Gazzotti/Vehlmann – Allein 12

Allein 12 – Die Aufständischen von Neosalem

Text: Fabien Vehlmann
Zeichnungen: Bruno Gazzotti

Originaltitel: Seuls – Les Révoltés de Néosalem

Piredda Verlag

Hardcover | 48 Seiten | Farbe | 14,00 €
ISBN:978-3-941279-91-9

Cover Allein 12

Allein sein ist etwas, das niemand auf Dauer erleben möchte. Es bietet für Wortspiele Anlass, etwa zu zweit und doch allein, und es ist der Ausgangspunkt für Überlegungen, was man auf eine Inselmitnehmen würde, wenn man dort seine Tage allein zu verbringen hätte. Allein ist aber auch der Titel einer der besten aktuellen Serien aus dem frankobelgischen Raum. Mehr zu den Hintergründen hier.

Brot, Spiele und Rebellion

Natürlich haben auch Bruno Gazzotti und Fabien Vehlmann die klassische Geschichte studiert. Es gab genügend Diktatoren, die versucht haben, ihre Bevölkerung mit blutrünstigen Spielen abzulenken. Die (Stierkampf-)Arenen in Italien und Spanien erzählen noch immer davon. Auch in der Literatur (etwa Spartacus) und im Comic (etwa Mechanica Caelestium) sind entsprechende Szenarien weit verbreitet. Oft genug beziehen diese Beispiele ihren Reiz daraus, dass die Unterdrückten sich keineswegs mit ihrer Opferrolle abfinden, sondern aktiv versuchen, ihre Freiheit, zu mindestens aber ihre Würde wieder zu erlangen.

Allein 12 page 1

In diesem Setting bewegen sich auch die Aufständischen von Neo-Salem. Saul muss beweisen, dass er derjenige ist, auf den die Ältesten gewartet haben, denn nur dann kann er seine Herrscherrolle weiterspielen. Tatsächlich scheint er auch die notwendigen Kräfte zu besitzen, aber nicht kontrollieren zu können. Was läge also näher als das in Klassen separierte „Volk“ zunächst einmal abzulenken und einen Tabubruch dafür zu nutzen.

Dafür ändert Saul die Regeln der etablierten Spiele von Neosalem und erlaubt den Tod der Beteiligten. Bei einer eventuellen Wiedergeburt würden die eingebrannten Schandmale der 8. Klasse nicht mehr sichtbar sein und eine Wiederaufnahme in die 7. Klasse garantiert. So könnte schließlich auch weiterer Klassenaufstieg realisiert werden. Ärgerlich ist nur, dass die Wiedergeburt keinesfalls sicher ist. Und natürlich gibt es noch ein zweites, geheimes Ziel, denn Saul möchte vor allem Leyla ausschalten.

Wie der Titel schon verrät gibt es aber selbst in Neosalem eine Gruppe von Aufständischen, die nicht länger gewillt sind, die Willkürherrschaft zu erdulden. Es reift der Plan, die Spiele für einen Aufstand zu nutzen.

Brillantes Artwork

Allein 12 page 3

Was mir bei dieser Serie ganz besonders gefällt ist der Widerspruch zwischen den auf den ersten Blick sehr freundlichen Zeichnungen und dem teils heftigen Inhalt! Da die handelnden Figuren Kinder sind und der Stil der Marcinelle-Schule folgt, wirkt Allein oberflächlich fast wie ein Semi-Funny. Tatsächlich trachten sich die Akteur*innen aber nach dem Leben, enthält die Story viele Horror-Elemente und ist dystopisch angelegt.

Bruno Gazzotti hat schon eine andere (lesenswerte!) Serie im semi-realistischen Stil über einen Polizisten, der sich wegen der Ängste seiner Mutter als Priester verkleidet aus dem Haus schleicht, gezeichnet: Soda. Seit 2006 arbeitet er an Allein. Seine Bilder sind nicht nur Momentaufnahmen und Umgebung für die Sprechblase, sondern erzählen eigene Geschichten. Sie enthalten so viel Emotionen, Bewegung und Kontext, dass es sich lohnt, die Bände mehrfach zu lesen.

Da Fabien Vehlmann auch genügend Sub- und Parallel-Plots in den Bänden unterbringt wird das mehrfache Lesen auch in dieser Hinsicht zum Genuss! Auf eine Sache möchte ich noch hinweisen: Beiden gelingt es eindrücklich, den Horror des zu schnell erwachsen werden Müssens darzustellen. Sei es der Umgang mit Angst, das der Gefahr stellen, die falsch oder richtig verstandene Romantik oder aber echte Freundschaft. Alle diese Punkte werden ständig in unterschiedlichen Konstellationen thematisiert und tragen viel zur unterschwelligen Grundstimmung des Unbehagens bei.

Allein 12 page 5

Die Empfehlung

Allein ist jetzt wieder komplett lieferbar und würde sich in jeder Sammlung gut machen! Wer bisher schon reingeschnuppert hat, sollte auf jeden Fall am Ball bleiben und sich auch den aktuellen Band zulegen. Für alle anderen sei kurz erwähnt, dass es bisher drei (aufeinander aufbauende) Zyklen gibt, die sich an den unterschiedlichen Farben der Nummerierung auseinanderhalten lassen. Der aktuelle 12. Band gehört zum dritten Zyklus und lässt sich auch ohne Vorkenntnisse lesen. Deutlich mehr Spaß macht es allerdings im Zusammenhang!

Schließen möchte ich mit einem kleinen Spoiler: In Kürze erscheint ebenfalls im Piredda-Verlag ein Making-of mit Zeichnungen und Texten rund um die Serie!

Dazu passen Die Toten Hosen mit Learning English, Lesson Two und ein belgisches Sauerbier/Geuze. Beides widerspricht auf den ersten Blick allen Erwartungen, entwickelt aber eigene Qualitäten.

© der Abbildungen Dupuis 2020 by Gazzotti, Vehlmann, 2021 Piredda Verlag

Orlando – Wonder Woman 13

Die wilde Jagd“ mit dem Jubiläumsheft 750

Story: Steve Orlando, Gail Simone, Greg Rucka, Scott Snyder u. a.
Zeichnungen: 
Bryan Hitch, Colleen Doran, Max Raynor, Jesus Merino, Nicola Scott u. a.

Originaltitel: Wonder Woman (2017) 82-83 & 750 – 753

Panini Comics

Klappenbroschur | 244 Seiten | Farbe | 26,00 €
ISBN: 
978-3-7416-2232-8

Cover Wonder Woman Sammelband 13

Wonder Woman ist eine der ältesten noch laufenden Superheld*innenserien und spätestens nach dem Blockbuster von vor ein paar Jahren auch wieder im Bewusstsein von Nicht-Nerds angekommen. Ursprünglich entwickelt wurde sie 1941 von dem Psychologen William Moulton Marston in Zusammenarbeit mit Max Gaines, dem späteren Gründer von EC-Comics. Ausschlaggebend war, dass es keine Superheldin gab, typisch weibliche Attribute also überhaupt keinen Platz in diesem Genre hatten.

Im Laufe ihrer 80-jährigen Geschichte wurde die Figur nebst ihrer Entstehungsgeschichte mehrfach überarbeitet. Geblieben ist ihr Status als Amazonenprinzessin und die Tatsache, dass Diana – so ihr richtiger Name – sowohl auf der Amazoneninsel Themyscira als auch auf der Erde unter Menschen leben darf. Die Unsterblichkeit der Amazonen hat sie allerdings verwirkt.

Detail Wonder Woman Sammelband 13

Der Kampf gegen Cheetah

Eine ihrer wiederkehrenden Hauptgegnerinnen ist Cheetah bzw. Dr. Barbara Minerva. Diese handelte jahrelang in unbedingtem Gehorsam gegenüber dem Gott Urzkartaga bis Wonder Woman sie davon hatte befreien können. Nun lebt sie in dem Wahn, diese Rettung vergelten zu müssen und Wonder Woman ebenfalls von dem Einfluss ihrer Göttin, Hera, zu befreien.

Nun wissen wir natürlich anhand einer ganzen Reihe von Beispielen (Conan, She, Buffy), dass es nicht ganz so einfach ist, Göttinnen zum Erscheinen zu bewegen. Cheetah versucht daher, Amazonen und auch Wonder Woman selbst in so ausweglose Situationen zu bringen, dass Hera schließlich auftauchen muss, um sie dann zu töten. Die wilde Jagd hat begonnen.

Detail Wonder Woman Sammelband 13

Kollateralschäden und neue Nazis

Aber auch in ihrem Alltag in Boston hat Diana mit Problemen zu kämpfen. Sie sieht es als ihre Aufgabe an, Schurk*innen zu vermöbeln und dingfest zu machen. Aus ihrer Sicht sind die dabei entstehenden Bruchschäden schlimmstenfalls eine lästige Begleiterscheinung. Die Stadt Boston sieht das aber anders und vermutet, dass viele Kämpfe gar nicht stattfinden würden, wenn die Superheldin nicht da wäre. Sie stellt daher Detective Nunes ab, um Diana zu überwachen und gegebenenfalls festzusetzen.

Das wäre normalerweise schon nicht schön, wird aber zum Problem, wenn sich eine mittelalterliche Schwertkämpferin in die Jetztzeit verirrt und mit ihrem Schwert um sich schlägt. Und dann wäre da ja auch noch Warmaster. Die Tochter von Naziterrorist*innen hat den Tod ihrer Eltern nicht verdaut und will sich an Wonder Woman rächen.

Detail Wonder Woman Sammelband 13
nur eine der Doppelseiten

Die Jubiläumsnummer 750

Jahrzehntelang hat DC seine Serien immer wieder neu gestartet. Man glaubte, dass hohe Nummern für Neueinsteiger*innen eher abschreckend wären. Dadurch vergibt man sich aber natürlich auch ein paar Jubiläen und so hatten bereits Superman und der Mitternachtsdetektiv ihre zusammengezählte 1000. Ausgabe. Auch diese Heldin hat eine faszinierende Nummer geschafft und die Zählung sprang von 83 auf 750! Wie immer bei solchen Ereignissen erlebt nicht nur die Hauptstory einen besonderen Lauf (siehe oben), es erscheint auch eine extra-dicke Ausgabe mit vielen Gastbeiträgen und noch mehr Variant-covern!

Da Wonder Woman hierzulande nicht in einzelnen Heften, sondern in Sammelbänden erscheint, hat man sich bei Panini glücklicherweise entschieden, alles in das Paperback zu packen. Es enthält daher acht zusätzliche Stories aus verschiedenen Wonder Woman Inkarnationen sowie eine immense Anzahl an Pin-Ups und Titel-Varianten. Gut gemacht!

Die Zeichnungen

Nicht nur die zusätzlichen Stories bringen unterschiedliche Interpretationen der Amazone in unsere Sammlungen; Nein, auch die regulären Hefte sind jeweils von anderen Künstler*innen gestaltet. Die Heldin wird dabei wirklich unterschiedlich dargestellt und gleitet mal eher in die realistische, mal eher in die zeichentrickartige Welt. Mir persönlich gefallen die Seiten von Max Raynor am besten. Auf jeden Fall ist es wahrscheinlich einmalig in einem Sammelband einer laufenden Serie 12 unterschiedliche Künstler*innen bzw. Teams vereinigt zu finden!

Detail Wonder Woman Sammelband 13

Die Wertung

Wonder Woman wurde lange Zeit unterschätzt. Tatsächlich ist sie in ihrem Ursprung feministisch, lebt mittlerweile offiziell ihre Bisexualität aus und ironisiert ihr eigenes Kostüm. Damit ist sie zwar nicht die einzige moderne Heldin im amerikanischen Superhelden-Mainstream, aber doch weit vorne. Im Rahmen dieser Gattung sind die Themen erfreulich irdisch, auch wenn die Akteure göttlichen Ursprungs sein mögen und somit nicht nur für Hardcorefans. Gerade dieser Band ist auch für Neueinsteiger*innen gut geeignet, da er kaum Vorwissen erfordert und wegen der Jubiläumsstorys sogar noch einen breiten Überblick über die unterschiedlichen Facetten der Figur gibt.

Wer sich schon vorher für WW interessiert hat, muss allerdings zugreifen, denn diese Ansammlung an Illustrationen wird so schnell nicht wieder erscheinen (und wer möchte schon bis zur Nummer 1000 warten). Außerdem ist allein das Ausklappcover einen Blick wert!

Dazu passen The Yeah Yeah Yeahs und ein Weißwein mit geringem Säureanteil fast perfekt.

© der Abbildungen 2020/2021 DC c/o Panini Comics

Burrini – Das Leben ist kein Ponyhof 4

Das Internet schlägt zurück!

Story: Sarah Burrini
Zeichnungen: Sarah Burrini

Edition Kwimbi

Hardcover | 144 Seiten | Farbe | 18,00 € |

ISBN: 978-3-947698-14-1

Wenn das Leben nicht nur aus Sonnenschein und Gänseblümchen besteht, sondern Herausforderungen und manchmal auch Rückschläge enthält, ist ein flapsiger Spruch meistens nicht weit entfernt. Oft lautet er „Das Leben ist kein Ponyhof“. Eigentlich drückt er nichts anderes aus als „Erwarte nicht zu viel, bleib realistisch und tu, was du kannst“. Genau in diesem Sinn ist auch der Titel für die Web-Comics von Sarah Burrini zu verstehen. Der erste Eintrag ihres Blogs datiert vom 4. Juni 2006 und seitdem erscheinen in loser Folge Strips, die oft einen semi-autobiographischen Touch haben.

Vor kurzem ist der vierte Sammelband mit gedruckten Strips erschienen: Das Internet schlägt zurück! Dieser enthält Comics aus den Jahren 2015 bis 2020. Sie sind anfangs noch als Strips angelegt mit 3 bis 4 Bildern in einer Reihe, wechseln dann aber zu Quadraten. Die ersten beiden Bände waren vor gefühlten Urzeiten noch bei Zwerchfell verlegt worden bevor Panini Comics übernommen hatte. Nach einer längeren Pause ist nun endlich Band 4 in der Edition Kwimbi erhältlich.

Die Vier-Bild-Erzählung

Ein Teil der Web-Comics befindet sich in der Tradition der Zeitungs-Tagesstrips. Es geht darum, die Leser*innen jedes Mal neu zu binden, sie mit einer guten aktuellen Geschichte zu überzeugen, gespannt auf die nächste Folge warten zu wollen. Je nach Genre kann das eine fortlaufende Story sein, eine tagesaktuelle Stellungnahme, situationskomisch oder – wie hier bei Sarah Burrini – in gewisser Weise autobiographisch. Dabei kommt es gar nicht darauf an, ob es „wirklich“ ist, es muss nur authentisch sein, also potenziell wirklich.

Die Heldin spielt sich selbst, hat aber Unterstützung durch Ngumbe, einem Elefanten, den Fungoiden El Pilzo, das Quotenpony Butterblume und Kevin-Asmodias, einem Nerddämon. Allein schon diese Zusammenstellung ermöglicht genügend Interaktion um Themen wie Weihnachten, Ferien oder Herbstanfänge zu behandeln. Die einzelnen Rollen sind so überzeichnet, dass sich jede*r Leser*in in einer der Protagonist*innen wiederfindet und mitschmunzelt.

Daneben gibt es selbstverständlich auch die Klassiker aus dem kreativen Alltag: der Ideenverlust, der Termindruck, die Präsentationsangst. Jede WG kennt die Spüle mit dem Abwasch von drei Tagen und die laute Musik trotz des eigenen Katers. Und da Sarah nicht nur Comics zeichnet, sondern diese auch liebt ist eine Superheldenparodie ebenfalls Bestandteil der Geschichten: Nerd Girl kämpft mit sich und der (männlichen) Umwelt.

Die Format-Explosion

Ende 2017 werden aus den Erzählungen im Tagesstreifenformat plötzlich Quadrate. Diese Umstellung verdoppelt einerseits den Platz pro Gag im Buch, erhöht aber auch die Flexibilität in der Darstellung. Sarah Burrini hat nun die Wahl, vier größere, quadratische Panels anstelle der bisherigen Rechtecke zu füllen oder auf zwei, teilweise sogar drei Streifen auszuweichen. Die Erzählung kann daher komplexer werden, ohne auf Folgen aufgeteilt werden zu müssen.

Ansonsten sind die Zeichnungen digital entstanden, wie es bei einem Web-Comic ja auch zu erwarten wäre. Dadurch stehen Filter und Techniken zur Verfügung, die anders nur schwer darzustellen wären, etwa Unschärfe. Die Emotionen der Handelnden und damit auch oft die Stoßrichtung der Pointe lassen sich im Übrigen fast immer aus dem Zusammenspiel von Augen und Mund entnehmen. Hier hat die Künstlerin einiges aus dem Manga übernommen.

Das Ende

Web-Comic-Schaffende haben es schwer! Das Internet wird immer noch von vielen als „kostenlos“ wahrgenommen und die Möglichkeit des Geldverdienens ist auf zusätzliche Inhalte, Fördermitgliedschaften oder eben auf Merchandise beschränkt. In diesem Zusammenhang steht natürlich auch dieses Buch, das mit Hardcover, guter Bindung und Lesebändchen gehobenen Erwartungen entspricht. Das Papier ist leicht glänzend, blickdicht und fühlt sich angenehm an und der Preis ist angemessen. Für alle, die mehr wollen, gibt es die Website.

Halt, fehlt da nicht noch was? Ja, denn das Leben ist kein Ponyhof ist seit Juni 2020 zu Ende! Es wird keine weiteren Folgen mehr geben, auch wenn natürlich weitere Comics von der preisgekrönten Autorin zu erwarten sind. Noch ein Grund mehr, um jetzt zuzuschlagen und sich die Einblicke in einen deutschen Alltag zu gönnen!

Dazu passen “The Final Parade” von The Mighty Mighty BossTones (und Freund*innen), gerne auch als Video, und eine spritzige Rhabarber-ProSecco-Mischung!

© der Abbildungen 2020 Sarah Burrini

ZACK 260

ZACK 260 (Februar 2021)

Herausgeber/Chefredaktion: Georg F. W. Tempel

Blattgold Verlag

Heft Din A 4 | 84 Seiten | Farbe | 7,90 €
ISSN: 1438-2792

2020 war schon fast Geschichte und es stand keine Wahl zur ZACK-Serie des Jahres an. Die Frage danach von comix-online in einem Interview mit Georg F. W. Tempel war ein Auslöser dafür, dass es sie jetzt doch gibt! Wer noch nicht teilgenommen hat, sollte dieses schleunigst hier nachholen! Zu gewinnen gibt es im Übrigen das ansonsten nur für Abonnent*innen erhältliche Michel Vaillant Spezial 1 mit Werbecomics des leider gerade verstorbenen Jean Graton. Außerdem dürfen wir uns schon mal auf einen weiteren Western im Sommer von dem aus Deutschland stammenden Martin Frei freuen!

Die Rückkehrer

Die von Jean Van Hamme und Alcante verfasste Serie Rani kehrt mit dem zweiten von bisher acht Bänden zurück auf die Seiten dieses Magazins. Ursprünglich hatte die Geschichte eine TV-Serie werden sollen, aber manchmal kommt es dann doch anders. Tatsächlich war diese zweite Erzählung bereits erhältlich als die Serie dann doch noch im französischen Fernsehen zu sehen war. Glück gehabt, denn Francis Vallès war die richtige Wahl für die bebilderte Umsetzung des Skripts. Jolanne, die uneheliche Tochter des Marquis de Valcourt, war in Band 1 zu Unrecht eines Mordes bezichtigt worden und hatte erfolglos versucht, zu fliehen. Ihr Halbbruder hatte es geschafft, das eigentlich ihr zustehende Erbe an sich zu reißen und Jolanne zum Tode verurteilen zu lassen.

Band 2 – Die Räuberin – beginnt nun mit einer Verlegung der Gefangenen zum Zwecke der Hinrichtung in einem offenen Gitterwagen zusammen mit einem weiteren Mithäftling. Während einer Übernachtung versucht der Polizeiinspekteur Laroche, Jolanne zu sexuellen Gefälligkeiten zu überreden und bringt damit die weiteren Ereignisse ins Rollen. Routiniert und spannend erzählte Geschichte mit teils brillanten Zeichnungen aus dem Frankreich des Jahres 1743. Mehr zu der History-Serie im Serienkompass, aber: Achtung Spoiler!

Und noch eine Serie kehrt zurück: Stephen Desbergs Thriller Empire USA mit dem etwas unspektakulären Titel 2.3! Jared versucht den letzten Tag seines ermordeten Expartners aufzuklären. Vermutlich hatte er sterben müssen, weil er etwas herausgefunden hat, was niemand erfahren darf. Der Comic spielt im Umfeld der nach der Systemwende in der UdSSR emporgekommenen Oligarchen. Viele von ihnen haben sich mit alten Seilschaften verbandelt und nicht alle sind sich grün. Griffo setzt das kühle Jetset und das ausschweifende Leben der High-Society genauso glaubwürdig um wie die brutale Gewalt, die zum Schutz der Privilegien eingesetzt wird. Auch dieses Szenario könnte durchaus die Basis einer Verfilmung sein – Mal sehen, wann die Streamingdienste Nachschub brauchen.

Die Fortsetzung

Im Januarheft hatte eine ungewöhnliche Reihe ihren ersten Auftritt im ZACK: Das Mädchen von der Weltausstellung wird jede Pariser Weltausstellung sowie zwei Sonderschauen als Anlass für einen Band nehmen. Den Anfang macht die erste von 1855. Einerseits geht es darum, die in Bezug zum Herrscher stehenden Toten mit einer Mischung aus Fake News und Ablenkung aus der öffentlichen Diskussion heraus zu halten, andererseits scheint es aber auch jemanden zu geben, der die Ausstellung sabotieren möchte. Die kleine Julie mit ihren hellseherischen Fähigkeiten steht im Mittelpunkt dieser Mischung aus Krimi und History von Jack Manini und Étienne. Eindeutig mehr als einen Blick wert!

Irgendwie auch hierhin gehören die Onepager und Streifen, die leicht übersehen werden können. Parker & Badger von Cuadrado versuchen sich mit allerlei Jobs über Wasser zu halten, scheitern aber meistens grandios. In diesem Heft geben die beiden den Babysitter. Tizombi von Cazenove und Maury handelt von den Abenteuern einer besonderen Clique auf einem Friedhof: Ein paar Zombies und ihre menschliche Freundin, das kleine Steak, vertreiben sich die Zeit mit Kinoabenden, All-you-can-eat-Orgien und schlechter Gesellschaft. Oft ein wenig neben dem guten Geschmack, immer aber herzerfrischend! Und dann gibt es noch den Vater der Sterne von Piquet und Seb, der ständig versucht, seine eigene Welt des Kampfes und der Siegesorientierung über die romantische, verspielte und ziellose Welt seiner kleinen Tochter zu stülpen.

Der Abschied

Giant von Mikaël ist meines Erachtens eine der besten aktuellen Graphic Novels. In ihr sind mehrere Themen miteinander verwoben: Der Aufschwung New Yorks mit seinen gigantischen Hochhäusern als Symbol und seiner gleichzeitigen Begrenzung auf wenige Gewinner, die breite, teils immer noch hungerleidende Masse der Arbeiter und ihre Konflikte, und am irischen Beispiel die zur Auswanderung führende Not der Bevölkerung, die alles hinter sich lassen muss um einen ungewissen Neuanfang in Amerika zu wagen.

Giant hatte sich nicht getraut, der Frau eines Kollegen von seinem Tod zu berichten und hatte ihr stattdessen in seinem Namen Briefe und Geld geschickt. Nun aber steht sie mit den kleinen Kindern vor ihm in New York und erwartet Antworten. Solidarität, Mut und der Zwang weiter zu machen bekommen so ein ganz anderes, persönliches Bild. Die in Erdfarben gehaltenen Bilder erinnern an alte Fotos, geben aber auch die wehmütige Stimmung perfekt wieder! Mehr als ein Kleinod.

Und sonst

Friedrich Engels wird meistens nur in seiner Kombination mit Marx betrachtet. Nun aber gibt es eine Graphic Novel über den Revolutionär und Unternehmer von drei deutschen Comicschaffenden. Michael Hüster präsentiert ein Interview und eine unveröffentlichte Seite!

Bernd Hinrichs ordnet den Band von Taschen über die gefährlichsten Comics der Welt in ihren historischen Kontext ein. Während in Amerika die bahnbrechenden Hefte aus dem EC-Verlag für kurze Zeit als die innovativsten Comics des Jahrhunderts gefeiert wurden, verschafften sich dort und auch hier Lautsprecher Gehör, die „unsere Kinder“ vor „Schmutz und Schund“ und „Verrohung“ zu beschützen vorgaben. Sehr lesenswerte Besprechung eines vorzüglichen Bandes, der hier zum Sekundärwerk des Jahres gekürt worden war.

Eine sehr abwechslungsreiche Mischung aus französischer und amerikanischer Vergangenheit sowie europäischer Gegenwart, Krimi, Abenteuer und Gesellschaftskritik, abgerundet mit spannenden Beiträgen, News und Rezensionen!

Auch musikalisch dazu eine kleine Zeitreise, zurück in die beginnenden 80-er: Die erste von Madness ist immer noch zusammen mit der ersten von The Specials ein Aufbruch in neue Zeiten! Perfekte Hintergrundmusik zu diesem ZACK und einem Hellen Bio-Bier aus der Finne Brauerei.

© der Abbildungen 2021 bei den jeweiligen Verlagen und Künstlern c/o Blattgold GmbH

Taymans – Caroline Baldwin GA 1

Sammelband 1 mit den Episoden 1 bis 4

Story: André Taymans

Zeichnungen: André Taymans

Originaltitel: Caroline Baldwin Integrale Vol. 1

Schreiber und Leser

Hardcover mit Lesebändchen | 240 Seiten | Farbe | 39, 80 € |

ISBN:  978-3-96582-047-0

Es gibt Krimis und Krimis. Die einen erzählen zum gefühlt millionsten Mal eine bekannte Geschichte: Ein Mann hat irgendjemand umgebracht, wird von einem Polizisten gejagt und am Ende ist nach einigen Verwirrungen der Fall erfolgreich gelöst. Je nach Zeit und Medium gibt es dazu noch ein paar familiäre Probleme, Ärger mit Kolleg*innen und mehr oder weniger Gewalt.

Und es gibt solche, die anders sind, bei denen die Spannung erhalten bleibt, weil nachvollziehbare Charaktere versuchen, ihre Fähigkeiten sinnvoll einzusetzen und die möglicherweise auch gar nicht gut ausgehen. Letztere liebe ich und in diese Kategorie gehören die Abenteuer von Caroline Baldwin!

Eine Heldin, die es gar nicht geben sollte

André Taymans war Mitte der 90-er Jahre bereits ein bekannter Autor und Zeichner von Comics für Kinder, begann aber die Lust daran zu verlieren und wollte etwas anderes machen. Der genaue Verlauf der Odyssee von einer ersten Idee hin zu Moon River ist im Vorwort der gerade erschienenen Gesamtausgabe nachzulesen. Hier soll davon nur verraten werden, dass der Comic weder als Reihe geplant war, noch Caroline Baldwin die Titelheldin oder Hauptperson sein sollte. Egal, 1996 erschien Moon River als erster Teil einer neuen Serie, wurde für gut befunden und mittlerweile haben 16 weitere Teile das Licht der Verkaufsregale erblickt.

Band 1 erzählt die Geschichte eines depressiven ehemaligen Astronauten. Er verschwindet plötzlich obwohl er doch als Aushängeschild einer Firma zu einem wichtigen Vertragsabschluss hätte beitragen sollen. Da möglicherweise die Konkurrenz ihre Finger im Spiel haben könnte, beauftragt die Firma die Privatdetektivin Baldwin mit dem Auffinden und Zurückbringen des alten Helden. Die Heldin trinkt, hat wechselnde Partner und ist auch sonst manchmal eher depressiv unterwegs. Sie ist aber keineswegs bereit, klein beizugeben!

Gleich im Anschluss wird es noch politischer: in Kontrakt 48-A geht es um die Auswirkungen radioaktiver Strahlung und die nicht immer vorhandene medizinische Ethik. Taymans hat mittlerweile einen besseren Bezug zu seiner Heldin entwickelt und sie mehr in den Mittelpunkt gerückt. Sie bekommt einen sehr sympathischen Großvater, einen Erbfall und unsympathische Verwandte für den Hintergrund. Zudem hat sie über diese Linie indianisches Blut und daher auch nicht immer die Vorteile einer Weißen.

Tödliche Texte

Und dann schlugen wieder die Zufälle des Lebens zu. Während die ersten beiden Bände mit einem Umfang von 64 Seiten veröffentlicht worden waren, standen für die weiteren Folgen nur noch 48 Seiten zur Verfügung und Taymans musste das bereits begonnene neue Werk entweder stark kürzen oder ausweiten. Zum Glück für uns entschied er sich für das letztere und so entstanden die zusammengehörigen Nummern Der Tote im Pool und Showdown in Havanna.

Ein rechter Mob verbrennt erotische Romane an einer Tankstelle, kurze Zeit später schwimmt der Autor dieser Romane tot in dem Pool von Carolines Freundin. Als wäre das nicht genug, überrascht Caroline auch noch einen Einbrecher, kann ihn aber nicht überwältigen. Eine Spur führt in die Welt der Literatur mit Massenauflagen und Schreibblockaden. Die Lösung dieses Falls kann aus verschiedenen Gründen nur in Havanna liegen und so macht sich die Heldin auf in eine Stadt, die sich – zumindest hier im Comic – sehr farbig, aufgedreht und musikalisch, aber eben auch als sehr gefährlich präsentiert!

Die Zeichnungen

Caroline Baldwin ist hübsch, aber kein Model. Sie ist eigenwillig, aber nicht egozentrisch. Die Heldin ist depressiv, aber nicht unterzukriegen. Sie ermittelt selbständig, ist aber kein Mann. Und: sie ist sexuell aktiv, aber nicht gebunden. Für die damalige Zeit eine ganze Menge an Tabubrüchen und auch heute noch lange nicht selbstverständlich! Taymans hat für diese Frau und ihre Erlebnisse mit einer nur leicht modernisierten Ligne Claire das nahezu perfekte Stilmittel gefunden.

Sie ermöglicht Emotionen in der Darstellung, verlangt aber keinen Realismus. Hintergründe sind wichtig, wenn sie eine Aufgabe haben, können aber auch durchaus auf eine Farbe reduziert werden, wenn sie nicht ablenken sollen. Bewegungslinien erzeugen Dynamik und alles zusammen strömt eine nostalgische Note aus! Einige Figuren, wie etwa der Großvater, haben ihre Vorbilder in der Realität und den Zeichnungen ist anzusehen, wie der 1967 in Belgien Geborene sich langsam in die Handelnden hineinversetzen kann, sie liebgewinnt und ihnen Persönlichkeit gibt.

Natürlich gehört Caroline Baldwin mittlerweile mit einem eigenen Wandgemälde zum Stadtbild von Brüssel und wurde damit zurecht in die erste Reihe aufgenommen!

Der Tipp

Krimifreund*innen aufgepasst: Wer die Serie noch nicht kennen sollte, darf, muss vielleicht sogar einen Blick riskieren. Die Heldin wird sich noch weiter entwickeln und langweilig wird es definitiv auch weiterhin nicht. Die gleiche Empfehlung geht an alle Fans der klaren Linie, die Generation ZACK und an alle, die auch nicht Graphic Novels zusprechen, Personen entwickeln zu können.

Schreiber & Leser spendiert der Serie unter seinem Label Alles Gute eine Hardcoverausstattung mit allen Extras: durchlaufendes Rückenbild, Lesebändchen, Glanzlackapplikationen auf dem Einband und eine ausführliche redaktionelle Einleitung mit einer Unmenge an Illustrationen! Heutzutage geht der Blick oft genug zurück auf falsche Vorbilder oder Referenzen; diese Serie atmet zwar nostalgischen Charme aus, ist aber immer noch aktuell und die Freiheit fördernd!

Der Lockdown geht noch lange genug, also kontaktiert eure*n Lieblingsdealer*in und bestellt!

Dazu passt Brody Dalle, energisch und unangepasst, und Whiskey on the rocks.

© der Abbildungen 2017 Studio Caroline / André Taymans, 2017 BELG Prod. Sarl., 2021 Schreiber und Leser

R.I.P. Jean Graton

Der 1923 in Nantes geborene Jean Graton ist am 21. Januar 2021 in Brüssel gestorben.

Sein bleibender Beitrag zur europäischen Comicgeschichte ist Michel Vaillant, eine in 70 Alben veröffentlichte Reihe über einen Rennfahrer und seine Erfolge, aber auch über die Familie Vaillante, die u. a. Autos und Motorräder herstellt und vertreibt, daneben aber natürlich auch einen eigenen Rennstall hat(te). Sie waren geprägt von dem enormen Insiderwissen Gratons, der mit dem Rennzirkus eng vertraut war, und der Fähigkeit, dieses spannend darzustellen.

2004 hatte Jean Graton aufgehört zu zeichnen, Michel Vaillant ist mittlerweile modernisiert worden und erscheint in einer zweiten Staffel.

comix-online artist

In Deutschland hatte der Rennfahrer Michael Voss seine ersten Auftritt in MV-Comix bevor er unter seinem richtigen Namen das Aushängeschild des ZACK wurde. Zwischenzeitlich verantwortete Jean Graton auch einen Spin-off über eine junge Rennfahrerin Julie Wood.

Aktuell erscheinen die aktuellen Geschichten von Michel Vaillant in Deutschland im ZACK, die MV-Alben sowie ein Band mit Geschichten von Julie Wood im mosaik Steinchen für Steinchen-Verlag.

© der Abbildung 2021 Sven Krantz-Knutzen

Bonnet – USS Constitution 1

Band 1: Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand

Story: Franck Bonnet

Zeichnungen: Franck Bonnet

Originaltitel: USS CONSTITUTION 1 – LA JUSTICE À TERRE EST SOUVENT PIRE QU‘EN MER

Splitter Verlag

Hardcover | 64 Seiten | Farbe | 16,00 € |

ISBN: 978-3-96219-587-8

Majestätische Schiffe, unbeherrschbare Natur in ihrer ganzen Schönheit und Grausamkeit, monatelang andauerndes Eingesperrtsein auf einem sehr begrenzten Raum und die ständige Gefahr, angegriffen zu werden. Genügend Versatzstücke also, um daraus eine spannende Geschichte auf hoher See zu weben! Immer wieder erscheinen Abenteuer rund um die Seefahrt, oft aus dem Subgenre der Piratenerzählungen.

Familiengeheimnisse und weite See

Obwohl auch hier Piraten Teil der Story sind, ist die Perspektive doch eine andere. Zwar gibt es das namensgebende Kriegsschiff, die USS Constitution, nur aufgrund einer Bedrohung der amerikanischen Handelsflotte durch Piraten. Der früher gewährte Schutz durch die englische Royal Navy war nach der Unabhängigkeit Amerikas teilweise sogar durch eine gewisse Bedrohung ersetzt worden, und Amerika hatte eine eigene Kriegsflotte in Dienst zu stellen. Dabei ging es insbesondere um die Bekämpfung der Piraterie der Barbareskenstaaten im westlichen Mittelmeer. Das Schiff und seine Reise im Jahre 1803 von Boston in das Mittelmeer ist aber nur ein Hintergrundgeschehen für die Erlebnisse des jungen Fähnrichs Pierre-Mary Corbières.

Der nun 16-jährige hatte als Kind eine Ausbildung auf der Militärakademie bekommen und geht, nach dem Tod von Mutter und Großmutter, erstmals auf große Fahrt. Er stammt nicht aus einer reichen Familie ab und mag sich auch sonst nicht so recht an die Zwei-Klassen-Gesellschaft auf Deck zwischen Offizieren und Mannschaft einpassen. So freundet er sich mit einem Matrosen an und verbringt seine Freizeit lieber mit diesem als mit seinen Kollegen. Allerdings wird nicht nur seinem Freund, sondern auch seinem ärgsten Feind unter den jungen Offizieren klar, dass Pierre-Mary noch etwas anderes verbirgt.

Franck Bonnet ist für Zeichnungen und Szenario zuständig. Er kann daher optimal das Tempo variieren und sich Zeit lassen für die Darstellung der Schiffe und ihrer Aufbauten. Eine weitere Vorliebe von ihm ist, das Alltagsleben auf den Schiffen zu beschreiben: Sei es auf Wache, während der Freizeit oder unter Deck. Damit ist er sicherlich in der Tradition der alten Jugendmagazine in denen Albert Weinberg, Jean Graton oder Jean-Michel Charlier den Leser*innen Technik erklärt haben. Dazu passt auch das beigefügte Glossar mit maritimen Begriffen. Nicht zuletzt hat er auch schon eine große Erfahrung mit diesem Thema aus anderen Serien.

Die Zeichnungen – mehr als Wind und Wellen

Natürlich erwartet man bei einem Titel, der den Begriff hohe See in sich trägt, Wind und Wellen. Bonnet lässt uns auch die Weite des Meeres spüren. Verfolgungsjagden können nicht durch den Einsatz von Motoren beeinflusst werden, sondern benötigen das geschickte Ausnutzen der eigenen Stärken am Wind. Der Zeichner schafft es, einerseits die Kommandostrukturen und daraus resultierende Arbeiten zu visualisieren, andererseits auch das tägliche Gleiten und damit beide Seiten des maritimen Alltags darzustellen.

Dazu kommen die Ansichten der Segelschiffe mit oder ohne gesetzte Segel auf dem weiten Wasser oder im Hafen, die nostalgische Gefühle hervorrufen können. Nicht umsonst sind Windjammerparaden heutzutage eine riesige Touristenattraktion! Bonnet kann aber auch Personen in einem städtischen oder ländlichen Umfeld glaubhaft darstellen. Dazu bieten einerseits die Rückblicke auf die jeweiligen Vergangenheiten Möglichkeiten, andererseits gibt es auch einen ausführlichen Landgang in Tanger. Dieser spielt vielleicht etwas zu stark mit Vorurteilen.

Das Layout kommt sehr klassisch daher: rechteckige Panels mit klarem Rahmen und grid-definierter Position. Die Zeichnungen können sich aber sehen lassen: Gesichter sind gut konturiert und Hintergründe fein ausgearbeitet. Wer das ZACK mag, wird hier begeistert sein.

Die Empfehlung

Wer bei dem Titel nur an maritime Abenteuer und Schlachten denkt, greift hier sicherlich zu kurz. Bonnet verwebt ein coming-of-age-Szenario mit den Themen der Identitätsfindung und Freundschaft mit dem Leben auf See und der militärischen Organisation, die notwendig ist, um vor dem Feind bestehen zu können. Aufgrund der Überlänge ist auch genügend Zeit gegeben, die Personen und ihre Verhältnisse zueinander zu entwickeln und die Geschichte trotzdem voranzutreiben. So werden die typischen Probleme einer ersten Folge geschickt umschifft.

Splitter hat dem Ganzen einen perfekten Rahmen gegeben: Überformat mit gutem, stabilem Papier und Hardcover sind ja schon Tradition. Eine auf die geschichtlichen Hintergründe eingehende Einleitung und ein Glossar mit maritimen Begriffen erleichtern den Einstieg in die Welt der Seefahrt, stören aber alte Seebären überhaupt nicht. Gut gemacht! Eigentlich fehlt jetzt nur noch ein beigelegtes Poster mit einem der vielen tollen Panels aus dem Comic!

Beim Thema Seefahrt kommen als Getränk eigentlich nur die tägliche Portion Rum oder das widerstandsfähige India Pale Ale in Frage. Dazu passt Musik von den Bucaneers, auch wenn etwas zu Irish.

© der Abbildungen 2020 Editions Glénat by Franck Bonnet – Tous droits réservés / Splitter Verlag GmbH & Co. KG · Bielefeld 2020

Interview mit Pippo von Schreiber & Leser

Eindrücke aus dem Verlagsalltag, Corona und Ausblick auf 2021

Der Verlag Schreiber & Leser aus Hamburg ist mit mehreren Titeln unter den meistgelesenen Beiträgen vertreten und hat sich auch in der Jahresbestenliste 2020 prominent platzieren können. Es wurde daher dringend Zeit, den Verlag ein wenig genauer vorzustellen und wie könnte das besser geschehen als jemand aus dem Verlag selbst zu befragen. Pippo ist derjenige, der dafür sorgt, dass alles läuft und hat comix-online gut gelaunt Rede und Antwort gestanden. Aber lest selbst:

c-o: Hallo Pippo, könntest du dich / ihr euch und den Verlag Schreiber & Leser für die Leser*innen von comix-online kurz vorstellen?

Gerne. Ich sage ja immer, dass Schreiber und Leser nicht unangefochten der älteste deutschsprachige Verlag sein mag, der speziell Grafische Literatur für Erwachsene Leser*innen herausbringt, denn etwa der einstige Feest Verlag und das ebenfalls nicht mehr existierende Carlsen-Verlagslabel Edition ComicArt entstanden ungefähr gleichzeitig direkt Anfang der 1980er, aber S&L ist in diesem Programmbereich definitiv der langlebigste Verlag. Der erste Splitter Verlag, Salleck Publications oder der Reprodukt Verlag starteten schließlich erst um 1990 herum, der Dino Verlag, der die ersten dezidiert erwachsenen US-Comics im großen Stil rüberbrachte, sogar noch etwas später, und mit den Manga ging es ja erst kurz vor der Jahrtausendwende richtig los in Deutschland. Man möge mich hier aber gerne auch in allen Punkten oder teilweise korrigieren

Das jedenfalls steht aber fest: Seit den Anfängen konzentrierte man sich bei S&L, namentlich die heutige Senior-Verlegerin und Max-und-Moritz-Preisträgerin Rossi Schreiber, auf europäische Comic-Lizenzen. Bis heute auch ist man dem italienischen (u.a. Manara, Serpieri, Hugo Pratt) und besonders dem frankobelgischen Comic treu geblieben, auch wenn das Programm mit der Zeit um US-Indie-Comics von Künstlern wie etwa Terry Moore sowie um die frühen Manga von Jiro Taniguchi erweitert wurde. Superhelden- und High-Fantasy-Geschichten liegen (aktuell) nicht im Fokus, aber darüber hinaus kennt das S&L-Programm keinerlei Einschränkungen: Uns ist nur wichtig, dass die Geschichten spannend und zeitgemäß bzw. bestens gealtert sind. S&L geht also, natürlich im krassen Gegensatz zu allen anderen Comic-Verlagen auf der Welt, ganz nach dem Motto vor: Qualität statt Masse. Das zeigt sich auch schon darin, dass wir im Monat nur sehr selten mehr als 2-3 Titel veröffentlichen.

Comics für Erwachsene

c-o: Ihr macht Comics für Erwachsene, definiert das aber anders als andere Verlage. Gibt es ein Bindeglied zwischen Serien wie Druuna oder Venus H. auf der einen und den Geheimnisvollen Städten oder Lincoln auf der anderen Seite?

Definieren die anderen Verlage das anders? Nach meinem Verständnis gibt es im Bereich der Grafischen Literatur (und wahrscheinlich der Unterhaltungsliteratur insgesamt) nur Geschichten, die sich im Spektrum zwischen All-Age-tauglich und nicht All-Age-tauglich bewegen, und wir sind mit unseren Titeln eher nicht so All-Age aufgestellt: mal aufgrund der expliziten Darstellungen von Erotik oder Verbrechen, mal aufgrund der verhandelten Inhalte, die eine gewisse Lebenserfahrung voraussetzen, um alle Nuancen zu verstehen, mal aufgrund ironischer oder anderer literarischer Verweise, die ein jüngeres Lesepublikum sehr wahrscheinlich noch gar nicht herausfiltern und erkennen kann. Da es aber zum Glück noch nie an Verlagen mangelte, die ganz bewusst All-Age-taugliche grafische Literatur herausbringen (der uralte Spruch, Comics seien nur für Kinder, kommt ja nicht von ungefähr), sehen wir da auch keine Dringlichkeit, unsere Expertise und unser nun schon viele Jahre gepflegtes Profil im Bereich der Erwachsenenliteratur komplett infrage zu stellen.

Corona

c-o: Das Jahr 2020 war geprägt von der Pandemie und Verschwörungstheorien und somit ganz anders als erwartet. Was ist bei euch anders gelaufen als geplant?

Als klar wurde, dass jetzt Stichworte wie „Lockdowns“ und „Veranstaltungsabsage“ zum Alltag gehören, haben wir erst einmal alles pausiert, was nicht zwingend zum Kerngeschäft gehört – eine Reaktion, die sicher auch bei vielen anderen Kolleg*innen zutreffen wird, denke ich. In den letzten Monaten war dann auch viel Kommunikation wichtig. Glücklicherweise durften wir aber rasch feststellen, dass wir unserer Philosophie treu bleiben können, keinen Trends zu folgen, sondern einfach auf gute, zeitlose Geschichten zu setzen. Es zeigte sich der große Wert unserer über Jahrzehnte gepflegten und gewachsenen Stammleserschaft, denn die Verkäufe blieben über das ganze Jahr 2020 stabil. Soweit ich das überblicke, teilen wir diese Erfahrung aber mit den meisten Comic-Verlagen, die ein klares Profil verfolgen und ebenso engagiert sind.

Publikumsverlage, die ein ganz breite Leserschaft ansprechen, hatten es da definitiv schwerer, da diese die Leser*innen teilweise gar nicht kennen und erst suchen und abholen müssen – wenn Geschäfte zu sind, niemand die Werbemittel mitnimmt, niemand das Marketing in den Schaufenstern sieht, haben diese Verlage natürlich ein massives Problem. Es hat sich in dieser Krise daher für uns noch mal in aller Deutlichkeit gezeigt, dass es durchaus seine Vorteile hat, als kleine Nussschale durch den großen Buchhandelsozean zu segeln statt als großer Verlagstanker, der ständig irgendwelche Bestseller- und Schnelldreherlizenzen durchboxen muss, um den ganzen Apparat am Laufen zu halten.

Aber das soll jetzt nicht respektlos klingen, denn Hut ab vor den Kolleg*innen, die in den Großverlagen arbeiten und mit Abstand größere geschäftliche Risiken eingehen als wir – aber solche Spekulationsakrobatik ist aber einfach nicht das Ding von S&L, auch wenn das heißt, das wir so definitiv nie Millionäre werden, wie die Kontoauszüge auch leider immer wieder beweisen

Ausblick auf 2021 – das Verlagsprogramm

c-o: Könnt ihr schon einen Ausblick auf das kommende Jahr werfen? Gesamtausgaben wie die Western von Serpieri und Corto Maltese sind (erstmal) abgeschlossen, was kommt jetzt? Worauf freut ihr euch am meisten?

Richtig, die zwei Serien der italienischen Comic-Legenden Hugo Pratt und Serpieri liegen jetzt abgeschlossen vor – mit den beiden sind wir aber noch lange nicht fertig! Von Serpieri etwa folgt im Sommer bereits der Auftaktband einer bibliophil aufgemachten Artbook-Reihe, u.a. mit Halbleinenumschlag und einem Sonderdruck in der kompletten Erstauflage. Der erste Band dieser Reihe mit dem Titel „West“ nimmt die Western Serpieris in den Blick, und was danach folgt, dürfte klar sein: mindestens ein Artbook von Druuna! Auch von Hugo Pratt gibt es noch ein paar Schätze zu heben, zuerst aber werden seine „Wüstensskorpione“ fortgesetzt, ebenfalls in der mittlerweile etablierten doppelten Ausführung, also einmal als Farbausgabe und dann als Klassiker-Ausgabe in Schwarz-Weiß: Der 2. Band ist für Mai 2021 geplant. Und wir hoffen natürlich, dass die beiden spanischen Erben von Pratt, der Zeichner Rubén Pellejero und der Szenarist Juan Díaz Canales, mindestens noch eine Fortsetzung von Corto Maltese abliefern.

Hier geht es zum Katalog

Es ist eigentlich immer unmöglich, das eigene Programm objektiv zu hierarchisieren. Wenn man etwas herausbringt, dann, weil man davon überzeugt ist, sonst würde man es nicht tun, vor allem nicht als Kleinstverlag. Aber so ganz persönlich gesprochen und wenn man mich zwingen würde, zumindest einen Titel hervorzuheben, dann würde meine Wahl aktuell fallen auf: Winczlav – 1. Vanko 1848! Das mag mit Blick auf die ganzen anderen Highlights im Programm 2021 vielleicht etwas überraschen, aber ich finde es einfach genial, dass die legendäre Largo-Winch-Serie jetzt ein Spin-off bekommt, das zumal die Vorgeschichte erzählt, dazu noch vom legendären Berthet gezeichnet, dessen Zeichen- und Erzählstil mich schon immer beeindruckt hat, und dann ist da noch das Comeback von Jean van Hamme. Wäre das nicht echt, man könnte es sich nicht ausdenken! Doch wer weiß, vielleicht wird dieser Ausflug den einen oder anderen Largo-Winch-Puristen auch total enttäuschen, ich aber freue mich schon enorm auf die deutsche Ausgabe und die Reaktionen der Leser*innen und bin da ganz optimistisch, dass das Dreamteam Berthet/van Hamme eine meisterliche Leistung abliefert.

Tops’n‘Flops

c-o: Für die Statistiker*innen unter uns: Welche Titel waren in 2020 Top? Und welcher Titel hat euch am meisten positiv oder negativ überrascht?

Wie erwähnt, verlief 2020 sehr stabil für uns, auch, weil wir von Experimenten oder irgendwelchen Panikreaktionen abgesehen haben, obwohl Letzteres sehr unserem Naturell entspricht hier in Hamburg. Weil aber alles so lief, wie noch vor Corona-Zeiten ausgemalt, muss man angesichts der schwierigen Umstände bei den klassischen Verkaufsstellen sagen, dass die Titel anscheinend sogar so stark waren, dass die Leser*innen mindestens einen Schritt mehr gegangen sind, um ranzukommen. Das beeindruckt uns aktuell nach wie vor und dafür sind wir allen Leser*innen da draußen sehr dankbar!

Um aber einmal zu den Zahlen zu kommen: Wie in den Vorjahren liegt die Durchschnittsauflage einer Publikation bei S&L mindestens im niedrigen 4-stelligen Bereich – einzige Ausnahme nach unten in den letzten Jahren nur die Klassik-Edition von Corto Maltese. Neben Neuauflagen von Corto Maltese, Largo Winch, Taniguchi-Manga und Bänden der Serpieri-Collection hat uns besonders die rasche 2. Auflage von „The End“ von Zep gefreut. Aktuell erscheint auch die 2. Auflage von „Shooting Ramirez“. Und wenn es so weiter geht, steuern auch „Mechanica Caelestium“, „Im selben Boot“ und der 1. Band von „Omaha the Cat Dancer“ auf eine 2. Auflage zu.

c-o: Vielen Dank! Möchtet ihr zum Schluss noch etwas mitgeben?

Im Internet steht meistens eigentlich nur Quatsch, glaubt also nicht alles, was ihr da findet!

© der Abbildungen 2021 Schreiber und Leser sowie die entsprechenden Lizenzgeber und Künstler*innen

Mora/Giménez – Dani Futuro 2

Wenn das Monster angreift

Story: Victor Mora
Zeichnungen: Carlos Giménez

All Verlag

Hardcover | 56 Seiten | Farbe | 15,80 € |

ISBN: 978-3-96804-022-6

Wie bereits zu Band 1 erwähnt ist der spanische Science-Fiction Klassiker Dani Futuro zurück auf dem deutschen Markt. Der All Verlag präsentiert erstmals alle Geschichten in acht einzelnen Hardcover, ergänzt mit weiteren Illustrationen und Interviews.

Die Geschichten in Band 2

Die titelgebende Geschichte Wenn das Monster angreift eröffnet den Reigen. Sie ist etwas besonderes denn nur zwei der Stories stammen nicht aus der Feder von Victor Mora und dieses ist eine davon: Luis Vigil Garcia war integraler Bestandteil der spanischen Science-Fiction Gemeinde und durfte sich auch an Dani beteiligen. Aufgrund einer notwendigen Reparatur nimmt die Galaktos eine Umlaufbahn um einen Asteroiden ein. Dani und iris erkunden den Himmelskörper und müssen feststellen, dass seine kleinen Bewohner*innen von einem Monster terrorisiert werden. Schnell finden sie heraus, dass es sich scheinbar um einen fehlfunktionierenden Kampfcyborg handelt.

Auch die totgeweihte Stadt ist ein wenig zukunftskritisch. Eine ehedem sehr florierende und wohlhabende Welt ist aufgrund wieder aufgebrochener vulkanischer Aktivität dem Untergang geweiht. Wie wir es auch heutzutage erleben dürfen gibt es immer irgendwelche Spinner die Veränderungen, seien sie noch so lebensnotwendig, als Eingriff in ihre „Rechte“ sehen und sich dagegen wehren.

Als wäre das noch nicht genug, stürzen Dani und Iris auf dem Planet der Vergangenheit ab. Es handelt sich um eine mittelalterliche Welt ohne Technik und der eine oder die andere mag sich das alte Star Trek-Wissen hervorholen: Einmischung in solche Zivilisationen führt immer zu kritischen Situationen.

Dazu gibt es wieder viele Titelbilder aber auch Hintergrundinformationen von Dr. Anselm Blocher, der auch Hinweise auf versteckte Referenzen gibt.

Das Artwork

Es gibt wahrscheinlich grundsätzlich zwei Reaktionen auf die Zeichnungen von Carlos Giménez: Ein kleiner Teil wird sagen, dass diese bunte, mit formen und Farben spielende und Regeln missachtende Kunst des Guten zu viel sei. Die (hoffentlich) größere Gruppe wird sich daran erfreuen und vor jedem Umblättern überlegen, was jetzt wohl kommen mag.

Trotz aller pessimistischen Zwischentöne sind die Zeichnungen optimistisch, Mut machend und Freude verbreitend! Der All Verlag hat sich mit der Kolorierung Mühe gegeben und viele Seiten liebevoll restauriert und das Resultat beweist, dass es sich gelohnt hat! Natürlich atmen diese Zeichnungen Zeitgeist, allerdings den gleichen, den auch etwa Valerian und Veronique anfangs verströmt haben und das ist ja nicht verkehrt. Während Raumschiffe heute sehr technisch aussehen müssen und ihre Funktion visualisieren, war damals viel mehr Flexibilität möglich.

Ein Cyborg kann daher gefährlich wirken und die Zähne fletschen, um gleich auf der nächsten Seite fast zu einem Blumenkind zu mutieren. Giménez bringt genau diese Wandlungsfähigkeit zum Ausdruck und nutzt Farben, Umgebung und Geschwindigkeit der Sequenzen, um Stimmungen zu transportieren.

Fazit

Muss man das haben? Ja, irgendwie schon! Als Science-Fiction-Fan sowieso, denn diese klassische Serie vermittelt ein Feeling, dass es heute so nicht mehr gibt. Wer spanische Comics mag wird auch zuschlagen wollen. Eine Graphic novel mit einer tiefschürfenden Auseinandersetzung mit der damaligen politischen Situation wäre undenkbar gewesen aber es finden sich auch hier sehr versteckte Andeutungen. Zudem atmet diese Serie den Geist des Übergangs aus den 60-ern in die 70-er. Es gibt keine Grenzenlose Zukunftsgläubigkeit mehr. Viele Ideen und Hoffnungen haben sich buchstäblich in Rauch aufgelöst und das Erwachen aus dem Rausch war manchmal schmerzhaft.

Nicht, dass hier ein falscher Eindruck entstehet: Dani Futuro ist keineswegs pessimistisch, aber die Serie ermöglicht zwischen den Bildern einen kleinen Blick auf die Frage, ob das alles so richtig ist, was passiert.

Ex Libris der Vorzugsausgabe

Natürlich ist selbst die normale Ausgabe wieder als Hardcover ausgeführt und handwerklich gut gemacht. Dazu gibt es wie immer eine auf 111 Exemplare limitierte Vorzugsausgabe mit signiertem Ex Libris.

Begleitend ein Maracuja-basierter Ipanema und guter alter Merseybeat von  Gerry and the Pacemakers (R.I.P.).

© der Abbildungen 1970 Victor Mora & Carlos Giménez, 2020 All Verlag

Van Hamme-Alcante-Vallès – Serienkompass Rani

Jolanne de Valcourt – Geächtet, verfolgt und unbeugsam

Texter: Jean Van Hamme, Alcante

Zeichner: Francis Vallès

Reihentitel: Rani

Verlag Deutschland: Blattgold (ZACK)

Verlag Original und Niederlande: Le Lombard

Aktuell 8 Bände von 2009 bis heute

Veröffentlichungsstatus in Deutschland: Band 3 ab März 2022 im ZACK

Cover Rani 2 als Magazincover

Die Serie

Rani sollte eigentlich eine Fernsehserie werden, konnte jedoch aufgrund von Umstrukturierungen im französischen Fernsehen nicht realisiert werden. Nun ist der Autor Jean Van Hamme ja aber kein Unbekannter im Comic-Business und so wurde das Skript von Alcante (d.i. Didier Swysen) umgeschrieben, der erste Band erschien 2009. Die TV-Serie konnte 2010 doch noch gedreht werden und erschien 2011, kurz nach der Veröffentlichung des zweiten Comics. Mittlerweile liegen acht Comic-Bände im französischen Original und in niederländischer Sprache bei Lombard vor.

Der Titel der Reihe ist eine Referenz auf eine in der Zukunft liegende Episode. Näheres dazu nur für die, die es genauer wissen wollen, unter dem Abschnitt Spoiler.

aus Rani 2

Als Zeichner konnte der Franzose Francis Vallès gewonnen werden, der mit Jean Van Hamme bereits an einem anderen TV/Comic-Hybrid zusammengearbeitet hatte: Hopfen und Malz. Das Paket aus dem aktuell wohl erfolgreichsten europäischen Szenaristen und einem geübten Zeichner versprach von Anfang an gute Unterhaltung und akribische Recherchen. Wenn auch die Verfilmung nach der ersten Staffel keine Fortsetzung erfuhr, die Comics erscheinen noch immer, haben die TV-Serie aber mittlerweile eingeholt:

BandOriginalNiederländische AusgabeDeutsche Ausgabe
1Bâtarde (2009)BastaardZACK 248251
2Brigande (2011)BandietZACK 260263
3Esclave (2012)SlavinZACK 273276
4Maîtresse (2013)Meesteres ZACK 289 292
5Sauvage (2015)Wilde 
6Condamnée (2017)Veroordeelde 
7Reine (2019)Koningin 
8Marquise (2020)Markiezin 
Cover Rani 1 als Magazincover

Eigentlich ist es unverständlich, dass eine Serie von Van Hamme nicht schon längst in Deutschland erschienen ist, verkaufen sich diese doch auch hierzulande nicht ganz schlecht. Tatsächlich hat sich aber noch niemand an Rani gewagt gehabt und so waren es Georg F. W. Tempel und das ZACK, die 2020 die Chance ergriffen haben.

Die Story

Wir schreiben das Jahr 1743. Die Geschichte beginnt im französischen Zentralmassiv. Die junge Jolanne de Valcourt ist die uneheliche Tochter des alten Marquis Charles de Valcourt, der sie als Tochter anerkennen wollte. Er wird allerdings von ihrem Halbbruder Philippe de Valcourt aus Habgier ermordet. Um seine Rivalin loszuwerden versucht Philippe, Jolanne an einen alten Lüstling zu verkaufen. Dieser infame Versuch wird begleitet von einem Akt des Landesverrats. Natürlich scheitert sowohl das eine wie auch das andere. Das hilft der jungen Heldin allerdings keineswegs denn sie wird zum Sündenbock auserkoren und muss ihr Zuhause fluchtartig verlassen.

aus Rani 1

Hier tritt nun das erste Mal ein Motiv auf, dass die Serie begleiten wird: die junge Frau ist in der Lage, sich aus einer fast ausweglosen Situation zu befreien und kann fliehen. Die Flucht ist aber selten von Dauer und führt zu einer erneuten Festnahme oder einer vergleichbaren Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Natürlich ist das dem TV-Serien-Konzept geschuldet, das noch viel mehr auf Cliffhangern basiert. Dementsprechend endet der erste und beginnt der zweite Band mit unserer Heldin in einem Gefangenentransport.

Ein weiteres, immer wiederkehrendes Motiv der Geschichte ist der Wunsch auf Rehabilitation. Immer wieder versucht Jolanne, Beweise für den Verrat ihres Halbbruders und des ich unterstützenden Polizisten Laroche zu finden und damit ihre Unschuld beweisen zu können. Doch selbst wenn einzelne Puzzlestücke in ihren Besitz gelangen müssen die äußeren Umstände eine Geltendmachung unterstützen.

aus Rani 1

Der klassische Gegensatz von Gut gegen Böse wird hier in einer Melange aus Mantel-und-Degen, Romantik, ferne Welten und Kulturen (Indien) und David gegen Goliath zelebriert. Das garantiert Spannung und Abwechslung!

Spoiler – bitte ggf. überspringen und bei DIE ZEICHNUNGEN weitermachen

Jolanne entkommt Laroche während des Transportes, trifft zunächst erneut auf den Engländer Craig Walker und wird dann Mitglied einer Bande von Gesetzlosen unter der Führung von Gabriel. Aufgrund eines Verrates aus Liebe wird sie erneut verhaftet. Sie schafft es, der Hinrichtung zu entkommen, indem sie sich unter der Identität einer anderen Gefangenen versteckt, wird allerdings nach Französisch-Indien deportiert.

Cover ZACK 275
ZACK-Cover zu Rani 3

Dort angekommen wird sie als Animierdame an die Besitzerin eines Bordells verkauft, hat aber einen sehr speziellen Kunden und ist daher privilegiert. Aufgrund dieser besonderen Ausgangslage schafft sie es, die Leitung zu übernehmen und für „ihre“ Mädchen bessere Verhältnisse zu schaffen. Mittlerweile haben aber auch Philippe und Laroche den Weg nach Indien gefunden und auch Gabriel ist als Galeerensklave dort eingetroffen. Seine Befreiung gelingt zwar, Jolanne muss deswegen aber ihre Stellung aufgeben.

Rettung naht in Form einer Heirat: Sie wird die (Maha)Rani, die Königin eines indischen Reiches und muss feststellen, dass das Land nicht nur an indischen Traditionen festhält, die den europäischen widersprechen, sondern auch zwischen die Fronten Englands und Frankreichs gerät. Erneut stehen Philippe und Craig auf unterschiedlichen Seiten und erneut wird ein Verrat begangen.

Erneut steht die Heldin vor den Trümmern ihrer Existenz und findet sich auf einem Schiff nach Europa wieder. Wird sich hier tatsächlich die drohende Hinrichtung noch einmal abwenden lassen?

Die Zeichnungen

Francis Vallès liefert grandiose Bilder ab: Landschaften und Innendekors gelingen ihm genauso gut wie die Figuren. Die Gewänder der Personen sitzen und fallen den Bewegungen entsprechend, selbst die Reitszenen sehen „richtig“ aus und die Gesichter haben Ausdruck. Wie oft denkt man beim Lesen eines Comics, dass der Zeichner die Gesichter irgendwie nur skizziert habe. Das ist bei Vallès anders! Auch der Seitenaufbau ist flexibel. Natürlich nicht wie bei einem amerikanischen Image-Titel, die Panels bleiben rechteckig, variieren aber in Breite und Höhe.

aus Rani 2

In der nun startenden zweiten Folge wird die Heldin häufiger unbekleidet zu sehen sein. Die mittellose junge Frau „ohne Herkunft“ ist einerseits immer wieder herrschsüchtigen, machtgierigen Männern ausgeliefert, die in Frauen ohnehin nur eine Ware sehen. Andererseits spielt sie aber auch immer wieder damit, dass Männer unvorsichtig werden, wenn sie glauben, dass eine Frau ihnen scheinbar freudig zu Diensten ist. So schafft sie es wenigstens teilweise, ihre Opferrolle taktisch zu wenden. Daneben gibt es aber auch eine romantische Substory, die sich über alle Bände streckt. Insofern haben alle diese Darstellungen ihre nicht voyeuristische Begründung.

Während die ersten beiden Bände in einem europäischen setting angelegt sind und die grandiosen Landschaften insofern wiedererkennbar sind werden die weiteren im Fernen Osten, in Indien spielen. Vallès schafft es aber, diese Umgebungen genauso selbstverständlich wirken zu lassen.

Die Einordnung

Die deutschen ZACK-Leser*innen können sich die nächsten Jahre auf eine tolle Serie freuen! In den Niederlanden ist das in gewisser Weise schon Vergangenheit: Die Serie liegt komplett als Softcover vor. Rani ist sicherlich nicht das beste aller Szenarien von van Hamme; die ursprüngliche Konzeption als TV-Spektakel erforderte es scheinbar manchmal, eine gewisse Unlogik einzubauen. Aber das ist schließlich bei den Drei Musketieren oder Zorro auch nicht anders und stört daher nicht wirklich.

aus Rani 2

Die Sparte Mantel-und-Degen hat nicht viele Heldinnen und schon das ist ein Argument für diese Serie. Rani ist kurzweilig, gut gezeichnet und durch das ständige Wechseln der Handlungsorte auch sehr abwechslungsreich im Dekor. Kurzum: Selbst als Albumreihe eine Empfehlung wert, als Bestandteil des ZACK durchaus eine Begründung, kein Heft zu verpassen!

Was passt zum Lesen einer in Fortsetzungen abgedruckten Geschichte? Es gibt immer mal wieder kleine Flaschen in Probiergröße, die als Set angeboten werden. Vielleicht steht ja ein solches mit Rotweinen bei euch eh auf der Liste – hier wäre eine perfekte Einsatzmöglichkeit! Dazu braucht es Musik von einer Frau, die sich nicht unterkriegen lässt und immer wieder aufsteht. Amy Winehouse passt wegen ihres zu frühen Endes dann doch nicht, aber Björk!

© der Abbildungen 2009 – 2020 Èditions du Lombard (Dargaud-Lombard S.A.) by Van Hamme, Alcante, Vallès / 2020 – 2023 Blattgold Verlag

error: Content is protected !!