Tja, zur Gesamtausgabe und den Hintergründen der Serie habe ich alles schon in der Besprechung des guten ersten Bandes gesagt. Die nordischen Götter stehen im Mittelpunkt wie auch die Göttinnen, Riesen und einige Menschen natürlich auch. Es geht den Autoren vor allem um eine moderne Darstellung der nordischen Mythen, abseits von verstaubten Texten und mit Schalk im Nacken neu erzählt.
Ein Film versetzt den Schwerpunkt ein wenig
Und doch kommt im Leben alles immer anders. Der große Erfolg der Serie hat damals (wie heute) alle überrascht und so verwundert es nicht, dass der Wunsch nach laufenden Bildern aufkam. Was im Comic funktioniert muss aber auf der Leinwand noch lange nicht passen und andersrum natürlich genauso. So musste erst einmal viel Arbeit in die Planung des Films gesteckt werden. Das eigentliche Konzept, für ein Album auf ein oder zwei Mythen aufzusetzen, wollte für den Film nicht so recht passen, und so kam es, dass eine eigentlich als Nebenfigur erdachte Figur plötzlich im Mittelpunkt stand: Quark! Der kleine Riese ist nervig, quirlig, einfallsreich und somit perfekt für eine generationenübergreifende Hauptrolle geeignet.
Für den Comic musste die Filmstory überarbeitet werden um dem Serienkonzept wieder näher zu kommen und so wurde ein Zweiteiler daraus: Quark trumpft auf und Im Reich der Riesen erschienen als Band 4 und 5. Zunächst einmal lässt Loki, der immer mal ein bisschen über den Durst trinkt und dann mit den Folgen leben muss, sich reinlegen und muss den kleinen Quark mit nach Hause nehmen. Eigentlich soll natürlich er sich um die Erziehung kümmern, er schafft es aber, andere mit der Aufgabe zu belasten und auch noch Unfrieden zu säen. Das Ende vom Lied ist, dass alle Erwachsenen Quark so schnell wie möglich wieder loswerden wollen, die kleine Röskva aber seine wahre Natur erkennt und auch Tjalfi auf ihre Seite ziehen kann.
Schlussendlich beschließen Thor, Loki und die Kinder aufzubrechen um Quark Utgardloki zurückzubringen. Dabei werden sie von einer List der Riesen getäuscht (und hier ist dann wieder eine Mythe der Hintergrund) und müssen sich geschlagen geben. Dabei spielen ein Feuer, das Meer, die Midgardschlange und das Alter große Rollen. Und auch die Sache mit Quark findet ein positives Ende; die Autoren hatten keine Lust, den Quirl auch noch die Serie aufmischen zu lassen.
Den Abschluss dieses Bandes machen Die Goldenen Äpfel. Die Bewohner*innen Asgards sind keinesfalls vor den Unbillen des Alterns gefeit. Nur wenn sie jährlich von den goldenen Äpfeln Iduns essen bleiben sie jung. Es gibt eine Mythe über die Tochter eines Riesen, Skadi, die die Asen herausfordert und die Göttin Idun entführt. Eben diese Geschichte wird hier neu erzählt. Natürlich bringt Loki wieder alle in Gefahr und ebenso natürlich wird die Situation im Endeffekt wieder glücklich bereinigt werden.
Die Zeichnungen
Dankenswerterweise enthält die Gesamtausgabe so viel zusätzliches Material, dass einerseits Vorzeichnungen und Studien den Werdegang der Akteure nachvollziehbar machen. Es wird aber auch deutlich, welche Unterschiede zwischen Film und Comic bestehen und wieviel Arbeit notwendig war, beides glaubwürdig darstellen zu können.
Ansonsten lassen die Illustrationen erahnen, dass die Zeichnungen auch ganz anders hätten ausfallen können: erwachsener und düsterer. Man hat sich aber bewusst für diese familienfreundliche Version entschieden, die dem Inhalt eine möglichst weite Verbreitung erlaubt. Auch das ist eine Entscheidung, die nicht hochgenug gewertschätzt werden kann! Es geht nicht um Selbstverwirklichung wie in so mancher modernen Graphic Novel sondern um das gesteckte Ziel.
Trotzdem zeigen die Zeichnungen einerseits die Kinder und ihre Emotionen aber auch gleichwertig daneben die Ränke Lokis und die Unbeherrschtheit Thors und sind daher vielschichtiger zu lesen!
Die Wertung
Ich bin immer noch begeistert über den zusätzlichen Inhalt dieser Gesamtausgabe. Nicht nur werden die Hintergründe der Geschichten erklärt, die Illustrationen ermöglichen auch einen tiefen Einblick in Arbeitsweise und Entwicklung! Dazu kommt, dass alles neu übersetzt worden ist.
Es ist der Edition Roter Drache zu wünschen, dass die Ausgabe den Absatz findet, den sie verdient. Inhaltlich passt die Geschichte natürlich perfekt in das Verlagsprogramm, es ist aber in Deutschland immer noch ein Wagnis, Text und Bilderzählung nebeneinander zu stellen ohne die Purist*innen beider Seiten gegen sich aufzubringen. Danke für diesen verlegerischen Mut!
Dazu passen der Glühwein zuhaus und Musik von Rebecca Lou.
Jedes Leben hat prägende Momente. Für Eric Heuvel gehört dazu ein Illustrated Classics Comic-Heft über den Zweiten Weltkrieg zum 25. Jubiläum des Endes des Zweiten Weltkrieges. Es weckte nicht nur im Alter von 10 Jahren sein Interesse für Geschichte im Allgemeinen und diese Zeit im Besonderen, er sollte auch in seinem Beruf als Comic-Artist darauf zurückkommen. Waren es in Carbeau eher moderne Rechtsradikale in Nebenrollen, spielte der deutsche Angriff auf Rotterdam in den Meimoorden eine zentrale Rolle.
Heuvel ist aber auch bekannt für seine Educational Comics: Anfang diesen Jahrtausends bot sich endlich die Gelegenheit, mit dem Anne Frank Haus zusammen eine Geschichte über das Leben während des Krieges in den Niederlanden zu machen. Dem Künstler war es dabei wichtig, nicht nur diesen Aspekt darzustellen, sondern auch auf die Situation in Niederländisch-Ostindien, dem heutigen Indonesien einzugehen. So entstanden im Laufe der Zeit drei miteinander verknüpfte Bände die jetzt erstmals in einer Ausgabe publiziert werden: Kriegsgeschichten!
Blick in die europäische Vergangenheit …
Jeroen ist ein typischer Junge; er braucht noch Sachen für einen Flohmarkt und entdeckt auf dem Dachboden seiner Oma nicht nur eine alte Uniform sondern auch einen gelben Stern und Fotos aus den Kriegsjahren. Seine Oma Helena beginnt daraufhin von früher zu erzählen: Sie wohnte 1938 mit ihren Eltern in Amsterdam; ihr Vater war dort als Polizist tätig. In die Nachbarschaft zog ein aus Deutschland geflohenes jüdisches Ehepaar mit einer Tochter, Esther, in ihrem Alter. Die beiden wurden beste Freundinnen doch das währte nicht lag, denn die Deutschen überfielen und besetzten auch die Niederlande und schickten die Juden in sogenannte Arbeitslager im Osten. Die niederländische Polizei war von den Deutschen gezwungen worden, mitzumachen, und so war Helenas Vater an der Deportation der Nachbarn beteiligt. Helena und ein Bruder gingen in den Widerstand, der zweite Bruder als Kriegsfreiwilliger mit den Deutschen an die Ostfront.
Tatsächlich endet Die Entdeckung mit der Begegnung zwischen Helena und Esther, die gerettet worden war. In einem zweiten Strang wird von den Verwandten in Niederländisch-Ostindien erzählt. Schienen sie anfangs noch in einer glücklichen Position, änderte sich die Lage als die mit den Deutschen verbündeten Japaner die Kolonie überfielen und die dortigen Europäer in Lagern gefangen hielten.
Eine Begründung für den Comic war, dass viele heutige Schüler*innen mit Begriffen wie Hungerwinter oder Närrischer Dienstag nichts mehr anfangen konnten. Aus der Geschichte lernen kann aber nur, wer sie kennt und so sollte ein moderner Zugang geschaffen werden.
Teil Zwei, Die Suche, beschreibt dann genauer, wie Esther der Deportation hatte entgehen können. Viel Glück war im Spiel. Auch den Weg der meisten niederländischen Jüd*innen in die Vernichtung z.B. in Auschwitz-Birkenau finden wir in kindgerechten Darstellungen wieder. Heuvel hat sich in seinen Zeichnungen von Fotos aus der damaligen Zeit inspirieren lassen. Viele davon finden sich im Anhang der Ausgabe wieder. Um ein Wiedererkennen zu erleichtern, sind sie mit den Seitenzahlen der entsprechenden Verwendung im Comic versehen. Das Thema der Kollaboration und der offiziellen wie auch inoffiziellen Reaktionen darauf steht ebenfalls im Mittelpunkt.
Ein deutscher Blick auf diese Zeit und den Holocaust kann nur schamhaft sein. Deutsche Herrenrasse-Allüren gepaart mit Größenwahn und Vernichtungswillen dürfen nie wieder eine Rolle spielen. Der Comic stellt aber gleichfalls die Frage nach der Richtigkeit des Verhaltens der Niederländer*innen und seiner Alternativlosigkeit. Auch dort gab es Antisemitismus und persönliches Machtstreben. Durch die Einbettung in eine Familiengeschichte werden diese Fragen aber diskutabler und wollen ausdrücklich keine Schwarz-Weiß-Situation heraufbeschwören! Das dürfte einer der Gründe sein, warum die Entdeckung als Geschenk der Niederlande an ihre Schüler*innen ausgewählt worden waren.
und in die koloniale Geschichte
Für die beiden ersten Teile hatten Heuvel und seine für den Text mitverantwortlichen Kolleg*innen Menno Metselaar, Ruud van der Rol, Hans Groeneweg und Lies Schippers die Unterstützung des Anne Frank Haus gewinnen können. Das Projekt war viel zu aufwendig um es ohne finanziellen Rückhalt durchführen zu können und so wurde auch das Bildungsministerium als Unterstützerin gewonnen. Bedingung dafür war aber, dass der indonesische Unabhängigkeitskampf ebenfalls thematisiert werden würde.
Die Rolle der Stiftung Anne Frank Haus, die in den ersten Bänden die inhaltliche Richtigkeit garantiert hatte, übernahm nun das Indisch Herinneringscentrum. Die im ersten Band schon angesprochenen Verwandten stehen im Zentrum der Rückkehr und wieder wird die damalige Zeit aus heutiger Zeit mit einem Besuch der Überlebenden eingeleitet. Die Niederländer*innen waren die kolonialen Besatzer*innen des heutigen Indonesiens. Obwohl einige sicherlich guten Willens waren, gab es die typische Rollenverteilung: Weiße Menschen waren die Oberschicht, Eingeborene hatten zu dienen. Dazwischen gab es eine Gruppe von Mischlingen die irgendwo in der Mitte zu verorten waren. Das Motto: Je Weißer, desto besser.
Das änderte sich mit dem Angriff der Japaner. Diese hatten die Ideologie im Gepäck, dass Asiat*innen sehr gut für sich selber sorgen könnten. Tatsächlich wollten sie allerdings nur die europäische Zwangsherrschaft durch ihre eigene austauschen. Nach ihrer Niederlage blieb die Idee der Selbstorganisation und Indonesien wurde nach langen Kämpfen am 27. Dezember 1949 unabhängig. Auch hier gelingt es Eric Heuvel und Ruud Van der Rol, die Schrecken der Zeit in einer spannenden Erzählung zu verpacken, die die Grauen nicht ausspart aber auch nicht um der Effekte willen in den Vordergrund rückt. Die Familiengeschichte (und hier wieder mit einem Happy End) steht im Vordergrund und bietet die Basis für weitergehende Fragestellungen und Diskussionen. Und so wurde auch dieser Comic zum Geschenk der Niederlande an ihre Schüler*innen!
Die Ausgabe
Obwohl es sich hier um echte Educational Comics handelt, haben wir es gleichwohl mit drei Alben eines der größten und bekanntesten Zeichner aus den Niederlanden zu tun! Mit seinem modernen, die Klare Linie weiterentwickelnden Strich ist Eric Heuvel seit Jahren bei uns in Deutschland ein gefragter Künstler und die kürzlich erschienene Festausgabe Gezeichnet hat’s – Eric Heuvel beweist eindrücklich seine Vielfalt und Meisterschaft. Kurzum: Man darf diesen Comic auch kaufen, wenn man einfach gerne gut gezeichnete Geschichten lesen möchte!
Die drei Bände sind vielfach übersetzt worden, waren aber nie als Einheit veröffentlicht worden. Diese Gesamtausgabe der Kriegsgeschichten ermöglicht aber erst den kompletten Einblick, der durch das beigefügte Dossier natürlich für Nicht-Inländer deutlich vereinfacht wird.
Wer sich für den Zweiten Weltkrieg oder den Holocaust interessiert, kommt an dieser Ausgabe kaum vorbei. Zum Thema Kolonialismus bzw. Unabhängigkeitsbestrebungen gibt es bisher nicht viel, insbesondere dann, wenn versucht wird, beide Seiten darzustellen! Und: Geschichte spannend erlebbar zu machen gelingt oft nicht denn Ideologie, Vereinfachungen oder zu hohe Eingangsvoraussetzungen verhindern das regelmäßig. Hier passt das gut!
Für Sammler*innen gibt es wieder eine limitierte Vorzugsausgabe mit 2 signierten ExLibris und das ist ein Beweis für die hohe Qualität der Zeichnungen. Dazu passen Tee und Don Lego aus Indonesien!
Verlage Original: Erstveröffentlichung in diversen Zeitschriften in Italien und Frankreich; aktuell Editions Casterman
Aktuell 16 + 1 Bände; von 1967 – 1991; 2015 bis heute
Veröffentlichungsstatus in DE: Serie komplett erschienen
Corto Maltese gilt international als eine der literarischen, herausforderndsten und besten Graphic Novels überhaupt. Ihre ersten Seiten wurden 1967 in dem Magazin Sgt. Kirk veröffentlicht. Der Aufbruch der Gesellschaft zu neuen Ufern war in vollem Gange und die Menschen waren nicht mehr bereit, alles unhinterfragt zu akzeptieren. Esoterik, Freie Sexualität, neue Lebensentwürfe, aber auch Interesse für Befreiungsbewegungen, Musik und Kunst aus anderen Kulturen abseits vom Kolonialismus brachen sich Bahn!
In Deutschland hat Corto Maltese eine bewegte Veröffentlichungsgeschichte. Den Anfang machte das (Koralle)ZACK 1974 mit einer farbigen Variante des ersten Teils. Hier scheiterte die anspruchsvolle Novel aber grandios und war bis heute die einzige Serie, die aufgrund von Leser*innenreaktionen abgebrochen wurde. Eine schwarz-weiße Fortsetzung im Comic-Forum brachte die Geschichte nach mehr als sechs Jahren Pause immerhin zu Ende. Anfang der 80-er erschienen bei Carlsen dann in falscher Reihenfolge insgesamt neun schwarz-weiße Ausgaben denen in den 90-er farbige Ausgaben folgten. In den 2000-ern folgten dann einige vierfarbige Bände bei Kult-Editionen, die die teilweise sehr voluminösen Sammlungen splitteten. Auch dieser Versuch endete aber vor einer Komplettierung.
2015 schließlich wagte der Hamburger Verlag Schreiber & Leser einen Neustart und startete sowohl eine farbige Reihe als auch eine parallele schwarz-weiße Klassik-Edition die im November 2020 mit dem Band 12 „Mu“ abgeschlossen wurden. Parallel dazu werden seit 2016 auch die neuen Abenteuer des Seefahrers aus der Feder von Juan Diaz Canales, gezeichnet von Ruben Pellejero in gleichen Aufmachungen veröffentlicht. Die bisher erschienenen drei Geschichten sortieren sich wie etwa auch bei Blake & Mortimer in die Chronologie der Pratt’schen Stories ein.
„Es gibt immer etwas zu entdecken, immer ein Stück weiter weg, bis man wieder an seinem Ausgangspunkt ankommt…“
Die erste Geschichte Una ballata del mare salato, auf Deutsch Südseeballade, erzählt auf 200 Seiten die Erlebnisse des Kapitäns ohne Schiff zwischen 1913 und 1915. Cortos erster Auftritt ist dabei keineswegs der eines strahlenden Helden, denn er treibt, an ein hölzernes Kreuz gefesselt, hilflos im Pazifik. Von Anfang an ist damit klar, dass sich hier kein „Macher“ präsentiert, sondern eher einer, der seinen Platz sucht, den der anderen aber nicht schmälern will. Wir treffen hier auch schon auf Rasputin, eine Gestalt, deren Wege sich immer wieder mit denen des Titelhelden kreuzen werden. Beide sind in krumme Geschäfte verwickelt; der eine skrupellos und über Leichen gehend, der andere im Grunde romantisch veranlagt. Die zwischen 67 und 69 erschienenen Seiten wurden 1976 als Album produziert und sofort in Angoulême ausgezeichnet.
Nach dem überlangen ersten Band verlegte sich Pratt für eine Zeit darauf, Geschichten für Pif Gadget, ein kommunistisch orientiertes französisches Comicmagazin, zu verfassen. Da dort die Stories nicht über mehrere Ausgaben verteilt publiziert wurden, hatten sie jeweils eine Länge von 20 Seiten. Die so entstandenen 21 Kurzgeschichten wurden in den Alben Im Zeichen des Steinbocks, Und immer ein Stück weiter, Die Kelten und Die Äthiopier veröffentlicht. Diese Bände decken den Zeitraum des Ersten Weltkrieges ab.
Corto ist auf seinen Reisen immer dort, wo die große Weltgeschichte gerade auch ist. Er ist aber immer nur Randfigur und fügt sich somit in bekannte Settings ein, ohne zu stören, erlaubt aber trotzdem detaillierte, neue Blicke. Seine Reise führt zunächst in die Karibik, über Südamerika nach Europa und an das Horn von Afrika. Nie lässt Pratt seinen Helden einfach nur Abenteuer erleben; immer muss mindestens Romantik dabei sein. Diese kann sich dabei sowohl auf die direkt erlebte Natur beziehen, schließt aber auch amouröse Geschichten nicht aus. Natürlich enden diese niemals glücklich. Dazu kommen religiöse Fragen, politische und kriegerische Auseinandersetzungen (und damit die Frage nach dem Sinn derselben), Freundschaften und immer wieder Traumsequenzen. Die Reihe fordert die Leser*innen und verschließt sich dem einmaligen „Nebenbei-Lesen“ komplett.
Eine Sache steht aber ganz klar im Fokus: The Great War bzw der Erste Weltkrieg als solcher. Immer wieder gerät Corto zwischen die Fronten. Allerdings ist er nie Partei, sondern immer irgendwie daneben. Und so kann er mit Deutschen genauso Geschäfte zu Lasten der Engländer machen wie mit den Schotten und Italienern zulasten der Österreicher. Und so kann er genauso gut der IRA zu Waffen verhelfen wie den revolutionären Montenegrinern den Schatz ihres geflohenen Königs zurückbringen.
„Aber du lebst ständig eine Fabel und merkst sie nicht mehr. Wenn ein Erwachsener in die Welt der Fabeln eintritt, kann er sie nicht verlassen. Wusstest du schon?“
Neben den Action-Inhalten gibt es immer wieder Traumszenen, teilweise künstlich erzeugt, in denen klassische Sagengestalten wie Merlin auftauchen und die Realität hinterfragen. Diese Szenen sind auch grafisch anspruchsvoll umgesetzt und verbinden die schattenhaften Andeutungen mit einer Art von Flirren.
Die Weltgeschichte lässt den Seemann nicht los: In Sibirien hat gerade eine die Welt für immer verändernde Revolution stattgefunden und Corto trifft dort alte Bekannte und neue Frauen. Er wird allerdings auch verwundet als er versucht, den legendären Zug mit dem Goldschatz des Zaren an sich zu bringen. Über Umwege über die Mandschurei und Hongkong gelangt er wieder nach Europa um eine Venezianische Legende zu erleben! Etwas untypisch ist die Geschwindigkeit der Handlung, die Freimaurer, Schlägereien und die Suche nach einem Schmuckstück mit geheimnisvollen Kräften beinhaltet. Ja, und auch Träume, Diskussionen und Frauen.
Das Goldene Haus von Samarkand ist erneut eine Schatzsuche, diesmal führt uns Pratt auf die Spuren Alexander des Großen, aber auch wieder in ein politisches Großereignis. Kemal Atatürk versucht, eine moderne Türkei zu errichten. Wider Willen wird Corto in die Ereignisse hineingezogen, in denen sein Doppelgänger schon agiert. Nach all diesen Weltereignissen ist es gut, etwas Ruhe zurückzugewinnen. Band 9 springt daher zeitlich zurück in das Jahr 1904 und das Abenteuer einer Jugend. Wieder ist es allerdings ein Krieg, der den Hintergrund bildet für die einzige nicht vollendete Geschichte Pratts. Sie bietet trotzdem die erste Begegnung mit Rasputin und für die Literaturliebhaber einen an sich zweifelnden Jack London. Die aktuelle Ausgabe enthält auch die ersten Seiten der geplanten Fortführung.
„Sie haben noch immer nicht verstanden, dass die besten Antworten dann erfolgen, wenn niemand eine Frage gestellt hat. Das kapiert einfach keiner!“
1923 verschlägt es den Helden erneut nach Südamerika, genauer nach Argentinien. Der Ausgangspunkt ist natürlich eine der vielen Frauen im Leben des Kapitäns. Keine wird ihn binden können, doch immerhin eilt er aufgrund eines Briefes von Louise Brookszowyc zur Hilfe. Buenos Aires ist dann der finale Schauplatz sowohl einer Krimigeschichte als auch einiger titelgebender Tänze: Tango. Pratt versteht es meisterlich, die Stimmung dieses Tanzes in Bilder zu gießen. Dabei ist der Vergleich der beiden Versionen hier besonders ergiebig da die Farbe ganz andere Akzente setzt!
In vielen Maltese-Geschichten war Literatur allgegenwärtig und wurden immer wieder Anspielungen aufgeworfen. Wenn also Corto 1924 die Schweiz durchquert, darf eine Begegnung definitiv nicht fehlen und so ist Hermann Hesse mit von der Partie! Pratt verbrachte die letzten 11 Jahre seines Lebens in der Schweiz und setzte seiner Wahlheimat ein Denkmal. Den Beginn der Reise macht er zusammen mit Professor Steiner, doch dann tritt wieder einmal eine Frau dazwischen. Und dann ist da noch die Sache mit dem Jungbrunnen.
Die letzte Suche ist die nach dem verlorenen, irdischen Paradies und sie findet statt mit alten Freunden: Golden Rosemouth, Tristan Bantam, Soledad Lokäarth und selbstverständlich Rasputin. Das gerade erschienene Mu ist ein Stück Abschied für einen, der immer noch erwartet, gleich überrascht zu werden und nie aufgehört hat, zu suchen. Eine gewisse Unterstützung bieten dabei ein paar Pilze. Wir wissen aber aus anderen Quellen, dass Corto noch lebt. Eine Referenz lässt ihn am Spanischen Bürgerkrieg teilnehmen und das Ende der Südseeballade zeigt einen Brief über Onkel Corto. . .
„Was du wieder redest! In deinem Alter lesen vernünftige Leute nicht Gedichte wie kleine Mädchen.“
25 Jahre mussten vergehen bevor der verschollene Seemann wieder zwischen Buchdeckeln auftauchen durfte. Juan Diaz Canales schreibt seitdem die Szenarien und schickt Corto in die Lücken, die Hugo Pratt gelassen hat. Unter der Mitternachtssonne spielt 1915 und schließt an die Südseeballade an. Es verschlägt den Helden in die eiskalten arktischen Gefilde der USA und Kanadas. Passend zur Umgebung steht ein alter Bekannter erneut im Licht: Jack London. Damit folgt auch der Neustart des alten Narrativs der zyklischen Wiedernutzung bekannter Charaktere! Auch sonst gelingt es, den Ton zu treffen.
Äquatoria geht noch einmal weiter in die Vergangenheit und lässt Corto 1911 im Norden Afrikas agieren. Dabei stehen wieder eine schöne Frau und eine Schatzjagd im Mittelpunkt und die harmlos Kolonialismus genannte Vernichtungspolitik des alten Europas bietet den kriegerischen Rahmen. Taroweanist die direkte Vorgeschichte zur Südseeballade, die schon auf dem Cover mit dem an das Andreaskreuz gefesselten Corto die Erwartungen weckt.
Nacht in Berlinspielt 1921 in Berlin und Prag und zeigt das Erstarken des Nationalsozialismus. Cortos Freund Prof Steiner wird ermordet und auf der Suche nach den Tätern gerät der Kapitän in eine Jagd auf eine besondere Tarot-Karte, die Aufnahmen für einen expressionistischen Film, politische Kämpfe und wird für einen anderen gehalten!
In dem One-Shot Schwarzer Ozean von 2021 bringen Martin Quenehen und Bastien Vivès die ganze Entourage in die Jetztzeit. 2001 verdingt sich Corto als Pirat. Da er nicht für Geld Menschen töten will gerät er aber zwischen die Ränke einer politischen Sekte, eines Drogenkartells und zweier Geheimdienste. Auf der Suche nach einem sagenumwobenen Schatz spielen selbstverständlich auch zwei Frauen ihre Rolle.
Der Folgeband Die Königin von Babylon spielt weiterhin im Umfeld der Piraterie. Während einerseits ein Coup gegen internationale Waffenschmuggler gelingt, bleiben andererseits Wünsche unerfüllt. Den Hintergrund bilden die Kriege auf dem Balkan!
Pratt hat in gewisser Weise den europäischen Comic revolutioniert. Realistische Comics waren bis dato sehr detailreich angelegt und oft in hohem Tempo erzählt. Zudem war die schiere Länge der Südseeballade eine Art Affront. Corto Maltese brachte ganz neue Stimmungen mit sich, denn die Handlung stand weniger im Vordergrund als das Erleben der Natur, etwa wenn der Hai den Weg des Bootes lenkt oder wenn die Entdeckung eines sich nähernden Schiffes weniger relevant erscheint als die Tatsache, dass der Ausguck Stunden auf einer schwankenden Palme zugebracht haben muss. Pratts Figuren lesen Romane und unterhalten sich, die Panels sind nicht voll, denn die Umgebung ist oft genug nur angedeutet und doch ist die Natur in jeder Sekunde spürbar.
Noch deutlicher wird das natürlich in den als „Klassik-Edition“ bezeichneten schwarz-weiß Ausgaben. Kein farbiger Hintergrund lenkt von den Zeichnungen ab; oft sind es allein schwarze Flächen, die die Geschichte erzählen. Wer wirklich alles aus der Geschichte herausholen möchte ist daher gut beraten, sich beide Ausgaben zuzulegen!
Das bedeutet aber nicht, dass Pratt nicht akribische Vorarbeiten getroffen, das Material nicht ausgiebig gesichtet hätte. Das beweisen schon allein die vielen kleinen Vignetten, Zeichnungen und Skizzen die sicherlich auch zum Ruhm von Corto beigetragen haben. Und so ist der Start mit einem Vorwort und einer Vielzahl an eben diesen kleinen Bildern eine perfekte Einführung in die aktuellen Alben des Hamburger Verlages. Als Leser*in wird man so direkt in die Stimmung hineingezogen und eingegroovt.
Ruben Pellejero hat eine fast unmögliche Aufgabe übernommen. Purist*innen sind immer der Meinung, dass eine stilbildende Serie von niemand anders gezeichnet (und getextet) werden kann. Jede Rezension wird versuchen, Unterschiede zu finden und eine Besser/Schlechter-Wertung abzugeben. Fronten verhärten schnell. Meiner Meinung nach trifft Pellejero den Stil Pratts gut genug, um einen harten Bruch zu vermeiden und entwickelt sich langsam hin zu eigenen Markierungen. Die Zeichnungen sind etwas detailreicher, spielen etwas weniger mit Schatten, nehmen aber die Stimmung gut auf. Also: Eine gute Wahl der Lizenzinhaber die uns Leser*innen weitere Mischungen aus Abenteuer und Spiritualität verspricht!
Jeder Band hat zudem zusätzliche Illustrationen und einen Artikel in einem stabilen Hardcover und angenehm festen Papier. Die Seitenzahlen der farbigen und Klassik-Editionen weichen teilweise erheblich voneinander ab wenn die Geschichten mit der Kolorierung auch einen Layout-Wechsel zwischen drei- und vierreihiger Anordnung vollzogen haben.
Natürlich gibt es gerade zu diesem Ausnahmekünstler und seiner bekanntesten Serie eine Unmenge an Material!
Die aktuellste Bibliografie der Veröffentlichungen (auch in Deutschland) findet sich als Anhang eines Bandes von Erinnerungen des italienischen Künstlers. Warten auf Corto enthält die deutsche Übersetzung von Gesprächen Pratts mit seinem Freund de Rosa. Aus dem gleichen Verlag, der Edition Alfons, stammt auch die beste regelmäßige deutsche Sekundärzeitschrift, die Reddition. Die Ausgaben 26 und 41 widmen sich ausschließlich Ugo Eugenio Pratt, die 68 thematisiert Comics aus Argentinien und in diesem Zusammenhang eben auch Pratts entsprechende Schaffensperiode.
Tja, und dann gibt es noch Micky Maltese von Giorgio Cavazzano, Bruno Enna und Alessandro Zemolin aus der Reihe der Disney-Hommagen von europäischen Künstlern. Fast schon selbstverständlicherweise referenzieren auch unzählige andere Comics, Romane und sogar Filme diese Serie und ihren Helden. Die verschiedenen (mehr oder weniger direkten) Umsetzungen in bewegten Bildern wären das Thema eines anderen Artikels.
Die Empfehlung
Über 1700 Seiten warten auf potenzielle Leser*innen! Nicht alle haben die gleiche Qualität, ja, vielleicht noch nicht einmal die gleiche Zielgruppe. Aber sie alle ermöglichen ein Lesevergnügen, das Anspielungen auf Literatur und Geschichte bietet, Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verwischt, Helden und Antihelden ganz neu definiert und damit höchste Unterhaltung liefert! Da die Serie erstmals komplett vorliegt, kann jede*r selbst entscheiden, einzelne Titel antiquarisch zu erwerben oder die Serie peu a peu einheitlich zu vervollständigen. Ich würde empfehlen, dabei sowohl die farbige als auch die schwarz-weiße Klassik-Ausgabe zu begutachten und sich einzelfallbezogen zu entscheiden da sie sehr unterschiedliche Einblicke und Lesarten ermöglichen.
Corto Maltese nimmt an vielen Kriegen (passiv) teil – in den Wüstenskorpionen wird er erzählt, dass er im spanischen Bürgerkrieg ebenfalls anwesend war – er bleibt aber ein Gegner des von Regierungen befohlenen Schlachtens, ohne dabei zum Pazifisten zu werden. Er hat ein inniges Verhältnis zu Frauen und Literatur, ohne sich binden zu können und fordert Widerspruch heraus!
Kurzum: eine der besten Graphic Novels aus einer Zeit, in der dieses Wort noch keinen Hype bezeichnete!
Auf den letzten Seiten des Albums „Die Kelten“ erklärt Corto, dass er eigentlich nur nach Frankreich gekommen sei, um die Weine zu probieren. Dementsprechend sollte ein guter französischer Rotwein, vollmundig aber nicht zu schwer, exzellent als Begleitung dienen können. Musikalisch passt eigentlich immer entsprechende Folk-Musik zu den einzelnen Bänden – etwas romantisch, etwas schwermütig, verwurzelt in alten Geschichten aber gerne auch in moderner Interpretation!
Der vierte Band der Western-Kurzgeschichten in der Serpieri Collection ist sehr stark von einem Thema geprägt: Der sich deutlich abzeichnenden Vernichtung der indianischen Völker. In den ersten drei Bänden standen Ehre, Auseinandersetzung mit der Natur und Vertrauen im Vordergrund. Diese positiven Charaktereigenschaften lassen sich auch hier finden, allerdings fast nur noch bei den Ureinwohnern. Vereinzelt sind allerdings auch Weiße noch zu Ehrlichkeit und Güte fähig. Mehr dazu bei Band 3.
Die Stories
Den Anfang macht eine Hommage an die Reiter des Pony Express die keine Gefahren gescheut haben um Post und Nachrichten quer durch das gefährliche Land zu transportieren. Auch der Bote transportiert Nachrichten, sogar eine die ihn selbst betrifft. Der eine oder die andere wird diese Geschichte schon vom diesjährigen Gratis Comic Tag zu Hause haben.
Im Gegensatz zu den anderen Bänden, die jeweils nur eine farbige Story enthielten, sind hier rund 80 Seiten koloriert. Geistertanz erzählt von einer indianischen Legende. Wowoka, ein Indianer, der auch der Messias genannt wird, hatte eine Vision vom Verschwinden der Weißen. Ein bestimmter Tanz werde dann die toten Krieger zurückbringen. Natürlich kennen wir das Ergebnis, die aus Furcht geborene gewalttätige Reaktion der Weißen ist aber leider noch nicht Geschichte.
Tecumseh war einer der charismatischen Führer der nördlichen Stämme. Ihm war klar, dass der Krieg auf militärischem Weg nicht zu gewinnen war, Er versuchte, Bündnisse zu schließen, und war bereit, Verträgen zu vertrauen. Auch hier wissen wir leider, dass Machtsucht und Profitgier Vertragstreue nicht zugelassen haben und dass Herrenmenschen dazu neigen, ihren Gegnern das Menschsein an sich absprechen. Diese Thematik bestimmt auch die Geschichten, die sich um „Gelbhaar“ Custer drehen: Custer am Little Big Horn sowie Sitting Bull und Crazy Horse stellen zwar den vernichtenden Sieg am Little Big Horn dar, haben aber eine zutiefst pessimistische Grundstimmung. Allen Beteiligten ist klar, dass dieser Sieg keine Wende bringen wird.
Aber auch bei den Eroberern gibt es verschiedene Fraktionen und Konflikte zwischen diesen. Auf in das gelobte Land beschreibt das Schicksal der Mormonen, einer extrem konservativen christlichen Glaubensrichtung und ihrem Versuch, selbständig zu bleiben. Hier zeigt sich, dass Serpieri Konflikte auch darstellen kann, ohne Position beziehen zu müssen. Hier bleibt er Beobachter ohne moralische Wertung!
Die letzten drei Geschichten machen dagegen ein wenig Hoffnung: Es ist klar, dass die indianische Kultur untergehen wird und ebenso, dass die meisten Weißen moralisch und charakterlich unterlegen sind. Es gibt aber auch Ausnahmen: Frauen können ehrlich und ritterlich sein und sich von Vorurteilen befreien und ganz vereinzelt können das auch Männer. Die Squaw mit dem goldenen Haar, Die Rache des Paw-Hawk und der Weg der Squaws erlauben den Leser*innen einen positiven Blick in die Zukunft der Menschen. Sie mag ärmer sein da das Zerstörte nicht wiederkommen wird, sie ist aber nicht notwendigerweise düster!
Die Zeichnungen
Serpieri hat eine Qualität als Zeichner, die es seinen Erzeugnissen erlaubt, das Dargestellte lebendig wirken zu lassen. Wenn die Indianer auf ihren Mustangs durch die Prärie jagen kann man sie fast hören. Wut und Verachtung in den Blicken lassen den eigenen Magen schrumpfen und die Schlachtszenen sind eindrücklicher als in so manchem Film. Dabei ist es egal, ob die Zeichnungen koloriert sind oder nicht! Sein Strich ist fein und die Schraffuren lassen die dritte Dimension einfließen.
Vor allem aber ist es dem Verlag zu danken dass die Originale in einer so guten Qualität präsentiert werden. Eine einzige Geschichte hat etwas zu dicke Linien die auf die Originale schließen lässt. Alle anderen sehen aus wie gerade gezeichnet und doch haben sie 40 Jahre auf dem Puckel und stammen häufig aus Zeitschriften.
Der Ruhm des italienischen Zeichners basiert hauptsächlich auf seinen Werken für Erwachsene aus der Druuna-Reihe. In seinen Geschichten über die Eroberung Amerikas und die Vernichtung der indianischen Kultur finden sich keine Hinweise darauf, sie ist sogar von einem tiefen Humanismus geprägt! Wer auch immer sich für dieses Genre interessiert sollte hier einen Blick hineinwerfen. JohnWayne und Ronald Reagan Fans werden allerdings eher nicht glücklich werden, finden aber vielleicht Anhaltspunkte, ihre Gedanken zu überprüfen.
Alle anderen finden einen sauber hergestellten Band mit gutem Papier und einer guten Auswahl an Geschichten!
Dazu passen ein Mate-Tee-Mischgetränk und eine andere, allerdings fröhliche Reminiszenz an vergangene Zeiten: Die Toten Hosen mit Leaning English lesson three.
Der nun schon fünfte Band der Geschichten um die weißhaarige Kriegerin Aria markiert einen Wendepunkt in der Geschichte. Die bisherigen Abenteuer waren bei Lombard erschienen und in Tinitin/Kuifje vorabgedruckt worden. Sie richteten sich daher auch an Kinder und Jugendliche. Bei Dupuis wurden die Geschichten nun sofort als Album publiziert und konnten daher eher an Erwachsenen gerichtet werden.
Von Anfang an hatte Michel Weyland die Serie sich entwickeln lassen. Seine Heldin war stark, mutig und selbstbewusst. Sie engagierte sich auf der Seite der Unterdrückten und Schwachen und damit oft genug auf der Seite der Frauen, ohne aber explizit feministisch zu sein. Oft genug waren aber patriarchalische Strukturen das Setting die Folter und Unterdrückung beinhalteten. Diese Szenen werden nun etwas deutlicher, gehen aber keinesfalls in eine Richtung, die sie für eine Veröffentlichung in der Schwermetall klassifiziert hätten.
Die Fantasy-Stories um Aria enthalten als weiteres verbindendes Element oft genug auch magische Bestandteile. Hier geht es aber nicht um Schlangengötter oder Dämonen, sondern um die leise Magie, die eher mit Romantik und der Verzauberung verknüpft ist. Genau diese Mischung macht die Serie so einzigartig! Mehr dazu in den Besprechungen zu Band 2 und 4.
Die Stories in diesem Band
Ove erzählt die Geschichte einer Frau, die wiedergeboren worden zu sein scheint. Sie lebt in einer Kultur, in der Frauen zwangsverheiratet werden. In der Hochzeitsnacht fällt sie in Ohnmacht und erwacht mit den Erinnerungen an eine glückliche Vergangenheit in der Frauen frei und anerkannt waren. Ihr Mann erlaubt ihr tatsächlich, Nachforschungen anzustellen. Schnell stellt sich allerdings heraus, dass die klerikale Oberschicht dieses nicht dulden wird. Auch Aria, die gerade auf der Durchreise ist, muss feststellen, dass allein reisende Frauen dort nicht willkommen sind und macht sich mit Ove zusammen auf die Suche nach ihrem ehemaligen Ehemann, der nach hunderten von Jahren noch zu leben scheint.
Tatsächlich lebt dieser noch und in Satans Garten erfahren wir auch das Geheimnis seines langen Lebens. Sein letzter Sohn fühlt sich nicht akzeptiert und stellt sich selber eine (neudeutsch) Challenge! Er will einen verfluchten, tödlichen Wald durchqueren, in dem sich eine alte Siedlung befinden soll und als Beweis einen goldenen Dachziegel zurückbringen. Zusammen mit Aria macht er sich auf den Weg. Sie hilft ihm zu erkennen, dass der Wald auf Stimmungen reagiert und alles Aggressive tötet. Wer aber in sich ruht wird die Passage schaffen. – Ein sehr spannender Zweiteiler, der das Thema des ewigen Lebens mal ganz anders angeht. Natürlich geht das nicht ohne Kosten, denn nichts ist umsonst, und es hat auch Nebenwirkungen. Parallel dazu beweist gerade die hier notwendige Friedfertigkeit wie anders Aria im Vergleich zu den typischen Fantasy-Comics ist. Schwertkampffähigkeiten sind notwendig, aber nicht immer richtig.
Originalband 18 führt uns zurück in die Vergangenheit von Aria – Die wütende Venus erzählt wie die kleine Aria, als Waise bei ihrem Onkel lebend, geraubt und versklavt worden ist. Mit einem Trick waren ihr sein Tod vorgegaukelt, ihm die Besitzrechte an dem Mädchen abgeschwindelt worden. Bei ihrem neuen Herrn wurden die Jungen zu Dieben, die Mädchen zu Prostituierten ausgebildet und mussten lernen, sich durchzusetzen. In Rückblicken erinnert sich Aria an die Demütigungen, aber auch an ihr Training mit dem Schwert und ihre Flucht aus dieser Hölle. Weyland schafft es, den Schrecken nicht auszusparen oder gar kleinzureden und doch auf Effekthascherei zu verzichten!
Den Abschluss bildet Sacristar, ebenfalls eine Geschichte über ein in der Jugend erlebtes Trauma. Ein Junge wird gezwungen, sich aktiv an der Steinigung seiner Mutter wegen Ehebruches zu beteiligen und schwört Rache. 40 Jahre später ist er in der Position dazu. Von den damals Beteiligten und ihren Nachkommen sind nur noch die Frauen am Leben, die gelernt haben, sich zu verteidigen. Nun beauftragen diese Aria, das Problem zu lösen. Eine Geschichte mit hohem Blutzoll und doch gelingt es Weyland, die Gewalt in Frage zu stellen.
Die Zeichnungen
Verglichen mit den vorherigen Bänden hat sich die Zeichenkunst Michel Weylands schon wieder weiterentwickelt. Wie gehabt gibt er sich große Mühe, auch die Nebenfiguren auf der Straße zum Leben zu erwecken und ihnen Individualität zu geben. Anfangs hatte man das Gefühl, dass bestimmte Nebendarsteller*innen immer wieder auftreten würde. Hier ist die Varianz viel breiter geworden! Auch die „Sprechrollen“ sind noch einmal detaillierter ausgefallen und haben viel mehr Bewegungsspielraum.
Aria (und auch andere weibliche Rollen) zeigen noch etwas mehr Körper, gehen auch öfter baden als früher. Natürlich ist Erotik ein Bestandteil der Serie und bezogen auf die Coverdarstellungen auch ein Verkaufsargument. Es geht aber gerade nicht um entwürdigende Darstellungen oder Machtmissbrauch, sondern um freie, eigenständige und solidarische Frauen und sollte daher auch noch mit heutigen Augen ok sein. Zudem hat die Heldin ständig die freie Entscheidung etwas zu tun bzw. den Willen, Fremdbestimmung nicht hinzunehmen.
Das Layout bewegt sich weiterhin in sehr klassischen Schemata und erlaubt nur wenig Freiheiten. Trotzdem schafft es Weyland, damit Emotionen, Geschwindigkeitsveränderungen und Spannung zu erzeugen! Natürlich trägt die Kolorierung seiner Frau Nadine dazu nicht nur unwesentlich bei!
Cover der limitierten Vorzugsausgabe
Die Ausgabe
Wie schon gewohnt enthält auch Band 5 wieder eine Menge an zusätzlichen Illustrationen da jede einzelne Geschichte von ein paar Vorzeichnungen und Überlegungen des Autors zum Hintergrund eingeleitet wird. Jeder Band hat auch sein Originalcover und für die beiden mittleren wird auch das ehemalige deutsche Epsilon-Cover mit abgedruckt. Die Bände 16 und 19 sind Deutsche Erstveröffentlichungen.
Dazu gibt es ein Interview mit Michel Weyland und zwei Kurzgeschichten aus dem Jahr 1980, die nicht im Zusammenhang der Serie stehen, die zeichnerische Entwicklung aber sehr schön verdeutlichen.
Detail Ex Libris der limitierten Vorzugsausgabe
Natürlich existiert auch wieder eine limitierte Vorzugsausgabe mit einem anderen Cover und einem sehr schönen signierten ExLibris. Wer also noch ein Weihnachtsgeschenk sucht für jemand, der oder die Fantasy abseits von Conan und Game of Thrones mag, liegt hier wahrscheinlich richtig!
Dazu passen The Corrs, weiblich, folkig, mainstream und doch eigensinnig und dazu ein Aperol mit Orange und Pro Secco.
Ursprünglich war die im Original bei Oni Press erscheinende Serie mal als Western mit Mystery-Elementen gestartet. Sehr schnell hatte sich angedeutet, dass das Setting zwar im Western-Milieu angesiedelt war, auch die Kostüme der Held*innen dort ihre Herkunft hatten, der angedachte Handlungsbogen aber weit darüber hinaus ging.
Es gibt sechs mythische Waffen, die die Fähigkeit besitzen, Welten bzw. Realitäten zu zerstören und neu zu erschaffen. Die neue Realität hängt also sehr eindeutig davon ab, wer die Waffen in die Hände bekommt. Nicht alle Welten sind angenehm für diejenigen, die darin leben müssen und nicht in allen gibt es gleiche Chancen auf einen „Neuanfang“.
Becky, eine der Protagonistinnen, besitzt die Sechste Waffe und wurde auf eine Reise durch die Geisterwelt geschickt. Weder dürfen ihre Begleiter*innen sie aktiv aus dieser Reise herausholen, denn dann würde sie wahrscheinlich irreparablen Schaden nehmen, noch ist garantiert, dass sie diese Reise überstehen wird. Ihr folgen nicht nur Skinwalker und Hungrige Wesen, auch ihre Gegenspieler versuchen die Situation auszunutzen.
Auf ihrer Reise reist die Heldin durch verschiedenste Inkarnationen der Realität und trifft auf Ritter und Drachen, Geister, entartete Kreaturen aber auch auf eine friedvolle Idylle im Mittleren Westen.
Cullen Bunn hat lange auf diese Episoden hingearbeitet wie im dem Band beigefügten Interview deutlich wird und freut sich, alle Register ziehen zu können. Ihm ist dabei eine besondere Serie in der Masse der Mystery-Plots gelungen, die durch den Genre-Mix überzeugen kann.
Die Zeichnungen
Brian Hurtt gibt alles, um die verschiedenen Welten und Realitäten gegeneinander abzugrenzen und wird dabei tatkräftig durch die Kolorierung von Bill Crabtree unterstützt. In dem schon angesprochenen Interview erläutern die Künstler, welche Rolle dabei die Farben spielen. Gerade durch die Beispiele wird dieses sehr deutlich und ermöglicht noch einmal einen ganz anderen Blickwinkel!
Aber auch ohne diese Hinweise wird deutlich, wie stark sich der Stil und die Fähigkeiten des Zeichners im Laufe der Geschichte weiterentwickelt haben. Vereinzelt sehen Panels immer noch etwas unfertig aus, andere sind sehr detailreich, klar in der figürlichen Darstellung und Bewegung und wirken fast schon europäisch. Man merkt der Seire an, dass sie keine Auftragsware ist, sondern mit Herzblut geschrieben und gezeichnet wird.
Den Figuren sind die harte Arbeit und die schwierigen Bedingungen anzumerken. Sie sind nicht gestylt, haben keine Modelmaße und sollen nicht „schön“ sein. Sie sind ehrlich, haben überzeichnete Ecken und Kanten und sind sogar leicht karikierend dargestellt. Dadurch unterstützen die Zeichnungen aber die Geschichte und drängen sich nicht in den Vordergrund! Vom Aufbau her ist das Werk sehr klassisch: Jede Seite hat drei in ihrer Höhe variierende Panel-Reihen mit eckigen Kästen. Auch diese Ordnung unterstützt aber den Fluss der Geschichte, die von so vielen Regeln getragen wird. Zwar werden diese alle hinterfragt, das Leben läuft aber weiter.
Die Ausgabe
Wie immer bringt Ansgar Lüttgenau neben der regulären Veröffentlichung auch eine auf 111 Exemplare limitierte Vorzugsausgabe an den Start. Diese hat neben einem anderen Cover und einem Schutzumschlag wieder ein von Brian Hurtt signiertes ExLibris als Beigabe! Das ist durchaus eine Überlegung wert denn die Sechste Waffe gehört zu den „guten“ alternativen Serien von der anderen Seite des großen Teiches!
Dazu passen ein Gin Tonic mit Rosmarin und der etwas angestrengte Soul der Redskins!
Das Nest ist eine weitere Glanzleistung des Franzosen Régis Loisel. Schon seine erste Serie Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit eröffnete dem Fantasy-Genre neue Perspektiven. Mit seiner Interpretation von Peter Pan brachte er den Stoff zurück zu seinen Ursprüngen als Stoff für Erwachsene. Sein Partner Jean-Louis Tripp kommt ebenfalls aus Frankreich und ist bereits seit Jahren als Comiczeichner tätig, blieb auf dem deutschen Markt allerdings eher ein Geheimtipp. Seit mittlerweile fast 20 Jahren hat er eine Kunstprofessur in Quebec. Auch Loisel zog es nach Kanada und die beiden haben dort ein gemeinsames Atelier, in dem unter anderem ihre Gemeinschaftsarbeit Magasin Général entstanden ist.
Die Story
Loisel hatte schon länger die Idee, eine Erzählung über ein abgeschiedenes Dorf in der Vergangenheit zu erzählen. In gemeinsamen Gesprächen änderten sich sowohl die geographische als auch die zeitliche Verortung und so kam es zu dem kleinen Laden in Notre-Dame am See in der kanadischen Abgeschiedenheit in der Nähe von Quebec, der in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts den Mittelpunkt des Dörfchens bildet. Es gibt einen Pfarrer, der die Stelle gerade angetreten hat, einen Einsiedler und drei Witwen, die das konservative Rückgrat der Moral bilden. Der Besitzer des Ladens ist gerade verstorben und seine Frau Marie, eine Zugezogene, muss ihre Rolle neu finden. Die meisten Männer des Ortes sind die meiste Zeit des Jahres nicht anwesend, sondern verdingen sich „im Wald“.
Marie beschließt nach reiflicher Überlegung, den Laden in Eigenregie fortzuführen. Für die damalige Zeit ist das fast schon ein Affront, denn Frauen haben solche Dinge nicht zu tun. Es wird aber auch der Widerspruch deutlich zwischen den warmen Worten über den Verstorbenen auf der Beerdigung und den Aussagen über den Geschäftsmann und so hat Marie nicht nur mit den Vorurteilen gegenüber Frauen zu kämpfen sondern auch mit dem Unwillen von Handarbeitern gegenüber Handeltreibenden.
Im zweiten Band strandet ein Motorradfahrer, Serge, in dem Örtchen. Da Winter herrscht, die Straßen fast unpassierbar sind und die Maschine zudem erst repariert werden müsste, bleibt Serge in dem Örtchen und nimmt zunächst bei Marie Quartier. Der Pfarrer muss schließlich für die Befriedung im Ort sorgen, denn die moralische Instanz verbietet, dass Nebeneinanderher-Leben unter einem Dach von zwei unverheirateten Personen unterschiedlichen Geschlechts. Serge entpuppt sich als begeisterter Koch und startet eine Neuheit in dem kleinen Örtchen: Ein Restaurant.
Natürlich mögen die zurückkehrenden Männer des Dorfes die in ihrer Abwesenheit eingetretenen Veränderungen gar nicht. Gebildete Männer mit Umgangsformen gefährden das traditionelle Gefüge, vor allem in Zusammenhang mit der selbständigen Marie, die ebenfalls ein „schlechtes“ Vorbild abgibt.
Die Zeichnungen
Während die Story von beiden gemeinsam entwickelt worden ist, herrscht bei den Zeichnungen in gewisser Weise ein aufeinander aufbauender arbeitsteiliger Workflow vor. Zunächst erstellt Loisel in Form von Bleistiftzeichnungen seine Vorstellungen von der Seite, anschließend kreiert Tripp die Reinzeichnungen, die dann von Francois Lapierre koloriert werden. Dankenswerter Weise enthält die vorzügliche Gesamtausgabe auch ein paar Beispiele der originalen Entwürfe so dass die Entwicklung deutlich wird.
Den Figuren sind die harte Arbeit und die schwierigen Bedingungen anzumerken. Sie sind nicht gestylt, haben keine Modelmaße und sollen nicht „schön“ sein. Sie sind ehrlich, haben überzeichnete Ecken und Kanten und sind sogar leicht karikierend dargestellt. Dadurch unterstützen die Zeichnungen aber die Geschichte und drängen sich nicht in den Vordergrund! Vom Aufbau her ist das Werk sehr klassisch: Jede Seite hat drei in ihrer Höhe variierende Panel-Reihen mit eckigen Kästen. Auch diese Ordnung unterstützt aber den Fluss der Geschichte, die von so vielen Regeln getragen wird. Zwar werden diese alle hinterfragt, das Leben läuft aber weiter.
Die Ausgabe
Dem ersten Band mit den Originalalben Eins bis Drei beigefügt ist neben den schon erwähnten Vorzeichnungen ein illustrierter Essay von Sarah Hurlburt über das Werk und seine graphischen und erzählerischen Symbole. Gerade für europäische Leser*innen ganz hilfreich!
Das im Hardcover verwendete Papier ist dick genug, um nichts durchscheinen zu lassen, aber trotzdem angenehm in der Hand. Die Farben sind leicht matt, aber kräftig und die Ausgabe daher sehr wertig! Da sich die einzelnen Bände auch nicht an die übliche 48-Seiten-Begrenzung halten ist angesichts des Umfangs auch der Preis vollkommen angemessen.
Das Nest wird auf dem Backcover als Graphic Novel angepriesen. Im eigentlichen Sinne ist es das auch, denn hier wird mit graphischen Mitteln eine Erzählung präsentiert. Die Autoren haben wirklich etwas zu sagen und präsentieren gesellschaftliche Entwicklungen und Brüche, allerdings in einer sehr gut dargebotenen Form. Werke mit diesem Schlagwort haben oft genug zurecht damit zu kämpfen, dass ihr Inhalt zwar gut gemeint ist, ihre Form aber dem Massengeschmack nicht entspricht. Hier haben wir beides!
Für mich war die Gesamtausgabe dieses modernen Klassikers lange überfällig und gehört zu den diesjährigen Spitzentiteln! Loisel und Tripp sind Meister ihres Faches und das gemeinsame Werk gehört in jede gut sortierte Sammlung!
Dazu passen ein Ricard mit Wasser und Eis und Musik von Les Négresses Vertes!
Mit diesem Band liegen endlich alle von Wallace Wood gezeichneten Stories aus den EC-Reihen Weird Fantasy und Weird Science bzw. ihren Nachfolgeserien auf Deutsch vor! Band 1 enthält im Wesentlichen die Geschichten von Wood und Harry Harrison, Band 2 enthält thematisch viele Stories nach Erzählungen von Ray Bradbury. Der nun vorliegende Band zeigt Wood auf dem Höhepunkt seines Schaffens für EC und zeigt deutlich, dass die zunächst sehr optimistische Grundstimmung gekippt zu sein scheint. Die Angst vor atomarer Vernichtung und vor unkontrollierbaren Mutationen aufgrund der atomaren Strahlung bilden so etwas wie einen roten Faden durch die insgesamt 24 Beiträge!
Wer mehr über den Verlag EC und seine Geschichte wissen möchte, sollte einen Blick in The History of EC Comics werfen! Der Autor Grant Geissman erzählt nicht nur von der innovativen Schaffenskraft dieses Verlages sondern beschreibt auch den Niedergang.
Die Geschichten
Die beiden Weird-Reihen waren die ersten echten Science-Fiction Comics in der Geschichte der Bildliteratur. Hier standen nicht etwa kostümierte Helden mit Superkräften im Mittelpunkt sondern Wissenschaftler, Militärs, Forscher oder aber auch einfache Raumfahrer! Anzumerken ist, dass es hier in allen Positionen Männer und Frauen gab die aktive handlungstreibende Rollen innehatten. Das Grauen kam aus den Begegnungen mit der Einsamkeit, der dann doch unbeherrschbaren Technik und natürlich auch aus den Begegnungen mit außerirdischen Wesen.
Wie bereits angedeutet stehen in den Geschichten aus der Mitte der Fünfziger Jahre aber eher „hausgemachte“ Probleme im Vordergrund. So langsam war klar geworden, dass atomare Kräfte nicht nur Kriege beenden, sondern auch gleichzeitig eine große Bedrohung für das Überleben der menschlichen Rasse darstellen konnten. So entdecken die Protagonisten der 6 bis 8-seitigen Stories auch immer wieder Zivilisationen, die sich ausgelöscht haben. Eine andere Gefahr deutete sich bereits an: Nicht nur Überlebende aus Japan sondern auch Beobachter der Testexplosionen wiesen nicht nur äußerliche Veränderungen wie Verbrennungen auf. Auch ihr Erbgut hatte Schaden genommen und Kinder waren mit seltsamen Mutationen geboren worden.
Die Zeichnungen
Mein persönlicher Favorit aus diesem abschließenden Band ist allerdings eine der beiden Bradbury Adaptionen – Es wird ein sanfter Regen fallen ist ein Abgesang auf die Moderne, melancholisch und ruhig und ein Meisterstück der SF-Literatur! Wood hat dieses perfekt in Bilder umgesetzt und die Stimmung noch verstärkt! Der Zeichner beweist ein weiteres Mal, dass er nicht nur geniale Monster erschaffen, sondern auch Stimmungen erzeugen kann, die zum Nachdenken anregen.
Ansgar Lüttgenau hat für seine Gesamtausgabe ein etwas dickeres Papier gewählt. Dieses gibt einerseits die Zeichnungen sehr genau und konturenreich wieder, erinnert andererseits aber auch an die alten Hefte! Da sich das Team außerdem sehr viel Mühe gegeben hat, die Einstiegssequenzen an die Übersetzung anzupassen ist dem Genuss keine Grenze gesetzt.
Für mich ist SF aus den 50-er und 60-er Jahren immer noch eine sehr lesenswerte Sache: Der grenzenlose Optimismus und die Technikgläubigkeit sind bereits vergangen und Fragen ob der Sinnhaftigkeit schleichen sich ein. Im Gegensatz zu späteren Epochen stehen aber Drogenexperimente und Endlosserien noch nicht im Fokus. Wally Wood verkörpert genau diese Stimmung als Zeichner und gehört für mich daher in eine Reihe mit Moebius und Mezieres!
Natürlich gib es auch wieder einen Essay über EC, Science Fiction und Wood von Heiko Langhans!
Fazit
Von mir eine klare Empfehlung für alle Fans des klassischen Comics. Wood hat vieles gezeichnet und nicht alles ist wirklich überragend, seine SF-Stories sind es aber wirklich! Für Science Fiction-Fans sowieso ein Muss und als Ergänzung zu dem oben bereits angesprochenen Band über EC mit allen Cover-Abbildungen eine perfekte Ergänzung!
Cover der limitierten Vorzugsausgabe
Für Afficionados gibt es natürlich wieder eine limitierte Ausgabe mit Ex Libris und Schutzumschlag aber auch die einfache Ausgabe kommt bereits im schmucken Hardcover.
Dazu passen Dark Side of the Moon von Pink Floyd und ein Gin Tonic mit Gurke und Eis!
Venedig war jahrhundertelang eine ernstzunehmende Größe im Konzert der Mächtigen. Obwohl pro forma Republik, war sie ein aufgrund eines sehr ausgeklügelten Systems fest in der Hand weniger adliger Familien, deren Führungsgremium der Rat der Zehn war. Der Reichtum basierte dabei auf einer Kombination aus militärischer und (vor allem) wirtschaftlicher Macht.
Masken, Morde und viel Gold
Zur Zeit der Geschichte von Warnauts und Raives war die Vormachtstellung allerdings bereits passé und die Herrscher Venedigs in Abwehrkämpfe verwickelt. Band 1 der Venezianischen Affären berichtete von der Verurteilung Allessandro Beltrames wegen Mordes und seiner Verbannung aus der Stadt, Teil zwei von seinen Erlebnissen in Übersee. Nun ist er wieder in Venedig und versucht einerseits Rache zu nehmen, andererseits aber auch, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
Dabei ist die Story von Eric Warnauts und Guy Raives sehr vielschichtig: die führenden adeligen Familien sorgen sich um die Aktionen der verarmten Teile des Adels, fürchten Verrat und Kollaboration mit dem Feind. Dann gibt es noch die undurchschaubare Clara, Schwester, Geliebte und mit obskuren Mächten im Bunde, den ausgeglichenen Muhammad Moussa, der für die Freiheit der Sklaven kämpft, die undurchschaubare und verführerische Dorina und natürlich die Serenissima, die einer Spinne gleich versucht, die Fäden zu ziehen.
Für die Leser*innen ermöglicht diese Gemengelage eine abwechslungsreiche Erzählung, die von Festen in Abendkleidern direkt zu einem Kampf auf Leben und Tod mit dem Degen auf den Dächern Venedigs springen kann. Das Schicksal der Sklaven aber auch ihre Aufstände kommen in Rückblicken zum Tragen wie auch die Herkunft und der Verbleib der Goldbarren, die Karrieren sowohl retten als auch zerstören könnten. Da die Erzählung von Anfang an auf eine Mehrzahl von Bänden angelegt war, können die beiden Autoren weit ausholen und Details verknüpfen.
Die Gesamtausgabe der letzten drei Teile Abenddämmerung über der Lagune, Clara und Die Serenissima erlaubt es uns wiederum, diese Querverbindungen auch noch aktiv im Kopf zu haben. Das dürfte deutlich schwieriger fallen, wenn nur 48 Seiten pro Jahr erscheinen.
Grandiose Stadt in ebensolchen Bildern
Die Beiden haben nicht nur zusammen getextet, sondern auch zusammen gezeichnet. Am allermeisten gefallen mir dabei die wirklich fantastischen Bilder, die Venedig zeigen: Kanäle, Architektur aus der Dachperspektive oder von den Plätzen aus und Interieurs von Verwaltungsgebäuden, Palästen und sakralen Bauwerken. Das ist wirklich gut gelungen!
Auch die Körper der Figuren sind geglückt und bewegen sich sowohl in Kampfszenen als auch bei ruhigen Aktionen gut im verfügbaren Raum. Teilweise nutzen sie die Möglichkeit, die Anatomie des Körperbaus ohne umhüllende Kleidung zu zeigen, vor allem in den beigefügten zusätzlichen Illustrationen gelingt auch das gut. Die Gesichter und vor allem die Mundpartien sind allerdings eine Schwachstelle und so ist es gut, dass immer wieder Masken zu sehen sind!
Must have?
Nun ja, die Gesamtausgabe ist sicherlich kein Must Have. Sie ist aber trotzdem eine Zierde jeder Sammlung: Eine über neun Bände laufende stringente Story mit vielen, parallellaufenden Strängen, die sowohl als Krimi, als History und als Liebesgeschichte gelesen werden kann. Dazu kommen grandiose Bilder und eine hervorragende Aufmachung in stabilem Hardcover mit dicken Seiten und satten Farben! Der Anhang mit erläuternden Worten zur Entstehung von Eric Warnaut und vielen Zeichnungen und Illustrationen tut ein Übriges!
Der Genuss lässt sich steigern durch die leicht süß-sauren Klänge der Regrettes und einen Mom-Gin mit Russian Wild Berry.
Das Leben des Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio . . .
Milo Manara ist bekannt vor allem wegen seiner freizügigen Werke. Seit 1969 schreibt und zeichnet der in Bozen geborene Italiener Comics zunächst alleine, dann in Kooperation mit anderen wie etwa Hugo Pratt oder Frederico Fellini. Dabei ging es auch oft über die eigentlichen Grenzen der Kunstgattung hinaus, etwa bei den Werbespots für Chanel No. 5 die Manara mit Luc Besson zusammen erarbeitete.
Die beiden Bände über Caravaggio sind die letzten eigenständigen Arbeiten von Manara die die Werkausgabe im Panini-Verlag zunächst abschließen. Michelangelo Merisi ist – so scheint es – die ideale Figur für eine Biografie aus den Händen von Manara: Ein Visionär, Regeln missachtend und brechend, verfolgt von Teilen der Kirche, weil er eine Prostituierte als Modell für die Jungfrau Maria porträtierte, kurzum ein Querkopf.
Caravaggio ist rückblickend einer der größten Meister seiner Zeit, des Cinqueccento. Für ihn stand die Unmittelbarkeit des Lebens im Mittelpunkt seiner Kunst und er wollte weder nur für Privilegierte malen noch sie als Modell verwenden. Für ihn musste alles in Bezug zur Straße, zum einfachen Volk stehen.
Gleichzeitig war er aber auch dem Wein nicht abgeneigt, konnte seinen Mund nicht halten und verstand auch nichts von vornehmer Zurückhaltung. So kommt es, dass er während seines Aufenthaltes in Rom im ersten Teil nicht nur vom Niemand zum Meister der Malerei wird, er lernt auch das Gefängnis das eine oder andere Mal von innen kennen und legt sich mit einer Gruppe von Zuhältern an. Als er schließlich schwer verletzt wird, gelingt die Flucht nur mit Hilfe seiner Freunde.
Teil 2 zeigt seine langsame Genesung und den Versuch, sich zu rehabilitieren. Der einfachste Weg scheint es, ein Ordensritter der Malteser zu werden doch auch hier hilft ihm sein Temperament nicht wirklich. Auf jeden Fall muss er jedoch so viele Kunstwerke wie möglich erstellen und so stehen diese immer wieder im Vordergrund der Erzählung.
und seine Darstellung durch Milo Manara
Manara ist bekannt für seine Darstellungen des weiblichen Körpers, oft genug in sexuell expliziten Posen. Dem ersteren frönt er auch hier, die Darstellungen haben aber keinesfalls voyeuristischen Charakter. Die Frauen in diesem Stück haben tragende Rollen, sind gleichberechtigt und in keiner Weise ausgebeutet oder erniedrigt. Im Gegenteil: Ihr Schicksal als Prostituierte wird mit den Schattenseiten gezeigt: Die Bestrafung und Missachtung durch die bigotte Obrigkeit wie auch die Ausbeutung durch die Zuhälter. Auch die Gräfin wie auch die Zirkusartistin, die Merisi helfen, tun das aus eigenen Motiven und sind alles andere als Beiwerk.
Manara hat aber noch eine andere Fähigkeit, die oft nur am Rande erwähnt wird: Seine Bildkompositionen, die Ausschnitte und Perspektiven und sein Spiel mit dem Schatten machen die Geschichten zu einer sehr filmischen, spannenden Tour und seine Totalen sind denen der frankobelgischen Meister ebenbürtig!
Gerade dieses Details lassen sich vorzüglich im Anhang nachvollziehen. Sowohl von Teil 1 aus 2015 als auch vom zweiten Teil aus 2018 sind mehrere Seiten im schwarzweißen Original vor der Kolorierung beigefügt. Die getuschten Zwischenschritte zeigen ohne die Farbe das, was der Künstler selbst beigetragen hat. Die Farbe mag manchmal Schwächen überdecken, sie verschleiert hier aber Stärken! Im Anhang sind dann auch noch zwei der originalen Meisterwerke und die Schritte ihrer Neukreation durch Manara zu sehen.
Die Empfehlung
Einige Werke von Milo Manara sind durchaus kritikwürdig und stehen an der Grenze zur Pornographie. Seine Verbeugung vor dem großen italienischen Künstler aus Caravaggio gehört dagegen zu den absolut lesenswerten Comic-Biografien. Manara selbst schreibt in vorangestellten fiktiven Briefen an der Porträtierten von den künstlerischen Freiheiten, die er sich genommen hat. Wer nur Fakten lesen möchte ist mit einem Lexikon sicherlich besser bedient. Wer aber eine mögliche Abfolge akzeptiert, die die Grundzüge sicherlich nicht falsch aber lesbar und spannend darstellt, ist hier richtig.
Der Schutzumschlag der schönen Werkausgabe
Wenn dann jemand aufgrund der tollen Aufmachung auf die Idee kommt, den einen oder anderen Band der Werkausgabe auch noch haben zu wollen, liegt sicherlich auch nicht verkehrt! Auf jeden Fall ist Band 18 ein zwar etwas untypisches Spätwerk, nichtsdestotrotz aber auch eine Zierde jedes Comicregals.