Mit diesem Band liegen endlich alle von Wallace Wood gezeichneten Stories aus den EC-Reihen Weird Fantasy und Weird Science bzw. ihren Nachfolgeserien auf Deutsch vor! Band 1 enthält im Wesentlichen die Geschichten von Wood und Harry Harrison, Band 2 enthält thematisch viele Stories nach Erzählungen von Ray Bradbury. Der nun vorliegende Band zeigt Wood auf dem Höhepunkt seines Schaffens für EC und zeigt deutlich, dass die zunächst sehr optimistische Grundstimmung gekippt zu sein scheint. Die Angst vor atomarer Vernichtung und vor unkontrollierbaren Mutationen aufgrund der atomaren Strahlung bilden so etwas wie einen roten Faden durch die insgesamt 24 Beiträge!
Wer mehr über den Verlag EC und seine Geschichte wissen möchte, sollte einen Blick in The History of EC Comics werfen! Der Autor Grant Geissman erzählt nicht nur von der innovativen Schaffenskraft dieses Verlages sondern beschreibt auch den Niedergang.
Die Geschichten
Die beiden Weird-Reihen waren die ersten echten Science-Fiction Comics in der Geschichte der Bildliteratur. Hier standen nicht etwa kostümierte Helden mit Superkräften im Mittelpunkt sondern Wissenschaftler, Militärs, Forscher oder aber auch einfache Raumfahrer! Anzumerken ist, dass es hier in allen Positionen Männer und Frauen gab die aktive handlungstreibende Rollen innehatten. Das Grauen kam aus den Begegnungen mit der Einsamkeit, der dann doch unbeherrschbaren Technik und natürlich auch aus den Begegnungen mit außerirdischen Wesen.
Wie bereits angedeutet stehen in den Geschichten aus der Mitte der Fünfziger Jahre aber eher „hausgemachte“ Probleme im Vordergrund. So langsam war klar geworden, dass atomare Kräfte nicht nur Kriege beenden, sondern auch gleichzeitig eine große Bedrohung für das Überleben der menschlichen Rasse darstellen konnten. So entdecken die Protagonisten der 6 bis 8-seitigen Stories auch immer wieder Zivilisationen, die sich ausgelöscht haben. Eine andere Gefahr deutete sich bereits an: Nicht nur Überlebende aus Japan sondern auch Beobachter der Testexplosionen wiesen nicht nur äußerliche Veränderungen wie Verbrennungen auf. Auch ihr Erbgut hatte Schaden genommen und Kinder waren mit seltsamen Mutationen geboren worden.
Die Zeichnungen
Mein persönlicher Favorit aus diesem abschließenden Band ist allerdings eine der beiden Bradbury Adaptionen – Es wird ein sanfter Regen fallen ist ein Abgesang auf die Moderne, melancholisch und ruhig und ein Meisterstück der SF-Literatur! Wood hat dieses perfekt in Bilder umgesetzt und die Stimmung noch verstärkt! Der Zeichner beweist ein weiteres Mal, dass er nicht nur geniale Monster erschaffen, sondern auch Stimmungen erzeugen kann, die zum Nachdenken anregen.
Ansgar Lüttgenau hat für seine Gesamtausgabe ein etwas dickeres Papier gewählt. Dieses gibt einerseits die Zeichnungen sehr genau und konturenreich wieder, erinnert andererseits aber auch an die alten Hefte! Da sich das Team außerdem sehr viel Mühe gegeben hat, die Einstiegssequenzen an die Übersetzung anzupassen ist dem Genuss keine Grenze gesetzt.
Für mich ist SF aus den 50-er und 60-er Jahren immer noch eine sehr lesenswerte Sache: Der grenzenlose Optimismus und die Technikgläubigkeit sind bereits vergangen und Fragen ob der Sinnhaftigkeit schleichen sich ein. Im Gegensatz zu späteren Epochen stehen aber Drogenexperimente und Endlosserien noch nicht im Fokus. Wally Wood verkörpert genau diese Stimmung als Zeichner und gehört für mich daher in eine Reihe mit Moebius und Mezieres!
Natürlich gib es auch wieder einen Essay über EC, Science Fiction und Wood von Heiko Langhans!
Fazit
Von mir eine klare Empfehlung für alle Fans des klassischen Comics. Wood hat vieles gezeichnet und nicht alles ist wirklich überragend, seine SF-Stories sind es aber wirklich! Für Science Fiction-Fans sowieso ein Muss und als Ergänzung zu dem oben bereits angesprochenen Band über EC mit allen Cover-Abbildungen eine perfekte Ergänzung!
Für Afficionados gibt es natürlich wieder eine limitierte Ausgabe mit Ex Libris und Schutzumschlag aber auch die einfache Ausgabe kommt bereits im schmucken Hardcover.
Dazu passen Dark Side of the Moon von Pink Floyd und ein Gin Tonic mit Gurke und Eis!
Hardcover XXL-Format mit Schutzumschlag und Leseband | 592 Seiten | Farbe | 150,00€
ISBN: 978-3-8365-4976-9
Das Buch
Mehr als 6 Kilogramm wiegt das XXL-Hardcover im Format 29 x 39,5 cm! Obwohl gut gebunden besteht die Gefahr, dass es bei falscher Lagerung „schief“ wird und daher kommt es in einem stabilen Karton. Auf seinen 592 Seiten zeigt es mehr als 1000 Abbildungen, davon rund 100 noch nie gesehene aus dem Familienarchiv. Neben Fotos, Verträgen und natürlich ganz vielen Panels und Seiten aus den Comics gehören dazu auch Silverprints, also handkolorierte Vorlagen für den Coverdruck. Zu dem Bildmaterial gehört auch eine vollständige Galerie aller Cover von 1933 bis 1956!
Dabei hat das Coffee-Table-Book aber nicht nur grafisch etwas zu bieten, denn auch inhaltlich ist eine so umfangreiche, komplette Verlagsgeschichte nirgendwo zu finden. Natürlich gab es gerade im englischen Sprachraum schon viele Bücher, aber eben immer nur über Ausschnitte und auch die Essays etwa in der aktuellen Wally Wood-Reihe im All Verlag oder das Dossier in der Reddition 62 sind eher als Ergänzung zu verstehen.
Einen kleinen Haken hat die Sache allerdings: Das in der ersten Auflage auf 5000 Exemplare limitierte Werk ist nur in englischer Sprache erhältlich. Trotzdem – und das sei hier bereits verraten – ist es jeden Cent seiner 150 Euro wert. Die langen Winterabende kommen schon bald, die Kneipe ist wegen Corona eh nicht zu empfehlen und schließlich steht ja auch Weihnachten fast schon vor der Tür.
Das Buch folgt strikt der zeitlichen Chronologie und reichert die Fakten mit Anekdoten, persönlichen Begebenheiten, Biografien und einer unvorstellbaren Fülle von Abbildungen an.
Der Autor
Mit Grant Geissman hat der Verlag einen international renommierten Kenner der Materie gefunden, war er doch derjenige, der mit dem vorherigen Herausgeber Russ Cochran extra einen neuen Verlag gegründet hatte um die Reihe der EC Archives fortzusetzen als Gemstone damit aufgehörte. Sein erstes Buch zu diesem Komplex war MAD gewidmet und ist bereits vor 25 Jahren erschienen, weitere folgten. Nun ist also das Opus Magnum zur ganzen Geschichte des Verlages erhältlich.
Hauptberuflich ist Geissman übrigens im 45-ten Jahr seiner Profikarriere als sehr bekannter Jazz-Musiker und war bereits mehrfach für den Emmy nominiert, etwa für Monk und Two and a half Men.
Eine tragische Vater-Sohn-Beziehung steht am Anfang
Max Gaines gründete zunächst den Verlag All American Comics, in dem Flash, Green Lantern und Wonder Woman starteten, wurde dann aber von seinen Partnern herausgekauft. Mit diesem Geld hatte Max dann 1944 EC Comics gegründet; das E stand dabei zunächst für Educational. Zwar verkauften sich die bereits bei AAC gestarteten Picture Comics of the Bible gut, der Rest der Titel aber nicht und so wurde aus dem E ein Entertaining. Als er 1946 bei einem Bootsunfall starb, wurde sein Sohn William (Bill), der gerade dabei war, sein Lehrerexamen zu machen, von der Mutter gebeten, den Verlag fortzuführen. Sein Vater hatte nie ein gutes Haar an ihm gelassen und nichts hatte ihm ferner gelegen, als in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, aber er beugte sich dem Drängen und fand langsam in seine Rolle.
Wie damals üblich sprangen Verlage auf ein gerade erfolgreich platziertes Thema und melkten die Käufer solange es ging. Den richtigen Profit machten dabei aber vor allem die Trendsetter und so kam es, dass der gerade frisch gestartete Al Feldstein seine Chef, der zugleich ein Freund war, überzeugen konnte, selbst ein Thema zu kreieren: Langsam wandelten sich die Crime und Western orientierten Titel hin zu Horror-Geschichten. Anfangs noch eine Geschichte pro Heft war bald eine ganze Gruppe von Titeln nur diesem Thema verpflichtet.
Der New Trend
The Haunt of Fear, Tales from the Crypt, The Vault of Horror starteten den New Trend. Die Geschichten hatten jeweils einen festen Erzähler: The Vault-Keeper, The Crypt-Keeper und The Old Witch. Diese waren aber nicht an bestimmte Titel gebunden und erschufen dadurch eine übergreifende Identifikation. Zu dieser Zeit stießen viele neue Mitarbeiter zu EC die alle auf ihre Art prägend und einzigartig waren: Graham Ingles, Wallace Wood (zunächst noch im Duo mit dem späteres SF-Autor Harry Harrison), Jack Davies oder Joe Orlando. Alle diese Künstler werden intensiv vorgestellt.
Das Horror-Thema wurde bereits nach kurzer Zeit durch Weird Science und Weird Fantasy und damit auf die ersten echten Science-Fiction-Themen ergänzt. In den Pulps und Radio-Hörspielen hatte es diese Themen schon länger gegeben, im Comic war das aber neu und startete erneut einen neuen Hype.
Diese Aufarbeitung von Geissman stoppt aber nicht bei all den bekannten Namen. Das besondere hier ist, dass auch Personen wie Marie Severin ihre Credits bekommen. Sie war diejenige, die den Geschichten ihre Farben gab. Waren vorher nur Freelancer am Werk, prägte sie ab 1951 tatsächlich den Stil und sorgte zugleich für einen gewissen Ausgleich, galt sie doch als das „katholische Gewissen“ des Verlages und milderte die eine oder andere Übertreibung der Boys ab.
Der wahre Horror ist die Realität: Krieg und SuspenStories
Die Fans erwarteten mehr und Gaines konnte auf sein altes Motto zurückkommen: Während bei anderen Verlagen die Zeichnung im Vordergrund steht ist es bei EC die Story. Zusammen mit Kurtzman wurden Kriegs-Comics entwickelt, kurze Zeit später von Crime SuspenStories. Diese neuen Geschichten boten vor allem ein Forum für Kommentare zur menschlichen Verfassung – Rassismus, Bigotterie, Drogen, Korruption etc. standen immer wieder Pate für die mit einem typischen EC-Ende versehenen Stories. Neben einem großen Zuspruch durch die Fans führte das aber auch zu einer geheimen FBI-Untersuchung: Kriegscomics, die nicht den Heroismus sondern den Schrecken in den Mittelpunkt stellen wurden unter dem Aspekt der feindlich gesinnten Wehrkraftzersetzung untersucht.
Die abgedruckten Bildbeispiele zeigen diesen Anspruch im Detail. Einerseits wird Kurtzmans detailbesessenes Mikromanagement deutlich, andererseits werden trotz der in den 50-er Jahren limitierten grafischen und drucktechnischen Möglichkeiten die Seitenaufbauten, das Spiel zwischen Licht und Schatten und die gewählten ausschnitte als Stilmittel erkennbar. Film Noir oder Will Eisner’s Spirit sind weitere Einflüsse.
Und dann wurde es verrückt
Wenn Horror und Science-Fiction zwar inhaltliche Marktführertitel sind, Umsätze aber zurückgehen, muss etwas Neues her. Da traf es sich gut, dass Harvey Kurtzman, immer etwas neidisch auf die Einkünfte Al Feldsteins, mehr Geld brauchte und so wurde ein comic Comic Book entwickelt, das die ganze Welt erobern sollte. Mit MAD wurden die EC-typischen Twists in das Satirische gedreht und Comics, TV und Film-Persiflagen erstellt und damit komplett neue Käufer*innenschichten erschlossen. Natürlich gab es die eine oder andere witzige oder juristische Auseinandersetzung, die jeweils hier ihre Beschreibung und Würdigung erfährt. Auch die internen Streitigkeiten, etwa um Panic, das einzig offizielle MAD-Plagiat, sind nachzulesen!
Das Ende naht – Wertham und die Folgen
Schon immer hatte es Kritik an den Themen und insbesondere den Darstellungen von Horror, Gewalt und Sexualität gegeben aber 1954 erreichte die Debatte einen Höhepunkt. Innerhalb weniger Monate hatte die Jagd, angeführt von dem Psychologen Wertham und einigen Elternverbänden zur Etablierung einer Selbstzensur der amerikanischen Comicverlage geführt und zur Aufgabe der Crime und Horror-Titel von Gaines‘ EC Comics. Es folgte die Clean, Clean Line mit Titeln wie Piracy, Psychoanalysis oder Aces High. Niemand erinnert sich an diese Titel, oder?
Die ganze Diskussion hatte allerdings auch eine positive Auswirkung, denn MAD wandelte sich vom Comic-Book in ein Magazin, änderte Format und Preis und fiel somit nicht unter den beschneidenden Comic-Code! Da alle anderen Versuche floppten blieb MAD als einziger EC-Titel übrig. Schließlich musste dann noch eine harte Entscheidung getroffen werden: Kurtzman ging und der zwischenzeitlich entlassene Feldstein übernahm das Ruder von MAD und kurz drauf tauchte Alfred E. Neumann erstmals auf dem Cover auf.
Damit begann eine weitere Erfolgsgeschichte die schließlich zu mehr als 2,5 Millionen verkauften Exemplaren führen sollte, später aber unter anderen Dächern als EC. EC inspirierte unzählige spätere Independent-Aktivist*innen und auch dieses ist in diesem Prachtband beschrieben und dokumentiert!
Must Have
Der Kauftipp dieses Jahres im Bereich der Comic-Sekundärliteratur! Kein Verlag hat Comics für Erwachsene (im positiven Sinn) so geprägt wie der EC-Verlag und noch heute sind Horror und Science-Fiction-Fans von der Qualität überzeugt. Gleichzeitig hat MAD Maßstäbe gesetzt und ganze Generationen von Komikern und Comedians weltweit beeinflusst. Schließlich hat sich EC – vor allem auch in den Kriegs-Comics – nie auf blinden Patriotismus und falsche Heldenverehrung verlassen, sondern gesellschaftlich relevante Themen wie Rassismus und Drogenkonsum angesprochen.
Die Zusammenstellung all dieser Fakten mit der unglaublichen Fülle von Bildmaterial durch Grant Geissman wird der Qualität und Einzigartigkeit des EC-Verlages gerecht, allerdings ohne dabei in Lobhudelei zu verfallen. Geissman ist ein intimer Kenner und Experte, aber kein Fanboy! Trotzdem ist kein einziger Satz dieses Mammutwerkes überflüssig oder gar langweilig. Die Abbildungen sind in Sekundärtiteln oft eher gut gemeint als wirklich hilfreich: Details lassen sich mit der Lupe gerade noch erkennen. Das XXL-Format erlaubt Bildgrößen, die Details wiedergeben, grafische Entwicklungen klar werden lassen oder aber eine ganze Geschichte auf zwei Doppelseiten (lesbar!) zu platzieren. Alleine schon deswegen ein Must-Have für alle, die ein bisschen mehr über Comics wissen wollen!
Keine Musikempfehlung könnte tatsächlich für das ganze Werk reichen. Immerhin ein ganzes Stück würdet ihr mit dem Konzertmitschnitt von Tay Mahal & Keb‘ Mo‘ Band kommen (Jazz San Siver 2017). Der Genuss von einem Mackmyra Vinterglöd könnte ebenfalls helfen!
GCT 2020 zum Vierten – persönliche weitere Empfehlungen ohne „Rubrik“
Nun steht der Gratis Comic Tag 2020 also wirklich kurz vor der Tür! Comix-online hat bereits einige der diesjährigen Gratishefte vorgestellt: Western, von deutschsprachigen Künstler*innen und für Kids. Es gibt aber noch so viel mehr, dass eine letzte kleine subjektive Liste folgen soll. Dieser Liste werden keine Comics fernöstlicher Stilrichtungen angehören; Nicht, dass mir nicht der eine oder andere Titel durchaus gefallen würde, ich traue mir selbst schlichtweg nicht zu, auch nur halbwegs eine Einordnung hinzubekommen und so würde ich über ein „Das gefällt mir“ nicht hinauskommen. Ich gelobe Besserung.
Alle Infos zum GCT, insbesondere eine Suchmaschine für Aktionen in eurer Nähe und alle Titel findet ihr auf der offiziellen Seite.
Die Rückkehr aufs Land
Jean-Yves Ferri und Manu Larcenet haben ein (mittlerweile) dreibändiges Meisterwerk verfasst, das durch Corona eine ungeahnte Aktualität erfahren hat. Viele Großstädter haben sich während des Lockdowns überlegt, dass eine Kleinstadt doch auch Vorteile hätte: Die Konkurrenz um das Klopapier ist geringer, der Garten bietet mehr Auslauf als der Etagenbalkon und die Fahrten zur Arbeitsstelle fallen schließlich bei Homeoffice weg. Die Rückkehr aufs Land beschreibt in kurzen Episoden alle Tücken, die jetzt eben gefehlt haben und lässt das Knollenmännchen, mehr noch aber seine unerschütterliche Frau Prüfungen bestehen, die teilweise nur mit Kartons zu bewältigen sind. Sehr liebevolle Halbseiter die auf Deutsch bei Reprodukt erschienen sind.
Roald Dahl reloaded
Hexen hexen ist ein Kinderbuchklassiker des bereits 1990 verstorbenen Autoren Roald Dahl. Er erscheint immer wieder in neuen Fassungen und ist in der von Pénélope Bagieu Teil des Reprodukt-Beitrages zum GCT 2020. Oma muss als Ablenkung Geschichten erzählen, um von der Trauer abzulenken und Geschichten über Hexen eignen sich dazu besonders, denn schließlich gibt es ja keine, oder doch? Liebevolle Geschichte, die aber für sehr zartbesaitete nicht ganz geeignet ist. Bagieus Zeichnungen sind kantig, nicht einfach und schon gar nicht weichgespült. Trotzdem oder viel eher gerade deswegen kann man als Leser*in aber glauben, dass Sorgen ernst genommen werden und findet möglicherweise die gewünschte Ablenkung.
Klassische und urbane Sagen
Klassiker zuerst: Unter dem Label „Mythen der Antike“ werden klassische Stoffe neu aufbereitet und geraten dadurch vielleicht wieder in den Blickwinkel der jungen Generation. Falls nicht, finden sich wenigstens ältere Leser*innen, die die Geschichten nur wiederauffrischen wollen. Als Beispiel findet sich der komplette erste Teil (von drei) der Ilias im Programm. Clotilde Bruneau hat den Text aufbereitet, Pierre Taranzano hat das Ganze in schöne Bilder gepackt. Klassische frankobelgische Schule (allerdings mit teilweise computergenerierten Hintergründen) aus dem Hause Splitter.
Die Entstehungsgeschichte der Teenage Mutant Ninja Turtles behandelt dagegen moderne urbane Mythen. Im klassischen Schwarz-Weiß müssen die mutierten Schildkröten ihren bis dato größten Kampf gegen Ninjas durchstehen. Mehr von Eastman und Laird’s Epen bei Dani Books. Als Zugabe präsentiert dieses Heft ein paar Entwürfe und Illustrationen und lohnt sich schon deswegen!
Fantastisches London
Viktorianisches England, Crime and Suspense, Fantastische Begebenheiten und eine unerschrockene Heldin sind die Ingredienzien dieser Serie von Thierry Gloris und Jacques Lamontagne aus dem Splitter-Verlag. Pik-As ist eine fantastische Detektei die Fälle im Grenzbereich übernimmt. Die sehr detaillierten Zeichnungen bieten das Böse, das Unglückliche aber auch das Schöne ungeschminkt dar und platzieren das Ganze vor ungemein detaillierten Hintergründen. Ein Fest für die Augen! Das Heft enthält den kompletten ersten Band Die Parapsychologin und könnte dafür sorgen, dass gleich sieben Titel auf der Einkaufsliste landen.
Horror von Alan Moore
Cinema Purgatorio ist eine Reihe von ineinander verwobenen Geschichten, die dem Kopf Alan Moores entsprungen sind. Teilweise zeichnet er selbst für das Szenario verantwortlich, teilweise hat er diese Aufgabe anderen überlassen. Im Original sind insgesamt 5 verschiedene Geschichten Teil dieses Universums. In jedem der insgesamt 18 Hefte der Serie ist jeweils ein Kapitel erschienen. Die auf Deutsch beim Dantes Verlag erscheinenden Ausgaben widmen sich aber jeweils nur einer Storyline. Drei erste Kapitel werden hier vorgestellt. Schwarz-weiß Horror (nur) für Erwachsene.
Und sonst
Daneben gibt es noch viele weitere Titel und jede*r von euch sollte einen eigenen Blick auf das große Angebot werfen. Eine Nichtaufnahme hier ist kein Indiz für einen schlechten Comic, sondern viel eher limitierten Zeitbudgets geschuldet!
Nutzt das Event um mal wieder in einen Comic-Shop, einen Schauraum, eine teilnehmende Buchhandlung oder einen anderen Ort zu gehen und nehmt nicht nur Hefte mit, sondern schaut euch um und besucht die Stätte eures Vertrauens auch danach wieder.
Die geschenkten Hefte lassen sich dann überall genießen, vorzugsweise mit einer an den verschwindenden Sommer erinnernden Limonade und einer Playlist mit College Punk.
GCT 2020 zum Zweiten – Titel von deutschsprachigen Künstler*innen – eine Übersicht
Der zweite Teil des Überblicks über die diesjährigen Titel des Gratis Comic Tages wirft einen Blick auf deutschsprachige Künstler*innen. Erfreulich viele von ihnen haben es zwischen die Heftdeckel geschafft. Außerdem ist es beachtlich, wie groß das Spektrum der Stilarten und Themen ist. Teil 1 hatte das Thema Western. Alle Infos zum GCT findet ihr auf der offiziellen Website.
Oskar Rohr, der Fußball und der Nationalsozialismus
Ich habe lange überlegt, in welcher Reihenfolge ich die Titel präsentieren möchte, immer war klar, dass ich mit diesem Titel anfangen möchte. Der gebürtige Münsteraner Julian Voloj hat sich darauf spezialisiert, Comic-Biografien von Menschen zu schreiben, die aufgrund äußerer Umstände ihren Weg nicht so einfach gehen konnten.
Nach Joe Shuster und Jean-Michel Basquiat beschreibt er erstmals ein deutsches Thema: Oskar Rohr war ein begnadeter Fußballer; als Stürmer war er maßgeblich an der ersten Deutschen Meisterschaft des FC Bayern München 1932 beteiligt und doch kennt heute kaum jemand seinen Namen. Als Jude teilte er das Schicksal von Millionen anderen als Internierter in einem Konzentrationslager! Seine Geschichte und damit auch eine Geschichte des Deutschen Fußballs unter dem Hakenkreuz wird in der bei Carlsen erschienen Graphic Novel Ein Leben für den Fußball von Julian Voloj (Text) und Marcin Podolec (Zeichnungen) erzählt. Das Heft zum GCT enthält den Anfang der Geschichte bis zum Wechsel nach München.
Kindercomic mit Piff-Puff-Bäng und Happy End
Der Kasseler Verlag Rotopol profitiert sicherlich von seiner Nähe zur dortigen Kunsthochschule denn er hat sich auf innovative, persönliche Werke spezialisiert, die von den Künstler*innen selbst getrieben werden. Dabei wagt er sich nicht nur auf den Bereich der Graphic Novel für Erwachsene, sondern bietet das Gleiche auch für Kinder! Allein schon dieses Wagnis ist es Wert, gewürdigt zu werden.
Thomas Wellmann
Pimo & Rex von dem ebenfalls aus der Münsteraner Ecke kommenden Thomas Wellmann bietet eine fast schon anarchische Geschichte über die beiden Helden Pimo & Rex die als Reisegefährten nach einer wilden Kneipenfeierei eine junge Frau vor düsteren Gestalten retten müssen. Magret wird von Wesen mit Zauberkräften entführt doch die Helden können sie – natürlich – befreien, müssen vorher aber noch einen Kampf gegen Skelette bestehen.
„Kinder“ ist für diesen Comic sicherlich auslegungsfähig. Es gibt genügend Anspielungen auf das Leben von Erwachsenen, die von Kleineren sicherlich nicht verstanden werden können und auch die Kampfthematik ist nicht jedermanns Sache. Für etwas Ältere könnte das aber gut funktionieren!
Horror und ein Zombie mit Superkräften
Levin Kurio
Seit Jahren ist Levin Kurio mit seinen Weissblech Comics beim GCT dabei. Der Schleswig-Holsteiner aus Schönwalde ist dabei ein echtes Multitalent, denn er ist in den meisten Fällen nicht nur für den Text, sondern auch Zeichnungen und Farben zuständig! In der WC-Anthologienreihe Horrorschocker erscheinen seit mittlerweile 56 Ausgaben Stories im Stil der alten Klassiker die die Leser*innen das Gruseln lehren sollen. Seite kurzem hat Levin auch Spaß an Superheld*innen mit deutscher Provenienz gefunden, wenn auch natürlich mit einem eigenen Dreh: die Origin-Geschichte von Zombieman beweist seine Lust am Fabulieren.
(c) 2020 Levin Kurio
Eine Ankündigung sei gewagt: So niemand etwas dagegen hat wird es in absehbarer Zeit ein Weissblech-Horror-Spezial auf comix-online geben. Seid gespannt was dort geschrieben sein wird.
Die Superheld*innen-Universen von ASH, LDH und Trachtman
Eher klassische Wesen mit Superkräften gibt es einerseits bei Austrian Superheroes-ASH und Liga der Deutschen Helden-LDH. Mittlerweile tummeln sich dort schon richtig viele Figuren in dem vor fünf Jahren gestarteten Universum.
Harald Havas
Barbara „Eggi“ Eggert
ASH präsentiert dabei in diesem Jahr Heldinnen! Jedes der Hefte besteht aus einer längeren Story in Fortsetzungen und ein oder mehreren Kurzgeschichten mit Fokus auf die einzelnen Figuren. Hier gibt es gleich vier davon: Diana ist eine Geschichte über das Wasserwesen Donauweibchen gezeichnet von Isa Griesenberger in einem sehr US-artigen Stil. Team Berlin erzählt warum Göre und LAN zusammenarbeiten. Dozerdraws hat dafür einen eher am animated-style orientierten Weg gefunden. In Wasserscharaden getextet von Eggy und gezeichnet von Dagmar Wyka treffen wir Donauweibchen wieder, die zusammen mit Lorelei Unsinn macht.
Dagmar Wyka
Eli Baum
Verena Loisel
Schwestern von Eli Baum übt deutliche Kritik am Heimwesen der katholischen Kirche in sehr schönen Bildern. Graphisch sicherlich am herausragendsten in diesem Heft. Den Abschluss bildet eine Geschichte über Lady Heumarkt und die Liebe von Benedict Anatol Thill und Verena Loisel mit sehr verzerrten Zeichnungen, die ebenfalls aus der Masse herausstechen. Wenn nicht anders angegeben sind die Texte von Harald Havas, der es geschafft hat, ein ganzes Universum mit Leben zu füllen UND andere daran teilhaben zu lassen. Die Vielfalt allein in diesem Heft beweist, dass Superheld*innen auch künstlerisch vielfältig und divers sein können!
Christopher Kloiber
Henning Mehrtens
Daneben gibt es auch noch den bayerischen Superhelden Trachtman von Christoph Kloiber und Henning Mehrtens. Wer ist der Echte ist die titelgebende Frage, denn bei einem Besuch in Bamberg (was zu Franken gehört und damit bereits einen Auslandseinsatz für den Helden bedeutet) kommt es zu einer Wiederauferstehung eines 1628 auf dem Scheiterhaufen verbrannten Hexers der Rache nehmen will. Im Kampf mit ihm wird Trachtman durch die Alternativwelten geworfen und sammelt dort Kräfte von seinen anderen Inkarnationen ein. Die Szenarien sind mehr oder weniger witzig, herausragend ist jedoch der Craftbiergnom der den goldenen Hopfen stehlen will! Vielleicht eher lokal von Interesse, schon wegen der deutlichen Dialekt-Färbung.
Und dann war da noch Werner
Lang lang ist es her, dass ein langnasiger Motorradfahrer mit Vorliebe für Bier und Wortwitz seinen ersten Auftritt hatte. Seitdem hat Werner 13 Bände hingelegt, die alle bei Bröseline neu verlegt worden sind. Ausschnitte aus den Bänden 7 bis 12 gibt es in 2020, die früheren Bände waren bereits im letzten Jahr zu sehen. Die Zeichnungen und Kurzgeschichten von Brösel (d. i. Rötger Feldmann) sind platt, laden zu erhöhtem Bierkonsum und Arbeitsverweigerung ein und respektieren weder Ausbilder, Polizisten oder Nazis. Vielleicht waren die Bände deswegen in den Neunzigern mehr Hype als ein neuer Asterix und der Film und das Rennen haben sicherlich dazu beigetragen. Die Karawane ist längst weitergezogen, der Hype findet woanders statt, aber Werner ist immer noch da.
Rötger „Brösel“ Feldmann
Dazu passen – extra für den Craftbiergnom – ein Josefs Dunkel aus der Josefs-Brauerei Bigge und natürlich deutsche Musik von The Frits aus Wattenscheid.
Herbert George Wells ist einer der Wegbereiter der modernen Science-Fiction und als solches ein Klassiker, viele seiner Werke sind aber zu Unrecht ein wenig in Vergessenheit geraten. Teilweise liegt das daran, dass der Stoff keine Adaption in bewegten Bildern erfahren hat, teilweise wahrscheinlich eher daran, dass die Kinoversionen nicht in der Lage waren, sich nachhaltig in das Gedächtnis zu spielen.
Die Insel des Dr. Moreau gehört sicherlich zu den Letzteren, denn an sich ist der Roman an Aktualität und Thematik sehr frisch! Wenn er wie in dieser Fassung dann auch noch leicht modernisiert daherkommt ist ein Bestseller eigentlich schon vorprogrammiert. Hmmh, zumindest hätte er das verdient!
Die Story
Ellie Prendick ist eine studierte Biologin, die sich 1896 nach einem Schiffsunglück irgendwo im Pazifik an das Ufer einer abgelegenen Pazifikinsel retten kann. Dort trifft sie auf einen abgehalfterten Säufer, Mr. Montgomery, einen von der Hochschule suspendierten Wissenschaftler, Dr. Moreau, und ein paar kapuzenbewehrte Angestellte. Schnell erinnert sie sich an die grausamen Experimente des Dr. mit Lebewesen, wegen denen er Europa hatte verlassen müssen und muss feststellen, dass er seine Experimente nicht nur fortgesetzt hat, sondern auch Kreaturen geschaffen hat, die halb menschlich, halb tierisch zu sein scheinen.
Während einige der Kreaturen sich dieser Situation scheinbar klaglos unterordnen und andere durch eine Quasi-Religion gehalten werden, scheinen andere mit ihrer Rolle unzufrieden zu sein. Durch das Auftauchen der Fremden wird nicht nur Montgomery zu einem sabbernden Etwas, auch die Wesen erkennen, dass sich Machtverhältnisse verschoben haben.
Kaum ein Roman dieser Zeit ist so aktuell, wenn es um die Grenzen des Machbaren geht. Überall greift die Menschheit durch Gentechnik in evolutionäre Prozesse ein, verändert oder zerstört die Umwelt und lässt ethische Diskussionen über die eigene Tätigkeit nicht mehr zu. Geändert wurde in dieser Adoption von Ted Adams und Gabriel Rodríguez lediglich das Geschlecht der Besucherin, die im Original noch männlich war. Dadurch kommt in der Graphic Novel eine weitere Konfliktschicht hinzu.
Das Artwork
Rodríguez hat fast die gesamte Geschichte im Doppelseitenlayout angelegt; die Leserichtung geht also immer von links nach ganz rechts und macht nicht wie üblich in der Mitte der Seite halt. Dadurch ergeben sich ungewohnte Bildmöglichkeiten, insbesondere für Landschaften im Panorama-Modus und für Ansammlungen von Geschöpfen. Die Zeichnungen sind sehr detailreich und erlauben sowohl rasante Action durch die Abfolge vieler Panels in einer Reihe als auch ruhig bei flächefüllenden Illustrationen. Die Ausgabe bietet dabei die seltene Möglichkeit, das gesamte Werk in seinen Bleistiftzeichnungen vor der Kolorierung zu betrachten, da diese ebenfalls enthalten sind.
Erst diese reinen Zeichnungen bieten die Chance, den Zeichner in Reinkultur zu sehen, denn gerade im amerikanischen Raum können inks and colours sowohl in positiver als auch in negativer Seite den ursprünglichen Künstler komplett verändern. In dem zusätzlich auch noch abgedruckten Interview darf Gabriel Rodríguez dann auch noch erklären, warum er sich für dieses innovative Layout entschieden hat und warum die Beiden diesen Stoff adaptiert haben.
Die Empfehlung
IDW ist aktuell einer der innovativsten Plätze im amerikanischen Comic-Business. Diese Literaturadaption ist dafür ein weiterer Beweis, denn sie vereinigt handwerkliches Können auf hohem Niveau mit der Auswahl relevanter Themen und sinnvollen Goodies wie Reinzeichnungen und Interview.
Auch die deutsche Ausstattung ist angemessen: Hardcover mit Glanzlackapplikation, größeres Format und festes Papier lassen den Preis von 25 € als der Wertigkeit entsprechend erscheinen. Definitiv ein Band auch für diejenigen, die sonst mit Material aus den USA nicht so viel anfangen können! Für mich einer der Kandidaten für die Jahresbestenliste: politisches Thema wie aktuell auch z.B. bei Schreiber & Leser und gut gemachte Science-Fiction und nicht nur für die Älteren, die H. G. Wells noch in der Schule gelesen haben.
Dazu passen alter Hardrock in neuen Schläuchen von Samantha Fish und ein Bier aus der inklusiven Josefs-Brauerei Bigge.
Der Bodyhorror der Amerikanerin Marguerite Bennet geht in die zweite Runde in Deutschland. Dementsprechend muss nicht mehr viel erklärt werden und die Story kann sofort Fahrt aufnehmen.
Männerwahn und alltägliche Gewalt
Vom Prinzip her geht es – wie so oft – darum, dass Frauen sich so zu verhalten haben, wie es von Männern gewünscht ist. Das gilt umso mehr als die Geschichte im viktorianischen Zeitalter spielt, Frauenrechte also noch vollkommene Wunschvorstellung waren. Es geht aber auch darum, dass nicht alle Frauen bereit sind, sich an diese Regeln zu halten und so finden wir die beiden Protagonisten des ersten Bandes in Paris wieder. Während sich Mariah um ihren kleinen Jungen gekümmert und ein sicheres Heim geschaffen hat, erwacht Lady erst jetzt wieder.
Sie machen Bekanntschaft mit einer jungen Frau – Haruspex – die ebenfalls außergewöhnliche Kräfte zu haben scheint sowie mit einer Gruppe junger Herren, die die Frau als klassisches Schönheitsideal verehren, ihr allerdings kein eigenes Leben erlauben wollen. Mit Hilfe eines magischen Gegenstandes verwandeln sie Frauen und machen sie wehrlos. Natürlich können die Heldinnen das nicht hinnehmen und so kommt es in und unter der Stadt Paris zu einem Showdown der Kräfte.
Die Umsetzung
Ariela Kristantina setzt die Story in einem ganz eigenen Stil um. Einerseits geht es um offenkundige Erotik zwischen den Frauen und um sexualisierte Gewalt der Männer. Andererseits steckt aber auch in der Kombination aus gefährlichem wie schönem Insekt und Frau so viel Poesie, dass es unfair wäre, es auf eines zu reduzieren. Insofern haben wir es hier mit Schauerromantik-Horror der besten Art zu tun!
Viele der Seitenlayouts basieren auf einem großen Bild, in das die die Handlung treibenden Panels eingebettet sind. Diese sind wiederum sehr flexibel in der form und können rechteckig, schräg oder rund sein und lassen daher keine Langeweile aufkommen. Besonders hervorzuheben sind allerdings die ganzseitigen Illustrationen am Anfang und Ende jedes Kapitels.
Auch wenn die Frauen in dieser Geschichte viele Herausforderungen zu bestehen haben und oft nicht nur ihre Identität, sondern auch ihr Leben verteidigen müssen, gibt es doch Hoffnung auf Verwirklichung, auf Liebe und auf eine Zukunft!
Für alle Liebhaber*innen moderner Horror/Schauerromantik abseits von Teenager-TV-Serien fast schon ein Muss!
Dazu passen ein gut gekühlter Rosé und die Downtown Boys, eine queere, diverse, fordernde Band!
Greg Capullo ist seit Jahrzehnten einer DER Topzeichner auf dem amerikanischen Markt. Was bei image unter anderem mit Spawn und Angela begann (die Fans der alten comix-online-Seite werden sich erinnern) ging später bei DC mit Batman weiter. Gerade im Team mit Autor Scott Snyder erschienen unzählige moderne Klassiker des Bat-Mythos. Nun nutzen die beiden die Chance, eine Geschichte über den Dunklen Ritter abseits des Kanons zu schreiben. Das Black Label erlaubt eigenständige Stories jenseits aller Anforderungen der Kontinuität und ist damit so etwas wie das neue Elseworlds – nur wesentlich düsterer!
Die Story
Bruce Wayne erwacht in einer Zwangsjacke und das erste Gesicht, das er zu sehen bekommt, ist das des Jokers. Man versucht ihm klarzumachen, dass er „dieses ganze Batman-Sache“ nur in seinem Kopf zusammenphantasiere. Ständig verprügele er Menschen, zerstöre Sachen und werde nun hoffentlich endlich geheilt. Bruce glaubt diesen Berichten von Alfred allerdings nicht und flieht aus Arkham. Sein „Batanzug“ ist eine spezielle Art von Zwangsjacke, seine Maske dient angeblich seinem Schutz vor Selbstverletzungen.
Dazu kommt eine Reflektion ob möglicherweise der alles auslösende Moment in der Crime-Alley gar nicht so ungewollt war. Der gesamte Bat-Mythos steht plötzlich unter einem Fragezeichen und das muss man erst einmal schaffen!
In einer Tour de Force trifft Batman auf weitere Held*innen und erfährt peu a peu, dass er, Batman, die Welt zerstört habe und nun Omega herrsche. Dieser sei entweder Batman selbst oder aber zumindest von seinem Blute und schaffe eine Welt, die keine Gewalt und Auflehnung mehr zulasse, kurzum eine Diktatur. Begleitet wird Bruce auf seiner Tour von dem Kopf des Jokers, der in einer Art Laterne „wohnt“ und sich wünscht, der nächste Robin zu werden.
Zusammen mit Wonder Woman und anderen ehemaligen Mitstreiter*innen gelingt es Bruce schließlich, in das Hauptquartier Omegas einzudringen und den Showdown einzuläuten.
Die Wertung
Grafisch ist Greg Capullo immer noch ein Genuss! Realistische Gesichter mit Bartstoppeln und Emotionen, genügend Details um auch in einem europäischen Vergleich zu überzeugen und trotzdem dynamische Seiten wie in einem US-Comic und brillante, klar abgegrenzte Farben! Dazu kommen sarkastische Züge und eine wenig Ironie in der Darstellung des Jokers.
Snyders Story ist einerseits sehr erfrischend: die bekannten Figuren in einem komplett neuen Setting wiederzufinden, ihre Verletzungen zu betrachten und ihren Sarkasmus. Andererseits ist Weniger manchmal Mehr und so frage ich mich, ob die beiden hier nicht etwas über das Ziel hinausgeschossen sind. Der letzte Ritter auf Erden ist ohne Vorkenntnisse zu lesen, das wirkliche Verständnis stellt sich aber erst ein, wenn man mit allen oder zumindest vielen Hinweisen etwas anfangen kann und die Unterschiede zum regulären Vorbild erkennt.
Insofern vermute ich, dass dieser Band möglicherweise nicht zu der langen Reihe an ewigen Klassikern gehören wird. Nichtsdestotrotz ist es aber eine spannende, grafisch geniale Geschichte über einen entwurzelten Batman der einmal mehr gegen sich selbst antreten muss und seine Ambivalenz aus Retter und Diktator ausspielt.
Cover der Variant Ausgabe
Für Fans der Fledermaus ein Muss, lassen Snyder und Capullo doch ihre gesamte Historie auflaufen, für Freunde des Capullo-Zeichenstils ebenfalls! Alle anderen mögen diesen Band als Einstieg begreifen, bei Interesse nach dem Original suchen und so rückwärts das Bat-Universum für sich erschließen! Für Sammler*innen gibt es natürlich auch wieder eine limitierte Hardcoverausgabe.
Mercy ist eine neue Serie der Italienerin Mirka Andolfo die gleichzeitig in vier Ländern, Italien, Frankreich, USA und Deutschland, erscheint. Andolfo ist fast schon ein Star der Szene: Einerseits hat sie für die großen Verlage in den USA (Marvel, DC und Image) gearbeitet, andererseits ist ihr „Tier-Comic“ Contronatura – Tierisch menschlich auch hierzulande ganz erfolgreich. Ihre neue Serie hat weder etwas mit Superheld*innen noch mit Tieren zu tun, sondern ist eine Mischung aus Mystery und Horror! Und wie fast immer in diesem Genre hat der Horror auch eine sexuelle Komponente.
Das Setting
Der Schauplatz der Geschichte sind die USA zu einer Zeit da die Entfernungen noch in Pferdekutschen überbrückt wurden und Nachrichten sich nicht in Sekundenschnelle um die halbe Welt verbreitet haben. Lady Nolwenn Hellaine und ihr Begleiter, der sich als Butler ausgibt, kommen mitten in der Nacht während der Ausgangssperre in ein kleines Fleckchen namens Woodsburgh um das Herrenhaus wieder in Beschlag zu nehmen. Wir als Leser*innen wissen, dass die Lady nicht sehr menschlich ist: Weder nimmt sie normale Nahrung zu sich noch braucht sie Schlaf. Viel deutlicher ist allerdings, dass sie sich von Menschen ernährt!
Ebenfalls in diesem Städtchen lebt ein garstiger alter Mann der Waisen zu sich nimmt um sie für sich arbeiten zu lassen. Dazu gehört auch die kleine „Rothaut“, die übersinnliche Fähigkeiten zu haben scheint. Mindestens hat sie Visionen und erkennt auch die Lady in einer davon. Auf der ersten Gesellschaft der neuen adligen Bewohner kommt es zum Eklat…
Die Zeichnungen
Panini Deutschland bringt die Geschichte im Albenformat auf glänzendem Papier was den Zeichnungen mit ihren kräftigen Farben gut zu Gesicht steht. Im kleineren Heftformat würden einige der Details übersehen werden. Gerade die ganzseitigen Illustrationen mit eingestreuten kleineren Panels passen gut zu der Horror-Atmosphäre. Insgesamt wirkt die Kolorierung am Computer manchmal etwas flächiger als die per Hand, aber das ist nun mal ein Zeichen der Zeit.
Die Entwicklung der Figuren über verschiedene Stadien hinweg wird im Anhang netterweise vorbildlich aufgezeichnet; mehrere Entwürfe und Studien sowie die Entwicklung einer Seite vom ersten Entwurf bis zur Druckdatei finden sich als Extra in diesem schönen Hardcover.
Spannender Serienstart der Lust auf mehr macht! Hoffen wir, dass sich die Gute nicht zu viel Zeit mit dem nächsten Band lässt!
Ach was waren das für Zeiten: unaufgeregt, von keiner Klima-
oder Gesundheitskrise betroffen und zukunftsorientiert! Schick angezogene
Männer und Frauen, gerne im Fantasie-Uniform-Style, laufen rauchend durch
Raumschiffe, betreten fremde Welten und erkennen, dass der Schein manchmal
trügt, gleiche Entwicklung auch gleiche Ergebnisse bringt oder dass heiraten
tödliche Folgen haben kann.
In allen im zweiten Band der Sammlung von Wally Woods Geschichten aus den EC-Magazinen steht die Technik nicht im Vordergrund. Sie ermöglicht Raumflüge, Zeitsprünge und alles andere, hat aber immer nur unterstützenden Charakter. Der Mensch bleibt derjenige, der Katastrophen auslöst, wenn er sich mal wieder allmächtig fühlt, seinen sexistischen Vorlieben folgt oder einfach nur zu spät reagiert.
Dazu kommen dann auch noch Geschichten, die der Menschheit
einen Spiegel vorhalten, etwa indem sich die Entdecker einer uralten
Marszivilisation mit dem Konzept des „Monsters“ auseinandersetzen müssen. Mein Tipp für ein erstes Reinlesen ist aber „
Projekt … Überleben“.
Die Umsetzung
Insgesamt 18-mal darf Wally Wood seine Zeichenkunst in Geschichten zeigen, 7-mal werden zusätzlich ganzseitige Illustrationen von Covermotiven integriert. Im Mittelpunkt stehen dabei wieder die beiden Reihen Weird Fantasy und Weird Science aber auch der in Shock Suspenstory 2 enthaltene Beitrag fehlt nicht.
Keiner kann Monster so genial in Szene setzen ohne im
Vorfeld schon eine klare Richtung vor zu geben. Oft ist bis zum letzten
pageturner nicht klar, auf welcher Seite sich Monstrositäten offenbaren werden
und wo die Opfer zu verorten sind. Der Seitenaufbau ist dabei gar nicht mal so
abwechslungsreich. Auf die grafisch ansprechende, individuelle (und in der
deutschen Ausgabe perfekt übersetzte/angepasste) Startseite erfolgt ein relativ
starres dreireihiges Schema. Dieses variiert in der Anzahl der Panele sowie der
Höhe häufig und bietet anhand der Schraffuren und der vielen Details ein
perfektes Gerüst für die kräftige aber immer noch unterstützende Kolorierung.
Wood bietet aber nicht nur anregende fremde Landschaften sondern auch einen fast perfekten Einblick in die Emotionen seiner Figuren über die Gesichtszüge und Körperhaltung und lässt sich den Stress der kurzen Abgabefristen nicht anmerken.
Abgerundet wird der Band durch den Essay von Helmut Kronthaler über das offizielle
Verhältnis zwischen Verleger Gaines
und Ideenlieferant Ray Bradbury sowie
einer Comicographie der von Bradbury
autorisierten Adaptionen seiner Stories in den EC-Titeln.
Der Ausblick
Leider wird es nur drei Bände geben, denn dann ist das Material erschöpft. Diese lohnen sich aber unbedingt und sollten nicht nur bei allen Liebhaber*innen klassischer Science Fiction, der Gruselgeschichten und der Pulps im Regal stehen, sondern auch bei denjenigen, die gute, kurze Geschichten lieben, die nicht vorhersehbar sind, spannend und ohne Popcornkinoelemente auskommen! Schade, dass aufgrund der politischen Umstände diese Blüte der Horror/Fantasy/Science Fiction-Literatur nur eine kurze Lebensspanne hatte. Aber vielleicht verdanken wir dieser Situation dafür die Langlebigkeit des MAD.
ExLibri der Vorzugsausgabe
Natürlich gibt es auch wieder eine limitierte Vorzugsausgabe mit anderem Cover und einem ExLibris. – Zu Band 1.
Dazu passen quietschbunte Cocktails und die herrlich
schrägen Horrorpops!
Schon seit Jahren werden die Krimi- und
Thriller-Bestsellerlisten auch von Autor*innen aus deutschen Landen angeführt.
Im Comicbereich waren dagegen eher andere Themenbereiche mit Künstler*innen aus
Deutschland assoziiert. Mit dem Band die
spinne von Mikolajczak und Möller ändert sich das gewaltig!
Der Inhalt
Amerika im Jahre 1972: Kerle sind noch Kerle, Autos groß und blubbernd und LGTB, Selbstverwirklichung oder auch nur Toleranz unbekannte Worte ohne Bedeutung.
Die junge Amber hat die Kleinstadt Tinkerville im Streit verlassen und kehrt zurück. Allerdings kommt sie nicht allein, sondern mit ihrem Freund, der nicht nur als Fremder sofort abgelehnt wird. Da er eine dunkle Hautfarbe besitzt, lernt er sofort alle Feinheiten des kleinbürgerlichen Rassismus kennen und bezahlt mit seinem Leben.
Amber hingegen glaubt, dass er nur abgereist wäre und bezieht eine kleine Wohnung im Haus des Kriegsveteranen Jimmy. Dieser hat ein besonderes Verhältnis zu jungen Frauen, beobachtet sie durch Löcher in den Wänden und entspricht schon sehr schnell dem Muster eines Psychopathen. Eigentlich weiß der ganze Ort von all den verschwundenen Frauen, niemand erzählt es aber rechtzeitig genug für Amber.
Besonders beeindruckend sind zwei Narrative: Zunächst
schafft es MichaelMikolajczak sehr glaubwürdig den typischen
local Cop zu beschreiben: eigentlich obrigkeitshörig, regelorientiert und konservativ,
andererseits aber auch bemüht, „Freunden“ zu helfen und im richtigen Moment
wegzuschauen. Die andere sehr gelungene, durch ihre Widerkehr Struktur schaffende
Situation ist der Barbier. Die Situation der Rasur scheint in den USA eine hier
nur schwer zu verstehende Kommunikationszentrale darzustellen, in der über Leib
und Leben entschieden wird.
Der Autor hat bei Kult schon einige Graphic Novels
veröffentlicht!
Das Artwork
Andreas Möller lehrt Kunstdidaktik an der Hochschule der Bildenden Künste Saar. Er hat zwar schon Illustrationen für einen Tatort angefertigt und einen eher dem Horrorgenre zugehörigen Comic illustriert, ist aber eher noch neu im Geschäft. Die spinne im reinen schwarz-weiß veröffentlicht bringt seine Zeichnungen sehr gut zur Geltung. Die Körper sind anatomisch korrekt und dynamisch in ihren Bewegungen. Die Gesichter (aber auch die Körperhaltungen) deuten an, dass das Leben der meisten Akteure bisher kein Zuckerschlecken war.
Der Horror des Alltags aber auch der der Gefahr finden sich in den Figuren aber auch im Seitenaufbau wieder. Während oft rechte Winkel das Layout beherrschen, geraten auch die Begrenzungen in Schieflage, wenn es brenzlig wird! Auch der Wechsel zwischen Schwarz auf Weiß hin zu den bedrohlichen schwarzen Hintergründen gelingt perfekt und treibt die Geschichte genauso stark wie der Text.
Die Empfehlung
Kult Comics fördert schon seit längerem auch den Deutschen Comic. Gerade die spinne zeigt, wie richtig das ist, denn diese Graphic Novel braucht den Vergleich mit internationalen Werken nicht zu scheuen! Unbedingte Kaufempfehlung mit Spannung und unerwarteten Twists! Es gibt im Übrigen auch eine limitierte Vorzugsausgabe mit signiertem Exlibris!