Warum sollen Klassiker immer verstaubt und alt sein? Sie
können auch als relativ neue Werke einen Themenkomplex so gut darstellen, dass
anderes daneben verblasst. So ist es mit der autobiographischen Geschichte von
Tobi Dahmen aus der Anfangszeit der deutschen Mods. Natürlich gibt es über
dieses Genre auch andere Comics, etwa Blue
Monday von Chynna Clugston-Majors
oder die nur auf Englisch erhältlichen Kindergarten
Kids, aber keiner davon ist so treffend. Überhaupt gibt es wenige Bücher
über Subkulturen, die eine persönliche Note glaubhaft rüberbringen und nicht
von Stars handeln. Dazu gehören etwa die Dorfpunks
oder Ostkurve/Kein Weinfest in Tenever.
Aber von Anfang an: Die Modernists oder Mods waren eine aus England auf den Kontinent exportierte Jugendbewegung aus der Arbeiterklasse. Während sie einerseits Prügeleien nicht abgeneigt waren, legten sie andererseits viel Wert auf stilvolle Kleidung für ihre Beat- und Soul-Nighter und motzten gerne ihre Roller mit allem auf, was der Spiegelladen hergab. Später kam als Musikrichtung der Ska hinzu und während ein Teil der Mods immer mehr zu Konsumenten synthetischer Drogen wurde, entwickelten sich auf der anderen Seite über den Zwischenschritt der Hardmods die Skinheads. Gemeinsam ist ihnen, dass sie keine rassistischen Vorurteile hatten (wie auch, wenn fast alle verehrten Musikern nicht Weiß sind?) und dass sie Rock’n’Roll, Rocker und Teddieboys (sowie natürlich Popper) verabscheuten. Das soll zur Einführung genügen.
Die Geschichte
Tobi, bzw. der Held in seiner Graphic Novel, beginnt bereits
als Schüler mit seiner Modkarriere. Es ist nicht einfach, alle Styleregeln zu
befolgen und fast noch schwieriger, auch treffsicher den richtigen Musikgeschmack
zu haben. Trotzdem bietet die kleine Gruppe Rückhalt, Zusammengehörigkeit und
die Aussicht auf viele Partys, Alkohol und nicht zuletzt auch Mädchen.Da das
Geld für einen Roller nicht langt, muss allerdings ein Fahrrad als Ersatz genügen.
Es zeigt sich, dass die Gruppe nicht immer da ist, und dass es trotz Gruppe durchaus mal einen Stärkeren geben kann. Es gibt auch immer mehr Boneheads und dementsprechend weniger Fun. Außerdem wird der Held langsam aber sicher älter und stellt sich die Frage, ob es das wirklich noch so ist. Nicht die Attitude, nicht die Musik und nicht die Freunde aber die Ausschließlichkeit des Ganzen.
Jahre später kommt es zu einem Revival und fast alle sind
wieder da. Es ist schön, aber trotzdem vergangen und lässt sich nicht
zurückholen. Die Jugend hat ihre Zeit, aber sie vergeht.
Der Künstler
Trotzdem ist es wichtig und richtig, seine Wurzeln nicht zu
vergessen oder zu verleugnen und so zeichnet Tobi Dahmen nicht nur den
Fahrradmod sondern auch z.B. für das alljährliche Skafestival in Roslau und für
einschlägige Plattenlabel. Wie es die Redskins
sagen würden: Keep on keepin on! Das größte Kompliment habe ich übrigens von
einem gehört, der damals wirklich dabei war: Ja, so war’s!
Der Comic ist im Din-A5-Format ein echter Schinken und in mehrere Teile aufgeteilt. Die Zeichnungen sind persönlich. Es gibt nur die wichtigen Details, es ist also sehr reduziert und auch auf Farbe hat der Künstler verzichtet (was besonders ungewöhnlich ist, handelte es sich doch ursprünglich um einen Webcomic). Die Seiten sind entweder klar strukturiert oder bilden überlappende Bilder, die ein Ganzes ergeben.
Für alle, die mit der Thematik nicht so vertraut sind gibt
es ein ausführliches Glossar mit Erklärungen zu allen Feinheiten und einen
Soundtrack mit passender Musik.
Dieser Band sollt in keinem Comicschrank fehlen, wenn es um
Comics aus Deutschland geht, um Musik oder Subkultur oder einfach auch nur um
den Spaß in der Jugend.
Ich empfehle dazu ein Guinness und die letzte Scheibe des zu
früh verstorbenen Rankin‘ Roger mit The Beat: Public Confidential.
Zu Beginn der 2000-er Jahre war es en-vogue
für die großen deutschen Comic-Verlage, deutsche Autor*innen und Zeichner*innen
im Programm zu haben. Die Geschichte über die erste Fahrt des jungen
Störtebeker und seine Begegnung mit seinem Komplizen und Freund Gödeke Michels ist
eine der ersten Comicveröffentlichungen des Lüneburgers Patrick Wirbeleit. Die Zeichnungen stammen von dem Flensburger Kim Schmidt, der damals schon länger im
Geschäft war. Die beiden Norddeutschen bringen das richtige Lokalkolorit mit um
den unzähligen Erzählungen über den wohl bekanntesten deutschen Vitalienbruder
ein neues Kapitel hinzuzufügen.
1394 wurde der Name Störtebeker erstmals aktenkundig als Pirat. Er war einer der gefürchtetsten Männer auf Nord- und Ostsee zunächst im Kampf der Mecklenburger Städte Wismar und Rostock gegen Dänemark, später dann als einer der Anführer der sog. Likedeeler eine Gefahr für jedes Handelsschiff. Als solches ist er seit Jahrzehnten Teil der Pop-Geschichte.
In diesem Comic im ungewöhnlichen
Taschenbuchformat stiehlt der junge Klaus einem reichen Patrizier einen
goldenen Siegelring, verschenkt ihn aber sofort wieder an ein junges Mädchen.
Auf seiner Flucht aus Wismar heuert er auf einem Schiff an, rettet Gödeke Michels
das Leben, verteidigt das Schiff gegen angreifende Dänen und tötet das erste
Mal. In Stockholm werden die Gefährten gefangen genommen und treffen auf die Tochter
eines Königs…
Von der Altersangabe her ist der Comic für Kinder ab acht Jahren. Inhaltlich wäre ich da etwas vorsichtiger. Obwohl verlagsvergriffen sollte der Band für ca 5 bis 6 Euro bei den einschlägigen Stellen kaufbar sein.
Patrick Wirbeleit ist in Deutschland eher durch seine Arbeiten für kleine Kinder – nämlich Pixi-Bücher und die Comics mit Kiste – bekannt. Hier nimmt seine Geschichte etwas stärkere Fahrt auf und vermag durchaus altersgerecht zu fesseln.
Kim hat schon viel mehr Veröffentlichungen auf seiner Liste. Die bekanntesten sind sicherlich sein Comic-Zeichenkurs und die bei Flying Kiwi erschienenen Local Heroes! Er befindet sich immer im Grenzbereich zwischen Manga- und europäischem Einfluss und passt daher ganz gut zu diesem All-Age-Thema. Die Zeichnungen sind nicht von allerhöchster Qualität und auch der Seitenaufbau ist dem Format geschuldet nicht gerade innovativ. Trotzdem handelt es sich hier um gute und solide Durchschnittskost und damit genau um das, was in der Welle der Comics von Deutschen Autoren präsentiert werden sollte: Der Beweis, dass auch Comics aus deutschen Landen ein Recht auf Veröffentlichung haben. Im Endeffekt wurde das Ziel teilweise erreicht: Die Nationalität ist heute weniger entscheidend als früher. Es gibt aber nur wenige deutsche Künstler*innen, die dem Stress und den Anforderungen des Nicht-Independent-Marktes gewachsen sind. –Anderer Meinung? Nutzt die Kommentarfunktion!
Dazu passen altersgerechte Getränke wie Tee
mit Zucker (oder auch Ice-Tea) und Slimes
Störtebeker!
Ost-West ist die autobiographische Geschichte des
Comicszenaristen Pierre Christin.
Mehr als drei Jahre hat der mittlerweile
80-jährige zusammen mit dem Zeichner Philippe
Aymond an dieser Graphic Novel gefeilt. Sie beginnt noch während des
zweiten Weltkrieges mit der ersten Begegnung zwischen Christin und Jean-Claude
Mézières, dem späteren kongenialen Partner der Valerian und Veronique-Reihe. Später sollten diese beiden sich in
den USA wiedertreffen und eine lange Reise zusammen unternehmen.
Reisen, nicht zu den touristischen Sehenswürdigkeiten sondern durch die weiten Landschaften und zu den kleinen Alltäglichkeiten, und sich verweigernde Transportmittel sind Konstanten in dem Leben Pierre Christins. Nach seiner Jugend in Frankreich, die durch Literatur und Liebe zu Jazz geprägt wird, nimmt er eine Stelle im Lehrkörper der Universität von Salt Lake City an. Dort lernt er einerseits viele Errungenschaften der Moderne kennen, erlebt andererseits aber auch den zugrundeliegenden Rassismus und die Verlogenheit der amerikanischen Gesellschaft aus erster Hand. Die auf den Reisen von diesem Basispunkt aus erlebten Eindrücke werden später die ersten gemeinsamen Abenteuer im Weltraum prägen. Mézières und Christin verbringen zunächst einige Zeit gemeinsam zu zweit. Später wird Pierres Familie nachkommen doch die beiden Freunde werden sich nie wieder aus den Augen verlieren.
Während dieser Zeit entwickelt sich die Erkenntnis, dass Christins Begabung weder in der Musik
noch in der Zeichnerei besteht. Ersteres wird zwar durchaus professionell als
Mitglied verschiedener Jazz-Kapellen ausgeübt, aber es langt nicht zur
Virtuosität. Letzteres wird nach einem Vergleich mit den Zeichnungen Girauds gar nicht mehr versucht.
Immerhin beschließt der Franzose aber, es als Comic-Szenarist zu versuchen. Die
ersten Gehversuche erscheinen noch unter Pseudonym um die universitäre Karriere
nicht zu gefährden und Jean-Michel
Charlier und René Goscinny leisten
Schützenhilfe indem sie ein Beispiel eines Comicszenarios zeigen, aber schon bald
entwickelt Christin seinen eigenen
Stil und die ersten Werke, umgesetzt von Tardi
und Mézières erscheinen.
Nach den Wirren der Revolte Ende der sechziger Jahre, dem Verlust des Glaubens an die Segnungen des amerikanischen Materialismus und der Erkenntnis, dass die östliche Lebenswirklichkeit nur durch eigene Erfahrung und Anschauung erkannt werden kann, bricht Christin erneut zu langen Reisen auf. Auf der anderen Seite des Vorhangs erlebt er andere Weiten, andere Begrenzungen und daraus angeleitete Wünsche, die der amerikanischen Lebenswelt einerseits total entgegengesetzt sind, andererseits in der Abstrahierung dann wieder ähnlich. Dazu kommen Pannen, die – wie Andreas C. Knigge in seinem Nachwort vermerkt – den Reisenden immer wieder aus seinen Träumen in die Wirklichkeit zurückholen.
Neben den bereits erwähnten Comicschaffenden haben auch Annie Götzinger und Enki Bilal ihren Auftritt.
Alle geschilderten Abschnitte sind immer wieder mit
Beziehungen zu den in der jeweiligen Zeit erschienenen Comics versehen, so dass
wir als Leser*innen immer wieder eigene Leseerfahrungen und Erinnerungen mit
den geschilderten Auslösern in Beziehung setzen können. Dadurch ist die
Autobiographie viel näher am eigenen Leben als typischerweise wenn maximal
äußere Begebenheiten das Leben des Akteurs und des Rezipienten verknüpfen.
Der Zeichner Philippe Aymond ist in Deutschland vor allem durch die Serie Lady S. bekannt. Nach dem Erscheinen einzelner Bände im ZACK-Magazin bzw. der ZACK-Edition wird die Serie jetzt komplett neu im ALL-Verlag erscheinen.
Aymond variiert in
seiner Seitenaufteilung zwischen ganzseitigen Illustrationen und zwei- bzw.
dreireihigem Layout. Die Erinnerungen Christins
sind als Textzeilen wiedergegeben die von Sprechblasen ergänzt werden. Der in
Frankreich spielende, die westlichen und östlichen Reisen verbindende Teil ist
teilweise in schwarz-weiß wiedergegeben. Die farbigen Panele sind mit einer
gedämpften Farbpalette gezeichnet. Nie drängt sich dadurch ein Detail in den Vordergrund, immer steht die
gesamte Komposition im Blickfeld. Dabei beherrscht Aymond die in die unendliche Weite gehende Landschaft genauso gut
wie die detaillierte fokussierte Nahaufnahme.
Abgerundet wird die durch das Hardcover sehr hochwertige
Ausgabe durch einen mehrseitigen Beitrag von Andreas C. Knigge über eine Reise mit Pierre Christin in den Süden. Die beiden haben eine lange
gemeinsame Geschichte und hatten unter anderem einen internationalen Sammelband
mit Eindrücken zum Fall der Mauer und dem Ende der Sowjetunion herausgegeben.
Dadurch werden noch einmal andere Zugänge zu Pierre Christin ermöglicht.
Dazu passen Kaffee und alter Jazz, etwa von Miles Davis, etwa das 1959 erschienene Kind of Blue.
Schon immer gab es Abenteuer von Spirou (und Fantasio), die nicht in alle Sprachen übersetzt worden
sind. Auch die Nummerierung der regulären Reihe von Spirou und Fantasio des
deutschen Carlsen-Verlages stimmt mit der Reihenfolge im französischen und
niederländischen Raum nicht überein. Die deutsche Spezialreihe umfasst
einerseits die Bände „Une Aventure
par“/“Robbedoes door“-Veröffentlichungen, andererseits aber auch die
Werkausgabe der Bände von Rob-Vel und
Jije und klassische Abenteuer von Franquin, die woanders separat
erschienen sind. Viele Kurzgeschichten, die innerhalb des Magazins SPIROU
erschienen sind, haben nicht den Weg in eine Albenveröffentlichung geschafft
und sind in Deutschland zum Beispiel in dem JNK-Magazin COMIX oder gar nicht
erschienen.
Daneben gibt es mittlerweile aber auch rein lokale Ausgaben,
bei denen eine Übersetzung zwar möglich, nicht aber zwingend vorgesehen ist.
Gerüchteweise sollen die verschiedenen Spezialausgaben sogar die reguläre Serie
mit einem festen Team komplett ersetzen.
Das letzte Exemplar dieser lokalen Ausgaben ist das
grandiose „Spirou in Berlin“ von Flix, dem es als erstem deutschen
Künstler vergönnt war, eine Geschichte mit Spirou und Fantasio zu schreiben und
zu zeichnen. Flix, mit bürgerlichem
Namen Felix Görmann, ist einer der
bekanntesten und kreativsten Köpfe der aktuellen deutschen Comicschaffenden und
hat bereits einige Preise gewonnen und wurde mit Ausstellungen unter anderem in
Oberhausen belohnt. Seine Spirou-Interpretation schafft es trotz aller
Vorgaben, seinen eigenen Stil zu transportieren, ist aber mit hunderten von
Anspielungen an das Spirou-Universum versehen. Franquin ist fast auf jeder
Seite vertreten und somit ist dieser Comic auch ein Spiel für alle, die Zitate
suchen mögen. Viele Hinweise sind dabei nicht unbedingt graphisch umgesetzt und
selbst die Kauka-Ära kommt vor.
Die Geschichte spielt in den beiden Deutschlands im Jahre
1989 und somit in einer der spannendsten Zeiten der aktuellen Historie. Der
Graf von Rummelsdorf erhält eine Einladung zu einem Mykologenkongress in Ost-Berlin,
möchte dort aber nicht hinfahren. Fantasio steckt mal wieder in einer Krise und
muss eine Titelstory abliefern, ist also ob der Ablehnung zutiefst enttäuscht.
Der Graf wird jedoch entführt und Fantasio wittert seine Chance während Spirou
einfach nur helfen möchte. In Ost-Berlin werden alle Register einer
Agentenstory gezogen, der Widerstand gegen das Regime porträtiert und nebenbei
noch neben Pips weitere Tiere als Akteure präsentiert. In einer tour de force
gelingt es dem Grafen und seinen Freunden, einen bisher beschriebenen aber noch
nie gesichteten Pilz zu entdecken, neue Freundschaften zu schließen, die
Stasi-Überwachung ins Lächerliche zu ziehen und das Thema Flucht aus der DDR zu
beschreiben. Alles weitere wäre zuviel der Spoilerei!
Flix gelingt es,
das Layout der Seiten immer wieder zu variieren und dem Tempo der Geschichte
anzupassen. Seine Figuren sind teilweise sehr reduziert und haben zum Beispiel
keine Münder, sind andererseits wenn nötig aber sehr detailreich angelegt.
Viele Panele kommen ohne Text aus und konzentrieren den Fokus daher auf den
Bildinhalt, andere bilden eher einen Rahmen für Soundwörter. Dieser Comic ist
also definitiv einer, der ein mehrmaliges Lesen erfordert!
Der Preis von 16 € ist für deutsche Verhältnisse angemessen
da es sich um eine wertige Hardcover-Ausgabe handelt.
Mehr zu diesem Comic wäre angesichts des Presse-Hypes eine
reine Wiederholung.Flix ist im Übrigen gerade auf einer Lese- und Signiertour
durch Deutschland.
Eine andere Richtung schlägt das von den Amoras-Veröffentlichungen bekannte Team Cambré und Legendre ein. Sie bewegen sich mit ihren bisher zwei Teilen sowohl
konzeptuell als auch zeichnerisch eher im bekannten Rahmen der bisherigen
Spirou-Abenteuer und könnten auch das aktuelle Team der regulären
Veröffentlichungen darstellen. Trotzdem sind ihre Geschichten bisher nur auf
Niederländisch verfügbar. Dementsprechend heißt der titelgebende Held auch Robbedoes!
In einem fast Slapstick haften Beginn gewinnt Fantasio im bereits
2017 erschienenen ersten Band eine Puppe, die sich nicht nur bewegen, sondern
auch sprechen kann. Obwohl im Comic deutlich als künstlich zu erkennen,
scheinen die handelnden Personen sie von einem echten kleinen Mädchen nicht
unterscheiden zu können, was zu herrlichen Szenen führt.
Der Graf hat (natürlich) eine neue Erfindung gemacht, die er auf einem Kongress vorstellen möchte. Scheinbar haben allerdings dunkle Gestalten davon Wind bekommen so dass ein sicherer Transportweg für das „Ei“, also die neue Entwicklung, gefunden werden muss. Fantasio und Spirou machen sich getrennt vom Grafen auf den Weg und nutzen die Puppe als Versteck. Um die Tarnung perfekt zu machen, verkleidet sich Fantasio als Mutter und die Drei ziehen als Familie los… Wer die klassischen Geschichten liebt wird seine helle Freude an dieser Tour haben.
Auch der zweite Band sprüht vor Einfällen mit technischem
Einschlag und kommt ähnlich wild daher. Fantasios Cousin Zantafio hat mal
wieder eine tolle Idee: Mithilfe von mechanischen Fischen möchte er
Schmuggelware außer Landes bringen. Da die Geschichte zur Weihnachtszeit
spielt, gelingt es Cambré und Legendre spielend, noch jede Menge
Klischees durch den Kakao zu ziehen und auch Stefanie darf ihre bekannte Rolle
der den alten Kollegen ärgernden Reporterin spielen.
Auch in dieser Serie spielen landestypische Elemente ihre
Rolle und Verweise finden sich überall. Referenzen auf die Originalserie sind
hier nicht so direkt angebracht, sondern deuten sich eher durch das Verständnis
der Psyche und der Handlungsweisen der Akteure an; die Comics ähneln daher
nicht so einem Suchspiel wie bei Flix.
Es findet sich auch weniger Ehrfurcht vor den alten Meistern als bei der
Geschichte aus Deutschland. Vom Spaß her können es beide aber miteinander
aufnehmen!
Immer wieder erstaunlich ist der Preis der Softcoverausgaben
mit 6,95 €, der hier in Deutschland selbst für Lucky Luke und Asterix bereits
überschritten wird. Dafür gibt es solide gedruckte und haltbare Ausgaben auf
leicht glänzendem aber griffigem Papier.
Eine Erwähnung soll auch die bereits 2014 erschienene Geschichte aus dem SPIROU-Magazin 3997 finden. In dem wöchentlichen Heft erscheinen immer wieder Kurzgeschichten des Stammteams aber auch anderer Künstler die nur selten den Weg über die Landesgrenzen finden. Dabei beweist Dupuis auch durchaus sehr viel Humor wie mit der an einem 1. April veröffentlichten angeblich verschollenen Geschichte von Rob-Vel. Üblicherweise finden sich allerdings viele verschiedene Serien in einer Ausgabe. In der Nummer 3997 dreht sich aber alles um den Pagen mit der roten Uniform: Ein Autor und 71 Zeichner*innen erzählen in „Spirou a disparu“ die Geschichte eines Verschwindens und wie bei den vielen mittlerweile veröffentlichten Hommagen benutzt jeder Zeichner seinen eigenen Stil. Hier allerdings geht es um eine fortlaufende Geschichte so dass jeder nach einem vorgegebenen Skript zwar eigene Akzente setzen kann, Übergabepunkte aber beachten muss. Autor ist Pascal Jousselin dem wir auch den unglaublichen Imbattable verdanken.
Natürlich leidet darunter der
Lesespaß da man sich nicht so leicht „eingrooven“ kann. Andererseits ist das
eine perfekte Möglichkeit eben besonders auf die Zeichnungen zu achten und sie tatsächlich
im Vergleich des gleichen Kontextes genießen zu können.
Das Heft sollte auf einschlägigen Verkaufsplattformen oder
(im französischen Raum) bei Comichändlern relativ problemlos zu bekommen sein.
Fazit: Die
nationalen Ausgaben beweisen, wieviel Potential in einer so alten Serie steckt
und wie viele neue Ideen daraus und damit generiert werden können. Während
fortlaufende Serien den Vorteil bieten, dass sich Handlungsstränge und damit
auch Personen entwickeln können, Probleme vertieft werden und Epiken sich
entwickeln können, bietet das Franchise-Unternehmen mittlerweile nicht mehr nur
noch amerikanischen Superhelden die Möglichkeit ständig neuer Inkarnationen.
Dadurch können Kreative unterschiedlichen Alters und Herkunft die jeweils
eigenen Aspekte in den Vordergrund stellen und eine „Vergreisung“ vermeiden.
Der nächste Schritt der Crossover hat
bei frankobelgischen Serien allerdings abgesehen von zitatgleichen, ein
Panel dauernden Gastauftritten bisher nur im Rahmen der Memes zur
Fußballweltmeisterschaft stattgefunden als bei Frankreich gegen Belgien überall
Tintin und Asterix zu sehen waren.
Dazu passt Up-Tempo-Musik wie zum Beispiel Buster Shuffle und
ein „Schirmchen-Getränk“!
In der Rubrik „Klassiker des Monats“ sollen Comics vorgestellt werden, die nicht mehr taufrisch sind. Sie können schon Jahrzehnte auf dem Buckel haben oder wie in diesem Fall erst ein Jahr. Ihnen allen ist aber gemein, dass Sie es nicht verdient haben unter der Flut der Neuerscheinungen begraben und vergessen zu werden!
Wenn man fragen würde, ob das Marsupilami oder Gaston die wichtigere Erfindung des Altmeisters André Franquin wären, würden die Antworten wohl in etwa gleichverteilt ausfallen. Der sympathische und chaotische Redaktionsbote war Franquins Möglichkeit, den Serienzwängen von Spirou zu entgehen und – auf seine Art und Weise – Kritik am Arbeitsablauf und den Verhältnissen bei Dupuis und in der Spirou-Redaktion zu äußern, und gehört zu den absoluten Klassikern der neunten Kunst.
Während in Frankreich schon 2014 die Rückkehr des Chaoten auf die Seiten des Spirou-Magazins mit einem Kalender gefeiert wurde und immer neue Texter*innen und Zeichner*innen um ihre Interpretation geboten wurden, mussten deutsche Leser*innen dagegen auf den „neuen“ Gaston warten. Der deutsche Hausverlag Carlsen konzentrierte sich zunächst auf die vorbildliche Edition des „ganzen Gaston“ in einem fünf Hardcover vereinenden Schuber. Nicht enthalten sind darin allerdings verständlicherweise die Neukreationen mit dem vertrottelten Jo-Jo zu Kauka-Zeiten. Von 1968 bis 1978 veröffentlichte Kauka mit allen bekannten „Anpassungen“ die Abenteuer des Redaktionsboten Gaston Lagaffe erstmals in deutscher Sprache und bereitete damit die Basis für alles Weitere.
Die Tatsache, dass es überhaupt wieder neue Comics mit Gaston gibt, ist durchaus zu hinterfragen, hatte Franquin doch verfügt, dass die Figur von keinem anderen gezeichnet werden dürfe. Die Bewertung möge allerdings jede*r selbst vornehmen.
Im Februar 1957 hatte eine noch namenlose Figur ihren ersten Auftritt; anfangs stand sie einfach nur im Weg doch schon nach kurzer Zeit wurde Gaston der Star einer zunächst halb- und später ganzseitigen Geschichte. Während Gaston durchaus mit anderen Figuren aus dem Spirou-Universum interagierte entwickelte sich eine ganze Gemeinschaft aus speziell für diesen Strip kreierter Personen und Tiere mit zum Teil ikonographischen Auftritten.
2017 konnte nun also das 60-jährige Jubiläum gefeiert werden. Schon zu früheren Zeiten war es bei Spirou üblich, Jubiläen mit Hommagen anderer Künstler*innen zu feiern und so geschah es auch jetzt.
Im Carlsen Verlag ist die deutsche Übersetzung des französischen Originals erschienen die XXX Beiträge ganz unterschiedlicher Stilrichtungen präsentiert. Von der Form her handelt es sich dabei um einzelne, ganzseitige Illustrationen, One-Pager aber auch mehrere Seiten umfassende Werke. Sie sind teilweise an den Stil der jeweiligen Hauptserie angelehnt, teilweise wird versucht, den Stil Franquins zu treffen oder zu karikieren und entwickeln die beliebten Hauptmotive der Originalserie weiter. Der/die Leser*in darf sich also nicht nur über neue technische Meistererfindungen oder Auftritte des Gastophons freuen, auch die unendliche Geschichte der gescheiterten Vertragsunterzeichnung wird fortgeführt.
Der Band ist vorbildlich als Hardcover ausgeführt. Leider vermisse ich eine Überblicksseite mit der Auflistung aller Beiträge, gemeinhin als Inhaltsverzeichnis tituliert. Das Auffinden eines speziellen Beitrages würde dadurch sicherlich erleichtert… Schön ist dagegen das einheitliche Layout das sowohl Akteure und Titel benennt, andererseits teilweise das von Franquin zur Meisterschaft veredelte Spiel mit der Signatur aufnimmt.
Bereits im letzten Jahr ist in den Niederlanden ein Band erschienen, der 47 Beiträge von niederländisch-sprachigen Künstlern aus Holland und Belgien vereint. Die zwei erhältlichen Ausgaben unterscheiden sich neben dem Preis in der Bindung (Hard- bzw. Softcover) und im Motiv des Umschlags.
In zwei Vorworten des Herausgebers und von Marc Legendre werden noch einmal sehr persönlich die Bedeutung von Franquin und vor allem Gaston für den europäischen Comic und sein Einfluss auf viele der heute aktiven Künstler herausgestellt. Die Kombination aus menschlichem Slapstick, Alltag und tierischen Akteuren waren damals einzigartig.
Die beteiligten Künstler*innen versuchen jeweils mit ihrem Stil das Wesen von Gaston oder Guust, wie er bei unseren Nachbarn heißt, zu erfassen. Die Resultate bewegen sich daher zwischen einer seitenfüllenden Zeichnung und 24 Panelen auf einer Seite. Die Figurendarstellung ist von Franquin-ähnlich über karikierend bis zu grahic-novel-artig ebenfalls sehr unterschiedlich. Allen Beiträgen ist aber anzumerken, dass sie sich liebevoll und achtungsvoll dem Thema nähern.
Thematisch haben einige versucht, Gaston in eine andere Lebenszeit (sei es Jugend oder Rente) zu versetzen, um nicht zu nah am Original zu sein. Andere spielen dagegen mit den bekannten Szenarios der verhinderten Vertragsunterschrift, der Liebesbeziehung mit Fräulein Trudel oder der sagenhaften Faulheit.
Einige der beteiligten Künstler wie Marc Legendre, Daan Jippes, Eric Heuvel, Griffo oder Romano Molenaar sind auch teilweise auf Deutsch erhältlich, die meisten sind aber eine Neuentdeckung wert!
Eindeutig eine ideale Ergänzung zu der deutschen Ausgabe, zumal es keine Überschneidungen gibt.
Gerade in ihrer Kombination beweisen die beiden Bände mit über 100 Beiträgen die Wichtigkeit von Gaston für den aktuellen europäischen Comic. Beide sind auf den üblichen Bezugswegen noch erhältlich.
Dazu passt nichts Anderes als Jazz und Cocktails! Wer es noch authentischer mag möge doch bitte das Geschrei einer Lachmöwe im Hintergrund laufen lassen.
PS: Sollte jemand von euch Leser*innen einen Wunsch für folgende Beiträge dieser Reihe haben oder gar selbst einen Klassiker vorstellen wollen: Es gibt eine Kommentarfunktion unter dem Beitrag!