Yann/Dany – Spirou und Fantasio Spezial 42 – UPDATE

Spirou und die blaue Gorgone

Story: Yann

Zeichnungen: Dany

Originaltitel: Spirou et la Gorgone bleue

Carlsen Comics
Softcover | 96 Seiten | Farbe | 14,00 €
ISBN: 
978-3-551-79956-2

Cover Spirou und Fanstasio Spezial 42

UPDATE: Mittlerweile hat DUPUIS den Band zurückgezogen, er wird nicht mehr verkauft. Es hatte – wie bereits unten vorausgesagt – eine intensive Diskussion gegeben, ob es sich um Satire handele oder um Bild-gewordenen Sexismus und Rassismus. Auch auf der deutschen Seite von Carlsen ist der Band nicht mehr gelistet, er wurde allerdings nicht zurückgezogen, er wird nur nicht nachgedruckt.

Dany hat erklärt, dass er den Band als Hommage an die 60-er Jahre betrachtet hat und keineswegs jemanden verletzen wollte. Er hätte den Fehler eingesehen und würde ihn nicht wiederholen.

Während die reguläre Serie über den Hotelpagen und seine Freund*innen ein mittlerweile sehr gemäßigtes Publikationstempo aufgenommen hat, erscheinen die „Spirou par …“-Bände, die bei uns in Deutschland als Teil der Spezial-Reihe erscheinen, deutlich häufiger. Kein Wunder, haben doch hier die Autor*innen und Zeichner*innen viel mehr Freiheiten bezüglich des Stils und der Kontinuität. Yann ist bereits ein alter Bekannter, hat er doch sowohl reguläre als auch Sonderbände bereits mehrfach getextet. Für Dany ist es das erste Mal.

Kampf gegen Fastfood

Heutzutage wird die Klimakatastrophe bzw. die menschgemachte Klimaänderung nur noch von Wissenschaftsleugnern angezweifelt. Ein Teil des Problems ist die weltumspannende Fast-Food-Kultur, die unter anderem zu einer aktuell nicht mehr beherrschbaren Menge an (Verpackungs-)Müll führt. Sehr deutlich wird in dem Comic auf den sog. 8. Kontinent hingewiesen, der aus schwimmendem Müll besteht.

Es gibt eine alles beherrschende Fast-Food-Kette, die von einem sehr reichen Mann geführt wird der einen verblüffend an einen unsympathischen Mann erinnert. Bei ihren potentiellen Kund*innen ist die Kette vor allem wegen der hochwertig inszenierten Werbeclips und Sammelobjekte beliebt. Die Kette ist aber auch das Hauptziel der blauen Gorgone. Ihre Kämpferinnen treten vermummt und in einheitlichem Outfit auf um mit Sachbeschädigungen auf die Gefahren von Fast-Food aufmerksam zu machen.

Spirou und Fanstasio Spezial 42 page 5

Plötzlich ändert die Organisation jedoch ihre Handlungsweise und entführt das Anchor Girl der Kette, die gleichzeitig Lebensgefährtin des Chefs ist. Stefanie ist als Reporterin undercover live dabei und auch Spirou und Fantasio werden in die Ermittlungen hineingezogen. Selbst der Graf von Rummelsdorf scheint eine Rolle zu spielen.

Traditionell und doch unerwartet

Dany kann sehr wohl realistisch zeichnen (etwa hier), bewegt sich bei diesem Abenteuer grundsätzlich aber in den gewohnten Spirou-Bahnen. Es gibt jedoch einige Anspielungen, die eher nicht kindgerecht sind, etwa das Aussehen eines bestimmten Pilzes. Und auch Gorgonen wie Strandurlauberinnen sehen etwas anders aus. Ansonsten trifft er aber den Ton der Serie: Fantasio ist rechthaberisch und aufbrausend, Spirou eher die Ruhe selbst und Pips der Rächer der Machtlosen!

Spirou und Fanstasio Spezial 42 page 6

Da der Band recht lang ist, besteht genügend Zeit, grundlegende Szenen auszudehnen und nicht in ein oder zwei Panel abhandeln zu müssen. Dany nutzt das aus, um mit Perspektivwechseln zusätzliche Bewegung aufzunehmen. Die Geschichte wirkt dadurch sehr flott erzählt. Manchmal verliert man dabei den Blick für die Details. Ich empfehle daher mindestens einen zweiten Durchgang!

Grandiose Satire!

Yann schafft eine wirklich grandiose Satire auf die heutige Zeit mit den sinnlosen Abwehrkämpfen gegen wissenschaftliche Erkenntnisse. Leider haben die Leugner immer wieder die Dummheit der Masse auf ihrer Seite. Zudem beweist die Story, dass man nicht immer gut sein muss um Gutes zu wollen und vice versa. Mir gefällt auch der Anfang, der die Leser*innen an eine bestimmte Schaffensperiode von Dany erinnert. Während die Zeichnungen in diesem Stil bleiben, ist der Inhalt mit Oh LaLa natürlich keineswegs zu vergleichen.

Spirou und Fanstasio Spezial 42 page 9

Die Militärs und Geheimdienste sind genau so überzeichnet wie Kapitalist*innen und naive Beschützer*innen. Wahrscheinlich werden sich einige Leute auf allen Seiten auf den Schlips getreten fühlen. Tatsächlich ist hier aber ein großer Spaß entstanden, der allerdings trotzdem klar macht, auf welcher Seite man steht.

Dazu passen Paul Wellers neues Album “66“ und hand-made Lemonade.

© der Abbildungen Dupuis, 2023 | 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Roba – Boule & Bill Gesamtausgabe 1

1959 – 1963

Story: Jean Roba mit Maurice Rossy

Zeichnungen: Jean Roba

Originaltitel: Boule & Bill

Carlsen Comics

Hardcover | 268 Seiten | Farbe | 38,00 €
ISBN: 
978-3-551-80266-8

Boule und Bill Gesamtausgabe 1 Cover

One-Pager, also Gags, die genau eine Seite einnehmen, sind eine typische Publikationsform in Magazinen. Einerseits dienen sie durchaus als Ankerpunkt in der Kund*innenbindung und zählen oft zu den beliebtesten Serien, andererseits sind sie auch als Trenner zwischen zwei Beiträgen beliebt. Dadurch können sie sowohl in Stadtmagazinen und Illustrierten auftreten als auch in Magazinen wie Spirou, Tintin/Kuifje oder ZACK. Die Spielarten dieser Serien sind so weit wie das gesamte Comic-Spektrum hergibt, Tiere sind jedoch definitiv beliebt.

Ein Junge und sein Cocker Spaniel

Mittlerweile sind im Original in der regulären Serie 44 Sammelbände erschienen. Autoren und Zeichner haben genauso gewechselt wie Verlage und selbst der Zuschnitt der Bände hat sich geändert. Auch in Deutschland gab es die eine oder andere Veränderung. Alles begann bereits 1964 unter dem Namen Schnieff und Schnuff bei Kauka. Später publizierte Ehapa bevor der Salleck-Verlag (der im Übrigen in diesem Band immer noch in einem Panel beworben wird) und Finix übernahmen. Jetzt also die Gesamtausgabe bei Carlsen!

Das erste Abenteuer kam in Form eines Mini-Recits und hat zwar schon die späteren Figuren, atmet aber noch eine komplett andere Stimmung aus. Erst danach kommen die lustigen, teils klamaukhaften Einseiter im Rahmen der Familie. Der siebenjährige Boule und sein Cocker Spaniel Bill erleben Abenteuer aus der Sicht der „Kleinen“, der Vater versucht den Spagat zwischen Erzieher und Kumpel und scheitert daher hin und wieder.

Die Mutter dagegen räumt zwar auf und beseitigt alle Schäden, ist aber auch ganz klar die gefürchtete (und geachtete) Respektsperson. Die Nachbarin dagegen ist die Vertreterin des Kleingeistes und ihre Katze der Antagonist zu Bill. Die Geschichten sind niedlich, kindgerecht und haben trotzdem manchmal eine Komponente für Erwachsene.

Boule und Bill Gesamtausgabe 1 Detail

Einfach schön

Die Zeichnungen von Roba sind einfach schön! Man merkt ihnen an, dass Roba an drei Abenteuern von Spirou zusammen mit Franquin gearbeitet hat. Kompositionen und Tempo stimmen und die Zeichnungen verbreiten den Charme der Marcinelle Schule. Realismus und Gemütlichkeit bilden eine Einheit.

Dementsprechend waren die Seiten in Deutschland auch sowohl in Lupo und Fix und Foxi als auch im ZACK vertreten. Für heutige Kinder wären sie wahrscheinlich zu langweilig. Die zu Geld gekommenen früheren Kinder werden sich aber an fast jeder Seite erfreuen können, sind die Gags doch gewissermaßen zeitlos.

Eine schöne Gesamtausgabe

Der Band enthält sowohl eine internationale Einführung als auch einen auf Deutschland bezogenen Beitrag und rahmt die Geschichten somit angemessen. Viele zusätzliche Abbildungen, die nur in Spirou enthalten waren, ergänzen die hier chronologisch und komplett wiedergegeben One-Pager.

Die hier abgedruckten ersten drei Originalalben (mit deutlich höherer Seitenzahl als die spätere Variante) ergeben auch ein angemessenes Preis-Leistungsverhältnis. Wer die Sachen also nicht ohnehin zuhause im Regal hat und auf die große Generation der frankobelgischen Zeichner steht, sollte hier unbedingt einen Blick riskieren!

Dazu passen “Pass the Durchie“ und eine Zitronenbuttermilch.

© der Abbildungen Roba/Dupuis, 2021 | 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Delaf – Gaston 22

Die Rückkehr eines Chaoten

Story: Delaf nach André Franquin

Zeichnungen: Delaf nach André Franquin

Originaltitel: Gaston 22 – Le Retour de Lagaffe

Carlsen Comics
Hardcover | 48 Seiten | Farbe | 15,00 €
ISBN: 
978-3-551-64001-7

Cover Gaston 22

Wir feiern (immer noch) den 100. Geburtstag eines der besten Comic-Künstler überhaupt, der den europäischen Comic wie nur wenige andere beeinflusst hat: André Franquin. Viele seiner Werke sind gerade in Sondereditionen neu erschienen, die Zeitschrift Spirou hat gar eine sehr schöne Sondernummer (4473 – 4474) veröffentlicht. Natürlich sind mit diesem Namen Serien wie Spirou und Fantasio oder Mausi und Paul verknüpft, das gelb-schwarze Wundertier hüpft über die Seiten. Daneben gibt es aber auch die anarchistische Seite, die sich in einigen Schwarzen Gedanken äußert, in der Kritik an der Institution Kirche, vor allem aber in den Abenteuern des Büroboten Gaston.

Zurück in die Zukunft …

21 Bände mit den aberwitzigen Geschichten von Gaston sind erschienen und eine sehr lange Zeit sah es so aus, als ob es dabei bleiben würde. Zwar kamen immer neue Gesamtausgaben auf den Markt und wurden teilweise vergessene Bruchstücke hinzugefügt, Neues schien aber verboten zu sein. Natürlich mal abgesehen von den unzähligen Hommagen und Cameoauftritten. Schließlich schon es so weit zu sein, der Kanadier Delaf (mit bürgerlichem Namen Marc Delafontaine) fabrizierte einige Seiten, aber ein Rechtstreit verhinderte zunächst die Veröffentlichung. Bis jetzt …

Die Jahrzehnte, die zwischen Band 21 und Band 22 liegen, haben in gewisser Weise gar nicht stattgefunden. Fräulein Trudel ist noch genauso die alte wie Herr Bruchmüller, Demel oder Polizist Knüsel. Während das bei Letzteren nicht weiter schadet, ist das Rollenbild der verliebten Kollegin leider „leicht“ veraltet. Die Gags funktionieren trotzdem und bringen das gesamte Ensemble auf die Bühne: sogar Spirou, Demels Vorgänger Fantasio und das Marsupilami dürfen mittun!

Gaston 22 page 3

Die Gags modernisieren die Umgebung nur leicht und sind daher für Kids möglicherweise nicht ohne Erklärung verständlich. Das mobile Telefon ist für die Älteren unter uns aber ein genauso großer Spaß wie der Campingurlaub und die nur auf Papier vorhandenen Verträge. Es gibt aber auch bereits erste E-Bikes und Reminiszenzen an Spider-Man. Ein gelungener Versuch, den alten Stallgeruch aufzunehmen und (sehr zaghaft) zu modernisieren.

Zeichnungen, die das Flair einfangen

Natürlich ist Delaf kein Franquin. Wer das erwartet, glaubt aber auch an den Weihnachtsmann. Delaf kopiert jedoch den Stil sehr originalgetreu und schafft damit das Vertrauen, das es braucht, eine Meisterserie fortsetzen zu können. Einige Bilder mögen etwas zu voll sein, natürlich fehlt die lustige, immer wieder andere Signatur und das Tempo stimmt (noch) nicht immer.

Gaston 22 page 4

Das ist aber ein Meckern auf hohem Niveau! Für mich springt der Funke über, der Irrwitz aus Respektlosigkeit, grenzenloser Naivität und unbekümmertem Urvertrauen wird durch die Zeichnungen perfekt unterstützt. Weiter so! (Und: Ja, ich weiß, dass es Purist*innen gibt, die das Ganze nur als Affront verstehen während anderen die Modernisierung nicht weit genug geht…).

Ein gelungenes Comeback

Viele alte Serien aus der Blütezeit des frankobelgischen Comics sind „runderneuert“ wieder auf dem Markt, andere sehen sich eher den Traditionen verbunden. Der „neue“ Gaston gehört definitiv in die zweite Kategorie. Kids sind eindeutig nicht die Zielgruppe! Fairerweise muss man allerdings zugestehen, dass die beruflichen Erlebnisse einer Redaktion schon immer aus der Welt der Erwachsenen entnommen waren.

Wir haben heutzutage viel zu wenig Spaß in unserer auf Verwertung und Optimierung getrimmten Welt. Gaston ist definitiv ein Ereignis, eine Naturgewalt, von der man hofft, dass sie andere Firmen heimsuchen und die eigene verschonen möchte. Trotzdem gibt sie genau das, was fehlt: Anarchie im Alltag! Für mich ein Top-Tipp!

Dazu passen Bite Me Bambi mit “Bad Boyfriend“ und ein Grauburgunder.

© der Abbildungen Delaf d`après Franquin Dupuis 2023 | 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Franquin – Huba!

Eine Marsupilami-Liebesgeschichte

Story: André Franquin

Zeichnungen: André Franquin (Adaption Catheline & Frédéric Jannin)

Originaltitel: Houba ! Une histoire d´Amour

Carlsen Comics
Hardcover Querformat | 64 Seiten | Farbe | 18,00 €
ISBN: 
978-3-551-71129- 8

Cover Franquin - Huba!

Wenn ein berühmter Autor einen runden Geburtstag feiert, erst recht, wenn es der 100. ist, erscheinen alle möglichen Sonderausgaben. Einerseits versucht natürlich der Verlag, Umsatz zu machen, andererseits ist es oft auch eine wirkliche Anerkennung der Leistung. Zum Jubiläum von André Franquin erscheinen auf Deutsch einige spezielle Ausgaben, u.a. eine neue Gaston Gesamtausgabe, Luxuseditionen der Bravo Brothers und der Schwarzen Gedanken. Neu ist ebenfalls die Geschenkband-Edition der wohl bekanntesten Marsupilami-Geschichte überhaupt.

Romantik pur

Die Geschichte über die Anbahnung einer Liebesbeziehung war ursprünglich eingebettet in ein Abenteuer der Serie um Spirou und Fantasio. Das Nest im Urwald erzählte von einer Expedition in den Urwald Palumbiens und das Fabeltier, genannt Marsupilami, war fortan der heimliche Star der Serie. Franquin behielt jedoch die Rechte an der Figur als er die Geschichten um Spirou in andere Hände abgab, um zusammen mit Batem eine eigene Reihe zu starten. Erst vor einigen Jahren und nach jahrelangem Gezerre konnte die Figur erneut in ihrer eigentlichen Serie wieder auftreten.

Franquin - Huba! - Detail 1

Dieser Band enthält die wortlose Liebesgeschichte zweier Marsupilamis. „Er“ lebt sein Leben im Urwald, bis er auf „Sie“ trifft und sofort begeistert ist. Zunächst einmal muss er sie allerdings überzeugen, dass sein Werben ernst gemeint ist. Da es sich um eine Liebesgeschichte handelt wird nicht zu viel verraten, wenn erwähnt wird, dass aus dieser Beziehung drei Kinder entstehen.

Neben der gehörigen Portion Romantik besticht die Geschichte aber auch mit dem unverwechselbaren Humor der bitterbösen Klamauk auf Kosten von Großkatzen und Piranhas mit dem liebevollen Schmunzeln über die Sorgen junger Eltern beim Entwirren der verknoteten Schwänze mischt.

Modernisierte Zeichnungen

Die Geschichte erscheint in einer leicht modernisierten Form, adaptiert von den beiden Jannins und auf das Querformat ummontiert. Die einzelnen Panel sind dadurch etwas größer und kommen naturgemäß besser zur Geltung. Während die Figuren selbst unverändert sind, ist der Hintergrund teilweise angepasst worden. Das stört aber nicht.

Franquin - Huba! - Detail 2

Die Details in den Blättern der Pflanzenwelt des Urwaldes laden dazu ein, Überraschungen und Anspielungen zu entdecken. Die Körpersprache der Tiere drückt viel mehr aus als jedes Wort vermöchte und die Fähigkeit, Eigenarten zu präsentieren, ist perfekt ausgebildet.

Ein Geschenk …

… für alle, die Humor, Romantik und Kunstfertigkeit zu schätzen wissen. Wer diese Geschichte noch nicht hat, sollte durchaus überlegen, sich selbst ein Geschenk zu machen! Alle Altersstufen werden ihre Lesart finden. Insofern kann man damit eigentlich nichts verkehrt machen. Und in heutigen Zeiten kann es auch mal notwendig sein, etwas Unbeschwertes haben oder verschenken zu wollen.

Franquin - Huba! - Detail 3

Der doch stattliche Preis wird über ein vernünftig fadengebundenes Hardcover gerechtfertigt, das im eher ungewohnten Querformat daher kommt.

Dazu passen The Smiths mit “Some Girls are bigger than others“  und ein trockener Prosecco.

© der Abbildungen Dupuis, Dargaud-Lombard SA 2010, by Franquin| 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Franquin – Schwarze Gedanken

Gesamtausgabe

Story: André Franquin (und andere)

Zeichnungen: André Franquin

Originaltitel: Idées Noires L´Intégrale

Carlsen Comics
Hardcover | 80 Seiten | Farbe | 22,00 €
ISBN: 
978-3-551-79839-8

Cover Franquin - Schwarze Gedanken Gesamtausgabe
© Franquin – Fluide Glacial, 2020

André Franquin ist einer der bekanntesten belgischen Comic-Künstler überhaupt. Seine Version von Spirou und Fantasio ist immer noch die Referenz für alle Nachfolger, seine eigene Schöpfung Gaston ein unglaublicher Geniestreich. Zu seinem 100. Geburtstag bringt sein deutscher Hausverlag einige spezielle Ausgaben, u.a. eine neue Gaston Gesamtausgabe, Luxuseditionen der Bravo Brothers und des Marsupilami, aber eben auch die wohl schrägsten Produkte seiner Fantasie, die Schwarzen Gedanken!

Humor der besonderen Art

Spirou war lange Jahre die publizistische Heimat für André Franquin, allerdings auch eine fordernde, musste er doch möglichst jede Woche eine neue Seite der Titelserie abliefern. Mit dieser Serie wurde der Star nie richtig warm, waren es doch immer „fremde“ Figuren. Viel mehr Spaß brachte ihm der anarchistische Bürobote Gaston, der einfach kein Verständnis für Regeln und Hierarchien hatte. Zeitweise arbeitete er auch an Mausi und Paul für das Konkurrenzblatt Tintin.

Eine ganz neue Möglichkeit bot sich, als Dupuis beschloss, Spirou mit einer Beilage für ein älteres Publikum anzureichern, Le Trombone Illustré. In dieser erschienen die ersten Folgen der Idées Noires, in der der Künstler erstmals schwarzen Humor präsentieren konnte. Franquin machte sich Gedanken über den Zustand der Welt, die Kriegstreiber und Umweltzerstörer, aber auch diejenigen, die Regeln der Gesellschaft zu ihrem eigenen Vorteil veränderten. Ein besonderes Verhältnis pflegte Franquin zudem zu den Jägern!

Schwarze Gedanken page 8
© Franquin – Fluide Glacial, 1981 & 1984

Nach der Einstellung der Dupuis-Beilage wechselte Franquin mit seinen Schwarzen Gedanken zu Fluide Glacial, einem Magazin, das sich nur an ältere Leser*innen richtete. Im Laufe der Jahre kamen immer wieder einzelnen Seiten dazu. Je nach Publikationsdatum sind die verschiedenen Ausgaben also durchaus unterschiedlich. Diese Gesamtausgabe enthält Band 1 und 2 der endgültigen Sammlung und ist somit vollständig.

Schwarz auf Weiß

Schwarze Striche und Flächen auf weißem Grund sind das Mittel der Wahl, um den bitteren Ton der einzelnen Gedanken zu präsentieren. Manchmal langt bereits ein Streifen, die meisten füllen aber eine Seite. Tatsächlich sind die einzelnen Panel, obwohl teilweise sehr gefüllt, befreit von allem Überflüssigen. Sie nehmen manchmal bekannte Bilder auf, um sie in eine dunkle Variante zu überführen, teilweise sind sie einfach nur bitterböse.

Schwarze Gedanken page 12
© Franquin – Fluide Glacial, 1981 & 1984

Einige der Geschichten sind Ausdruck von tiefer Depression und gefühlter Einsamkeit, andere sprühen gerade so vor Energie, etwa wenn er die Todesstrafe kritisiert. Diese Mischung aus Kunstfertigkeit, Emotion und Inhalt macht die Sammlung zu einer ganz besonderen, die sowohl Comicfans als auch Liebhaber*innen der Karikatur begeistern dürfte. Beide Zielgruppen gleichermaßen bedienen zu können ist nicht gerade häufig. Ein besonderer Blick sollte im Übrigen den Signaturen gelten, die jeweils den Geist der Geschichte widerspiegeln.

Ein Klassiker, der nicht fehlen sollte

Irgendwann werden die frankobelgischen Klassiker nicht mehr die Auslagen füllen und durch andere ersetzt werden. Es mag also durchaus sein, dass die 100. Geburtstage von Ikonen wie Franquin oder Morris eine der letzten Gelegenheiten sind, ihre Werke in hochwertigen Editionen zu ergattern. Die Schwarzen Gedanken stechen aufgrund ihrer Einzigartigkeit aus dem ohnehin schon beeindruckenden Schaffen von André Franquin heraus und sollten in keiner Sammlung fehlen.

Schwarze Gedanken Gesamtausgabe Vorsatz
© Franquin – Fluide Glacial, 2020

Es ist allerdings wahr, dass die „Gedanken“ schon mehrfach ihren Weg zu einem deutschen Publikum gefunden haben. Die Argumente für diese Ausgabe sind der Hardcovereinband, ein Vorwort von Volker Hamann, Interviewausschnitte von André Franquin mit diversen Fanzines und ein kleiner Skizzenanhang.

Dazu passen The English Beat mit “Save it for later“ und ein guter Bordeaux.

© der Abbildungen Franquin – Fluide Glacial, 1981 & 1984, Franquin – Fluide Glacial, 2020 | 2024 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Morvan/Evrard – Die Freunde von Spirou 1

Ein Freund von Spirou ist offen und ehrlich …

Story: Jean-David Morvan

Zeichnungen: David Evrard

Originaltitel: Les Amis de Spirou 1 – Un Ami de Spirou est franc et droit

Carlsen Comics
Hardcover| 72 Seiten | Farbe | 20,00 €
ISBN: 
978-3-551-02638-5

Cover Die Freunde von Spirou 1

Das Spirou-Magazin wurde 1938 als wöchentliches Comic-Magazin im Verlag Dupuis gegründet. Während der deutschen Besetzung Belgiens musste es eine Zeit lang sein Erscheinen einstellen. Viele der jugendlichen Leser*innen gingen als Die Freunde von Spirou in den Widerstand, während des Krieges diente ein Spirou-Puppentheater als Informationsüberbringer und Vernetzungsmöglichkeit. Während davon vieles in Artikeln und Büchern aufgearbeitet worden ist, ist die neue Serie ein Versuch, das Ganze als Comic darzubieten.

Ein Ehrenkodex verpflichtet

Das Magazin Spirou war nicht nur ein Heft mit amerikanischen und immer mehr belgischen Comics, es hatte auch informative Beiträge. Die gesamte Linie (inklusive der Grenzen für die Aktiven in Richtung Sexualität und Gewalt) war geprägt vom belgischen Katholizismus und der Pfadfinderbewegung. Es dauerte daher auch nicht lange, bis der Wunsch der lesenden Kinder dazu führte, dass eine Art Leseclub gegründet wurde: Die Freunde von Spirou! Für die Mitglieder gab es nicht nur kleine Goodies, sondern vor allem eine Art Ehren- und Verhaltenskodex!

Die Geschichte von Jean-David Morvan beginnt 1943 während der deutschen Besetzung Belgiens. Die Repressalien waren graduell immer stärker geworden, allerdings auch die Spaltung der Gesellschaft in eine – meist flämische – Gruppe von Nazifreund*innen und die Anderen. Als dann auch noch die Einstellung der Zeitschrift Spirou durchgesetzt wurde, entwickelt eine Gruppe von Kindern daraus den Auftrag, nun aber wirklich etwas unternehmen zu wollen.

Die Freunde von Spirou 1 page 3

Sie machen sich daran, eigene Comics herzustellen und zu verbreiten, die die Besatzer lächerlich machen. Basierend auf tatsächlichen Ereignissen ist das natürlich eine fiktive Geschichte, die aber durchaus als Beispiel für den vielfältigen Widerstand auch der Kleinen gelten kann. Nebenbei bemerkt hat dieser Widerstand übrigens auch getötete Kinder zur Folge gehabt. Als Nebengeschichte gibt es ein Gespräch mit dem Chefredakteur Jean Doisy, das ebenfalls lesenswert ist!

Lustige Bilder für ein ernstes Thema

David Evrad setzt die Geschichte in dem typischen, modernisierten Spirou-Stil um. Große Köpfe, große Nasen, die Lebenslust steht den Kindern ins Gesicht geschrieben. Demgegenüber sind die „Bösen“, also sowohl die Kinder der rexistischen (faschistischen) Jugend als auch der ältere Kollaborateur erkennbar stinkstiefelig! Obwohl die Zeichnungen damit kindgerecht sind, sollte man sich nicht vertun. Der Inhalt braucht – gerade heute wo wieder von „reindeutschen“ gefaselt wird, möglicherweise deutliche Begleitung durch Erwachsene. Allerdings wird hier keine Politik gemacht, die pure Menschlichkeit steht im Vordergrund!

Die Freunde von Spirou 1 page 4

Das Layout ist modern und geht von einem vier-streifigen Grundraster aus, das durch Überlappungen, Overlays und Rundungen immer wieder verändert wird. Es passt damit zu dem sehr dynamischen Strich und der schnellen Geschichte. Die ruhigen Erzählpassagen haben dann auch deutlich mehr Hintergrund.

Notwendig!

Wer lernen möchte, wie es aussehen kann, wenn man nicht nur sagt, dass einer/m etwas nicht passt, sondern auch etwas unternimmt, kann sich hier eine Scheibe abschneiden. Mit jugendlichem Eifer legen die Freund*innen los und brauchen aufgrund ihres gemeinsamen Ehrenkodex auch nicht lange überlegen. Insofern passt die Geschichte gut in eine Reihe mit Die Kinder der Resistance, Ein Sack voll Murmeln oder Spirou oder: Die Hoffnung. Immer geht es darum, der Unmenschlichkeit zu trotzen!

Die Freunde von Spirou 1 page 7

Gerade heute ist das Thema natürlich aktuell wie schon lange nicht mehr. Wir dürfen aber nicht darauf vertrauen, dass der Hype bleibt! Zusätzlich enthält die Story Hinweise zum Verständnis der „Macher“ von Spirou, vor allem natürlich von Jean Doisy. Klare Empfehlung!             

Dazu passen The Busters mit “Chase Them“ und ein Ingwer-Shot für den klaren Kopf.

© der Abbildungen Dupuis 2023, by Morvan, Evrard, Den BK | 2023 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Hommage an Valerian & Veronique

Nach Christin und Mézières

Story: Various

Zeichnungen: Various

Originaltitel: Pilote Spécial Valérian

Carlsen Comics
Hardcover| 96 Seiten | Farbe | 24,00 €
ISBN: 
978-3-551-73633-8

Cover Hommage an Valerian & Veronique

Valerian & Veronique gilt als die bedeutendste Science-Fiction-Serie des europäischen Comics und vereinbarte Raumfahrt, Zeitreise und kritische politische Wertung mit einer Handlung, die sich teilweise über mehrere Alben zog. 1967 wurden die ersten Seiten veröffentlicht, in Deutschland gehörte sie zu den erfolgreichen Serien im Koralle-ZACK und fand danach eine verlegerische Heimat bei Carlsen. Dort sind nicht nur die Original-Bände erschienen, sondern auch begleitendes Material, Kurzgeschichten, die Gesamtausgabe und zuletzt die die Spezial-Reihe.

Die Essenz der Serie auf wenigen Seiten

Das 50-jährige Jubiläum der Serie 2017 wurde in Frankreich groß mit einer Hommage als Sonderausgabe des (schon lange eingestellten) Pilote-Magazins gefeiert. Aktuelle Stars am Comic-Himmel sowie noch lebende Wegbegleiter von Pierre Christin und Jean-Claude Mézières waren gebeten worden, ihre ganz persönliche Sicht auf die Serie in einer Kurzgeschichte oder als One-Pager abzuliefern.

Die deutsche Ausgabe war schon vor längerem angekündigt worden, musste allerdings mehrfach verschoben werden. Das Warten hat sich jedoch gelohnt! So dürfen wir nicht nur die Gedanken von Blutch, Bonhomme oder Munuera genießen, auch deutsche Künstler wie Thilo Krapp, Kim Schmidt oder Ralf Marczinczik sind vertreten.

Hommage an Valerian & Veronique page 14

Einige Beiträge stellen dabei auf die Heldin ab, die anfangs sicherlich einigen pubertären Jungen den Kopf verdreht hat. In den späteren Nummern wurde sie allerdings zur wahren Chefin, die dafür gesorgt hat, dass der etwas vertrottelte Valerian auch im nächsten Abenteuer noch dabei sein konnte.

Ein Sammelsurium der Stile

Ein sicherlich beeindruckender Fakt dieser Sammlung ist die Breite de vertretenen Künstler*innen. Wer hier mehr oder weniger fixiert ist auf den französischen/frankobelgischen Mainstream, wird sich verwundert umschauen. Karikaturen, Wimmelbildchen, Graphic-Novel-Style und vieles mehr ist vertreten und erlaubt umso mehr, die Essenz der Serie zu begreifen. Es geht weniger um das „Wie“ in der Darstellung, das „Was“ steht im Vordergrund.

Hommage an Valerian & Veronique page 15

Man muss sich allerdings darauf einlassen wollen, um es genießen zu können. Wie immer treffen nicht alle Beiträge jedermanns Geschmack und dann darf man auch einfach umblättern! Im Ganzen ist der Band aber eine willkommene Ergänzung der Serie und sollte unbedingt dazu gehören!

Eine Ehre!

Ehrungen sind manchmal etwas komisch. Nicht immer versteht man, warum dieser oder jener Aspekt herausgehoben wird. Manchmal ist sogar der Gegenstand der Ehrung höchst fragwürdig. Valerian & Veronique dagegen ist über jeden Zweifel erhaben: Das Sujet wurde erneuert und vor allem um eine politische Komponente erweitert, die über einen Western im Weltraum weit hinausgeht! Die Szenarios und die Zeichnungen haben zurecht Preise eingeheimst und mit der Spezial-Reihe ist auch ein erster Ansatz gemacht, um über die Lebzeiten der Schöpfer hinaus zu existieren.

Hommage an Valerian & Veronique page 16

Der Hardcover-Band passt in der Aufmachung zu den Integralen und den neu aufgelegten Sonderbänden und sollte in einer V&V-Sammlung keinesfalls fehlen. Sehr positiv ist auch der Artikel von Volker Hamann über die Rezeption der Serie in Deutschland zu werten!

Dazu passen David Bowie mit “Moonage Daydream“ und ein The Cosmonaut Cocktail.

© der Abbildungen Christin, Mézières, Dargaud 2017 | 2023 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Jahresrückblick 2023 – Die besten Comics

Meine Jahresbestenliste und ein paar Worte zum Geleit

Dann wollen wir mal … Schon wieder ist ein Jahr vergangen. Vieles ist gleichgeblieben, München ist zum Beispiel zum elften Mal hintereinander Deutscher Meister geworden. Vieles hat sich aber auch geändert: das politische Klima ist rauer geworden, Emanzipation und Bekämpfung der Klimakrise sind nur noch Worthülsen, während zum Beispiel ein Tempolimit in weite Ferne gerückt ist.

Im Comic-Bereich durften wir dagegen einiges erleben: angefangen mit Magazin-Neustarts etwa bei Zauberstern oder mit dem neuen Independent-Blättchen Graphica über das 50jährige Jubiläum des ZACK bis hin zur erstmaligen Veröffentlichung frankobelgischer Klassiker in Deutschland!

comix-online Reporter
Immer für euch unterwegs

Auch für comix-online gab es einen neuen Rekord: Erstmals waren es mehr als 100.000 direkte Zugriffe auf einzelne Artikel, also ohne die Startseite! Vielen Dank für dieses Vertrauen! Die Charts mit den am häufigsten aufgerufenen Seiten der letzten 30 Tage bzw. der „All-Time-Favourites“ zeigen durchaus Bewegung und lassen eure Präferenzen deutlich werden. Trotzdem freue ich mich über Kommentare oder Feedback, gerade auch bezüglich Informationen, die euch fehlen.

Die besten Comics

Grundsätzlich sind sich die meisten Seiten in diesem Jahr einig: Der neue Asterix, Die weiße Iris, ist seit Jahrzehnten der beste „neue Asterix“. Dem kann ich mich durchaus anschließen. Der neue Szenarist Fabcaro hat es geschafft, ein altbekanntes Thema (Die Römer versuchen das gallische Dorf von innen heraus zu zerstören) völlig neu zu inszenieren und dabei eines der modernen Streitthemen, Wokeness, satirisch zu erfassen. Die Zeichnungen von Conrad stehen für sich!

Cover Asterix 40
Offizielles Cover Asterix #40 Die Weiße Iris – (c) Egmont Ehapa Media GmbH Fotograf: LES ÉDITIONS ALBERT RENE

Platz 2 geht für mich an den ersten Band der neuen Reihe Wikinger im Nebel. Lupano und Ohazar haben mit ihrem sehr witzigen und teils schwarzen Humor das Sujet umgekrempelt und neben den Schlachtengemälden und Hägars Familienstrip eine eigenständige Welt aufgemacht, die filosofische Fragen stellt (Plündern ja, Kirchen abfackeln nein?) und Rollenbilder neu definiert!

Platz 3 geht an einen Altmeister: Francois Bourgeon hat mit Die Zeit der Blutkirschen 2 vermutlich sein letztes Werk vorgelegt. Es schließt den letzten Zyklus der Saga Reisende im Wind ab und endet während der Revolution. Diese Serie gilt nicht zu Unrecht als Startpunkt für die historizierenden Comics.

Knapp danach ein weiterer Titel aus dem Splitter-Verlag: Carbon und Silizium von Mathieu Bablet ist die Geschichte zweier KI, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch beide verloren sind. Gerade im Zuge der Diskussionen um ChatGPT, Bard und Co ein wichtiger Ansatz, der auch grafisch überzeugt.

Auf Platz 5 folgt ein weiterer melancholischer Beitrag über künstliche Wesen: Rostige Herzen von dem Duo, dem fast alles gelingt, BeKa und Munuera, ist der Einstieg in eine neue Reihe, die böse Menschen und gute Roboter als Symbole für vieles, was bei uns nicht mehr stimmt, benutzt.

Die besten Graphic Novels

Was kein Comic ist und auch kein Strip, das muss wohl eine Graphic Novel sein … In diesem Sinne die Top 3!

Platz 1 geht mit einem Tusch an Ein unerwarteter Todesfall von Dominique Monféry. Toxische Männlichkeit im Hohen Norden zeigt brutale männliche Gewalt, die nicht immer nur unter Druck entsteht und eine trotz allem erfolgreiche Überlebensstrategie einer jungen Frau.

Cover Ein unerwarteter Todesfall

Ein deutscher Titel konnte sich an zweiter Stelle platzieren: Der Zeitraum von Lisa Frühbeis schildert die Ängste und Nöte einer zwangsläufig alleinerziehenden Frau. Zwar ist das Thema keinesfalls neu, die grafische Umsetzung ist jedoch vollkommen anders als gewohnt und vereinbart persönliche Betroffenheit und „Nicht-Kunst“ mit genialen Farbakzenten.

Knapp dahinter eine Biografie auf Platz 3: In Fritz Lang schildern Arnaud Delande und Èric Liberge die Lebensgeschichte des deutschen Regisseurs, seiner Auseinandersetzung mit dem aufkeimenden Faschismus und seine teils skandalösen Beziehungen.

Die besten Gesamtausgaben

Einer meiner Lieblinge unter den frankobelgischen Zeichner*innen war schon immer Pierre Seron. Umso mehr freut es mich, dass nun endlich auch seine poetischste Serie, Die Zentauren, erstmals komplett auf Deutsch erscheint! Es darf allerdings nicht verheimlicht werden, dass der Verfasser als Übersetzer des redaktionellen Teils beteiligt war.

Cover Die Zentauren Integral 1

Auch in diesem Jahr sind drei neue Bände der Marvel Comics Library bei Taschen erschienen. Die XXL-Bände haben rund 700 Seiten, sind mehrere Kilo schwer, und präsentieren im Coffee-Table-Format die bahnbrechenden ersten Ausgaben der Marvel-Klassiker, die etwas ganz Neues erschaffen hatten. Sorgfältige Reproduktionen erlauben einen 100%igen Genuss, der von sachkundigen Einführungen abgerundet wird! Ein stolzer, aber berechtigter Kaufpreis ist der einzige, kleine Wermutstropfen!

Der dritte Platz steht ein wenig stellvertretend für ein ganzes Albenprogramm: Georg F. W. Tempel, der Herausgeber von ZACK und ZACK-Edition, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Perlen neu oder erstmals komplett auf Deutsch herauszugeben. Dazu zählen etwa Reihen wie Jari oder Alain Cardain. Preiswürdig ist aber die Reihe Bob Morane Classic, in der erstmals alle 19 Abenteuer von Dino Attanasio und Gerald Forton erscheinen werden!

Die besten Sekundärwerke

Es gibt kaum jemanden, der so gut lesbar so viele Informationen und Debattenbeiträge zwischen zwei Buchdeckel packen kann wie Dr. Alexander Braun. Dementsprechend führt er auch dieses Jahr wieder die Liste der besten Werke über Comics an: Staying West! ergänzt, was in seinem ersten Werk über Comics und den Wilden Westen außen vor bleiben musste, nimmt Stellung in der Debatte über Politische Korrektheit und grenzt Notwendiges von Übertriebenem ab und erzählt ganz nebenbei noch vieles über Italienische Westerncomics, Karl-May-Adaptionen und den Streit im Studio Vandersteen. Ein Muss!

Cover Braun - Staying West!

Platz 2 gehört der Reddition, die Jahr für Jahr erscheint! Im Frühjahr hieß der Schwerpunkt Schweiz, das Winterheft war der neuen Generation der Spirou-Künstler gewidmet (Besprechung folgt!). Anregende Artikel, ausführliche Listen und meistens gute Einordnungen machen das Magazin ebenfalls zu einem Must-Have!

Platz drei geht an Burkhard Ihme und das ICOM Comic!-Jahrbuch. Ebenfalls Jahr um Jahr schafft es der Verein, nicht nur seine Preisträger*innen ausführlich darzustellen und zu Wort kommen zu lassen, sondern präsentiert Informationen, stößt Debatten an und macht Spaß!

Die besten Magazine

Vor mittlerweile über 50 Jahren ist die erste Ausgabe des ZACK erschienen. Die Namensgebende Zeit (Generation ZACK) endete dann aber doch und jahrelang war es düster; frankobelgische Magazine kamen und gingen. Seit 295 Ausgaben läuft aber das „neue ZACK“, das es mittlerweile auf mehr Ausgaben geschafft hat als das alte Koralle-ZACK. Jeden Monat ein bunter Querschnitt durch das frankobelgische Spektrum (und Angrenzendes) und erneuerte Klassiker wie Rick Master oder Michel Vaillant sind den ersten Platz in dieser Sparte wert!

Cover ZACK 284

Gleich dahinter kommen die Magazine des Zauberstern Verlages. Was mit dem Phantom begonnen hatte, hat mittlerweile durch Mikros, Flash Gordon, Van Helsing und Savage Dragon Verstärkung bekommen! Hut ab und weiterhin viel Erfolg!

Platz 3 ist dagegen ein Nachruf! Leider musste die Comixene mit der Nummer 146 ihr Erscheinen einstellen. Lesenswerte Informationen, streitbare Meinungen und tolle Illustrationen werden allerdings nicht ganz verschwinden, sondern sollen Alfonz ein wenig aufpeppen!

Und dann ist da noch …

… ein geglückter Relaunch! Das Universum um Spirou drohte unterzugehen. Jetzt allerdings ist die erste Folge eines Mehrteilers aus der Hauptserie erschienen (Der Tod von Spirou), die Spezial-Bände enthalten Variationen von unterschiedlichen Teams, dem Meister Franquin wird vielfältig gehuldigt, unter anderem mit einer Neuausgabe der Gesamtausgabe, und die Freunde von Spirou (Rezension folgt) bringen erneut die politische Dimension während des Zweiten Weltkrieges zurück! So kann man es machen!

Cover Spirou und Fantasio 54

Eure Lieblinge in 2023

Eure Charts, basierend auf den Abrufzahlen:

Platz 1 geht an Hägar und die Gesammelten Chroniken von 1973, gefolgt von dem ZACK-Spezial 7 und dem zweiten Bob Morane-Sonderband von Forton. Sehr knapp dahinter Mitton und Messalina 1/2.

Die weiteren Plätze: ZACK-Spezial 6 – Jari 1, Asterix – Die weiße Iris, Sammy & Jack Integral 3, Michel Vaillant Collector’s Edition 1, Michel Vaillant Legendes 1 (die NL-Ausggabe! Wenn man die deutsche Ausgabe dazu addiert, wäre das mit weitem Abstand die Höchstmarke!), Asterix – Im Reich der Mitte und Lakota von Serpieri.

Das erste ZACK (284) folgt auf Platz 12, der erste Sekundärtitel (Staying West!) auf Platz 32.

© der Abbildungen bei den jeweiligen Verlagen und Künstler*innen

Franquin – Die Bravo Brothers

Eine Spirou-Deluxe Ausgabe

Story: Franquin

Zeichnungen: Franquin

Originaltitel: Spirou – édition commentée – Bravo les brothers

Carlsen Comics
Hardcover| 96Seiten | Farbe | 34,00 €
ISBN: 
978-3-551-79840-4

Cover Franquin Die Bravo Brothers

Es wird Weihnachten und ein Teil der Bevölkerung hat aufgrund der hohen Inflation Schwierigkeiten damit, über die Runden zu kommen. Einige Tafeln haben daher schon einen Aufnahmestopp verhängt. Auf der anderen Seite der Schere sieht das Bild anders aus. Geiz ist nicht mehr Geil, es soll etwas Hochwertiges sein. In diese Lücke passt die vorliegende Sonderausgabe des Franquin-Klassikers.

Eines der wenigen von Franquin hoch geschätzten Spirou-Abenteuer

Die Bravo Brothers ist eines der wenigen Spirou-Abenteuer, das Franquin wirklich gefallen hat. Natürlich war er anfangs dankbar, als Jije ihm die Serie überlassen hat. Wer wäre das nicht, wenn ihm die Titelstory eines erfolgreichen Magazins angeboten wird? Das erste Problem war allerdings, dass diese Seite jede Woche zu füllen war. Das zweite liegt darin, dass die Figuren ihm bis zum Schluss „fremd“ geblieben sind. Seine eigenen Kreationen, vor allem aber Gaston, lagen ihm wesentlich näher.

Allerdings ist diese Geschichte auch fast eine verkappte Gaston-Story. Der Bürobote macht Fantasio ein Geburtstagsgeschenk, das den ganzen Verlag (im Original Dupuis, auf Deutsch der Carlsen-Verlag) kräftig aufmischt. Von einem Pleite gegangenen Zirkus hat Gaston drei Affen erworben, die mit ihren Tricks fast alle zum Lachen bringen. Natürlich sind davon diejenigen ausgenommen, die arbeiten wollen, also Buchhaltung, Ordnungshüter, Spirou, vor allem aber Fantasio.

Spirous Aufgabe in diesem Meisterwerk ist die Klärung von Hintergründen, hauptsächlich im Kontakt mit Noah, dem etwas verbiesterten Dompteur. Jener ist übrigens rückblickend einer der wenigen Charaktere, die Franquin für sich selbst reserviert hat und später in der Marsupilami-Reihe mit Batem reaktiviert hat. Eine grandiose, teils bittere, immer aber rasante Komödie!

Franquin Die Bravo Brothers page 10

Ein Meisterwerk

Den Stil von Franquin erklären zu wollen, würde bedeuten, Eulen nach Athen zu tragen. Es gibt eigentlich nur zwei Lichtgestalten zu dieser Zeit: Hergé und André Franquin! Beide haben mit ihrem jeweiligen Stil eine Schule geprägt, die das Bild ihrer jeweiligen Magazine geprägt hat. Was für Tintin die Ligne claire war, war für das Spirou-Magazin die Ecole Marcinelle. Obwohl sich im Frühjahr der Geburtstag Franquins zum 100. Mal jährt, gibt es auf Deutsch relativ wenig Sekundärmaterial über ihn und sein Werk.

Bei unseren westlichen Nachbarn sind im Laufe der Zeit viele Bände zu Franquin erschienen, die Comics und redaktionelle Beiträge enthalten. Auf Deutsch ist fast der gesamte Schatz noch zu heben. Die Bravo Brothers machen den Anfang! Zunächst ist die Geschichte sorgfältig restauriert in Farbe abgedruckt, dem folgt eine kommentierte nicht-kolorierte Ausgabe. Jeweils eine geinkte Seite wird von entsprechenden Kommentaren von José-Louis Bocquet und Serge Honorez begleitet.

Franquin Die Bravo Brothers page 11

Für alle, die Franquin besser verstehen wollen!

Gerade die schwarz-weißen Seiten erlauben den Leser*innen nachzuvollziehen, wie die Seiten komponiert sind. Farbe lenkt oft von den Kleinigkeiten ab, die das Funktionieren erst möglich machen. Die im launischen Erzählton geschriebenen Kommentare erklären teilweise Hintergründe, führen aber oft auch von einer Kleinigkeit in einem Panel an wichtige Umstände des Lebens von Franquin.

Natürlich ist der Preis nicht gering! Für jemand, der/die keine Möglichkeit hatte, die französischen oder niederländischen Ausgaben zu genießen, schließt diese Ausgabe aber endlich eine Lücke. Es ist kein Werk über Comics, das dann doch einige abschreckt, sondern es geht anhand einer Geschichte auf viele Aspekte ein! Ein unbedingter Top-Tipp!

Dazu passen Nick Cave mit “A rainy night in Soho“ und ein Witbier.

© der Abbildungen DUPUIS 2012, by Franquin| 2023 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

Hergé – Die Juwelen der Sängerin

In der Version des Tintin-Magazins

Story: Hergé

Zeichnungen: Hergé

Originaltitel: Les Bijoux de la Castafiore – La Version du Journal Tintin

Carlsen Comics
Hardcover| 80 Seiten | Farbe | 23,00 €
ISBN: 
978-3-551-79970-8

Cover Tim und Struppi Juwelen der Sängerin Sonderausgabe

Während eine ganze Reihe von klassischen Comicserien mittlerweile in neue künstlerische Obhut gewandert sind, ist eine der wohl bekanntesten Reihen, Tim und Struppi, (im Original Tintin et Milou) davon ausgeschlossen. Es wird keine neuen Geschichten geben. Finanziell ist das natürlich weniger einträglich und so müssen andere Wege gesucht werden. Das können spezielle Ausgaben zu bestimmten Anlässen sein, aber auch erstmals kolorierte Fassungen. In diesem Fall hat man sich dazu entschlossen, die Originalfassung der Geschichte nach rund 60 Jahren aus den Archiven zu holen und den Fans zu präsentieren.

Ein Krimi mit Humor

Hergé publizierte jahrelang die neuen Tim-Geschichten in dem namensgleichen Tintin-Magazin (die niederländischen Ausgabe hieß Kuifje) mit jeweils einer Seite pro Woche, bevor er dann rückblickend das Ganze überarbeitete und als Album publizierte. Diese wiederum waren dann die Grundlage für die Übersetzungen und Lizenzierungen in andere Länder und bilden daher den heute bekannten Kanon. Diese Sonderausgabe aber enthält das Abenteuer in seiner ursprünglichen Form, natürlich sorgfältig restauriert. Wer mag, kann sich daher das Softcover der regulären Reihe neben dieses Hardcover legen und Bild für Bild vergleichen. Für alle anderen ist die Einleitung gedacht, die eine Einführung in die Geschichte, Hergés Arbeitsweise und die Rezeption gibt.

Die Story enthält einige wiederkehrende Slapstick-Momente: wie so oft ist das Telefon eine Quelle der Verwechslung, wie auch die Schwerhörigkeit Professor Bienleins. Dazu ist eine Treppenstufe beschädigt, die nicht nur das Thema der Verlässlichkeit der Handwerker aufgreift, sondern auch eine Begründung dafür gibt, dass alles auf das Schloss konzentriert bleibt. Haddock verstaucht sich den Knöchel und ist wegen des entsprechenden Gipses nicht mobil. Er kann daher auch nicht fliehen, als sich die Castafiore bei ihm einquartiert und für reichlich Verwirrung sorgt.

Foto Hergé
Foto Hergé

Nicht nur, dass Reporter zugegen sind, die Andeutungen zu Sensationen aufbauschen, die Sängerin hat auch noch Personal mitgebracht. Als schließlich die Juwelen der Sängerin verschwinden, ist Jede*r verdächtig. Für Schulze und Schultze stehen die Schuldigen allerdings auch ohne Untersuchung fest, es können nur die „Landfahrer“ sein, die im Schlosshof campieren.

Ligne Claire goes Pop Art

Hergé ist der die Richtung vorgebende Vater der Ligne Claire, die lange für alle Zeichner im Tintin-Magazin Vorgabe war. Natürlich hält er sich selbst ebenso an diese Linie, die für Klarheit steht. Privat jedoch war er ein Verehrer der Pop-Art wie im ausgezeichneten, einführenden Vorwort zu lesen ist. In den Juwelen der Sängerin nutzt Hergé eine – nicht fehlerfrei funktionierende – Erfindung des Professors, um Anklänge an diese Stilrichtung im Comic aufnehmen zu können. Es scheint ihm Spaß gemacht zu haben!

Ansonsten ist die Geschichte ein Meisterwerk. Wie ein Theaterstück spielt es an einem Ort, der entsprechend durchdacht sein muss, um Unstimmigkeiten zu vermeiden. Er hat daher für diesen Band erstmals eine Architekturskizze des Schlosses entworfen, die etwas anders ist als in früheren Bänden. Die Bildkompositionen sind absolut stimmig und die Skizzen im ersten Teil zeigen, wieviel Arbeit in ihnen steckt.

Cover Tim und Struppi 20
Cover der regulären Ausgabe

Ein Geschenk für Fans!

Wenn immer wieder neue Fassungen von bekanntem Material veröffentlicht werden, stellt sich unweigerlich die Frage, ob das mit Mehrwert versehen ist oder aber reine Geldschneiderei. In diesem Fall ist die Sache für mich klar: Die Ausgabe zeigt in ihrem Vorwort Einblicke in den Schaffensprozess von Hergé, die den meisten Fans nicht bekannt sein dürften. Und sie erlaubt durch den Vergleich mit der regulären Fassung ein Verständnis für das, was der akribische Künstler nachträglich an sich zu bemängeln hatte.

Natürlich eignet sich der Band so kurz vor den Festtagen auch als Geschenk. Tim und Struppi ist immer noch regelmäßig in den Jahresbestenlisten vertreten und so dürfte es an geeigneten Kandidat*innen für ein Präsent nicht fehlen. Die Aufmachung tut ein Übriges, um das Buch wertig zu machen!

Dazu passen Kate Bush mit “ And Dream of Sheep“ und ein Merlot.

© der Abbildungen Hergé-Tintinimaginatio 2023 / Casterman| 2023 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg

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