Eine Annäherung
Text & Zeichnungen: Birgit Weyhe
avant-verlag
Broschur | 312 Seiten | Farbe | 26,00 €
ISBN: 978-3-96445-068-5

Normalerweise werden hier Neuerscheinungen besprochen. Gerade in heutigen Zeiten sind aber Bücher (und ja, Comics sind auch Bücher) sehr schnell aus dem Sichtfeld verschwunden. Teilweise ist dadurch die Sichtbarkeit auf einen einzigen Monat beschränkt. Deshalb gab es hier vor einiger Zeit die Rubrik „Klassiker des Monats/Quartals“ um einige Werke wieder hervorzuholen. Zwar kann ich es nicht leisten, diese Rubrik wieder ständig zu füllen, Rude Girl aber hat es verdient, Aufmerksamkeit zu bekommen!
Eine mehrstufige Auseinandersetzung
Birgit Weyhe, eine weiße, deutsche Comicschaffende nimmt an einem Austausch mit amerikanischen Germanist*innen teil und beginnt einen Austausch insbesondere mit Priscilla Layne, einer afroamerikanischen Germanistik-Professorin mit karibischen Wurzeln. Ihre Geschichte fasziniert die Autorin, doch schnell kommt es zur Diskussion über kulturelle Aneignung, ihre Folgen (selbst „gut gemeint“ ist halt meistens das Gegenteil von „Gut“) und eine Annäherung. Schließlich einigen sich die Beiden über das weitere Prozedere für die Entstehung dieses Werkes.

Dieses Metagespräch ist genauso Bestandteil der Graphic Novel wie auch die Geschichte selbst. Für uns Leser*innen ist das hilfreich, gibt es doch einerseits die Möglichkeit, die „Richtigkeit“ der Darstellung bestätigt zu bekommen, und andererseits die Möglichkeit, an der Entstehung teilnehmen zu können und Gefühle und Ängste viel direkter zu verstehen.
Priscilla Layne wird in den USA als Tochter einer Migrantin geboren und muss mit verschiedenen Vorurteilen klar kommen: denen ihrer Community bezüglich des „erwarteten Verhaltens“, denen der black Community, die sie für zu hell empfindet, denen der weißen Community für die sie zu „schwarz“ ist und schließlich allen Höhen und Tiefen einer Pubertät. Schließlich findet sie ihren eigenen Weg und ihre Selbstsicherheit als „Rude Girl“. Ihr Weg in die Skinhead (und Punk)-Szene wird sehr glaubwürdig beschrieben und von kleinen Alltagssituationen und vor allem musikalischen Einflüssen begleitet. Jede*r aus der Subkultur wird sich selbst teilweise darin wiederfinden können.

Unerwartete Farben
Birgit Weyhe zeichnet irgendwo im Grenzbereich zwischen realistisch und abstrakt. Im Gegensatz zu einigen Selbsterfahrungswerken ist hier nicht nur Intention, sondern auch eine gehörige Portion Können vorhanden. Die schwarzen Zeichnungen werden mit einem gelblichen Grün und einem orangen Farbton akzentuiert. Dadurch ist wenig Ablenkung vorhanden, trotzdem aber auch die Möglichkeit gegeben, Dinge hervorzuheben. Die Metateile sind dagegen einfarbig.
Obwohl Weyhe ihren Figuren Eigenheiten gibt, ist die Intention nicht die fotografische Wiedergabe.; es geht um „das Problem“, „das Gefühl“ oder „die Situation“. Dadurch wird einerseits eine gewisse Distanz geschaffen zwischen der Story und den Leser*innen, andererseits erleichtert es auch das Hineinfinden in die jeweils beschriebene Situation.

Tipp für den Weihnachtsbaum
Weihnachten ist nur noch wenige Wochen entfernt. Es beginnt also das Sammeln von Ideen. Rude Girl erzählt nicht nur über die Subkultur der Skinheads (und beantwortet mal wieder die Frage, warum alle Kulturen, Hautfarben, Traditionen Teil dieser anti-rassistischen Bewegung sein können) und die verwandter Szenen, es ist auch ein sehr guter coming-of-age-Roman.
Zudem führt das Werk einfühlsam in die Situation von Migrant*innen und ihre Wahrnehmung ein. Es wäre sehr schade, wenn Rude Girl nicht immer noch eine große Anzahl von Käufer*innen finden würde.
Dazu passen No Respect mit Excuse my smile und ein Dosenbier.
© der Abbildungen Birgit Weyhe & avant-verlag GmbH, 2022