Jahresrückblick 2024 – Die besten Comics

Meine Jahresbestenliste und ein paar Worte zum Geleit

Das Jahr 2024 ist zu Ende, viele der „Errungenschaften“ leider nicht. In der Ukraine ist schon wieder ein Kriegswinter, Wahlen haben in mehreren Ländern rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien gestärkt, deren Ziel es ist, die Demokratie zu beseitigen und trotz allen Hypes um KI gibt es natürlich immer noch kein Mittel gegen Krebs. Immerhin wurde die Welt von dem syrischen Diktator befreit, ob das neue Regime besser ist, wird sich erst noch zeigen müssen.

In der Welt der bunten Bilder wurden einige 90. und 100. Geburtstage gefeiert, viele der „großen“ Alten haben uns verlassen. Es gab aber auch einige Neuentdeckungen.

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Die Zugriffszahlen für comix-online konnten gehalten werden: Erneut mehr als 100.000 direkte Zugriffe auf einzelne Artikel, also ohne die Startseite! Vielen Dank für dieses Vertrauen! Auch wenn die Seite längst „erwachsen“ geworden ist, besteht doch immer die Möglichkeit etwas zu verbessern. Ich freue mich daher auf Euer Feedback. Persönlich habe ich wieder als Übersetzer für die redaktionellen Seiten im zweiten Band der Zentauren sowie der Sammy & Jack-Integral-Reihe gewirkt, für Nicky Saxx auch den Comicteil übersetzt und diverse Artikel im ZACK sowie erstmals in der Sprechblase veröffentlicht.

Die besten Comics

Der beste Comic kommt für mich in diesem Jahr aus Deutschland: Gevatter von Schwarwel beschreibt schonungslos den Kampf mit der Depression und der Umwelt. Ursprünglich in einzelnen Haften erschienen sind die fünf Phasen jetzt als Comic erschienen. Unbedingt empfehlenswert!

Cover Schwarwel Gevatter Gesamtausgabe

Platz 2 ist nicht unbedingt eine Überraschung für langjährige Leser*innen dieser Seite: Die deutsche Ausgabe der Chroniken von Amoras bringt die Fortsetzung der sechsteiligen Amoras 2047-Sage, die hierzulande im ZACK erscheint, endlich auch auf Deutsch unter die Leute. Legendre und Cambré haben dem etwas angestaubten Suske und Wiske-Stoff neues Leben eingehaucht und eine spannende Endzeit-sage geschrieben. Die Chroniken greifen dabei einzelne Episoden aus Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft auf.

Und auch Platz 3 geht an in der ZACK-Edition erschienes Werk: Dr. Radar von Simsolo und Bézian ist eine Noir-Krimi-Erzählung in einem sehr eigenwilligen Strich. Für Fans des klassischen Krimis ein Muss, für Leser*innen anspruchsvolle Comics ebenfalls!

Platz 4 ist ebenfalls ein älteres Werk, das neu aufgelegt wurde: Das Abenteuer ohne Helden im Verbund mit 20 Jahre danach erzählt die Geschichte, die mit einem Flugzeugabsturz beginnt, mit menschlicher Schwäche und Stärke weitergeht und schließlich Korruption thematisiert. Van Hamme und Dany zelebrieren Geschichte und Zeichnungen.

Platz 5 schließlich geht an eine Weiterentwicklung eines Klassikers: Die Veröffentlichung von Gaston 22 ist das Ergebnis eines jahrelangen Rechtstreites. Delaf führt den Chaoten genau dort weiter, wo Franquin aufgehört hatte. Vielleicht etwas altmodisch, aber liebenswert, chaotisch und genauso anarchistisch wie zuvor!

Die besten Graphic Novels

Wie immer ist die Abgrenzung zwischen Comic und Graphic Novel schwierig. Trotzdem: Meine persönliche Auswahl:

Platz 1 geht auch hier an ein Werk von einem deutschen Künstler, der allerdings mittlerweile in den Niederlanden lebt: Columbusstraße erzählt die Geschichte von Tobi Dahmens Vorfahren während der Jahre 1935 – 45. Sehr persönlich, angreifbar aber auch nichts beschönigend macht sich Dahmen dieses Mal nicht an seine eigene Geschichte wie im Fahrradmod, sondern begibt sich auf die Suche nach Schuld, Verschulden und Zeitgeist.

Cover Dahmen - Columbusstraße

Und auch Platz 2 wird von einem deutschen Künstler eingenommen: Digger von Ralf Marczinczik ist eine Geschichte über einen Straftäter, die Einsamkeit und – vor allem – die Hoffnung! Dieser Band hat 2024 bereits einige Preise abgeräumt, sein Auftauchen ist daher wenig überraschend.

Auf den dritten Platz hat sich ein Werk geschoben, dass erst vor Kurzem erschienen ist: Ava von Emilio Ruiz und Ana Miralles erzählt eine kurze Episode aus dem Leben von Ava Gardner. Die Hollywood-Diva hatte wahrlich kein leichtes Leben und auch ihr Umfeld musste unter ihrer Berühmtheit leiden. Obwohl ihre Zeit in Brasilien nur sehr kurz war, gelingt es den Künstler*innen doch, viele Probleme in diesen Zeitpunkt zu packen und das Ganze mit brillanten Bildern darzustellen.

Die besten Gesamtausgaben

Gesamtausgaben haben immer ein wenig den Beigeschmack der Geschäftemacherei. Sie können aber auch eine endlich angemessene Veröffentlichungsform darstellen, mit Informationen angereichert sein und Werk und Künstler*innen würdigen. Drei Beispiele, die mich in 2024 überzeugt haben:

Zunächst einmal die wunderschöne Ausgabe der kompletten Modesty Blaise Strips aus dem Bocola-Verlag! Nicht nur sind Papier und Format den Zeitungsstrips absolut angemessen, die Herausgeber haben sich ebenfalls bemüht, auch die Strips, die nur in einer kleinen schottischen Zeitung erschienen sind, einzufügen. Dazu kommen perfekte Einleitungen von O’Donnel selbst. Wer auf 60-er Jahre-Flair und Agent*innen steht, ist hier genau richtig!

Cover Modesty Blaise 1

Platz 2 geht an die Neuedition der Boule und Bill-Streifen von Jean Roba. Die Einseiter mit den Familiengeschichten sind natürlich schon oft veröffentlicht worden. Trotzdem: Eine Gesamtausgabe bietet die Möglichkeit, Entwicklungen zu betrachten, zu genießen und immer wieder mal ein paar Seiten zu genießen.

Platz 3 geht an Mikaël und die Gesamtausgabe des ersten Teils der New-York-Trilogie: Giant! Im Mittelpunkt dieser Serie steht die Stadt selbst. Natürlich gibt es handelnde Personen, in diesem Fall irische Arbeiter, in der Gesamtschau wird aber klar, dass ihre Geschichten nur pars pro toto stehen. Geniale Bilder und eine ergreifende Story. Die ersten beiden Teile, Giant und Bootblack, sind als Vorabdruck im ZACK erschienen, Teil 3, Harlem, ist bei Splitter erschienen.

Die besten Sekundärwerke

Das allerbeste Sekundärwerk des Jahres ist ein XXL-Wälzer – Donald Duck – The ultimate History bzw. die ultimative Chronik ist ein Kompendium zum 90. Geburtstags des Superstars. Sie beleuchtet den Weg vom ersten Auftritt, den Nebendarsteller-Rollen bis hin zum Alleinunterhalter. Der Band erwähnt dabei alle (!!) Filme, konzentriert sich bei den Comics auf die Werke von Carl Barks, bezieht aber auch Werbung, Themenparks und alles Weitere mit ein. Das Buch ist sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch und Französisch bei Taschen erschienen und sollte in keiner Disney-Sammlung fehlen!

Cover Donald Duck. The Ultimate History

Platz 2 ist (zumindest hier bei uns in Deutschland) ebenfalls im Zusammenhang mit einem Jubiläum erschienen: Die Spirou-Deluxe-Reihe stellt Werke von Franquin in einen neuen Zusammenhang, veröffentlicht die schwarz-weißen Zeichnungen neben der bekannten kolorierten Fassung und vermittelt eine große Menge an Informationen über Künstler und Hintergründe. Bisher erschienen sind der Liliput-Trick und die Bravo Brothers.

Platz 3 schließlich geht an das Kompendium über in Deutschland erschienene Horror-Comics: Der absolute Horror von Christian Blees listet auf, vermittelt Inhalte, erklärt Trends und versammelt eine wahnsinnige Menge an Informationen auf kleinem Raum! Für Fans des bebilderten Grusels ein Muss!

Die besten Magazine

Und auch in diesem Jahr geht der Preis für das beste Magazin wieder an das ZACK! Auf mittlerweile 100 Seiten pro Monat wird ein Überblick über aktuelle europäische Comics geboten, der seines Gleichen sucht. Dazu kommt inzwischen ein Ableger: Das ZACK-Sonderheft. Die am häufigsten angeklickte Ausgabe war die Jubiläumsnummer 300.

Cover ZACK 300

War im letzten Jahr Platz 3 ein Nachruf, ist es in diesem Jahr einer auf das Magazin, das es auf Platz 2 geschafft hat: Das ZEBRA hat mit der Nummer 19/20 sein Erscheinen eingestellt. Schade, war es doch immer ein Einblick in die Welten des deutschen Independent-Bereiches.

Wieder in die Top 3 haben es die Magazine des Zauberstern Verlages geschafft. Was mit dem Phantom begonnen hatte, wird durch Mikros, Flash Gordon, Van Helsing und Savage Dragon verstärkt! In 2025 kommt noch ein Phantom Spezial dazu. Eine kleine Bemerkung sei erlaubt: Der Wandelnde Geist wandelt auch woanders, etwa bei Kult und in der ZACK-Edition! Dort ist er nicht schlechter!

Und dann ist da noch …

… eine unheimliche Fleißarbeit. Nach mehreren Jahren des Wartens hat Bernd Weckwerth es tatsächlich geschafft, die Chronik der Koralle-ZACK-Ära in den Handel zu bringen! Auf 400 Seiten werden nicht nur alle Hefte, Alben und Taschenbücher vorgestellt, sondern auch die Poster, Sammelalben etc. Dazu gibt es viele anekdotenhafte Bemerkungen zu Serien und Künstler*innen und ein paar erhellende Artikel!

Cover ZACK-Chronik

Eure Lieblinge in 2024

Eure Charts, basierend auf den Abrufzahlen:

Platz 1 geht wie im letzten Jahr an Hägar und die Gesammelten Chroniken von 1973, gefolgt vom Jahresrückblick auf 2023 und Spirou und Fantasio Spezial 42. Bei dem letzteren Titel haben die Zugriffe erst nach dem Auslisten des Titels sehr stark zugenommen. Auf Platz 4 folgt mit der Jubiläumsnummer 300 der erste ZACK-Titel, auf Platz 5 erneut Messalina von Mitton.

Die weiteren Plätze: Donald Duck – The Ultimate History, Di CaroDie Geheimnisse des Maison Fleury 1, Giant von Mikaël, Der 1. Band der Chroniken von Amoras und Gaston 22 von Delaf.

Für 2025 wünsche ich Euch alles Gute! Kommt gut rein! Mögen uns im kommenden Jahr Katastrophen erspart bleiben, möge die Demokratie sich als standhaft erweisen und mögen sich möglichst viele Rassismus, Sexismus, Homophobie und ähnlichen Auswüchsen entgegenstellen.

© der Abbildungen bei den jeweiligen Verlagen und Künstler*innen

Corteggiani, Ameur/Andrade – Chief Joseph

Die wahre Geschichte des Wilden Westens

Story: Francois Corteggiani, Beratung: Farid Ameur
Zeichnungen: 
Gabriel Andrade

Originaltitel: La Véritable Histoire du Far West : Chef Joseph

Splitter Verlag

Hardcover Überformat |56 Seiten | Farbe | 17,00 € | 
ISBN: 978-3-98721-124-9

Cover Chief Joseph

Die wahre Geschichte des Wilden Westens ist eine der aktuellen Konzeptserien, die versuchen das Erzählen einer spannenden Geschichte und die Wiedergabe historischer Details zu kombinieren. Der Historiker Farid Ameur steht hinter den Geschichten dieser Reihe und stellt sicher, dass anstatt von gefärbten Legenden die Wahrheit wiedergegeben wird. Zudem steuert er einen Anhang bei, der einzelne Aspekte besonders beleuchtet. Sie hat damit einen ganz anderen Ansatz als die ebenfalls bei Splitter erscheinenden Western Legenden.

Ein gewiefter Stratege

Chief Joseph ist einer derjenigen Häuptlinge, die für ihre Erfolge im Kampf gegen die übermächtige Kavallerie verehrt werden. Erzogen von Missionaren und deswegen vertraut mit einigen Bräuchen der Weißen musste er erdulden, dass das einst friedliche Volk der Nez Pencé aus ihrem angestammten Gebiet vertrieben und fast vollständig vernichtet wurde.

Chief Joseph selbst war ein Mann des Friedens. Er wusste, dass sein Volk eine militärische Auseinandersetzung nicht würde gewinnen können. Und doch wurde er gezwungen, diesen Weg zu gehen. Er versuchte, sein Volk aus dem Wallowa-Tal im Grenzgebiet zwischen Idaho, Washington und Oregon über die Rocky Mountains durch den Yellowstone-Park und Montana in die kanadische Sicherheit zu bringen. Dabei waren bis zu vier Armee-Einheiten auf seiner Spur.

Chief Joseph page 3

Corteggiani, im Western-Genre bereits sehr verdient, beschreibt, unter welchen Strapazen die schließlich doch erfolglose Flucht geschah und verschweigt dabei keinesfalls die Gewalt. Er zeigt klar auf, wo seine Sympathien liegen: Bei dem Volk, dass aufgrund der Gold-Gier der Siedler gezwungen werden sollte, in ein unfruchtbares Reservat zu ziehen und die ursprüngliche Kultur aufzugeben! Ein graphisch ganz anders umgesetztes Beispiel der Western-Erzählungen von Corteggiani ist Der Weg des Untergangs.

Ein klassischer Western in guter Qualität

Gabriel Andrade ist alles andere als unbekannt, hat aber bisher nichts mit dem klassischen Western-Setting zu tun gehabt. Seine Zeichnungen lassen allerdings das Gegenteil vermuten, ist es doch geprägt von allen Bestandteilen, die man als Leser*in sehen möchte: grandiose Weiten, der Wechsel von der Totalen in die Handlung, raue Männer im Kampf. Auch bei ihm wird deutlich, auf wessen Seite er sich sehen würde: Während die Nes Pencé Würde ausstrahlen, fehlt diese bei den Soldaten vollkommen.

Chief Joseph page 5

Ein Band mit vielen Schlachten hat naturgemäß auch eine Menge an Actionszenen. Andrades Körperdarstellungen sind auch in der Bewegung anatomisch korrekt. Der Schrecken des Krieges wird deutlich, es fließt aber nicht übermäßig viel Blut und auch Splatterszenen sind nicht zu entdecken. Jede*r Liebhaber*in dieser Gattung wird die Zeichnungen daher lieben.

Eine Art Rehabilitation

Natürlich kann man die Geschichte nicht mehr ändern. Die indianische Kultur und Tradition sind fast vernichtet und viele Völker, die ja größtenteils nur wenige 1000 Mitglieder umfassten, leben nur noch in den Geschichten über sie. Trotzdem ist es wichtig und richtig, dem Märchen „der historischen Eroberung und Urbarmachung des Westens“ die Wahrheit entgegenzusetzen. Und diese ist geprägt von falschen Versprechungen, Verrat und systematischer Ausrottung.

Chief Joseph page 10

Diese Geschichten zu erzählen und dabei nicht in die Rolle des geifernden Anklägers zu verfallen, sondern die Fakten für sich sprechen zu lassen ist ein Verdienst dieser Reihe! Der umfangreiche historische Anhang hilft dabei, enthält er doch ein paar Belege und Hinweise für eventuell gewünschte Vertiefungen.

Dazu passen Of Monsters And Men mit „Dirty Paws“, und ein frisches Quellwasser!

© der Abbildungen Editions Glenat 2023 Francois Corteggiani, Gabriel Andrade & Farid Ameur | Splitter Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld 2024

Oger/Div. – Gunmen of the West

Revolverhelden und ihre Geschichten

Story: Tiburce Oger
Zeichnungen: 
Tiburce Oger, Dominique Bertail, Benjamin Blasco-Martinez, Paul Gastine, Christian Rossi, Ronan Toulhoat, Hugues Labiano, Félix Meynet, Jef, Laurent Hirn, Olivier Vatine, Eric Hérenguel, Stefano Carloni, Nicolas Dumontheuil

Originaltitel: Gunmen of the West

Splitter Verlag

Hardcover Überformat |112 Seiten | Farbe | 25,00 € | 
ISBN: 978-3-98721-377-9

Cover Gunmen of the West

So schön wie (Comic-)Romane und langlaufende Serien sind, so schön ist es auch, knackige, auf den Punkt gebrachte Geschichten serviert zu bekommen. Bereits zum dritten Mal hat Tiburce Oger sich ein Thema vorgenommen, kleine Episoden mit einer Rahmenhandlung versehen, und befreundete Kolleg*innen um die zeichnerische Umsetzung gebeten. Das ergänzt sein Portfolio, das er selber umgesetzt hat, etwa Ghost Kid.

Erschafft die Waffe den Revolverhelden? Oder nutzt er die Waffe?

In der Sammlung über die Gunmen of the West dreht sich alles um Revolverhelden. Der Anknüpfungspunkt sind aber bestimmte Waffen, die ebenfalls eine gewisse Berühmtheit erlangt haben. Alles beginnt mit dem Überfall auf eine Waffenhandlung. Ein junger Spund überschätzt sich maßlos und will Patronen klauen. Der Inhaber des Ladens verwickelt ihn in eine Diskussion in dem er von bestimmten Waffen und ihren Besitzern zu erzählen beginnt.

Alle diese Geschichten beruhen auf wahren Geschichten (wobei auch hier natürlich niemand mehr mit Bestimmtheit sagen kann, wo die Wahrheit aufhört, und die Legende beginnt). Die entsprechenden Fakten sind im Anhang nachzulesen. Auf teilweise innovative Weise bestätigen die Stories die Regel, dass Revolverhelden oft nicht lange genug gelebt haben, um ihre Geschichte selber erzählen zu können. Trotzdem haben sie eine wichtige Rolle gespielt.

Gunmen of the West page 3

Allerdings sind die geschilderten Leben keineswegs identisch. Einige haben es geschafft, der Vernichtung zu entgehen, Motive für den Werdegang sind komplett unterschiedlich und schließlich sind auch die Charaktere der „Helden“ nicht zu vergleichen.

Ein aktueller Überblick über realistische Stilrichtungen

Da jede einzelne Geschichte von anderen Zeichner*innen umgesetzt wurde, bildet der Band einen guten Überblick über aktuelle Arten, einen Western-Comic umzusetzen. Es gibt Randbereiche, die hier (meiner Meinung nach) zum Glück fehlen, so gibt es zum Beispiel keine sehr karikativen Elemente. Aus dem Bereich der realistischen Zeichnungen sind hier aber viele Ansätze vertreten.

Wer am Western-Comic besonders die weiten Landschaften mag, wird hier nicht ganz glücklich werden. Wer aber am liebsten die Interaktion mehr oder weniger hartgesottener Raubeine (übrigens beiderlei Geschlechts) mag, ist hier vollkommen richtig! Allerdings gibt es auch Einschläge von Romantik, Rache, Kampf um Gerechtigkeit einerseits, Selbstüberschätzung, toxischer Männlichkeit und Größenwahn andererseits.

Gunmen of the West page 6

Wie eine klassische Western-TV-Serie

Die Sammlungen von Tiburce Oger sind irgendwie vergleichbar mit Staffeln einer alten TV-Western-Serie. Jeweils unter einem (Season-)Thema versammeln sich unterschiedliche Interpretationen, die alle ihren eigenen Reiz haben, trotzdem aber zusammengehalten werden. Für mich eine perfekte Ergänzung zu den Reihen, die sich nur um eine Hauptfigur gruppieren bzw. den epischen Einzelwerken.

Handwerklich ist der Band wie alle Splittertitel ohne Fehl und Tadel, das Cover ist fast schon genial und die Qualität der einzelnen Darbietungen ausgezeichnet. Was will man mehr?

Detail Gunmen of the West page 8

Dazu passen JohnnyCash, etwa mit „Man in Black“, und ein Schlitz Tall Boy!

© der Abbildungen 2023 Bamboo Édition | Splitter Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld 2024

Niles/Wrightson/Jones – Frankenstein Alive, Alive!

Die Gesamtausgabe

Story: Steve Niles
Zeichnungen: 
Bernie Wrightson, Kelly Jones

Originaltitel: Frankenstein Alive, Alive – The Complete Collection

Splitter Verlag

Hardcover Überformat |104 Seiten | Farbe | 25,00 € | 
ISBN: 978-3-98721-252-9

Cover Frankenstein Alive Alive!

Es gibt einige Klassiker, von denen man nicht genug bekommen kann. Dazu gehören für mich auf jeden Fall einige Werke der Schauerromantik. Mary Shelley hat mit Frankenstein einen Roman geschrieben, der Fragen nach wissenschaftlicher Ethik, Verantwortung, aber auch über Rassismus und die Ausgrenzung des Andersartigen stellt. Steve Niles und Bernie Wrightson haben diese Themen aufgenommen.

Das Monster lebt!

Frankensteins Kreatur wollte ihre letzte Ruhe im ewigen Eis finden. Tatsächlich aber ist der belebte Körper unsterblich, eine Ruhe ist ihm genauso wenig gegönnt wie eine Flucht vor der Scham, Menschen umgebracht zu haben. Die Getöteten verfolgen das Wesen, das mehrere Versuche unternimmt, seine Existenz zu beenden – vergeblich! Und so führt es ein Leben als Frank, eine monströse Zirkusattraktion.

Dabei schien zwischendurch alles gut zu werden. Dr. Ingles, ein etwas verschrobener Wissenschaftler hatte das Wesen aufgenommen und über Jahre in seiner Bibliothek mit Bildung versorgt. Er schien keine Berührungsängste oder Vorbehalte zu haben und Frank begann sich als gleichberechtigtes Wesen, ja, fast als Mensch zu fühlen.

Frankenstein Alive Alive! page 7

Doch dann wurde er nicht nur von anderen Menschen wahrgenommen, er machte auch eine Entdeckung, die ihn zu einer Entscheidung zwingen sollte. Niles und Wrightson führen die Geschichte von Frankensteins Monster weiter und arbeiten an den gleichen Fragestellungen, die schon Shelley aufgeworfen hatte. Leider entwickelt sich die Menschheit oft nur technologisch weiter, Menschlichkeit scheint ein rares Gut zu sein.

Der Großmeister des Horrorcomics

Bernie Wrightson wird nicht zu Unrecht als der Großmeister des Horrorcomics bezeichnet. Seine im Mainstream vielleicht bekannteste Figur ist Swamp Thing, die Kreatur aus dem DC Universum, die immer mal wieder ökologische Themen einbringt. Frankenstein Alive, Alive! besticht durch die Akribie der schwarz-weißen Zeichnungen. Diese Technik hatte er während der Warren-Zeit vervollkommnen können.

Dieses Werk ist seine letzte Arbeit! Während er die ersten drei Teile hatte fertigstellen können, konnte er für den abschließenden Teil nur Entwürfe und Seiteneinteilungen machen. Diese wurden von Kelley Jones, dem Zeichner des dunkelsten Batman aller Zeiten, im gleichen Stil vollendet. Der Anhang enthält die Skizzen und Entwürfe und erlaubt daher festzustellen, welche Anteile von welchem Künstler stammen.

Frankenstein Alive Alive! page 8

Notwendiger Bestandteil jeder Horror-Comic-Sammlung

Natürlich sind Horror-Comics nicht jedermanns Sache. Zumal es eine ganze Reihe an unterschiedlichen Stilen gibt (vgl. die Übersicht bei Blees). Die Schauerromantik und die damit eng verknüpften Vampir-Geschichten reichen aber noch darüber hinaus. Wer sich für dafür begeistern kann, sollte hier auf jeden Fall zuschlagen! Nicht nur sind die Zeichnungen genial, auch die Story enthält genau die richtige Mischung aus Verzweiflung, Hoffnung und bitterer Realität!

Die Ausgabe enthält neben der kompletten Geschichte ein sehr persönliches Vorwort des Autors, der an die gemeinsame Zeit mit dem 2017 verstorbenen Zeichner erinnert, und den bereits angesprochenen Anhang, der deutlich macht, wie die Seiten von Wrightson entstanden sind! Dazu kommt dann noch ein wunderschön geprägtes Cover.

Detail Frankenstein Alive Alive! page 11

Dazu passen The Misfits, etwa mit „Saturday Night“, und ein Bordeaux!

© der Abbildungen Bernie Wrightson, IDW Publishing | Splitter Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld 2024

Nuyten – Apache Junction 4

Sierra Madre

Story: Peter Nuyten
Zeichnungen: 
Peter Nuyten

Originaltitel: Sierra Madre

Splitter Verlag

Hardcover Überformat |64 Seiten | Farbe | 18,00 € | 
ISBN: 978-3-98721-411-0

Cover Apache Junction 4

Immer wieder passiert es, dass Vergleiche von lebenden Künstlern mit verstorbenen „Helden“ gezogen werden. Oftmals soll das nur als Marketinginstrument dienen und dafür sorgen, dass Verkäufe anziehen und sich die Fans des Alten zu solchen des Neuen konvertieren lassen. Manchmal aber ist eine Ähnlichkeit nicht von der Hand zu weisen. Und so glaube ich, dass wer Blueberry von Giraud mochte, Apache Junction auch mögen wird.

Ein neuer Zyklus

Vor mittlerweile mehr als zehn Jahren war der erste Band dieser Reihe erschienen, der noch nicht einmal einen eigenen Titel hatte. Schon damals waren die Ähnlichkeiten mit der großen europäischen Western-Serie aufgefallen, Peter Nuyten schaffte es im Folgenden, dieses zu bestätigen. Der drei Bände umfassende erste Zyklus ist mittlerweile als Gesamtausgabe erhältlich.

Die Geschichte spielt im Grenzgebiet der Apacheria, dem angestammten Stammesland der Apachen-Völker, Mexikos und der Vereinigten Staaten. Während sich mexikanische Rurales und amerikanische Soldaten im Wesentlichen in Ruhe lassen und Kriminelle sich in den Weiten der Sierra Madre gut verstecken können, werden die Apachen von allen verfolgt. Die Mexikaner haben eine bereits lange andauernde Feindschaft mit ihnen, die Amerikaner wollen die ursprünglichen Bewohner*innen am liebsten ausrotten, wenigstens aber in weit entfernte und unfruchtbare Reservate verbannen.

Apache Junction 4 page 3

In diesem Grundsetting kämpfen verschiedene indianische Gruppen, teilweise unter Führung von Geronimo, gegen Alle und vor allem um das nackte Überleben. In einem zweiten Strang versucht Roy Clinton für Gerechtigkeit zu sorgen. Einerseits möchte er für seinen Taten geradestehen, er sucht aber auch Rehabilitation für die ihm zu Unrecht angelasteten Geschehnisse. Vor allem aber möchte er die Unschuld von Ann Bentley beweisen. Diese glaubt zwar nicht daran, bricht aber trotzdem mit ihm auf.

Grandiose Bilder!

Peter Nuyten hat die Serie nicht nur geschrieben, er setzt sie auch alleine grafisch um. Seine Bilder aus der Wüste sind grandios! Die Weite und die Lebensfeindlichkeit werden mit jedem Blick deutlich und auch die Gebirgslandschaften könnten fast ohne Geschichte auskommen! Hier wird seine Liebe zum Detail deutlich, denn keine Kleinigkeit stört weder diese großartigen Totalen noch die Hintergründe der Action-Szenen. Und auch seine Darstellungen der handelnden Personen lassen auf eine ausgezeichnete Recherche schließen!

Apache Junction 4 page 4

Dem Band ist ein Anhang beigefügt, der ein wenig in die damalige Zeit und ihre Hintergründe einführt und auch viele Illustrationen besitzt. Diese verdeutlichen die Übereinstimmung der Fiktion mit der Realität! Für Fans des realistischen Western ein Muss! Der Niederländer ist in vielen Settings ein Meister, einer endzeitlichen Metro, dem asiatischen Dschungel und eben der Apacheria. Mein Liebling ist definitiv die Sierra!

Must have!

Wer in seinem Regal Serien wie Jerry Spring und Blueberry stehen hat, wird an Apache Junction seine/ihre helle Freude haben! Nicht nur grafisch, auch von der Erzählweise her gibt es hier viele Gemeinsamkeiten. Eine gut erzählte Geschichte mit mehreren Ebenen, glaubwürdigen Figuren und genügend klassischen Elementen, um rundum zu gefallen!

Detail Apache Junction 4 page 5

Die Aufmachung (gutes Papier, Hardcover mit guter Bindung und das bekannte etwas größere Format) sorgen für eine angemessene Präsentation; der Anhang unterstreicht die Wertigkeit, die der Verlag dem Start des neuen Zyklus beimisst.

Dazu passen The Wolfgangs, etwa mit „Cannibal Family“, und ein Rye Whiskey!

© der Abbildungen 2023 Peter Nuyten | Splitter Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld 2024

Rossi – Golden West

Das letzte Aufbäumen

Story: Christian Rossi
Zeichnungen: 
Cristian Rossi

Originaltitel: Golden West

Splitter Verlag

Hardcover Überformat | 176 Seiten | Farbe | 39,80c € | 
ISBN: 978-3-98721-422-6

Cover Golden West

Es gibt Comics, bei denen man schon nach wenigen Seiten feststellt, dass sie zwar nicht schlecht sind, einen aber irgendwie nicht fesseln können. Bei Golden West ist das anders. Der im Original in vier einzelnen Bänden erschienene Comic über das Ende einer Zivilisation zieht einen in sich hinein und lässt nicht wieder los.

Ein Fluch als Sinnbild

Der junge Apache Woan macht einen schweren Fehler, der seinem Freund das Leben kostet. Da er sich damit außerhalb des Weltbildes seines Stammes gestellt hat (So etwas macht man nicht), gilt er als verflucht und muss fortan ohne die Gemeinschaft auskommen. Tatsächlich überlebt Woan und trifft im Laufe seines Lebens auf viele Menschen, die ihn lehren werden, dass die Zeit der Apachen vorbei ist. Seine Verfluchung steht quasi parallel zum scheiternden Überlebenskampf der Indigenen.

Golden West page 7

Auf sich allein gestellt, muss der Junge zunächst einmal überleben und sich damit in einer feindlichen Natur bewähren. Das betrifft nicht nur banale Dinge wie genügend Nahrung, er muss auch Jahreszeiten und Unfälle überleben, ohne ernsthaft zu erkranken. Schließlich trifft er auf Geronimo, der von der Verfluchung weiß, ihm aber trotzdem erlaubt, am Kriegszug teilzunehmen.  

Immer wieder werden sich die Pfade der Beiden kreuzen und es wird immer deutlicher werden, dass eine Zukunft nur vorstellbar wird, wenn sie der Vergangenheit in keiner Weise ähnelt. Das jedoch erfordert ein Umdenken, zumal ja die (meisten) Weißen alles daransetzen, die Apachen und alle anderen indigenen Völker auszurotten. Und auch die Mexikaner kommen als Verbündete keineswegs in Betracht.

Golden West page 8

Naturverbundenheit und Ruhe

Christian Rossi, bekannt für Westernreihen wie Jim Cutlass oder der Planwagen der Thespis, hat nicht nur das Szenario geschrieben, sondern sich auch in die Zeichnungen hineingemalt. Manchmal merkt man Zeichnungen an, dass der Künstler sich große Mühe gegeben hat, emotional aber nicht vollkommen involviert war. Hier ist Rossi mit Haut und Haaren, mit Pinsel und Feder bei der Sache.

Die Zeichnungen sind teilweise leicht unscharf und hauptsächlich in Sepia- und Rottönen gehalten. Nur das leuchtende Blau des Himmels kommt dazu. Er zeigt die Gewalt, aber auch die gewaltige Weite der Natur. Beim Lesen stellt sich die Frage, warum bei dem Angebot an Platz eine Kooperation nicht möglich gewesen wäre. Und auch die Antwort steht geschrieben: es lag nicht an den Ureinwohner*innen!

Golden West page 12

Eine sehr persönliche Darstellung

Der klassische Western nach dem Motto Weiß=gut, Rot=böse funktioniert schon lange nicht mehr. Spätestens seit Der mit dem Wolf tanzt sind die Storylines und Sympathien anders verteilt. Natürlich gibt es allerdings noch immer einige, die die Vormachtstellung des Mannes und einer Herrenrasse auf Teufel komm raus verteidigen wollen. Diese werden auch durch das Statement von Christian Rossi nicht überzeugt werden. Alle anderen finden aber einen sehr persönlichen Zugang zu den großen und bekannten Themen aus einer ungewohnten, „kleinen“ Perspektive.

Es ist immer schwierig, zu definieren, welche Titel unbedingt in eine „vernünftige“ Sammlung gehören sollten. Golden West wäre auf jeden Fall eine Bereicherung jedes Regals mit Westerncomics und wird dazu verleiten, es mehrfach lesen und genießen zu wollen.

Detail Golden West page 15

Dazu passen „Please don’t talk about me when I’m gone“ in der Version von San Lyon, und ein frisches Wasser ohne „Feuer“!

© der Abbildungen Casterman 2023, by Christian Rossi | Splitter Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld 2024

Lebon – Western Love 1

Der Rotschopf und der Schönling

Story: Augustin Lebon
Zeichnungen: 
Augustin Lebon

Originaltitel: Western Love, Tome 1

Splitter Verlag

Hardcover Überformat | 56 Seiten | Farbe | 17,00 € | 
ISBN: 978-3-98721-389-2

Cover Western Love 1

Als der Western-Comic vor 80 Jahren seine erste richtige Blütezeit hatte, gesellte sich nach kurzer Zeit ein Sub-Genre hinzu, das bei fast allen amerikanischen Häusern große Erfolge verbuchen konnte und eigentlich erst durch SF/Horror im Zuge des kometenhaften Aufstiegs von EC sein Ende fand: Western Romance! Auch die hartgesottenen Kerle hatten so etwas wie eine Schokoladenseite und irgendwie musste der Westen ja auch nachhaltig besiedelt worden sein. Über Schwärmerei gingen die Inhalte allerdings selten hinaus und Inhalte wie bei Brokeback Mountain oder Zarter Schmelz waren selbstverständlich undenkbar. Der Splitter-Verlag startet nun einen ersten Versuch, ob sich diese Spielart erneut durchsetzen kann.

Eine Restaurantbesitzerin und ein Krimineller

Da es eine unendliche Vielzahl an Liebesgeschichten gibt, ist es notwendig immer wieder neue, unerwartete Plots zu schaffen, die nicht sofort vorhersehbar sind. Die Konstellation in einem Western mit Bankraub und wilder Horde eine Restaurantbesitzerin zum Ziel der Träume eines Kriminellen zu machen, ist da schon mal ein guter Startpunkt.

Western Love 1 page 4

Die Ausgangssituation ist relativ einfach: Der „Rotschopf“ führt ein Restaurant, das kurz vor dem Bankrott steht. Die einzige Lösung scheint eine reiche Heirat. Der „Schönling“ ist im dem kleinen Städtchen, um auszukundschaften, wie die Bank um ihre Einlagen erleichtert werden kann. Wie der Zufall es will, begegnen sich die Beiden in einer Weise, für die verbesserungsfähig eine höfliche Umschreibung wäre. Tatsächlich folgen Romanzen aber keiner Logik und so entwickelt sich das Ganze wider besseren Wissens.

Lebon nutzt dafür natürlich Klischees, twisted sie aber auf eine sehr liebevolle Weise (Kaktus!). Zusätzlich erzählt er aber auch eine knallharte Story, die fast schon einem Italo-Western gut zu Gesicht stünde. Die Szenen der Verliebtheit und die der Folter und des Pulverdampfes wechseln sich ab.

Humor und Härte

Augustin Lebon ist nicht nur für das Szenario verantwortlich, er hat auch die Zeichnungen erstellt. Dadurch ist die Kombination aus Geschichte und Umsetzung, die manchmal verrät, wie die entsprechenden Künstler Szenen unterschiedlich verstanden haben, eine Einheit. Lebon weiß, wann er eine linkische Position haben möchte, wann eine verzweifelte und wann eine durchsetzungsfähige. Er denkt Inhalt und Aussehen gleichzeitig und ist glücklicherweise auch fähig, das darzustellen!

Western Love 1 page 6

Grundsätzlich schwebt immer eine kleine Prise Semi-Funny im Raum. Das mildert die härtesten Szenen etwas ab und erlaubt den romantisch veranlagten Leser*innen, die Gewalt als notwendige Prüfung zu ignorieren. Die Fans knallharter Western können dagegen die Romantik ein wenig in den Hintergrund schieben, geht es doch schließlich um etwas ganz anderes.

Die Kombi machts!

Für mich funktioniert die Kombination ausgezeichnet. Dadurch haben wir es weder mit dem x-ten Aufguss einer bekannten Story zu tun, noch ist der Western zu einem reinen Kulissenspektakel degradiert worden. Und nicht zuletzt gefällt mir der Humor, der immer wieder hinter einer Ecke quasi unerwartet daherkommt!

Der vorliegende Band 1 führt in die Personen ein, erklärt ihre Hintergründe, und macht sie somit glaubwürdig. Der etwas linkische Gangster und die handfeste Köchin ergeben ein perfektes Duo und lassen daher für die Zukunft noch einiges erwarten!

Western Love 1 page 9

Dazu passen Jenny Don’t and the Spurs, etwa mit „Broken Hearted Blues“ und ein Bullit Frontier Whiskey!

© der Abbildungen Editions Soleil 2023, by Augustin Lebon | Splitter Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld 2024

Cothias/Juillard – Die 7 Leben des Falken III 1

Fünfzehn Jahre später

Story: Patrick Cothias
Zeichnungen: 
André Juillard

Originaltitel: Les 7 Vies de L´Epervier – Troisième époque 1 – Quinze ans après

Splitter Verlag

Hardcover Überformat | 56 Seiten | Farbe | 17,00 € | 
ISBN: 978-3-98721-300-7

Cover Die 7 Leben des Falken III 1

Historische Serien waren eine Zeitlang der absolute Renner, füllten sogar ein eigenes Comic-Magazin. Der Boom ist zwar mittlerweile ein wenig abgeflaut, es gibt aber immer noch genügend Serien, die es bisher nicht komplett nach Deutschland geschafft haben. So ist zwar das Werk von Bourgeon komplett auf Deutsch erschienen, Serien wie Malefosse oder eben die 7 Leben des Falken warten aber noch auf ihre Vollendung.

Nach 15 Jahren ist einiges anders als gedacht

De vorliegende Band startet Fünfzehn Jahre später als das Ende des zweiten Zyklus. Ariane, gedemütigt und vergewaltigt, war nach Nordamerika ausgewandert. Nun allerdings kehrt sie zusammen mit ihrem Mann, einem Mohawk, ihrem Vater sowie Grandpin nach Frankreich zurück. Sehr schnell treffen sie dort auf einen alten Feind, den Vicomte de Roquefeuille, der auf Rache sinnt.

Ihre Reise zum König wird dadurch unterbrochen. Immerhin finden sie heraus, dass das totgeglaubte Kind Arianes möglicherweise doch nicht gestorben ist. Es entwickeln sich daraufhin eine Reihe von Auseinandersetzungen, die teils mit überzeugenden Worten gewonnen werden wollen, andererseits aber auch einfach nur gewalttätiger Natur sind. Immer wieder geht es dabei um Geheimnisse, Intrigen und labile Bündnisse.

Die 7 Leben des Falken III 1 page 3

Und ebenfalls erwartbarer Weise wird die Heldin gefangengenommen und muss eine Vergewaltigung erdulden. Im Jahre 1642 zählte das Leben und vor allem die Unversehrtheit einer Frau nicht viel. Männer nutzten ihre körperliche Überlegenheit schamlos aus. Dazu kamen damals wie heute der Einsatz von Vergewaltigungen als Waffe in kriegerischen Auseinandersetzungen.

Ein Meisterwerk grafischen Erzählens

Ein dreistreifiges Layout wird fast durchgehend verwendet und bildet somit ein ziemlich festes Raster. André Juillard beherrscht die Wiedergabe der Körpersprache und seine Figuren sehen somit auch sehr realistisch aus. Dazu kommen detaillierte Hintergründe und zeitangemessene Bekleidungen. Selbst die Musketiere, die einen Gastauftritt haben, wirken bekannt.

Actionszenen wie etwa auf Seite 20 sehen aus wie ein Standbild aus einer Filmszene. Nur selten geraten die Bilder etwas zu starr. Die Geschichte braucht keine erklärenden Worte, sondern entwickelt sich aus der Dynamik der Zeichnungen heraus! Ich würde auch einen Blick auf die Zeichnung des Backcovers empfehlen. Sie wäre einen Druck wert.

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Mantel-und-Degen, hurra!

Splitter hat bereits die beiden anderen Zyklen jeweils in einem Band aufgelegt und startet nun eine dreibändige Ausgabe des dritten. Die Serie zählt zu DEN Klassikern ihres Genres, ist aber in Deutschland nur lückenhaft erschienen. Dieser Band war vor 10 Jahren bereits bei Kult erschienen, die beiden anderen Teile des Zyklus werden als deutsche Erstausgaben in Kürze folgen.

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Dazu passen mittelalterliche Musik und ein Glas französischen Rotweins!

© der Abbildungen Dargaud 2014, by Juillard, Cothias | Splitter Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld 2024

Di Caro – Die Geheimnisse des Maison Fleury 1

Die Venusfalle

Story: Gabriele di Caro
Zeichnungen: 
Gabriele di Caro

Originaltitel: Les Arcanes de la Maison Fleury, Volume 1

Splitter Verlag

Hardcover Überformat | 56 Seiten | Farbe | 18,00 € | 
ISBN: 978-3-98721-263-5

Cover Geheimnisse des Maison Fleury 1

Der Verlag wirbt mit der Unterzeile Comics für Erwachsene. Unbestreitbarer Weise gehören Comics des Zeichners und Texters di Caro in diese Kategorie, dürfte es doch schwer sein, sie an Minderjährige verkaufen zu wollen.

Und noch ein Serienkiller …

Als wäre das London vom Ende des 19. Jahrhunderts nicht schon genug gebeutelt gewesen mit der Mordserie, die Jack the Ripper zugeschrieben wurde. Nun scheint es eine zweite Serie im East End zu geben. Kommissar Barnes übernimmt die Ermittlungen, die ihn auch in die schlüpfrige Welt des Maison Fleury führen.

Das Leben zu damaligen Zeiten war für alleinstehende Frauen nicht einfach. Ihr Leben galt wenig, ihre körperliche Unversehrtheit noch viel weniger und das Überleben hing oft genug davon ab, rechtzeitig jemanden zu finden, der dafür zahlen wollte. Nicht immer waren die Absichten allerdings ehrenvoll.

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Di Caro führt in sehr expliziten Zeichnungen durch dieses Kabarett unhaltbarer Zustände und verknüpft eine Rahmenhandlung mit verschiedenen Darstellungen von echter oder käuflicher „Liebe“. Nicht immer dienen die Darstellungen dem Fortgang der vorhandenen Krimi-Handlung. Von demselben Autor liegen auch schon Kurzgeschichten vor.

Die nicht so gute „alte Zeit“

Wer über die guten alten Zeiten räsoniert, vergisst meistens zu erwähnen, dass die Zeiten früher für einen deutlich größeren Anteil der Bevölkerung alles andere als „gut“ waren. Definitiv aber hatten Männer ein anderes Verhältnis zu Frauen und nutzten ihre Macht schamlos und grenzenlos aus. Dieser Aspekt des Werkes wird sehr deutlich!

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Ansonsten steht di Caro in der Tradition einer ganzen Reihe von vornehmlich italienischen Comic-Zeichnern, die für die in Italien sehr prominenten Fumetti Neri sehr explizite Zeichnungen angefertigt haben. Qualitativ eher am oberen Ende angesiedelt, gibt es hier zwar viel nackte Haut, Sadismus oder Verstümmelungen, die in den sog. Horror-Settings an der Tagesordnung waren, finden hier aber zum Glück keinen Eingang. Dafür sind die Dekors sehenswert.

Freizügig

Jeder Verlag muss Geld verdienen, um damit ambitioniertere Projekte quer zu finanzieren, möglicherweise auch einfach nur, um überhaupt existieren zu können. Solange bestimmte Grenzen nicht überschritten werden, ist das auch in Ordnung. Heutzutage gibt es viel härtere Sachen frei im Internet für jedermann. Insofern ist das Programm Splitternackt für mich auch in Ordnung. Trotzdem muss jeder selbst entscheiden, ob er das braucht oder nicht. (… und im Übrigen soll es auch nicht männliche Leser*innen geben). Ein heute angemessenes Verhalten legen die handelnden Männer in diesem Comic jedenfalls nicht an den Tag.

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Dazu passen viele Versionen von „Lady Marmelade“ und ein überteuertes Glas Champagner!

© der Abbildungen 2020 Gabriele di Caro, represented by Tabou Éditions, France | Splitter Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld 2024

Ayroles/ Guérineau – Der Schatten der Aufklärung 1

Der Feind des Menschengeschlechts

Story: Alain Ayroles
Zeichnungen: 
Richard Guérineau

Originaltitel: L’Ombre des Lumières, Volume 1

Splitter Verlag

Hardcover Überformat | 72 Seiten | Farbe | 19,80 € | 
ISBN: 978-3-98721-361-8

Cover Schatten der Aufklärung 1

Die Welt der Literatur und ihrer verschiedenen Gattungen ist genauso vielfältig wie die der Comic-Szenarien. Der Comic hat jedoch je nach Blickwinkel den Nach- oder Vorteil, dass die Leser*innen nicht nur den Text lesen können, sondern ebenfalls Bilder präsentiert bekommen. Selbst ein Roman, der im Wesentlichen aus Briefen besteht, kann dadurch eine sehr handlungsreiche grafische Erzählung abgeben.

Die Taten eines Tunichguts

Kostümschinken, die die höfische Gesellschaft und ihre wenig herausgehobenen Alltäglichkeiten präsentieren, sind spätestens seit Bridgerton wieder in Mode. Diese Geschichte beginnt in Frankreich. In einem Sekretär wird in einem Geheimfach die Korrespondenz eines Chevalliers entdeckt. Sie umspannt fast das gesamte 18. Jahrhundert (und bietet somit Raum genug für drei Bände). Sie entlarvt den Mann als einen Schurken.

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Alain Ayroles nimmt die Rolle eines Zeitzeugen ein, der mit der Veröffentlichung der Schandtaten den Triumph der Tugend über das Laster herbeiführen will. Tatsächlich geht es aber (natürlich) darum, die gespannt auf weitere Enthüllungen wartende Schar zu erfreuen und keine Details auszusparen. Dieser inhärente Zynismus entspricht natürlich auch dem tatsächlichen, heutigen Kalkül denn eine Moralpredigt würde auch heute niemand kaufen wollen.

Der Chevallier wird als garstiger Mensch eingeführt, der es auf die Unschuld junger Frauen abgesehen hat und schriftlich unverschämte Avancen macht. Natürlich versucht die so umworbene diesem aufdringlichen Verhalten zu entgehen und findet Unterstützung durch einen jungen Mann, der zu Besuch bei Verwandten ist. Eingewoben in diese Geschichte passieren Ungeheuerlichkeiten. Der zweite Teil des Bandes handelt davon, die Gunst von Höhergestellten zu erlangen. Dafür ist kein Trick zu schäbig …

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Kostüme, Perücken und die eine oder andere Action

Zunächst einmal sind Werke über diese Zeit sehr arbeitsintensiv. Sind für die Jetztzeit nur T-Shirt und relativ einfache Beinbekleidungen von Nöten, sind für das 18. Jahrhundert Spitzen, Rüschen, Litzen, Schnallen und ähnlicher Dinge mehr hinzuzufügen. Und auch die Inneneinrichtungen waren keineswegs funktional. All diese Kleinigkeiten bringt Richard Guérineau in seinen Panel unter. Selbst die Massenszenen wirken „richtig“.

Viel Mühe gibt er sich mit den Emotionen seiner Figuren. Sowohl (Schaden-)Freude als auch Ärger finden ihren Ausdruck und die Ekstase ist ebenfalls glaubhaft dargestellt. Fans dieser Art von Geschichten können unbedenklich zuschlagen und bekommen Realismus, Romantik und Aufregung. Nur ganz selten einmal gleiten die Gesichter in eine Art maskenhafter Stille über.

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O tempora, O mores

Niemand kann ernsthaft behaupten, dass „früher“ alles besser gewesen wäre. Es gibt und gab Menschen, die sich nicht darum scheren, was ihre Handlungen anrichten. Und es wird immer solche geben, die aus Langweile oder Boshaftigkeit Opfer solcher Taten zusätzlich noch verhöhnen, anstatt ihnen zu helfen. Natürlich sind genau solche Geschichten diejenigen, die sich lohnen erzählt zu werden.

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Fans dieser Spielart, sei es im Comic oder beim Streamen, werden sich hier gut aufgehoben fühlen: große Gefühle, schönes Ambiente und ein Widerspruch zwischen Schein und Sein. Kurzum: gut erzähltes Vergnügen. Die Aufmachung des Bandes mit der Glanzlackapplikation passt perfekt zum Inhalt!

Dazu passen Marianne Faithfull mit „As Tears go by“ und ein Glas Champagner!

© der Abbildungen Éditions Delcourt – 2023, by Alain Ayroles and Richard Guèrineau | Splitter Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld 2024

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