nach intensiver Beratung mit den Teilnehmern und Partnern des Gratis Comic Tages wurde beschlossen, den Termin für den GCT 2020 zu verschieben, so dass dieser nicht wie bislang geplant am 9. Mai stattfinden wird. Wir haben zwar schon einen neuen Termin in den Blick genommen, möchten aber die weiteren Entwicklungen im April noch abwarten, bevor wir etwas ankündigen, was dann abermals geändert werden muss. Den neuen Termin wollen wir Anfang Mai bekannt geben, spätestens bis zum ursprünglichen Datum am 9. Mai. In diesen Tagen erhalten wir die GCT-Hefte vom Drucker, der GCT 2020 ist also definitiv nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Vielleicht seid auch Ihr von den aktuellen Maßnahmen betroffen, dann wünschen wir euch alles Gute für diese schwierige Zeit!
Wenn es euch möglich ist, eure Comic- und Manga-Händler*innen um die Ecke weiterhin zu unterstützen, ist eure Kundschaft dort gerade jetzt sehr willkommen. Viele von euch nutzen bereits neue Lieferoptionen der Läden, dafür schonmal vielen Dank. Falls euch das Lesefutter ausgeht und ihr keinen angestammten lokalen Händler habt, schaut hier vorbei, ob es jemanden in eurer Nähe gibt: https://www.comics-kaufen.de/
Bis ganz bald und bleibt gesund! Die Verlage beim Gratis Comic Tag
Es ist schon ein wenig schräg in Zeiten wie diesen einen Ausstellungskatalog zu besprechen. Weltweit sind wir aufgefordert, zuhause zu bleiben und soziale Distanz zu wahren und gleichzeitig haben sich überall Kunstschaffende bemüht, kulturelle Werke zu proben oder vorzubereiten. Trotzdem: Theatervorstellungen und Konzerte fallen aus, neue Filme werden verschoben und Ausstellungen hängen zwar an den Wänden, können aber nicht gezeigt werden. Gut, dass es für letztere oft wenigstens Kataloge gibt!
Die Ausstellung
Ausstellungen mit Originalen der Fix & Foxi-Produktion, ihren Ablegern und ihrem aktuellen Wirken als TV-Helden in ihrem eigenen weltweiten Kanal hat es in den letzten Jahren schon ein paar gegeben, unter anderem in Oberhausen. Zu danken ist dabei unter anderem Dr. Stefan Piëch, der das umfassende Archiv Rolf Kauka’s nicht nur für sich erworben hat, sondern es auch der Öffentlichkeit zeigen möchte. Die aktuelle Ausstellung „Fix & Foxi XXL – Die Entdeckung der Schlümpfe, Spirou und Lucky Luke“ vom 15. März bis 26. Oktober 2020 im Karikaturmuseum Krems ist momentan natürlich nicht zu besichtigen, bildet aber als neuen Schwerpunkt die Rezeption frankobelgischen Materials ab. Kaukas Produktionen boten erstmalig umfangreiche Klassiker aus den französischen und belgischen Magazinen und bereiteten somit den Boden für den späteren Erfolg des Koralle-ZACK.
Das spiegelt sich natürlich auch in dem vorliegenden Katalog wieder. Die ursprüngliche Grundlage bildeten Texte von Roland Mietz für das Lexikon der Comics, die dann zu einem Themenschwerpunkt in der Reddition ausgeweitet worden waren. Daraus entstand dann zunächst der mittlerweile vergriffene erweiterte Katalog für die Ausstellung im Wilhelm-Busch Museum in Hannover 2016 und jetzt die erneut wesentlich erweiterte Ausgabe für Krems. Diese Ausgabe kommt nicht nur in einem wesentlich größeren Format daher (Coffee-Table) und bietet daher noch mehr Raum für die abgebildeten Zeichnungen, Drucke und Fotos, sondern enthält auch intensiv aufbereitete Informationen zu den lizensierten Stoffen.
Lucky Luke & Co.
Gerade diese Periode wird oft auf die unsägliche „Eindeutschung“ von Asterix verkürzt. Vergessen wird dabei gerne, dass unzählige Klassiker wie Schnief und Schnuff, Pit und Pikkolo, Jojo, Prinz Edelhardt und Kukuruz, Gin und Fizz aber auch Bobo und Old Nick neben Lucky Luke und den Schlümpfen hier ihre ersten großen Auftritte hatten und dadurch auch für den großen kommerziellen Erfolg von Fix & Foxi und Lupo (modern) gesorgt haben. Wer darüber mehr erfahren möchte, sollte bei diesem Katalog unbedingt zuschlagen! Darüber hinaus bietet das Werk viele Illustrationen von Kauka-Zeichnern, die ihre eigenen Figuren in Interaktion mit den lizensierten Helden zeigen.
In weiteren Kapiteln werden die Anfangsjahre dargestellt, die von Tierfabeln und Eulenspiegeleien ausgehend die Entwicklung hin zu modernen, schließlich sogar einheitlich aussehenden anthropomorphen Figuren reicht. Die Idee von Rolf Kauka war es nie, ein Magazin zu verlegen, seine eigentliche Leidenschaft war der Trickfilm. Trotzdem hat er ein Imperium mit mehreren Titeln und unzähligen Neben- und Merchandiseprodukten geschaffen. Die Zeichner – soweit bekannt – die die Werke schufen, aber auch die Konflikte um Urheberrechte und Bezahlung sowie natürlich auch der unlängst verstorbene Peter Wiechmann werden ebenfalls vorgestellt.
Die Empfehlung
Wie bei der Edition Alfons Tradition fehlt auch hier ein Werkverzeichnis nicht! Ein Muss für jeden Fix & Foxi-Fan ist dieser Katalog definitiv schon wegen der Abbildungen. Meines Erachtens aber auch für alle, die sich für die frankobelgischen Klassiker interessieren! Viel wichtiger als Horrido oder der Heitere Fridolin waren Lupo und die diversen anderen Kauka-Produktionen die das Material in Heften aber auch in Alben oder Taschenbüchern unter das Volk brachten.
Das mosaik ist eines der wenigen Printmagazine im (auch) Jugendbereich, das seine Auflagenhöhe über die Jahre hinweg nicht nur halten, sondern sogar ein wenig ausbauen konnte. In der relevanten Verkaufsstatistik liegt es damit mittlerweile hinter dem Lustigen Taschenbuch auf dem zweiten Platz. Das Konzept ist seit Jahren gleich: die drei Abrafaxe Abrax, Brabax und Califax werden per Zeitsprung in eine bestimmte Region zu einer bestimmten Zeit transportiert und erleben dort ihre Abenteuer. Begleitet werden die Comics dabei von Wissensschnipseln, Versuchen, Museumshinweisen etc. um den Leser*innen nicht nur historische Hintergründe zu erklären, sondern auch zu spielend erlerntem neuen Wissen zu verhelfen.
In diesem Monat startet die 20. Zeitreise, die die jungen
Helden in die Südsee gegen Ende des 19. Jahrhunderts verschlägt. Ein Paradies
mögen jetzt viele denken und für die atemberaubende Natur stimmt das sicherlich
auch. Die Veränderungen durch die Zunahme des weltweiten Handels und der
Kolonialisierung unter anderem durch das Deutsche Kaiserreich waren aber nicht
immer einfach.
Das erste Heft
Die drei Kobolde fallen der Besatzung der „Heiderose“ buchstäblich vor den Bug und dürfen das Schiff entern. Die Besatzung ist in Aufregung, denn ein Geist scheint sich auf dem Handelsschiff eingenistet zu haben, und es gelingt den dreien, einen Deal auszuhandeln: Bringen Sie die verschwundene Mütze des Kapitäns zurück, werden sie nicht an Land gesetzt…
Mit dieser stimmungsvollen Einführung der Gegend und der
Grundlagen des Kopra-Handels werden die Leser*innen auf die kommenden
Geschichten eingestimmt: es gibt eine große Konkurrenz unter den Schifffahrtsnationen
um Kopra, das getrocknete Fruchtfleisch von Kokosnüssen. Wie immer steht zu
befürchten, dass es bei diesem Wettbewerb nicht immer fair zugeht und dass
sowohl Einheimische als auch Handeltreibende darunter zu leiden haben werden.
Daneben gibt es aber natürlich auch die spaßige Seite: Der Ursprung der mysteriösen Vorgänge – so viel sei verraten – ist natürlich keinesfalls übernatürlich und wird noch für viele beinahe Nervenzusammenbrüche sorgen.
Die Beilage
Mittlerweile fast schon traditionell wird der Start in eine
neue Welt von einer Beilage begleitet: Die Karte zeigt die Inselwelten der
Südsee und führt in Tierwelt aber auch in geografische Besonderheiten ein. Und:
Wer von euch könnte aus dem Stehgreif den Unterschied zwischen Melanesien,
Polynesien und Mikronesien erklären und dann auch noch Neuseeland richtig
verorten?
Die Möglichkeit für einen Neueinstieg! Tipp: Im Heft sind
Hinweise für magische Momente versteckt! Mit Hilfe einer App können so weiterführenden
Infos und Beiträge abgerufen werden.
Dazu passen „What a wonderful world“ von Israel Kamakawiwoʻole und ein Maracuja-Kokosnuss-Shake!
Ihr sitzt wegen Corona zuhause und wisst nicht, was ihr tun
sollt? Das Comic! Jahrbuch 2020
bietet genügend Lesestoff auf 272 Seiten!
Kurz zum Hintergrund: Der Interessenverband
Comic, Cartoon, Illustration und Trickfilm e.V. ICOM existiert bereits
seit 1981 und bemüht sich darum, Zeichner*innen und Autor*innen ein Forum für
Meinungs- und Informationsaustausch zu bieten um dadurch ihre berufliche
Situation zu verbessern. Der ICOM ist anerkannter Berufsfachverband und bietet
für seine Mitglieder nicht nur Infos, sondern auch konkrete Beratung und Hilfestellung. Das
Jahrbuch ist also auch als Werbung zu verstehen für den Verband, vor allem aber
auch für seine Mitglieder und hat daher einen extrem niedrigen Verkaufspreis!
Die Becker/König/Crumb-Kontroverse
War das letzte Jahrbuch noch von der Diskussion um die Juryzusammensetzung für den 25. ICOM Independent Comic-Preis geprägt, bewegt dieses Jahr eine andere Auseinandersetzung die Gemüter: Franziska Becker, langjährige Karikaturistin und EMMA-Zeichnerin, wird vorgeworfen, Islamophob zu sein indem sie muslimische Frauen mit Kopftuch verunglimpfe, Ralf König soll auf seinem Wandbild für das Brüsseler Rainbow-Haus transphobe und rassistische Vorurteile transportiert haben und auf internationaler Bühne wird Robert Crumb gewaltverherrlichender Sexismus und Rassismus vorgeworfen. Ein großer Teil dieses Jahrbuchs versucht mit Artikeln und Interviews Sachlichkeit in der Diskussion zu ermöglichen und fragt, ob sich Bewertungsmaßstäbe ändern können oder müssen!
Den Hintergrund bildet immer wieder die Frage, was Satire
darf oder sogar muss, ob Grenzen des guten Geschmackes auch Grenzen der Moral
sind und wo Überspitzung zu Hate Speech wird. Ist es noch ein Stilmittel, wenn
große Lippen zur Kennzeichnung von People of Colour gezeichnet werden? Wie groß
ist der Unterschied zu einer Hakennase oder anderen antisemitischen Klischees? Wenn
ich religiösen Fanatismus kritisieren möchte, muss ich dann immer mindestens drei
Religionen gleichzeitig kritisieren oder kann ich mich in der Auswahl
beschränken? Und darf ich dann immer wieder die gleiche einschränkende Auswahl
treffen? Schwierige Fragen, die auf Stammtisch-Niveau nicht zu beantworten sind!
Der Ansatz, sachliche Informationen aus erster Hand durch Interviews und
verschiedenste Artikel zu bieten, ist dabei meiner Ansicht nach als sehr
positiv zu bezeichnen!
Das Jahrbuch bietet auf mehr als 50 (Din A-4) Seiten O-Töne
von Crumb und König sowie viel Hintergrundinfo und Zusammenfassungen der Kritik!
Die deutsche Comicszene
Was wäre das Jahrbuch des ICOM ohne eine ausführliche Beschreibung der Entwicklung des deutschen Marktes… Würdigungen des Münchner Comicfestes und der „Cons“ machen den Anfang der thematischen Artikel; Berichte über I. Astalos und seine Beiträge für das deutsche MAD und ein Bericht zum 50. Geburtstag der U-Comix folgen. Es geht aber auch um ein neues Magazin über SF-Comics und eine Internetplattform verschiedenster Künstler*innen namens Toonsup. Leider auch ein Thema sind Nachrufe.
Im Bereich Atelier werden fünf Kreative etwas ausführlicher
vorgestellt, viele andere dagegen mit einer Aktualisierung der Werkschau!
Unverzichtbar für alle, die einen Überblick über die deutsche Independentszene
gewinnen oder behalten wollen!
Niederlande, USA und andere Länder
Alles andere als provinziell zu sein war schon immer der Anspruch
des ICOM! Die Berichte über andere Länder sind aber dreifach anders als normal:
Neben Berichten aus Frankreich und den USA gibt es auch noch die Niederlande,
Italien und Japan; die Betrachtungen konzentrieren sich auf Entwicklungen der Independents
und sie sind ebenfalls nicht nur reich bebildert, sondern auch sehr persönlich verfasst!
Lesenswert sind sie alle, als Anlesetipp möchte ich die Geschichte der StripSchrift
nennen. Dazu kommt noch mein Favorit in dieser Rubrik: historische Vorbilder
für Comiczeichnungen. Vor allem die Ähnlichkeiten zu Märklin-Katalogen sind verblüffend!
Die Preisträger*innen
Eine vierköpfige Jury hat die Aufgabe übernommen, den ICOM Independent Comic-Preis 2019 für Eigenproduktionen zu bestimmen. Für 2020 sind weitere Veränderungen geplant. Wie immer sind im Jahrbuch die Preisträger*innen mit Begründung und Leseproben versammelt und schon das sollte ein Grund für das Kaufen und Lesen dieses Jahrbuches sein!
Als Bester Independent-Comic wurde im Juni 2019 „Don’t touch it!“ von Timo Grubing, erschienen bei Zwerchfell ausgezeichnet. Horror bleibt preiswürdig! Der Verlag konnte noch zwei weitere Preise abräumen, unter anderem für die beste Newcomerin Natalie Ostermaier, die sich in Kramer mit Religion und Hexenverfolgung auseinandersetzt. Alle Preisträger*innen gibt es hier.
Der Sonderpreis für Guido Weißhahn soll noch kurz Erwähnung finden: Guido baut seit Jahren an einem Archiv für in der DDR erschienene Comics oder besser Bildgeschichten und leistet einen großen Beitrag zur Aufarbeitung und Bewahrung dieses Teils der deutschen Comic-Geschichte!
Das Fazit
Auch wenn der Trickfilm dieses Jahr etwas kurz gekommen ist, bleibt das ICOM Comic!-Jahrbuch unverzichtbares Rüstzeug für alle, die auch jenseits des Mainstreams nach guten Comics suchen, über die Entwicklungen auf dem Laufenden bleiben wollen und bereit sind, über das Gelesene vielleicht auch noch mal zu reflektieren! Diskussionen sind schmerzhaft und das Ändern liebgewonnener Gewohnheiten weder von vornherein richtig noch falsch. Die Diskussion darüber ist aber notwendig.
Dazu passen neben einem kühlen Kopf und Wasser für die
diskursiven Teile und ein Ipanema für die anderen sowie Musik von Blaggers ITA!
Um seine Jugend in der DDR verbracht zu haben muss man ein Geburtsjahr haben, das spätestens aus den 70-er Jahren kommt. Für viele heute Graphic Novels lesende Menschen also weit vor dem eigenen Geburtsdatum. Die Geschichte erfordert also das Eintauchen in eine fremde, zumindest aber vergangene Zeit mit komischen Klamotten, Redewendungen und Modethemen, richtig? Naja, hier geht es nicht um eine Netflix-taugliche, hippe Verfilmung, sondern um Erinnerungen eines jungen Mädchens an die eigene Kindheit, erzählt auf einer sehr sympathischen und freundlichen Basis obwohl einem beim Lesen manchmal das Lachen etwas stecken bleibt…
Die Geschichte von Claudia
Rusch beginnt an der Ostsee. Diese ist weder von menschenfressenden Ungeheuern
bevölkert noch besonders stürmisch und doch sind viele Flüchtlinge aus dem
damals „ummauerten“ Teil Deutschlands in ihr ertrunken und so empfindet auch
die kleine Heldin sowohl eine grenzenlose Angst vor dem Wasser als auch den
unbedingten Wunsch, einmal die Ostsee mit dem Malmö-Express zu überqueren. Thomas Henseler und Susanne Buddenberg, die sich schon mehrfach dem Thema DDR gewidmet
haben, gelingt es in dem ganzen Buch, Claudia
sympathisch darzustellen, ihre (Kinder-)Sorgen darzustellen und die damalige Situation
darzustellen ohne dabei in Klischees abzurutschen. So benutzen sie in dieser Szene
etwa angedeutete Tierfallen im Wasser der Ostsee.
Der Staat
Das kleine Mädchen hat auch Eltern. Während der biologische Vater nach der Scheidung keine allzu große Rolle mehr spielt (mal abgesehen von dem einen wichtigen Auftritt in Uniform), gehört ihre Mutter zum Kreis um die Dissidenten Havemann und ist daher ein Objekt für die Überwachung durch die StaSi. Ganz nebenbei wird hier ein Problem dargestellt, dass viele Beziehungen nachträglich unter ein unerträgliches Licht gestellt hat, denn die Bespitzelung machte weder um die Liebe noch die Familie einen Bogen …
Die Überwachung wurde aber auch öffentlich vollzogen und die
„grauen Herren“ warteten auch in Wagen vor der Haustür oder folgten den
Überwachten mehr oder weniger unauffällig und so ist eine meiner
Lieblingsszenen der Marsch der kleinen Claudia durch den dunklen Wald um die
Oma vom Bus abzuholen. Aus Furcht singt sie lauthals Parteilieder, was
einerseits die ihr im Verborgenen folgenden Mutter verärgert, andererseits die der
Mutter folgende StaSi verwirrt, kann es sich doch nur um Provokation oder
Täuschung handeln – an Absurdität nicht mehr zu überbietender Slapstick vom
Feinsten!
Die Graphic Novel
Eine andere grandiose Stelle beschreibt die Fähigkeit, mit
den Gefühlen der Leser*innen zu spielen. In einem überfüllten Bus nimmt das
kleine Mädchen auf dem Schoß eines älteren Herren Platz und die Dramatik der
Bildfolge, ihrer sich verlangsamenden Geschwindigkeit und der wechselnden
Frontalen der Gesichter des Herren, der Mutter und des Kindes lassen kein
Missverständnis aufkommen: Hier wird etwas geschehen! Tut es auch, allerdings
anders als heutzutage erwartet!
Das autobiographische Buch von Claudia Rusch war ein kleiner Bestseller, allerdings kein Mainstream, denn die Heldin wollte natürlich ein Ende der DDR aber keinen Anschluss, sondern die Möglichkeit auf eine eigenständige Entwicklung. Henseler und Buddenberg gelingt es kongenial, die Stimmungen der Heldin und ihrer Umgebung einzufangen und wiederzugeben, die Emotionen des Kindes (Kakerlaken!), der jugendlichen und auch der jungen Erwachsenen glaubhaft darzustellen und vor allem aber die DDR-Situation als bedrückend, feindlich und unerwünscht zu beschreiben ohne in eine „Verteufelung“ zu verfallen, die gerade Westler*innen so gerne präsentiert haben.
Insgesamt also eine brillante, unbedingt zu empfehlende
Graphic Novel aus der jüngeren Deutschen Geschichte die ein differenziertes Bild
auf die DDR wirft und dabei nichts verschweigt, die eine Jugend aus der
unschuldigen Perspektive des Kindes zeigt, die erwachsene Wertung des Ganzen
aber nicht unterschlägt und nebenbei auch noch wirklich gut gezeichnet ist! Gerade
auch für „Wessies“ könnte die Lektüre die eine oder andere Erinnerung
hervorholen und in einem neuen Licht erscheinen lassen: Während die „Schwerter
zu Pflugscharen-Kampagne“ hier aus Ost-Sicht für westliche Infiltration gehalten
wird, war sie im Westen ein Sinnbild für ostdeutsche Propaganda…
Für mich auf der Auswahlliste für die Graphic Novel des Jahres!
Dazu passen ein Radeberger und (passend zu ihrem 65.
Geburtstag) Nina Hagen und ihre Entwicklung
vom „Farbfilm“ zum „TV“.
Nach der Eröffnung der Jacques Tilly-Ausstellung in der LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen hatte ich Gelegenheit, ein wenig mit Ralf König zu plaudern. Ralf ist ein sehr sympathischer Mensch der gerne und viel zu erzählen bereit ist. Das nachfolgende Interview gibt daher nur Teile unseres Gespräches wieder.
Wer ist Ralf König?
Kurz zu der Person: Ralf König, Jahrgang 1960, ist ein waschechter Westfale aus Werl. Nach seinem Coming-out Ende der Siebziger Jahre schrieb und zeichnete er erste Schwulen-Comics in Szenezeitschriften, danach auch erste Hefte. Ab Ende der 80-er wurde er auch außerhalb der Schwulencommunity wahrgenommen und mit der Bewegte Mann bei Rowohlt war der Durchbruch endgültig geschafft. Die darauf basierende Verfilmung mit Till Schweiger wurde ein internationaler, preisgekrönter Erfolg und König war endgültig Mainstream geworden. Seine Szenewerke wurden bei Carlsen (erneut) aufgelegt, bei Rowohlt folgten Werke zur Religion und Neuinterpretation klassischer Stücke mit unglaublichen Auflagen und auch die Preise und Ausstellungen folgten. Seit 2014 hat Ralf den ersten Preis für sein Lebenswerk, nämlich seinen insgesamt vierten Max-und-Moritz-Preis.
Still ist er
trotzdem nicht geworden. Weiterhin erscheinen neue Werke bei Rowohlt, er
engagiert sich im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung und hat Frau Dr. Vogt, die Direktorin der
LUDWIGSGALERIE überredet, die erste Ausstellung von Jacques Tillys Werken und Skizzen zu organisieren.
Die Sache mit Tucholsky
c-o: Lieber Ralf, vielen Dank für deine wütenden Worte
während deiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung gerade eben!
Ralf König: Wütend? Nein, wütend war das eigentlich nicht. Ich kann‘s nur nicht mehr hören, dass immer wieder gefragt wird, was Satire darf oder nicht darf! Die Frage ist falsch, keiner von uns möchte in einem Land leben, in dem Satire aus politischen oder religiösen Gründen nicht alles darf. Das ist doch der Punkt, Satire muss wehtun, muss lächerlich machen, verarschen! Wenn sie das nicht tut, ist der Witz gefällig und harmlos.
c-o: Seit geraumer Zeit werden Karikaturisten aber auch
Vertreter*innen von Minderheitenrechten nicht nur verstärkt bedroht, sondern
auch angegriffen und zum Teil getötet. Wie siehst du das persönlich? Spürst du
die Schere im Kopf?
Ralf König: Na ja, seit der Diskussion um die Karikaturen in Dänemark, seit dem Anschlag auf Charlie Hebdo und anderer Ereignisse ist es sicherlich nicht leichter geworden. Viele haben Angst und überlegen sich gut, ob und was sie sich trauen. Man darf sich davon aber auch nicht verrückt machen lassen. Das ganze gesellschaftliche Klima hat sich gewandelt. PC, also Political Correctness wird ja von vielen entweder abgelehnt oder als eine Art neue zehn Gebote eingefordert. Ich zum Beispiel bin ja ein bekannter Veteran der Schwulenbewegung. Nun im Zuge der LGBTQ*-Szene wird das Feld deutlich erweitert, da fordern Transpersonen ihre Rechte ein und Queerfeministinnen kämpfen um Sichtbarkeit. Plötzlich sind wir schwule, alte Männer, die es sich im Laufe der Jahrzehnte bequem gemacht haben. Das ist in dem Ausmaß auch für mich neu und durchaus Grund zur Reflexion. Aber dann wirft mir das Rainbowhouse in Brüssel wegen dieses Wandbildes Rassismus und Transphobie vor! Es ist ein Generationenwechsel, ganz normal, aber schon manchmal kurios.
Altersfragen
c-o: Erreichst du mit deinen Werken eigentlich auch die Jungen
oder sind deine Leser mit dir gewachsen?
Ralf König: Nun, ich werde 60 in diesem Jahr. An den Gedanken muss ich mich selbst mal erst gewöhnen, ich hab kaum verstanden, dass ich schon 50 bin. Man gilt was in seiner Generation und wenn man Glück hat, noch etwas darüber hinaus. Aber die jungen, ich sag mal die 20-jährigen, die haben eine ganz andere Realität, die gehen mit den Themen ganz anders um. Auch mit dem Internet, die wachsen da rein, mir bleibt manches fremd. Das wird’s schnell peinlich, wenn die alten Säcke versuchen, noch mal den Jugendslang zu treffen. Davon lass ich mal lieber die Finger. Aber vor kurzem hab ich auf der Comic-Con in Stuttgart signiert und da stand eine Gruppe Teenager in der Schlange. Ich war mir sicher, dass die eine Widmung ‚Für Mama‘ oder noch schlimmer ‚‘Für Opa‘ haben wollten. Aber die strahlten mich an und fanden meine Comics toll und wollten die Signaturen wirklich für sich selber!
Aber
natürlich ist es müßig, generationenübergreifend wirken zu wollen. Ich mach das
jetzt hier für mich und meine mit mir älter gewordenen Leser. Ich hab den Wunsch
nicht, dauerhaft gültig zu sein, ist eh sinnlos.
Die Klassiker
c-o: Hast du denn Beispiele, wo das funktioniert?
Ralf König: Ich entdecke jetzt gerade Lucky Luke neu, Morris war ein so großartiger Zeichner, das ist ein Klassiker, den
es noch ne ganze Weile geben wird.
Oder Popeye! Ich habe noch nie Popeye gelesen, ich kannte nur die hysterischen Trickfilme und das ist nicht so mein Ding. Aber gerade die frühen Popeye-Comics sind ja viel origineller, als ich dachte. Überhaupt diese frühen Klassiker, Krazy Kat ist ja so was von toll, was da alles im Hintergrund passiert, was da graphisch los ist. Ich hätte große Lust mal sowas zu machen, einfach mal drauf los, was schlicht Gestricktes, total abgedrehtes. Ich bin mit meinen Geschichten ja mehr auf dem Boden der Tatsachen. Barry Hoden war mal so’n Spass, Science-Fiction, da gings mal mit mir durch. Aber kam nicht so gut an, die Leute waren davon etwas überfordert, glaub ich. Oder unterfordert, weiß nicht.
c-o: Bei Krazy Kat
trifft sich dann der Comic wieder mit der Karikatur, anarchisch, auf den Punkt
gebracht, ohne den Zwang, den Leser zwischen Seite 30 und 40 bei der Stange zu
halten. Was hältst du von der aktuellen Graphic Novel-Welle? Mir scheint das
manchmal eher Selbsttherapie zu sein.
Ralf König: Naja, Graphic Novel klingt
ernsthafter als Comic, und genau das scheint mir grad die Messlatte zu sein. Da
ist schon trockener Stoff dabei, der nicht weniger trocken wirkt, weil es
gezeichnete Geschichten sind. Eine Graphic Novel über Otto von Bismarck, kann
man machen, aber ist das ne gute Geschichte?
Kauft Bücher! Kauft Comics!
c-o: Magst du den Leser*innen von comix-online noch
irgendwas mitgeben?
Ralf König: Öhm, ja: Von wegen online: Kauft
mehr Comics! Hört auf mit der Nase am Smartphone zu kleben, kauft Bücher! Lesen
erdet! Oh Gott, ich klinge, als wär ich 60.
c-o: Danke Dir!
Wir hatten dazu übrigens Espresso und keine Musik…
Möglicherweise ist Jacques Tilly namentlich gar nicht so vielen Bewunder*innen seiner Kunst bekannt. Tatsächlich sehen Jahr für Jahr Millionen Menschen seine Kunstwerke, entweder live beim Düsseldorfer Karneval oder aber weltweit in der Berichterstattung darüber. Nun hat er es endlich geschafft, auch museal gewürdigt zu werden!
Der 1963 geborene Düsseldorfer hat Kommunikationsdesign studiert und eigentlich nur aufgrund der hohen Papierkram-Hürden für das BAFöG mit einem Nebenjob in der Düsseldorfer Wagenbauhalle angefangen. Dieses Thema hat ihn aber nie wieder losgelassen und so ist er nun der mit Abstand bekannteste Wagenbauer Deutschlands. Aber nicht nur das, er ist auch der Wagemutigste unter ihnen. Ralf König brachte es in seiner Eröffnungsrede auf den Punkt: Während Köln versucht, den (nicht existenten) Kompromiss aus Witz und Harmlosigkeit zu finden, darf Jacques Tilly in Düsseldorf mittlerweile unter der Herrschaft der Narrendiktatur seine Satire wehtun lassen.
Die Ausstellung
Die LUDWIGGALERIE im Schloss Oberhausen hat sich schon immer im Bereich Comic und Satire engagiert. So ist es auch passend, dass der 3D-Karrikaturist hier erstmals eine Bühne für seine Pappmache-Plastiken, vor allem aber auch für seine Skizzen und Entwürfe findet. Die Exponate zeigen, dass sich der Urheber keinesfalls verstecken muss. Auch die gemalten Entwürfe haben bereits alles, was sich später auf den Wagen wiederfinden wird: eine ganz klare, international verständliche Bildsprache, beißenden Humor und eine tiefe humanistisch geprägte Grundhaltung gegen Rassismus, Egomanie und Gewaltherrschaft!
Die Ausstellung im Kleinen Schloss bedeutet keinesfalls eine
Limitierung des Angebotes, allein der zur Verfügung stehende Platz ist
begrenzt: So befinden sich 6 Großplastiken, mehrere kleinere Plastiken und über
200 bildliche Exponate in dem Saal. Das passt dann auch wieder zum Karneval als
Ausgangssituation. Zwar werden hier keine altbierlustigen, singenden
Menschenmassen erwartet, es geht aber auch nicht um eine einschüchternde,
stille Atmosphäre wie vor alten Meistern. Die Kunst von Jacques Tilly soll aufrühren, zu Diskussionen anregen, ja,
vielleicht sogar verstören! Und dazu braucht es dann auch die Diskussion!
Dankeswerterweise gibt es übrigens noch einen zweiten Ausstellungsraum mit über 500 Zeitungsausschnitten, Berichten und sonstigen Reaktionen aus aller Welt auf die von Tilly kreierten Wagen. Besser kann man nicht zeigen, dass ein Künstler Einfluss hat. Vielleicht trägt diese Ausstellung ja dazu bei, dass er nun auch als Karikaturist seine verdiente Anerkennung bekommt.
Die Eröffnung
Die Eröffnung am 2. Februar war jedenfalls schon mal ein hoffnungsvoller und gelungener Auftakt. Viel zu viele Interessierte waren gekommen um der Bürgermeisterin der Stadt Oberhausen, Frau Albrecht-Mainz, der Kuratorin der Ausstellung Frau Dr. Vogt und dem Initiator der Ausstellung Ralf König zu lauschen und erste Blicke auf die Exponate zu werfen. Ralf König erinnerte in seiner Laudatio noch einmal daran, dass die Frage, was Satire dürfe, völlig falsch und überflüssig sei. Niemand wolle in einem Land leben, in dem Satire aus politischen oder religiösen Gründen nicht alles dürfe, eine Antwort erübrige sich daher. Mir ist es bei dieser Gelegenheit gelungen, mit Ralf ein Interview zu führen das in Kürze auf comix-online verfügbar sein wird.
Ralf König und Jacques Tilly während der Eröffnungsrede
Abschließend muss noch auf den zur Ausstellung erschienenen
Katalog hingewiesen werden (96 farbige Seiten | ISBN 978-3-932236-43-3 |
14,90€). In einem schön gemachten Hardcover finden sich nicht nur Texte von Ralf König und Christine Vogt über Jacques Tilly,
sondern vor allem natürlich Abbildungen seiner Zeichnungen und Entwürfe! Besonders
gelungen finde ich dabei die Seiten, die den Weg vom gezeichneten Entwurf über
Konstruktionspläne zum Foto des Wagens und damit der 3D-Karrikatur abbilden!
Klarer Tipp nicht nur für verregnete Wochenenden, sondern ein Muss für alle an der politischen Karikatur interessierten!
Schon seit Jahren werden die Krimi- und
Thriller-Bestsellerlisten auch von Autor*innen aus deutschen Landen angeführt.
Im Comicbereich waren dagegen eher andere Themenbereiche mit Künstler*innen aus
Deutschland assoziiert. Mit dem Band die
spinne von Mikolajczak und Möller ändert sich das gewaltig!
Der Inhalt
Amerika im Jahre 1972: Kerle sind noch Kerle, Autos groß und blubbernd und LGTB, Selbstverwirklichung oder auch nur Toleranz unbekannte Worte ohne Bedeutung.
Die junge Amber hat die Kleinstadt Tinkerville im Streit verlassen und kehrt zurück. Allerdings kommt sie nicht allein, sondern mit ihrem Freund, der nicht nur als Fremder sofort abgelehnt wird. Da er eine dunkle Hautfarbe besitzt, lernt er sofort alle Feinheiten des kleinbürgerlichen Rassismus kennen und bezahlt mit seinem Leben.
Amber hingegen glaubt, dass er nur abgereist wäre und bezieht eine kleine Wohnung im Haus des Kriegsveteranen Jimmy. Dieser hat ein besonderes Verhältnis zu jungen Frauen, beobachtet sie durch Löcher in den Wänden und entspricht schon sehr schnell dem Muster eines Psychopathen. Eigentlich weiß der ganze Ort von all den verschwundenen Frauen, niemand erzählt es aber rechtzeitig genug für Amber.
Besonders beeindruckend sind zwei Narrative: Zunächst
schafft es MichaelMikolajczak sehr glaubwürdig den typischen
local Cop zu beschreiben: eigentlich obrigkeitshörig, regelorientiert und konservativ,
andererseits aber auch bemüht, „Freunden“ zu helfen und im richtigen Moment
wegzuschauen. Die andere sehr gelungene, durch ihre Widerkehr Struktur schaffende
Situation ist der Barbier. Die Situation der Rasur scheint in den USA eine hier
nur schwer zu verstehende Kommunikationszentrale darzustellen, in der über Leib
und Leben entschieden wird.
Der Autor hat bei Kult schon einige Graphic Novels
veröffentlicht!
Das Artwork
Andreas Möller lehrt Kunstdidaktik an der Hochschule der Bildenden Künste Saar. Er hat zwar schon Illustrationen für einen Tatort angefertigt und einen eher dem Horrorgenre zugehörigen Comic illustriert, ist aber eher noch neu im Geschäft. Die spinne im reinen schwarz-weiß veröffentlicht bringt seine Zeichnungen sehr gut zur Geltung. Die Körper sind anatomisch korrekt und dynamisch in ihren Bewegungen. Die Gesichter (aber auch die Körperhaltungen) deuten an, dass das Leben der meisten Akteure bisher kein Zuckerschlecken war.
Der Horror des Alltags aber auch der der Gefahr finden sich in den Figuren aber auch im Seitenaufbau wieder. Während oft rechte Winkel das Layout beherrschen, geraten auch die Begrenzungen in Schieflage, wenn es brenzlig wird! Auch der Wechsel zwischen Schwarz auf Weiß hin zu den bedrohlichen schwarzen Hintergründen gelingt perfekt und treibt die Geschichte genauso stark wie der Text.
Die Empfehlung
Kult Comics fördert schon seit längerem auch den Deutschen Comic. Gerade die spinne zeigt, wie richtig das ist, denn diese Graphic Novel braucht den Vergleich mit internationalen Werken nicht zu scheuen! Unbedingte Kaufempfehlung mit Spannung und unerwarteten Twists! Es gibt im Übrigen auch eine limitierte Vorzugsausgabe mit signiertem Exlibris!
In der Klassiker-Reihe gibt es heute exemplarisch eine
doppelte Klassikereigenschaft zu würdigen:
Wie schon erwähnt hat das MOSAIK in diesem Jahr seine
750-ste Ausgabe feiern können. 1955 war die erste Ausgabe mit den Abenteuern
von Dig,
Dag
und Digedag
erschienen und die von Hannes Hegen
erfundenen Helden wurden fortan über 20 Jahre von einem Kollektiv getextet und
gezeichnet bis es zum Bruch mit Hegen
und schließlich zu den Abrafaxen als
neuen Stars des MOSAIK kam. Schon ab der Nummer 13 gab es das Konzept, mehrere
Hefte zu einer Serie zusammenzufassen, und ab den 80-er Jahren wurden die als
Heft schnell vergriffenen Hefte in Sammelbänden nachgedruckt. Das alleine
begründet schon eine Klassifizierung als „Klassiker“!
Die Sammelbände der MOSAIK-Ausgaben von Hannes Hegen sind auch heute noch in der Version des Tessloff-Verlages lieferbar. Die hier exemplarisch besprochene Ausgabe der „Digedags in Amerika“ aus dem Jahr 1989 stammt aber auch in der 7. Auflage noch vom Verlag Junge Welt Berlin/DDR. Es handelt sich dabei um eine großformatige Sonderausgabe, die so nicht fortgesetzt wurde. Hinweis: Die Sammelbände der Abrafaxe-MOSAIK erscheinen wie auch die aktuellen Hefte im Mosaik Steinchen für Steinchen-Verlag. Dort erschien auch ein Poster mit allen Mosaik-Covern und Serienzuordnungen der Hefte.
Ein kurzer Rückblick
Das Ende der deutschen Teilung hat sich jetzt gerade das dreißigste Mal gejährt und fast die gesamte arbeitende deutsche Bevölkerung hat mittlerweile länger nach als vor der Maueröffnung gelebt. Auch 1989 hatte zunächst zwei völlig getrennte deutsche Staaten gesehen. Die dann folgenden Ereignisse in der Deutschen Botschaft, der Maueröffnung und schließlich der Vereinigung sind wohl bekannt.
Im Westen hatte die Regierung Kohl die geistig-moralische
Wende über das Land gebracht, die Neue Deutsche Welle und andere Subkulturen
waren verebbt, das Niveau des deutschen Fernsehens erheblich gesunken aber
Comics hatten es geschafft, nicht mehr als Schmutz und Schund diffamiert zu
werden.
Im Osten dagegen waren Subkulturen zwar klein, aber
lebendig, der Frust der Bevölkerung wurde immer größer und der Mut, diesen zu
zeigen, auch. Selbst wenn die Abschottung gegenüber kapitalistischer und
imperialistischer Kultur nicht mehr so explizit wir früher war (das Jugendradio
DT 64 war z.B. trotz meiner „West-Jugend“ der bevorzugte Musiksender), waren
westliche Comics doch Mangelware. Das MOSAIK war ein dagegen ein vielgelesenes
und qualitativ hochwertiges Eigenprodukt und hat zurecht bis heute überlebt.
Es hatte zu Beginn auf Sprechblasen gesetzt, diese aber nach kurzer Zeit doch wieder durch Texte unter den Bildern ersetzt. Ob der Grund tatsächlich die ungestörte Bilddarstellung war oder doch die vermutete höhere Wertigkeit von Bildergeschichten gegenüber Comics darf sicherlich bezweifelt werden. Die aktuellen ausgaben sind schon seit langem wieder mit Sprechblasen versehen.
Der Inhalt
Insgesamt umfasst die Amerika-Serie die Hefte 152 bis 211
und bildet den vorletzten Zyklus der drei Kobolde. Das erste Heft erschien
1969, also fast zeitgleich mit der westlichen Jugendrevolte gegen Vietnamkrieg,
Rassismus und für freie Liebe. Von solchen Entwicklungen sind die Digedags
natürlich nicht betroffen, spielt ihre Geschichte doch im Jahr 1860. Trotzdem
passen sie in die Zeit, denn das während der Verwicklungen gefundene Gold soll
zur Befreiung der schwarzen Sklaven genutzt werden.
Die Zeitreise führt die drei Helden nach New Orleans wo sie es
schaffen, als Zeitungsreporter eingestellt zu werden. Schon damals nahm man es
mit der Wahrheit nicht so genau und so werden Meldungen „größer“ als bei der Konkurrenz
um Leser*innen zu gewinnen. Im Endeffekt führt das zu einer Wettfahrt zweier
Flussschiffer um 10.000 Dollar. Dabei ist die eine Seite klapperig, aber
herzensgut, die andere blinkend und fies.
Eingeführt wird auch der junge Ben, ein Sklave, der ein über Bord geworfenes Banjo an sich nimmt und in einer wilden Jagd fliehen muss. Szenen wie diese machen den Reiz der Serie aus, denn obwohl heutigem Tempo vielleicht nicht mehr entsprechend entwickeln sie eine Dynamik, die mit anderen Mitteln geschaffen wird als im frankobelgisch oder gar westdeutsch/Kauka geprägtem Gegenstück.
Die Abenteuer der Digedags sind ein Teil der Deutschen
Kulturgeschichte und gehören somit zu mindestens exemplarisch in jede Sammlung.
Sie erlebten Abenteuer zu einer anderen Zeit, vor allem aber in Regionen, die
von den Bewohner*innen der DDR nicht besucht werden durften und erlaubten somit
eine kleine Freiheit. Natürlich sind die Texte nicht frei von Agitation,
triefen aber auch nicht davon. So sind die mitgelieferten geschichtlichen
Informationen kompatibel mit denen aus einem westdeutschen Geschichtsunterricht
in der Schule, die unterschwellige Interpretation vielleicht nicht immer.
Bildlich wirkt die klassische Form des Textes außerhalb des
Bildes etwas altbacken, die Zeichnungen können sich qualitativ aber durchaus
mit ihren westdeutschen Pendants messen!
Die besprochene Ausgabe wird durchaus von Zeit zu Zeit
angeboten und sollte um 10 bis 15 Euro kosten.
Dazu passen selbstgemachte Zitronenlimonade und der Auftritt
von Bruce Springsteen, Arlo Gurthrie
& Joe Ely mit Oklahoma Hills.
Der Oktober bringt kurz nach der Jubiläumsausgabe im Mai eine Premiere: Zum ersten Mal überhaupt erleben die Abrafaxe ihre Abenteuer in der Jetztzeit! Manche Themen sind zu wichtig um erst in einigen Jahrhunderten in einer Rückschau betrachtet zu werden und genau darum geht es in dem in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft entstandenen Sonder-MOSAIK!
Keine einfache Lösung in Sicht
Wo kommt die Schokolade für den leckeren Kakao eigentlich her? Wie wird sie geerntet und wer verdient daran? Wie sieht es mit Kinder- oder Sklavenarbeit aus und gibt es nachhaltige Produktionen? Wenn ja, kann ich diese erkennen? Fragen über Fragen die in der Schokoladen-Expedition auf leicht verständliche Weise beantwortet werden.
Und da es heute auch andere Möglichkeiten als das Lesen eines langen trockenen Artikels gibt, ist das Ganze als typische Reisegeschichte mit den drei Abrafaxen aufbereitet worden. Der einzige Unterschied: sie spielt heute und zeigt daher auch allen Leser*innen auf, was man selbst ganz konkret sofort umsetzen kann. Dazu gibt es wie gewohnt lehrreiche und wissenswerte Details, Rezepte und Tricks. Wer es im Handel tatsächlich nicht mehr bekommen hat findet es auf der Seite des Ministeriums unter Publikationen.
Aber: Auch leicht verständlich bedeutet nicht einfach! Die Probleme sind viel zu weitgehend um einfach gelöst zu werden! Trotzdem muss man nicht zu Zusehen, sondern kann selbst anfangen, etwas zu tun.
Das Hanseabenteuer geht weiter
Auch die reguläre Ausgabe hat es in sich: In Piratengold treffen endlich die vier Schatzerben aufeinander! Wirklich? Nein, aber die vier Botschaften aller Schatzerben sind erstmals vereint und die Expedition zum daraus abgeleiteten Versteck verlässt den Hafen. Abrax und Califax treffen sich nach langer Zeit der Trennung endlich wieder und Herr Lüneborg spinnt weiter seine Fäden um seinen Reichtum zu mehren. Geht er dabei über Leichen? Der Mittelteil bringt wieder Wissenswertes aus der Zeit der Hanse und unterstützt das Thema des Heftes.
Rundum gelungene Mischung aus Spaß, Information und Bildung
und somit zurecht gefördert von der Stiftung Lesen!
Dazu passen Apfelsaft (selbst gesammelt?) und passend
zum Thema Knut Kiesewetter „Leeder vun
mien Fresenhof“.