendig zu sein scheint, und er gehört dann tatsächlich „dazu“. Er gerät aber auch in Kontakt mit Leuten, denen die legalen Sachen nicht genügen, und fängt an, immer mehr unterschiedliche Drogen zu konsumieren. Seine alte Clique kommt damit nicht klar und so konzentriert sich Dominik nur noch auf die neuen.
Seine Freundin Seven und er durchleben alle Geschichten einer Horrorstory: Er schlägt sie, sie brüllen sich an und landen doch wieder im nächsten Rausch und im Bett. Ähnlich entwickelt sich die kriminelle Karriere: Hat er anfangs einfach nur seine Aggressionen nicht unter Kontrolle, kommt sehr schnell der gesteigerte Geldbedarf zum Tragen: Er beklaut Familie, Arbeitgeber und Freunde und fängt schließlich an, zu dealen.
Die Geschichte endet damit, dass Domi, kaum 20, für Jahre in den Bau einfährt. Das Leben von Dominik Forster aber geht danach weiter, denn er unterzieht sich einer Therapie und entdeckt seinen Lebenssinn darin, andere von dieser Karriere abzuhalten. Nach seiner Entlassung geht er in Schulen und stellt sich der Diskussion, schreibt ein Buch und arbeitet dann an der Umsetzung in eben diesen Comic!
Die Umsetzung
Im Anhang befinden sich entsprechend Zeitungsausschnitte über die Veranstaltungen, Stimmen von Teilnehmer*innen, aber auch Briefe aus dem Knast, die seine Entwicklung dokumentieren. Gerade dieser Teil ist sehr eindrucksvoll, zeigt er doch, dass der Weg nicht nur gut gemeint ist, sondern auch angenommen wird! Und ehrlich gesagt: Die Story alleine könnte auch als Grundlage für eine hippe Netflix-Serie dienen, die dann eher nicht abschreckend wirkt.
Die Zeichnungen von Adrian Richter und Stefan Dinter lenken nicht von der eigentlichen Geschichte ab. Sie sind auf das Wesentliche reduziert, transportieren aber trotzdem Emotionen und erlauben eine „Mitleiden“ bzw. „Miterleben“. Die Figuren sind eindeutig wieder zu erkennen und unterschiedlich genug um sowohl den „süßen Jungen“ als auch den „harten Kerl“ zu zeigen und auch die gemeinsame Person im Hintergrund der beiden Ausdrucksformen!
Das Konzept
Es gibt eine Umsonst-Version, die stark verkürzt die wesentlichen Punkte darstellt und auf Veranstaltungen und an Krisenpunkten verteilt wird. Das ist sicherlich diejenige Fassung, die die größte Verbreitung finden wird. Dieser gebundenen Ausgabe ist zu wünschen, dass sie nicht nur in den Regalen der Schulbibliotheken und auf Büchertischen verstaubt, sondern ebenfalls den Weg zu gefährdeten oder sogar schon abgerutschten Jugendlichen findet!
Das Projekt wird unterstützt von blu:prevent und der DAK. Die Blaukreuzler werden wie auch „Über den Berg“ im Anhang näher vorgestellt.
Dazu passen Cola (in diesem Fall mit Zucker) und Urban Hip-Hop.
Story: Frances Andreasen Oesterfelt, Anja C. Andersen Zeichnungen: Anna Blaszczyk
Originaltitel: Marie Curie – Et lys i moerket
Knesebeck Verlag
Hardcover | 136 Seiten | Farbe | 22,00 € |
ISBN: 978-3-95728-366-5
Die Person
Marie
Curie war so vieles: ein aufgewecktes Mädchen im russisch besetzten
Warschau, die jüngere Schwester, die der anderen den Vortritt lassen musste,
die Gouvernante, die sich unschicklich verliebte…
Sie war aber auch die erste Professorin an der Sorbonne, die erste Frau, die den Nobelpreis gewann, der erste Preisträger, der mit diesem Preis in zwei unterschiedlichen Kategorien ausgezeichnet wurde, und vor allem eine wissbegierige, die niemals aufgab.
Ihr verdanken wir die Isolation von Radium und anderen
radioaktiven Elementen wie etwa Polonium sowie die anfängliche Beschreibung
ihrer Fähigkeiten und sie hat unzählbar oft Frauen ermutigt, eine Karriere in
Wissenschaft und Lehre anzustreben und sich nicht von den äußeren Umständen
behindern zu lassen.
Kein Wunder also, dass der Knesebeck-Verlag
in seiner Graphic Novel-Reihe auch dieser Frau einen Titel widmet. Hier steht
sie neben anderen Wissenschaftstiteln und Biographien perfekt und leidet auch
nicht unter dem Makel, „nur“ eine Bildgeschichte zu sein, ist der Knesebeck-Verlag doch ein renommierter.
Die Ausgabe
Drei Frauen haben sich zusammengetan um dieses Werk auf die Beine zu stellen. Oesterfelt ist eine Expertin für Marie Curie, Andersen eine bereits ausgezeichnete Sachbuchautorin. Zusammen haben sie den Text verfasst, der durch alle Abschnitte des Lebens der Polin führt. Es ist immer ein schwieriger Grad zwischen zu viel und zu wenig Text. Gerade bei den wissenschaftlichen Themen hätte ich mir ein wenig mehr erhofft, zum Beispiel im Unterschied ihrer Arbeit zu der von Becquerel. Es ist den beiden aber gelungen, eine spannende Geschichte aufzubauen, die einerseits sehr persönliche Momente beinhaltet, anderseits auf die Heldinnen-Aspekte zielt. Die Verwendung von wörtlicher Rede, erläuterndem Text und in der Handlung entstandenem Text wie etwa Notizen oder Briefe ist dabei abwechslungsreich und angenehm.
Die Zeichnungen von Anna
Blaszczyk sind dagegen gewöhnungsbedürftig. Es handelt sich um
expressionistische Illustrationen, die es zumindest mir etwas erschwert haben,
einen Zugang zu dieser Graphic Novel zu finden. Mit der Zeit gewöhnt man sich
aber daran und erkennt die Stimmigkeit und Passgenauigkeit in Bezug auf
Emotionen und äußere Umstände. Sie folgen weder dem klassischen
Comic-Mainstream noch den Strichfiguren aus (viel zu vielen) Graphic Novels, die
manchmal genial reduziert sind, oft aber auch einfach nur nicht ausgearbeitet.
Nein, die polnische Künstlerin hat ihren eigenen Stil und passt dadurch auch
optisch zu der manchmal sperrigen, immer aber „anders seienden“ Heldin.
Das Fazit
Wer einen reinen Sachcomic über Physik und Chemie erwartet ist hier falsch, diese Inhalte werden nur angerissen und müssen anderweitig vertieft werden. Ebenfalls nicht zufrieden dürften diejenigen sein, die einen leichten Lesegenuss für kurz vor dem Einschlafen suchen, denn dafür fordern die eigenwilligen Illustrationen zu viel! Wer sich dagegen auf eine Reise durch das Leben der großen Wissenschaftlerin und ihre persönlichen Krisen einlassen möchte, bereit ist, graphische Herausforderungen zu bestehen, und nebenbei auch noch Diskussionen starten möchte indem das Buch auf dem Tisch liegenbleibt, wenn Besuch kommt, ist hier richtig und sollte unbedingt zuschlagen.
Dazu passen ein halbtrockener Rotwein und Ella Fitzgerald!
Um seine Jugend in der DDR verbracht zu haben muss man ein Geburtsjahr haben, das spätestens aus den 70-er Jahren kommt. Für viele heute Graphic Novels lesende Menschen also weit vor dem eigenen Geburtsdatum. Die Geschichte erfordert also das Eintauchen in eine fremde, zumindest aber vergangene Zeit mit komischen Klamotten, Redewendungen und Modethemen, richtig? Naja, hier geht es nicht um eine Netflix-taugliche, hippe Verfilmung, sondern um Erinnerungen eines jungen Mädchens an die eigene Kindheit, erzählt auf einer sehr sympathischen und freundlichen Basis obwohl einem beim Lesen manchmal das Lachen etwas stecken bleibt…
Die Geschichte von Claudia
Rusch beginnt an der Ostsee. Diese ist weder von menschenfressenden Ungeheuern
bevölkert noch besonders stürmisch und doch sind viele Flüchtlinge aus dem
damals „ummauerten“ Teil Deutschlands in ihr ertrunken und so empfindet auch
die kleine Heldin sowohl eine grenzenlose Angst vor dem Wasser als auch den
unbedingten Wunsch, einmal die Ostsee mit dem Malmö-Express zu überqueren. Thomas Henseler und Susanne Buddenberg, die sich schon mehrfach dem Thema DDR gewidmet
haben, gelingt es in dem ganzen Buch, Claudia
sympathisch darzustellen, ihre (Kinder-)Sorgen darzustellen und die damalige Situation
darzustellen ohne dabei in Klischees abzurutschen. So benutzen sie in dieser Szene
etwa angedeutete Tierfallen im Wasser der Ostsee.
Der Staat
Das kleine Mädchen hat auch Eltern. Während der biologische Vater nach der Scheidung keine allzu große Rolle mehr spielt (mal abgesehen von dem einen wichtigen Auftritt in Uniform), gehört ihre Mutter zum Kreis um die Dissidenten Havemann und ist daher ein Objekt für die Überwachung durch die StaSi. Ganz nebenbei wird hier ein Problem dargestellt, dass viele Beziehungen nachträglich unter ein unerträgliches Licht gestellt hat, denn die Bespitzelung machte weder um die Liebe noch die Familie einen Bogen …
Die Überwachung wurde aber auch öffentlich vollzogen und die
„grauen Herren“ warteten auch in Wagen vor der Haustür oder folgten den
Überwachten mehr oder weniger unauffällig und so ist eine meiner
Lieblingsszenen der Marsch der kleinen Claudia durch den dunklen Wald um die
Oma vom Bus abzuholen. Aus Furcht singt sie lauthals Parteilieder, was
einerseits die ihr im Verborgenen folgenden Mutter verärgert, andererseits die der
Mutter folgende StaSi verwirrt, kann es sich doch nur um Provokation oder
Täuschung handeln – an Absurdität nicht mehr zu überbietender Slapstick vom
Feinsten!
Die Graphic Novel
Eine andere grandiose Stelle beschreibt die Fähigkeit, mit
den Gefühlen der Leser*innen zu spielen. In einem überfüllten Bus nimmt das
kleine Mädchen auf dem Schoß eines älteren Herren Platz und die Dramatik der
Bildfolge, ihrer sich verlangsamenden Geschwindigkeit und der wechselnden
Frontalen der Gesichter des Herren, der Mutter und des Kindes lassen kein
Missverständnis aufkommen: Hier wird etwas geschehen! Tut es auch, allerdings
anders als heutzutage erwartet!
Das autobiographische Buch von Claudia Rusch war ein kleiner Bestseller, allerdings kein Mainstream, denn die Heldin wollte natürlich ein Ende der DDR aber keinen Anschluss, sondern die Möglichkeit auf eine eigenständige Entwicklung. Henseler und Buddenberg gelingt es kongenial, die Stimmungen der Heldin und ihrer Umgebung einzufangen und wiederzugeben, die Emotionen des Kindes (Kakerlaken!), der jugendlichen und auch der jungen Erwachsenen glaubhaft darzustellen und vor allem aber die DDR-Situation als bedrückend, feindlich und unerwünscht zu beschreiben ohne in eine „Verteufelung“ zu verfallen, die gerade Westler*innen so gerne präsentiert haben.
Insgesamt also eine brillante, unbedingt zu empfehlende
Graphic Novel aus der jüngeren Deutschen Geschichte die ein differenziertes Bild
auf die DDR wirft und dabei nichts verschweigt, die eine Jugend aus der
unschuldigen Perspektive des Kindes zeigt, die erwachsene Wertung des Ganzen
aber nicht unterschlägt und nebenbei auch noch wirklich gut gezeichnet ist! Gerade
auch für „Wessies“ könnte die Lektüre die eine oder andere Erinnerung
hervorholen und in einem neuen Licht erscheinen lassen: Während die „Schwerter
zu Pflugscharen-Kampagne“ hier aus Ost-Sicht für westliche Infiltration gehalten
wird, war sie im Westen ein Sinnbild für ostdeutsche Propaganda…
Für mich auf der Auswahlliste für die Graphic Novel des Jahres!
Dazu passen ein Radeberger und (passend zu ihrem 65.
Geburtstag) Nina Hagen und ihre Entwicklung
vom „Farbfilm“ zum „TV“.
Die Reihe Königliches
Blut versammelt ein- oder mehrteilige Geschichten über Herrscherinnen unter
einem einheitlichen Logo. In ihnen werden natürlich Fakten und Fiktion
verwoben, sind doch die Geschichtsschreibungen gerade über relevante Frauen oft
schon selbst teilweise eher Mythos als Wiedergabe der Wirklichkeit. Trotzdem
versuchen sie aber, die porträtierten Frauen in ihre Widersprüchlichkeit und
ihrer Macht darzustellen.
Der Inhalt
Nach Isabella von Spanien, Alienor von Aquitanien und
Kleopatra wagt sich der Splitter-Verlag
jetzt erstmals in den Fernen Osten und stellt unter dem Label „Double“ die Drachenkaiserin Cixi vor. Cixi ist ein sehr hübsches Mädchen aus
dem Stamm der Mandschu, der damaligen Herrscherkaste. Ihre Familie gehört aber
nicht zu dem traditionellen Hochadel so dass sie eigentlich nur auf eine gute
Heirat hoffen kann. Um ihren Ruf steht es aber nicht zum Besten und als sie bei
einem Stelldichein mit einem jungen Mann erwischt wird, bleibt nur der Ausweg,
sie als Kurtisane an den kaiserlichen Hof zu bringen.
Parallel dazu muss den Han-Chinese Li Lieng Ying erleben, was Armut heißt. Er fasst den verzweifelten Plan, sich zum Eunuchen machen zu lassen und am Hof aufgenommen zu werden. Dieser Plan erfordert aber das Eingehen einer großen Schuld bei den Kastraten.
Am Hof treffen sich die Beiden und Li Lieng Ying entwirft
einen Plan für ihre Zukunft. Cixi soll den bisher kinderlosen Kaiser von sich
abhängig machen und ihm einen Thronfolger schenken. Um diese Ziele einmal
erreichen zu können muss Cixi erst die Kunst der Verführung und des
Liebesspiels lernen. Tatsächlich ergibt sich die Chance, dass Cixi zum Kaiser
gerufen wird und aufgrund des langen, ausdauernden Trainings verfällt er ihr
tatsächlich. Als der Kaiser schließlich stirbt, wird seine Kurtisane als Mutter
seines Erben zur Kaiserinwitwe. Eigentlich gleichberechtigt zu seiner Hauptfrau,
die sich für solche Sachen aber nicht interessiert, übernimmt sie die
Regentschaft für ihren Sohn. Ihr Begleiter wird zum Haupteunuch und die beiden
regieren für insgesamt 24 Jahre das Reich der Mitte mit harter Hand.
Im Laufe der Geschichte kommt es immer wieder zu Konflikten,
sowohl mit Männern, die einer Frau das Recht zu regieren absprechen wollen,
aber auch mit den Langnasen, also den Europäern. Dabei spielen sowohl die
Christianisierung und Ausbeutung des Landes eine Rolle als auch persönliche
Eitelkeiten. Auch der sogenannte Boxeraufstand spielt dabei eine große Rolle.
Die Geschichte endet mit dem Tod der Drachenkaiserin.
Philippe Nihoul gelingt es dabei sehr geschickt, geschichtliche Fakten und Stimmungen mit den Lebensgeschichten der beiden Hauptpersonen zu verbinden. Alles Notwendige wird mitgeteilt ohne dass dabei auch nur ansatzweise der Gedanke an einen drögen Geschichtsunterricht aufkommt. Konflikte mit anderen Staaten aber auch interne Intrigen bekommen dabei genügend Raum, lassen aber Platz für die genaue Zeichnung der Charaktere und ihrer Entwicklung. Sex spielt eine große Rolle in dieser Geschichte, steht aber nie als solches im Vordergrund, sondern treibt die Entwicklung und ist somit Mittel zum Zweck ohne Selbstzweck zu sein.
Die Zeichnungen
Fabio Mantovani
hatte augenscheinlich Spaß an den zwei Bänden, die hier in einem Hardcover
zusammengefasst worden sind. Chinesische Dekors und Landschaften vermitteln den
Eindruck einer guten Recherche und auch die Figuren inklusiver der Gesichter
sind gelungen. Man kann aber nicht übersehen, dass der Zielmarkt Europa ist;
die Züge sind teilweise etwas überzeichnet.
Mantovani schreckt auch nicht davor zurück, abgeschlagenen Köpfe und Folterszenen ins Bild zu setzen, wenn ihm auch die lebenden Körper mehr zu bedeuten scheinen. Die Farben sind teilweise etwas zu aufdringlich, insbesondere rote Lippen wirken überbetont. Die Farbgewaltigkeit der Kleidung passt dagegen.
Beim Seitenlayout verlässt der Künstler die ausgetretenen
Raster und packt Panele auf Hintergrundzeichnungen, arrangiert diese völlig
frei und schafft daher ein sehr unruhiges aber anregendes und immer wieder
wechselndes Seitenbild. Mehr davon!
Fazit
Auch die vierte in dieser Reihe porträtierte Herrscherin hat
Geschichte geschrieben. In ihre Zeit fiel der Konflikt mit den Kolonisatoren,
die das Reich der Mitte als neue Gewinnquelle für sich entdeckt hatten,
begleitet von dem immer wieder aufkommenden Konflikt um die regionale
Vorherrschaft mit Japan und dem bevorstehenden Wandel des abgeschotteten
traditionsgebundenen Riesenreiches hin zur Moderne. Diese Thematiken werden
ansprechend eingebunden und erzeugen sicherlich mehr bleibendes Wissen als unzählige
Unterrichtsstunden.
Es darf aber auch nicht vergessen werden, dass trotz allem die Unterhaltung im Vordergrund steht und auch dieser Aufgabe wird der Comic gerecht. Die Ränke und Intrigen würden einem Krimiplot auch gut zu Gesicht stehen. Auch wenn es hier um Herrscherinnen geht, ist die Zielgruppe wohl im Wesentlichen männlich. Es wäre daher spannend, die gleiche Story von einem weiblichen Team umgesetzt zu sehen.
Obwohl Cixi eine der bedeutendsten Herrscherinnen Chinas
war, die Geschichte erst 150 Jahre zurückliegt und sie schon immer von Legenden
umrankt war, ist wahrscheinlich eine gute Idee gewesen, die Original-Bände 11
und 12 in eine deutsche Ausgabe zu packen. Das Thema China ist noch nicht im (Comic-)Mainstream
jenseits des Mangas angekommen.
Ausstattungsmäßig erfüllt der Splitter-Verlag wie immer alle
Erwartungen! Und 112 Seiten für 22 Euro sind absolut fair!
Dazu passen grüner Tee und Sake und alles Instrumentale von
den Skatalites!
Charles Darwin
dürfte dem Namen nach jedem bekannt sein; seine fast fünfjährige Reise auf der HMS Beagle erlaubte ihm, unzählige Artefakte
zu sammeln, Theorien zu entwickeln und diente als Basis für sein
wissenschaftliches Werk, das die Naturwissenschaften revolutionierte und ihn in
scharfen Gegensatz zu der damaligen Auffassung brachte. Über diese Reise gibt
es bereits viele Bücher, nicht zuletzt von Darwin
selbst aber auch vom Kapitän der Beagle Fitz
Roy. Nun liegt eine Graphic Novel aus dem Knesebeck-Verlag vor, die diese Reise beschreibt.
Der Hintergrund
Darwin war ein etwas kränklicher junger Mann und so war die erste Hürde, die zu nehmen war, das Einverständnis des Arztes der Familie. Seereisen waren damals, wir schreiben das Jahr 1831, noch etwas anderes: ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Die Überfahrt war gefährlich, Kommunikation nur möglich, wenn man ein anderes Schiff traf oder während des Aufenthaltes in einem Hafen und es gab genügend Hinweise auf Kannibalen und feindlich gesinnte Bewohner unbekannter Landstriche.
Zudem waren die Schiffe der damaligen Zeit zwar durchaus
seetauglich, Luxus wie auf einer heute so beliebten Kreuzfahrt war aber nicht
zu erwarten. Der Kapitän der HMS Beagle,
der auf der zweiten Fahrt dieses Schiffes die Küste Südamerikas kartographieren
sollte, wünschte sich Gesellschaft durch einen gebildeten Gefährten während der
Fahrt und so kam es, dass der junge Darwin
eingeladen worden war. Da es keine Smartphones mit Kamera gab war auch ein
Maler mit an Bord um die Eindrücke festzuhalten. Die erwünschte Konversation
muss allerdings sehr beschränkt gewesen sein, Darwin litt nicht unerheblich an Seekrankheit.
Er entwickelte aber schnell ein großes Interesse an
Naturforschung und Geografie und stellte bereits auf dem ersten Stopp auf den
Kapverden fest, dass die Erde wohl nicht erst 6000 Jahre alt ist – so die
damalige theologisch begründete Annahme, sondern wesentlich älter. Die Erde
schien sich entwickelt zu haben (Blasphemie 1) und das Antlitz ihrer Oberfläche
schien aus verschiedenen Schichten aufgebaut zu sein.
Ein weiterer Punkt, in dem der junge Forscher einen totalen Gegensatz zur damals herrschenden Meinung einnahm, war die Frage der Sklaverei. Er empfand durchaus, dass alle Menschen gleich sein und die postulierte Minderqualität nicht aus dem Menschen selbst heraus zu begründen war. Die Zivilisation sei es, die die Menschen und ihre kulturelle Entwicklung geprägt hätte und dort gäbe es tatsächlich Unterschiede. Natürlich glaubte der Engländer an die Superiorität seiner Kultur und empfand durchaus eurozentristisch und paternalistisch, zweifelte aber an der Gottgegebenheit dieser Situation (Blasphemie 2).
Auf seinen weiteren Stationen dieser fast fünf Jahre
andauernden Reise entdeckte er Skelette von Fossilien und entwickelte
schließlich aufgrund der Tatsache, dass sich auf den einzelnen Galapagos Inseln
unterschiedliche Ausprägungen zum Beispiel von Finken finden ließen, die Theorie,
dass sie sich aus einem gemeinsamen Ursprung entwickelt hätten (Blasphemie 3). Diese Theorie sollte später sein
Hauptwerk werden unter dem Namen Der
Ursprung der Arten, der Begründung der modernen Evolutionstheorie!
Die Umsetzung
Grolleau und Royer haben sich in ihrer Umsetzung
dagegen entschieden, alle Details haarklein nachzuerzählen. Sie wollen etwas
vereinfachen, ja sogar romantisieren, wie sie in ihrem Vorwort gestehen. Ihnen
kommt es nicht darauf an, jede Entdeckung, jeden Landgang und jede Idee
wiederzugeben, sie wollen die Linie und die Entwicklung aufzeigen die vom
jungen, idealistischen Träumer hin zu dem genauen Wissenschaftler verläuft. Dadurch
gelingt es ihnen zu zeigen, wie sich einzelne Begebenheiten und Funde quasi wie
Puzzlesteine mühsam zu einem Größeren zusammenfinden und erst langsam die
Grundlage für die Theorie bilden. Noch einmal zurück in die damalige Zeit:
Fundstücke mussten katalogisiert werden, verpackt und dann nach England
verschifft werden. Sie waren teilweise Jahre vor dem Forscher in der englischen
Heimat und hatten bereits eine Diskussion angeregt, die von Darwin selbst gar nicht zu beeinflussen
war.
Zudem waren auch die Kategorien gar nicht bekannt und entwickelten sich erst im Laufe der Zeit, zum Beispiel die Wichtigkeit der geographischen Bezeichnung der Fundorte. Wenn alle Arten gleichzeitig von Gott geschaffen worden waren, war es nicht so wichtig, ihren Fundort zu beschreiben. Erst dann, wenn man von separaten Entwicklungen ausgeht, macht der Fundort überhaupt Sinn! Diese Weiterentwicklung in der wissenschaftlichen Herangehensweise wird durch die beiden Kreativen quasi nebenbei erläutert und das ist auch schon ein Hinweis auf ihre Leistung: Wissenschaft und vor allem die langsame Theoriebildung und ihre Verifikation werden perfekt und spannend beschrieben und erwecken Verständnis für die Leistung aber auch Neugier und möglicherweise den Spaß an eigenen Versuchen.
Die Graphic Novel lässt sich daher vielschichtig lesen: Sie
ist zu erst einmal eine spannende biographische Bilderzählung einer
fünfjährigen Reise und insofern fast wie ein Roman von Jules Verne, nur in echt. Sie ist die Beschreibung der Entwicklung
einer revolutionären Theorie, die unsere Welt nachhaltig geändert hat (auch
wenn es immer noch eine Vielzahl von Menschen gibt, die glauben, dass die Bibel
und ihre Genesis wörtlich zu nehmen ist). Und sie ist die behutsame
Heranführung an Wissenschaft und ihre Anforderungen.
Die Zeichnungen
Mir wurde auf keiner einzigen der 170 Seiten langweilig – der Stil ist so abwechslungsreich und wechselt zwischen Nahaufnahmen der Gesichter, der Situationen oder Tierdarstellungen und weiten Landschaften hin und her. Dabei ist das Gesicht Darwins den Bildern der damaligen Zeit so gut nachempfunden, dass man ihn sofort wiedererkennt, seine Entwicklung über die beschriebene Zeit aber auch sehen kann. Aus dem offenen, etwas ängstlichen jungen Mann wird einer, der weiß, was er zu tun haben wird um seine gesammelten Eindrücke zusammenzufügen.
Auch die Härte der Seefahrt, die Schrecken der Sklaverei und
die Beschreibung der südamerikanischen Lebensverhältnisse sind gut und vor
allem nachvollziehbar getroffen. Dazu gibt es immer wieder grandiose Bilder wie
etwa das als Titelbild genutzte Panel oder die Sammlung der Käfer die in ihrer
Weite und Detailtiefe die emotionale Beteiligung des/der Leser*in geradezu
erzwingen. Trotz aller Details vereinfachen die Bilder genug um nicht vom
Wesentlichen abzulenken und sind daher besser geeignet als Fotos es wären.
Die Ausgabe
Der Knesebeck-Verlag
veröffentlicht seit geraumer Zeit Graphic Novels. Viele davon sind aus der
Schnittmenge von Zeitgeschichte und Biografie und alle setzen den Willen der
Konsument*innen voraus, sich auf das Thema einlassen zu müssen. Das kurze Vergnügen
mit anschließendem Vergessen ist nicht gewollt, eher schon die Basis für eine
tiefere Auseinandersetzung. So laden die Werke auch alle dazu ein, sie mehr als
einmal zu lesen.
Das Buch kommt als Hardcover mit festem Papier. Obwohl sehr glatt, glänzt es nicht und reflektiert daher auch nicht störend. Der Buchhändler würde es etwas altertümlich als wohlfeil beschreiben… Durch die strukturierenden Kapiteleinleitungen mit einem Kartenausschnitt wird die Leser*in geführt und der Überblick gewährleistet.
Uneingeschränkte Empfehlung für alle, die nicht nur die
schnelle Ablenkung suchen, sondern eine Bildgeschichte gerne auch wiederholt in
die Hand nehmen und als Ausgangspunkt für eigene Überlegungen nutzen wollen!
Dazu passen Joe
Jackson mit Big World und Mate jeglicher Geschmacksrichtung.
Schwarwel ist dem
einen oder der anderen frühen Leser*in von comix-online noch aus den Zeiten von
EEE (Extrem Erfolgreich Enterprises) und
als Mastermind des Schweinevogels bekannt.
Mittlerweile hat er sich hauptsächlich auf das Zeichnen von Karikaturen verlegt,
die unter anderem über Facebook für jede*n frei verfügbar sind und arbeitet bei
„Glücklicher Montag“ unter anderem an
Trickfilmen.
Gevatter ist Schwarwels erstes Comicprojekt seit einigen Jahren; der erste Teil ist gerade sowohl in einer regulären Ausgabe als auch als Variant mit einem Titelbild von Sascha Wüstefeld (Das UpGrade) erschienen. Die Hefte 2 – 5 sollen in kurzen Abständen folgen.
Der Inhalt
Die Graphic Novel wird von der FUNUS Stiftung herausgegeben die sich für einen unverkrampften Umgang mit dem Tod einsetzt. Jeder Mensch muss früher oder später sterben und mehr man sich im Vorfeld damit auseinandergesetzt hat, desto besser kann man damit umgehen. So veranstaltet die Stiftung z. B. das Leipziger Endlichkeitsfest „Die Stadt der Sterblichen“ vom 6. bis 29. September mit. Sie unterstützt aber auch Publikationen, die sich mit dem Tod beschäftigen und somit auch den Gevatter.
Schwarwel hat eine
sehr persönliche Geschichte geschrieben: Tim, der in seinem Heranwachsen gezeigt
wird, ist das Alter Ego des Autors. Es beginnt mit einem verzweifelten Anruf:
der „Held“ dieser Story steht kurz davor, sich das Leben zu nehmen, ruft aber
noch einmal einen Freund an, dem er damals in einer ähnlichen Situation
geholfen hatte. Nun also muss der Freund das Gleiche tun…
In Rückblicken wird dann die Geschichte des kleinen jungen erzählt, der wie alle Kinder immer wieder mit dem Tod konfrontiert wird. Sei es die alte Frau, der verletzte Igel oder die potentiell tödliche Krankheit. Keinem Kind können diese Situationen erspart werden. Es bleibt aber zu hoffen, dass nicht alle Kinder mit ihren Fragen alleine gelassen werden…
Im weiteren Verlauf der Serie werden noch weitere
persönliche Erlebnisse des Künstlers thematisiert werden: Alkohol,
Depressionen, Sucht und Verzweiflung. Es gehört unheimlich viel Mut dazu, sein
Innerstes so offen zu legen, sich angreifbar zu machen und die Deckung zu
verlassen.
Gerade dieser Mut ermöglicht es aber auch, die im Anhang abgedruckten
Adressen zur Hilfe bei Depressionen, schweren Krankheiten oder Trauerbegleitung
nicht als Werbung zu verstehen sondern als Angebot von jemand, der weiß, wovon
er spricht.
Genau diese Tiefe und der Wille zum Diskurs kommen auch aus
den Interviews mit Schwarwel selbst, Sascha Wüsterfeld und Frank Pasic, dem Vorsitzenden von FUNUS
zum Ausdruck.
Die Umsetzung
Die Graphic Novel erscheint in schwarz-weiß und damit in dem einzig passenden Rahmen. Farbe würde die Details überdecken und auch eine falsche Stimmung repräsentieren. Die Seiten folgen im Prinzip dem 3×3-Aufbau, sind aber flexibel und erlauben somit ein Zusammenfassen oder aber auch ein Verteilen des Motivs auf mehrere Panels.
Der Horror im Gesicht des jungen Tim, die Verzweiflung und
Hoffnung im Gesicht des älteren brauchen keine Worte zur Unterstützung sondern
erklären das gesamte Setting aus sich heraus. Machtverhältnisse, Schrecken und
Rückzugsräume sind deutlich zu erkennen und erlauben eine fast filmische
Rezeption.
Der faire Preis, die Gestaltung mit festem Einband und das
Variantcover von jeweils unterschiedlichen Künstler*innen sollten ebenfalls
dazu beitragen, dass die Geschichte über den Tod und den Umgang damit ihre
Käufer*innen findet! Für mich definitiv
ein Kandidat für die Top 5 des Jahres!
Dazu passen A place to
bury strangers und ein Rotwein.
1853 beweint ein Mann den Tod seiner Tochter vor 10 Jahren. Noch immer kennt seine Trauer keine Grenzen und noch immer lässt er seine andere Tochter, seine Frau und seine Geliebten darunter leiden. Am Abend des 11. September jedoch spricht während einer Seance die Tote zu ihrem Vater, der nun weiß, dass es seine Aufgabe sein wird, den Tod aufzuklären. Es handelt sich um Victor Hugo, den Schriftsteller aber eben auch Politiker, der auf der Flucht vor Napoleon III. die Insel Jersey als Ort des Exils gewählt hat.
Die Handlung
Um den Tod seiner geliebten Tochter Leopoldine aufklären zu können, muss Hugo aber zurück auf das Festland, ja sogar in die Hauptstadt
Paris. In seinem Heimatland ist aber ein beträchtliches Kopfgeld auf ihn ausgesetzt
und niemand in Hugos Umgebung kann das Risiko verstehen. Sie alle glauben an
einen Unfall und halten Hugos Vermutungen für Hirngespinste.
In Paris selbst ist Napoleon II.I gerade dabei, zusammen mit Baron Haussmann die Stadt neu zu planen: die Stadtteile sollen übersichtlicher, kontrollierbarer und „gehobener“ werden – heutzutage nennt man so etwas Gentrifizierung – und die Straßen sollen ausgebaut werden. Letzteres ist natürlich für den zunehmenden Handel wichtig, erlaubt aber auch schnelle Truppenbewegungen im Falle eines der vielen Aufstände. Insofern lässt sich dieser Band durchaus in Kombination mit der Zeit der Blutkirschen lesen!
Und auch der Tod am Galgen von John Charles Tapner findet seinen Eingang in die großartige
Geschichte. Tapner war mit Sicherheit
ein kleiner Gauner. Ob er auch ein Mörder war, wird zumindest in dieser Geschichte
bezweifelt, auf jeden Fall aber war seine Geschichte der Aufhänger für eine engagierte
Diskussion um die Todesstrafe unter Beteiligung Victor Hugos und wurde erst durch den direkten Einsatz des
französischen Botschafters in London beigelegt: Der junge Mann wurde zwei Tage
später gehängt.
Die Bilder, die Hugo auf der Fahrt nach Paris und dort selbst zeigen, zeichnen ihn als einen sehr selbstbezogenen, starrköpfigen aber auch mutigen Mann. Während dieser kurzen Zeit wohnt er gleich zwei Geliebten bei, bekommt in Paris aber auch genügend Eindrücke in die Not der Unterprivilegierten und der Machtstrukturen, die später in Les Miserables verarbeitet werden sollten.
Die Künstler*innen
Während viele Fakten in dieser Geschichte verarbeitet worden sind, ist sie als solche doch reine Fiktion. Wir wissen, dass Hugo unendlich um seine Tochter getrauert hat, an Seancen beteiligt war und tatsächlich geglaubt hat, seiner Tochter bzw. ihrem Geist begegnet zu sein. Auch sein Exil, seine Geliebten und sein Gegenspieler in Paris Vidocq sind verbürgt. Die Details sind aber der Fantasie von Esther Gil entsprungen. In ihrem Nachwort erklärt sie, dass sie schon während der Schulzeit von der Maßlosigkeit der Trauer des Vaters beindruckt war. Später – und im Verlauf von minutiösen Nachforschungen – kam dann der Einsatz gegen die Todesstrafe hinzu und das Szenario konnte geschrieben werden. Gil hat damit eine Geschichte vorgelegt, die einerseits sehr viel Sympathie mit ihren Personen zeigt, ohne aber tatsächlich alle Aktionen gutzuheißen. Andererseits ist daraus ein spannender Krimi geworden, der zusätzlich noch viele geschichtliche Details transportiert.
Laurent Paturaud hat die Geschichte kongenial umgesetzt. Die ersten zwei Seiten sind Romantik pur und führen bildgewaltig in die Stimmung des fast schon gefühlstoten Vaters ein. Paturaud kann aber auch stille Gesprächsszenen oder Armutsdarstellungen aus Paris. Nicht zuletzt gelingen ihm auch die intimen Szenen zwischen Hugo und seinen Geliebten sachlich und ohne Voyeurismus. Dabei wechselt er von kleinen Panels zu großen, integriert Bilder in einen Hintergrund oder benutzt eine Graufärbung um Erinnerungen zu kennzeichnen.
Die Ausstattung
Natürlich handelt es sich auch bei diesem Band um ein typisches Splitter-Hardcover. Man hat sich aber entschieden, nicht nur die 94 Seiten der Geschichte zu veröffentlichen, sondern insgesamt 120 Seiten daraus zu machen. So kommen einerseits die Autorin Esther Gil und Victor Hugo selbst zu Wort, andererseits bleibt auch genügend Platz um auf geschichtliche Hintergründe näher einzugehen und die Geschichte damit verständlicher zu machen.
Und – quasi als Sahnehäubchen – kommen auch noch Skizzen, und Ex Libris-Entwürfe zum Abdruck! Schöner kann man einen solchen Band nicht machen! Der Preis dafür ist fast schon unverschämt gering. Im Nachhinein ist es etwas unverständlich, warum es sechs Jahre gedauert hat bis dieses Werk auch auf Deutsch erschienen ist. Das Original erschien ursprünglich bei Editions & Galerie Daniel Maghen.
Dazu passen französischer Cidre und The Damned aus ihrer dunklen Phase.
Warum sollen Klassiker immer verstaubt und alt sein? Sie
können auch als relativ neue Werke einen Themenkomplex so gut darstellen, dass
anderes daneben verblasst. So ist es mit der autobiographischen Geschichte von
Tobi Dahmen aus der Anfangszeit der deutschen Mods. Natürlich gibt es über
dieses Genre auch andere Comics, etwa Blue
Monday von Chynna Clugston-Majors
oder die nur auf Englisch erhältlichen Kindergarten
Kids, aber keiner davon ist so treffend. Überhaupt gibt es wenige Bücher
über Subkulturen, die eine persönliche Note glaubhaft rüberbringen und nicht
von Stars handeln. Dazu gehören etwa die Dorfpunks
oder Ostkurve/Kein Weinfest in Tenever.
Aber von Anfang an: Die Modernists oder Mods waren eine aus England auf den Kontinent exportierte Jugendbewegung aus der Arbeiterklasse. Während sie einerseits Prügeleien nicht abgeneigt waren, legten sie andererseits viel Wert auf stilvolle Kleidung für ihre Beat- und Soul-Nighter und motzten gerne ihre Roller mit allem auf, was der Spiegelladen hergab. Später kam als Musikrichtung der Ska hinzu und während ein Teil der Mods immer mehr zu Konsumenten synthetischer Drogen wurde, entwickelten sich auf der anderen Seite über den Zwischenschritt der Hardmods die Skinheads. Gemeinsam ist ihnen, dass sie keine rassistischen Vorurteile hatten (wie auch, wenn fast alle verehrten Musikern nicht Weiß sind?) und dass sie Rock’n’Roll, Rocker und Teddieboys (sowie natürlich Popper) verabscheuten. Das soll zur Einführung genügen.
Die Geschichte
Tobi, bzw. der Held in seiner Graphic Novel, beginnt bereits
als Schüler mit seiner Modkarriere. Es ist nicht einfach, alle Styleregeln zu
befolgen und fast noch schwieriger, auch treffsicher den richtigen Musikgeschmack
zu haben. Trotzdem bietet die kleine Gruppe Rückhalt, Zusammengehörigkeit und
die Aussicht auf viele Partys, Alkohol und nicht zuletzt auch Mädchen.Da das
Geld für einen Roller nicht langt, muss allerdings ein Fahrrad als Ersatz genügen.
Es zeigt sich, dass die Gruppe nicht immer da ist, und dass es trotz Gruppe durchaus mal einen Stärkeren geben kann. Es gibt auch immer mehr Boneheads und dementsprechend weniger Fun. Außerdem wird der Held langsam aber sicher älter und stellt sich die Frage, ob es das wirklich noch so ist. Nicht die Attitude, nicht die Musik und nicht die Freunde aber die Ausschließlichkeit des Ganzen.
Jahre später kommt es zu einem Revival und fast alle sind
wieder da. Es ist schön, aber trotzdem vergangen und lässt sich nicht
zurückholen. Die Jugend hat ihre Zeit, aber sie vergeht.
Der Künstler
Trotzdem ist es wichtig und richtig, seine Wurzeln nicht zu
vergessen oder zu verleugnen und so zeichnet Tobi Dahmen nicht nur den
Fahrradmod sondern auch z.B. für das alljährliche Skafestival in Roslau und für
einschlägige Plattenlabel. Wie es die Redskins
sagen würden: Keep on keepin on! Das größte Kompliment habe ich übrigens von
einem gehört, der damals wirklich dabei war: Ja, so war’s!
Der Comic ist im Din-A5-Format ein echter Schinken und in mehrere Teile aufgeteilt. Die Zeichnungen sind persönlich. Es gibt nur die wichtigen Details, es ist also sehr reduziert und auch auf Farbe hat der Künstler verzichtet (was besonders ungewöhnlich ist, handelte es sich doch ursprünglich um einen Webcomic). Die Seiten sind entweder klar strukturiert oder bilden überlappende Bilder, die ein Ganzes ergeben.
Für alle, die mit der Thematik nicht so vertraut sind gibt
es ein ausführliches Glossar mit Erklärungen zu allen Feinheiten und einen
Soundtrack mit passender Musik.
Dieser Band sollt in keinem Comicschrank fehlen, wenn es um
Comics aus Deutschland geht, um Musik oder Subkultur oder einfach auch nur um
den Spaß in der Jugend.
Ich empfehle dazu ein Guinness und die letzte Scheibe des zu
früh verstorbenen Rankin‘ Roger mit The Beat: Public Confidential.
Hugo
Pratt ist einer der bekanntesten Comicschaffenden
Europas, gleichzeitig sperren sich viele seine Werke der einfachen Rezeption.
Ende der 60-er Jahre wurde in Italien mit Sgt. Krk ein Comic-Magazin
ausschließlich zu dem Zweck, Pratts Werke
publizieren zu wollen, gegründet. In den 70-ern veröffentlichte Pratt Millionen-Auflagen in Frankreich
und Italien und war gleichzeitig der einzige Autor, dessen Geschichte im
damaligen ZACK noch während des Abdrucks des ersten Bandes von Corto Malteses Südseeballade abgebrochen
werden musste.
Aktuell sind sowohl bei Schreiber & Leser mustergültige Ausgaben von Corto Maltese (in Schwarz-Weiß und in Farbe) und anderen Titeln aus der Zeit in Italien als auch z.B. beim avant-VerlagEternauta oder Ticonderoga aus seiner Zeit in Argentinien erhältlich.
Über den 1995 gestorbenen Ugo Eugenio Pratt ist bereits viel geschrieben worden, zuletzt über
die argentinischen Künstler Oesterheld,
Breccia, Munoz aber eben auch Pratt
in der Reddition 68.
Seine Autobiographie war aber auf Deutsch bisher nicht verfügbar.
Die Gespräche
Nun gibt es die Möglichkeit, ihn im
(übersetzten) Originalton kennen zu lernen. In Warten auf Corto erfahren wir, was der Autor seinem Freund Antonio de Rosa während einiger Autofahrten
1970 erzählt hat. War ursprünglich noch versucht worden, den Wortschwall irgendwie
aufzubereiten, entschied man sich nach einigen erfolglosen Versuchen, die 10 Tonbandspulen
zwar zeitlich sortiert, ansonsten aber unbearbeitet zu veröffentlichen. Mehr Original
geht nicht! Die Geschichten fordern den/die Leser*in aber auch, denn sie sind
nicht redaktionell geglättet, sondern sprunghaft, mal ernst mal angeberisch
aber immer authentisch.
In sechs Kapiteln berichtet der Autor von
seiner Jugend im faschistischen Italien und im italienisch besetzten Äthiopien,
seinen Kriegserlebnissen, seiner Überfahrt nach Argentinien und seinen dortigen
Erlebnissen mit Freund*innen, Kollegen und auch seinen Liebschaften.
Dr. Peter Pohl hat es übernommen, die Texte in das Deutsche zu übertragen. Im gelingt es ausgezeichnet, den erzählenden Menschen wiederzugeben. Man hört die Empathie, das Engagement und den Stolz aus den Zeilen heraus und ist fast mit in dem kleinen Fiat Millecento dabei.
Ergänzt wird der dritte Band der Texte zur graphischen Literatur durch
eine Unzahl von Skizzen Pratts und
Fotos und weiteren Abbildungen aus persönlichen Archiven. Der Text ist
ursprünglich 1971 erschienen, 1986 und 1987 wurde er neu aufgelegt. Jeweils
wurde neues Bildmaterial hinzugefügt und diese Veröffentlichung enthält nicht
nur alle Abbildungen der bisherigen Ausgaben, sondern noch weiteres Material
darüber hinaus! Dazu kommen noch eine Zeittafel und eine erneut überarbeitete
Bibliographie der Comics von Hugo Pratt
inklusive der deutschen Ausgaben.
Die Reihe
Volker
Hamann bringt, oft zusammen mit Matthias Hofmann, in seinem Verlag Edition Alfons nicht nur die
Magazine Alfonz und Reddition heraus, sondern mit den Texten
auch Monographien zu bedeutenden Meilensteinen der Neunten Kunst. Im Vordergrund
stehen dabei nicht wissenschaftliche Gründlichkeit, sondern populärwissenschaftliche
Verständlichkeit.
Wer sich mit den Hintergründen von Pratts Geschichten beschäftigen oder aber Eindruck in die Entwicklung des Zeichners von jugendlichen, pubertären Skizzen hin zu einem der bedeutendsten italienischen Künstlern der Neuzeit gewinnen möchte, wird an diesem Band nicht vorbeikönnen!
Dazu passen ein gut gekühlter Aperol Spritz
und als musikalische Untermalung die Geräusche der Stadt, die man hört, wenn
man auf dem Balkon sitzt und liest.