Die Zeit der Blutkirschen Buch 2 – Rue des Martyrs
Story: François Bourgeon
Zeichnungen: François Bourgeon
Originaltitel: Les Passagers du Vent 09: Le Sang des Cerises Livre 2
Hardcover Überformat | 136 Seiten | Farbe | 28,00 € |
ISBN: 978-3-98721-173-7
François Bourgeon hat im Wesentlichen drei unterschiedliche Bereiche der französischen Comic-Literatur mit seinen Werken bereichert: Fantasy (Die Gefährten der Dämmerung), Science-Fiction (Cyann – Tochter der Sterne) und die faktenorientierte, aber spannend und aus persönlicher Sichtweise erzählte Historie: Reisende im Wind. Alle seine Handlungsabläufe gruppieren sich um starke Frauen. Diese sind keinesfalls immer Treiberinnen der Ereignisse, lassen sich aber nie unterkriegen. Dazu kommt eine fast schon pedantische Akribie bezüglich der Dekors und der Umgebung. Ohne Übertreibung einer der Großmeister des Faches!
Die Rache der Sieger
Der dritte Zyklus der über mehrere Generationen verfolgten Geschichte ist von Anfang an als durchgehende Erzählung angelegt und so beginnt die interne Seitenzählung mit der 81. Clara/Zabo, die Urenkelin der ersten Heldin Isabeau, hatte während einer Zugfahrt begonnen, Klervis, einer jungen Bretonin, die „ganze Geschichte“ erzählen zu wollen. Bourgeon hat es sich zu einem Markenzeichen gemacht, in den Zeitebenen zu wechseln und verschiedene Vergangenheiten und die Gegenwart zu vermischen. Inhaltlich geht es um das Ende der Pariser Kommune und die blutige Rache der Restauration.
Obwohl sehr viel geschichtliches Hintergrundwissen in Form von Textkästen transportiert wird, wirkt das weder belehrend noch langweilig. Die Geschichte, die zudem noch eine Art Grundlagenkurs zu verschiedenen politischen Organisationsformen daherkommt, ist so emotional aufregend, dass keine Langeweile aufkommt. Zwar zeigt Bourgeon nur äußerst selten Gewalt direkt, die Auswirkungen von Vergewaltigung, Verstümmelung, Mord und seelischer Grausamkeit sind aber teilweise in jedem einzelnen Panel zu spüren.
Fast möchte man als Leser glauben, dass es nun nicht weitergehen kann und doch finden die Heldinnen immer wieder einen Weg, nicht aufzugeben! Diese Stärke, oft genug kombiniert mit anderen persönlichen Schwächen und teils fatalistisch begründet, lässt die Figuren echt erscheinen und sorgt dafür, dass die rudimentären Erinnerungen an den Geschichtsunterricht Gestalt annehmen können. – Und damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Die Zeit der Blutkirschen erzählt natürlich von den großen geschichtlichen Linien in den einzelnen Leben. Diese werden aber nur dadurch glaubwürdig, dass sie in eine persönliche Geschichte eingebettet sind: Liebe, Verlust, Scham, Freude sind die Vehikel!
Immer noch ein echter Bourgeon
Der Stil eines François Bourgeon ist in gewisser Weise einzigartig. Natürlich sind viele seiner Stilmittel auch bei Anderen anzutreffen. Gerade im Fantasy-Bereich ist es nicht unüblich, dass Heldinnen in dünnen Oberteilen dargestellt werden. Einerseits wird diese Zur-Schau-Stellung aber hier immanent kritisiert, andererseits sind die die Gesichtszüge und Mimik der Heldinnen viel öfter im Bild als der Rest.
Parallel dazu sind die Architektur und die Gesamtkonzeption der Seite die Steckenpferde des Meisters: keine Seite gleicht der anderen. Bei anderen Comics gibt es oft kleine Unstimmigkeiten im Schattenfall oder der Perspektive. Hier wird nichts dem Zufall überlassen und zur Not (wie für das Paris der Kommune) wird ein ganzes Viertel als Modell gebaut, um die Details zu überprüfen. Es fällt aber nur auf, dass eben nichts auffällt.
Must Have
Sollte es tatsächlich jemanden geben, der/die die Serie noch nicht kennt, wäre die klare Empfehlung mit dem ersten Band – Blinde Passagiere – anzufangen. Obwohl die Serie in drei nur lose zusammenhängen Zyklen spielt, ergeben sich doch durch die Rückblicke immer wieder neue Nuancen, die man sonst verpassen würde. Die Zeiten der behandelten Geschichtsabschnitte sind keineswegs schön (so viel zu der „guten, alten Zeit“), werden aber verständlich und spannend quasi als Beilage erklärt. Im Fokus steht die Persönlichkeit von Frauen aus vier Generationen und der Drang nach Freiheit!
Der einzige Wermutstropfen ist, dass es nicht erneut eine begleitende Magazinausgabe mit unkolorierten Zeichnungen und einer Unmenge an weiterführenden Artikeln gegeben hat. Die Reihenausstattung ist perfekt, im Anhang werden einige Worte (und vor allem die in Bretonisch wiedergegeben Passagen) übersetzt und erklärt und der Preis ist ebenfalls in Ordnung! Es bleibt zu hoffen, dass wir von dem 1945 geborenen ursprünglichen Glasmaler noch mehr erwarten dürfen.
Dazu passen Fugees mit ihrer Interpretation von „No Woman, No Cry“ und ein Espresso Martini.
© der Abbildungen 2022 Éditions Delcourt / Bourgeon | Splitter Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld 2023