Jahresrückblick 2021

Immer noch Corona, meine persönlichen Favoriten und gute Wünsche

Wer hätte das gedacht? Die Pandemie hat uns auch das ganze letzte Jahr in Atem gehalten: Lockdown, Beschränkungen für Kulturveranstaltungen, Verlagerung des Einkaufsverhaltens von lokalen Läden hin zu Online- und Versandhändler*innen. Natürlich wird das Auswirkungen auf die Comic-Branche haben. So finden wir zunächst im Independent-Bereich, etwa dem ZEBRA, bereits Auseinandersetzungen mit den Folgen. Da wird sicherlich noch mehr kommen. Ausstellungen sind weniger geworden oder sie waren zu mindestens schlechter besucht. Auch ich war während des Jahres daher leider nur im MoCa in Noordwijk  und im Jan Kruis-Museum in Orvelte.

Die Digitalisierung ist allerdings weiter fortgeschritten. Immer mehr Verlage bieten auch elektronische Ausgaben an. Für mich persönlich ist das allerdings nichts. So gerne ich elektronische Medien und Tools auch nutze, graphische Literatur lese ich immer noch am liebsten auf Papier, freue mich an der Haptik (wenn der Comic entsprechend dargeboten wird) und am Anblick einer Reihe im Regal.

Nachdem meine Winterpause jetzt vorbei ist wünsche ich uns allen für das kommende Jahr, dass mehr Normalität zurückkehrt. Dafür ist es allerdings wichtig, dass alle, denen es möglich ist, sich impfen lassen!

R.I.P.

Wie immer sind wieder viel zu viele Comic-Schaffende gestorben. Ein paar davon sollen hier eine letzte Erwähnung finden: Marcel Uderzo, Jean Graton, Benôit Sokal, Nikita Mandryka, Raoul Cauvin, Dieter Kalenbach und Gérald Forton.

Die besten Comics in 2021

Auch dieses Jahr wieder präsentiere ich hier meine Favoriten: subjektiv, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und unabhängig von Verlagsbemusterungen. Dem letzten Jahr folgend gibt es wieder die gleichen Kategorien: Alben, Graphic Novels, Gesamtausgaben, Sekundärwerke und Zeitschriften. Ein Sonderpreis geht an das „Comeback des Jahres“. Natürlich darf auch die Liste der meistgeklickten Beiträge des Jahres nicht fehlen. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle Leser*innen: Die Zugriffszahlen sind um rund 20% gegenüber 2020 gestiegen!

Album des Jahres

Der beste Comic des Jahres kommt für mich aus Deutschland: Ralf König hat sich einen Jugendhelden vorgenommen und ihm nicht nur Brustwarzen verpasst, sondern auch eine sehr liebevolle Hommage verfasst: Zarter Schmelz übernimmt alle klassischen Elemente von Lucky Luke, twisted aber das gesamte Setting. Seine schwulen, knollennasigen Cowboys, die lila Kühe und Calamity Jane sind so großartig, dass sie zurecht den Mainstream erobert haben.

Cover König Zarter Schmelz
© Lucky Comics 2021 – All Rights reserved by Ralf König/Egmont Ehapa Media

Eine ganz andere Interpretation des „Wilden Westens“ kommt von Jean Dufaux und Rubén Pellejero. Ihr Regenwolf stellt eine Frau als Hauptakteurin in den Mittelpunkt einer Rachegeschichte. Blanche McDell steht im Schnittpunkt von Liebesgeschichten, Mythologie, Rassismus und Männlichkeitswahn. Obwohl die Vermischung dieser Themen in eine langweilige Political Correctness-Definition abgleiten könnte, ist den Autoren hier eine perfekte, spannende Geschichte ohne erhobenen Zeigefinger mit toller visueller Umsetzung gelungen.

Auffällig in diesem Jahr ist die Anzahl der Western unter den Top 5: Nur Mademoiselle J. von Yves Sente und Laurent Verron konnte sich auf Platz 3 dazwischenschieben. Die ursprünglich als Nebenfigur in einem Spirou-OneShot eingeführte wissbegierige junge Dame hat nun ihre eigene Reihe und bringt Zeitgeschichte in dem typischen, leicht modernisierten Marcinelle-Stil an ihre Leser*innen. Sie atmet gleichzeitig den Charme der 30-er Jahre als auch den des Aufbruchs in eine gleichberechtigtere Welt!

Einer meiner Lieblingszeichner ist Patrick Prugne. Obwohl er sich durchaus auch schon anderen Themen zugewandt hat, sind seine Geschichten aus dem westlichen Amerika/Kanada am besten. In Tomahawk erzählt auch er die Geschichte einer „Rache“, allerdings eingebettet in viel Natur und die spannende Vorgeschichte zu einem erbarmungslosen Krieg. Fast jedes Panel könnte gerahmt an einer Wand hängen!

Platz 5 geht an eine überlange Geschichte, die einen Helden einer Serie nach sehr langer Zeit gealtert und vollkommen verändert zurückbringt: Wenn der Tiger erwacht erzählt die Geschichte von Chinaman, seiner Posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund der Schrecken des Sezessionskrieges und die Annäherung zwischen ihm und seinem Sohn. Serge Le Tendre und Olivier TaDuc sind nach fast 15 Jahren zu ihrer einstigen Erfolgsserie zurückgekehrt, haben alle Elemente übernommen aber sehr konsequent weitergeführt. So ist eine eigenständige Geschichte daraus geworden, die für sich alleine stehen könnte, aus ihrer „Vergangenheit“ aber noch mehr gewinnt.

Die besten Graphic Novels in 2021

Wie auch bei den Comics war es ein gutes Jahr für Graphic Novels. Die Platzierungen:

Ohne jeden Zweifel geht der erste Rang an Die Bestie von Zidrou und Frank Pé. Ihre Interpretation des Marsupilamis ist so faszinierend anders, dass eigentlich jede*r einen Blick hineinwerfen sollte. Einerseits ist die Story „erwachsen“ geworden: ein verängstigtes, wildes Tier kommt mit einem Schiff als Ware für den Zoo nach Brüssel. Es kann nichts anderes tun, als seiner Natur zu folgen, und sich zu befreien. Dazu passt die langsam wachsende, auf Vertrauen beruhende Beziehung zu einem kleinen Jungen, der seinerseits Ausgestoßener ist. Die Zeichnungen von Pé sind – wie immer – allesamt kleine Kunstwerke!

Zidrou/Frank Pé – Die Bestie 1 Cover

Platz 2 geht an Das Susan-Problem aus der Neil-Gaiman-Bibliothek. P. Craig Russel und Paul Chadwick haben Kurzgeschichten von Gaiman für das Medium Comic aufbereitet und zusammen mit Scott Hampton gezeichnet. Sie beweisen nicht nur, dass Stoffe von Gaiman wie auch die von Ray Bradbury perfekte Startpunkte für Comic-Kleinode sein können, sondern auch, dass sogar literaturtheoretische Abhandlungen so umgesetzt werden können. Der Preis geht aber auch an die Übersetzung und die vielen editorischen Hinweise für Nicht-Engländer*innen!

Beate und Serge Klarsfeld sind die Nazijäger! Was mit einer Ohrfeige begann, endete mit der erst durch die Beiden möglichen gerichtlichen Verurteilung von vielen Nazi-Kriegsverbrechern. Die spannende Geschichte, die Rückschläge aber auch die unermüdliche Aufopferung im Kampf für Gerechtigkeit und dadurch erst mögliche Freiheit schildern Pascal Bresson und Sylvain Dorange!

Platz 4 geht an die in diesem Jahr beendete Gesamtausgabe von Omaha, eine erotische Soap-Opera, die weit weg ist von jedem Schmuddelfaktor! Kate Worley (und nach ihrem Tod Jack Vance für den Abschluss der Serie) hat eine Geschichte im Schnittpunkt von Korruption, Machtmissbrauch, gesellschaftlicher Veränderung und Beziehungsproblemen geschrieben, die auch die Freuden des Sex nicht auslässt. Reed Waller, anfangs noch ihr Ehemann, später von ihr geschieden, hat das Ganze im Furry-Stil graphisch umgesetzt und damit einen der Klassiker des Independent-Comic gezeichnet. Auch heute noch lesenswert!

Der Reigen wäre nicht vollständig ohne die Kinder der Resistance! Auch hier ist die Geschichte an sich nicht neu, die Veröffentlichung in Deutschland ließ aber auf sich warten. Es gab im vergangenen Jahr einige Geschichten über die Resistance, das Schicksal von Kindern unter der deutschen Besatzung und die zaghaften, teils gescheiterten, teils erfolgreichen Versuche der Gegenwehr. Dazu zählen etwa die Bände von Émile Bravo oder Kris/Bailly. Die Kinder der Resistance von Vincent Dugomir und Benoît Ers beschreiben die anfängliche Naivität und Emotionalität und die Entwicklung hin zu wirklichem Widerstand aber auch wirklicher Gefahr für die Handelnden.

Die besten Gesamtausgaben in 2021

Trara! Platz 1 im Bereich der Gesamtausgaben geht an Caroline Baldwin! Schreiber & Leser fährt dabei zweigleisig: Einerseits erscheinen die bereits früher auf Deutsch veröffentlichten Geschichten (1 bis 16) in vier Sammelbänden von denen 3 bereits erschienen sind, andererseits veröffentlichen die Hamburger die bisher nicht erhältlichen Bände 17 bis 19 in Einzelbänden. Für das kommende Jahr sind dann noch Specials geplant! Die Heldin der in einer modernen Klaren Linie gezeichneten Geschichten von André Taymans ist tough, hat ein Alkoholproblem, ein selbstbestimmtes Sexualleben und ist HIV positiv. Das hält sie aber nicht davon ab, auf der ganzen Welt zu ermitteln und immer auf der Seite der Schwachen zu stehen. Zum Serienkompass.

Cover Caroline Baldwin Integrale 1

Platz 2 geht an Jerry Spring. Der „Vater des europäischen Westerncomics“ war vor Jahren fast komplett in einer schwarz-weißen Integralausgabe erschienen. Nun hat der All-Verlag die erste farbige komplette Ausgabe gestartet, die nicht nur alle von Jijé gezeichneten Geschichten beinhalten wird, sondern auch den letzten Band von Festin und Franz, der in 2021 erstmals auf Deutsch im ZACK erschienen ist. Ohne Jerry Spring hätte es vermutlich weder Blueberry noch Comanche gegeben.

421 ist eine Serie über einen Geheimagenten  von Stephen Desberg und Eric Maltaite. Der Held ist aber nicht nur von James Bond beeinflusst, sondern übernimmt auch Elemente von Indiana Jones und schreckt sogar vor Zeitreisethematiken nicht zurück. Erstaunlicherweise hat diese klassische Geschichte aus dem Spirou-Magazin in der Vergangenheit keinen Weg nach Deutschland gefunden. Das Integral präsentiert daher deutsche Erstveröffentlichungen: Platz 3!

Platz 4 teilen sich gleich drei Integrale von klassischen ZACK-Serien. Die Collector’s Edition von Greg/Hermanns Comanche war ein Meilenstein der jetzt in Sammelbänden angeboten wird. Édouard Aidans und Yves Duval haben mit Sven Janssen einen Abenteurer kreiert, der die ökologischen Aspekte in den Vordergrund stellt und bereits früh kolonialistische Missstände und Hunger in Beziehung gesetzt hat. Ebenfalls besonders ist, dass er alles zusammen mit Frau und kleinem Kind erlebt. Schließlich kommt auch die Collector‘s Edition von Michel Vaillant von Jean und Phillippe Graton erstmalig auf den deutschen Markt. Alle Kurzgeschichten und ungekürzten Geschichten in 20 Hardcovern mit einheitlichem Rückendesign und vielen editoriellen Notizen.

Die besten Sekundärwerke in 2021

Dieses Jahr haben es drei Werke über längst verstorbene Künstler in die Top 3 geschafft.

Das beste Werk ist mit Sicherheit der als Ausstellungskatalog entstandene aber auch perfekt solo zu genießende Band von Dr. Alexander Braun über Will Eisner. Graphic Novel Godfather führt ein in das Werk des amerikanischen Ausnahmekünstlers und beschreibt die Innovationen des Spirit sowie die Gebrauchsorientiertheit seiner Sachcomics die schließlich dazu geführt haben, dass Eisner zum Godfather der modernen Graphic Novel geworden ist. Viele Bildbeispiele  belegen den leicht verständlichen, flüssig geschriebenen und extrem informativen Text. Wenn alle Sekundärliteratur so gut lesbar wäre gäbe es nur noch Expert*innen!

Cover Braun - Will Eisner Graphic Novel Godfather

Platz 2 geht an die Fleißarbeit des Bremers Kai Stellmann und Science Fiction Pop Art Nick. Die im Selbstverlag erschiene Untersuchung ist nie fertig: Mit jeder neuen Auflage kommen Details hinzu. Stellmann belegt für alle Nick-Geschichten aus der Feder von Hansrudi Wäscher welche Quellen und Inspirationen eingeflossen sind und welche Absichten Wäscher damit verbunden haben könnte. Besser kann der Einblick in einen Entstehungsprozess nicht sein.

Platz drei geht erstmals an ein nicht gedrucktes Medium! Nun ja, es gibt eine kleine Begleitbroschüre, der Gewinner ist aber ein Film: Katzenjammer Kauderwelsch von Martina Fluck! Sie dreht die Annäherung eines Comic-Zeichners aus Heide – Tim Eckhorst – an die großen Söhne der Stadt, Rudolph und Gus Dirks, die in den USA Karriere gemacht haben. Katzenjammer Kids lief schlussendlich bis 2006 und ist einer der ganz großen Zeitungsstrips. 85 lohnende Minuten auf DVD!

Die besten Zeitschriften in 2021

Überraschenderweise heißt der Seriensieger bei Zeitschriften wieder ZACK! Das Magazin feiert in 2022 das Erscheinen der ersten Ausgabe von vor 50 Jahren und profitiert nach dem Verlagswechsel zu Blattgold davon, dass Verleger und Chefredakteur Georg F. W. Tempel nun frei schalten kann. Mit Blechschildern und Pins sowie einer neuen Albenreihe nur für Abonnent*innen expandiert der Kosmos. ZACK bringt sowohl erneuerte Klassiker wie Rick Master, Michel Vaillant oder Tanguy & Laverdue wie auch hochklassige europäische Comic-Kunst wie Amoras, Rani oder Millenium Saga! Die bei euch am häufigsten angeklickte Rezension war im Übrigen die Nummer 264.

Cover ZACK 267

Platz zwei geht an ein immer noch innovatives Medium aus den Niederlanden: StripGlossy präsentiert viermal im Jahr eine Mischung aus Sekundärliteratur, Interviews und aktuellen Comics mit und über Comicschaffende aus dem niederländisch/flämischen Raum! Definitiv das Highlight des Jahres war die Doppelnummer 21/22 über Suske en Wiske die sogar in eine zweite Auflage gehen musste!

Die Reddition ist wohl die bekannteste und anerkannteste Sekundärzeitschrift Deutschlands. Zweimal im Jahr erscheint eine Nummer, die sich tiefschürfend mit einem Thema beschäftigt. Durch die gewählte Breite der Artikel kann das gewählte Gebiet oder der Künstler im Fokus vielseitig beleuchtet werden. 2021 ging es um Tillieux und Comics und Musik (Rezension folgt).

Comeback des Jahres

Wie immer an dieser Stelle eine lobende Erwähnung eines – oft unerwarteten – Comebacks einer Serie oder eines Einzeltitels. Dieses Jahr fällt die Wahl schwer und daher sind es dieses Jahr zwei ganz unterschiedliche Gewinner, die es zu feiern gilt: Einerseits hat der Taschen Verlag gerade mit der Marvel Comics Library ein neues Projekt gestartet, das Meilensteine in einem XL-Format wieder zugänglich macht. Band 1 Spider –Man 1962 – 1964 ist gerade erschienen (und mittlerweile auch besprochen). Neben einer informativen Einführung präsentiert der limitiert Prachtband den unvergesslichen Run von Stan Lee und Steve Ditko über den wohl untypischten Superhelden aller Zeiten! Noch nie habe ich Spider-Man in diesem Format genießen können!

Cover Spider-Man Vol. 1

Andererseits hat Georg F. W. Tempel damit begonnen, bisher unentdeckte Perlen der ZACK-Geschichte aufzubereiten. Johnny Focus von Attilio Micheluzzi ist so eine! Vier schwarz-weiße Stories über den Reporter sind in Der Weg nach Mombasa bereits erschienen, eine weiter kommt in der diesjährigen Aprilausgabe des ZACK. Durch die fehlende Kolorierung sind die Fähigkeiten des Zeichners unverfälscht sichtbar. Erstaunlich, dass es noch so vieles von dieser Serie auf Deutsch zu entdecken gäbe.

Cover Johnny Focus - ZACK Spezial 2

Eure Lieblinge in 2021

Die Spitzengruppe der meistgeklickten Beiträge ist sehr dicht beieinander: Der Gewinner ist der Serienkompass zu Rani, dicht gefolgt von Caroline Baldwin Band 1 und dem dazugehörigen Serienkompass!

Dahinter kommt eine ebenfalls dicht gedrängte Gruppe, angeführt von Johnny Focus: Serienkompass Bruno  Brazil, Lucky Luke 99 und das Programm des All-Verlages.

Will Eisner von Alexander Braun, die Berichte über Asterix 39 und über den Abschluss der Michel Vaillant Reihe im MOSAIK-Verlag komplettieren die Top 10.

comix-online Reporter
Immer für euch unterwegs

Was bleibt?

Auch dieses Mal verbleibe ich mit den besten Wünschen für ein tolles, erfolgreiches und von Gesundheit geprägtes Jahr! Stay safe and healthy! Ich freue mich über eure Kommentare.

© aller Abbildungen bei den jeweiligen Verlagen und Künstler*innen wie in den Linkzielen genannt.

Töpke/Prinsler – Zombies

… in der Grossen Hoffnung

Story:  Renatus Töpke
Zeichnungen: 
Roland Prinsler

Originalausgabe

Epsilon Verlag

Hardcover | 96 Seiten | Farbe | 20,00 € | 
ISBN: 978-3-86693-235-7

Zombies in der Grossen Hoffnung Cover

Lange war es still um den kleinen Verlag aus dem hohen Norden, doch nun lässt Mark Fischer wieder von sich hören. Mit dem neuen Band platziert sich Epsilon im Independent-Sektor und bringt Horror aus deutschen Landen.

Vier Loser gegen den Rest der Welt

Auf den ersten Blick wirkt der Untertitel etwas irritierend, steht er doch in direktem Zusammenhang mit einer Reihe von 6 Köpfen. Im Laufe der Geschichte wird dann klar, dass aus ursprünglich 4 Freunden eine größere Schicksalsgemeinschaft wird. Die jugendlichen Protagonisten machen eigentlich nichts. Sie chillen, überfallen Frauen und verticken Drogen für einen Möchtegerngangster.

An diesem Tag jedoch ist alles anders, denn aus dem Nichts tauchen erst ein, dann viele, dann gaaaanz viele Zombies auf und den Helden bleibt nichts anderes übrig, als in ihr Hochhaus, die Grosse Hoffnung, zu flüchten. Dort kommt es zu unerwarteten Allianzen und vielen Scharmützeln mit den lebenden Toten. Renatus Töpke wollte nach eigener Aussage einen sehr rasanten Comic schreiben, der Leser*innen durch die Handlung treibt. Im Ansatz ist ihm das auch gelungen, einige Logikbrüche sind aber nicht zu übersehen.

Zombies in der Grossen Hoffnung page 2/3

Zombies auf dem Weg der Vernichtung

Roland Prinsler versucht, in einer Mischung aus Abstraktion und Realismus zu zeichnen. Das passt auch zu dem Tempo, das hier angeschlagen wird. Auch die grundsätzliche grau-weiße Umsetzung mit roter Schmuckfarbe wirkt. Die Mundpartien sehen allerdings leider aus wie in einem schlechten Zeichentrickfilm der 70-er Jahre: Rechteck mit Zahnreihe.

Zombies in der Grossen Hoffnung page 7

Trotzdem wirkt das Ganze wie ein überdrehter, ultraschneller Trip, also dem Horror-Thema durchaus angemessen und wird seine Fans finden.

Fazit

Ich frage mich, ob ein anderes Format vielleicht besser gewesen wäre. Ein großformatiges Hardcover – übrigens handwerklich super gemacht – lässt die passende Stimmung nicht wirklich aufkommen. Ein zweidrittel so großes Heft wäre vielleicht stimmiger gewesen. Sollte Epsilon diesem Weg weiter folgen, wäre das eine Überlegung wert! Ansonsten ist es natürlich schön, alte Bekannte wiederzusehen! Von hier aus also ein „viel Glück“ nach Nordhastedt!

Dazu passen Musik von Knorkator und ein Energy Drink Eurer Wahl.

© der Abbildungen 2021 by Renatus Töpke und Roland Prinsler / Epsilon Verlag Mark O. Fischer

Museum of Comic Art

Das neue niederländische Comic-Museum

Adresse: Bomstraat 11, 2202 GH Noordwijk

Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag 12 – 17 Uhr geöffnet

Eintritt: 7,50 €

MoCA Noordwijk 5

Die Niederlande haben seit 2020 wieder ein Comic-Museum. Der Vorgänger in Groningen hatte vor einigen Jahren schließen müssen und mit der Story-World eine Art Nachfolger gefunden. Dieses nennt sich Dutch museum for comics, animation and games. Daneben gibt es jetzt das Museum of Comic Art in Noordwijk aan Zee.

Perfekte Lage

Das MoCA liegt perfekt am strandseitigen Ende der Fußgängerzone des Nordseebades und befindet sich in einem zweistöckigen ehemaligen Kaufhaus. Gegründet wurde es von drei Comic-Enthusiasten die aufgrund der guten Resonanz der Comic-Schau während der Space-Expo 2018 den Versuch einer dauerhaften Installation gewagt haben. Sie haben den Anspruch, pro Jahr zwei verschiedene Ausstellungen zu präsentieren. Das MoCA hat daneben noch eine große Bibliothek mit Ausgaben europäischer Klassiker zum gemütlichen Verweilen und einen kleinen Kinosaal. Daneben bietet das es auch eine staatliche Sammlung an Sekundärwerken über Comics.

MoCA Noordwijk 1

European Masters of Comic Art

Die aktuelle, erste Ausstellung ist siebzig Künstler*innen der Neunten Kunst aus Europa gewidmet. Dabei stehen vier Länder im besonderen Blickpunkt: die Niederlande selbst natürlich, Belgien, Frankreich und Italien. Aber auch die anderen Länder wie UK und Deutschland sind vertreten. Gezeigt wird jeweils ein Original und dazu die kolorierte gedruckte Version.

Bei den Masters dürfen Namen wie Hergé, Franquin oder Giraud nicht fehlen. Die Sammlung bleibt aber nicht bei der ersten Garde stehen, sondern präsentiert auch (vor allem hier in Deutschland) unbekanntere Zeichner*innen mit ihren Werken. Dabei wird einerseits deutlich, wie breit das Spektrum reicht, denn die Klare Linie und die Marcinelle-Schule sind genauso vertreten wie hyperrealistische Sachen oder Independent.

MoCA Noordwijk 2

Damit gelingt es der Ausstellung, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Tourist*innen werden von den 7,50€ nicht abgeschreckt und können neben dem tollen Strand einen ersten Überblick gewinnen, Fans werden durch die detaillierten Beschreibungen im Katalog mit ihrer eigenen reichen Comickultur vertrauter gemacht (und da der Katalog nicht nur niederländischen Text enthält sondern auch jeweils eine englische Zusammenfassung ist er auch international nutzbar). Als Beilage gibt es ein von Daan Jippes speziell für das MoCA gezeichnetes und signiertes ExLibris.

Zum Abschluss darf ein Selfie mit den Galliern nicht fehlen!

MoCA Noordwijk 4

Einen kleinen Wermutstropfen habe ich allerdings doch noch gefunden: Nun haben die Niederlande schon eine Striptekenaar des Vaderlands, Margreet de Heer, die als Botschafterin für diese Kunstform arbeitet. Und doch findet diese Position und ihre Inhaberin keine Erwähnung in diesem Museum…

Der Museumsshop

Ja, es gibt auch einen Museumsshop, und was für einen. Die Ausstellung endet im ersten Stock und der Weg zurück in das Freie führt durch den Ableger von Fantasia. Dieser hat nicht nur das übliche Programm, sondern auch einen eigene Albenreihe und vor allem Originale und Kleinstauflagen von Hermann. Auch sind regelmäßige Signierveranstaltungen geplant.

Der obere Teil des Ladens ist fast nur Kunstdrucken gewidmet und lädt dazu ein, das genaue Betrachten der ausgestellten Exemplare auf die hier angebotenen Schätze auszudehnen. Und auch hier gibt es die ganze Breite europäischer Comickunst!

Im Erdgeschoß sind Standard- und Luxus-Ausgaben sowie Figuren zu erwerben und könnten ein erhebliches Loch in die Urlaubskasse reißen.

© der Abbildungen 2020 MoCA und die jeweiligen Künstler*innen; Fotos Sven Krantz-Knutzen

Krapp – Der Krieg der Welten

von H. G. Wells

Story: Thilo Krapp nach H. G. Wells
Zeichnungen: Thilo Krapp

Originaltitel: La Guerre des mondes

Carlsen Verlag
Softcover | 136 Seiten | Farbe | 18 €
ISBN: 978-3-551-78169-7

Cover Krapp Krieg der Welten

Der Krieg der Welten von Herbert George Wells ist eine der wenigen Science-Fiction-Stories, die fast jede*r kennt. Sie spielt 1898, das technische Verständnis der Menschen war noch gering und auch das Equipment. Eineinhalb Generation später verängstigte ein Namensvetter des Autors, Orson Welles, eine ganze Nation an den Radiogeräten mit einer Hörspielfassung. Dazu kommen unzählige andere Adaptionen.

Der Horror aus dem All

Heutzutage fliegen von Menschenhand gemachte kleine Flugmaschinen auf dem Mars herum, begleitet von einem autonomen Fahrzeug. Vor 130 Jahren war die Vorstellung noch eine ganz andere. Wie selbstverständlich ging man davon aus, dass der Mars von Wesen bewohnt sein könnte. Nicht von Mikroben, sondern von intelligenten Wesen, fähig zur Raumfahrt und somit den Erdenwesen weit überlegen.

Detail aus Krapp Krieg der Welten 1

Das ist die Grundidee dieser Geschichte: Raketen vom Mars landen auf der Erde und haben Wesen an Bord die der Erdbevölkerung gegenüber feindlich eingestellt sind. Eine Verständigung scheint nicht möglich und die Maschinen verbreiten Tod und Zerstörung. Der Protagonist wird Zeuge der ersten Landung, sieht seinen Freund sterben und bringt seine Frau in vermeintliche Sicherheit.

Inmitten der Zerstörung findet er immer wieder Begleiter*innen und wird Zeuge aller möglichen Strategien von Flucht über das Verstecken bis zum Gegenangriff. Das Ganze wird natürlich dadurch verschärft, dass der Verkehr im Wesentlichen mit Pferden als Zugtieren auskommen muss, elektronische Kommunikation nicht vorhanden ist und auch die Waffentechnologie in den Kinderschuhen steckt.

Detail aus Krapp Krieg der Welten 2

Zeitgetreue Umsetzung

Thilo Krapp hat jahrelang an diesem Werk gearbeitet und sich viel Mühe gegeben, die Stimmung der Zeit, Kleidung und Architektur in sich aufzunehmen. Dadurch ist er in der Lage, das auch wieder abzuspulen und eine glaubwürdige Umsetzung anzubieten. Und vor allem stimmen nicht nur das menschliche Dekors, auch die Maschinen der Außerirdischen sind zwar den Menschen unendlich überlegen, aber eben auch dem damaligen Vorstellungsvermögen entsprechend ausgestattet. Sie haben sichtbare Gelenke und Tentakeln gleichende Greifarme.

Detail aus Krapp Krieg der Welten 3

Dadurch wirkt es auch glaubwürdig, dass teilweise tatsächlich eine Kampfeinheit zerstört werden kann. Eine Popcornkino-artige Hightech-Waffe der Außerirdischen würde in diesem Setting nur albern wirken. Krapp konzentriert sich aber sowieso nicht so sehr auf die Gewalt, die mehr als Rahmenbedingung geschildert wird. Ihm geht es um die Darstellung der Emotionen: Angst, Verzweiflung aber eben auch Sorge und Mitgefühl.

Gelungene Graphic Novel!

Wegen der zeitangemessenen Darstellung und der werkgetreuen Interpretation inklusive der Konzentration auf die inneren Konflikte eine glatte 1. Die Stimmung lässt sich nachempfinden, die englische Landschaft lädt dazu ein, am Horizont die Gefahr dräuen zu sehen und die Figuren sind glaubwürdig!

Im Anhang gibt es noch ein paar Skizzen und Vorzeichnungen für die Fans des in Berlin lebenden Künstlers! Tipp für die Freund*innen der klassischen „Phantastischen Literatur“, der gut erzählten Geschichte und des Englands von vor 130 Jahren.

Detail aus Krapp Krieg der Welten 4

Dazu passt natürlich am Besten eine ganz andere Interpretation des „War of the Worlds“, nämlich die von Jeff Wayne. Und ein kleines Gläschen Port.

© der Abbildungen Jungle! 2020, Carlsen Verlag GmbH 2021

König – Lucky Luke Hommage 5

Zarter Schmelz

Story: Ralf König
Zeichnungen: Ralf König

Originalausgabe

Egmont Ehapa Media
Hardcover | 64 Seiten | Farbe | 16 € erschienen
ISBN: 978-3-7704-0500-8

Softcover | 64 Seiten | Farbe | 8,99 € ab dem 8. Juli

Cover König Zarter Schmelz
© Lucky Comics 2021 – All Rights reserved by Ralf König/Egmont Ehapa Media

Der Cowboy, der schneller schießt als sein Schatten, wird in diesem Jahr 75 Jahre alt. Früher gab es zu einem solchen Anlass häufig Bände, in denen alle möglichen Zeichner*innen ihre Interpretation auf ein oder zwei Seiten abgeliefert haben. Heute ist das oft ein ganzes Abenteuer, in diesem Fall sogar ein überlanges. Ralf König hat seine rund 40-jährige Karriere in der schwulen Subkultur begonnen, schnell aber auch Erfolge im Mainstream-Sektor (etwa Der bewegte Mann oder zuletzt Vervirte Zeiten) erzielt. Mehr dazu im O-Ton. Diese Reihe beweist die Vielseitigkeit der doch schon älteren Figur.

Lucky Luke by Ralf König

Steckrüben und lila Kühe – der etwas andere Western

Ein Teil eines Pärchens, Bud, erzählt die Geschichte wie er eines Tages in Straight Gulch Lucky Luke vor dem Jobcenter getroffen hat. Der bekannte Cowboy übernimmt dort die Aufgabe einer Gruppe von Schweizer Milchkühen eine Art von Wellness-Aufenthalt zu verschaffen. Die Milch der Kühe soll nämlich zur Herstellung von Schokoladen-Trüffel verwendet werden und die Kühe müssen dafür von der stressigen Überfahrt regenerieren.

Detail Ralf König - Lucky Luke Hommage 5 page 1
© Lucky Comics 2021 – All Rights reserved by Ralf König/Egmont Ehapa Media

Der vor der Tür wartende Mann ist leicht als einer der typischen König Charaktere zu erkennen: Bartwuchs, Knollennase und seitlicher Mund sowie Chaps. Es stellt sich heraus, dass der Typ auf seine Affäre, Terence, wartet. Beide hatten sich bei einem Schafhütejob miteinander vergnügt, dann aber doch nicht getraut. König verweist dabei sehr geschickt auf E. Annie Proulx bzw. die noch bekanntere Verfilmung und spielt sehr offensiv mit Vorurteilen indem er etwa die Klassifizierung als Steckrübe übernimmt.

Daneben schafft er es aber auch noch, bekannten Nebenfiguren der Serie eine queere Identität zu verpassen. Nie haben wir bisher Calamity Jane oder Averell mit diesen Augen gesehen. Sehr spaßige Geschichte mit vielen Verweisen auf andere Geschichten und – wie auch Ralf sagen würde – endlich mit Brustwarzen!

Detail Ralf König - Lucky Luke Hommage 5 page 3
© Lucky Comics 2021 – All Rights reserved by Ralf König/Egmont Ehapa Media

Ein Feierwerk zum Geburtstag!

Der Stil von Ralf König ist oft ein wenig reduziert und ohne Hintergrund. Diese Hommage folgt aber vom Prinzip dem klassischen frankobelgischen Comic-Strip: Viele Panels in braven vier Reihen mit Rahmen und kompletter Kolorierung. Auch wenn die Figuren alle in typischer König-Manier gezeichnet sind, sind sie selbst für den gelegentlichsten Leser als Lucky Luke oder die Daltons zu erkennen und auch das Setting ist sozusagen ein mit Plüsch ausgelegter Morris.

Man merkt dem Comic von Anfang bis Ende die Hochachtung an, die der Künstler für die Serie empfindet, aber auch die Punkte, die er bisher vermisst hat und nun in seinem Beitrag zu den Feierlichkeiten nachreicht.

Detail Ralf König - Lucky Luke Hommage 5 page 34
© Lucky Comics 2021 – All Rights reserved by Ralf König/Egmont Ehapa Media

Und noch ein Detail stimmt: Wie immer gibt es ein Originalfoto mit den Helden des jeweiligen Abenteuers!

Die bisher fehlende Sichtweise

Ja, es gibt mit Sicherheit eine ganze Menge Puristen, die dieser Hommage nichts abgewinnen können. Was aber ist die Aufgabe einer Hommage? Meiner Meinung nach die erkennbare Wertschätzung von etwas Existierendem mit eigenen Stilmitteln und das ist Ralf König nahezu perfekt gelungen. Jede*r Leser*in wird sofort das Geburtstagskind Lucky Luke erkennen. Er selbst und die ihn begleitenden Figuren Calamity Jane oder die Daltons sind etwas überspitzt aber sehr treffend wiedergegeben. Gleichzeitig wird jeder Fan von Ralf König die Knollennasen, den seitlichen Mund und vor allem natürlich die liebevoll dargestellte Homosexualität wiedererkennen.

König - Bud und Terry

Weder wurde der Klassiker verbogen noch hat der Künstler sich verstellen müssen und dann macht es beim Lesen auch noch verdammt viel Spaß, mehr geht nicht! Ein brillantes Feierwerk das in keiner Lucky Luke Sammlung fehlen sollte und vielleicht ein paar König-Fans dazu bringt, den Cowboy zu lesen bzw. natürlich andersherum den ganzen König zu entdecken. Wie immer gibt es neben der Kiosk-Ausgabe auch wieder ein Hardcover im Buchhandel.

Leser*innen in Frankreich werden übrigens noch bis zum Herbst auf die Choco-Boys warten müssen.

Dazu passen eine heiße Schokolade und die Gay City Rollers!

© der Abbildungen Lucky Comics 2021 – All Rights reserved by Ralf König/Egmont Ehapa Media

Bresson/Dorange – Beate und Serge Klarsfeld

Die Nazijäger

Story: Pascal Bresson
Zeichnungen: Sylvain Dorange

Originaltitel: BEATE ET SERGE KLARSFELD – UN COMBAT CONTRE L’OUBLI

Carlsen Verlag
Hardcover | 208 Seiten | Farbe | 28,00 €
ISBN: 978-03-551-79347-8

Bresson/Dorange - Beate und Serge Klarsfeld Cover

Graphic Novel wirklich zu definieren ist nicht einfach. Einige sagen, dass jede sequentiell erzählte Geschichte außerhalb eines regelmäßig wiederkehrenden starren Schemas wie etwa bei Superheld*innen bereits eine sei. Für andere gehört ein wie auch immer zu bestimmender „Anspruch“ dazu oder aber eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Vielleicht war die Bezeichnung vor allem ein Marketinginstrument, um in die Buchhandlugen zu kommen. Egal, Beate & Serge Klarsfeld ist unter allen Definitionen eine Graphic Novel und eine lesenswerte noch dazu!

Wie wird man zum „Nazijäger“?

Serge Klarsfeld ist ein Überlebender, sein Vater, französischer Jude, hat Birkenau nicht mehr lebend verlassen. Aus dieser Geschichte heraus empfindet Serge die Auseinandersetzung mit der jüngeren, von Nazideutschland geprägten Vergangenheit als seine Pflicht. Beate war als sie Serge kennen und lieben lernte eine deutsche Studentin in Paris. Auch sie beschäftigte sich mit der Deutschen Vergangenheit und erlangte erste Berühmtheit für die Ohrfeige, mit der sie den damaligen Bundeskanzler und Altnazi Kiesinger öffentlich getroffen hatte.

Die Ohrfeige von Beate Klarsfeld

Anhand der Vorbereitung auf die Gerichtsverhandlung für diese Tat wird in Rückblicken erzählt, wie es dazu gekommen war. Dabei wird viel auf die hingerichtete Sophie Scholl und ihre Mitstreiter*innen verwiesen. Wir alle, das heißt jede*r Einzelne ist aufgerufen, etwas zu tun. In dem Prozess gelingt es ihrem Anwalt Horst Mahler aufgrund ihrer doppelten Staatsbürgerschaft eine schnelle Verurteilung zu verhindern und 1969 löst tatsächlich der wegen der Nazis ins Exil gegangene Willi BrandtKurt Georg Kiesinger als Bundeskanzler ab.

Aber es gibt noch mehr Naziverbrecher die, obwohl namentlich bekannt und sogar teilweise verurteilt, nahezu unbehelligt leben. Das Ehepaar Klarsfeld konzentriert sich zunächst auf einige Deutsche mit höchsten Posten im besetzten Frankreich: Kurt Lischka, Klaus Barbie und endet in den Mühlen der Justiz. Die Linke Klarsfeld ist den Deutschen ferner als die verdienten Beamten. So wird Serge tatsächlich Anwalt, um selbst in die Prozesse eingreifen zu können.

Ausschnitt Beate und Serge Klarsfeld

Tatsächlich erzielen die Beiden einige Erfolge vor Gericht doch der größte Verbrecher auf ihrer Liste, Klaus Barbie, lebt weiterhin unbehelligt in Lateinamerika, ja, ist den dortigen rechten Regimen sogar behilflich. Die Geschichte um seine offizielle Identifizierung und schlussendliche Überstellung an Frankreich nimmt den größten Teil des Buches ein.

Die Graphic Novel ist die Biographie eines politischen Ehepaares; Familie und Freunde gibt es auch, sie spielen aber keine so große Rolle. Die Gefühle der Mutter und ihre Fragen an sich selbst, ob das richtig war, vervollständigen das Bild, denn niemand ist ohne Selbstzweifel! Pascal Bresson hat die Geschichte nachvollziehbar in ein Szenario übertragen und zudem eine spannende Erzählung daraus gemacht.

Seine Motivation erklärt er in einem Interview wie folgt: „Ich interessiere mich leidenschaftlich für Geschichte, vor allem für den Holocaust. Seit ich 15 war, verfolge ich die Spuren der Klarsfelds. In den 70ern wurde viel über sie berichtet. Für mich waren sie moderne Helden. Nach dem Krieg gab es keine Aufarbeitung, die meisten Jugendlichen, die ich bei meinen vielen Konferenzen treffe, kennen Simone Veil kaum, die Klarsfelds erst recht nicht.

Der Beginn Beate und Serge Klarsfeld

Das Artwork

Dem Band sind netterweise Fotos aus den Alben der Familie Klarsfeld beigegeben so dass Leser*innen einen guten Eindruck bekommen und die Echtheit nachvollziehen können. Während Serge zwar verfremdet aber erkennbar ist, ist Beate meiner Ansicht nach ein wenig misslungen. Sie wirkt wie eine sehr strenge, fast schon verbissene Frau – was sein mag. Die übertriebene Hakennase ist aber zuviel.

Was Sylvain Dorange sehr gut gelingt ist dagegen das Zeitkolorit: Die bedrückenden 50-er Jahre, die Furcht auf den Straßen unter den Diktatoren, die muffigen deutschen Reaktionen auf die Ohrfeige, als das stimmungsvolle Ambiente ist nahezu perfekt umgesetzt.

Die Bilder sind eher grundsätzlich in Brauntönen gehalten, die Panels zwar nicht umrandet aber doch scharf abgegrenzt. Die Seiten sind formal streng aufgebaut: Drei Reihen mit je zwei bis drei Panels. Teilweise wird davon abgewichen, dann ist das aber auch ein Stilmittel das Geschwindigkeit oder Spannung variiert.

Ausschnitt Beate und Serge Klarsfeld

Die Empfehlung

Das Buch präsentiert aus Opfersicht die Notwendigkeit, Verbrechen aufzuklären. Es geht nicht um Rache, sehr wohl aber um die Anerkennung der Schuld und der gesellschaftlichen Ächtung der Taten. Deutschland, die Westalliierten und die als sogenanntes Bollwerk gegen den Kommunismus etablierten Diktaturen waren dazu ohne Hilfe von außen nicht fähig und diese Hilfe kam von Leuten wie den Klarsfelds! Die Aufbereitung ihres Kampfes gegen die Unmenschlichkeit ist eine gute Ergänzung zu den aktuellen Feierlichkeiten und Erinnerungen an den 100. Geburtstag von Sophie Scholl, beweist sie doch, dass nicht alles 1945 ein Ende gefunden hatte!

Für alle, die politische Biografien mögen, sich mit Nachkriegsgeschichte auseinandersetzen wollen oder auch einfach nur gerne über starke Frauen lesen eine Empfehlung!

Ja, was passt dazu? Ein starker Kaffee auf jeden Fall und ein bisschen Musik von dem Juristen und Liedermacher Franz Josef Degenhardt.

© der Abbildungen 2020 Pascal Bresson, Sylvain Dorange, La Boîte à Bulles, © der deutschen Ausgabe Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2021

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