Am 11. Mai 2019 ist Gratis Comic Tag

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Am zweiten Samstag im Mai freuen sich Comic-Liebhaber*innen in Deutschland besonders, denn an diesem Tag gibt es Geschenke! Schon zum 10. Mal findet der Gratis Comic Tag nun statt!

Der deutsche GCT ist eine der größten verlagsübergreifenden Kooperationen der hiesigen Buchbranche. Zahlreiche Verlagshäuser, von den Marktführern bis zur Independent-Schmiede, tun sich auch 2019 zusammen, um die Erfolgsgeschichte fortzuschreiben: 2010: ca. 150 Standorte und 170.000 Hefte; 2015: ca. 230 Standorte und 230.000 Hefte; 2017: ca. 320 Standorte und 380.000 Hefte; 2018: ca. 420 Standorte und 1/2 Million Hefte. 2019 nehmen ca. 450 Standorte teil und die Gesamtauflage hat die Marke von über 600.000 Heften geknackt.

Viele Händler planen an diesem Tag besondere Aktionen, Signierstunden oder Gewinnspiele – Schaut einfach mal wieder bei eurem Lieblingsladen vorbei. Die Liste aller teilnehmenden Locations findet ihr hier: www.gratiscomictag.de/haendlersuche

In diesem Jahr gibt es sieben Hefte speziell für Kids und 27 Publikationen, die sich an ältere Leser*innen richten, erstmals zum Teil sogar mit 64 Seiten! Alle Titel gibt es hier: http://www.gratiscomictag.de/comics/

In Kürze werde ich hier den einen oder anderen Titel kurz vorstellen um euch ein paar Anregungen zu geben!

Paape/Greg: Luc Orient 1

Luc Orient Band 1 – Die Feuerdrachen

Story: Greg (Michel Regnier)
Zeichnungen: Eddy Paape

Originaltitel: Les Dragons de Feu

All Verlag

Hardcover | 68 Seiten | Farbe | 15,80 € |

ISBN: 978-3-946522-40-9

Cover Luc Orient 1

Der blonde, muskulöse Wissenschaftler und Abenteurer Luc Orient ist zurück. Sieben Jahre nach dem Erscheinen der mittlerweile vergriffenen Integral-Ausgabe bei Ehapa startet der All-Verlag eine Neuausgabe der Serie in 18 großformatigen Einzelbänden. Die Science-Fiction-Serie von Greg und Paape war eine der Hauptsäulen des klassischen ZACK und hat auch nach über 50 Jahren noch ihre Reize!

War der die ersten fünf Teile umfassende Zyklus noch stark von Flash Gordon beeinflusst, sollte sich die Serie im Laufe der Zeit zu einer der bekanntesten und bedeutendsten frankobelgischen Science-Fiction-Serien entwickeln und die fast schon verschwundene Gattung zu neuer Blüte führen. Sie gehörte zu den ersten Serien die Greg nach seiner Übernahme der Chefredaktion von Tintin bzw. Kuifje in der „operation voltreffer“ startete und bewirkte einen stetigen Anstieg der Verkaufszahlen des Magazins.

Detail Luc Orient 1

Die Feuerdrachen ist erstmals 1967 im Magazin Tintin bzw. Kuifje veröffentlicht worden und begeisterte das deutsche Publikum bereits 1973 auf den Seiten des ZACK. Im Vergleich zu den bisherigen Ausgaben bei Bastei, Carlsen oder Ehapa ist die aktuelle aus dem All-Verlag aber bei weitem die Schönste! Dazu tragen nicht nur das größere Seitenformat sondern auch der handwerklich schöne Hardcovereinband mit dem grafisch ansprechenden Reihenlayout bei. Zusätzlich hat jeder Band noch einen ausführlichen redaktionellen Teil mit einem Text von Volker Hamann und einer großen Anzahl von zusätzlichem Bildmaterial. Als Gimmick gibt es in deutscher Erstveröffentlichung über die Reihe verteilt einen 17-teiligen Werbecomic von Eddy Paape aus den 70-er Jahren mit Val Sparkling.

Es ist übrigens auch eine auf 111 Exemplare limitierte Vorzugsausgabe mit nummeriertem ExLibris erschienen.

Kurz zum Inhalt der Geschichte: in einem abgelegenen Teil des Dschungels findet einer der ausgesandten Männer endlich ein unbekanntes Metall, das die Sagen über die drei Sonnen und den Feuerdrachen zu bestätigen scheint. Der Expeditionsleiter möchte das Material sofort Hugo Kala, dem Leiter des Labors „Eurocristall“ überbringen, stirbt aber kurz nach der Landung aufgrund der radioaktiven Strahlung. Kala, sein Mitarbeiter Luc Orient und die Assistentin Lora Jordan machen sich auf in den Dschungel und werden von Kalas Widersacher, dem bösen Dr. Argos und seinem Gorilla Toro verfolgt.

Detail 2 Luc Orient 1

Am Fundort angekommen werden sie von den dort lebenden Ureinwohnern empfangen. Sie behandeln die Drei sowie den dazu gestoßenen Toba mit einer chemischen Droge, die sie nicht nur gegen die Strahlung des seltsamen Metalls immun werden lässt sondern auch bewirkt, dass sie die Sprache des Stammes verstehen. Der Stamm möchte ihnen helfen wenn sie im Gegenzug von dem Feuerdrachenbefreit werden. Natürlich sind Toba und Luc in der Lage, das Untier, einen stark vergrößerten mutierten Liger, zu töten. Damit beginnt das Abenteuer aber erst, denn sie entdecken nicht nur die Drei Sonnen aus der Legende sondern auch zwei Außerirdische, die vor hunderten von Jahren mit ihren Raumschiffen auf der Erde gestrandet sind…

Bei der Story von Greg handelt es sich zunächst um eine relativ bekannte Grundidee. Neu für die frankobelgische Comic-Welt ist, dass die Geschichte von Anfang an über mehrere Alben konzipiert wurde und dass die Leser des Magazins nicht nur ein oder zwei Seiten pro Woche vorgesetzt bekamen, sondern Kapitel unterschiedlicher Länge, die jeweils einen Abschnitt aus der längeren Handlung abschließend aber mit Cliffhanger beinhalten sollten. Dieses Konzept verfing und wurde von vielen anderen Magazinen, nicht zuletzt dem ZACK, bis heute übernommen. Greg betätigte sich dabei nicht nur als Chefredakteur sondern auch als Szenarist einer Vielzahl von Serien Bruno Brazil (demnächst ebenfalls neu beim All-Verlag), Comanche (Splitter) oder Andy Morgan (Carlsen) sollten noch in den Siebzigern Lesern in Frankreich, Belgien, den Niederlanden und nicht zuletzt Deutschland in ihren Bann ziehen.

Edouard Paape, genannt Eddy, hatte in Spirou schon die eine oder andere Kurzgeschichte oder Mithilfe an größeren Serien abgeleistet und mit Marc Dacier auch seine eigene Figur entwickelt, war aber trotzdem unzufrieden. Mit dem Wechsel zu Tintin und der Serie Luc Orient startete er seine bekannteste Arbeit der er 40 Jahre treu bleiben sollte. Sie wird in den späteren Jahren ein perfektes Beispiel für die Hochzeit der frankobelgischen Comic abgeben: interessantes Layout, detailverliebt und doch actionreich und deshalb auch immer noch lesenswert!

Detail 3 Luc Orient 1

Wer sollte sich die Serie zulegen? Wer vor einigen Jahren die Integralausgabe verpasst hat, sollte jetzt unbedingt zuschlagen: Das Format und die zusätzlichen redaktionellen Seiten lohnen sich selbst dann, wenn die Integral-Bände schon im Regal stehen.

Wer intelligente SF mag, liegt hier richtig! Ja, die ersten Bände sind an Flash Gordon orientiert aber kein Abklatsch und die ganz abgedrehten englischen SF-Romane haben sich in eine andere Richtung entwickelt. Aus heutiger Sicht sind die Geschichten um Luc, Lora, Kala und Toba aber immer noch lesenswert.

Dazu passen Space Oddity von David Bowie und grüne Wiese !

© der Abbildungen 2019 All-Verlag, Wipperfürth

Störtebeker – Klassiker des Monats März

Störtebeker – Freunde und Feinde

Story: Patrick Wirbeleit
Zeichnungen:
Kim (Schmidt)

Originaltitel: Originalausgabe

Carlsen Comics
Taschenbuch | 96 Seiten | Farbe | 6,00 € (vergriffen)
ISBN:
3-551-77531-1

Cover Stoertebeker

Zu Beginn der 2000-er Jahre war es en-vogue für die großen deutschen Comic-Verlage, deutsche Autor*innen und Zeichner*innen im Programm zu haben. Die Geschichte über die erste Fahrt des jungen Störtebeker und seine Begegnung mit seinem Komplizen und Freund Gödeke Michels ist eine der ersten Comicveröffentlichungen des Lüneburgers Patrick Wirbeleit. Die Zeichnungen stammen von dem Flensburger Kim Schmidt, der damals schon länger im Geschäft war. Die beiden Norddeutschen bringen das richtige Lokalkolorit mit um den unzähligen Erzählungen über den wohl bekanntesten deutschen Vitalienbruder ein neues Kapitel hinzuzufügen.

1394 wurde der Name Störtebeker erstmals aktenkundig als Pirat. Er war einer der gefürchtetsten Männer auf Nord- und Ostsee zunächst im Kampf der Mecklenburger Städte Wismar und Rostock gegen Dänemark, später dann als einer der Anführer der sog. Likedeeler eine Gefahr für jedes Handelsschiff. Als solches ist er seit Jahrzehnten Teil der Pop-Geschichte.

Detail Steoertebeker

In diesem Comic im ungewöhnlichen Taschenbuchformat stiehlt der junge Klaus einem reichen Patrizier einen goldenen Siegelring, verschenkt ihn aber sofort wieder an ein junges Mädchen. Auf seiner Flucht aus Wismar heuert er auf einem Schiff an, rettet Gödeke Michels das Leben, verteidigt das Schiff gegen angreifende Dänen und tötet das erste Mal. In Stockholm werden die Gefährten gefangen genommen und treffen auf die Tochter eines Königs…

Von der Altersangabe her ist der Comic für Kinder ab acht Jahren. Inhaltlich wäre ich da etwas vorsichtiger. Obwohl verlagsvergriffen sollte der Band für ca 5 bis 6 Euro bei den einschlägigen Stellen kaufbar sein.

Patrick Wirbeleit ist in Deutschland eher durch seine Arbeiten für kleine Kinder – nämlich Pixi-Bücher und die Comics mit Kiste –  bekannt. Hier nimmt seine Geschichte etwas stärkere Fahrt auf und vermag durchaus altersgerecht zu fesseln.

Doppelseite Stoertebeker

Kim hat schon viel mehr Veröffentlichungen auf seiner Liste. Die bekanntesten sind sicherlich sein Comic-Zeichenkurs und die bei Flying Kiwi erschienenen Local Heroes! Er befindet sich immer im Grenzbereich zwischen Manga- und europäischem Einfluss und passt daher ganz gut zu diesem All-Age-Thema. Die Zeichnungen sind nicht von allerhöchster Qualität und auch der Seitenaufbau ist dem Format geschuldet nicht gerade innovativ. Trotzdem handelt es sich hier um gute und solide Durchschnittskost und damit genau um das, was in der Welle der Comics von Deutschen Autoren präsentiert werden sollte: Der Beweis, dass auch Comics aus deutschen Landen ein Recht auf Veröffentlichung haben. Im Endeffekt wurde das Ziel teilweise erreicht: Die Nationalität ist heute weniger entscheidend als früher. Es gibt aber nur wenige deutsche Künstler*innen, die dem Stress und den Anforderungen des Nicht-Independent-Marktes gewachsen sind. –Anderer Meinung? Nutzt die Kommentarfunktion!

Dazu passen altersgerechte Getränke wie Tee mit Zucker (oder auch Ice-Tea) und Slimes Störtebeker!

© 2004 Carlsen Verlag GmbH

Game of Thrones – Königsfehde 1

George R. R. Martin – Königsfehde 1 – Das Lied von Eis und Feuer

Story: Landry Q. Walker nach George R. R. Martin
Zeichnungen: 
Mel Rubi

Originaltitel: A Clash of Kings: The Graphic Novel: Volume 1

Panini Comics
Klappenbroschur | 192 Seiten | Farbe | 20,00 €
ISBN: 
978-3-7416-1234-3

Cover Koenigsfehde Teil 1

Alle sieben Staffeln von Game of Thrones zum wiederholten Male gesehen und die Bücher gelesen und trotzdem ist es noch nicht Mitte April? Was soll man bloß tun, um die Wartezeit bis zur finalen Staffel zu überbrücken? – Eine sehr gute Idee könnte es sein, einen Blick in die bei Dynamite veröffentlichte Comic-Adaption von Walker und Rubi zu werfen! Der erste Teil des zweiten Originalromans Königsfehde ist gerade auf Deutsch erschienen! Neben der regulären Paperback-Ausgabe ist das Ganze auch als Hardcover für 29,00 € erhältlich.

Der erste Roman in der Umsetzung von Daniel Abraham und Tommy Patterson ist in 24 Folgen, verteilt auf vier deutsche Bände, zwischen 2012 und 2015 ebenfalls von Panini verlegt worden.

Landry Q. Walker gelingt es mit dem ersten Band von Königsfehde, eine eigenständige Version der hinlänglich bekannten Geschichte zu erzeugen. Er nimmt sich viel Zeit für die einzelnen Sequenzen und wechselt ständig zwischen den Schauplätzen. Naturgemäß sind viele Bestandteile des Romans in Regieanweisungen für den Künstler übertragen worden um die Texte entzerren zu können. Die Menge der lesend aufzunehmenden Information steht dadurch in einem guten Verhältnis zu dem grafischen Eindruck.

Detail Koenigsfehde Teil 1

In der Vergangenheit hat Walker bereits einige Serien unter anderem von DC oder Image geschrieben und auch mit Dean Coontz zusammengearbeitet. Mel Rubi hat ebenfalls schon eine lange Liste von Veröffentlichungen, hauptsächlich für Marvel und Dark Horse. Beide sind also im US-Markt zwar keine Superstars aber auch alles andere als Durchschnitt. In dieser Serie zeigen sie, warum.

Mel Rubi setzt das Szenario perfekt um. Es ist schwierig, sich den bildlichen Vorgaben der Megaserie von HBO zu entziehen, denn fast jede*r „kennt“ Tyrion, Cersei oder Jon Snow. Ruby ist mit seinen Zeichnungen viel näher am Original der Romane, schließlich muss er auch keine Schauspieler*innen finden, die der Beschreibung entsprechen. Seine Figuren sind aber immerhin nahe genug am Bild der TV-Serie um erkannt zu werden. Meiner Meinung nach sind die gelungensten Interpretationen Daenerys, die die Durchquerung de Wüste zu bewältigen hat, Tyrion, der seinen Posten als Hand des Königs gegen alle Widerstände zu verteidigen hat und in der Spinne Varys einen Freund findet sowie Arya, die auf ihrer Flucht vor König Joffrey mit dem Treck zur Mauer die Schrecken des Krieges kennenlernen muss. Alle Drei weisen deutliche Abweichungen zu ihrer TV-Erscheinung auf: Die Mutter der Drachen ist deutlich jünger und nach ihrer Feuerprobe auch ohne Haare, entwickelt sich aber zu der Anführerin, die später tatsächlich Anspruch auf den Eisernen Thron erheben wird. Der Zwerg ist sogar noch kleiner und verlebter, zeigt aber mit jeder Faser einen unbändigen Überlebenswillen und vor allem den Wunsch, Westeros zu dienen und das (Über-)Leben seiner Bewohner*innen vor die Interessen seiner Familie zu stellen. Arya schließlich war schon immer nicht die Hohe Tochter, darf aber hier zusätzlich das verängstigte, junge Mädchen sein, das gezwungen ist, hart zu werden um zu überleben.

Detail Koenigsfehde Teil 1

Auch die Rückkehr Theons auf die Eiseninseln und die Begegnung mit seinem Vater ist perfekt in Bilder gekleidet. Stannis Baratheon ist genau der sauertöpfische Widerling, den ich mir beim Lesen der Romane vorgestellt habe und Sam Tarly deutet an, dass er über sich hinaus wachsen wird…

Und es gibt noch einen Unterschied zu Buch und Serie: Der Comic lässt nicht aus, legt aber wesentlich weniger Wert auf die Darstellung von Gewalt oder Sex.

Falls jemand den Inhalt tatsächlich nicht kennen sollte: Der König des Landes Westeros ist tot und fünf potentielle Nachfolger kämpfen um den Thron. Gleichzeitig droht aus dem Norden eine neue Gefahr: Neben den sogenannten Wildlingen von jenseits der Mauer marschiert eine Armee von Wiedergängern unter dem Nachtkönig gegen das Reich der Lebenden. Und: in der Vergangenheit hatte ein Herrscherhaus insbesondere aufgrund seiner Drachen geherrscht. Mit der Tötung aller Drachen war auch die Macht des Hauses Targaryen gebrochen. Nun aber hat Daenerys, die letzte ihres Geschlechts, drei lebende Drachenjungen und versucht eine Armee aufzustellen, um ihr Reich zurück zu erobern. Während der Autor George R. R. Martin fünf Bände des Liedes von Eis und Feuer geschrieben hat, die die Grundlage der Fernsehserie bilden, sind die letzten Staffeln die Grundlage für noch zu schreibende Bücher.

Detail Koenigsfehde Teil 1

Für Fans von Game of Thrones ein Must-Have! Für alle Fantasy-Leser*innen, die es bisher irgendwie geschafft haben, dem Hype zu entgehen, ist jetzt die perfekte Gelegenheit, den Widerstand aufzugeben und einzusteigen. Und alle, die zwar den US-Stil mögen, die typischen US-Storylines aber eher nicht, sollten ebenfalls einen Blick riskieren. Hoffentlich darf dieses Team auch den nächsten Band umsetzen.

Wie bei Panini üblich, wird das Ganze natürlich mit dem Abdruck einzelner Originalcover abgerundet. Das Team hat sich dabei für die Dynamite-Abo-Variants entschieden die hier eher selten zu bekommen sind.

Dazu passen Rotwein (den guten Dornischen wird es hier allerdings nicht geben) oder die GoT-Sonderedition von Talisker und guter alter Rock’n‘Roll, etwa von Motörhead.

© 2019 George R. R. Martin, Panini Comics für die deutsche Ausgabe

Ost-West

OST-WEST – Beobachtungen von Pierre Christin

Story: Pierre Christin
Zeichnungen: 
Philippe Aymond

Originaltitel: Est-Ouest

Carlsen Comics

Hardcover | 144 Seiten | Farbe | 22 € |

ISBN: 978-3-96219-192-4

Cover Ost-West

Ost-West ist die autobiographische Geschichte des Comicszenaristen Pierre Christin. Mehr als drei Jahre hat der  mittlerweile 80-jährige zusammen mit dem Zeichner Philippe Aymond an dieser Graphic Novel gefeilt. Sie beginnt noch während des zweiten Weltkrieges mit der ersten Begegnung zwischen Christin und Jean-Claude Mézières, dem späteren kongenialen Partner der Valerian und Veronique-Reihe. Später sollten diese beiden sich in den USA wiedertreffen und eine lange Reise zusammen unternehmen.

Reisen, nicht zu den touristischen Sehenswürdigkeiten sondern durch die weiten Landschaften und zu den kleinen Alltäglichkeiten, und sich verweigernde Transportmittel sind Konstanten in dem Leben Pierre Christins. Nach seiner Jugend in Frankreich, die durch Literatur und Liebe zu Jazz geprägt wird, nimmt er eine Stelle im Lehrkörper der Universität von Salt Lake City an. Dort lernt er einerseits viele Errungenschaften der Moderne kennen, erlebt andererseits aber auch den zugrundeliegenden Rassismus und die Verlogenheit der amerikanischen Gesellschaft aus erster Hand. Die auf den Reisen von diesem Basispunkt aus erlebten Eindrücke werden später die ersten gemeinsamen Abenteuer im Weltraum prägen. Mézières und Christin verbringen zunächst einige Zeit gemeinsam zu zweit. Später wird Pierres Familie nachkommen doch die beiden Freunde werden sich nie wieder aus den Augen verlieren.

Ost-West page 29

Während dieser Zeit entwickelt sich die Erkenntnis, dass Christins Begabung weder in der Musik noch in der Zeichnerei besteht. Ersteres wird zwar durchaus professionell als Mitglied verschiedener Jazz-Kapellen ausgeübt, aber es langt nicht zur Virtuosität. Letzteres wird nach einem Vergleich mit den Zeichnungen Girauds gar nicht mehr versucht. Immerhin beschließt der Franzose aber, es als Comic-Szenarist zu versuchen. Die ersten Gehversuche erscheinen noch unter Pseudonym um die universitäre Karriere nicht zu gefährden und Jean-Michel Charlier und René Goscinny leisten Schützenhilfe indem sie ein Beispiel eines Comicszenarios zeigen, aber schon bald entwickelt Christin seinen eigenen Stil und die ersten Werke, umgesetzt von Tardi und Mézières erscheinen.

Nach den Wirren der Revolte Ende der sechziger Jahre, dem Verlust des Glaubens an die Segnungen des amerikanischen Materialismus und der Erkenntnis, dass die östliche Lebenswirklichkeit nur durch eigene Erfahrung und Anschauung erkannt werden kann, bricht Christin erneut zu langen Reisen auf. Auf der anderen Seite des Vorhangs erlebt er andere Weiten, andere Begrenzungen und daraus angeleitete Wünsche, die der amerikanischen Lebenswelt einerseits total entgegengesetzt sind, andererseits in der Abstrahierung dann wieder ähnlich. Dazu kommen Pannen, die – wie Andreas C. Knigge in seinem Nachwort vermerkt – den Reisenden immer wieder aus seinen Träumen in die Wirklichkeit zurückholen.

Ost-West page 64

Neben den bereits erwähnten Comicschaffenden haben auch Annie Götzinger und Enki Bilal ihren Auftritt.

Alle geschilderten Abschnitte sind immer wieder mit Beziehungen zu den in der jeweiligen Zeit erschienenen Comics versehen, so dass wir als Leser*innen immer wieder eigene Leseerfahrungen und Erinnerungen mit den geschilderten Auslösern in Beziehung setzen können. Dadurch ist die Autobiographie viel näher am eigenen Leben als typischerweise wenn maximal äußere Begebenheiten das Leben des Akteurs und des Rezipienten verknüpfen.

Der Zeichner Philippe Aymond ist in Deutschland vor allem durch die Serie Lady S. bekannt. Nach dem Erscheinen einzelner Bände im ZACK-Magazin bzw. der ZACK-Edition wird die Serie jetzt komplett neu im ALL-Verlag erscheinen.

Ost-West page 103

Aymond variiert in seiner Seitenaufteilung zwischen ganzseitigen Illustrationen und zwei- bzw. dreireihigem Layout. Die Erinnerungen Christins sind als Textzeilen wiedergegeben die von Sprechblasen ergänzt werden. Der in Frankreich spielende, die westlichen und östlichen Reisen verbindende Teil ist teilweise in schwarz-weiß wiedergegeben. Die farbigen Panele sind mit einer gedämpften Farbpalette gezeichnet. Nie drängt sich dadurch ein  Detail in den Vordergrund, immer steht die gesamte Komposition im Blickfeld. Dabei beherrscht Aymond die in die unendliche Weite gehende Landschaft genauso gut wie die detaillierte fokussierte Nahaufnahme.

Abgerundet wird die durch das Hardcover sehr hochwertige Ausgabe durch einen mehrseitigen Beitrag von Andreas C. Knigge über eine Reise mit Pierre Christin in den Süden. Die beiden haben eine lange gemeinsame Geschichte und hatten unter anderem einen internationalen Sammelband mit Eindrücken zum Fall der Mauer und dem Ende der Sowjetunion herausgegeben. Dadurch werden noch einmal andere Zugänge zu Pierre Christin ermöglicht.

Dazu passen Kaffee und alter Jazz, etwa von Miles Davis, etwa das 1959 erschienene Kind of Blue.

© der Abbildungen 2019 Carlsen Verlag GmbH

Auguria 1

Auguria 1: Ecce Signum

Story: Peter Nuyten
Zeichnungen: 
Peter Nuyten

Originaltitel: Auguria 1: Ecce Signum

Splitter Verlag

Hardcover Überformat | 80 Seiten | Farbe | 18,80 € |

ISBN: 978-3-96219-192-4

Cover Auguria 1

Zwei klassische Themen des europäischen Comics erleben seit einigen Jahren ein unerwartetes Comeback: Neben dem Western gibt es auch immer mehr neue „Sandalen-Comics“. Der Niederländer Peter Nuyten ist in beiden zuhause. Nach dem dreibändigen Western Apache Junction erscheint nun mit Auguria 1 seine Interpretation der germanischen Aufstände gegen das alte Rom. Der Splitter-Verlag bietet beiden Szenarien eine Heimstatt in guter Gesellschaft.

Wir schreiben das Jahr 69 nach Christus. Der Imperator und Kaiser Nero ist seit etwas über einem Jahr verstorben und die Nachfolge ist umstritten. Verschiedenste Feldherren haben ihre militärische Macht benutzt um sich zu Caesaren ausrufen zu lassen und die Machtverhältnisse verschieben sich ständig. Intrigen und politische Ränkespiele nehmen ihren Lauf und die dem Römischen Reich eingegliederten fremdländischen Stämme werden einerseits wie Schachfiguren benutzt, erkennen andererseits aber auch Möglichkeiten, sich von dem Römischen Joch zu befreien.

Detail Auguria 1 page 34

Peter Nuytens Geschichte setzt genau hier an und erzählt von dem Versuch Vespasians, die germanischen Batavier als Hilfstruppen in seinem Kampf gegen Aulus Vitelius um die Kaiserkrone einzusetzen. Er benutzt einen erfolglosen militärischen Unterführer der Kämpfe in Judäa um den Anführer der Rheintruppen zu einer Rebellion anzustiften.

In einem zweiten parallelen Handlungsstrang geht es eher mythologisch zu. Die Prophetin Veleda hat in einer Vision die Zukunft gesehen; sie ist allerdings nicht unbedingt kompatibel zu den Vorstellungen des Wannabe-Kaisers. Dazu kommen dann noch ein paar Akteure, die einfach nur überleben wollen… Die Verquickung der unterschiedlichen Eben gelingt Nuyten sehr gut.

Detail Auguria 1 page 72

Netterweise wird der Comic durch ein paar ausführliche Hintergrundinformationen zur Geschichte der Bataver und des Zustandes des Römischen Reiches in der Nachfolge Neros ergänzt. Sicherlich gibt es den einen oder die andere Geschichtsleistungskursabsolvent*in mit eben diesem Spezialwissen. Den meisten dürfte es aber wie mir gehen: Dankbar werden diese Einordnungen gelesen, die quasi nebenbei ein wenig Spezialwissen etwa für Trivial Pursuit vermitteln. Wie auch zum Beispiel bei Murena werden dabei Begriffe erläutert. Dazu kommt aber auch ein grafisch brillant aufbereiteter Text der einen schwermütig an die Textwüste der Schulbuchlektüre zurückdenken lässt. Viele Schulbücher könnten sich hier Anregungen holen…

Die Zeichnungen von Peter Nuyten sind handwerklich absolut in Ordnung. Gesichter und historische Dekors gelingen ausgesprochen gut und sind auf hohem Niveau. Der Detailreichtum der Zeichnungen lässt keine Wünsche übrig.

Detail Auguria 1 page 8

Einige der Seiten kommen sogar ohne Worte aus und vermitteln einen guten Einblick der germanischen Landschaft, die vielen Römern so geheimnisvoll, unwirtlich und unverständlich erschienen sein muss. Auch Schlachten werden dargestellt, ohne allerdings dabei Selbstzweck wie etwa bei Millers 300 zu sein. Der absolute Wow-Effekt stellt sich aber nicht ein. Liegt es daran, dass Nuyten oft zuviel Text integriert? Daran, dass die Seitenaufteilung dann doch zu klassisch ist?

Fazit: Für Fans von Historiencomics sicherlich ein Must-Have! Für alle anderen (nur) eine gute und lohnenswerte Anschaffung; handwerkliche Meisterleistung, spannende Geschichte, viel Hintergrundmaterial in gewohnter Super-Splitter-Qualität!

Dazu passen lauwarmer Met und plattdeutsche oder friesische Gesänge. Ich empfehle dazu die frühen Laway.

© der Abbildungen 2019 Splitter Verlag

ZACK 237

ZACK 237 (März 2019)

Herausgeber: Klaus D. Schleiter

Chefredaktion: Georg F. W. Tempel
Verlag MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag
Heft Din A 4 | 84 Seiten | Farbe | 7,90 €
ISSN: 1438-2792

cover ZACK 237

Schon wieder ist ein Monat vergangen und das ZACK 237 liegt pünktlich im Briefkasten…

Dieses Mal beschert es uns als Serienstart eine neue Geschichte um Lisbeth Salander als eigenständige Fortführung der ursprünglichen Trilogie von Stieg Larsson. Milennium Saga: Versuchung von Sylvain Runberg steht neben den von David Lagercrantz fortgesetzten Romanen und bringt schon auf den ersten Seiten typische Elemente dieser Reihe auf die Zeichenblätter. Lisbeth wird in eine Schlägerei verwickelt und muss erkennen, dass Geheimdienste dahinterstecken; Blomquist legt sich mit Rechten an und dem Magazin geht es mal wieder schlecht. Runberg hatte bereits die Originalromane als Comic aufbereitet und darf jetzt ohne Vorlage in einer dreibändigen Reihe seine neue Version erzählen. Die Umsetzung erfolgt durch Belén Ortega die bisher eher im Manga zu Hause war. Kraftvolle Action wechselt sich mit ruhigen Momentaufnahme ab. Die Serie scheint eine tolle Bereicherung des Portfolios zu werden und wird von Georg F. W. Tempel auch sehr enthusiastisch angekündigt.

ZACK 237 page 10

Sauvage geht in den dritten Teil und bestätigt die Kritik der letzten Besprechung. Tolle Ansätze, gute Bildaufteilung aber die Kolorierung ist Geschmackssache.

Mortensens Abenteuer dagegen halten, was der Auftakt in der letzten Nummer versprochen hatte. Der Däne Lars Jacobsen lässt seinen Zeitreisenden verzweifeln als ihm die einzige Möglichkeit, seine eigene Zeit wieder zu erreichen, genommen wird. Ohne Zeitpistole wäre er verloren und dann wird er auch noch eingekerkert. Plötzlich scheint sich aber eine neue Möglichkeit zu ergeben, denn er bekommt unerwartete Hilfe. Spannung, abwechslungsreiches Seitenlayout und viele Perspektivenwechsel – mehr braucht ein guter Comic nicht.

ZACK 237 page 43

Empire USA 2.1 bringt weitere Hintergrundinformationen über die handelnden Personen und ihre Beziehungen untereinander. Da dieses der erste Band der neuen Staffel ist, wird dem Setting naturgemäß etwas mehr Raum gegeben. Das schadet allerdings nicht, denn durch die Vielschichtigkeit der einzelnen Handlungsstränge im Szenario von Desberg und die Abwechslungen im Artwork von Reculé bleiben genügend Spannung und Tempo erhalten.

Ein weiteres Highlight ist Tizombi, eine Reihe von One-Pagern von Cazenove und Maury. Mit einem sehr netten schwarzen Humor versehen, verzaubern die kurzen Geschichten um ein Goth-Girl und ihre untoten Freunde den Alltag. Dabei stehen existentialistische Fragestellungen gleichberechtigt neben den charakterlichen Auswirkungen von Fähigkeiten der verzehrten Nahrung auf unterbelichtete Zombies.

Verabschieden müssen wir dagegen Jack Cool; Manini und Mangin ziehen noch einmal alle Register um die Geschichte mit dem Privatdetektiv Jack Cool, dem Aussteiger Jesus-Grau und der Familie Mansfield zu einem – wirklich unerwarteten – Ende zu bringen.  Um es zu gestehen: Der Anfang des ersten Teils hat mich nicht vom Hocker gerissen. Im Laufe der Zeit haben mich aber sowohl die Story als auch die teilweise sehr experimentellen, teilweise klassischen Zeichnungen mitgerissen. Sicherlich ein Highlight unter den Perlen, die das ZACK immer mal wieder entdeckt!

ZACK 237 page 70

Der Magazinteil dieser Ausgabe widmet sich einerseits dem italienischen Zeichner Serpieri und seiner bei Schreiber & Leser erschienenen Collection, andererseits gibt es das erste der angekündigten fünf Interviews zur Geschichte des ZACK. Den Anfang macht Klaus Schleiter, der Gründer des MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlages. Ursprünglich mit seiner Werbeagentur für den alten DDR-Verlag nach der Wende tätig, nahm er eine Treuhand-Entscheidung zum Anlass, auch als Verleger für das MOSAIK tätig zu sein. Später kam dann mit dem ZACK noch ein weiteres klassisches Magazin – dieses Mal allerdings mit West-Geschichte – dazu.

Dazu passen frisch gepresster Orangensaft für den Vitaminhaushalt und Musik aus Schweden: Hoffmaestro.

Abbildungen © 2019 MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag und den jeweiligen Zeichnern und Verlagen

Ernst Kahl Ausstellung im Museum Caricatura Frankfurt

Ernst Kahl – Vergessene Katastrophen

Wann: 07. Februar bis 12. Mai 2019

Wo: Caricatura Museum Frankfurt – Museum für komische Kunst,

Weckmarkt 17, 60311 Frankfurt am Main

Eintritt: 6 €, ermäßigt 3€

Plakat Ausstellung Ernst Kahl 2019

Der Künstler

Seit dem 7. Februar und noch bis zum 12. Mai zeigt das Museum für komische Kunst – Caricatura eine Werkschau zum 70. Geburtstag von Ernst Kahl. Der Schleswig-Holsteiner hat ein wechselhaftes Leben hinter sich. Zwei abgebrochene Ausbildungen und ein nicht beendetes Studium an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg haben aber nicht geschadet, denn er ist einer der bekanntesten Deutschen Karikaturisten mit einem nicht immer unfrivolen Blick auf Deutsche Geschichte im Allgemeinen und Alltagsbegebenheiten im Besonderen.

Kahls Wirken beschränkt sich nicht auf eine Kunstart; er ist Maler, Zeichner, Installationskünstler, Schriftsteller, Musiker, Filmemacher und Drehbuchautor. Nicht einfach, dem in einer Ausstellung gerecht zu werden, zumal die meisten Deutschen eines seiner Werke kennen werden: Der Kassenschlager Werner – Beinhart entstand nach seinem Drehbuch und auch mit Detlev Buck hat er zusammengearbeitet. Die Ausstellung konzentriert sich aber auf andere Dinge.

Ausstellung Ernst Kahl 2019

Die Ausstellung zeigt aber nicht nur eine unglaubliche Anzahl an Originalen, sondern bietet auch ein paar Songbeispiele seines musikalischen Werkes, Installationen und steinzeitliche Fundstücke aus dem hohen Norden. Das Ganze ist in einem tollen Ambiente angerichtet, das alleine schon einen Besuch wert wäre. Die Werke Kahls nehmen das Erdgeschoß und den ersten Stock ein, die Dauerausstellung über die „Neue Frankfurter Schule“ im zweiten Stock rundet den Museumsbesuch ab. Empfehlenswert ist es, zumindest bei guten Wetter noch ein weiteres Stockwerk zu erklimmen und inmitten von Titanic-Covern einen Kaffee zu genießen und dazu noch einen Blick über Frankfurt vom Balkon aus einzuschieben.

Pausenraum Caricatura

Ernst Kahl hat mehrere Hauptthemen auf die er immer wieder zurückkommt. Neben der Spießigkeit des Deutschen Bürgertums und seinem nicht immer souveränen Umgang mit der Deutschen Vergangenheit (Kolonialzeit, Drittes Reich) verarbeitet er seine Reiseeindrücke in Bildern. So finden sich Eindrücke aus Tanger neben solchen aus Kuba und erlauben manchmal einen etwas anderen Blickwinkel. Dabei ist Kahl weder ein linientreuer Linker noch ein Vertreter der Mehrheit.

Es finden sich aber auch seine Arbeiten für die taz Hamburg und für die konkret die seine politischen Sympathien dann doch deutlich erkennen lassen. Über allem steht aber immer seine Lust am Absurden!

Bild Pop-Corn (c) Ernst Kahl
Pop-Corn_(c) Ernst Kahl

Ein weiteres häufiges Thema seiner Arbeiten sind mit sexuellen Anspielungen gespickte Momentaufnahmen und bildliche Darstellungen von Redensarten oder alltägliche Worte. Beispiele dafür sind etwa berühmten „dicksten Kartoffeln“ oder „Bienenstich“ oder „Jagdwurst“. Entsprechende Umsetzungen kennt man natürlich auch von anderen, etwa Ruthe oder Schwarwel, Kahls Interpretationen haben aber einen eigenen Ansatz.

Nicht vergessen sollte auch seine kontroverse documenta-Installation der „für die Rettung des tropischen Regenwaldes fastenden Pflanzen“. Sie führte zu der Erkenntnis, dass in Deutschland zwar Kinder geschlagen werden können, der deutsche Gummibaum aber eines besseren Schutzes bedürfe. Die Ausstellung zeigt dazu eines der vertrockneten und abgestorbenen Originalblätter!

Text zur Ausstellung Ernst Kahl 2019

Wer einen ungefährlichen Museumsbesuch absolvieren möchte, der keine Fragen stellt und schöne Motive präsentiert, sollte seine Planung ohne einen Museumsbesuch im caricatura machen. Wer es aber verkraftet, seine Vorurteile zu hinterfragen, und es abkann, dass das Lachen auch mal im Halse stecken bleibt, dem sei ein Besuch wärmstens angeraten.

Und sonst?

Das Museum für komische Kunst existiert übrigens seit 2008 und befindet sich im alten Leinwandhaus, das 1892 das erste eigene Gebäude des Historischen Museums gewesen war. Es ist direkt zwischen Dom und Rhein gelegen und in fußläufiger Entfernung zu einigen Parkhäusern und besitzt ca. 7000 Originale der Neuen Frankfurter Schule sowie weitere 3500 Zeichnungen anderer Karikaturisten.

Dauerausstellung NFS caricatura

Die Öffnungszeiten sind nicht direkt an der etwas unscheinbaren Eingangstür angebracht, so dass sich teilweise verwunderte Besucher in spe fragen, ob sie denn wohl richtig seien. Haben sie die Ausstellung erst einmal betreten, verschwinden Alltagsmissmut und Verwunderung aber schnell aus den Gesichtern. Sie werden ersetzt durch alle Schattierungen von Schmunzeln bis lautem Gelächter. Das freundliche Personal tut ein Übriges um den Besuch zu einem entspannten Genuss zu machen!

Die Ausstellung für „zu Hause“:

Cover Ausstellungskatalog
(c) Verlag Antje Kunstmann 2019

Der Katalog zur Ausstellung ist im Verlag Antje Kunstmann erschienen (ISBN 978-3-95614-311-3 | 192 Seiten | 25 €) und bietet neben dem Abdruck der ausgestellten Werke auch noch ein paar Anmerkungen über Kahls Beiträge zu verschiedenen Kasseler Caricaturas bzw. documentas von Herausgeber und Kurator Achim Frenz. Als Hardcover ausgestaltet und auf gutem Papier bietet der Band die beste Möglichkeit, die Eindrücke der Ausstellung zu Hause nachvollziehen zu können.

Ein Manko haben die Ausstellung und der Katalog allerdings: Fast alle Texte sind nur auf Deutsch angebracht. Natürlich ist es so, dass die Werke deutsche Titel haben. Da der Witz sich aber oft nur im Zusammenspiel aus Text und Bild erschließt wäre eine Übersetzung ins Englische hilfreich.

Dazu passen Frankfurter Äppelwoi und natürlich Songs von Ernst Kahl, etwa Ponyhof oder der Pudelsong.

© aller Abbildungen wie angegeben

© Fotos Sven Krantz-Knutzen 2019 mit freundlicher Genehmigung des caricatura – Museum für komische Kunst

Moebius-Ausstellung in Brühl

MŒBIUS
15.9.2019 – 16.2.2020 – VERLÄNGERT bis zum 29.3.2020!
Max Ernst Museum Brühl des LVR

UPDATE: Hier geht es zu der Besprechung der Ausstellung

Das Max Ernst Museum Brühl des LVR zeigt eine Ausstellung mit visionären Bildwelten des bedeutenden französischen Comiczeichners und Szenaristen Jean Giraud (1938-2012), der unter dem Namen »Mœbius« international bekannt geworden ist. Mœbius erforschte die Sphären der Träume und der Science-Fiction. Mit seiner immensen Imaginationskraft schuf er in präziser Strichführung surreale Welten im ständigen Fluss. In seinen Geschichten treffen utopische Architekturen und futuristische, menschenüberfüllte Megametropolen auf Wüstenlandschaften und schamanistische Reisen durch Raum und Zeit.

Bei Mœbius verschwimmen die Genregrenzen zwischen Comicstrip und Kunst. Seine fantastischen Erzählungen werden für den Betrachter dabei zur Seelenreise in das Ich des großen Meisters der Linie und damit in unbekannte Bereiche der Fantasie, die überraschend detailgenau und suggestiv Form annehmen.

Die Ausstellung widmet sich dem umfangreichen Werk von Mœbius und seinen komplexen Bildgeschichten: Ausgehend von seinen Notizbüchern (»Carnets«), in denen er grundlegende Ideen seiner Bildproduktion konzentriert hat, über skizzenhafte Zeichnungen, szenisch gegliederte Comicfolgen, abstrakte Gemälde bis hin zu populären Druckgrafiken wird das Spektrum seiner faszinierenden Zeichenkunst ausgebreitet.

In Zusammenarbeit mit Moebius Production

Abb.: Arzak le rocher, 1995, Gouache und Acryl auf Papier © 2019 Moebius Production

Robbedoes special 3

Robbedoes special 3 – De Wolfman

Story:  Marc Legendre
Zeichnungen: 
Charel Cambré

Dupuis
Softcover | 48 Seiten | Farbe | 7,50 €
ISBN:
978-90-314-3648-4

Cover Robbedoes special 3

Im mittlerweile dreieinhalbten niederländischen Abenteuer müssen Robbedoes/Spirou und Kwabbernoot/Fantasio mal wieder eine Reportage schreiben. Sie sind vom touristischen Dienst eingeladen um eine Oase der Natur namens Machin, in der außer Luchsen, Füchsen, Waschbären und Hirschen nichts den Wanderer ablenkt, in einem Artikel festzuhalten und natürlich zu lobpreisen. Sehr zum Ärger Fantasios sind sie allerdings nicht die einzigen, denn auch Izerlijm/Stefanie hat den gleichen Auftrag. Ihre Herberge ist gerade im Begriff, den ursprünglichen Bezug des Namens von Wolf in Wichtel zu ändern. Der Grund für diesen Wechsel ist der Plan eines reichen amerikanischen Inverstors der eben dort in Machin einen Freizeitpark errichten möchte.

Während Robbedoes und Izerlijm diesen Wechsel bedauern und die Kommerzialisierung hinterfragen, versucht Kwabbernoot wie so oft einzig Izerlijm auszustechen und alles andere auszublenden. Da er ein altes Wolfskostüm findet, schmiedet er den Plan, sich als Wolf zu verkleiden und hofft, dass Robbedoes ein Foto des Wolfes schießen wird. Mit diesem glaubt er, den internen Wettkampf um die beste Reportage gewinnen zu können.

Robbedoes special 3 page 1

Natürlich ist der amerikanische Investor Mr. Richinuff nicht nur zwielichtig, sondern ein Schurke, wie er im Buche steht. Schnell wird klar, dass hinter seinen Plänen für einen Freizeitpark mit einem künstlich angelegten, geflutetem See etwas ganz anders steckt. Die wirkliche Entdeckung seiner finsteren Pläne gleicht einem Krimi.

Begleitet wird das Ganze von einer Reihe von Slapstickeinlagen Kwabbernoots und witzigen Gags von Spip/Pips, die den Comic eher für ein jugendliches Publikum klassifizieren.

Die beiden Künstler, die mit den mittlerweile neun Bänden um Amoras im modernisierten Suske und Wiske-Kosmos bewiesen haben, dass sie mit der eher härteren Gangart vorzüglich umgehen können, lassen hier ihrer Liebe zu dem klassischen Slapstick freien Lauf. Eingebettet in das Spirouuniversum wissen sie um die Konstanten der handelnden Personen. Marc Legendre fügt aber neue Nuancen hinzu und reiht einerseits Gags aneinander, liefert andererseits aber auch einen klassischen Krimiplot ab.

Zeichnerisch darf der/die Leser*in hier keine Innovationen erwarten. Das ganze Abenteuer ist aber von Charel Cambré auf hohem Funny-Niveau gezeichnet und bietet ruhige, die Natur abbildende Szenen genauso wie actionbetonte schnelle Schnitte. Grundsätzlich bestehen die Seiten aus vier Reihen wobei teilweise zwei zu einer kombiniert werden.

Robbedoes special 3 page 22

Die Special-Reihe liefert alles, was man von einer klassischen Spirou/Robbedoes-Geschichte erwartet und könnte problemlos in die „offizielle“ Serie integriert werden. Diese scheint allerdings vom (französischsprachigen) Magazin Spirou und auf Deutsch bei Carlsen herausgegebenen Reihe eingestellt worden zu sein. Wer das bedauert und nach Fortsetzungen sucht, sollte nicht zögern, zu diesen Bänden zu greifen.

Wer mag, darf sich auf die Suche nach Zitaten anderer Comics begeben: Eine ganze Reihe klassischer frankobelgischer und niederländischer Figuren geben sich hier ein Stelldichein.

Dazu passen Kräuterlimonade und meine holländische Lieblingsband: Mr. Review.

© der Abbildungen 2018 Dupuis

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