Redaktion: Georg K. Berres, Bill GoGer, Ludwig Kreutzner, Rudolph Perez Selbstverlag Din A4 | 88 Seiten | s/w | 10,00 € ISSN: 09369-7330
Die letzte reguläre Ausgabe feiert gleichzeitig das 40-jährige Jubiläum der anspruchsvollen Independent-Blüte aus Köln. Sie wurde im Wesentlichen von der gleichen Gruppe talentierter Zeichner zusammengestellt wie bereits die ersten drei ZEBRA-Ausgaben und enthält neben vielen Auftritten der beliebt gewordenen Charaktere der Kreativen auch eine Origin-Story der Zeitschrift selbst.
Niemand möge nun aber glauben, dass die Redaktion plötzlich selbstverliebt geworden wäre. Nein, der Rückblick deckt schonungslos die vielen Zufälle auf, die notwendig waren, um das ZEBRA entstehen zu lassen. Niemand stellt dabei sein Licht unter den Scheffel, alle haben mehr oder weniger bewusst ihren Beitrag geliefert. Dabei war der Plan doch eigentlich ganz einfach: Mache Dein Hobby zum Beruf und alle sind glücklich…
Neben anekdotischen Beiträgen aus der Vergangenheit, die beim Aufräumen von diversen realen und digitalen Schubladen zu Tage getreten sind, dürfen natürlich auch die beliebten Held*innen nicht fehlen. Dementsprechend versammelt die Ausgabe Geschichten von Buh-Man, Commander Cork, Daniela, Risto und MamiMami.
Das ZEBRA wäre aber nichts ohne tiefenpsychologische Analysen der Redaktionskonferenzen und Parodien auf beliebte TV- und Kino-Abenteuer. Als Bonus: Ein Funny-Animal-Comic und Tier-Kids-Cartoons.
Eine Blüte der deutschen Independentkultur
Leider ist das die letzte reguläre Ausgabe, doch glücklicherweise wird es auch in Zukunft weitere Sonderhefte geben. Abseits aller Trends geht die ZEBRA Kern-Mannschaft ihren Weg und veralbert alles und jeden. Gekonnt übertreiben sie die emotionalen Elemente in ihren Zeichnungen und sitzen damit immer hart an der Grenze zwischen Kritzelei und Kunst.
Erhältlich ist das ZEBRA im gut sortierten Comic-Fachhandel oder über die oben verlinkte E-Mail-Adresse.
Dazu passen ein Delirium Tremens (das mit dem Elefanten) und die ganz alten Goldenen Zitronen.
Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch das Jahrbuch der Interessenverbandes Comic e.V. (ICOM) mit umfassenden Berichten über unabhängiges Comic-, Cartoon- und Trickfilmtreiben in Deutschland. Der Verein ist ein Berufsverband für alle in diesen Bereichen tätigen Menschen, zugleich aber auch ein Sprach- und Marketingorgan im Independent-Sektor.
Die Preisträger*innen
Jährlich wiederkehrendes Thema sind die Vorstellungen der diesjährigen Preisträger*innen sowie aller nominierten Kandidat*innen für den ICOM Independent Comic-Preis in vier, in diesem Jahr sogar fünf Kategorien. Alle Werke werden mit Illustrationen und Coverabbildungen vorgestellt.
Als bester Independent-Comic (Selbstveröffentlichung wurde Digger von Ralf Marczinczik gekürt. Der Webcomic ist mittlerweile auch bei Kult als Buch erschienen. Bester Independent-Comic als Verlagsveröffentlichung wurde Viktoria Aal von Wiebke Bolduan. Der Sonderpreis für eine besondere Leistung ging an Salon Journal, Band 1, einer Anthologie zum Gönnheimer Weinfest. Als bester Kinder- oder Jugendcomic wurde Schattenspiel von Luise Mirdita ausgezeichnet und der XPPEN-Preis für herausragende digitale Comics ging an Der Unsichtbare Freund von Steff Murschetz und Somnium von Berrin Jost.
Disney-Comics im Fokus und andere (streitbare) Themen
Ein Post von Don Rosa auf Facebook war der Auslöser für eine große Diskussion und schließlich auch für den ersten Teil eines überlangen Artikels von Stefan Pannor. Ungefähr 3000 Beiträge aus dem großen Fundus der Disney-Comics dürfen scheinbar nicht mehr nachgedruckt und publiziert werden. Dieses Verbot gilt weltweit, wurde aber von offizieller Stelle bisher nicht kommentiert. Die Maßnahme scheint als (proaktive)Maßnahme gegen Rassismus-Vorwürfe gedacht zu sein, betrifft sie doch scheinbar Werke, in denen Beteiligte unter Verwendung von rassistischen Stereotypen oder aber Indigene als „edle Wilde“ dargestellt worden sind. Und auch kulturelle Aneignung ist ein Thema. Pannor leitet auf über 50 Seiten her, was bisher bekannt ist oder vermutet werden kann und ordnet das Ganze historisch ein. Ein lesenswerter Beitrag der die Debatte mit vielen Details anreichert.
Ebenfalls Fragen aufwerfend sind das Interview mit Eckart Sackmann über 20 Jahre „Deutsche Comicforschung“ und ein Beitrag von vielen über die Verwendung von KI bei Comic-Übersetzungen. Was kann, was soll, was darf nicht? Auch hier ist mit Sicherheit in den kommenden Jahren noch einiges an Beiträgen und Emotionen zu erwarten.
Dazu kommen Artikel, die Wissen vermitteln, etwa über Science-Fiction Comics aus Deutschland oder die niederländische Comic-Szene. Atelier-Berichte geben Einblicke etwa in den COMIC.CIRCLE, nehmen aber auch das Zensur-Thema wieder auf. Und auch die Frage, ob Comic-Held*innen mit ihren Schöpfer*innen sterben sollten oder ein unabhängiges (Weiter-)Leben genießen dürfen ist eine Frage, die viele Emotionen auslöst, etwa beim neuesten Gaston-Band. Das Jahrbuch beweist wieder einmal, wie aktuell die Beiträge die Diskussionen wiedergeben.
Und dann ist da noch der Trickfilm
Das Jahrbuch wäre nicht komplett ohne die Bereiche Cartoon und Trickfilm. Während erster in zwei eingestreuten Artikeln beleuchtet wird, bildet letzterer einen eigenen Schwerpunkt mit vier sehr unterschiedlichen Aspekten. Natürlich wird wieder über das internationale Trickfilm-Festival aus Stuttgart erzählt, es gibt aber auch Einblicke in aktuelle Arbeiten und Pläne sowie auch hier die Frage, ob und was KI in diesem Zusammenhang ändern kann/wird.
Mehr deutscher Independent geht nicht!
Burkhard Ihme hat sich erneut extrem viel Mühe gegeben und wieder ein extrem umfängliches Jahrbuch erstellt. Breitgefächert und doch in die Tiefe gehend bietet dieser Überblick einen perfekten Startpunkt, um weiter zu gehen. Vielen Dank dafür!
Dazu passen ein anregender Kaffee und Ska aus Asien: The Autocratics!
Comics über Gefangene sind gar nicht so häufig. Natürlich gibt es die Umsetzungen des Klassikers über den Grafen von Monte Christo, die aber nicht originär als Comics gedacht waren. Dazu fallen wahrscheinlich den Meisten die Daltons ein, die immer wieder (erfolglos) ausbrechen und ansonsten Steine klopfen. Und außerdem vielleicht noch Bobo von Paul Deliège, der seine ersten deutschen Auftritte in den Kauka-Publikationen, insbesondere Fix & Foxi, hatte. Im Independent-Bereich gibt es schon mehr, teilweise autobiographisch, aber eben auch unbekannter. Den diesjährigen ICOM-Preis für die beste Selbstveröffentlichung hat Digger gewonnen! Ein Werk, das größtenteils in einem sehr abgelegenen Gefängnis spielt.
Reduktion auf sich selbst
Die Anregung, sich mit diesem Thema zu befassen, war während des Lockdowns entstanden. Wie würde es sein, wenn man noch mehr eingeschränkt wäre? Das Gefängnis ist ein Ort, der seine Insassen auf sich selbst reduziert (zu mindestens dann, wenn es sich nicht um Fernseh-Massen-Knäste handelt in denen sich Dutzende eine Räumlichkeit teilen). Das wird im Comic auch mehrfach angesprochen, insbesondere die verschärfte Form der Isolation.
Trotzdem gibt es immer wieder Hoffnung auf etwas Größeres. Das kann ein Ausblick sein, ein wachsendes Samenkorn, ein Tier … Es kann aber auch ein rein gedankliches Element sein, etwa wenn Zahlen plötzlich eine Rolle spielen. Zudem besitzt Digger auch noch ein Geheimnis. Alle diese Dinge lassen sich aber auf ein Motiv zurückführen: die Hoffnung!
Digger ist nicht wie die anderen Gefangenen: Er ist groß und massig, damit auch kräftig. Er glaubt nicht an seine Unschuld und vor allem ist er nicht aufmüpfig oder sonst auffällig. Über die Jahre freundet er sich mit einem Mithäftling an, teilt Sorgen und Hoffnungen, und entkommt dadurch ein Stück weit dem dumpfen Loch, in das fast alle irgendwann fallen.
Die Hoffnung ist Blau
Ramar hat den Comic nicht nur geschrieben, sondern auch gezeichnet.Die ganze Geschichte beginnt grau. Diese Farbe steht wie etwa im grauen November für Trauer, Trübsal und das Ende des blühenden Sommers. Ganz langsam schleicht sich aber Farbe in die Zeichnungen. Zunächst ist es nur eine Reflektion des blauen Himmels, dann eine blaue Mütze, es werden aber noch mehr farbige Elemente erscheinen. Die Farbigkeit ist natürlich die Hoffnung!
Die Geschichte ist zunächst als Webcomic entstanden und passt daher perfekt zu dem kleineren Buchformat. Meistens bilden drei Panel untereinander den Content, eine Seite kann aber auch mehr oder weniger komplex sein. Diese kleinen Häppchen passen optimal zum seeeeehr langsamen Zeitablauf; rasante Action verheißt in diesem Setting nichts Gutes!
Top-Tipp!
Allzu oft werden Bücher, die Mut machen, entweder als Geschenkbüchlein belächelt, oder aber in die Esoterik-Ecke verbannt. Digger macht Mut, ohne platt zu sein und ist auch nicht gefällig. Der „Held“ ist ein Krimineller, aber er ist kein „böser Mann“. Und natürlich liegt es auf der Hand, dass Isolation nicht nur hinter Gefängnismauern stattfindet. Es gibt genügend Möglichkeiten, diese entweder selbst zu wählen, oder aber von außen in seine solche gezwungen zu werden.
Der Aufruf ist, nicht aufzugeben! Auch Rückschläge können (und werden) passieren, dürfen aber nicht als Entschuldigung für das Aufgeben genommen werden. Der sympathische Held Digger ist dafür ein gutes Vorbild! Wer möchte kann sich im Übrigen auch eine limitierte Vorzugsausgabe mit signiertem Druck gönnen!
Dazu passen Sham 69 mit „Borstal Breakout“, und jedes Getränk Eurer Wahl, das ihr so richtig vermissen würdet.
In unregelmäßiger Folge erscheinen in der Edition Alfons, dem Verlag der Reddition, Paperbacks, die sich ausführlich mit einem Thema beschäftigen. Grundsätzlich folgen sie dem Prinzip des Magazins: verständliche, informative Texte die reichlich illustriert sind und dadurch nicht nur einen theoretischen, sondern auch bildhaften Zugang ermöglichen. Sie überschreiten allerdings deutlich die Platzvorgaben für die Zeitschriftenbeiträge.
DER Überblick!
Alexander Braun hat in seinem Katalog zur Ausstellung im Dortmunder schauraum Horror im Comic kulturtheoretische und psychologische Ansätze aufgezeigt, warum Horror im Allgemeinen und im Comic im Besonderen funktioniert und welche Rolle er gespielt hat bzw. noch spielt. Dabei ist er auf die verschiedenen Subgenres detaillierter eingegangen und hat viele internationale Illustrationen zur Veranschaulichung genutzt.
Christian Blees geht einen anderen, viel persönlicheren Weg. Für ihn stehen die Sammler*innen in Deutschland im Vordergrund: Was ist in Deutschland wann und wo erschienen. Er teilt das Thema dabei in zehn Kapitel ein die teils zeitliche Phasen, teils inhaltliche Subgenres näher beleuchten. Fast immer stehen naturgemäß ausländische Produktionen und Künstler*innen im Fokus, besteht die deutsche Publikationsgeschichte doch im Wesentlichen aus Lizenzausgaben.
Dabei versucht Blees durchaus wo immer möglich auch die Intention der Herausgeber wiederzugeben. Warum wurde ein bestimmtes Thema gewählt, welche Originalreihen wurden ausgesucht und wie fand die Rezeption hier in Deutschland statt. Dadurch werden auch die Schwankungen deutlich die das Genre im Zuspruch über die Jahre erlebt hat: Hype-Perioden und das fast völlige Verschwinden lösen sich ab.
Drei beispielhafte Einblicke
Zombies waren ein Bestandteil der Subkultur, dümpelten aber mehr oder weniger teils unter teils über dem Ladentisch vor sich hin bis mit The Walking Dead eine Welle losgetreten wurde deren Ausläufer bis heute zu spüren sind. Plötzlich waren Untote überall zu finden und unzählige Serien schossen aus dem Boden. Selbst große Verlage wie Marvel und DC konnten das Thema nicht ignorieren und schicken ihre Held*innen wie Batman oder Spider-Man in die Bütt.
Im Laufe der Zeit waren die meisten qualitativ guten amerikanischen Horror-Produktionen auch auf Deutsch erschienen. Zudem war auch hierzulande die Zeit der großen Auflagen vorbei und Kosteneinsparungen waren notwendig. Dies war oftmals die Geburtsstunde der südeuropäischen Studios. Ihre Produktionen waren für den Export in möglichst viele Länder bestimmt und konnten daher kostengünstig angeboten werden. Hier beschreibt Blees viele der oft vergessenen Künstler genauer und zieht sie gewissermaßen aus dem Schatten in das Licht.
Das letzte Highlight soll den neueren deutschen Eigenproduktionen gelten: Gerade im Bahnhofszeitschriftenhandel haben Titel von Weissblech oder Menschenblut regelmäßige Verkaufserfolge einfahren können, unter anderem die Horrorschocker konnten dabei sogar Preise einfahren. Trash und Sex verkaufen sich halt immer! Es gibt aber auch Beispiele bei größeren Verlagen, etwa Malcom Max bei Splitter.
Must have für Fans!
Der Band ist eine perfekte Ergänzung zu dem Katalog von Alexander Braun. Christian Blees schreibt flüssig und mit viel Herzblut und lässt sowohl nostalgische Gedanken als auch Erstaunen über eine sooo große Vielfalt aufkommen. Trotz aller persönlichen Schreibe ist aber eben kein Fan-Boy-Text dabei herausgekommen, sondern eine fundierte Beschreibung die völlig zu Recht in der Reihe der Texte zur graphischen Literatur erscheint! Der absolute Horror ist somit eine Top-Empfehlung!
Für absolute Fans ist auch eine limitierte Vorzugsausgabe mit signiertem Druck erschienen. Und auch einige Werke/Autoren, die comix-online bereits besprochen hat, finden Erwähnung in dem Buch: Van Helsing, Joe Hill oder The Crow zum Beispiel. Wer mag kann einfach unter dem Schlagwort „Horror“ suchen. Für spätere Ergänzungen könnte ich mir vorstellen, dass ein Blick auf die (deutsche) Fanzine-Szene spannend sein könnte.
Dazu passen ein Bloody Mary und Black Sabbath mit „Paranoid“.
Meine Jahresbestenliste und ein paar Worte zum Geleit
Dann wollen wir mal … Schon wieder ist ein Jahr vergangen. Vieles ist gleichgeblieben, München ist zum Beispiel zum elften Mal hintereinander Deutscher Meister geworden. Vieles hat sich aber auch geändert: das politische Klima ist rauer geworden, Emanzipation und Bekämpfung der Klimakrise sind nur noch Worthülsen, während zum Beispiel ein Tempolimit in weite Ferne gerückt ist.
Im Comic-Bereich durften wir dagegen einiges erleben: angefangen mit Magazin-Neustarts etwa bei Zauberstern oder mit dem neuen Independent-Blättchen Graphica über das 50jährige Jubiläum des ZACK bis hin zur erstmaligen Veröffentlichung frankobelgischer Klassiker in Deutschland!
Auch für comix-online gab es einen neuen Rekord: Erstmals waren es mehr als 100.000 direkte Zugriffe auf einzelne Artikel, also ohne die Startseite! Vielen Dank für dieses Vertrauen! Die Charts mit den am häufigsten aufgerufenen Seiten der letzten 30 Tage bzw. der „All-Time-Favourites“ zeigen durchaus Bewegung und lassen eure Präferenzen deutlich werden. Trotzdem freue ich mich über Kommentare oder Feedback, gerade auch bezüglich Informationen, die euch fehlen.
Die besten Comics
Grundsätzlich sind sich die meisten Seiten in diesem Jahr einig: Der neue Asterix, Die weiße Iris, ist seit Jahrzehnten der beste „neue Asterix“. Dem kann ich mich durchaus anschließen. Der neue Szenarist Fabcaro hat es geschafft, ein altbekanntes Thema (Die Römer versuchen das gallische Dorf von innen heraus zu zerstören) völlig neu zu inszenieren und dabei eines der modernen Streitthemen, Wokeness, satirisch zu erfassen. Die Zeichnungen von Conrad stehen für sich!
Platz 2 geht für mich an den ersten Band der neuen Reihe Wikinger im Nebel. Lupano und Ohazar haben mit ihrem sehr witzigen und teils schwarzen Humor das Sujet umgekrempelt und neben den Schlachtengemälden und Hägars Familienstrip eine eigenständige Welt aufgemacht, die filosofische Fragen stellt (Plündern ja, Kirchen abfackeln nein?) und Rollenbilder neu definiert!
Platz 3 geht an einen Altmeister: Francois Bourgeon hat mit Die Zeit der Blutkirschen 2 vermutlich sein letztes Werk vorgelegt. Es schließt den letzten Zyklus der Saga Reisende im Wind ab und endet während der Revolution. Diese Serie gilt nicht zu Unrecht als Startpunkt für die historizierenden Comics.
Knapp danach ein weiterer Titel aus dem Splitter-Verlag: Carbon und Silizium von Mathieu Bablet ist die Geschichte zweier KI, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch beide verloren sind. Gerade im Zuge der Diskussionen um ChatGPT, Bard und Co ein wichtiger Ansatz, der auch grafisch überzeugt.
Auf Platz 5 folgt ein weiterer melancholischer Beitrag über künstliche Wesen: Rostige Herzen von dem Duo, dem fast alles gelingt, BeKa und Munuera, ist der Einstieg in eine neue Reihe, die böse Menschen und gute Roboter als Symbole für vieles, was bei uns nicht mehr stimmt, benutzt.
Die besten Graphic Novels
Was kein Comic ist und auch kein Strip, das muss wohl eine Graphic Novel sein … In diesem Sinne die Top 3!
Platz 1 geht mit einem Tusch an Ein unerwarteter Todesfall von Dominique Monféry. Toxische Männlichkeit im Hohen Norden zeigt brutale männliche Gewalt, die nicht immer nur unter Druck entsteht und eine trotz allem erfolgreiche Überlebensstrategie einer jungen Frau.
Ein deutscher Titel konnte sich an zweiter Stelle platzieren: Der Zeitraum von Lisa Frühbeis schildert die Ängste und Nöte einer zwangsläufig alleinerziehenden Frau. Zwar ist das Thema keinesfalls neu, die grafische Umsetzung ist jedoch vollkommen anders als gewohnt und vereinbart persönliche Betroffenheit und „Nicht-Kunst“ mit genialen Farbakzenten.
Knapp dahinter eine Biografie auf Platz 3: In Fritz Lang schildern Arnaud Delande und Èric Liberge die Lebensgeschichte des deutschen Regisseurs, seiner Auseinandersetzung mit dem aufkeimenden Faschismus und seine teils skandalösen Beziehungen.
Die besten Gesamtausgaben
Einer meiner Lieblinge unter den frankobelgischen Zeichner*innen war schon immer Pierre Seron. Umso mehr freut es mich, dass nun endlich auch seine poetischste Serie, Die Zentauren, erstmals komplett auf Deutsch erscheint! Es darf allerdings nicht verheimlicht werden, dass der Verfasser als Übersetzer des redaktionellen Teils beteiligt war.
Auch in diesem Jahr sind drei neue Bände der Marvel Comics Library bei Taschen erschienen. Die XXL-Bände haben rund 700 Seiten, sind mehrere Kilo schwer, und präsentieren im Coffee-Table-Format die bahnbrechenden ersten Ausgaben der Marvel-Klassiker, die etwas ganz Neues erschaffen hatten. Sorgfältige Reproduktionen erlauben einen 100%igen Genuss, der von sachkundigen Einführungen abgerundet wird! Ein stolzer, aber berechtigter Kaufpreis ist der einzige, kleine Wermutstropfen!
Der dritte Platz steht ein wenig stellvertretend für ein ganzes Albenprogramm: Georg F. W. Tempel, der Herausgeber von ZACK und ZACK-Edition, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Perlen neu oder erstmals komplett auf Deutsch herauszugeben. Dazu zählen etwa Reihen wie Jari oder Alain Cardain. Preiswürdig ist aber die Reihe Bob Morane Classic, in der erstmals alle 19 Abenteuer von Dino Attanasio und Gerald Forton erscheinen werden!
Die besten Sekundärwerke
Es gibt kaum jemanden, der so gut lesbar so viele Informationen und Debattenbeiträge zwischen zwei Buchdeckel packen kann wie Dr. Alexander Braun. Dementsprechend führt er auch dieses Jahr wieder die Liste der besten Werke über Comics an: Staying West! ergänzt, was in seinem ersten Werk über Comics und den Wilden Westen außen vor bleiben musste, nimmt Stellung in der Debatte über Politische Korrektheit und grenzt Notwendiges von Übertriebenem ab und erzählt ganz nebenbei noch vieles über Italienische Westerncomics, Karl-May-Adaptionen und den Streit im Studio Vandersteen. Ein Muss!
Platz 2 gehört der Reddition, die Jahr für Jahr erscheint! Im Frühjahr hieß der Schwerpunkt Schweiz, das Winterheft war der neuen Generation der Spirou-Künstler gewidmet (Besprechung folgt!). Anregende Artikel, ausführliche Listen und meistens gute Einordnungen machen das Magazin ebenfalls zu einem Must-Have!
Platz drei geht an Burkhard Ihme und das ICOM Comic!-Jahrbuch. Ebenfalls Jahr um Jahr schafft es der Verein, nicht nur seine Preisträger*innen ausführlich darzustellen und zu Wort kommen zu lassen, sondern präsentiert Informationen, stößt Debatten an und macht Spaß!
Die besten Magazine
Vor mittlerweile über 50 Jahren ist die erste Ausgabe des ZACK erschienen. Die Namensgebende Zeit (Generation ZACK) endete dann aber doch und jahrelang war es düster; frankobelgische Magazine kamen und gingen. Seit 295 Ausgaben läuft aber das „neue ZACK“, das es mittlerweile auf mehr Ausgaben geschafft hat als das alte Koralle-ZACK. Jeden Monat ein bunter Querschnitt durch das frankobelgische Spektrum (und Angrenzendes) und erneuerte Klassiker wie Rick Master oder Michel Vaillant sind den ersten Platz in dieser Sparte wert!
Gleich dahinter kommen die Magazine des Zauberstern Verlages. Was mit dem Phantom begonnen hatte, hat mittlerweile durch Mikros, Flash Gordon, Van Helsing und Savage Dragon Verstärkung bekommen! Hut ab und weiterhin viel Erfolg!
Platz 3 ist dagegen ein Nachruf! Leider musste die Comixene mit der Nummer 146 ihr Erscheinen einstellen. Lesenswerte Informationen, streitbare Meinungen und tolle Illustrationen werden allerdings nicht ganz verschwinden, sondern sollen Alfonz ein wenig aufpeppen!
Und dann ist da noch …
… ein geglückter Relaunch! Das Universum um Spirou drohte unterzugehen. Jetzt allerdings ist die erste Folge eines Mehrteilers aus der Hauptserie erschienen (Der Tod von Spirou), die Spezial-Bände enthalten Variationen von unterschiedlichen Teams, dem Meister Franquin wird vielfältig gehuldigt, unter anderem mit einer Neuausgabe der Gesamtausgabe, und die Freunde von Spirou (Rezension folgt) bringen erneut die politische Dimension während des Zweiten Weltkrieges zurück! So kann man es machen!
Eure Lieblinge in 2023
Eure Charts, basierend auf den Abrufzahlen:
Platz 1 geht an Hägar und die Gesammelten Chroniken von 1973, gefolgt von dem ZACK-Spezial 7 und dem zweiten Bob Morane-Sonderband von Forton. Sehr knapp dahinter Mitton und Messalina 1/2.
Die weiteren Plätze: ZACK-Spezial 6 – Jari 1, Asterix – Die weiße Iris, Sammy & Jack Integral 3, Michel Vaillant Collector’s Edition 1, Michel Vaillant Legendes 1 (die NL-Ausggabe! Wenn man die deutsche Ausgabe dazu addiert, wäre das mit weitem Abstand die Höchstmarke!), Asterix – Im Reich der Mitte und Lakota von Serpieri.
Das erste ZACK (284) folgt auf Platz 12, der erste Sekundärtitel (Staying West!) auf Platz 32.
Und immer größer wird das Zauberstern Comic Portfolio … Nach den “Fanboy-geprüften” Reihen mit Phantom, Mikros und Flash Gordon nun erstmals ein Fangirl-geprüfter Auftritt! Liesel Van Helsing ist die Tochter von Dr. Abraham Van Helsing und wurde von ihrem Vater zur Vampirjägerin ausgebildet. Ihre eigene Serie wird nun komplett von Zauberstern veröffentlicht.
Ein bisschen Bram Stoker, ein wenig Buffy, …
Prinzipiell ist es nichts Neues, dass junge Frauen sich mit einem Stock bewaffnet auf die Jagd nach Vampiren uns ähnlichem machen. Dass es durchaus förderlich ist, ein striktes Trainingspensum zu absolvieren und die eigenen körperlichen Defizite gegenüber den Monstern durch Bewaffnung auszugleichen, ist ebenfalls selbsterklärend. Und der Support durch eine Gruppe von Unterstützer*innen ist spätestens seit Buffy bekannt. Neu in diesem Setting ist allerdings, dass Hades, immerhin Gott der Unterwelt, dabei eine Rolle spielt.
Liesel Van Helsing wurde von ihrem Vater ausgebildet und trainiert und hat den Kampf gegen die Vampire als ihren eigenen akzeptiert. Ihr Vater wurde im Kampf gegen das Böse getötet und nun ist sie im Wesentlichen allein, sieht man von ihrem Techtel mit Hades einmal ab. Jetzt scheint es aber so, dass ein Tagebuch mit Einträgen ihres Vaters in Italien aufgetaucht ist.
Dort angekommen trifft sie auf Jonathan Harker, einen Engländer, der einen Buchladen führt und ihr einige Blätter übergibt. Vorher allerdings kommt es zu einem Scharmützel mit spitzzähnigen Angreifer*innen. Aus dieser ersten Begegnung heraus entwickelt sich eine Art Schnitzeljagd, die festgeglaubte Wahrheiten erschüttern wird. Pat Shand erzählt actionlastig genug, um alle bei der Stange zu halten, streut aber genug Humor und Sarkasmus ein, um sich von dem Mainstream abzuheben.
US-Independent
Die Serie erscheint seit einigen Jahren bei Zenescope Entertainment und ist ursprünglich ein Spin-Off aus einer Serie mit mehreren Held*innen gewesen. Augenscheinlich ist das Thema „Frau jagt Vampire“ aber tragfähig genug, um jahrelang am Kiosk zu überleben. Der Zauberstern-Verlag hat eine eigene Verbindung zu einer Van Helsing, hat der Verlagsgründer doch jahrelang Hörspiele über eine Verwandte von Liesel geschrieben.
Die Zeichnungen sind typisch amerikanisch, actionorientiert und variabel im Layout. Obwohl im Original etwas kleiner angelegt, schadet des den Zeichnungen keinesfalls, dass sie skaliert worden sind. Dazu kommen einige Splash-Panels und die jeweils mit abgedruckten Cover-Illustrationen mit Posen der etwas altmodisch und zu leicht gekleideten Heldin. Aber über praktische Kleidung denkt in Comics ja nie jemand nach …
Passende Erweiterung des Portfolios
Die Rückkehr der Helden war bisher relativ Männer-lastig. Zwar gibt es in allen Reihen weibliche Nebencharaktere, Van Helsing ist aber schon ein wenig anders. Es bleibt abzuwarten, wie der Marketingslogan umgesetzt werden wird, dass die Heldin nahezu jedes bekannte Monster treffen wird. Wenn es gelingt, das passend in die Story einzubinden, könnte es eine sehr spannende Mischung aus Vampir-, Horror- und Abenteuer-Comic werden. Auf jeden Fall schon einmal eine Gratulation für diesen Schritt.
Für Fans gibt es drei verschiedene Cover-Motive zur Auswahl, allerdings ist das Heft zu dicht gefüllt, um auch noch Platz für ein Poster zu haben. Wir dürfen auf die nächsten Ausgaben gespannt sein.
Herausgeber: Burkhard Ihme Interessenverband Comic E.V. Heft Din A 4 | 108 Seiten | Farbe | 7,50 € ISBN: 978-3-88834-953-9
Der ICOM ist die Interessenvertretung der deutschen Comicschaffenden und als solcher Berufsverband mit einer Vielzahl an Hilfe und Unterstützung für seine Mitglieder. Er ist aber auch die Homebase für die deutsche Independentkultur und vergibt als solcher jährlich Preise. Zu dem Informationskonzept gehört auch ein ebenfalls jährliches Buch, das COMIC!-Jahrbuch.
Künstliche Intelligenz und ihre Risken und Chancen
Neben Rückblicken und Preisen samt ausführlicher Berichterstattung steht fast immer ein inhaltliches Thema im Mittelpunkt. In diesem Jahr ist es die in keinem Segment mehr zu übersehende Künstliche Intelligenz. Einerseits stellen die verschiedenen Tools zur Generierung von Texten, aber auch Grafiken eine Bedrohung des Urheber*innenrechts dar. Niemand weiß so genau, welche Werke zu Trainingszwecken gefüttert worden sind. Dementsprechend groß ist die Gefahr, dass die KI (oder international AI – Artificial Intelligence) sich bei existierenden Werken bedient. Dementsprechend gibt es mehr offene Fragen als Antworten. Ein Beitrag von Dr. Martin Bahr klärt aus rechtlicher Sicht auf. Das Fazit mag unbefriedigend sein, aber ehrlich: Aktuell sind keine klaren Aussagen möglich.
Neben diesen allgemeinen Fragestellungen gibt es aber auch einen Beitrag von Steff Murschetz, der die Vorteile einer „richtigen“ Nutzung beschreibt. Es bleibt notwendig, zu wissen, was man erschaffen will. Wenn man seine Prompts (= die entsprechenden Befehle an die KI) richtig anwendet, kann man aber zumindest gute Vorschläge generieren und schnell ausprobieren. Die Entwicklung dieser Technik wird den Beruf des Comiczeichners verändern, ihn aber nicht durch Technik ersetzen können.
Werbecomics
Siegmund Riedel beschäftigt sich mit der Historie und aktuellen Entwicklung von Werbecomics. Waren diese zunächst eher als Werbemittel auf Kinder ausgerichtet, etwa junior oder KNAX, stehen mittlerweile eher Erwachsene als Zielgruppe im Fokus. Immer mehr Firmen haben Chefs, die mit dem Medium aufgewachsen sind, und die Geschichte ihrer Firma etwa als Graphic Novel aufbereitet haben möchten. Und es gibt auch viele Sachcomics, die das Medium für niedrigschwellige Information nutzen.
Das Back Cover
Die Frau mit dem Silberstern
Und natürlich findet auch die Auseinanderetzung um das Einstampfen der Buchausgabe der Frau mit dem Silberstern Erwähnung. Martin Frei hatte in insgesamt 8 Folgen im ZACK die Geschichte der Lehrerin und des Städtchens Silver Creek weitergesponnen. Nachdem Blueberry als Sheriff eingesetzt worden war und für Ruhe gesorgt hatte, musste das Leben in dem kleinen Ort weitergehen. Und natürlich sorgt eine einmalige Aktion für keinen Frieden. Was als Magazinbeitrag erlaubt war, wurde nach Druck leider von den Erben von Charlier verboten. Martin Frei nimmt dazu in einem Interview ausführlich Stellung. Auch der Verfasser dieser Zeilen ist betroffen, hatte er doch einen Beitrag zum Werk Freis beigesteuert.
Die Preisträger*innen
Die Gewinner*innen dieses Jahres, also 2023, werden ausführlich vorgestellt und interviewt. Zu jedem nominierten Werk gibt es einen Beitrag und Bildmaterial. Für alle Freund*innen des Independent-Comics ein Muss!
Zusätzlich gibt es Interviews mit den Preisträger*innen des letzten Jahres: Jürgen Geier Speh (The Most Dangerous Game), Josephine Mark (Murr) und Oliver Ottitsch (Die Liebe ist stärker als der Tod).
Trickfilm
Zu guter Letzt gibt es den traditionellen Rückblick auf das (mittlerweile 30.) Internationale Trickfilmfestival Stuttgart. Neben launigen Bemerkungen über das Festivaltreiben und einige der dort gezeigten Werke folgt eine Auflistung der preisgekrönten Werke nebst Inhaltsangabe und allen relevanten Metadaten.
Eine klare Empfehlung!
In den letzten Jahren war der Jahresband meistens ein echtes Brett. Dieses Jahr ist er mit rund 100 Seiten etwas schmaler ausgefallen, nichtsdestotrotz aber jede Minute Lesezeit wert! Burkhard Ihme als Hauptverantwortlicher hat mit seinem Team wieder eine tolle Sammlung und einen nirgendwo sonst erhältlichen Überblick vorgelegt. Und der Preis tut auch in Zeiten der Inflation niemandem weh! Der einzige Malus ist die Anzeige eines Verlages dessen Verleger sich nicht zu schade ist, ein rechtsradikales Erzeugnis als Schullektüre zu empfehlen. Hier wäre es besser gewesen, klare Haltung zu zeigen.
Dazu passen ein selbstgesprudeltes Wasser und das New York Ska Jazz Orchestra!
Im schönen Wechsel mit der personenbezogenen 76 steht wieder ein Thema im Mittelpunkt. Die Schweiz hat eine eigenständige Szene, die sich über die letzten Jahre zudem stark entwickelt hat. Dabei gibt es mittlerweile neben einem starken Independent-Bereich Künstler*innen, die auch im Ausland für hohe Auflagen grade stehen.
Die Anfänge
Aus der Geschichte zu lernen, erfordert, sie zu kennen. Den Anfang machen also zwei eher historisch ausgerichtete Artikel über den Genfer Comic-Pionier Rodolphe Töpfer und eine kleine Deutschschweizer Comicgeschichte, die Startpunkte und erste Verbindungen aufzeigen. Auch das Interview mit Edith Oppenheim-Jonas, der Erfinderin von Papa Moll, gibt in lesenswerter Manier hilfreiche Eindrücke über die Zeit in den 60-er und 70-er Jahren.
Tatsächlich wurde die bei uns wohl hauptsächlich aus dem in Apotheken verteilten Magazin junior bekannte Figur bis zum Ende der 80-er Jahre von seiner Schöpferin gestaltet. Nach mehreren Übergaben erscheinen noch immer neue Folgen! Und auch das Magazin selbst, mit monatlich knapp 1,2 Millionen Exemplaren nicht gerade ein Leichtgewicht, wird vorgestellt.
Die Stars
Wohl kaum einer, der Comics mag oder aber zumindest Kinder hat, die den KiKa sehen, kennt Derib nicht. Wer mehr über den Künstler wissen will, der einerseits mit Yakari einen Klassiker für Kinder, mit Buddy Longway eine der großen, lesenswerten Western-Reihen und neuerdings immer mehr sozialkritische Stoffe in seiner Vita vereint, wird hier fündig werden.
Vielleicht etwas weniger bekannt, nicht aber weniger geschätzt ist Cosey. Nach Anfängen bei Spirou hat sich der Schweizer immer mehr von Zwängen befreit und bis dahin akzeptierte Grenzen erfolgreich überwunden. Weder seine Reihe Jonathan noch gar seine Kurzgeschichten „Auf der Suche nach Peter Pan“ folgten klassischen Erfolgsrezepten. Zu beiden gibt es die hochgeschätzte Comic-Bibliographie von Volker Hamann. Ein Punkt, der in keiner Reddition fehlen darf.
Ebenfalls ausführlich werden Zep und Jared Muralt vorgestellt. Während erster mit seinen Auflagen sowohl im Graphic Novel-Bereich als auch bei den Funnies (Titeuf) unzweifelhaft in die Star-Kategorie fällt, wirkt die Aufnahme des begabten Künstlers hinter der international bekannten Serie The Fall etwas willkürlich. Immerhin gibt es dann auch noch einen Artikel über sieben Zeichnerinnen, die auf sechs Seiten vorgestellt werden.
Die „Infrastruktur“
Für eine erfolgreiche Szene braucht es Vernetzung, Publikationen und Lobbyarbeit, vor allem aber auch Menschen, die sich dem mit Herzblut widmen. Pierre Strinati, René Lehner, etwa mit der Comixene, sowie die Teams um die Edition Moderne und das Strapazin haben hier unschätzbare Beiträge geleistet, die entsprechend gewürdigt werden. Dazu kommen ein Artikel über die Genfer Szene als auch über das extrem wichtige Fumetto-Festival.
Die deutsche Referenzreihe
It’s a man’s world … Immerhin gibt es ein langes Interview mit der durch Papa Moll bekannt gewordenen Edith Oppenheim-Jonas und einen Überblicksartikel über Les Demoiselles Pencil. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so wenig Erzählbares über Frauen im Comic-Business gibt und auch nicht, dass nicht-Männer darüber nicht schreiben wollen.
Abgesehen davon ist die Ausgabe eine sehr informative Reise in das Land unserer südlichen Nachbar*innen, das Verbindungen aufdeckt, aber auch Unterschiede. Wie immer gut geschrieben, hinreichend belegt und informativ (und unterhaltend) illustriert! Von daher ein Muss für alle, die das gewisse „Mehr“ haben und nicht nur konsumieren wollen. Es lohnt sich übrigens auch weiterhin, die Reddition im Abo zu haben. Es gibt nämlich immer eine limitierte Beilage, in diesem Fall eine Geschichte aus der Reihe Ein Abenteuer von Paul Aroïd von Cosey in deutscher Erstveröffentlichung!
Dazu passen Consensus und ein Wädenswiller Ur-Weizen.
Din A4 | 216 Seiten | s/w, teilweise farbig | 15,25 €
ISBN: 978-3-88834-952-2
Nach der sehr kurz ausgefallenen Jubiläumsausgabe im letzten Jahr hat es der Interessenverband Comic e.V. ICOM in diesem Jahr wieder geschafft, ein sehr dickes Jahrbuch zu produzieren. Wegen der gestiegenen Druckpreise (bereits zu den Zeiten des Vorwortes rund 35% und steigend) sollte man im kommenden Jahr allerdings wieder von einer deutlich dünneren Publikation ausgehen. Der ICOM ist Bestandteil der deutschen Independent Szene und das Jahrbuch hat zwei Zielgruppen. Natürlich soll es der Szene Beachtung verschaffen und auch diejenigen erreichen, die nicht auf Mailinglisten oder noch schlimmer Karteikarten stehen. Es dient aber auch der internen Vernetzung, Kommunikation und Wissensvermittlung!
Future is green! Oder Comics und Umwelt
Welche Rolle spielt eigentlich “Die Umwelt“ in Comics? Was unterscheidet eine lebensfreundliche/-feindliche Umwelt in einer Science-Fiction-Story von der irdischen Klimakatastrophe? Muss man das immer mit der Holzhammermethode präsentieren oder gibt es auch subtile Wege? Und schließlich, in welchen Comics finde ich denn was? Das Thema „Umwelt“ wird in diesem Jahrbuch erfrischend praktisch angegangen. Es geht nicht um theoretische Einordnungen, sondern um praktische Reiseführer, die potentiellen Leser*innen einen Überblick verschaffen wollen. Subjektiv, exemplarisch, aber eben auch informativ!
Anschließend geht es in die deutsche Szene: Corona, die sehenswerte Ausstellung von Unveröffentlichtem in Oberhausen sowie die verschiedenen Fördermöglichkeiten stehen dabei im Mittelpunkt. Nicht fehlen dürfen dabei die Atelierbesuche: Weissblech, Franz Gerg und Jürgen „Geier“ Speh zeigen Kostproben und verraten, welche Katastrophen wie gemeistert wurden bzw., welche Pläne für die Zukunft vorliegen. Da die Independent-Szene in den üblichen Publikationen zusammen oft weniger Raum bekommt als hier die einzeln vorgestellten jeweils haben, zeigt den Unterschied!
In weiteren Artikeln geht es um die Märkte in den USA, den Niederlanden, Japan und Italien. Auch hier wird der Fokus gezielt auf die Nischen gelenkt. Leider gilt es natürlich auch im ICOM der Toten zu gendenken. Abschließend (der ICOM vertritt Comic-, Cartoon- und Trickfilmschaffende) folgt noch ein Rückblick auf das 29. Trickfilmfestival.
Die Preisträger*innen 2021 und 2022
Neben den allgemeinen Themen und Vorstellungen dient das Comic! Jahrbuch aber auch dazu, die ICOM Preisträger*innen bekanntzumachen! Vorstellungen der Personen, exemplarische Beispiele für ihr Schaffen und die preisgekrönte Publikation sowie die Begründungen gehören auf jeden Fall dazu. Die Gewinner*innen des letzten Jahres sind auch mit einem Interview vertreten, die des Jahres 2022 haben das Jahrbuch praktisch gleichzeitig mit dem Ergebnis überreicht bekommen und konnten daher noch nicht Stellung nehmen. Nach einer langen internen Diskussion über Fehler der Vergangenheit und eine Neuaufstellung gibt es mittlerweile nur noch drei Preise:
Der beste Independent Comic als Selbstveröffentlichung war 2021 Kein Vatertag von Sascha Dörp, 2022 wurde der Preis Jürgen „Geier“ Speh für The Most Dangerous Game zuerkannt.
Der beste Independent Comic als Verlagsveröffentlichung in 2021 stammt von Anna Rakhmanko und Mikkel Sommer; Vasja, Dein Opa ist bei Rotopol erschienen. 2022 konnte ein Western diesen Platz erklimmen: Murr von Josephine Mark, veröffentlicht bei Zwerchfell.
Schließlich bleibt der Sonderpreis für eine besondere Leistung oder Publikation, der im letzten Jahr dem Handbuch polnische Comickulturen nach 1989 verliehen worden war. Hier bestehen für den deutschen Markt mehr als nur einige Möglichkeiten, liegt doch kaum etwas des vorgestellten Materials in Übersetzung vor! In diesem Jahr konnte Oliver Ottitsch mit Liebe ist stärker als der Tod den Preis gewinnen.
Must have für alle, jenseits des Mainstreams schauen wollen
Die Kurzvorstellungen der Nominierten des letzten Jahres finden sich in der 2021er-Ausgabe, dieser Band stellt alle aktuellen Nominierungen vor! Allein dieser Überblick über einen kleinen Teil der deutschen Independent-Szene ist es wert, nicht nur einen Blick zu riskieren! Informationen aus erster Hand, Nützliches und natürlich auch Gossip. Wer weiß, dass es gute Comics auch außerhalb des Mainstreams gibt, bekommt hier Anregungen noch und nöcher. Aufgrund der gezeigten Beispiele kann dann auch jede*r entscheiden, einen Kauf zu wagen, denn gerade hier gilt, dass jenseits des Massengeschmacks nicht alles allen gefallen soll.
Dazu passen The Adicts mit “Life goes on” und ein junger Grauburgunder.
Heft Din A 4 | 92 Seiten | Farbe | 9,00 € ISSN: 1438-2792
Schon wieder ist ein Jahr halb vorbei: die großen europäischen Fußball-Ligen sind durch, die bisher letzte COVID-Welle auch und selbst die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des ersten ZACK sind geschafft. Wirklich? Nein, es kommt (mindestens) noch die ZACK-Lach-Box! Mehr demnächst hier. Zunächst aber die reguläre Ausgabe, deren Aufgabe es ist, die Zeit bis zu den Ferien zu überbrücken!
Die Neustarts
Ein plötzlich hochaktuell gewordener Polit-Thriller kehrt zurück: In Empire USA 2.4 geht es um die Frage, wer den Freund und Partner des Helden, Jared Gail, erschossen hat. Die Ermittlungen haben bisher ergeben, dass sich im Gemisch aus früherem KGB und neuen Oligarchen zwei Fraktionen gebildet haben, die sich bis aufs Blut bekämpfen. Es könnte sein, dass der ermordete Duanne zwischen die Fronten geraten ist. Niemand konnte ahnen, dass diese Serie einmal so aktuell werden würde! Spannendes Szenario von Stephen Desberg. Den Zeichenstift hat nun Alain Mournier übernommen. Die Bilder sind weniger glatt als zuletzt bei Griffo, die Gesichter etwas schematischer.
Ebenfalls wieder dabei sind das kleine Bergdorf Luthon-Höge und seine schrägen Bewohner*innen. Willem Ritstier geht erneut in die Vergangenheit: Ein Unfall mit Folgen scheint unaufgeklärt geblieben zu sein. Als dann auch noch der Metzger im Schaufenster seines Ladens liegt, ist höchste Verwirrung angesagt. Auch Weder Fleisch noch Fisch ist wieder eine bitterböse Satire mit granteligen Zeichnungen von Michiel Offermann für Independent-Fans!
Die Fortsetzungen
Während ihr Verehrer die hübsche Wahrsagerin Julie Kleinnagel ins Bett bekommen möchte, denkt sie ans Heiraten. Es steht aber noch ein Konflikt mit ihrer Mutter ins Haus. Das Mädchen von der Weltausstellung vermischt auch in 1867 Politik und Menschliches. Der Freiheitskampf der polnischen Nation, Klassenunterschiede, Innovationen und der Kampf um ein kleines bisschen Glück sind die von Jack Manini virtuos kombinierten Ingredienzien. Étienne Willem setzt das Ganze in einer sehr humorvollen Weise um, die Emotionen überbetont, Spaß macht und altersgruppenübergreifend wirkt. Die Heldin gibt mit ihren Verehrern im Juni das Covergirl.
Bob Morane von Henri Vernes ist einer der Klassiker der belgischen Literatur. Auch im Comic war er jahrzehntelang vertreten. Nun haben Christophe Bec und Corbeyran eine neue Geschichte geschrieben, die zwar auf der Figur basiert aber keinen existierenden Roman zur Grundlage hat. Es scheint so, als ob die Legende der 100 Dämonen des Gelben Schatten einen wahren Kern hätte. Wie aber passen die offensichtlich geklonten Ninja-Kämpferinnen in das Bild? Die Helden vermuten, dass jemand den Krieg in Indochina als Deckung benutzt, um viel Schlimmeres anzugehen. Paulo Grella setzt das spannende Szenario im Dunstkreis zwischen Thriller und Science-Fiction in manchen Bildern etwas zu glatt um, in anderen wiederum sehr schön. Geben wir ihm etwas Zeit und einen Folgeband, um zu noch mehr Spitzenleistungen zu gelangen.
Die Abschiede
Von Rani müssen wir uns dagegen schon wieder verabschieden. Die zu Unrecht verfolgte Adelige hat sowohl den Transport auf dem Gefangenenschiff nach Indien als auch den Verkauf als Sklavin an das örtliche Bordell überstanden. Dort hat sie sich zur Chefin geputscht und verspricht nun den örtlichen Honoratioren und der Kirche mehr Profit. Ihre Methoden sind dabei fast schon revolutionär. Jean van Hamme und Alcante vermischen in ihrem Szenario Zeit- und Lokalkolorit mit einer Prise Kritik. Dabei haben sie eine patente und toughe Heldin geschaffen, die genregemäß immer wieder in Schwierigkeiten gerät, aber auch immer wieder eigene Lösungen findet. Klassisch grandios umgesetzte History-Schmonzette von Francis Vallès. Ein spoilernder Ausblick auf weitere Teile im Serienkompass.
Normalerweise lesen wir über Familienkriege nur in der Zeitung. Wenn sie sich in der Finanzwelt abspielen, haben sie Auswirkungen auf Börsenkurse und manchmal kommen sogar kriminelle Aspekte hinzu. Pierre Boisserie und Philippe Guillaume beschreiben in Die Bank einen sehr intensiven Krieg zwischen den Geschwistern Saint-Hubert, der mittlerweile die Zweite Generation zu Protagonist*innen gemacht hat. Die Kämpfe werden mit allen Mitteln geführt und zielen auf Leib und Leben aber auch die Ehre, mögliche Kollateralschäden inbegriffen. Sehr schöne Umsetzung durch Malo Kerfrieden, der Stadt und Zeitkolorit Raum gibt, die Geschichte aber dadurch nicht erdrückt!
Und sonst?
Der fälschlich angekündigte Johnny Focus wartet mit seinem nächsten Auftritt noch auf die angekündigte Gesamtausgabe. Natürlich gibt es aber wieder einen One-Pager mit Parker & Badger sowie die üblichen Infos und Kolumnen. Christian Endres stellt im ersten längeren Artikel die Gesamtausgabe von Jacques Tardis Klassiker Adeles Abenteuer vor. Der Verfasser dieser Zeilen blickt zurück auf 11 Jahre bahoe books, einen kleinen, aber sehr rührigen Verlag mit Anspruch aus Wien. Last but not least blickt Michael Klein auf den Juni 1972 und die damaligen ZACK-Ausgaben zurück.
Vor fünfzig Jahren hieß es „Jede Woche Spaß, Spannung, Abenteuer!“ Mittlerweile hat sich die Frequenz auf den Monat geändert, der Anspruch ist geblieben. Und er wird mit hoher Regelmäßigkeit qualitativ hochwertig bedient.
Dazu passen das Foolish Ska Jazz Orchestra und eine Rhabarberschorle mit Sprudel oder Secco.