Patrick Prugne ist zurück. Niemand verknüpft Aquarellmalerei und Comic so schön wie der 60-jährige Franzose aus Clermont-Ferrand. Der Autodidakt hat bereits verschiedene Stoffe umgesetzt, am besten gefallen mir persönlich aber die Geschichten aus der Zeit der Auseinandersetzungen zwischen französischen und englischen Truppen in Nordamerika und Kanada aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Hier kann Prugne den Gegensatz der First Nations und der Europäer sowie die gewaltige Natur zeigen. 6 Jahre ist es her, dass mit den Irokesen das letzte entsprechende Werk erschienen war. Nun kehrt er mit Tomahawk in diese Gegend zurück.
Rache! … und weitere Motive
Die Geschichte beginnt mit der Sichtung eines großen Grizzlies durch ein Stammesmitglied der Abernaki. Es wird schnell deutlich, dass es sich bei diesem Bären nicht nur um ein großes Exemplar handelt, sondern um „den“ Bären, den der frisch bei der Armee verpflichtete Jean Malavoy seit Jahren jagt. Wir erfahren, dass es sich dabei um Rache handelt für einen persönlichen Verlust vor langen Jahren. Malavoy ist aber kein Ahab, die Story ist eingebettet in ein vielschichtiges Konglomerat aus anderen Handlungssträngen.
Die Franzosen und die Engländer stehen sich – wir schreiben das Jahr 1754 – unversöhnlich gegenüber und der Beginn des großen Krieges liegt in der Luft. Die Indianerstämme sind auf beiden Seiten eingebunden und werden auch die ersten Leidtragenden sein. Auch das wird schon zwischen den Panels deutlich. Ihre Naturverbundenheit wird den Pulverdampf nicht überstehen.
Und dann gibt es ja auch noch die missionierenden Priester, die auf der einen Seite das Wort Gottes verbreiten wollen, auf der anderen Seite fleischlichen Genüssen und egoistischen Handlungen gegenüber sehr aufgeschlossen sind. Eine große Verehrung gegenüber der (damaligen) Kirche lässt Prugne nicht erkennen. Neben dieser Kritik zeigt er erneut seine Hochachtung vor der Kultur der Ersten Völker und gleichzeitig auch seine Verachtung für die respektlose Gewalt der sognannten zivilisierten Menschen, hier in Gestalt der Highlander.
Fast jedes Panel geeignet als Wandschmuck
Wie schon in seinen anderen Werken legt Prugne in fast jedes Bild sein ganzes Können und sein Herzblut. Durch die Mischung aus Aquarellmalerei und direkter Farbe entstehen unzählige kleine Kunstwerke, insbesondere dann, wenn die Natur im Vordergrund steht. Natürlich vermag er es, Gesichtern Ausdruck zu verleihen, Körpern Spannung und Ansammlungen eine Stimmung. Das alles ist aber nichts im Vergleich zu dem Wald, dem Fluss und ihren menschlichen oder tierischen Bewohner*innen. Und so braucht es auch seitenlang keine Worte!
Im Anhang versammelt der Band wieder eine ganze Menge an Vorzeichnungen und Skizzen. Wir können daher nachvollziehen, dass die Kunstfertigkeit nicht von selbst kommt, sondern das Ergebnis harter Arbeit ist. Wie immer hat zeitgenössisches Material den richtigen Eindruck vermittelt, Prugne das in seinem Stil zu Kunst gemacht.
Man muss allerdings auch benennen, dass die Physiognomien eindeutig erkennen lassen, wem die Sympathie des Zeichners gilt. Natürlich sind prinzipiell die Ureinwohner*innen Träger dieses Wohlwollens, aber auch Weiße kommen in diesen Genuss, etwa Jean Malavoy.
Must Have
Ja, der letzte Titel von Patrick Prugne war zwar gut, aber nicht herausragend. Tomahawk gehört meines Erachtens wieder in die zweite Kategorie und wäre eine Zierde jeder Sammlung von modernen europäischen Comics. Definitiv sollte es aber in keiner Western-Sammlung fehlen! Jenseits von üblichen Trends verfolgt der Franzose seinen Weg und veröffentlicht konsequenterweise auch nicht bei einem typischen Verlag, sondern für eine Galerie.
Das großformatige Splitter Hardcover ist ein hervorragender Platz für die deutsche Ausgabe, der ausführliche Anhang ist – obwohl schon Standard – ein echtes Plus und der Verkaufspreis ist absolut angemessen. Top-Tipp!
Dazu passen ein Longdrink mit ein wenig rotem italienischem Bitter und viel Orangensaft sowie klassischer Soul, etwa von Max Romeo.
Konzeptserien sind seit ein paar Jahren der Renner. Die Fantasy-Ecke machte den Anfang mit den Elfen und allen Spin-Offs. Als Science-Fiction folgte „Conquest“, und dann kamen auch schon Broceliande und Conan, der Cimmerier. Den wohl größten Zuwachs als Genre in den letzten Jahren hatte nach meiner Einschätzung der schon fast totgesagte Western und so musste natürlich auch in diesem Bereich etwas passieren. Für die Western Legenden, so heißt es bei Splitter, hat Jean-Luc Istin, das Mastermind hinter Genre-Bestsellern wie »Elfen« und »Conquest«, die besten Szenaristen und Zeichner Frankreichs eingeladen, ihren Versionen der größten Legenden des Wilden Westens Leben einzuhauchen. Denn hinter jeder Legende steht ein Mensch. Und jeder Mensch hat eine Geschichte.
Ein Revolverheld als Detektiv
Wyatt Earp ist sicherlich eine der großen Legenden aus den Zeiten des Wilden Westens: Revolverheld, Sherriff, Lonesome Man, Kartenspieler. Der Comic spielt mit seiner Berühmtheit denn als der schon etwas ältere Held nach San Francisco kommt, wird er fast jedes Mal mit seiner Legende verglichen und als zu klein empfunden. Er war von seinem Freund und Lebensretter Cullen zur Hilfe gerufen worden, traf aber nur noch eine Witwe an. Er verspricht ihr, den grausamen Tod des Gefolterten aufzuklären.
Im Stil eines modernen Ermittlers fragt sich Earp in das Umfeld des Verstorbenen ein, um mögliche Motive kennenzulernen und vergräbt sich in die Aufzeichnungen des Verstorbenen. Er weiß aus dem Hilfegesuch, dass es um eine große Sache gehen muss. Schnell kristallisiert sich heraus, dass es um eine Serie von grauenhaften Morden geht die Ähnlichkeit haben mit einem Kriegsritus der Comanchen. Ein zweifelhafter Casinobesitzer verspricht Unterstützung und bringt Earp mit den Menschen zusammen, die Cullen vermutlich das letzte Mal lebend gesehen haben.
Insgesamt ist der von Peru sehr spannend konstruierte Band eher ein „Who’s-dunnit“ als ein Western. Der Held reitet zwar auf einem Pferd und es gibt Pokerspiele in einem Saloon, San Francisco ist aber schon kein kleines Städtchen mehr und Immobilienspekulanten sind die neuen Goldgräber. Auch die Jagd nach einem Ripper ist nicht unbedingt ein typisches Motiv. Durch die Bezüge auf die Person von Wyatt Earp und die in seiner Person und seinen Handlungsansätzen liegende Verknüpfung von Vergangenheit und Moderne ist aber ein sehr spannender Spät- vielleicht sogar Post-Western daraus geworden, der sich meiner Meinung nach sehr gut als Startpunkt einer „Legenden“ Reihe eignet! Peru hat im Übrigen auch schon für andere Konzeptserien Szenarien verfasst und kennt sich daher bestens aus.
Moderner französischer Stil
Die Zeichnungen von Giovanni Lorusso entsprechen dem aktuellen Standard. Aufgelockertes Layout, viel Dekors, Weißraum als Regel-Trenner zwischen den Panels die aber ständig aus dem eigentlichen Rahmen herausragen. Auch er ist bei den Konzeptserien sozusagen ein alter Hase und hat schon den einen oder anderen Titel veröffentlicht. Nun, er macht zumindest keinen schlechten Eindruck!
Die Gesichter wirken manchmal etwas zu schematisiert und gerade in diesem Setting helfen Bärte und Frisuren bei der Identifikation. Die Kampfszenen hat er dagegen sehr gut im Griff: einerseits explodieren die Szenen förmlich, andererseits stimmen aber Körperhaltungen etc. Auch die Kolorierung gefällt und die Stimmung eines Spätwesterns kommt gut zur Geltung. Bei der Kapitelstrukturierung ist der Opener mit seiner Integration meiner Meinung nach am Besten gelungen. Die späteren sind dagegen separiert.
Die Empfehlung
Die Serie möchte laut ihrem eigenen Mission Statement Legenden von ihrem Sockel herunterholen und als Menschen darstellen. Das gelingt bei Wyatt Earp ganz gut – immer wieder reflektiert er sich und sein Handeln und weist darauf hin, dass sein Bild größer ist als er selbst. Das kann bei den weiteren Bänden ebenfalls sehr gut funktionieren.
Die Idee, kein klassisches Setting zu nehmen, Wyatt Earp also sozusagen zu versetzen, ermöglicht im Rahmen der Ripper-Story einer sehr bekannten Figur, eben einer Legende, Neues hinzufügen zu können. Insgesamt also ein positiver Eindruck sowohl des Konzeptes als auch dieses Openers! Wie immer bei Splitter sorgt die Darbietung im großformatigen Hardcover und auf gutem Papier für ein angenehmes Lesevergnügen.
Dazu passen ein Rye-Whiskey, etwa Woodford Reserve, und Bruce Springsteens „Western Stars“!
Ansgar Lüttgenau zum Programm des All Verlag für das zweite Halbjahr 2021
Und wieder steht Ansgar Lüttgenau Rede und Antwort auf unsere Fragen zum neuen Programm vom All Verlag. Vielen Dank! Der zweite Teil des Jubiläumsprogramms hat es in sich und bringt nicht nur alte ZACK-Helden zurück oder erstmals komplett in die Regale! Daneben gibt es auch Neues für Westernfans. Natürlich wird comix-online die Neuerscheinungen wie gewohnt besprechen und den Verlag weiterhin begleiten. Nun aber viel Spaß mit dem O-Ton! Das Programm des ersten Halbjahres zur Auffrischung.
Generation ZACK im Fokus
c-o: Hallo Ansgar! Schon wieder sind sechs Monate vorbei und die Diskussion über dein neues Halbjahresprogram steht an. Wenn du das Programm 2021 II in einem Satz zusammenfassen müsstest, wie würdest du es beschreiben?
Auf die Zack Generation zugeschnittenes Programm mit vielen Neuerscheinungen zum 10-jährigen Verlagsjubiläum.
c-o: Du etablierst dich immer mehr als Verlag für die Generation ZACK – Mit Yalek und Pharao startest du zwei neue Serien von André-Paul Duchâteau die im alten Koralle-Zack liefen, mit Jerry Spring kommt eine Gesamtausgabe einer Serie deren letzter Band im heutigen ZACK in Kürze startet. Auch von Lady S. gibt es einen weiteren Band. Wie laufen die einzelnen Projekte? Und wie schaffst du es, wirklich konsequent neue Serien aus der ZACK-Familie auszugraben und neu zu präsentieren?
Wie die neuen Serien laufen werden, kann ich jetzt natürlich noch nicht sagen. Aber wenn ich keine guten Erfahrungen mit den bisherigen Zack-Serien gemacht hätte, würde ich sicher keine weiteren mehr starten. Der Pool der Serien, die im alten Zack gelaufen sind, ist ja überschaubar. Ein paar Serien gibts aber noch, die interessant sind. Allerdings wird es immer schwieriger die Rechte daran zu erwerben, da diese oft bei den Künstlern oder deren Nachkommen liegen und da die Kontaktdaten oftmals schwer oder auch gar nicht zu ermitteln sind. Von Jije gibt es z.B. ca. ein Dutzend Nachfahren die über die halbe Welt verteilt sind und alle unseren Vertrag unterschreiben mussten. Sowas funktioniert nur, wenn jemand, in diesem Fall Jijes Sohn Philippe, das koordiniert.
Comics für Erwachsene
c-o: Mit den erotischen Geschichten von Wally Wood und LoiselsFrivolen Freuden hast du erneut zwei Titel für Erwachsene im Programm. Du hast ja auch schon Hombre und Messalina in diesem Bereich. Wird das ein weiteres Standbein oder bleiben das Ausnahmen?
Da wird noch mehr kommen. Aktuell verhandeln wir mit einer argentinischen Anwaltskanzlei über eine sechsteilige erotische Serie eines spanischen Künstlers und haben ja im nächsten Programm schon den erotischen Wally Wood und die frivolen Freuden von Regis Loisel.
c-o: Die Zusatzfrage: Wird du neben den Science-Fiction- und Fantasy-Stories aus der EC-Zeit und dem nun angekündigten Band weitere Schätzchen von Wally Wood präsentieren? Das ist sicherlich einer der besten amerikanischen Zeichner der 50-er und 60-er Jahre.
Da ist noch einiges geplant, auch von anderen EC-Zeichnern. Aber das ist alles noch Zukunftsmusik. Aktuell arbeiten wir an einem EC Sonderband der zwei ganz besondere EC-Hefte enthalten wird.
Western, aber nicht von gestern
c-o: Mit Lederstrumpf startest du eine „neue“ Westernserie, die ebenfalls ihre 25 Jahre auf dem Buckel hat und der Generation ZACK eher in der Verfilmung mit Helmuth Lange bekannt sein dürfte. Auch Jerry Spring ist klassisch, wenn auch sicherlich eines DER Serienhighlights aus diesem Genre. Von letzterem gab es ja schon eine Gesamtausgabe in Sammelbänden, allerdings waren die Geschichten dort in ihrer unkolorierten Fassung abgedruckt worden. Glaubst du, dass es einen Markt für die einzelnen Bände gibt? Und erneut die Frage, ob wir bei Erfolg mehr aus dieser Richtung erwarten dürfen.
Ich habe mir die Gesamtausgabe von Ehapa damals nicht gekauft, weil sie nur in s/w war und ich denke, das ist manch anderem ähnlich ergangen. Außerdem ist Jije einer der Väter des frankobelgischen Comic und verdient eine optimale Ausgabe seines Hauptwerks. Mehr von Jije ist aktuell allerdings nicht geplant.
Highlights bleiben!
c-o: Und dann wären da noch die beiden Wunderwaffenserien, die ihre heiß erwartete Fortsetzung finden…
Was soll ich dazu sagen? Die Wunderwaffen laufen und laufen und laufen… Ein wichtiges Standbein in unserem Programm.
c-o: Die Statistikfrage: Kannst du schon sagen, welche Titel dich aus dem letzten Programm positiv bzw. negativ überrascht haben? Du bringst ja sehr konsequent limitierte Vorzugsausgaben von jedem Titel – Gibt es da Unterschiede zwischen den Serien im Abverkauf?
Natürlich gab es auch im letzten Programm Unterschiede. Insbesondere Messalina hatte ich bereits mehrfach verschoben, weil ich mir nicht sicher war, ob diese Art Comics noch funktionieren. Der Abverkauf hat meine Erwartungen dann mehr als übertroffen. Den ersten Band werden wir demnächst schon nachdrucken.
Planungen für die Zeit nach COVID
c-o: Gibt es bei dir schon Planungen für die Zeit nach Corona für Messeauftritte oder Signiertermine?
Natürlich werden wir wieder auf der Kölner Börse zu finden sein, wenn sie denn im November wieder stattfinden sollte und dann natürlich Erlangen, wo wir erstmals mit einem richtigen Messestand vertreten sein wollen. Mehr ist leider zeitlich (noch) nicht drin.
Das Programm im Überblick
Wie gehabt erscheint zu jedem Titel eine limitierte Vorzugsausgabe. Diese haben teilweise ein anderes Coverbild, immer einen Schutzumschlag und ein limitiertes ExLibris, das teilweise signiert ist. Sie sind auf 111 Exemplare beschränkt.
Lucky Luke wird in diesem Jahr 75 Jahre alt und aus diesem Grund wird natürlich gefeiert! Einen Überblick gibt es hier. Dem aktuellen Trend folgend gibt es neben Geschichten aus der Feder des Schöpfers Morris auch neue Interpretationen von Zeichnern, die sonst eigene Sachen machen. Ralf König wird seine Sicht im Juli präsentieren, jetzt aber erneut Matthieu Bonhomme der den Reigen der Hommagen mit Dem Mann, der Lucky Luke erschoss vor fünf Jahren eröffnet hatte.
Gesucht
Wanted als Titel des Albums ist dabei durchaus mehrschichtig zu verstehen. Gleich am Anfang trifft Lucky Luke auf drei junge Frauen, die bis auf eine kleine Rinderherde fast alles verloren haben. Sie wollen mit dem Erlös der Tiere ein neues Leben beginnen und sind nebenbei durchaus nicht abgeneigt, auch den feschen jungen Cowboy zu angeln. Dabei gehen sie nach dem Motto „Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt“ vor! Das Ziel ihrer Wünsche scheint aber nicht empfänglich und so werden schwerere Geschütze aufgefahren.
Gleichzeitig tauchen Steckbriefe auf, die 50.000$ Belohnung für die lebendige Ablieferung des Helden versprechen. Das zieht nicht nur Kopfgeldjäger an, auch alte Bekannte sehen ihre Chance auf vom Gesetz unterstützte Rache und machen sich auf die Jagd.
Bonhomme verknüpft so sehr geschickt Elemente des klassischen Lonesome Cowboy mit seiner erwachseneren Interpretation – lesenswert, spannend und lustig!
2017 hatte Bonhomme in Angoulême verdientermaßen den Publikumspreis für seine erste Hommage gewonnen. Mit diesem zweiten Teil beweist er, dass das keine Eintagsfliege gewesen war. Die Bilder nehmen in ihren Farben die Stimmung der Szenen auf: nachts sind alle Farben bläulich, die Wüstenszenen sind gelb- bzw. rotstichig und fallen damit anders aus als unter Morris bzw. Achdé gewohnt. Auch der Held ist kantiger, weniger funnyhaft.
(c) Lucky Comics 2021
Die Figuren tragen ihre Emotionen auf dem Gesicht und sind entsprechend glaubhaft, erinnern aber ein wenig an den übertriebenen Ausdruck im Stummfilm. Dadurch werden sowohl die romantischen Szenen als auch die Rachegelüste überhöht und lassen fast das Orchester im Hintergrund erklingen.
Kaufen?
Ja! Für alle Sammler*innen der wohl bekanntesten europäischen Westernserie wahrscheinlich eh keine Frage! Aber auch diejenigen, die zwar das Genre mögen, den Slapstick der frühen Geschichten um Lucky Luke aber nicht, und alle, die den aktuellen französischen Nicht-Fantasy-Stil mögen, ein Tipp! Die Geschichte um die drei jungen Damen erinnert ein wenig an Jessie James von Mazel und Frydman, hat aber durch die Verknüpfung mit dem zweiten Motiv einen ganz anderen Touch.
Zu erwähnen wäre noch das ständige Verweisen auf das „Blümchenkauen“ und die Tatsache, dass nicht-rauchende Cowboys schwach währen. Ich bin mir nicht sicher, ob der Gag so gelungen ist. Dieser kleine Wermutstropfen ändert aber die Gesamteinschätzung nicht.
Der Gattung Western haftete lange ein bisschen Anrüchiges an: Rassistisch, sexistisch, konservativ und altbacken. Es geht aber auch anders und viele sogenannte Neo-Western versuchen einen anderen Blickwinkel einzunehmen. Zunächst ging es darum, die amerikanischen Ureinwohner*innen nicht entweder als „Edle Wilde“ oder – entgegengesetzt – als „Untermenschen“ darzustellen. Nun wird vermehrt auch der Blick auf aktive weibliche Rollen gelenkt.
Klassische Inhaltselemente, neu gedacht und auf die Füße gestellt
Regenwolf ist dabei ein meiner Meinung nach extrem gut gelungener Versuch, einen anderen Blick zu ermöglichen. Jean Dufaux lässt die ganze Geschichte von einer Frau, Blanche McDell, erzählen und hat damit schon mal eine ganz andere Perspektive. Ein sehr unsympathischer Jüngling kommt in ein kleines Städtchen, um den Sohn eines Eisenbahnbarons wegen einer Frauengeschichte herauszufordern. Im Saloon kommt es zu einer Auseinandersetzung mit einem Indianer – Regenwolf – der anschließend den Fremden in Notwehr erschießt. Natürlich ist der rote Mann Schuld und kann nur durch das Eingreifen des Industriellen vor einem Lynchmord gerettet werden. Die Verwandten des Getöteten schwören aber Rache und starten einen Feldzug.
Im weiteren Verlauf verweben sich zwei bis drei Liebesgeschichten ineinander, rassistischer Hass bricht sich seine Bahn und findet in Dummheit einen perfekten Nährboden und mehrere Frauen stellen die Frage, ob Gewalt immer die richtige Lösung sein muss. Tatsächlich bleibt nur selten keine andere Wahl. Und auch andere Stereotypen wackeln: Der Tycoon ist auf der Seite der Guten und der junge Häuptlingssohn kann sein Temperament beherrschen. Nur die Dumpfbacken mit und ohne Colt bleiben was sie sind.
Es gibt aber noch eine mythologische Ebene, auf der anhand der Jagd auf den Weißen Bison die Frage nach dem Überleben der indianischen Kultur überhaupt gestellt wird. Ein weißer Misanthrop möchte ihn als Trophäe haben während für den der Kultur zugeneigten jüngeren Sohn der McDells und den titelgebenden Regenwolf eher der spirituelle Aspekt im Vordergrund steht. Und nicht zuletzt gibt es immer noch die Kraft der Liebe, die unterschiedliche Männer dazu bringt, Unerwartetes zu vollbringen und sich selbst zu opfern.
Die Entscheidung, die beiden Folgen in einem Integrale zu veröffentlichen, ermöglicht ein sehr dichtes Lesevergnügen. Dufaux hat sich Zeit gelassen, um Personen zu entwickeln, Beziehungen zuzuspitzen und Hintergründe zu beschreiben. Dadurch ist trotz der vielen Handlungsstränge auch nichts unlogisch! Aber der Name steht ja auch ansonsten für qualitativ gute Szenarien von Blake und Mortimer über Djinn bis hin zu Murena.
Das Spiel mit Farben und Schatten
Rubén Pellejero ist den Leser*innen von comix-online zuletzt mit den Fortsetzungen von Corto Maltese begegnet. Des Weiteren ist das von ihm gezeichnete Dieter Lumpen von Carlsen begonnen und von Finix beendet worden. Vielleicht beginnt sein Stern ja jetzt auch in Deutschland heller zu strahlen, denn Regenwolf ist ohne Frage nicht nur vom Szenario her ein Meisterwerk!
Er mag die klare, schwarze Linie als Kontur und zeichnet damit sowohl Gesichter in der Großaufnahme als auch Totalen. Gerade im ersten Teil sind die Gesichter teils noch etwas karikierend, der Realismus setzt aber mit fortlaufender Zuspitzung ein. Die Farben sind prinzipiell eher an Erdtöne angelegt, variieren aber entsprechend der Tageszeit. Sie fokussieren die emotionale Stimmung, wenn etwa das Abendrot vom Berg aufgenommen wird und die drohende Gewalt symbolisiert.
Anwärter auf den Comic des Jahres
Dieser Western ist für mich ein klarer Anwärter auf eine sehr hohe Platzierung in der Wertung Comic des Jahres! Dufaux bringt neue Perspektiven in ein spannendes und sehr vielschichtiges Szenario, Pellejero setzt kongenial die Impulse in digital erstellte Bilder um die einen Kino-Soundtrack überflüssig machen können!
Sicherlich ist der Regenwolf für Western-Fans ein Must-have, aber auch für Graphic Novel-Leser*innen, die neue Perspektiven zu schätzen wissen, gut erzählten Geschichten folgen möchten oder einfach Spaß an guten Bildern haben. Dazu kommt natürlich die gute Ausstattung: Hardcover, Fadenheftung und sattes Papier mit leicht glänzenden Farben! Zwei eher am Westernfilm orientierte Essays über die herausragende Bedeutung des Regenwolfes von Regisseur Bertrand Tavernier und der Szenaristin Corine Jamar sowie einige teils ganzseitige Illustrationen machen das Vergnügen vollkommen!
Dazu passen eine Kanne Kaffee und moderne Klänge wie von den (älteren) Einstürzenden Neubauten.
Gleich zwei neue Abenteuer des Mannes, der schneller zieht als sein Schatten von Morris? Kann das sein? Nun ja, natürlich erscheinen die beiden ersten Geschichten von Lucky Luke nicht erstmals auf Deutsch, sie waren aber bisher noch nicht Bestandteil der Reihe, die genau passend zum 75. Geburtstag der Western-Legende ihren 100. Band präsentiert! Mehr zum Jubiläum gibt es hier.
Die allererste Lucky Luke Veröffentlichung
1946 schrieb und zeichnete der gerade 23-jährige Maurice De Bevere die Geschichte Arizona 1880 und präsentierte erstmals einen Helden, der zur Legende werden sollte. Schon damals war Lucky Luke mit seinem typischen gelben Hemd, einem roten Halstuch und weißem Cowboyhut bekleidet. Der Look war trotzdem noch ein wenig anders was Dank des neuen Titelbildes des aktuellen Zeichners Achdé gut zu erkennen ist.
(c) Lucky Comics 2021
Die Geschichte war Bestandteil des legendären Spirou-Almanachs 1947 und begründete den Ruhm des unter dem Pseudonym Morris arbeitenden Künstlers. Die Geschichte ist noch sehr Slapstick-lastig und beschreibt die Auseinandersetzung des Cowboys mit ein paar Gesetzlosen. Lucky Luke steht dabei auf der Seite des Gesetzes und bereits das erste Abenteuer endet damit, dass der Held auf seinem Pferd in den Sonnenuntergang reitet.
Weiter geht‘s
Auch die Goldmine von Dick Digger aus dem Jahr 1947 ist eher actionlastig und beinhaltet die eine oder andere Prügelei. Lucky Luke wird dabei keineswegs verschont: er wird von Steinen begraben, gefesselt und fast ertränkt, würde also in einer der früheren Zeichentrickshows mit Bugs Bunny oder Tom & Jerry kaum auffallen. Sein Körper ist weniger langgestreckt, der Kopf einfacher gestaltet und viele Details werden erst im Laufe der weiteren Jahre dazukommen.
(c) Lucky Comics 2021
(c) Lucky Comics 2021
Genau die Unfertigkeit macht aber den Reiz der ursprünglich als Teil der Lucky Luke Classics Band 1 und 3 veröffentlichten Stories aus. Viele wichtige Elemente sind bereits enthalten, die Geschichten haben sich dagegen glücklicherweise weiterentwickelt. Einen ersten Höhepunkt erlebten sie in der Phase als Rene Goscinny die Szenarien verfasste und das aktuelle Fackeln im Baumwollfeld von Jul und Achdé ist meiner Meinung nach eines der besten überhaupt.
Das Jubiläumsjahr
Morris hätte sich sicher nicht einmal gewagt zu träumen, dass sein Cowboy nach 75 Jahren immer noch reiten würde. Es gibt wenige Glücksfälle dieser Art und es gehört Mut und Geschick dazu, zu erkennen was nötig ist. Ein ganz wichtiger Schritt war sicherlich die Hinzunahme von Szenaristen, denn die Zeichnungen allein hätten den Erfolg nicht begründen können. So aber können wir in diesem Jahr nicht nur zwei alte Klassiker erneut würdigen (der Verlag spendiert dazu für die erste Auflage eine Goldfolie für die Titelzeile).
(c) Lucky Comics 2021
Es gibt auch eine neue Gesamtausgabe, eine weitere Hommage von Matthieu Bonhomme und nach Mawil bereits die zweite deutsche Interpretation des Helden. Ich bin sehr gespannt wie die manchmal doch sehr konservative Fangemeinde Ralf König feiern wird.
Zur Nummer 100 passen auf jeden Fall ein Getränk auf Agavenbasis und Willow Osborne mit ihrem Banjo, etwa Foggy Mountain Breakdown.
Lucky Luke, der Cowboy, der schneller schießt als sein Schatten, wird 75 Jahre alt. Niemand hätte damit anfangs gerechnet und – seien wir ehrlich – ohne eine ständige Weiterentwicklung der Helden und des Zeichenstils wäre es auch nicht geworden. Aber: Man muss dem Glück auch eine Chance geben. Gerade der letzte Band des Gespanns Achdé und Jul hat bewiesen, dass die Serie niemals aktueller und besser war! Mehr dazu auf der Seite des deutschen Verlages www.egmont.de.
Anfangs war der Cowboy noch stark vom Trickfilm geprägt und hatte daher auch nur vier Finger. Zwei sehr frühe Western von Gestern kommen im März erstmals als Album auf den Markt. Die damaligen Stories von Morris waren eher Slapstick-geprägt, doch dann kam es zur fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Morris und Goscinny und aus einem lustigen Western wurde der wohl bekannteste europäische Western. Als Lucky Luke sich dann auch noch 1983 das Rauchen abgewöhnte, wurde er sogar noch familienkompatibler.
Natürlich hat auch der Held mit gelbem Hemd und schwarzer Weste längst die Grenzen der Buchdeckel verlassen und ist nicht nur zum Star von animierten Filmen und TV-Serien geworden; auch echte Schauspieler haben versucht, den Charme der Serie darzustellen. Morris selbst hatte darüber hinaus schon ein spin-off mit Rantanplan, dem treuen, aber etwas unterbelichteten Hund gestartet. Achdé, der Anfang dieses Jahrtausends den Zeichenstift übernommen hatte, steuerte dann Geschichten um Kid Lucky und seine Freund*innen bei.
Im Laufe der Zeit gab es immer wieder offizielle und unerlaubte Parodien, Gastauftritte und Plagiate; die bekannteste war sicherlich Rocky Luke. Was lag also näher als auch bei dieser Serie offiziell Gastautoren um ihre Interpretationen zu bitten. Matthieu Bonhomme machte den Anfang, andere folgten. Das aktuelle Jubiläumsprogramm kündigt zwei weitere Bände aus dieser Reihe an: Matthieu Bonhomme darf mit Wanted bereits sein zweites Abenteuer vorlegen, in dem ein Kopfgeld auf den Helden ausgesetzt ist.
Einen ganz anderen Zugang hat sich Ralf König gesucht. Letztes Jahr hatte er im Interview mit comix-online bereits angedeutet, dass er gerade Lucky Luke entdeckt, nun ist es offiziell: Zarter Schmelz kommt im Sommer.
Als wäre das noch nicht genug: Es erscheinen auch die ersten beiden Bände der neuen Gesamtausgabe, die Eroberung des Westens bietet alles über den Cowboy und seine Künstler und das Lexikon enthält unzählige Antworten auf immer wieder gestellt Fragen. War das? Nein, es ist auch noch ein Kochbuch geplant, um zu beweisen, dass es mehr gab als Bohnen mit Speck!
Eindrücke aus dem Verlagsalltag, Corona und Ausblick auf 2021
Der Verlag Schreiber & Leser aus Hamburg ist mit mehreren Titeln unter den meistgelesenen Beiträgen vertreten und hat sich auch in der Jahresbestenliste 2020 prominent platzieren können. Es wurde daher dringend Zeit, den Verlag ein wenig genauer vorzustellen und wie könnte das besser geschehen als jemand aus dem Verlag selbst zu befragen. Pippo ist derjenige, der dafür sorgt, dass alles läuft und hat comix-online gut gelaunt Rede und Antwort gestanden. Aber lest selbst:
c-o: Hallo Pippo, könntest du dich / ihr euch und den Verlag Schreiber & Leser für die Leser*innen von comix-online kurz vorstellen?
Gerne. Ich sage ja immer, dass Schreiber und Leser nicht unangefochten der älteste deutschsprachige Verlag sein mag, der speziell Grafische Literatur für Erwachsene Leser*innen herausbringt, denn etwa der einstige Feest Verlag und das ebenfalls nicht mehr existierende Carlsen-Verlagslabel Edition ComicArt entstanden ungefähr gleichzeitig direkt Anfang der 1980er, aber S&L ist in diesem Programmbereich definitiv der langlebigste Verlag. Der erste Splitter Verlag, Salleck Publications oder der Reprodukt Verlag starteten schließlich erst um 1990 herum, der Dino Verlag, der die ersten dezidiert erwachsenen US-Comics im großen Stil rüberbrachte, sogar noch etwas später, und mit den Manga ging es ja erst kurz vor der Jahrtausendwende richtig los in Deutschland. Man möge mich hier aber gerne auch in allen Punkten oder teilweise korrigieren …
Das jedenfalls steht aber fest: Seit den Anfängen konzentrierte man sich bei S&L, namentlich die heutige Senior-Verlegerin und Max-und-Moritz-Preisträgerin Rossi Schreiber, auf europäische Comic-Lizenzen. Bis heute auch ist man dem italienischen (u.a. Manara, Serpieri, Hugo Pratt) und besonders dem frankobelgischen Comic treu geblieben, auch wenn das Programm mit der Zeit um US-Indie-Comics von Künstlern wie etwa Terry Moore sowie um die frühen Manga von Jiro Taniguchi erweitert wurde. Superhelden- und High-Fantasy-Geschichten liegen (aktuell) nicht im Fokus, aber darüber hinaus kennt das S&L-Programm keinerlei Einschränkungen: Uns ist nur wichtig, dass die Geschichten spannend und zeitgemäß bzw. bestens gealtert sind. S&L geht also, natürlich im krassen Gegensatz zu allen anderen Comic-Verlagen auf der Welt, ganz nach dem Motto vor: Qualität statt Masse. Das zeigt sich auch schon darin, dass wir im Monat nur sehr selten mehr als 2-3 Titel veröffentlichen.
Comics für Erwachsene
c-o: Ihr macht Comics für Erwachsene, definiert das aber anders als andere Verlage. Gibt es ein Bindeglied zwischen Serien wie Druuna oder Venus H. auf der einen und den Geheimnisvollen Städten oder Lincoln auf der anderen Seite?
Definieren die anderen Verlage das anders? Nach meinem Verständnis gibt es im Bereich der Grafischen Literatur (und wahrscheinlich der Unterhaltungsliteratur insgesamt) nur Geschichten, die sich im Spektrum zwischen All-Age-tauglich und nicht All-Age-tauglich bewegen, und wir sind mit unseren Titeln eher nicht so All-Age aufgestellt: mal aufgrund der expliziten Darstellungen von Erotik oder Verbrechen, mal aufgrund der verhandelten Inhalte, die eine gewisse Lebenserfahrung voraussetzen, um alle Nuancen zu verstehen, mal aufgrund ironischer oder anderer literarischer Verweise, die ein jüngeres Lesepublikum sehr wahrscheinlich noch gar nicht herausfiltern und erkennen kann. Da es aber zum Glück noch nie an Verlagen mangelte, die ganz bewusst All-Age-taugliche grafische Literatur herausbringen (der uralte Spruch, Comics seien nur für Kinder, kommt ja nicht von ungefähr), sehen wir da auch keine Dringlichkeit, unsere Expertise und unser nun schon viele Jahre gepflegtes Profil im Bereich der Erwachsenenliteratur komplett infrage zu stellen.
Corona
c-o: Das Jahr 2020 war geprägt von der Pandemie und Verschwörungstheorien und somit ganz anders als erwartet. Was ist bei euch anders gelaufen als geplant?
Als klar wurde, dass jetzt Stichworte wie „Lockdowns“ und „Veranstaltungsabsage“ zum Alltag gehören, haben wir erst einmal alles pausiert, was nicht zwingend zum Kerngeschäft gehört – eine Reaktion, die sicher auch bei vielen anderen Kolleg*innen zutreffen wird, denke ich. In den letzten Monaten war dann auch viel Kommunikation wichtig. Glücklicherweise durften wir aber rasch feststellen, dass wir unserer Philosophie treu bleiben können, keinen Trends zu folgen, sondern einfach auf gute, zeitlose Geschichten zu setzen. Es zeigte sich der große Wert unserer über Jahrzehnte gepflegten und gewachsenen Stammleserschaft, denn die Verkäufe blieben über das ganze Jahr 2020 stabil. Soweit ich das überblicke, teilen wir diese Erfahrung aber mit den meisten Comic-Verlagen, die ein klares Profil verfolgen und ebenso engagiert sind.
Publikumsverlage, die ein ganz breite Leserschaft ansprechen, hatten es da definitiv schwerer, da diese die Leser*innen teilweise gar nicht kennen und erst suchen und abholen müssen – wenn Geschäfte zu sind, niemand die Werbemittel mitnimmt, niemand das Marketing in den Schaufenstern sieht, haben diese Verlage natürlich ein massives Problem. Es hat sich in dieser Krise daher für uns noch mal in aller Deutlichkeit gezeigt, dass es durchaus seine Vorteile hat, als kleine Nussschale durch den großen Buchhandelsozean zu segeln statt als großer Verlagstanker, der ständig irgendwelche Bestseller- und Schnelldreherlizenzen durchboxen muss, um den ganzen Apparat am Laufen zu halten.
Aber das soll jetzt nicht respektlos klingen, denn Hut ab vor den Kolleg*innen, die in den Großverlagen arbeiten und mit Abstand größere geschäftliche Risiken eingehen als wir – aber solche Spekulationsakrobatik ist aber einfach nicht das Ding von S&L, auch wenn das heißt, das wir so definitiv nie Millionäre werden, wie die Kontoauszüge auch leider immer wieder beweisen …
Ausblick auf 2021 – das Verlagsprogramm
c-o: Könnt ihr schon einen Ausblick auf das kommende Jahr werfen? Gesamtausgaben wie die Western von Serpieri und Corto Maltese sind (erstmal) abgeschlossen, was kommt jetzt? Worauf freut ihr euch am meisten?
Richtig, die zwei Serien der italienischen Comic-Legenden Hugo Pratt und Serpieri liegen jetzt abgeschlossen vor – mit den beiden sind wir aber noch lange nicht fertig! Von Serpieri etwa folgt im Sommer bereits der Auftaktband einer bibliophil aufgemachten Artbook-Reihe, u.a. mit Halbleinenumschlag und einem Sonderdruck in der kompletten Erstauflage. Der erste Band dieser Reihe mit dem Titel „West“ nimmt die Western Serpieris in den Blick, und was danach folgt, dürfte klar sein: mindestens ein Artbook von Druuna! Auch von Hugo Pratt gibt es noch ein paar Schätze zu heben, zuerst aber werden seine „Wüstensskorpione“ fortgesetzt, ebenfalls in der mittlerweile etablierten doppelten Ausführung, also einmal als Farbausgabe und dann als Klassiker-Ausgabe in Schwarz-Weiß: Der 2. Band ist für Mai 2021 geplant. Und wir hoffen natürlich, dass die beiden spanischen Erben von Pratt, der Zeichner Rubén Pellejero und der Szenarist Juan Díaz Canales, mindestens noch eine Fortsetzung von Corto Maltese abliefern.
Es ist eigentlich immer unmöglich, das eigene Programm objektiv zu hierarchisieren. Wenn man etwas herausbringt, dann, weil man davon überzeugt ist, sonst würde man es nicht tun, vor allem nicht als Kleinstverlag. Aber so ganz persönlich gesprochen und wenn man mich zwingen würde, zumindest einen Titel hervorzuheben, dann würde meine Wahl aktuell fallen auf: Winczlav – 1. Vanko 1848! Das mag mit Blick auf die ganzen anderen Highlights im Programm 2021 vielleicht etwas überraschen, aber ich finde es einfach genial, dass die legendäre Largo-Winch-Serie jetzt ein Spin-off bekommt, das zumal die Vorgeschichte erzählt, dazu noch vom legendären Berthet gezeichnet, dessen Zeichen- und Erzählstil mich schon immer beeindruckt hat, und dann ist da noch das Comeback von Jean van Hamme. Wäre das nicht echt, man könnte es sich nicht ausdenken! Doch wer weiß, vielleicht wird dieser Ausflug den einen oder anderen Largo-Winch-Puristen auch total enttäuschen, ich aber freue mich schon enorm auf die deutsche Ausgabe und die Reaktionen der Leser*innen und bin da ganz optimistisch, dass das Dreamteam Berthet/van Hamme eine meisterliche Leistung abliefert.
Tops’n‘Flops
c-o: Für die Statistiker*innen unter uns: Welche Titel waren in 2020 Top? Und welcher Titel hat euch am meisten positiv oder negativ überrascht?
Wie erwähnt, verlief 2020 sehr stabil für uns, auch, weil wir von Experimenten oder irgendwelchen Panikreaktionen abgesehen haben, obwohl Letzteres sehr unserem Naturell entspricht hier in Hamburg. Weil aber alles so lief, wie noch vor Corona-Zeiten ausgemalt, muss man angesichts der schwierigen Umstände bei den klassischen Verkaufsstellen sagen, dass die Titel anscheinend sogar so stark waren, dass die Leser*innen mindestens einen Schritt mehr gegangen sind, um ranzukommen. Das beeindruckt uns aktuell nach wie vor und dafür sind wir allen Leser*innen da draußen sehr dankbar!
Um aber einmal zu den Zahlen zu kommen: Wie in den Vorjahren liegt die Durchschnittsauflage einer Publikation bei S&L mindestens im niedrigen 4-stelligen Bereich – einzige Ausnahme nach unten in den letzten Jahren nur die Klassik-Edition von Corto Maltese. Neben Neuauflagen von Corto Maltese, Largo Winch, Taniguchi-Manga und Bänden der Serpieri-Collection hat uns besonders die rasche 2. Auflage von „The End“ von Zep gefreut. Aktuell erscheint auch die 2. Auflage von „Shooting Ramirez“. Und wenn es so weiter geht, steuern auch „Mechanica Caelestium“, „Im selben Boot“ und der 1. Band von „Omaha the Cat Dancer“ auf eine 2. Auflage zu.
c-o: Vielen Dank! Möchtet ihr zum Schluss noch etwas mitgeben?
Im Internet steht meistens eigentlich nur Quatsch, glaubt also nicht alles, was ihr da findet!
Der vierte Band der Western-Kurzgeschichten in der Serpieri Collection ist sehr stark von einem Thema geprägt: Der sich deutlich abzeichnenden Vernichtung der indianischen Völker. In den ersten drei Bänden standen Ehre, Auseinandersetzung mit der Natur und Vertrauen im Vordergrund. Diese positiven Charaktereigenschaften lassen sich auch hier finden, allerdings fast nur noch bei den Ureinwohnern. Vereinzelt sind allerdings auch Weiße noch zu Ehrlichkeit und Güte fähig. Mehr dazu bei Band 3.
Die Stories
Den Anfang macht eine Hommage an die Reiter des Pony Express die keine Gefahren gescheut haben um Post und Nachrichten quer durch das gefährliche Land zu transportieren. Auch der Bote transportiert Nachrichten, sogar eine die ihn selbst betrifft. Der eine oder die andere wird diese Geschichte schon vom diesjährigen Gratis Comic Tag zu Hause haben.
Im Gegensatz zu den anderen Bänden, die jeweils nur eine farbige Story enthielten, sind hier rund 80 Seiten koloriert. Geistertanz erzählt von einer indianischen Legende. Wowoka, ein Indianer, der auch der Messias genannt wird, hatte eine Vision vom Verschwinden der Weißen. Ein bestimmter Tanz werde dann die toten Krieger zurückbringen. Natürlich kennen wir das Ergebnis, die aus Furcht geborene gewalttätige Reaktion der Weißen ist aber leider noch nicht Geschichte.
Tecumseh war einer der charismatischen Führer der nördlichen Stämme. Ihm war klar, dass der Krieg auf militärischem Weg nicht zu gewinnen war, Er versuchte, Bündnisse zu schließen, und war bereit, Verträgen zu vertrauen. Auch hier wissen wir leider, dass Machtsucht und Profitgier Vertragstreue nicht zugelassen haben und dass Herrenmenschen dazu neigen, ihren Gegnern das Menschsein an sich absprechen. Diese Thematik bestimmt auch die Geschichten, die sich um „Gelbhaar“ Custer drehen: Custer am Little Big Horn sowie Sitting Bull und Crazy Horse stellen zwar den vernichtenden Sieg am Little Big Horn dar, haben aber eine zutiefst pessimistische Grundstimmung. Allen Beteiligten ist klar, dass dieser Sieg keine Wende bringen wird.
Aber auch bei den Eroberern gibt es verschiedene Fraktionen und Konflikte zwischen diesen. Auf in das gelobte Land beschreibt das Schicksal der Mormonen, einer extrem konservativen christlichen Glaubensrichtung und ihrem Versuch, selbständig zu bleiben. Hier zeigt sich, dass Serpieri Konflikte auch darstellen kann, ohne Position beziehen zu müssen. Hier bleibt er Beobachter ohne moralische Wertung!
Die letzten drei Geschichten machen dagegen ein wenig Hoffnung: Es ist klar, dass die indianische Kultur untergehen wird und ebenso, dass die meisten Weißen moralisch und charakterlich unterlegen sind. Es gibt aber auch Ausnahmen: Frauen können ehrlich und ritterlich sein und sich von Vorurteilen befreien und ganz vereinzelt können das auch Männer. Die Squaw mit dem goldenen Haar, Die Rache des Paw-Hawk und der Weg der Squaws erlauben den Leser*innen einen positiven Blick in die Zukunft der Menschen. Sie mag ärmer sein da das Zerstörte nicht wiederkommen wird, sie ist aber nicht notwendigerweise düster!
Die Zeichnungen
Serpieri hat eine Qualität als Zeichner, die es seinen Erzeugnissen erlaubt, das Dargestellte lebendig wirken zu lassen. Wenn die Indianer auf ihren Mustangs durch die Prärie jagen kann man sie fast hören. Wut und Verachtung in den Blicken lassen den eigenen Magen schrumpfen und die Schlachtszenen sind eindrücklicher als in so manchem Film. Dabei ist es egal, ob die Zeichnungen koloriert sind oder nicht! Sein Strich ist fein und die Schraffuren lassen die dritte Dimension einfließen.
Vor allem aber ist es dem Verlag zu danken dass die Originale in einer so guten Qualität präsentiert werden. Eine einzige Geschichte hat etwas zu dicke Linien die auf die Originale schließen lässt. Alle anderen sehen aus wie gerade gezeichnet und doch haben sie 40 Jahre auf dem Puckel und stammen häufig aus Zeitschriften.
Der Ruhm des italienischen Zeichners basiert hauptsächlich auf seinen Werken für Erwachsene aus der Druuna-Reihe. In seinen Geschichten über die Eroberung Amerikas und die Vernichtung der indianischen Kultur finden sich keine Hinweise darauf, sie ist sogar von einem tiefen Humanismus geprägt! Wer auch immer sich für dieses Genre interessiert sollte hier einen Blick hineinwerfen. JohnWayne und Ronald Reagan Fans werden allerdings eher nicht glücklich werden, finden aber vielleicht Anhaltspunkte, ihre Gedanken zu überprüfen.
Alle anderen finden einen sauber hergestellten Band mit gutem Papier und einer guten Auswahl an Geschichten!
Dazu passen ein Mate-Tee-Mischgetränk und eine andere, allerdings fröhliche Reminiszenz an vergangene Zeiten: Die Toten Hosen mit Leaning English lesson three.
Ursprünglich war die im Original bei Oni Press erscheinende Serie mal als Western mit Mystery-Elementen gestartet. Sehr schnell hatte sich angedeutet, dass das Setting zwar im Western-Milieu angesiedelt war, auch die Kostüme der Held*innen dort ihre Herkunft hatten, der angedachte Handlungsbogen aber weit darüber hinaus ging.
Es gibt sechs mythische Waffen, die die Fähigkeit besitzen, Welten bzw. Realitäten zu zerstören und neu zu erschaffen. Die neue Realität hängt also sehr eindeutig davon ab, wer die Waffen in die Hände bekommt. Nicht alle Welten sind angenehm für diejenigen, die darin leben müssen und nicht in allen gibt es gleiche Chancen auf einen „Neuanfang“.
Becky, eine der Protagonistinnen, besitzt die Sechste Waffe und wurde auf eine Reise durch die Geisterwelt geschickt. Weder dürfen ihre Begleiter*innen sie aktiv aus dieser Reise herausholen, denn dann würde sie wahrscheinlich irreparablen Schaden nehmen, noch ist garantiert, dass sie diese Reise überstehen wird. Ihr folgen nicht nur Skinwalker und Hungrige Wesen, auch ihre Gegenspieler versuchen die Situation auszunutzen.
Auf ihrer Reise reist die Heldin durch verschiedenste Inkarnationen der Realität und trifft auf Ritter und Drachen, Geister, entartete Kreaturen aber auch auf eine friedvolle Idylle im Mittleren Westen.
Cullen Bunn hat lange auf diese Episoden hingearbeitet wie im dem Band beigefügten Interview deutlich wird und freut sich, alle Register ziehen zu können. Ihm ist dabei eine besondere Serie in der Masse der Mystery-Plots gelungen, die durch den Genre-Mix überzeugen kann.
Die Zeichnungen
Brian Hurtt gibt alles, um die verschiedenen Welten und Realitäten gegeneinander abzugrenzen und wird dabei tatkräftig durch die Kolorierung von Bill Crabtree unterstützt. In dem schon angesprochenen Interview erläutern die Künstler, welche Rolle dabei die Farben spielen. Gerade durch die Beispiele wird dieses sehr deutlich und ermöglicht noch einmal einen ganz anderen Blickwinkel!
Aber auch ohne diese Hinweise wird deutlich, wie stark sich der Stil und die Fähigkeiten des Zeichners im Laufe der Geschichte weiterentwickelt haben. Vereinzelt sehen Panels immer noch etwas unfertig aus, andere sind sehr detailreich, klar in der figürlichen Darstellung und Bewegung und wirken fast schon europäisch. Man merkt der Seire an, dass sie keine Auftragsware ist, sondern mit Herzblut geschrieben und gezeichnet wird.
Den Figuren sind die harte Arbeit und die schwierigen Bedingungen anzumerken. Sie sind nicht gestylt, haben keine Modelmaße und sollen nicht „schön“ sein. Sie sind ehrlich, haben überzeichnete Ecken und Kanten und sind sogar leicht karikierend dargestellt. Dadurch unterstützen die Zeichnungen aber die Geschichte und drängen sich nicht in den Vordergrund! Vom Aufbau her ist das Werk sehr klassisch: Jede Seite hat drei in ihrer Höhe variierende Panel-Reihen mit eckigen Kästen. Auch diese Ordnung unterstützt aber den Fluss der Geschichte, die von so vielen Regeln getragen wird. Zwar werden diese alle hinterfragt, das Leben läuft aber weiter.
Die Ausgabe
Wie immer bringt Ansgar Lüttgenau neben der regulären Veröffentlichung auch eine auf 111 Exemplare limitierte Vorzugsausgabe an den Start. Diese hat neben einem anderen Cover und einem Schutzumschlag wieder ein von Brian Hurtt signiertes ExLibris als Beigabe! Das ist durchaus eine Überlegung wert denn die Sechste Waffe gehört zu den „guten“ alternativen Serien von der anderen Seite des großen Teiches!
Dazu passen ein Gin Tonic mit Rosmarin und der etwas angestrengte Soul der Redskins!