Felicia Hardy ist die Marvelversion der schönen Diebin, die nicht wirklich „böse“ ist, aber auf der falschen Seite des Gesetzes steht. Sie arbeitet schon mal mit Held*innen zusammen, „heiratet“ sogar in bestimmtem Grad, kann aber auch eine Gruppe von Super-Bösewichten anführen. Ihr Kampfname ist Black Cat und sie gilt als Spider-Man Schurke. Auf Raubzug war der erste Teil ihres Restarts, jetzt ist sie auf Beutejagd!
Mit Krallen und Klauen
Sechs Einzelausgaben kommen in diesem Sammelband und die erste ist gleich ein besonderes Schmankerl, handelt es sich doch um das erste Annual, das zeitlich noch vor dem ersten Band spielt. Die Mafia-Familien in New York haben ein seltsames Ritual um interne Streitigkeiten beizulegen: Eine Tochter der einen und ein Sohn der anderen Familie heiraten um daraufhin statt einer gemeinsamen Nacht einen Kampf auf Leben und Tod auszufechten. Felicia Hardy und Peter Parker schlüpfen in die Rollen der eigentlich Auserwählten und tauchen damit gleichzeitig tief in ihre eigene Vergangenheit ein. Das Romeo-und-Julia-Drama ist gekonnt witzig!
Gleich danach geht die laufende Storyline weiter – Wie weit wird das Zerwürfnis zwischen Black Cat und Odessa Drake um die Führung der Diebesgilde gehen? Ich verrate nicht zu viel, wenn ich andeute, dass es ein längerer Krieg zu werden verspricht. Dabei kommen tatsächlich auch die Motive zum Vorschein, die die Töchter von zwei eng befreundeten Vätern zu unerbittlichen Gegnerinnen haben werden lassen.
Coole Sprüche haben einige Marvelhelden drauf, hier kommt es aber gleich zum Triple denn neben der schlagfertigen Schönheit versuchen auch Wolverine mit seinem trockenen Humor und Deadpool zu punkten. Entscheidet selbst. Alle Geschichten sind von Jed MacKay der sich im Spider-Verse gut auskennt.
Die Zeichnungen
Die Liste der Zeichner*innen (inklusive der Tusche) ist dagegen so lang, dass man einen langen Atem braucht, um sie alle zu nennen. Das hat generell vor- und Nachteile: Einerseits ist es spannend, sich die verschiedenen Interpretationen anzusehen: Die Maske ist mal mehr Maske, mal eher Make-Up, die Haare sehen nicht nur unterschiedlich frisiert aus und auch der Stil variiert. Andererseits wird das Ganze dadurch auch ein wenig unruhig! Gerade wenn man es ausnutzt, die Wartezeit zwischen den Heften überspringen zu können fallen die Wechsel natürlich sofort ins Auge.
In diesem Fall geht es aber tatsächlich nur um stilistische Unterschiede, die Qualität ist gleichbleibend hoch und stört den Lesefluss nicht! Im Gegenteil, alle unterstützen die Lockerheit der Geschichten, die irgendwo zwischen Sitcom und Actionkomödie schwankt. Und: Ja, die Beine sind evtl. etwas zu lang und der Ausschnitt für Martial Arts sicherlich ungeeignet.
Wer mehr über die Geschichte von ähnlichen Held*innen bei verschiedenen Comic-Verlagen gibt sollte einen Blick in die ausgezeichnete Darstellung History of EC Comics von Grant Geissman werfen!
Die Wertung
Die Mischung aus Action und Spaß kommt für mich gut rüber! Niemand in diesem Comic nimmt sich ernst, aber es handelt sich auch nicht um Trash! Für alle, die Spaß haben, gerne entsprechende Serien schauen und das Ganze nicht nur stationär oder auf kleinem Bildschirm genießen wollen. Ein Hinweis für die Älteren: Früher hätte das wahrscheinlich am ehesten den Avengers bzw. „Mit Schirm, Charme und Melone“ entsprochen!
Dazu passt ein trockener Prosecco und Natty Boh & the Topcats!
Venedig war jahrhundertelang eine ernstzunehmende Größe im Konzert der Mächtigen. Obwohl pro forma Republik, war sie ein aufgrund eines sehr ausgeklügelten Systems fest in der Hand weniger adliger Familien, deren Führungsgremium der Rat der Zehn war. Der Reichtum basierte dabei auf einer Kombination aus militärischer und (vor allem) wirtschaftlicher Macht.
Masken, Morde und viel Gold
Zur Zeit der Geschichte von Warnauts und Raives war die Vormachtstellung allerdings bereits passé und die Herrscher Venedigs in Abwehrkämpfe verwickelt. Band 1 der Venezianischen Affären berichtete von der Verurteilung Allessandro Beltrames wegen Mordes und seiner Verbannung aus der Stadt, Teil zwei von seinen Erlebnissen in Übersee. Nun ist er wieder in Venedig und versucht einerseits Rache zu nehmen, andererseits aber auch, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
Dabei ist die Story von Eric Warnauts und Guy Raives sehr vielschichtig: die führenden adeligen Familien sorgen sich um die Aktionen der verarmten Teile des Adels, fürchten Verrat und Kollaboration mit dem Feind. Dann gibt es noch die undurchschaubare Clara, Schwester, Geliebte und mit obskuren Mächten im Bunde, den ausgeglichenen Muhammad Moussa, der für die Freiheit der Sklaven kämpft, die undurchschaubare und verführerische Dorina und natürlich die Serenissima, die einer Spinne gleich versucht, die Fäden zu ziehen.
Für die Leser*innen ermöglicht diese Gemengelage eine abwechslungsreiche Erzählung, die von Festen in Abendkleidern direkt zu einem Kampf auf Leben und Tod mit dem Degen auf den Dächern Venedigs springen kann. Das Schicksal der Sklaven aber auch ihre Aufstände kommen in Rückblicken zum Tragen wie auch die Herkunft und der Verbleib der Goldbarren, die Karrieren sowohl retten als auch zerstören könnten. Da die Erzählung von Anfang an auf eine Mehrzahl von Bänden angelegt war, können die beiden Autoren weit ausholen und Details verknüpfen.
Die Gesamtausgabe der letzten drei Teile Abenddämmerung über der Lagune, Clara und Die Serenissima erlaubt es uns wiederum, diese Querverbindungen auch noch aktiv im Kopf zu haben. Das dürfte deutlich schwieriger fallen, wenn nur 48 Seiten pro Jahr erscheinen.
Grandiose Stadt in ebensolchen Bildern
Die Beiden haben nicht nur zusammen getextet, sondern auch zusammen gezeichnet. Am allermeisten gefallen mir dabei die wirklich fantastischen Bilder, die Venedig zeigen: Kanäle, Architektur aus der Dachperspektive oder von den Plätzen aus und Interieurs von Verwaltungsgebäuden, Palästen und sakralen Bauwerken. Das ist wirklich gut gelungen!
Auch die Körper der Figuren sind geglückt und bewegen sich sowohl in Kampfszenen als auch bei ruhigen Aktionen gut im verfügbaren Raum. Teilweise nutzen sie die Möglichkeit, die Anatomie des Körperbaus ohne umhüllende Kleidung zu zeigen, vor allem in den beigefügten zusätzlichen Illustrationen gelingt auch das gut. Die Gesichter und vor allem die Mundpartien sind allerdings eine Schwachstelle und so ist es gut, dass immer wieder Masken zu sehen sind!
Must have?
Nun ja, die Gesamtausgabe ist sicherlich kein Must Have. Sie ist aber trotzdem eine Zierde jeder Sammlung: Eine über neun Bände laufende stringente Story mit vielen, parallellaufenden Strängen, die sowohl als Krimi, als History und als Liebesgeschichte gelesen werden kann. Dazu kommen grandiose Bilder und eine hervorragende Aufmachung in stabilem Hardcover mit dicken Seiten und satten Farben! Der Anhang mit erläuternden Worten zur Entstehung von Eric Warnaut und vielen Zeichnungen und Illustrationen tut ein Übriges!
Der Genuss lässt sich steigern durch die leicht süß-sauren Klänge der Regrettes und einen Mom-Gin mit Russian Wild Berry.
Ich muss gestehen, dass ich mir nicht ganz sicher war, ob ein russischer Klassiker als Comic funktionieren würde. Emotionale Dramatik, viele Personen und nicht zuletzt Handlungsmuster und gesellschaftliche Konstrukte, die seit langer Zeit veraltet sind. Würde die implizit als bekannt vorausgesetzte moralische Ebene noch grafisch umsetzbar sein? Würden sich die ausschweifenden Erklärungen abbilden lassen? Ähnlich äußert auch der Künstler selbst seine Vorbehalte.
Der Inhalt – russische Emotionen
Ich muss allerdings sagen, dass Bastien Loukia die Aufgabe hinbekommen hat! Verbrechen und Strafe umfasst in der deutschen Taschenbuchausgabe mehr als 750 engbedruckte Seiten und Fjodor Dostojewski formuliert entsprechend der russischen Literaturtradition der damaligen Zeit einerseits sehr genau, andererseits lässt er sich aber auch Zeit um alles detailliert zu beschreiben. Zudem ist die Frage der gesellschaftlichen Stellung eines Studenten mittlerweile eine ganz andere, viel weniger wichtige. Was es dagegen immer noch gibt ist, dass Frauen sich selbst zugunsten der Familie opfern wollen oder müssen und dass Süchtige im Spiel oder für den Suff alles vernichten: ihr Leben aber auch das ihrer Angehörigen.
Der Held dieses Stückes Rodion Raskolnikow ist ein in Armut lebender Student der Rechte. Er muss um überhaupt über die Runden zu kommen persönliche Erinnerungsgegenstände verpfänden und empfindet die Wucherzinsen der Pfandleiherin, ja, ihren Stand als so ungeheuerlich, dass er beschließt sie zu töten. Da er bei dieser Tat angetroffen wird, verübt er noch einen weiteren Mord.
Er wird vom Untersuchungsrichter Petrowitsch der Tat verdächtigt doch ein Unschuldiger gesteht zunächst die Tötungen. Raskolnikow gerät aber immer tiefer in die moralischen Verstrickungen, fürchtet sich vor Entdeckung und muss erkennen, dass seine Tat nicht etwa aus einer hohen moralischen Überlegenheit gegenüber der Wucherin, sondern aus persönlichen, niedrigen Beweggründen geschah.
Die Umsetzung – französische Finesse
Loukia schafft es nicht nur, die lange Geschichte in ihren wesentlichen Zügen auf rund 150 Comicseiten sehr verständlich wiederzugeben, sondern gleichzeitig noch einen tiefen Einblick in die ärmlichen Lebensverhältnisse in St. Petersburg zu geben. Gemeinschaftsunterkünfte, Prostitution zur Sicherung des Überlebens, Gewalt und schimmlige Wohnungen sind sehr eindrücklich gelungen und bleiben vermutlich noch längere Zeit im Gedächtnis präsent.
Mit Sicherheit hätte Dostojewski (zurecht) die Kategorisierung seines Romans als „Horror“ weit von sich gewiesen, die Darstellung des inneren Konfliktes Raskolnikows‘ und die Umsetzung seiner Alb- und Fieberträume kommt dem aber schon recht nahe. Und das ist dann auch die Brücke zur Neuzeit: Mögen sich die gesellschaftlichen Verhältnisse und Moralvorstellungen noch so sehr auf ihre Zeit beziehen, der innere Konflikt, der durch das Überschreiten der Grenzen ausgelöst wird, ist immer der gleiche!
Deutsche Schriftsteller haben immer gerne die gesellschaftliche Frage gestellt, ihre russischen Kollegen haben sich dagegen mehr auf die Moral und das Gewissen konzentriert. Bastien Loukia genügen kleine Veränderungen in der Darstellung des Gesichtes, der Körperhaltung, um diese psychologischen Tiefen deutlich zu machen. Beim Lesen sind tatsächlich die Details wichtig, die Stellung der Augenbrauen als Merkmal zum Beispiel. Wenn nötig wechselt Loukia auch vom strengen Reihenaufbau der Seiten in einen aufgelockerten, manchmal sogar in eine ganz freie Aufteilung.
Auch wenn er sich teilweise an Gemälden von Kasimir Malewitsch orientiert und die Bildsprache komplett wechselt, nie stehen die Zeichnungen um ihrer selbst willen dar, sondern dienen immer nur dem Fortgang der Erzählung.
Die Wertung
Verbrechen und Strafe ist sicherlich keine leichte Kost und erfordert mehr als ein Handtuch am belebten Strand. Es lädt sogar dazu ein, mehrfach gelesen werden zu wollen. Diese Herausforderung lohnt sich aber, denn Loukia bietet das brillante Ergebnis einer Auseinandersetzung, das Moderne und Original verbindet, das zeitlos Interessante präsentiert und die zeitgebundenen Stilelemente weglässt.
Insofern passt auch die Veröffentlichung durch von dem Knesebeck! Der Verlag hat in den letzten Jahren immer wieder Kleinode der Comickunst präsentiert, ohne dabei Trends hinterherzulaufen! Die Graphic Novel kommt im klassischen Albenformat daher, gebunden als Hardcover und auf stabilem, leicht glänzendem Papier. Der Preis von 25€ ist dabei vollkommen angemessen! Es bleibt zu hoffen, dass diese Ausgabe ein angemessen breites Publikum finden und nicht nur in Slawistik-Bibliotheken stehen wird. Verdient hätte sie es!
Dazu passen eine Kombination aus heißem schwarzem Tee und kaltem Wodka und die sehr spannenden Iva Nova!
DC Black Label ist die Anlaufstelle für Geschichten, die keine intensive Beschäftigung mit einer jahrelangen Kontinuität erfordern, da sie mit den laufenden Reihen nicht verknüpft sind. Dadurch bieten sie die Möglichkeit, Figuren in einem ganz anderen Licht zu präsentieren und mit Was-wäre-wenn-Szenarien zu spielen. Und die Titel sind meistens Flaggschiffe oder Leuchttürme und bieten daher Szenarien und Zeichnungen deutlich oberhalb des Durchschnittes!
Psychogramm einer kriminellen Karriere
Auch wenn Batman immer noch der erfolgreichste „Held“ des DC-Universums ist, haben doch einige seiner Gegenspieler*innen ihm längst den Rang in punkto innovativität abgelaufen. Insbesondere der Joker und seine ehemalige Geliebte Harley Quinn bieten hierfür herausragende Ansatzpunkte, haben doch Psychologinnen/Profilerinnen und Psychopathen gerade auch im TV/Streaming-Serienmarkt Hochkonjunktur.
Psychogramm des Grauens reiht sich in diese Thematik ein: Harley arbeitet als Profilerin mit dem GCPD und analysiert Taten um dien Täter*innen auf die Spur zu kommen. Gotham ist dafür der wohl beste Ort denn es zieht diese Typen an wie Licht die Motten. Gleichzeitig hat sie aber immer noch nicht den Mord an ihrer Geliebten verwunden. Er wird dem Joker zugeschrieben und geschah vor fünf Jahren, ist aber immer noch unaufgeklärt.
In wechselnden Zeitebenen erzählt Kami Garcia in den ersten drei Teilen dieser Miniserie von Harley, ihrem verbissenen Kampf um Aufklärung und ihrem Alltag in einer Welt in der nicht alle Polizisten sind wie James Gordon. Ignoranz, Gewalt und Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Bildungsferne sind – auch auf Vorgesetztenebene – weit verbreitet und erschweren durch die Vorurteile die Aufklärung der Taten.
Während in Rückblicken die Geschichte zweier misshandelter Kinder erzählt wird, die sich später zunächst gegensätzlich entwickeln werden, mordet ein Unbekannter und stellt seine Opfer in besonderen Posen zur Schau. Sie sind fachgerecht zerlegt, wieder zusammengenäht und stellen teilweise Kunstwerke nach.
Herausragende Bilder
Gleich drei Zeichner tragen mit ihren herausragenden Bildern zur eindrücklichen Stimmung dieser Miniserie bei: Mico Suayan, Mike Mayhew und Jason Badower bringen die Gegenwart in schwarz-weiß auf das Papier. Keine Kolorierung überdeckt die Fähigkeiten der Zeichner; Kontraste zeigen Emotionen und verstärken Stimmungen und durch das Fehlen der Farbe wird der hardboiled Ansatz noch unterstützt. Jede einzelne Szene könnte Bestandteil einer Netflix- oder HBO-Produktion sein!
Die Rückblicke auf die Kindheiten sind dagegen fast schon fotorealistisch in Farbe wiedergegeben. Die Gewalt der jeweiligen Elternteile (Vater gegenüber dem Jungen, die Mutter gegenüber dem Mädchen) und ihre Verachtung der Opfer wird durch diesen Gegensatz noch deutlicher herausgestellt.
Das Layout der Seiten folgt keinem klassischen Schema, sondern ist nur situationsgetrieben. Auch dadurch wird Spannung erzeugt oder gehalten. Fast würde man sich wünschen, dass der Band auch noch „Filmmusik“ enthielte. Zum Schluss noch der Hinweis, dass bei dem ganzen Schwarz-weiß zwei Farben sehr gezielt ihren Einsatz finden: Grün und Rot. Jede*r darf jetzt kurz überlegen, was damit wohl gekennzeichnet sein könnte. . .
Die Ausgabe
Natürlich gehören bei Panini ein paar Worte zu den Künstler*innen genauso zum Standard wie die Galerie mit Covern und Variants. Üblicherweise wird das aber im Premiumformat präsentiert. Die (wohl drei) Teile von Joker/Harley kommen aber als Hardcover im Überformat daher und bieten somit XXL-Genuss! Ehrlicherweise muss man sagen, dass nicht alle Zeichnungen aus amerikanischen Heften dieses größere Format vertragen. Hier kommen die Details aber viel besser zum Tragen!
Für alle Batman-Gelegenheitsleser*innen ein Fest! Für alle Police/FBI-Profiler-Serienfans den Versuch wert, das Medium zu wechseln! Für alle, die toughe, selbstbestimmte Heldinnen lieben ein Tipp! Und nebenbei für alle, die gut gezeichnete Thriller mögen, natürlich auch.
Dazu passen Bad Cop/Bad Cop vorzüglich und ein Brooklyn Lager.
Das Leben des Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio . . .
Milo Manara ist bekannt vor allem wegen seiner freizügigen Werke. Seit 1969 schreibt und zeichnet der in Bozen geborene Italiener Comics zunächst alleine, dann in Kooperation mit anderen wie etwa Hugo Pratt oder Frederico Fellini. Dabei ging es auch oft über die eigentlichen Grenzen der Kunstgattung hinaus, etwa bei den Werbespots für Chanel No. 5 die Manara mit Luc Besson zusammen erarbeitete.
Die beiden Bände über Caravaggio sind die letzten eigenständigen Arbeiten von Manara die die Werkausgabe im Panini-Verlag zunächst abschließen. Michelangelo Merisi ist – so scheint es – die ideale Figur für eine Biografie aus den Händen von Manara: Ein Visionär, Regeln missachtend und brechend, verfolgt von Teilen der Kirche, weil er eine Prostituierte als Modell für die Jungfrau Maria porträtierte, kurzum ein Querkopf.
Caravaggio ist rückblickend einer der größten Meister seiner Zeit, des Cinqueccento. Für ihn stand die Unmittelbarkeit des Lebens im Mittelpunkt seiner Kunst und er wollte weder nur für Privilegierte malen noch sie als Modell verwenden. Für ihn musste alles in Bezug zur Straße, zum einfachen Volk stehen.
Gleichzeitig war er aber auch dem Wein nicht abgeneigt, konnte seinen Mund nicht halten und verstand auch nichts von vornehmer Zurückhaltung. So kommt es, dass er während seines Aufenthaltes in Rom im ersten Teil nicht nur vom Niemand zum Meister der Malerei wird, er lernt auch das Gefängnis das eine oder andere Mal von innen kennen und legt sich mit einer Gruppe von Zuhältern an. Als er schließlich schwer verletzt wird, gelingt die Flucht nur mit Hilfe seiner Freunde.
Teil 2 zeigt seine langsame Genesung und den Versuch, sich zu rehabilitieren. Der einfachste Weg scheint es, ein Ordensritter der Malteser zu werden doch auch hier hilft ihm sein Temperament nicht wirklich. Auf jeden Fall muss er jedoch so viele Kunstwerke wie möglich erstellen und so stehen diese immer wieder im Vordergrund der Erzählung.
und seine Darstellung durch Milo Manara
Manara ist bekannt für seine Darstellungen des weiblichen Körpers, oft genug in sexuell expliziten Posen. Dem ersteren frönt er auch hier, die Darstellungen haben aber keinesfalls voyeuristischen Charakter. Die Frauen in diesem Stück haben tragende Rollen, sind gleichberechtigt und in keiner Weise ausgebeutet oder erniedrigt. Im Gegenteil: Ihr Schicksal als Prostituierte wird mit den Schattenseiten gezeigt: Die Bestrafung und Missachtung durch die bigotte Obrigkeit wie auch die Ausbeutung durch die Zuhälter. Auch die Gräfin wie auch die Zirkusartistin, die Merisi helfen, tun das aus eigenen Motiven und sind alles andere als Beiwerk.
Manara hat aber noch eine andere Fähigkeit, die oft nur am Rande erwähnt wird: Seine Bildkompositionen, die Ausschnitte und Perspektiven und sein Spiel mit dem Schatten machen die Geschichten zu einer sehr filmischen, spannenden Tour und seine Totalen sind denen der frankobelgischen Meister ebenbürtig!
Gerade dieses Details lassen sich vorzüglich im Anhang nachvollziehen. Sowohl von Teil 1 aus 2015 als auch vom zweiten Teil aus 2018 sind mehrere Seiten im schwarzweißen Original vor der Kolorierung beigefügt. Die getuschten Zwischenschritte zeigen ohne die Farbe das, was der Künstler selbst beigetragen hat. Die Farbe mag manchmal Schwächen überdecken, sie verschleiert hier aber Stärken! Im Anhang sind dann auch noch zwei der originalen Meisterwerke und die Schritte ihrer Neukreation durch Manara zu sehen.
Die Empfehlung
Einige Werke von Milo Manara sind durchaus kritikwürdig und stehen an der Grenze zur Pornographie. Seine Verbeugung vor dem großen italienischen Künstler aus Caravaggio gehört dagegen zu den absolut lesenswerten Comic-Biografien. Manara selbst schreibt in vorangestellten fiktiven Briefen an der Porträtierten von den künstlerischen Freiheiten, die er sich genommen hat. Wer nur Fakten lesen möchte ist mit einem Lexikon sicherlich besser bedient. Wer aber eine mögliche Abfolge akzeptiert, die die Grundzüge sicherlich nicht falsch aber lesbar und spannend darstellt, ist hier richtig.
Wenn dann jemand aufgrund der tollen Aufmachung auf die Idee kommt, den einen oder anderen Band der Werkausgabe auch noch haben zu wollen, liegt sicherlich auch nicht verkehrt! Auf jeden Fall ist Band 18 ein zwar etwas untypisches Spätwerk, nichtsdestotrotz aber auch eine Zierde jedes Comicregals.
Biografien sind prinzipiell immer spannend: die beschriebenen Personen haben etwas Besonderes und taugen daher als Vorbild oder zur Abschreckung. Zudem müssen sie bekannt genug sein um potenzielle Käufer*innen anzulocken, denn der Verlag will ja schließlich auch leben. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass sich um die Person entweder Mythen ranken oder aber Skandale.
Bei Charles Chaplin ist es eine Mischung aus allem: Ein berühmter Schauspieler und Regisseur, der es irgendwann geschafft hat aus der Stummfilmzeit in die Moderne zu wechseln, mit der Figur des Tramp ein „Erfinder“ im Bereich der Comedy, als Mitbegründer der „United Artists“ ein Pionier des Autorenkinos und ein skandalumwitterter Lebemann der mehrfach Minderjährige heiraten musste um die Schwangerschaft zu legalisieren.
Bernard Swysen beschreibt den Menschen dahinter sehr liebevoll. Beginnend mit seinem Start in einfachen und immer einfacher werdenden Verhältnissen und Rückschlägen in der Theaterkarriere erzählt er das Hadern des jungen Chaplin mit seiner Heimat England und seiner traditionellen Strenge. In Amerika fand er Weite, Anerkennung und das Gefühl, dass jede*r etwas werden kann.
Swysen beschreibt aber auch die Enttäuschungen, die Charles mit seinen Frauen erlebte. Irgendwie waren seine ersten Ehefrauen immer nur hinter dem Geld, dem Glamour und der Abfindung her. Die Kritik an Chaplin, der sich immer wieder mit jungen, minderjährigen Mädchen vergnügte und damit die Grundlage für das spätere Verhalten selbst zu verantworten hatte, wird zwar erwähnt, hätte aber auch prominenter seien können. Seine übertriebene, fast schon zwanghaft Akkuratesse wird dagegen deutlich und lässt erahnen, warum er oft genug mit sadistischen und diktatorischen Zügen beschrieben worden ist.
Neben der glücklichen Zeit mit Oona, seiner wohl vierten Frau, stehen auch seine Filme und ihre Rezeption sowie die Vorwürfe im Nachkriegsamerika wegen angeblicher Zersetzung und kommunistischer Ideen im Mittelpunkt. Schließlich erklärte sein Wunschland, dass es ihn nicht mehr wolle und so wurde die Schweiz zu seinem Refugium.
Die Zeichnungen
Bruno Bazile ist in Frankreich durchaus bekannt, hat er doch unter anderem die Geschichten um Sarkozix verfasst. Da diese sich aber mit französischer Innenpolitik beschäftigen ist eine Übersetzung kaum wahrscheinlich. Aber er ist auch noch für ein paar andere Serien verantwortlich. In dieser Graphic Novel beweist er, dass er sich nicht zu verstecken braucht. Seine Zeichnungen von Chaplin und seinen Begleitern erlauben es, die Figuren altern zu sehen. Auch bekannte Schauspieler wie etwa Douglas Fairbanks und natürlich sowohl der „echte“ Chaplin als auch seine Filmfiguren sind gut getroffen.
Regelmäßige Leser*innen von comix-online wissen, dass eines meiner Qualitätskriterien die Mundpartie ist. Oft genug fällt den Künstler*innen nichts anderes ein, als immer wieder die gleiche Lippenstellung mit einer weißen Füllung zu präsentieren. Bazile bietet zwar auch noch etwas Luft nach oben hin zu einer realistischen Darstellung, ist aber sehr flexibel und trifft fast immer den richtigen Ausschnitt und Winkel!
Die Ausgabe
Ansonsten bewegt sich der Band mit seinen 70 Comic-Seiten auf klassischen frankobelgischen Pfaden. Ruhiges Layout, detaillierte Hintergründe und durch das Überformat auch visuell sehr ansprechend! Dankenswerter Weise gibt es auch noch einen Anhang mit einer Übersicht aller Filme von Charles Chaplin, übersichtlich sortiert nach Jahr und Studio und ein paar Fotos aus seinem Leben. Insofern eine runde Sache!!
Dazu passen eigentlich eher dramatische Klänge ohne Gesang, am besten mit ein wenig Knistern. Wäre mir aber ehrlich gesagt zu langweilig ohne den dazu laufenden Film. Daher also in Erinnerung an den gerade verstorbenen Toots Hibbert die Empfehlung für Toots & the Maytals mit „Reggae Got Soul“ und dazu ein Gin Tonic!
Der Verlust des alten Knudde ist ein typischer Vertreter des „Regionalen Romans“ in den Niederlanden. Im Regelfall geht es um das Leben der einfachen Leute, ihren Kampf um das tägliche Überleben und um die regionalen Besonderheiten.
Diese Geschichte erzählt von einer Familie im Brabanter Land. Der älteste Sohn hat sich dem mühsamen Landleben und seinem Vater entzogen. Der jüngere Sohn ist geistig zurückgeblieben und wird von den anderen Dorfbewohnern gemobbt! Just in dem Moment als der Vater keinen Ausweg mehr sieht und sich das Leben nimmt, kehrt der verlorene Sohn zurück. Dieser hat aber mehr Lust an Geselligkeit als an Arbeit und auch andere Bewohner sind einige dem Jenever nicht abgeneigt.
Die Familie muss im Laufe der Geschichte noch mehr Tote beklagen und die Tragik der Ereignisse steigert sich. Insofern ist die Geschichte archetypisch. Die handelnden Personen sind als Schweine dargestellt. Möge sich jeder das Bild dahinter denken. Die Zeichnungen sind schwarz-weiß, relativ düster und bedrückend. Erstmals ist die Novel 1986 in einer Sammlung von ähnlichen Geschichten quasi als Parodie erschienen.
Der Künstler
Dick Matena ist einer der „Großen“ der niederländischen Comicszene. In seiner Karriere hat er schon von Strips für Kinder und Disney-Comics bis hin zu experimentellen Werken alles gemacht. Unter dem Pseudonym A. den Dooier hat er seiner Liebe für den regionalen Streeksroman (nicht zu verwechseln mit dem deutschen „Heimatroman“) freien Lauf gelassen und einige Werke verfasst.
Die Reihe
Margreet de Heer hat in ihrer Rolle als Stripmaker des Vaderlands 2018 eine Liste mit lesenswerten holländischen Graphic Novels erstellt. Diese sollen als Beispiel für die spezielle Entwicklung von Comics in den Niederlanden stehen und als solche die gleiche Wertschätzung erfahren wie Malerei, Bildhauerei oder andere Kunstformen. Daraus ist dann die Leestekenreeks geworden in der eben diese herausragenden Comics erneut veröffentlicht und mit Materialien für den Unterricht oder die private vertiefte Auseinandersetzung angeboten werden. Dieser sogenannte Leesbrief ist auch hier enthalten. Wir drücken die Daumen für diese gute Idee!
Gerade für Leser*innen aus Deutschland sicherlich auch ein Hinweis auf die Qualität, denn eine Aufnahme in diese Reihe setzt voraus, dass es sich um ein herausragendes Werk handelt. Zudem bekommt man Informationen über Künstler und Hintergründe „gratis“ mitgeliefert. Für absolute Sprachneulinge allerdings eher nicht zu empfehlen. Ihr solltest schon gewisse Grundkenntnisse der Sprache und einen gewissen Wortschatz mitbringen.
Dazu passen ein Bessen Jenever (was denn sonst?) und moderner Country, etwa von „Little Big Town“.
Emotionen prägen diese Ausgabe und auch der dritte Teil von Harmony verspricht bereits auf dem Cover eine Menge davon. In Ago wird ein wenig aus dem Verborgenen erzählt und es wird klar, dass die Kräfte, die bei Harmony und einigen anderen Kindern auftreten, keine zufälligen Mutationen sind, sondern in Bezug zueinanderstehen. William muss seine Wut zügeln, um Leben zu retten, Tala ist noch die Ruhe selbst und die Leitung der Operation scheint wieder offen für Veränderungen zu sein. Mathieu Reynés schafft es erneut, Spannung von der ersten Seite an aufzubauen und eine einzigartige Mutantengeschichte zu erzählen. Sein Stil ist dabei viel detaillierter geworden und die Computergrafikeffekte werden zum Glück seltener eingesetzt. Moderner Actionkracher mit Mystery-Komponenten.
Die Fortsetzungen
Es dürfte allgemein bekannt sein, dass die gehobene Küche kein Platz für Sentimentalitäten bietet und der Ton oft mehr als rau ist. So schlagen die Wellen auch im Hauptgang des Dreiteilers Haute Cuisine hoch, geht es doch schließlich um verletztes Vertrauen, Neid und die Gier nach Erfolg. Trotzdem schaffen es Fanny Desmarés und Delphine Lehéricey, auch wärmere Töne in ihre Geschichte einzubauen. Luc Bradys Talent liegt eher in der Stimmung und der szenischen Abfolge der Zeichnungen, die den Fluss der Geschichte sehr gut treiben. Die Gesichter sind nicht immer ganz gelungen.
Michel Vaillant ist zwar ein Rennfahrer mit Leib und Seele, er hat aber schon lange nicht mehr am Steuer eines Formel 1 Boliden gesessen. Nun bleiben ihm nur 13 Tage, um sich darauf vorzubereiten, und Phillipe Graton und Dennis Lapière nutzen all ihre fundierte Fachkenntnis um uns Leser*innen daran teilhaben zu lassen. Alle Hobbysportler*innen können für sich selbst feststellen, was alles zu einem Top-Profi fehlt: die Einheit zwischen körperlicher und mentaler Fitness muss auf den Punkt da sein, von der fehlerfreien Beherrschung des technischen Gerätes mal abgesehen. Spannende Einblicke in das Geschehen vor dem Rennen, von Benjamin Benéteau und Vincent Dutreuil ansprechend umgesetzt. Dieser Klassiker hat den Sprung in die Moderne wahrlich geschafft!
Emotionen ganz anderer Art stehen bei den Vorkommnissen in dem kleinen Örtchen Sundance im Vordergrund: Nach dem Tod des kleinen Bennett sinnen Russell und Kirby auf Rache. Sie haben ein Ultimatum gestellt und wollen, dass der Mörder ausgeliefert wird. Die Lehrerin versucht zu erklären und steht plötzlich zwischen den beiden Männern. Jerôme Felix hat mit Der Sheriff einen Western im Stil der alten Klassiker geschaffen, Paul Gastine verleiht dem Ganzen eine lange nicht gesehene Lebendigkeit. Es bleibt dabei: dieser One-Shot ist für mich ein heißer Kandidat für den ZACK-Helden des Jahres.
Der Abschied
Die Millenium-Saga ist dagegen mit dem Ende von Versuchung vorerst wieder aus dem ZACK verschwunden. Es stehen noch einige offene Fragen im Raum: Wer steckt hinter der geheimnisvollen Organisation Sparta? Was ist die Verbindung zu den Frauenhassern? Und schließlich interessiert natürlich auch, ob Lisbeth und Mikael die fast ausweglose Situation in dem Seminargebäude überleben können. Sylvain Rumbergs Weiterführung der Geschichte um die Hackerin ist ein formidabler Thriller, der dem Original das Wasser reichen kann. Belén Ortega setzt das Ganze so krachend und düster um, dass es Spaß macht! Jetzt beginnt die Wartezeit auf den nächsten Teil.
Der (nicht minder wichtige) Rest
Natürlich wäre da ZACK nicht komplett ohne die Infos, Rezensionen und die Kurzcomics! Während Tizombi und der Vater der Sterne ja schon lange dazugehören, taucht Spaghetti erst das zweite Mal auf. Glücklicherweise gibt es aber eine Vereinbarung mit der Uitgeverij Personalia über eine langfristige Zusammenarbeit. Mehr dazu im Interview mit Seb van der Kaaden.
Die längeren Beiträge befassen sich in der 255 mit den neuen Abenteuern von Corto Maltese, dem einzigen ZACK-Helden dessen Geschichte zu Koralle-Zeiten abgebrochen worden war und dem Schloss der Tiere!
Noch ist es möglich, dass Heft draußen zu genießen. Wegen der Nachbarn empfiehlt sich daher eher leisere Musik, etwa Parallel Lines von Blondie und ein gut gekühlter, leichter Weißwein.
Hardcover XXL-Format mit Schutzumschlag und Leseband | 592 Seiten | Farbe | 150,00€
ISBN: 978-3-8365-4976-9
Das Buch
Mehr als 6 Kilogramm wiegt das XXL-Hardcover im Format 29 x 39,5 cm! Obwohl gut gebunden besteht die Gefahr, dass es bei falscher Lagerung „schief“ wird und daher kommt es in einem stabilen Karton. Auf seinen 592 Seiten zeigt es mehr als 1000 Abbildungen, davon rund 100 noch nie gesehene aus dem Familienarchiv. Neben Fotos, Verträgen und natürlich ganz vielen Panels und Seiten aus den Comics gehören dazu auch Silverprints, also handkolorierte Vorlagen für den Coverdruck. Zu dem Bildmaterial gehört auch eine vollständige Galerie aller Cover von 1933 bis 1956!
Dabei hat das Coffee-Table-Book aber nicht nur grafisch etwas zu bieten, denn auch inhaltlich ist eine so umfangreiche, komplette Verlagsgeschichte nirgendwo zu finden. Natürlich gab es gerade im englischen Sprachraum schon viele Bücher, aber eben immer nur über Ausschnitte und auch die Essays etwa in der aktuellen Wally Wood-Reihe im All Verlag oder das Dossier in der Reddition 62 sind eher als Ergänzung zu verstehen.
Einen kleinen Haken hat die Sache allerdings: Das in der ersten Auflage auf 5000 Exemplare limitierte Werk ist nur in englischer Sprache erhältlich. Trotzdem – und das sei hier bereits verraten – ist es jeden Cent seiner 150 Euro wert. Die langen Winterabende kommen schon bald, die Kneipe ist wegen Corona eh nicht zu empfehlen und schließlich steht ja auch Weihnachten fast schon vor der Tür.
Das Buch folgt strikt der zeitlichen Chronologie und reichert die Fakten mit Anekdoten, persönlichen Begebenheiten, Biografien und einer unvorstellbaren Fülle von Abbildungen an.
Der Autor
Mit Grant Geissman hat der Verlag einen international renommierten Kenner der Materie gefunden, war er doch derjenige, der mit dem vorherigen Herausgeber Russ Cochran extra einen neuen Verlag gegründet hatte um die Reihe der EC Archives fortzusetzen als Gemstone damit aufgehörte. Sein erstes Buch zu diesem Komplex war MAD gewidmet und ist bereits vor 25 Jahren erschienen, weitere folgten. Nun ist also das Opus Magnum zur ganzen Geschichte des Verlages erhältlich.
Hauptberuflich ist Geissman übrigens im 45-ten Jahr seiner Profikarriere als sehr bekannter Jazz-Musiker und war bereits mehrfach für den Emmy nominiert, etwa für Monk und Two and a half Men.
Eine tragische Vater-Sohn-Beziehung steht am Anfang
Max Gaines gründete zunächst den Verlag All American Comics, in dem Flash, Green Lantern und Wonder Woman starteten, wurde dann aber von seinen Partnern herausgekauft. Mit diesem Geld hatte Max dann 1944 EC Comics gegründet; das E stand dabei zunächst für Educational. Zwar verkauften sich die bereits bei AAC gestarteten Picture Comics of the Bible gut, der Rest der Titel aber nicht und so wurde aus dem E ein Entertaining. Als er 1946 bei einem Bootsunfall starb, wurde sein Sohn William (Bill), der gerade dabei war, sein Lehrerexamen zu machen, von der Mutter gebeten, den Verlag fortzuführen. Sein Vater hatte nie ein gutes Haar an ihm gelassen und nichts hatte ihm ferner gelegen, als in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, aber er beugte sich dem Drängen und fand langsam in seine Rolle.
Wie damals üblich sprangen Verlage auf ein gerade erfolgreich platziertes Thema und melkten die Käufer solange es ging. Den richtigen Profit machten dabei aber vor allem die Trendsetter und so kam es, dass der gerade frisch gestartete Al Feldstein seine Chef, der zugleich ein Freund war, überzeugen konnte, selbst ein Thema zu kreieren: Langsam wandelten sich die Crime und Western orientierten Titel hin zu Horror-Geschichten. Anfangs noch eine Geschichte pro Heft war bald eine ganze Gruppe von Titeln nur diesem Thema verpflichtet.
Der New Trend
The Haunt of Fear, Tales from the Crypt, The Vault of Horror starteten den New Trend. Die Geschichten hatten jeweils einen festen Erzähler: The Vault-Keeper, The Crypt-Keeper und The Old Witch. Diese waren aber nicht an bestimmte Titel gebunden und erschufen dadurch eine übergreifende Identifikation. Zu dieser Zeit stießen viele neue Mitarbeiter zu EC die alle auf ihre Art prägend und einzigartig waren: Graham Ingles, Wallace Wood (zunächst noch im Duo mit dem späteres SF-Autor Harry Harrison), Jack Davies oder Joe Orlando. Alle diese Künstler werden intensiv vorgestellt.
Das Horror-Thema wurde bereits nach kurzer Zeit durch Weird Science und Weird Fantasy und damit auf die ersten echten Science-Fiction-Themen ergänzt. In den Pulps und Radio-Hörspielen hatte es diese Themen schon länger gegeben, im Comic war das aber neu und startete erneut einen neuen Hype.
Diese Aufarbeitung von Geissman stoppt aber nicht bei all den bekannten Namen. Das besondere hier ist, dass auch Personen wie Marie Severin ihre Credits bekommen. Sie war diejenige, die den Geschichten ihre Farben gab. Waren vorher nur Freelancer am Werk, prägte sie ab 1951 tatsächlich den Stil und sorgte zugleich für einen gewissen Ausgleich, galt sie doch als das „katholische Gewissen“ des Verlages und milderte die eine oder andere Übertreibung der Boys ab.
Der wahre Horror ist die Realität: Krieg und SuspenStories
Die Fans erwarteten mehr und Gaines konnte auf sein altes Motto zurückkommen: Während bei anderen Verlagen die Zeichnung im Vordergrund steht ist es bei EC die Story. Zusammen mit Kurtzman wurden Kriegs-Comics entwickelt, kurze Zeit später von Crime SuspenStories. Diese neuen Geschichten boten vor allem ein Forum für Kommentare zur menschlichen Verfassung – Rassismus, Bigotterie, Drogen, Korruption etc. standen immer wieder Pate für die mit einem typischen EC-Ende versehenen Stories. Neben einem großen Zuspruch durch die Fans führte das aber auch zu einer geheimen FBI-Untersuchung: Kriegscomics, die nicht den Heroismus sondern den Schrecken in den Mittelpunkt stellen wurden unter dem Aspekt der feindlich gesinnten Wehrkraftzersetzung untersucht.
Die abgedruckten Bildbeispiele zeigen diesen Anspruch im Detail. Einerseits wird Kurtzmans detailbesessenes Mikromanagement deutlich, andererseits werden trotz der in den 50-er Jahren limitierten grafischen und drucktechnischen Möglichkeiten die Seitenaufbauten, das Spiel zwischen Licht und Schatten und die gewählten ausschnitte als Stilmittel erkennbar. Film Noir oder Will Eisner’s Spirit sind weitere Einflüsse.
Und dann wurde es verrückt
Wenn Horror und Science-Fiction zwar inhaltliche Marktführertitel sind, Umsätze aber zurückgehen, muss etwas Neues her. Da traf es sich gut, dass Harvey Kurtzman, immer etwas neidisch auf die Einkünfte Al Feldsteins, mehr Geld brauchte und so wurde ein comic Comic Book entwickelt, das die ganze Welt erobern sollte. Mit MAD wurden die EC-typischen Twists in das Satirische gedreht und Comics, TV und Film-Persiflagen erstellt und damit komplett neue Käufer*innenschichten erschlossen. Natürlich gab es die eine oder andere witzige oder juristische Auseinandersetzung, die jeweils hier ihre Beschreibung und Würdigung erfährt. Auch die internen Streitigkeiten, etwa um Panic, das einzig offizielle MAD-Plagiat, sind nachzulesen!
Das Ende naht – Wertham und die Folgen
Schon immer hatte es Kritik an den Themen und insbesondere den Darstellungen von Horror, Gewalt und Sexualität gegeben aber 1954 erreichte die Debatte einen Höhepunkt. Innerhalb weniger Monate hatte die Jagd, angeführt von dem Psychologen Wertham und einigen Elternverbänden zur Etablierung einer Selbstzensur der amerikanischen Comicverlage geführt und zur Aufgabe der Crime und Horror-Titel von Gaines‘ EC Comics. Es folgte die Clean, Clean Line mit Titeln wie Piracy, Psychoanalysis oder Aces High. Niemand erinnert sich an diese Titel, oder?
Die ganze Diskussion hatte allerdings auch eine positive Auswirkung, denn MAD wandelte sich vom Comic-Book in ein Magazin, änderte Format und Preis und fiel somit nicht unter den beschneidenden Comic-Code! Da alle anderen Versuche floppten blieb MAD als einziger EC-Titel übrig. Schließlich musste dann noch eine harte Entscheidung getroffen werden: Kurtzman ging und der zwischenzeitlich entlassene Feldstein übernahm das Ruder von MAD und kurz drauf tauchte Alfred E. Neumann erstmals auf dem Cover auf.
Damit begann eine weitere Erfolgsgeschichte die schließlich zu mehr als 2,5 Millionen verkauften Exemplaren führen sollte, später aber unter anderen Dächern als EC. EC inspirierte unzählige spätere Independent-Aktivist*innen und auch dieses ist in diesem Prachtband beschrieben und dokumentiert!
Must Have
Der Kauftipp dieses Jahres im Bereich der Comic-Sekundärliteratur! Kein Verlag hat Comics für Erwachsene (im positiven Sinn) so geprägt wie der EC-Verlag und noch heute sind Horror und Science-Fiction-Fans von der Qualität überzeugt. Gleichzeitig hat MAD Maßstäbe gesetzt und ganze Generationen von Komikern und Comedians weltweit beeinflusst. Schließlich hat sich EC – vor allem auch in den Kriegs-Comics – nie auf blinden Patriotismus und falsche Heldenverehrung verlassen, sondern gesellschaftlich relevante Themen wie Rassismus und Drogenkonsum angesprochen.
Die Zusammenstellung all dieser Fakten mit der unglaublichen Fülle von Bildmaterial durch Grant Geissman wird der Qualität und Einzigartigkeit des EC-Verlages gerecht, allerdings ohne dabei in Lobhudelei zu verfallen. Geissman ist ein intimer Kenner und Experte, aber kein Fanboy! Trotzdem ist kein einziger Satz dieses Mammutwerkes überflüssig oder gar langweilig. Die Abbildungen sind in Sekundärtiteln oft eher gut gemeint als wirklich hilfreich: Details lassen sich mit der Lupe gerade noch erkennen. Das XXL-Format erlaubt Bildgrößen, die Details wiedergeben, grafische Entwicklungen klar werden lassen oder aber eine ganze Geschichte auf zwei Doppelseiten (lesbar!) zu platzieren. Alleine schon deswegen ein Must-Have für alle, die ein bisschen mehr über Comics wissen wollen!
Keine Musikempfehlung könnte tatsächlich für das ganze Werk reichen. Immerhin ein ganzes Stück würdet ihr mit dem Konzertmitschnitt von Tay Mahal & Keb‘ Mo‘ Band kommen (Jazz San Siver 2017). Der Genuss von einem Mackmyra Vinterglöd könnte ebenfalls helfen!
GCT 2020 zum Vierten – persönliche weitere Empfehlungen ohne „Rubrik“
Nun steht der Gratis Comic Tag 2020 also wirklich kurz vor der Tür! Comix-online hat bereits einige der diesjährigen Gratishefte vorgestellt: Western, von deutschsprachigen Künstler*innen und für Kids. Es gibt aber noch so viel mehr, dass eine letzte kleine subjektive Liste folgen soll. Dieser Liste werden keine Comics fernöstlicher Stilrichtungen angehören; Nicht, dass mir nicht der eine oder andere Titel durchaus gefallen würde, ich traue mir selbst schlichtweg nicht zu, auch nur halbwegs eine Einordnung hinzubekommen und so würde ich über ein „Das gefällt mir“ nicht hinauskommen. Ich gelobe Besserung.
Alle Infos zum GCT, insbesondere eine Suchmaschine für Aktionen in eurer Nähe und alle Titel findet ihr auf der offiziellen Seite.
Die Rückkehr aufs Land
Jean-Yves Ferri und Manu Larcenet haben ein (mittlerweile) dreibändiges Meisterwerk verfasst, das durch Corona eine ungeahnte Aktualität erfahren hat. Viele Großstädter haben sich während des Lockdowns überlegt, dass eine Kleinstadt doch auch Vorteile hätte: Die Konkurrenz um das Klopapier ist geringer, der Garten bietet mehr Auslauf als der Etagenbalkon und die Fahrten zur Arbeitsstelle fallen schließlich bei Homeoffice weg. Die Rückkehr aufs Land beschreibt in kurzen Episoden alle Tücken, die jetzt eben gefehlt haben und lässt das Knollenmännchen, mehr noch aber seine unerschütterliche Frau Prüfungen bestehen, die teilweise nur mit Kartons zu bewältigen sind. Sehr liebevolle Halbseiter die auf Deutsch bei Reprodukt erschienen sind.
Roald Dahl reloaded
Hexen hexen ist ein Kinderbuchklassiker des bereits 1990 verstorbenen Autoren Roald Dahl. Er erscheint immer wieder in neuen Fassungen und ist in der von Pénélope Bagieu Teil des Reprodukt-Beitrages zum GCT 2020. Oma muss als Ablenkung Geschichten erzählen, um von der Trauer abzulenken und Geschichten über Hexen eignen sich dazu besonders, denn schließlich gibt es ja keine, oder doch? Liebevolle Geschichte, die aber für sehr zartbesaitete nicht ganz geeignet ist. Bagieus Zeichnungen sind kantig, nicht einfach und schon gar nicht weichgespült. Trotzdem oder viel eher gerade deswegen kann man als Leser*in aber glauben, dass Sorgen ernst genommen werden und findet möglicherweise die gewünschte Ablenkung.
Klassische und urbane Sagen
Klassiker zuerst: Unter dem Label „Mythen der Antike“ werden klassische Stoffe neu aufbereitet und geraten dadurch vielleicht wieder in den Blickwinkel der jungen Generation. Falls nicht, finden sich wenigstens ältere Leser*innen, die die Geschichten nur wiederauffrischen wollen. Als Beispiel findet sich der komplette erste Teil (von drei) der Ilias im Programm. Clotilde Bruneau hat den Text aufbereitet, Pierre Taranzano hat das Ganze in schöne Bilder gepackt. Klassische frankobelgische Schule (allerdings mit teilweise computergenerierten Hintergründen) aus dem Hause Splitter.
Die Entstehungsgeschichte der Teenage Mutant Ninja Turtles behandelt dagegen moderne urbane Mythen. Im klassischen Schwarz-Weiß müssen die mutierten Schildkröten ihren bis dato größten Kampf gegen Ninjas durchstehen. Mehr von Eastman und Laird’s Epen bei Dani Books. Als Zugabe präsentiert dieses Heft ein paar Entwürfe und Illustrationen und lohnt sich schon deswegen!
Fantastisches London
Viktorianisches England, Crime and Suspense, Fantastische Begebenheiten und eine unerschrockene Heldin sind die Ingredienzien dieser Serie von Thierry Gloris und Jacques Lamontagne aus dem Splitter-Verlag. Pik-As ist eine fantastische Detektei die Fälle im Grenzbereich übernimmt. Die sehr detaillierten Zeichnungen bieten das Böse, das Unglückliche aber auch das Schöne ungeschminkt dar und platzieren das Ganze vor ungemein detaillierten Hintergründen. Ein Fest für die Augen! Das Heft enthält den kompletten ersten Band Die Parapsychologin und könnte dafür sorgen, dass gleich sieben Titel auf der Einkaufsliste landen.
Horror von Alan Moore
Cinema Purgatorio ist eine Reihe von ineinander verwobenen Geschichten, die dem Kopf Alan Moores entsprungen sind. Teilweise zeichnet er selbst für das Szenario verantwortlich, teilweise hat er diese Aufgabe anderen überlassen. Im Original sind insgesamt 5 verschiedene Geschichten Teil dieses Universums. In jedem der insgesamt 18 Hefte der Serie ist jeweils ein Kapitel erschienen. Die auf Deutsch beim Dantes Verlag erscheinenden Ausgaben widmen sich aber jeweils nur einer Storyline. Drei erste Kapitel werden hier vorgestellt. Schwarz-weiß Horror (nur) für Erwachsene.
Und sonst
Daneben gibt es noch viele weitere Titel und jede*r von euch sollte einen eigenen Blick auf das große Angebot werfen. Eine Nichtaufnahme hier ist kein Indiz für einen schlechten Comic, sondern viel eher limitierten Zeitbudgets geschuldet!
Nutzt das Event um mal wieder in einen Comic-Shop, einen Schauraum, eine teilnehmende Buchhandlung oder einen anderen Ort zu gehen und nehmt nicht nur Hefte mit, sondern schaut euch um und besucht die Stätte eures Vertrauens auch danach wieder.
Die geschenkten Hefte lassen sich dann überall genießen, vorzugsweise mit einer an den verschwindenden Sommer erinnernden Limonade und einer Playlist mit College Punk.