Der Krieg der Welten von Herbert George Wells ist eine der wenigen Science-Fiction-Stories, die fast jede*r kennt. Sie spielt 1898, das technische Verständnis der Menschen war noch gering und auch das Equipment. Eineinhalb Generation später verängstigte ein Namensvetter des Autors, Orson Welles, eine ganze Nation an den Radiogeräten mit einer Hörspielfassung. Dazu kommen unzählige andere Adaptionen.
Der Horror aus dem All
Heutzutage fliegen von Menschenhand gemachte kleine Flugmaschinen auf dem Mars herum, begleitet von einem autonomen Fahrzeug. Vor 130 Jahren war die Vorstellung noch eine ganz andere. Wie selbstverständlich ging man davon aus, dass der Mars von Wesen bewohnt sein könnte. Nicht von Mikroben, sondern von intelligenten Wesen, fähig zur Raumfahrt und somit den Erdenwesen weit überlegen.
Das ist die Grundidee dieser Geschichte: Raketen vom Mars landen auf der Erde und haben Wesen an Bord die der Erdbevölkerung gegenüber feindlich eingestellt sind. Eine Verständigung scheint nicht möglich und die Maschinen verbreiten Tod und Zerstörung. Der Protagonist wird Zeuge der ersten Landung, sieht seinen Freund sterben und bringt seine Frau in vermeintliche Sicherheit.
Inmitten der Zerstörung findet er immer wieder Begleiter*innen und wird Zeuge aller möglichen Strategien von Flucht über das Verstecken bis zum Gegenangriff. Das Ganze wird natürlich dadurch verschärft, dass der Verkehr im Wesentlichen mit Pferden als Zugtieren auskommen muss, elektronische Kommunikation nicht vorhanden ist und auch die Waffentechnologie in den Kinderschuhen steckt.
Zeitgetreue Umsetzung
Thilo Krapp hat jahrelang an diesem Werk gearbeitet und sich viel Mühe gegeben, die Stimmung der Zeit, Kleidung und Architektur in sich aufzunehmen. Dadurch ist er in der Lage, das auch wieder abzuspulen und eine glaubwürdige Umsetzung anzubieten. Und vor allem stimmen nicht nur das menschliche Dekors, auch die Maschinen der Außerirdischen sind zwar den Menschen unendlich überlegen, aber eben auch dem damaligen Vorstellungsvermögen entsprechend ausgestattet. Sie haben sichtbare Gelenke und Tentakeln gleichende Greifarme.
Dadurch wirkt es auch glaubwürdig, dass teilweise tatsächlich eine Kampfeinheit zerstört werden kann. Eine Popcornkino-artige Hightech-Waffe der Außerirdischen würde in diesem Setting nur albern wirken. Krapp konzentriert sich aber sowieso nicht so sehr auf die Gewalt, die mehr als Rahmenbedingung geschildert wird. Ihm geht es um die Darstellung der Emotionen: Angst, Verzweiflung aber eben auch Sorge und Mitgefühl.
Gelungene Graphic Novel!
Wegen der zeitangemessenen Darstellung und der werkgetreuen Interpretation inklusive der Konzentration auf die inneren Konflikte eine glatte 1. Die Stimmung lässt sich nachempfinden, die englische Landschaft lädt dazu ein, am Horizont die Gefahr dräuen zu sehen und die Figuren sind glaubwürdig!
Im Anhang gibt es noch ein paar Skizzen und Vorzeichnungen für die Fans des in Berlin lebenden Künstlers! Tipp für die Freund*innen der klassischen „Phantastischen Literatur“, der gut erzählten Geschichte und des Englands von vor 130 Jahren.
Dazu passt natürlich am Besten eine ganz andere Interpretation des „War of the Worlds“, nämlich die von Jeff Wayne. Und ein kleines Gläschen Port.
Conan ist ein Held des Pulp-Zeitalters: Literatur, die eine schnelle Flucht aus dem erdrückenden Alltag ermöglicht. Klare Helden, böse Gegner, heroische Settings und gerne ein bisschen Erotik, Grusel und Schauer! In der Serie Conan der Cimmerier dürfen sich jeweils neue frankobelgische Künstler*innen oder Teams an einer klassischen Story von Robert E. Howardversuchen.
Fremde in der Stadt
Schon immer war es nicht leicht, als Fremder in eine Stadt zu kommen. Zu ungewohnt waren die spezifischen Bräuche, die angebeteten Götter und die Machtverhältnisse. Und oft wurden diese Fremden auch in Schenken oder Gasthäusern ausgenommen und konnten froh sein, mit dem Leben davonzukommen. Das ist auch das Grundmotiv der Menschenfresser von Zamboula. Es geht das Gerücht, dass Fremde aus eben jener Herberge, die Conan genommen hat, spurlos verschwinden. Und es heißt ebenfalls, dass Dämonen dahinterstecken.
Tatsächlich gerät unser Schwertkämpfer an einen Menschenfresser, aber auch an eine nackte Frau, die eine wirre Geschichte erzählt. In verschiedenen Versionen geht es darum, dass ihr Liebhaber durch einen Trank verrückt geworden sei und Conan ihn nun überwältigen müsse. Zudem soll er ihr helfen, ein Gegenmittel zu besorgen. Natürlich steckt mehr dahinter und die Leser*innen werden Dämonen, Vampire und Herrscher*innen sehen.
Die Story
Im Nachwort ordnet Patrice Louinet die Geschichte in das Werk von Howard ein: Er hatte gerade ein paar anspruchsvollere Conan-Stories verfasst die allerdings von Weird Tales, seinem bevorzugten Pulp-Magazin, abgelehnt worden waren. Es war mehr Erotik, mehr Horror und mehr Einfachheit gefragt und Howard lieferte. Die „Menschenfresser“ haben einen platten, widersprüchlichen Inhalt voll von rassistischen Konnotationen und kaum eine Erklärung dafür, warum die weibliche Hauptrolle fast die komplette Story nackt verbringen muss.
Aus diesem Grundgerüst macht Gess eine akzeptable Geschichte. Natürlich kann er weder die Widersprüche beseitigen noch die Vorgabe der Nacktheit ignorieren. Er stellt diese aber soweit möglich in den Hintergrund, schützt sozusagen die Darstellerin und ignoriert, ja konterkariert somit die voyeuristische Vorgabe. Die Heldin wird somit eine zwar seltsame, aber starke und eigenständige Persönlichkeit.
Die Zeichnungen
Ein Reiz an dieser Reihe ist die unterschiedliche Interpretation des Helden. Der Conan von Gess ist ein Muskelpaket, in seinen Proportionen aber noch natürlich. Die ebenfalls mitspielenden übernatürlichen Wesen sind deutlich übertriebener im Körperbau und bestätigen damit die Menschlichkeit des Helden. Auch die dargestellten Frauen sind nicht Barbie-like, sondern eher natürlich und respektvoll gezeichnet. Die Gesichter gelingen dagegen nicht immer und hätten in manchen Panels der Nachbearbeitung bedurft. Immerhin traut sich Gess des Öfteren, seitenweise auf Text zu verzichten!
Wirklich gut gelungen sind die Szenen in denen Conan gegen den Dämon und seine Illusionen kämpft und in denen die Architektur der Stadt Zamboula im Vordergrund steht! Die Menschenfresser müssen dagegen fast schon als inakzeptabel bezeichnet werden. Natürlich muss sich Gess in gewisser Weise an die Vorlage halten, hier wird aber zu stark mit rassistischen Vorurteilen gearbeitet.
Die Wertung
Der Reiz der Serie ist die Abwechslung in der Interpretation klassischer, originaler Geschichten. Die Umsetzenden müssen einerseits den Ton der damaligen Zeit und von Robert E. Howard treffen, andererseits eine moderne, heute lesbare Version erschaffen. Gess trifft den Ton gut. Er hat sich dabei für die Annahme entschieden, dass Howard die Stereotypen übertrieben hat, um auf seine Weise Kritik daran auszudrücken. Dadurch ist es ihm möglich, ein paar der Übertreibungen zurückzunehmen. Leider hat er sich dabei auf das Frauenbild konzentriert und alles andere ignoriert.
Für Fans des Originals – und davon gibt es nicht wenige – eine gelungene Umsetzung! Die Aufmachung mit Skizzen und dem Essay im Anhang ist natürlich wie immer vorbildlich! Als Tipp zum Schluss: Viele schauen sich die letzte Seite als erstes an – in diesem Fall sollte das unbedingt unterbleiben.
Text und Zeichnungen: Rudolph Perez und Georg K. Berres
ZEBRA (GoGer (at) web.de)
Heft | 56 Seiten | s/w | 7,00 € |
Die Independent-Comic-Szene in Deutschland ist gar nicht mal so klein. Und vor allem ist auch der Output trotz Corona und allem weiterhin stetig. Nur die Möglichkeiten in Shops, auf Messen und Veranstaltungen darauf aufmerksam zu machen sind doch deutlich geringer geworden. Gerne nehme ich hier also die Gelegenheit war, auf das eine oder andere hinzuweisen!
ZEBRA – nicht nur ein schwarz-weißes Tier
ZEBRA betitelt sich selbst als „das anspruchsvolle deutsche Comic-Magazin“ und wurde von den Zeichnern und Autoren Georg K. Berres, Bill GoGer, Ludwig Kreutzner und Rudolph Perez chon vor langer Zeit gegründet und seitdem betreut. Natürlich haben auch viele andere an den bisherigen Ausgaben mitgewirkt. Das Magazin ist in Köln beheimatet und versorgt die Republik mit Newslettern, Zeitschriften und Sonderbänden.
Aktuell ist der Sonderband 24 mit dem Titel Druckwerke sind bei uns unverzichtbar! Der Band versammelt Werke von Rudolph Perez und Georg K. Berres zu geprinteten Medien, Schriftsteller*innen, unveröffentlichten Entwürfen oder Ideen zu Logos, Anzeigen und vielem mehr!
Von einfachen Wortspielen zur hohen Literatur
Meistens bestehen die Inhalte aus einem Bild und bringen den gewünschten Inhalt sehr pointiert dar, es gibt aber auch Bildfolgen und Texte. Allen gemein ist die Lust am Blödeln! Manchmal bleibt einem beim Lesen allerdings das Lachen auch im Hals stecken und dann ist die Karikatur eben nur vordergründig lustig.
Die ZEBRAS verstehen ihren Sonderband im Übrigen auch als ein Zeichen dafür, dass die Digitalisierung die analogen Medien noch lange nicht getötet hätte und reklamieren für die Ergebnisse des Auge des Künstlers eben jene Unverzichtbarkeit! Lesenswert, wenn auch teilweise von unterschiedlicher Qualität! Das ist allerdings wahrscheinlich Geschmackssache und so wird jede*r andere Sachen lieben! Ihr findet die ZEBRAS im Übrigen auch auf facebook.
Dazu passen “Sunday Papers” von Joe Jackson und der Cocktail von Seite 29 unten.
Es gibt verschiedene Spielarten von Horror. Die einen verstehen darunter Schocker mit viel Blut und Spezialeffekten, die anderen eher gruselige Erzählungen. Beide reklamieren für sich, dass es darauf ankomme, das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Sie sind sich auch darüber einig, dass das Nicht-Vorhersehbare den Reiz ausmacht.
So könnte es gewesen sein
Die möglichen Geschichten von Neil Gaiman gehören eindeutig zur zweiten Kategorie: Geschichten, die im Hintergrund ein Kaminfeuer oder eine Taschenlampe als Beleuchtung implizieren und den leisen Grusel in den Vordergrund stellen. Die vier in diesem Band versammelten Stories stammen von dem preisgekrönten Bestsellerautor, die Adaption als Comicszenario und die passende Rahmenhandlung hat Mark Buckingham verfasst.
Sie alle haben etwas mit einem Londoner Club zu tun. Bis 2005 gab es in UK eine Sperrstunde und Pubs, Bars und Restaurants hatten sie einzuhalten. Allein Clubs durften exklusiv für Mitglieder weiterhin geöffnet haben und Alkohol ausschenken. Hier geht es um den fiktiven Diogenes Club im Zentrum von London.
Fremdartige Teile handelt von einem jungen Mann der sich, obwohl sexuell nur mit sich selbst beschäftigt, eine Geschlechtskrankheit eingefangen hat. Die Krankheit erfordert eine Änderung seiner Vorlieben. In Esser und Fütterer erlebt ein Untermieter, dass ein freundlicher Hilfsdienst gegenüber einer Nachbarin eine Kette von Ereignissen auslösen kann. Diese Geschichte hätte sicherlich auch in eines der EC-Magazine gepasst.
Früher waren nackte Körper nicht so präsent wie heute. Viele Jungen gewannen ihre ersten Eindrücke in Magazinen wie etwa Penthouse und wurden dadurch auf bestimmte Erwartungen geprägt. Die Geschichte einer besonderen Obsession erzählt Auf das Mädchen hoffen und Closing Time wird bestimmt von der Mutprobensituation in die sich kleine Jungen immer wieder gegenseitig bringen. Niemand möchte ein Feigling genannt werden und so passieren unglaubliche Dinge.
Das Artwork
Mark Buckingham ist nicht nur ein guter Geschichtenerzähler, er kann diese auch gut in Bilder umsetzen. Wie gut zeigt der Anhang, in dem einige Vorzeichnungen und Zeichnungen in schwarz-weiß abgedruckt sind. Die Linien zeigen geprägte Gesichter, die den erlebten Horror nie wieder vergessen werden. Es ist fast schon schade, dass einige der Emotionen durch die Kolorierung etwas überdeckt werden. Schaut man allerdings genau hin, sind sie auch dort zu finden.
Die Seitenaufteilung ist klassisch und streng; kein Schnickschnack lenkt vom Inhalt ab und so plätschern auch die Zeichnungen anfangs dahin bis dann der Moment kommt wo man in die Erzählung hineingezogen wird. Dazu kommt der immer mitschwingende britische Grundton. Alles ist etwas distinguierter und nicht umsonst wird auf die Avengers (Deutsch als Mit Schirm, Charme und Melone) Bezug genommen. Großes Kino!
Die Ausgabe
Der Dantes-Verlag hat sich dankenswerter Weise die Aufgabe gesetzt, eine Neil Gaiman-Bibliothek zu veröffentlichen. Neben seinen Werken aus dem Sandman-Universum und dem Streaming-Hit American Gods hat dieser nämlich eine Vielzahl an Kurzgeschichten geschrieben die oftmals als Comic adaptiert worden sind. Als solcher ist er vielleicht am ehesten mit Ray Bradbury zu vergleichen, dem Altmeister der Science-Fiction und des gepflegten Horrors.
Neben der Beigabe von Skizzen und Zeichnungen hat dieses Hardcover im Übrigen auch noch Anmerkungen zu den im Text vorkommenden Londoner Örtlichkeiten und Anspielungen auf englische Zeitschriften oder Fernsehsendungen die außerhalb von GB möglicherweise sonst nicht verstanden würden. Das Format ist etwas größer als das typische US-Heft und das kommt dem Ganzen natürlich zu gute.
Also: Wer Gruselgeschichten mag, das Un- oder Übernatürliche nicht unbedingt sehen muss, um zu wissen, dass es da ist und gut erzählte Geschichten mag, sollte hier zuschlagen! British Humor, etwas old fashioned, aber definitiv eine Empfehlung!
Dazu passen Fun Boy Three, etwa mit The Lunatics have taken over the Asylum und ein klassischer schottischer Whisky, zum Beispiel ein Glenmorangie.
1948, also in dem Entstehungsjahr von George Orwells Dystopie „1984“, lagen noch fast vier Jahrzehnte zwischen Gegenwart und Zukunft. Heute ist das seit fast vier Jahrzehnten Vergangenheit.
1984 – Synonym für die totale Überwachung
Und obwohl nicht alle Projektionen der Zukunftsvision Realität geworden sind waren wir technologisch gesehen noch nie so nah dran am gläsernen Menschen. Bis auf wenige Ausnahmen am Rand der Gesellschaft sind wir Bewohner*innen der „Ersten Welt“ aufgrund von Handy-Bewegungsdaten, Internet-Nutzungsprofilen, freiwillig bei Amazon, in der Spiele-App oder dem Einkaufsbonusprogramm abgegebenen persönlichen Metadaten und fleißig auf allen social-media-Kanälen geteilten privaten Inhalten so bekannt wie nie. Kein Überwachungsstaat hätte sich diese Informationsfülle ausdenken können, die heute zur Verfügung steht.
Zurück zu der literarischen Vorlage: 1984 beschreibt anhand des Angestellten Winston Smith die schleichende Entfremdung des Einzelnen mit dem kollektiven Staat. Er hinterfragt den Sinn seiner Arbeit, die aus dem Anpassen der dokumentierten Vergangenheit aufgrund tagesaktueller Entscheidungen besteht. Winston erkennt, dass eine Widerstandsbewegung existiert und vor allem ist er dabei, sich in Julia zu verlieben. Intimität und Sex sind als Keimzellen von Individualität und gemeinsamen eigenen Interessen strengstens verboten.
Aufgrund von menschlichen Spitzeln und Denunziation aber auch durch technische Überwachung des gesamten öffentlichen und privaten Raumes ist Widerstand über eine längere Zeit unmöglich und wird strengstens bestraft.
Jean-Christophe Derrien ist bisher eher als Autor von Trickfilmumsetzungen verschiedener Comic-Klassiker bekannt geworden: Spirou, Blake und Mortimer oder Bob Morane wurden von ihm aufbereitet. Hier kann er eindrucksvoll beweisen, dass ihm eine Aufarbeitung eines fremden Stoffes auch für einen statischen, also gedruckten Comic gelingt! Er klebt nicht sklavisch am Original, sondern wählt aus und variiert dadurch das Tempo für das gewählte Medium. Viel Text wird dabei in Bildsprache umgesetzt und muss von uns Leser*innen aufgenommen werden: die drückende Stimmung, die durch die überall platzierten Kriegsplakate geschürte Angst, die Uniformität der Gesellschaft.
Schwarz-weiß, farbig, und wieder zurück
Die Geschichte beginnt mit schwarz-weißen Zeichnungen, teilweise auf schwarzem Seitenhintergrund. Rémi Torrregrossa legt Wert auf kleine Details im Hintergrund oder in den Gesichtern seiner Protagonist*innen. Obwohl alles einförmig gemacht wird, gibt es noch Individualität, sie äußert sich aber nicht. Erst als Winston und Julia sich näherkommen, Gefühle entwickeln und sich öffnen, wird es auch farbig. Es gibt aber noch eine weitere Emotion, die in der Lage ist, „Farbe“ zu entwickeln; welche das ist, soll hier nicht verraten werden.
Die Zeichnungen sind so realistisch, dass sie beim Lesen das Gefühl der Anwesenheit vermitteln. Wie bei einer gut gemachten Dokumentation begleiten wir Winston, nehmen an seine Gedanken und Handlungen teil und fühlen mit. Geplant ist das in vielen Graphic Novels, erreicht wird das nur selten. Hier haben wir es mit einem dieser seltenen Glücksfälle zu tun: künstlerischer Anspruch und realisierte Umsetzung entsprechen einander virtuos!
Ein Must-Have für den Bücherschrank
Die Zeichnungen zeigen nicht nur die totale Uniformität und Unterdrückung auf beeindruckende Weise, sie deuten auch bereits im emotionalen Überschwang der Individualität an, dass diese niemals bestehen kann. Sie transportieren damit dem Text ebenbürtig die Düsterkeit der Zukunftsvision und warnen eindringlich davor, diese Macht zuzulassen. Natürlich aber enthalten sie kein Rezept gegen diese Diktatur und entsprechen damit dem Gefühl der Hilflosigkeit des Autors kurz nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges.
1984 gehört in jeden Bücherschrank! Nicht nur immer noch, sondern gerade jetzt! Wer mag darf das Original von George Orwell bevorzugen. Als moderne Interpretation, die obwohl originalgetreu doch auch aktuelle Bezüge herstellen kann, ist diese Graphic Novel allerdings ebenbürtig zu sehen! Den Kampf für Individualität, Freiheit und Frieden muss jede*r einzelne selbst beginnen, die Mahnung vor den Folgen des Verlierens bleibt aktuell.
Wie immer sind die Comics aus dem Knesebeck-Verlag handwerklich schön! Das Buch sieht edel aus, die „Farben“, insbesondere das Schwarz, sind satt und das Papier so dick, dass nichts durchscheint. Ein weiteres Kleinod für die Sammlung.
Dazu passen ein Grog, denn man möchte sich an etwas Warmen festhalten, und Clockwork-Orange beeinflusste Musik von den Adicts.
Ich muss gestehen, dass ich mir nicht ganz sicher war, ob ein russischer Klassiker als Comic funktionieren würde. Emotionale Dramatik, viele Personen und nicht zuletzt Handlungsmuster und gesellschaftliche Konstrukte, die seit langer Zeit veraltet sind. Würde die implizit als bekannt vorausgesetzte moralische Ebene noch grafisch umsetzbar sein? Würden sich die ausschweifenden Erklärungen abbilden lassen? Ähnlich äußert auch der Künstler selbst seine Vorbehalte.
Der Inhalt – russische Emotionen
Ich muss allerdings sagen, dass Bastien Loukia die Aufgabe hinbekommen hat! Verbrechen und Strafe umfasst in der deutschen Taschenbuchausgabe mehr als 750 engbedruckte Seiten und Fjodor Dostojewski formuliert entsprechend der russischen Literaturtradition der damaligen Zeit einerseits sehr genau, andererseits lässt er sich aber auch Zeit um alles detailliert zu beschreiben. Zudem ist die Frage der gesellschaftlichen Stellung eines Studenten mittlerweile eine ganz andere, viel weniger wichtige. Was es dagegen immer noch gibt ist, dass Frauen sich selbst zugunsten der Familie opfern wollen oder müssen und dass Süchtige im Spiel oder für den Suff alles vernichten: ihr Leben aber auch das ihrer Angehörigen.
Der Held dieses Stückes Rodion Raskolnikow ist ein in Armut lebender Student der Rechte. Er muss um überhaupt über die Runden zu kommen persönliche Erinnerungsgegenstände verpfänden und empfindet die Wucherzinsen der Pfandleiherin, ja, ihren Stand als so ungeheuerlich, dass er beschließt sie zu töten. Da er bei dieser Tat angetroffen wird, verübt er noch einen weiteren Mord.
Er wird vom Untersuchungsrichter Petrowitsch der Tat verdächtigt doch ein Unschuldiger gesteht zunächst die Tötungen. Raskolnikow gerät aber immer tiefer in die moralischen Verstrickungen, fürchtet sich vor Entdeckung und muss erkennen, dass seine Tat nicht etwa aus einer hohen moralischen Überlegenheit gegenüber der Wucherin, sondern aus persönlichen, niedrigen Beweggründen geschah.
Die Umsetzung – französische Finesse
Loukia schafft es nicht nur, die lange Geschichte in ihren wesentlichen Zügen auf rund 150 Comicseiten sehr verständlich wiederzugeben, sondern gleichzeitig noch einen tiefen Einblick in die ärmlichen Lebensverhältnisse in St. Petersburg zu geben. Gemeinschaftsunterkünfte, Prostitution zur Sicherung des Überlebens, Gewalt und schimmlige Wohnungen sind sehr eindrücklich gelungen und bleiben vermutlich noch längere Zeit im Gedächtnis präsent.
Mit Sicherheit hätte Dostojewski (zurecht) die Kategorisierung seines Romans als „Horror“ weit von sich gewiesen, die Darstellung des inneren Konfliktes Raskolnikows‘ und die Umsetzung seiner Alb- und Fieberträume kommt dem aber schon recht nahe. Und das ist dann auch die Brücke zur Neuzeit: Mögen sich die gesellschaftlichen Verhältnisse und Moralvorstellungen noch so sehr auf ihre Zeit beziehen, der innere Konflikt, der durch das Überschreiten der Grenzen ausgelöst wird, ist immer der gleiche!
Deutsche Schriftsteller haben immer gerne die gesellschaftliche Frage gestellt, ihre russischen Kollegen haben sich dagegen mehr auf die Moral und das Gewissen konzentriert. Bastien Loukia genügen kleine Veränderungen in der Darstellung des Gesichtes, der Körperhaltung, um diese psychologischen Tiefen deutlich zu machen. Beim Lesen sind tatsächlich die Details wichtig, die Stellung der Augenbrauen als Merkmal zum Beispiel. Wenn nötig wechselt Loukia auch vom strengen Reihenaufbau der Seiten in einen aufgelockerten, manchmal sogar in eine ganz freie Aufteilung.
Auch wenn er sich teilweise an Gemälden von Kasimir Malewitsch orientiert und die Bildsprache komplett wechselt, nie stehen die Zeichnungen um ihrer selbst willen dar, sondern dienen immer nur dem Fortgang der Erzählung.
Die Wertung
Verbrechen und Strafe ist sicherlich keine leichte Kost und erfordert mehr als ein Handtuch am belebten Strand. Es lädt sogar dazu ein, mehrfach gelesen werden zu wollen. Diese Herausforderung lohnt sich aber, denn Loukia bietet das brillante Ergebnis einer Auseinandersetzung, das Moderne und Original verbindet, das zeitlos Interessante präsentiert und die zeitgebundenen Stilelemente weglässt.
Insofern passt auch die Veröffentlichung durch von dem Knesebeck! Der Verlag hat in den letzten Jahren immer wieder Kleinode der Comickunst präsentiert, ohne dabei Trends hinterherzulaufen! Die Graphic Novel kommt im klassischen Albenformat daher, gebunden als Hardcover und auf stabilem, leicht glänzendem Papier. Der Preis von 25€ ist dabei vollkommen angemessen! Es bleibt zu hoffen, dass diese Ausgabe ein angemessen breites Publikum finden und nicht nur in Slawistik-Bibliotheken stehen wird. Verdient hätte sie es!
Dazu passen eine Kombination aus heißem schwarzem Tee und kaltem Wodka und die sehr spannenden Iva Nova!
Herbert George Wells ist einer der Wegbereiter der modernen Science-Fiction und als solches ein Klassiker, viele seiner Werke sind aber zu Unrecht ein wenig in Vergessenheit geraten. Teilweise liegt das daran, dass der Stoff keine Adaption in bewegten Bildern erfahren hat, teilweise wahrscheinlich eher daran, dass die Kinoversionen nicht in der Lage waren, sich nachhaltig in das Gedächtnis zu spielen.
Die Insel des Dr. Moreau gehört sicherlich zu den Letzteren, denn an sich ist der Roman an Aktualität und Thematik sehr frisch! Wenn er wie in dieser Fassung dann auch noch leicht modernisiert daherkommt ist ein Bestseller eigentlich schon vorprogrammiert. Hmmh, zumindest hätte er das verdient!
Die Story
Ellie Prendick ist eine studierte Biologin, die sich 1896 nach einem Schiffsunglück irgendwo im Pazifik an das Ufer einer abgelegenen Pazifikinsel retten kann. Dort trifft sie auf einen abgehalfterten Säufer, Mr. Montgomery, einen von der Hochschule suspendierten Wissenschaftler, Dr. Moreau, und ein paar kapuzenbewehrte Angestellte. Schnell erinnert sie sich an die grausamen Experimente des Dr. mit Lebewesen, wegen denen er Europa hatte verlassen müssen und muss feststellen, dass er seine Experimente nicht nur fortgesetzt hat, sondern auch Kreaturen geschaffen hat, die halb menschlich, halb tierisch zu sein scheinen.
Während einige der Kreaturen sich dieser Situation scheinbar klaglos unterordnen und andere durch eine Quasi-Religion gehalten werden, scheinen andere mit ihrer Rolle unzufrieden zu sein. Durch das Auftauchen der Fremden wird nicht nur Montgomery zu einem sabbernden Etwas, auch die Wesen erkennen, dass sich Machtverhältnisse verschoben haben.
Kaum ein Roman dieser Zeit ist so aktuell, wenn es um die Grenzen des Machbaren geht. Überall greift die Menschheit durch Gentechnik in evolutionäre Prozesse ein, verändert oder zerstört die Umwelt und lässt ethische Diskussionen über die eigene Tätigkeit nicht mehr zu. Geändert wurde in dieser Adoption von Ted Adams und Gabriel Rodríguez lediglich das Geschlecht der Besucherin, die im Original noch männlich war. Dadurch kommt in der Graphic Novel eine weitere Konfliktschicht hinzu.
Das Artwork
Rodríguez hat fast die gesamte Geschichte im Doppelseitenlayout angelegt; die Leserichtung geht also immer von links nach ganz rechts und macht nicht wie üblich in der Mitte der Seite halt. Dadurch ergeben sich ungewohnte Bildmöglichkeiten, insbesondere für Landschaften im Panorama-Modus und für Ansammlungen von Geschöpfen. Die Zeichnungen sind sehr detailreich und erlauben sowohl rasante Action durch die Abfolge vieler Panels in einer Reihe als auch ruhig bei flächefüllenden Illustrationen. Die Ausgabe bietet dabei die seltene Möglichkeit, das gesamte Werk in seinen Bleistiftzeichnungen vor der Kolorierung zu betrachten, da diese ebenfalls enthalten sind.
Erst diese reinen Zeichnungen bieten die Chance, den Zeichner in Reinkultur zu sehen, denn gerade im amerikanischen Raum können inks and colours sowohl in positiver als auch in negativer Seite den ursprünglichen Künstler komplett verändern. In dem zusätzlich auch noch abgedruckten Interview darf Gabriel Rodríguez dann auch noch erklären, warum er sich für dieses innovative Layout entschieden hat und warum die Beiden diesen Stoff adaptiert haben.
Die Empfehlung
IDW ist aktuell einer der innovativsten Plätze im amerikanischen Comic-Business. Diese Literaturadaption ist dafür ein weiterer Beweis, denn sie vereinigt handwerkliches Können auf hohem Niveau mit der Auswahl relevanter Themen und sinnvollen Goodies wie Reinzeichnungen und Interview.
Auch die deutsche Ausstattung ist angemessen: Hardcover mit Glanzlackapplikation, größeres Format und festes Papier lassen den Preis von 25 € als der Wertigkeit entsprechend erscheinen. Definitiv ein Band auch für diejenigen, die sonst mit Material aus den USA nicht so viel anfangen können! Für mich einer der Kandidaten für die Jahresbestenliste: politisches Thema wie aktuell auch z.B. bei Schreiber & Leser und gut gemachte Science-Fiction und nicht nur für die Älteren, die H. G. Wells noch in der Schule gelesen haben.
Dazu passen alter Hardrock in neuen Schläuchen von Samantha Fish und ein Bier aus der inklusiven Josefs-Brauerei Bigge.
Nada ist zuallererst der Name einer nihilistischen, linken
Splittergruppe aus Überlebenden verschiedenster Kämpfe und Milieus in
Frankreich. Diese Gruppe aus mehr oder weniger gescheiterten Existenzen
entwickelt einen gewagten Plan zur Verwirklichung ihres Manifestes: Der
US-amerikanische Botschafter soll entführt werden.
Nada ist aber auch die Bezeichnung all dessen, was
übrigbleibt, wenn ideologische Feierabend-Terroristen und ideologische
Vertreter der bewaffneten Kräfte eines Staates aufeinandertreffen!
Nada ist vielleicht sogar das, was den Unterschied zwischen den Seiten ausmacht.
Nada ist aber auch der Titel eines Romans von Jean-Patrick Manchette von 1972 der
bereits 1974 von Claude Chabrol
verfilmt worden ist und nun seine Wiederentdeckung als Comic feiern darf.
Die Story
Zunächst einmal werden sehr langsam und ausführlich die handelnden Personen vorgestellt. Der Alkoholiker, der Philosoph, die kleine Hure und andere. Insbesondere in diesem ersten Drittel wird deutlich, dass ein Roman der Story zugrunde lag, denn die meisten Comicautoren nehmen sich diese Gelassenheit und Tiefe am Anfang nicht. Die Motive der Beteiligten sind unterschiedlich, alle eint aber die Ablehnung des Frankreichs der End-60er Jahre. Die Schlachten um Algerien sind geschlagen (und verloren), die Anarchisten haben in Spanien gleich zweimal verloren, gegen die Kommunisten zuerst und dann gegen die Faschisten und die alte Gesellschaft hat bisher alle Bedrohungen überstanden. Die Bevölkerung ist aber nicht mehr bereit alles hinzunehmen und so wird erneut eine Aktion geplant.
Die Handelnden kennen sich untereinander nur zum Teil und so
dauert es etwas, Motivation auszutauschen und zu verstehen und vor allem,
gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Bis auf einen machen aber alle mit. Der
Plan lautet, den Botschafter bei seinem regelmäßigen Bordellbesuch zu entführen
und auf einem ländlichen Unterschlupf zu verstecken. Schon der Überfall läuft
aber nicht reibungslos und die Staatsmacht reagiert auf einen getöteten
Polizisten mit Schaum vor dem Mund und Mordphantasien.
Natürlich ist dieser Teil extrem pointiert dargestellt aber die Wortwahl des Chefs und das Verständnis des Kettenhundes deuten schon an, dass ersterer nichts gesagt haben wird, sollte der Einsatz schief gehen. Im weiteren Verlauf kommt es dann zu einem brutalen Einsatz gegen die Entführer und zu einem Showdown zwischen einem aus der Gruppe und dem Einsatzleiter.
Spannender sind aber die Reflektionen über die Entführung,
denn Sinn des Terrors und Gegenterrors und die Frage der Nutznießer solcher
Aktionen, die von einem der Entführer für die Nachwelt festgehalten werden. Doug Headline hat die Vorlage gut in ein
Szenario umgesetzt, das mit verschiedenen Tempi spielt und Raum für bildliche
Elemente lässt.
Wer jetzt noch auf ein Happy End spekuliert sollte die
Finger von diesem Comic lassen!
Die Zeichnungen
Max Cabanes ist
kein Unbekannter und auch kein Freund von seichter Unterhaltung. Selbst seine
erotischen Geschichten sind nicht voyeuristisch, sondern eher verstörend und
für seine anderen Werke gilt das erst recht. Die Darstellung der eigentlich
schon kaputten, gescheiterten Männer und der an sich selbst zweifelnden Frau
sind auch ohne Text schon so ausdrucksstark, dass ihre spätere Handlung
vorhersehbar wird. Der zähe Bärtige und der weiche Verheiratete zeigen ihre
Belastbarkeit von Anfang an und auch die „Flics“ zeigen deutlich ihre
Geisteshaltung in den Gesichtern.
Die Orte, sowohl verrauchte Kneipen als auch weite
Landschaften, Häuserschluchten als auch die ärmlichen Räume des Unterschlupfes
gelingen gut und die Farbwahl reflektiert die melancholische Stimmung. Dabei
ist der Aufbau streng geregelt: fast immer drei Reihen, keine Ausbrüche aus
ihren Kästen zulassend aber oft mit einem Maschinengetippten Text aus dem Off
der über den Rahmen steht. Die tuscheartige Kolorierung verwischt dabei die
Konturen, hebt sie aber gleichzeitig auch hervor.
Fazit
192 Seiten Noir-Thriller mit Tiefgang, was will man als Leser*in mehr? Natürlich ist das Unterhaltung! Sie wirft aber auch die eine oder andere Frage auf, die das übliche Schubladendenken in Frage stellt und aufzeigt, dass die Welt vielleicht doch nicht so schwarz-weiß, auf jeden Fall aber kein Ponyhof oder gar moralisch. Der Zynismus trieft teilweise kübelweise aus den Seiten und legt über das Ganze noch eine schräge weitere Ebene.
Charles Darwin
dürfte dem Namen nach jedem bekannt sein; seine fast fünfjährige Reise auf der HMS Beagle erlaubte ihm, unzählige Artefakte
zu sammeln, Theorien zu entwickeln und diente als Basis für sein
wissenschaftliches Werk, das die Naturwissenschaften revolutionierte und ihn in
scharfen Gegensatz zu der damaligen Auffassung brachte. Über diese Reise gibt
es bereits viele Bücher, nicht zuletzt von Darwin
selbst aber auch vom Kapitän der Beagle Fitz
Roy. Nun liegt eine Graphic Novel aus dem Knesebeck-Verlag vor, die diese Reise beschreibt.
Der Hintergrund
Darwin war ein etwas kränklicher junger Mann und so war die erste Hürde, die zu nehmen war, das Einverständnis des Arztes der Familie. Seereisen waren damals, wir schreiben das Jahr 1831, noch etwas anderes: ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Die Überfahrt war gefährlich, Kommunikation nur möglich, wenn man ein anderes Schiff traf oder während des Aufenthaltes in einem Hafen und es gab genügend Hinweise auf Kannibalen und feindlich gesinnte Bewohner unbekannter Landstriche.
Zudem waren die Schiffe der damaligen Zeit zwar durchaus
seetauglich, Luxus wie auf einer heute so beliebten Kreuzfahrt war aber nicht
zu erwarten. Der Kapitän der HMS Beagle,
der auf der zweiten Fahrt dieses Schiffes die Küste Südamerikas kartographieren
sollte, wünschte sich Gesellschaft durch einen gebildeten Gefährten während der
Fahrt und so kam es, dass der junge Darwin
eingeladen worden war. Da es keine Smartphones mit Kamera gab war auch ein
Maler mit an Bord um die Eindrücke festzuhalten. Die erwünschte Konversation
muss allerdings sehr beschränkt gewesen sein, Darwin litt nicht unerheblich an Seekrankheit.
Er entwickelte aber schnell ein großes Interesse an
Naturforschung und Geografie und stellte bereits auf dem ersten Stopp auf den
Kapverden fest, dass die Erde wohl nicht erst 6000 Jahre alt ist – so die
damalige theologisch begründete Annahme, sondern wesentlich älter. Die Erde
schien sich entwickelt zu haben (Blasphemie 1) und das Antlitz ihrer Oberfläche
schien aus verschiedenen Schichten aufgebaut zu sein.
Ein weiterer Punkt, in dem der junge Forscher einen totalen Gegensatz zur damals herrschenden Meinung einnahm, war die Frage der Sklaverei. Er empfand durchaus, dass alle Menschen gleich sein und die postulierte Minderqualität nicht aus dem Menschen selbst heraus zu begründen war. Die Zivilisation sei es, die die Menschen und ihre kulturelle Entwicklung geprägt hätte und dort gäbe es tatsächlich Unterschiede. Natürlich glaubte der Engländer an die Superiorität seiner Kultur und empfand durchaus eurozentristisch und paternalistisch, zweifelte aber an der Gottgegebenheit dieser Situation (Blasphemie 2).
Auf seinen weiteren Stationen dieser fast fünf Jahre
andauernden Reise entdeckte er Skelette von Fossilien und entwickelte
schließlich aufgrund der Tatsache, dass sich auf den einzelnen Galapagos Inseln
unterschiedliche Ausprägungen zum Beispiel von Finken finden ließen, die Theorie,
dass sie sich aus einem gemeinsamen Ursprung entwickelt hätten (Blasphemie 3). Diese Theorie sollte später sein
Hauptwerk werden unter dem Namen Der
Ursprung der Arten, der Begründung der modernen Evolutionstheorie!
Die Umsetzung
Grolleau und Royer haben sich in ihrer Umsetzung
dagegen entschieden, alle Details haarklein nachzuerzählen. Sie wollen etwas
vereinfachen, ja sogar romantisieren, wie sie in ihrem Vorwort gestehen. Ihnen
kommt es nicht darauf an, jede Entdeckung, jeden Landgang und jede Idee
wiederzugeben, sie wollen die Linie und die Entwicklung aufzeigen die vom
jungen, idealistischen Träumer hin zu dem genauen Wissenschaftler verläuft. Dadurch
gelingt es ihnen zu zeigen, wie sich einzelne Begebenheiten und Funde quasi wie
Puzzlesteine mühsam zu einem Größeren zusammenfinden und erst langsam die
Grundlage für die Theorie bilden. Noch einmal zurück in die damalige Zeit:
Fundstücke mussten katalogisiert werden, verpackt und dann nach England
verschifft werden. Sie waren teilweise Jahre vor dem Forscher in der englischen
Heimat und hatten bereits eine Diskussion angeregt, die von Darwin selbst gar nicht zu beeinflussen
war.
Zudem waren auch die Kategorien gar nicht bekannt und entwickelten sich erst im Laufe der Zeit, zum Beispiel die Wichtigkeit der geographischen Bezeichnung der Fundorte. Wenn alle Arten gleichzeitig von Gott geschaffen worden waren, war es nicht so wichtig, ihren Fundort zu beschreiben. Erst dann, wenn man von separaten Entwicklungen ausgeht, macht der Fundort überhaupt Sinn! Diese Weiterentwicklung in der wissenschaftlichen Herangehensweise wird durch die beiden Kreativen quasi nebenbei erläutert und das ist auch schon ein Hinweis auf ihre Leistung: Wissenschaft und vor allem die langsame Theoriebildung und ihre Verifikation werden perfekt und spannend beschrieben und erwecken Verständnis für die Leistung aber auch Neugier und möglicherweise den Spaß an eigenen Versuchen.
Die Graphic Novel lässt sich daher vielschichtig lesen: Sie
ist zu erst einmal eine spannende biographische Bilderzählung einer
fünfjährigen Reise und insofern fast wie ein Roman von Jules Verne, nur in echt. Sie ist die Beschreibung der Entwicklung
einer revolutionären Theorie, die unsere Welt nachhaltig geändert hat (auch
wenn es immer noch eine Vielzahl von Menschen gibt, die glauben, dass die Bibel
und ihre Genesis wörtlich zu nehmen ist). Und sie ist die behutsame
Heranführung an Wissenschaft und ihre Anforderungen.
Die Zeichnungen
Mir wurde auf keiner einzigen der 170 Seiten langweilig – der Stil ist so abwechslungsreich und wechselt zwischen Nahaufnahmen der Gesichter, der Situationen oder Tierdarstellungen und weiten Landschaften hin und her. Dabei ist das Gesicht Darwins den Bildern der damaligen Zeit so gut nachempfunden, dass man ihn sofort wiedererkennt, seine Entwicklung über die beschriebene Zeit aber auch sehen kann. Aus dem offenen, etwas ängstlichen jungen Mann wird einer, der weiß, was er zu tun haben wird um seine gesammelten Eindrücke zusammenzufügen.
Auch die Härte der Seefahrt, die Schrecken der Sklaverei und
die Beschreibung der südamerikanischen Lebensverhältnisse sind gut und vor
allem nachvollziehbar getroffen. Dazu gibt es immer wieder grandiose Bilder wie
etwa das als Titelbild genutzte Panel oder die Sammlung der Käfer die in ihrer
Weite und Detailtiefe die emotionale Beteiligung des/der Leser*in geradezu
erzwingen. Trotz aller Details vereinfachen die Bilder genug um nicht vom
Wesentlichen abzulenken und sind daher besser geeignet als Fotos es wären.
Die Ausgabe
Der Knesebeck-Verlag
veröffentlicht seit geraumer Zeit Graphic Novels. Viele davon sind aus der
Schnittmenge von Zeitgeschichte und Biografie und alle setzen den Willen der
Konsument*innen voraus, sich auf das Thema einlassen zu müssen. Das kurze Vergnügen
mit anschließendem Vergessen ist nicht gewollt, eher schon die Basis für eine
tiefere Auseinandersetzung. So laden die Werke auch alle dazu ein, sie mehr als
einmal zu lesen.
Das Buch kommt als Hardcover mit festem Papier. Obwohl sehr glatt, glänzt es nicht und reflektiert daher auch nicht störend. Der Buchhändler würde es etwas altertümlich als wohlfeil beschreiben… Durch die strukturierenden Kapiteleinleitungen mit einem Kartenausschnitt wird die Leser*in geführt und der Überblick gewährleistet.
Uneingeschränkte Empfehlung für alle, die nicht nur die
schnelle Ablenkung suchen, sondern eine Bildgeschichte gerne auch wiederholt in
die Hand nehmen und als Ausgangspunkt für eigene Überlegungen nutzen wollen!
Dazu passen Joe
Jackson mit Big World und Mate jeglicher Geschmacksrichtung.
Der gerade erschienene Band von Luc Brunschwig und Étienne Le Roux ist bereits die fünfte europäische Interpretation des Conan-Mythos und folgt wie auch die anderen streng den Vorgaben des Schöpfers Robert E. Howard. Da die Geschichten keiner Chronologie folgen, sondern nur eigenständige Ausschnitte aus dem Leben des Cimmeriers abbilden, eignen sich die Vorlagen vorzüglich dafür, von unterschiedlichen Kreativteams bearbeitet zu werden. Conan selbst ist bereits in Film, TV oder Comic so oft dargestellt worden das keine Figur erwartet wird. Es gibt eher eine Vereinbarung über das Nicht-Aussehen: Conan kann nicht strohblond sein, nicht weiblich, „of colour“, schwächlich oder insektenartig. Alles andere ist aber interpretationsfähig. Zu Band 1 und 2.
Die Story
In Die scharlachrote Zitadelle
ist Conan also ein König, der sein Reich schon seit längerem regiert hat. Wie
immer herrschen verschieden Ansichten über die Güte dieser Tätigkeit vor, denn
es gibt Nutznießer*innen und Verlierer*innen. In der gegebenen Situation
scheint es so zu sein, dass die Mehrheit der Regierten eigentlich sehr
zufrieden mit ihrem König ist. Ungerechtigkeiten, hohe Abgaben, Frondienste und
andere unschöne Begleiterscheinungen einer (natürlich nicht aktuellen)
Monarchie wurden beseitigt und Pfründe abgeschafft. Die andere Seite eben
dieser Medaille ist aber natürlich, dass die Inhaber*innen der ehemaligen
Privilegien, Einkünfte und Dienste eben nicht mehr bekommen und sich daher als
„Opfer“ dieser Herrschaft sehen.
Wie gut, dass es auch noch Nachbarn gibt… Diese sind – so dass kriegerische Grundsetting dieser Literaturgattung – natürlich immer neidisch auf die Ressourcen des in Frage stehenden Landes (Bodenschätze, strategische Bedeutung, Sklav*innen) und vor allem darauf bedacht, dass diese revolutionären Ideen nicht in ihr Land hinüberschwappen. Eigentlich also der heutigen Weltpolitik prinzipiell gar nicht soo unähnlich.
Die Geschichte beginnt mit dem Eintreffen des Barden in der
Königsfeste. Er berichtet von dem Hinterhalt, den Almarus, Strabonus und der
Magier Tsotha-Lantis mit ihren Armeen für die Streitmacht Conans gelegt haben,
und in dem fast alle Männer getötet worden sind. Auch Conan, der geliebte König,
sei umgebracht worden.
Tatsächlich ist der trotz seines Alters immer noch kräftige König nur gefangengenommen worden um eine Kapitulation im Gegenzug für persönliche Freiheit zu erreichen. Damit soll den Untertanen klar gezeigt werden, dass alle Errungenschaften der Conanschen Regierungszeit keineswegs nachhaltig seien und gerne der persönlichen Lage des Herrschers geopfert würden. Natürlich lässt sich der Barbar nicht darauf ein…
Im Folterkeller darf der muskelbepackte Held dann die Bekanntschaft
mit einer riesigen Echse machen, aber auch mit einem Überlebenden der Überfälle
aus der früheren Zeit als Conan noch als Pirat lebte. Nach einigen
Dungeon-Begegnungen kann er schließlich Pelias befreien, der vor 10 Jahren von
Tsotha-Lantis gefangengenommen worden war und selbst ebenfalls übernatürliche
Kräfte auf seiner Seite weiß.
Währenddessen hat in dem nun scheinbar verwaisten Königreich
die Machtübernahme der alten Eliten mit all ihren blutigen Details begonnen…
Das Artwork
Étienne Le Roux gelingt es gut, sowohl die dunklen Höhlenszenen mit Gefahren hinter jeder Ecke, Traumsequenzen und Ängsten aber auch Monstern darzustellen als auch die brutalen Szenen der Machtübernahme, die paradoxerweise in strahlendem Sonnenlicht wiedergegeben werden. Die Hintergründe wirken dagegen teilweise etwas zu einfach, der Rasterschatten etwas zu „nicht-selbst-gemacht“. Abgesehen von diesen kleinen Mängeln aber eine sehr ansehnliche Umsetzung.
Die Figur des Conan wirkt im ersten Moment mit dichtem
schwarzem Vollbart etwas ungewöhnlich, man gewöhnt sich aber schnell daran, da
man schon so viele Interpretationen gesehen hat, dass auch diese nicht wirklich
anders ist. Die anderen Figuren sind nicht so geprägt von Erwartungen und daher
noch leichter zu akzeptieren. Die Bösartigkeit kommt hier oft mit einem Lächeln
daher. Der Seitenaufbau ist klassisch und von wenigen Soundwords begleitet. Allein
bei rasanten Kampfszenen scheint sich auch der Stil bewegen zu wollen und
unterstützt so die Dynamik.
Luc Brunschwig ist
aktuell vor allem durch die neuen Abenteuer um Bob Morane sowie die im ZACK
abgedruckten Geschichten mit Mic Mac Adam
bekannt. Hier beweist er, dass er durchaus auch in Sword & Sorcery
Settings seine Qualitäten hat. Das Springen zwischen den beiden Locations, Hell
und Dunkel, Magie und Restauration ist gut umgesetzt und kann auch in Zeiten
eines Publikums, das mit Game of Thrones Kost dieser Art bereits gut
visualisiert bekommen hat, noch punkten.
Die Ausstattung
Splitter stattet auch diesen Band wieder mit einem Nachwort aus, das auf die Entstehungsgeschichte des Originals von 1932 eingeht und zudem weitere Illustrationen enthält. Der Band ist wie auch die anderen im typischen splitter-Überformat als Hardcover erschienen und bringt Farben und Zeichnungen brillant zum Ausdruck. Bei dem Preis kann man eigentlich nichts falschmachen. Interessant könnte es in diesem Monat zudem sein, die europäische Interpretation mit der neuen amerikanischen zu vergleichen, denn auch bei Marvel gibt es einen (deutschen) Neustart der barbarischen Abenteuer.