Schon seit Jahren werden die Krimi- und
Thriller-Bestsellerlisten auch von Autor*innen aus deutschen Landen angeführt.
Im Comicbereich waren dagegen eher andere Themenbereiche mit Künstler*innen aus
Deutschland assoziiert. Mit dem Band die
spinne von Mikolajczak und Möller ändert sich das gewaltig!
Der Inhalt
Amerika im Jahre 1972: Kerle sind noch Kerle, Autos groß und blubbernd und LGTB, Selbstverwirklichung oder auch nur Toleranz unbekannte Worte ohne Bedeutung.
Die junge Amber hat die Kleinstadt Tinkerville im Streit verlassen und kehrt zurück. Allerdings kommt sie nicht allein, sondern mit ihrem Freund, der nicht nur als Fremder sofort abgelehnt wird. Da er eine dunkle Hautfarbe besitzt, lernt er sofort alle Feinheiten des kleinbürgerlichen Rassismus kennen und bezahlt mit seinem Leben.
Amber hingegen glaubt, dass er nur abgereist wäre und bezieht eine kleine Wohnung im Haus des Kriegsveteranen Jimmy. Dieser hat ein besonderes Verhältnis zu jungen Frauen, beobachtet sie durch Löcher in den Wänden und entspricht schon sehr schnell dem Muster eines Psychopathen. Eigentlich weiß der ganze Ort von all den verschwundenen Frauen, niemand erzählt es aber rechtzeitig genug für Amber.
Besonders beeindruckend sind zwei Narrative: Zunächst
schafft es MichaelMikolajczak sehr glaubwürdig den typischen
local Cop zu beschreiben: eigentlich obrigkeitshörig, regelorientiert und konservativ,
andererseits aber auch bemüht, „Freunden“ zu helfen und im richtigen Moment
wegzuschauen. Die andere sehr gelungene, durch ihre Widerkehr Struktur schaffende
Situation ist der Barbier. Die Situation der Rasur scheint in den USA eine hier
nur schwer zu verstehende Kommunikationszentrale darzustellen, in der über Leib
und Leben entschieden wird.
Der Autor hat bei Kult schon einige Graphic Novels
veröffentlicht!
Das Artwork
Andreas Möller lehrt Kunstdidaktik an der Hochschule der Bildenden Künste Saar. Er hat zwar schon Illustrationen für einen Tatort angefertigt und einen eher dem Horrorgenre zugehörigen Comic illustriert, ist aber eher noch neu im Geschäft. Die spinne im reinen schwarz-weiß veröffentlicht bringt seine Zeichnungen sehr gut zur Geltung. Die Körper sind anatomisch korrekt und dynamisch in ihren Bewegungen. Die Gesichter (aber auch die Körperhaltungen) deuten an, dass das Leben der meisten Akteure bisher kein Zuckerschlecken war.
Der Horror des Alltags aber auch der der Gefahr finden sich in den Figuren aber auch im Seitenaufbau wieder. Während oft rechte Winkel das Layout beherrschen, geraten auch die Begrenzungen in Schieflage, wenn es brenzlig wird! Auch der Wechsel zwischen Schwarz auf Weiß hin zu den bedrohlichen schwarzen Hintergründen gelingt perfekt und treibt die Geschichte genauso stark wie der Text.
Die Empfehlung
Kult Comics fördert schon seit längerem auch den Deutschen Comic. Gerade die spinne zeigt, wie richtig das ist, denn diese Graphic Novel braucht den Vergleich mit internationalen Werken nicht zu scheuen! Unbedingte Kaufempfehlung mit Spannung und unerwarteten Twists! Es gibt im Übrigen auch eine limitierte Vorzugsausgabe mit signiertem Exlibris!
Wie beschreibt man das Unbegreifbare? Und wie macht man
deutlich, dass ein eigentlich fast schon banales Arbeitstreffen mit
anschließendem Frühstück das Todesurteil für Millionen von Menschen besiegelt
hat?
Der Bretone Fabrice Le Hénanff versucht mit seiner Graphic Novel Wannsee genau das! In einer bürgerlichen Villa in Berlin-Wannsee kommen am 20. Januar 1942 fünfzehn hochrangige Vertreter des Nazi-Regimes unter Leitung von Adolf Eichmann zusammen um die Endlösung der Judenfrage zu diskutieren. Das Treffen ist auf maximal zwei Stunden ausgelegt und gut vorbereitet. Um der Nachwelt keine Informationen zu liefern wird das stenographische Protokoll sofort im Anschluss vernichtet und auch die später ausgegebenen Protokolle sollten nach der Besprechung mit den jeweiligen Vorgesetzten eigentlich vernichtet werden. Ein Protokoll aber überlebt und so wissen wir heute von dieser Konferenz.
Es wurden noch weitere Vorkehrungen getroffen um das zu planende
Grauen handhabbar zu machen. In feinster Orwellscher Manier wird nur von
Evakuierungen und Sonderkommandos gesprochen, nicht aber von Exekutionen.
Trotzdem geht es um eine Plankapazität von bis zu 60.000 Juden pro Tag in den
Vernichtungskammern. Die Begründung ist denkbar einfach: Munition ist knapp,
Massenerschießungen belasten die Ausführenden zu stark emotional, und
schließlich lassen sich damit auch nicht genügend große Zahlen „evakuieren“.
Die Beteiligten an dieser Konferenz sind zum größten Teil Juristen; nicht verwunderlich also, dass es auch darum geht, wie man diese Planungen rechtlich umsetzen und vereinfachen kann, etwa wenn es um die Behandlung von „Mischlingen“ geht oder um Ehen zwischen Ariern und Nicht-Volljuden. Die Abstraktionsfähigkeit der Teilnehmer führte später dazu, dass sie teilweise als Mitläufer mit nur leichter Belastung eingestuft worden sind. Deutsche Justiz in den ersten Jahren nach ´45 war nicht immer ein Ruhmesblatt um es mal höflich auszudrücken.
Die Umsetzung
Le Hénanff hält
sich nicht sklavisch an die im Protokoll überlieferten Abläufe und Inhalte, er
ergänzt etwa eine Beschreibung des Massakers von Babi Yar um das Grauen
greifbarer zu machen. Er ergänzt die Beschreibung der Konferenz auch um
Biographien der Teilnehmer. Hier führt er nicht nur auf, was die Männer vor der
Konferenz getan haben, sondern auch danach und eben auch, wie die Zeit bis zu
ihrem Tod verlaufen ist. Ihm kommt dabei zugute, dass er sich schon in früheren
Werken intensiv mit dem Zweiten Weltkrieg auseinandergesetzt hat.
Die Grundfarbe der Bilder ist ein Sepiaton. Dadurch wirkt
alles alt und dokumentarisch, obwohl es natürlich eine Fiktion ist. Bilder
erstrecken sich dabei manchmal über mehrere Panele einer oder sogar mehrerer
Reihen und ermöglichen dadurch ein Innehalten in einer Situation, die mehr Text
bedarf oder mehr Bedeutung hat. Durch das teilweise eingesetzte leichte Rot auf
den Gesichtern wirken die Personen einerseits wie gut genährte Schweinchen
(während die Bevölkerung in einen Hungerwinter geht) andererseits manchmal wie
verpickelt und mit Eiterbeulen überseht. Dadurch wird quasi eine maximale
Distanz zwischen Künstler und dargestellten Personen geschaffen.
In einer Sub-Story treffen Mäuse in eben jenem Gebäude auf eine hungrige Katze. Es sei dahingestellt, ob es sich dabei um eine Hommage an Art Spiegelmann handelt oder eine um Allegorie. Sie entspricht auf jeden Fall der gnadenlosen Umsetzung des Plans der Vernichtung des europäischen (und später weltweiten) Judentums mit deutscher Gründlichkeit und effizienter, industrieller Planung.
Zu der Hardcover-Ausgabe im Knesebeck-Verlag gehören auch
ein Vor- und ein Nachwort, Literaturangaben und Quellenverweise, die eine
Einordnung des Tages in die zeitliche Historie und die Geschichte des Holocaust
ermöglichen, trotzdem aber die singuläre Bedeutung dieser Konferenz
herausstreichen. Ein wichtiger Titel, der einigen nicht gefallen wird und eine
Mahnung an alle, niemandem zu vertrauen, der von Vogelschiss redet.
Dazu passen ein schwarzer Tee und „Zog nit keyn mol az du geyst dem letsn veg“ von Hirsch
Glik.
Charles Darwin
dürfte dem Namen nach jedem bekannt sein; seine fast fünfjährige Reise auf der HMS Beagle erlaubte ihm, unzählige Artefakte
zu sammeln, Theorien zu entwickeln und diente als Basis für sein
wissenschaftliches Werk, das die Naturwissenschaften revolutionierte und ihn in
scharfen Gegensatz zu der damaligen Auffassung brachte. Über diese Reise gibt
es bereits viele Bücher, nicht zuletzt von Darwin
selbst aber auch vom Kapitän der Beagle Fitz
Roy. Nun liegt eine Graphic Novel aus dem Knesebeck-Verlag vor, die diese Reise beschreibt.
Der Hintergrund
Darwin war ein etwas kränklicher junger Mann und so war die erste Hürde, die zu nehmen war, das Einverständnis des Arztes der Familie. Seereisen waren damals, wir schreiben das Jahr 1831, noch etwas anderes: ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Die Überfahrt war gefährlich, Kommunikation nur möglich, wenn man ein anderes Schiff traf oder während des Aufenthaltes in einem Hafen und es gab genügend Hinweise auf Kannibalen und feindlich gesinnte Bewohner unbekannter Landstriche.
Zudem waren die Schiffe der damaligen Zeit zwar durchaus
seetauglich, Luxus wie auf einer heute so beliebten Kreuzfahrt war aber nicht
zu erwarten. Der Kapitän der HMS Beagle,
der auf der zweiten Fahrt dieses Schiffes die Küste Südamerikas kartographieren
sollte, wünschte sich Gesellschaft durch einen gebildeten Gefährten während der
Fahrt und so kam es, dass der junge Darwin
eingeladen worden war. Da es keine Smartphones mit Kamera gab war auch ein
Maler mit an Bord um die Eindrücke festzuhalten. Die erwünschte Konversation
muss allerdings sehr beschränkt gewesen sein, Darwin litt nicht unerheblich an Seekrankheit.
Er entwickelte aber schnell ein großes Interesse an
Naturforschung und Geografie und stellte bereits auf dem ersten Stopp auf den
Kapverden fest, dass die Erde wohl nicht erst 6000 Jahre alt ist – so die
damalige theologisch begründete Annahme, sondern wesentlich älter. Die Erde
schien sich entwickelt zu haben (Blasphemie 1) und das Antlitz ihrer Oberfläche
schien aus verschiedenen Schichten aufgebaut zu sein.
Ein weiterer Punkt, in dem der junge Forscher einen totalen Gegensatz zur damals herrschenden Meinung einnahm, war die Frage der Sklaverei. Er empfand durchaus, dass alle Menschen gleich sein und die postulierte Minderqualität nicht aus dem Menschen selbst heraus zu begründen war. Die Zivilisation sei es, die die Menschen und ihre kulturelle Entwicklung geprägt hätte und dort gäbe es tatsächlich Unterschiede. Natürlich glaubte der Engländer an die Superiorität seiner Kultur und empfand durchaus eurozentristisch und paternalistisch, zweifelte aber an der Gottgegebenheit dieser Situation (Blasphemie 2).
Auf seinen weiteren Stationen dieser fast fünf Jahre
andauernden Reise entdeckte er Skelette von Fossilien und entwickelte
schließlich aufgrund der Tatsache, dass sich auf den einzelnen Galapagos Inseln
unterschiedliche Ausprägungen zum Beispiel von Finken finden ließen, die Theorie,
dass sie sich aus einem gemeinsamen Ursprung entwickelt hätten (Blasphemie 3). Diese Theorie sollte später sein
Hauptwerk werden unter dem Namen Der
Ursprung der Arten, der Begründung der modernen Evolutionstheorie!
Die Umsetzung
Grolleau und Royer haben sich in ihrer Umsetzung
dagegen entschieden, alle Details haarklein nachzuerzählen. Sie wollen etwas
vereinfachen, ja sogar romantisieren, wie sie in ihrem Vorwort gestehen. Ihnen
kommt es nicht darauf an, jede Entdeckung, jeden Landgang und jede Idee
wiederzugeben, sie wollen die Linie und die Entwicklung aufzeigen die vom
jungen, idealistischen Träumer hin zu dem genauen Wissenschaftler verläuft. Dadurch
gelingt es ihnen zu zeigen, wie sich einzelne Begebenheiten und Funde quasi wie
Puzzlesteine mühsam zu einem Größeren zusammenfinden und erst langsam die
Grundlage für die Theorie bilden. Noch einmal zurück in die damalige Zeit:
Fundstücke mussten katalogisiert werden, verpackt und dann nach England
verschifft werden. Sie waren teilweise Jahre vor dem Forscher in der englischen
Heimat und hatten bereits eine Diskussion angeregt, die von Darwin selbst gar nicht zu beeinflussen
war.
Zudem waren auch die Kategorien gar nicht bekannt und entwickelten sich erst im Laufe der Zeit, zum Beispiel die Wichtigkeit der geographischen Bezeichnung der Fundorte. Wenn alle Arten gleichzeitig von Gott geschaffen worden waren, war es nicht so wichtig, ihren Fundort zu beschreiben. Erst dann, wenn man von separaten Entwicklungen ausgeht, macht der Fundort überhaupt Sinn! Diese Weiterentwicklung in der wissenschaftlichen Herangehensweise wird durch die beiden Kreativen quasi nebenbei erläutert und das ist auch schon ein Hinweis auf ihre Leistung: Wissenschaft und vor allem die langsame Theoriebildung und ihre Verifikation werden perfekt und spannend beschrieben und erwecken Verständnis für die Leistung aber auch Neugier und möglicherweise den Spaß an eigenen Versuchen.
Die Graphic Novel lässt sich daher vielschichtig lesen: Sie
ist zu erst einmal eine spannende biographische Bilderzählung einer
fünfjährigen Reise und insofern fast wie ein Roman von Jules Verne, nur in echt. Sie ist die Beschreibung der Entwicklung
einer revolutionären Theorie, die unsere Welt nachhaltig geändert hat (auch
wenn es immer noch eine Vielzahl von Menschen gibt, die glauben, dass die Bibel
und ihre Genesis wörtlich zu nehmen ist). Und sie ist die behutsame
Heranführung an Wissenschaft und ihre Anforderungen.
Die Zeichnungen
Mir wurde auf keiner einzigen der 170 Seiten langweilig – der Stil ist so abwechslungsreich und wechselt zwischen Nahaufnahmen der Gesichter, der Situationen oder Tierdarstellungen und weiten Landschaften hin und her. Dabei ist das Gesicht Darwins den Bildern der damaligen Zeit so gut nachempfunden, dass man ihn sofort wiedererkennt, seine Entwicklung über die beschriebene Zeit aber auch sehen kann. Aus dem offenen, etwas ängstlichen jungen Mann wird einer, der weiß, was er zu tun haben wird um seine gesammelten Eindrücke zusammenzufügen.
Auch die Härte der Seefahrt, die Schrecken der Sklaverei und
die Beschreibung der südamerikanischen Lebensverhältnisse sind gut und vor
allem nachvollziehbar getroffen. Dazu gibt es immer wieder grandiose Bilder wie
etwa das als Titelbild genutzte Panel oder die Sammlung der Käfer die in ihrer
Weite und Detailtiefe die emotionale Beteiligung des/der Leser*in geradezu
erzwingen. Trotz aller Details vereinfachen die Bilder genug um nicht vom
Wesentlichen abzulenken und sind daher besser geeignet als Fotos es wären.
Die Ausgabe
Der Knesebeck-Verlag
veröffentlicht seit geraumer Zeit Graphic Novels. Viele davon sind aus der
Schnittmenge von Zeitgeschichte und Biografie und alle setzen den Willen der
Konsument*innen voraus, sich auf das Thema einlassen zu müssen. Das kurze Vergnügen
mit anschließendem Vergessen ist nicht gewollt, eher schon die Basis für eine
tiefere Auseinandersetzung. So laden die Werke auch alle dazu ein, sie mehr als
einmal zu lesen.
Das Buch kommt als Hardcover mit festem Papier. Obwohl sehr glatt, glänzt es nicht und reflektiert daher auch nicht störend. Der Buchhändler würde es etwas altertümlich als wohlfeil beschreiben… Durch die strukturierenden Kapiteleinleitungen mit einem Kartenausschnitt wird die Leser*in geführt und der Überblick gewährleistet.
Uneingeschränkte Empfehlung für alle, die nicht nur die
schnelle Ablenkung suchen, sondern eine Bildgeschichte gerne auch wiederholt in
die Hand nehmen und als Ausgangspunkt für eigene Überlegungen nutzen wollen!
Dazu passen Joe
Jackson mit Big World und Mate jeglicher Geschmacksrichtung.
Schwarwel ist dem
einen oder der anderen frühen Leser*in von comix-online noch aus den Zeiten von
EEE (Extrem Erfolgreich Enterprises) und
als Mastermind des Schweinevogels bekannt.
Mittlerweile hat er sich hauptsächlich auf das Zeichnen von Karikaturen verlegt,
die unter anderem über Facebook für jede*n frei verfügbar sind und arbeitet bei
„Glücklicher Montag“ unter anderem an
Trickfilmen.
Gevatter ist Schwarwels erstes Comicprojekt seit einigen Jahren; der erste Teil ist gerade sowohl in einer regulären Ausgabe als auch als Variant mit einem Titelbild von Sascha Wüstefeld (Das UpGrade) erschienen. Die Hefte 2 – 5 sollen in kurzen Abständen folgen.
Der Inhalt
Die Graphic Novel wird von der FUNUS Stiftung herausgegeben die sich für einen unverkrampften Umgang mit dem Tod einsetzt. Jeder Mensch muss früher oder später sterben und mehr man sich im Vorfeld damit auseinandergesetzt hat, desto besser kann man damit umgehen. So veranstaltet die Stiftung z. B. das Leipziger Endlichkeitsfest „Die Stadt der Sterblichen“ vom 6. bis 29. September mit. Sie unterstützt aber auch Publikationen, die sich mit dem Tod beschäftigen und somit auch den Gevatter.
Schwarwel hat eine
sehr persönliche Geschichte geschrieben: Tim, der in seinem Heranwachsen gezeigt
wird, ist das Alter Ego des Autors. Es beginnt mit einem verzweifelten Anruf:
der „Held“ dieser Story steht kurz davor, sich das Leben zu nehmen, ruft aber
noch einmal einen Freund an, dem er damals in einer ähnlichen Situation
geholfen hatte. Nun also muss der Freund das Gleiche tun…
In Rückblicken wird dann die Geschichte des kleinen jungen erzählt, der wie alle Kinder immer wieder mit dem Tod konfrontiert wird. Sei es die alte Frau, der verletzte Igel oder die potentiell tödliche Krankheit. Keinem Kind können diese Situationen erspart werden. Es bleibt aber zu hoffen, dass nicht alle Kinder mit ihren Fragen alleine gelassen werden…
Im weiteren Verlauf der Serie werden noch weitere
persönliche Erlebnisse des Künstlers thematisiert werden: Alkohol,
Depressionen, Sucht und Verzweiflung. Es gehört unheimlich viel Mut dazu, sein
Innerstes so offen zu legen, sich angreifbar zu machen und die Deckung zu
verlassen.
Gerade dieser Mut ermöglicht es aber auch, die im Anhang abgedruckten
Adressen zur Hilfe bei Depressionen, schweren Krankheiten oder Trauerbegleitung
nicht als Werbung zu verstehen sondern als Angebot von jemand, der weiß, wovon
er spricht.
Genau diese Tiefe und der Wille zum Diskurs kommen auch aus
den Interviews mit Schwarwel selbst, Sascha Wüsterfeld und Frank Pasic, dem Vorsitzenden von FUNUS
zum Ausdruck.
Die Umsetzung
Die Graphic Novel erscheint in schwarz-weiß und damit in dem einzig passenden Rahmen. Farbe würde die Details überdecken und auch eine falsche Stimmung repräsentieren. Die Seiten folgen im Prinzip dem 3×3-Aufbau, sind aber flexibel und erlauben somit ein Zusammenfassen oder aber auch ein Verteilen des Motivs auf mehrere Panels.
Der Horror im Gesicht des jungen Tim, die Verzweiflung und
Hoffnung im Gesicht des älteren brauchen keine Worte zur Unterstützung sondern
erklären das gesamte Setting aus sich heraus. Machtverhältnisse, Schrecken und
Rückzugsräume sind deutlich zu erkennen und erlauben eine fast filmische
Rezeption.
Der faire Preis, die Gestaltung mit festem Einband und das
Variantcover von jeweils unterschiedlichen Künstler*innen sollten ebenfalls
dazu beitragen, dass die Geschichte über den Tod und den Umgang damit ihre
Käufer*innen findet! Für mich definitiv
ein Kandidat für die Top 5 des Jahres!
Dazu passen A place to
bury strangers und ein Rotwein.
In der Reihe „Klassiker
des Monats“ werden Titel oder Serien vorgestellt, die es nicht verdient
haben, dem Vergessen anheim zu fallen.
In diesem Monat stelle ich einen Text vor, der schon zu
seinem Erscheinen 1994 ein „Klassiker“ war, handelte es sich doch um ein
Gedicht aus dem Jahre 1928. Das Gedicht über Queenie, die Blonde inspirierte
nach eigener Aussage William Burroughs,
den Beat-Poeten, überhaupt erst dazu, selbst zu schreiben. Es handelt von einer
Varietedame, ihrem Liebhaber, dem gewalttätigen Clown Burrs, und einer wilden
Party.
Art Spiegelman, Schöpfer der Holocaust Graphic Novel Maus und Herausgeber des Underground/Independent Comic-Magazins RAW schuf dazu Illustrationen und gab das Werk 1994 bei Pantheon Books, New York neu heraus. Im engeren Sinne handelt es sich also nicht um einen Comic, sondern um illustrierte Lyrik. Tatsächlich ist aber das Zusammenspiel des Textes und der Zeichnungen so eng, dass es graphische Literatur geworden ist.
Mitte der 90-er Jahre hatten Gebrauchsliteratur-Verlage in
Deutschland plötzlich den Comic für sich entdeckt, der damals noch nicht als Graphic
Novel gehypt wurde. Insbesondere die amerikanische Independent-Szene hatte es auch
dem Feuilleton angetan und so erschien das sehr freizügige Gedicht als
wunderschönes kleines Bändchen mit Samtvorsatz und Schutzumschlag.
Die Story
Joseph Moncure March war nicht nur Dichter, sondern auch Journalist, Filmemacher und Drehbuchautor. Seine Liebe für den Jazz, die wilde, treibende neue Musik, die die Säfte zum Kochen brachte und anstelle von reinen Gefühlen die animalischen Triebe in den Vordergrund stellte, bestimmte das Tempo und den Rhythmus seiner Geschichte um das wilde Fest! Von den ersten beiden Zeilen an „Queenie war blond, ohne Alter so eine | Schmiß zweimal pro Tag beim Vaudeville die Beine.“ ist dem Leser klar, dass hier keine Liebesgeschichte erzählt werden wird (obwohl eine enthalten ist).
Die Tänzerin lebt mit ihrem Liebhaber Burrs in einem
heruntergekommenen Apartment und verbringt ihre Zeit mit Auftritten, Sex und Alkohol.
Nach einem Konflikt mit Burrs, der wider Erwarten gewaltlos endet, beschließen
die Beiden, eine Party zu veranstalten. Zu diesem Fest kommen die
unterschiedlichsten Paradiesvögel, schnell entwickeln sich wilde,
engumschlungene Tänze, musikalische Darbietungen und wildes Geknutsche während
der Alkohol in Strömen fließt. Eine der Besucherinnen bringt einen jungen Gentleman
mit und Queenie beschließt, diesen um ihren Finger zu wickeln um sowohl ihrer
Freundin als auch ihrem Liebhaber eins auszuwischen.
Der Weg vom zarten, aber sehr geplant eigesetzten Augenaufschlag bis zum Spiel der Körper in ihrem Schlafzimmer wird in immer schnelleren Versen beschrieben und natürlich kommt es zur finalen Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern.
Das Buch brauchte zwei Jahre, bis es schließlich publiziert
werden konnte und landete in einigen Städten der USA sofort auf dem Index.
Trotzdem sollte es 1975 mit Raquel Welch
verfilmt werden. Schon die erste Veröffentlichung wartete mit einer
Illustration als Frontispiz auf, die graphische Begleitung des Textes wurde
aber erst durch einen der Stars der Independent-Szene New Yorks, eben Art Spiegelman durchgeführt.
Die Zeichnungen
Die Bilder Spiegelmans
erinnern immer ein wenig an Holzschnitte: Harte Kontraste, viel flächige
(Nicht-)Farbe und Schraffuren passen perfekt zu der Schwüle der Musik, dem
Tempo und dem Nichtbeachten gesellschaftlicher Konventionen. Homosexualität war
in den 20-er Jahren kein akzeptiertes Verhalten; im Text von March sind aber sexuelle Ausrichtungen
gleichwertig! Einzig eine Vergewaltigung einer Minderjährigen wird als
nicht-akzeptabel bezeichnet und somit auch mit Gewalt unterbunden.
Die Bilder bieten jeweils einen kleinen Ausschnitt. Spiegelman versucht nicht, die Szenerie darzustellen, sondern wirft nur Schlaglichter auf Aktionen oder Stimmungen. Vieles bleibt daher weiter der eigenen Fantasie überlassen und doch ist soviel an grafischer Information vorhanden, dass der Taumel und das Zusteuern auf das Crescendo jede*m vor Augen stehen sollte. Als wiederkehrendes Motiv dienen dabei zwei langsam herunterbrennende Kerzen, die fast als Zwischenvorhang dienen.
Das Büchlein müsste antiquarisch einigermaßen gut aufzutreiben
sein. Es wurde später auch noch mal als Taschenbuch veröffentlicht, gerade der
Samt und der Einband machen aber meiner Meinung nach die Sache erst rund.
Zwischen 25 und 30 € werdet ihr auf jeden Fall bezahlen müssen, in perfekter Qualität
sogar viel mehr.
Dazu passen heißer Jazz (einfach mal nach Jazz Age oder
Roaring Twenties googeln) und Hochprozentiges: Whiskey oder Rum.
1853 beweint ein Mann den Tod seiner Tochter vor 10 Jahren. Noch immer kennt seine Trauer keine Grenzen und noch immer lässt er seine andere Tochter, seine Frau und seine Geliebten darunter leiden. Am Abend des 11. September jedoch spricht während einer Seance die Tote zu ihrem Vater, der nun weiß, dass es seine Aufgabe sein wird, den Tod aufzuklären. Es handelt sich um Victor Hugo, den Schriftsteller aber eben auch Politiker, der auf der Flucht vor Napoleon III. die Insel Jersey als Ort des Exils gewählt hat.
Die Handlung
Um den Tod seiner geliebten Tochter Leopoldine aufklären zu können, muss Hugo aber zurück auf das Festland, ja sogar in die Hauptstadt
Paris. In seinem Heimatland ist aber ein beträchtliches Kopfgeld auf ihn ausgesetzt
und niemand in Hugos Umgebung kann das Risiko verstehen. Sie alle glauben an
einen Unfall und halten Hugos Vermutungen für Hirngespinste.
In Paris selbst ist Napoleon II.I gerade dabei, zusammen mit Baron Haussmann die Stadt neu zu planen: die Stadtteile sollen übersichtlicher, kontrollierbarer und „gehobener“ werden – heutzutage nennt man so etwas Gentrifizierung – und die Straßen sollen ausgebaut werden. Letzteres ist natürlich für den zunehmenden Handel wichtig, erlaubt aber auch schnelle Truppenbewegungen im Falle eines der vielen Aufstände. Insofern lässt sich dieser Band durchaus in Kombination mit der Zeit der Blutkirschen lesen!
Und auch der Tod am Galgen von John Charles Tapner findet seinen Eingang in die großartige
Geschichte. Tapner war mit Sicherheit
ein kleiner Gauner. Ob er auch ein Mörder war, wird zumindest in dieser Geschichte
bezweifelt, auf jeden Fall aber war seine Geschichte der Aufhänger für eine engagierte
Diskussion um die Todesstrafe unter Beteiligung Victor Hugos und wurde erst durch den direkten Einsatz des
französischen Botschafters in London beigelegt: Der junge Mann wurde zwei Tage
später gehängt.
Die Bilder, die Hugo auf der Fahrt nach Paris und dort selbst zeigen, zeichnen ihn als einen sehr selbstbezogenen, starrköpfigen aber auch mutigen Mann. Während dieser kurzen Zeit wohnt er gleich zwei Geliebten bei, bekommt in Paris aber auch genügend Eindrücke in die Not der Unterprivilegierten und der Machtstrukturen, die später in Les Miserables verarbeitet werden sollten.
Die Künstler*innen
Während viele Fakten in dieser Geschichte verarbeitet worden sind, ist sie als solche doch reine Fiktion. Wir wissen, dass Hugo unendlich um seine Tochter getrauert hat, an Seancen beteiligt war und tatsächlich geglaubt hat, seiner Tochter bzw. ihrem Geist begegnet zu sein. Auch sein Exil, seine Geliebten und sein Gegenspieler in Paris Vidocq sind verbürgt. Die Details sind aber der Fantasie von Esther Gil entsprungen. In ihrem Nachwort erklärt sie, dass sie schon während der Schulzeit von der Maßlosigkeit der Trauer des Vaters beindruckt war. Später – und im Verlauf von minutiösen Nachforschungen – kam dann der Einsatz gegen die Todesstrafe hinzu und das Szenario konnte geschrieben werden. Gil hat damit eine Geschichte vorgelegt, die einerseits sehr viel Sympathie mit ihren Personen zeigt, ohne aber tatsächlich alle Aktionen gutzuheißen. Andererseits ist daraus ein spannender Krimi geworden, der zusätzlich noch viele geschichtliche Details transportiert.
Laurent Paturaud hat die Geschichte kongenial umgesetzt. Die ersten zwei Seiten sind Romantik pur und führen bildgewaltig in die Stimmung des fast schon gefühlstoten Vaters ein. Paturaud kann aber auch stille Gesprächsszenen oder Armutsdarstellungen aus Paris. Nicht zuletzt gelingen ihm auch die intimen Szenen zwischen Hugo und seinen Geliebten sachlich und ohne Voyeurismus. Dabei wechselt er von kleinen Panels zu großen, integriert Bilder in einen Hintergrund oder benutzt eine Graufärbung um Erinnerungen zu kennzeichnen.
Die Ausstattung
Natürlich handelt es sich auch bei diesem Band um ein typisches Splitter-Hardcover. Man hat sich aber entschieden, nicht nur die 94 Seiten der Geschichte zu veröffentlichen, sondern insgesamt 120 Seiten daraus zu machen. So kommen einerseits die Autorin Esther Gil und Victor Hugo selbst zu Wort, andererseits bleibt auch genügend Platz um auf geschichtliche Hintergründe näher einzugehen und die Geschichte damit verständlicher zu machen.
Und – quasi als Sahnehäubchen – kommen auch noch Skizzen, und Ex Libris-Entwürfe zum Abdruck! Schöner kann man einen solchen Band nicht machen! Der Preis dafür ist fast schon unverschämt gering. Im Nachhinein ist es etwas unverständlich, warum es sechs Jahre gedauert hat bis dieses Werk auch auf Deutsch erschienen ist. Das Original erschien ursprünglich bei Editions & Galerie Daniel Maghen.
Dazu passen französischer Cidre und The Damned aus ihrer dunklen Phase.
Warum sollen Klassiker immer verstaubt und alt sein? Sie
können auch als relativ neue Werke einen Themenkomplex so gut darstellen, dass
anderes daneben verblasst. So ist es mit der autobiographischen Geschichte von
Tobi Dahmen aus der Anfangszeit der deutschen Mods. Natürlich gibt es über
dieses Genre auch andere Comics, etwa Blue
Monday von Chynna Clugston-Majors
oder die nur auf Englisch erhältlichen Kindergarten
Kids, aber keiner davon ist so treffend. Überhaupt gibt es wenige Bücher
über Subkulturen, die eine persönliche Note glaubhaft rüberbringen und nicht
von Stars handeln. Dazu gehören etwa die Dorfpunks
oder Ostkurve/Kein Weinfest in Tenever.
Aber von Anfang an: Die Modernists oder Mods waren eine aus England auf den Kontinent exportierte Jugendbewegung aus der Arbeiterklasse. Während sie einerseits Prügeleien nicht abgeneigt waren, legten sie andererseits viel Wert auf stilvolle Kleidung für ihre Beat- und Soul-Nighter und motzten gerne ihre Roller mit allem auf, was der Spiegelladen hergab. Später kam als Musikrichtung der Ska hinzu und während ein Teil der Mods immer mehr zu Konsumenten synthetischer Drogen wurde, entwickelten sich auf der anderen Seite über den Zwischenschritt der Hardmods die Skinheads. Gemeinsam ist ihnen, dass sie keine rassistischen Vorurteile hatten (wie auch, wenn fast alle verehrten Musikern nicht Weiß sind?) und dass sie Rock’n’Roll, Rocker und Teddieboys (sowie natürlich Popper) verabscheuten. Das soll zur Einführung genügen.
Die Geschichte
Tobi, bzw. der Held in seiner Graphic Novel, beginnt bereits
als Schüler mit seiner Modkarriere. Es ist nicht einfach, alle Styleregeln zu
befolgen und fast noch schwieriger, auch treffsicher den richtigen Musikgeschmack
zu haben. Trotzdem bietet die kleine Gruppe Rückhalt, Zusammengehörigkeit und
die Aussicht auf viele Partys, Alkohol und nicht zuletzt auch Mädchen.Da das
Geld für einen Roller nicht langt, muss allerdings ein Fahrrad als Ersatz genügen.
Es zeigt sich, dass die Gruppe nicht immer da ist, und dass es trotz Gruppe durchaus mal einen Stärkeren geben kann. Es gibt auch immer mehr Boneheads und dementsprechend weniger Fun. Außerdem wird der Held langsam aber sicher älter und stellt sich die Frage, ob es das wirklich noch so ist. Nicht die Attitude, nicht die Musik und nicht die Freunde aber die Ausschließlichkeit des Ganzen.
Jahre später kommt es zu einem Revival und fast alle sind
wieder da. Es ist schön, aber trotzdem vergangen und lässt sich nicht
zurückholen. Die Jugend hat ihre Zeit, aber sie vergeht.
Der Künstler
Trotzdem ist es wichtig und richtig, seine Wurzeln nicht zu
vergessen oder zu verleugnen und so zeichnet Tobi Dahmen nicht nur den
Fahrradmod sondern auch z.B. für das alljährliche Skafestival in Roslau und für
einschlägige Plattenlabel. Wie es die Redskins
sagen würden: Keep on keepin on! Das größte Kompliment habe ich übrigens von
einem gehört, der damals wirklich dabei war: Ja, so war’s!
Der Comic ist im Din-A5-Format ein echter Schinken und in mehrere Teile aufgeteilt. Die Zeichnungen sind persönlich. Es gibt nur die wichtigen Details, es ist also sehr reduziert und auch auf Farbe hat der Künstler verzichtet (was besonders ungewöhnlich ist, handelte es sich doch ursprünglich um einen Webcomic). Die Seiten sind entweder klar strukturiert oder bilden überlappende Bilder, die ein Ganzes ergeben.
Für alle, die mit der Thematik nicht so vertraut sind gibt
es ein ausführliches Glossar mit Erklärungen zu allen Feinheiten und einen
Soundtrack mit passender Musik.
Dieser Band sollt in keinem Comicschrank fehlen, wenn es um
Comics aus Deutschland geht, um Musik oder Subkultur oder einfach auch nur um
den Spaß in der Jugend.
Ich empfehle dazu ein Guinness und die letzte Scheibe des zu
früh verstorbenen Rankin‘ Roger mit The Beat: Public Confidential.
Mijn Oorlog erzählt die (Über-)Lebensgeschichte von Guy-Pierre Gautier, einem französischen Resistance-Kämpfer mit sozialistisch/ kommunistischem Hintergrund. Nachdem er in Frankreich gefasst worden war, wurde er zunächst in Frankreich selbst interniert, später dann aber in das KZ Dachau überführt, dass als Stätte billiger Arbeitskräfte für die umliegenden Werke diente.
In den Niederlanden ist die Autobiographie bei dem kleinen Label Microbe erschienen, ein deutscher Verleger hat sich noch nicht gefunden. Vielleicht wäre das kommende 75-jährige Jubiläum der Befreiung von der Nazi-Herrschaft ja ein geeignetes Datum? Während die Schicksale der jüdischen Opfer in Deutschland zumindest nicht mehr verschwiegen, teilweise sogar sehr vielschichtig behandelt werden, und der bürgerliche Widerstand ebenfalls seinen Platz in der Aufarbeitung gefunden hat, sind der Kampf und die Verluste der Linken noch nicht so im (literarischen) Alltag angekommen.
Gautier erzählt ehrlich und eindringlich seinen Lebensweg vom unbedarften Jugendlichen aus La Rochelle zum Kämpfer gegen die Besatzung Frankreichs durch die Deutschen und beschreibt dabei einerseits, wie viele seiner Generation auf die verschiedensten Weisen „verheizt“ worden sind, andererseits aber auch, dass für viele eine Alternative gar nicht bestanden hat. In Rückblicken, ausgehend von der mit militärischen Ehren durchgeführten Verleihung des Ritters der Ehrenlegion für Guy-Pierre Gautier am 8. Mai 2015, werden schlaglichtartig Szenen aus dem Leben aufgereiht und verknüpfen sich so zu einer Geschichte.
Tiburce
Oger hat die Erzählungen in Bilder übersetzt. In
Deutschland bekannt ist er durch seine im Splitter-Verlag erschienenen Western Buffalo Runner und Canoe Bay. In diesem Werk darf er jedoch die Erinnerungen seines
eigenen Großvaters mütterlicherseits umsetzen. Man merkt den Zeichnungen die
persönliche Betroffenheit an, sie gehen unter die Haut und lassen keine Details
aus. Teilweise erscheint „das Böse“ in den Gesichtern der Deutschen KZ-Aufseher
und SS-Männer als Fratze, aber es gelingt Oger
durchaus zu differenzieren.
80 Seiten sind einerseits viel zu wenig, um die – exemplarische – Leidensgeschichte Gautiers von 1943 bis zu seiner persönlichen Befreiung am 30. April 1945 zu beschreiben, andererseits sind sie aber genug, um sich vor Augen zu führen, dass so etwas nie wieder passieren darf; Nicht in Europa aber auch sonst nirgendwo!
Die Graphic Novel sollte überall in den
Niederlanden und dem flämischen Teil Belgiens erhältlich sein.
Dazu passen Wasser, etwas abgestanden, und „Die Moorsoldaten“.
Horror ist eine Kategorie, die sich in den
letzten Jahren erhöhter Beliebtheit erfreut. Es ist also nicht weiter
verwunderlich, dass eine neue Reihe in diesem Gerne erscheint. InSEXts aber ist anders. Obwohl es einen
gewöhnlichen Schauplatz gewählt hat, die Geschichte beginnt 1894 in London, und
viele Versatzstücke verwendet, die alle an sich schon bekannt sind, ist diese
Story der Amerikanerin Marguerite Bennett
und der in Jakarta geborenen Ariela
Kristantina neu: Frauen sind keinesfalls Opfer einer von Männern oder
anderen Monstern dominierten Welt, sondern selbstbewusste, ihre eigene
Sexualität lebende und vor allem mordende Handelnde! „Metamorphose“ beschreibt
den Weg der unglücklich verheirateten Lady Bertram und Mariah – ursprünglich Dienerin,
später aber Lebensgefährtin.
Mariah verhilft ihrer Lady zu einem „Kind“, dass in der Lady heranreift, später aber einen anderen Wirt brauchen wird um sich voll zu entwickeln. Durch dieses Geschenk verwandelt sich aber auch die Trägerin, die sich nun in ein Insekt verwandeln kann. In jener Form ist sie nahezu unverwundbar, allerdings auch tödlich für böse Männer. Wird Lady Bertram den Zustand der Verwandlung kontrollieren können?
Gleichzeitig treibt sich noch ein anderes
Ungeheuer auf Londons Straßen herum. Wie es sich gehört, haben die beiden
Mutanten natürlich unterschiedliche Auffassungen und versprechen einen netten
Kampf. Als Begleitgeschichte gibt es die nervende Verwandtschaft, die versucht,
Lady Bertram zu vertreiben. Vor allem aber im Vordergrund steht die Emanzipation
und die zunehmend kleiner werdende Bereitschaft der beiden Frauen, Unterdrückung,
Missachtung oder männliche Gewalt hinzunehmen.
Die Story ist nicht einzigartig, in ihrer Ausrichtung aber so selten, dass viele bekannte Versatzstücke hier in einem ganz anderen Licht erscheinen. Bennet lässt ihrer Wut auf die bekannte Welt freien Lauf. In ihrem Vorwort erläutert sie noch ein wenig, was dem Körper einer Frau innewohnt, wie er sich verändert (Metamorphose eben) und warum sie daraus eine Horrorgeschichte gemacht hat!
Kristantina zeichnet in einem schnellen, unsauberen Stil. Es ist nicht die (klassische) Schönheit, die sie darstellen will, sondern der Ausdruck, die Emotion, manchmal auch einfach nur der Moment in seiner Abfolge. Teilweise sind die einzelnen Bilder wie verwaschen, teilweise wirken die nicht glatten Linien wie noch nicht fertig. In der Gesamtschau wird daraus aber eine Form, die perfekt zum Inhalt passt. Die Fassade, die der Deckung dient, die Brutalität der Straße, der alltägliche Horror und derjenige zu seiner Beseitigung führen eben zu einem nicht netten Setting. Auch das Dunkel und das Dekors des alten London runden das Ganze im Übrigen ab. Die titelgebenden Szenen sind glatter und weicher gezeichnet, lustvoll aber nicht voyeuristisch und dementsprechend ebenfalls passend.
Lesenswert!
Die Panini-Ausgabe enthält das erste Jahr
dieser Serie von Aftershock Comics in einem Band.
Die Gesamtausgabe der vier Bände von Africa Dreams fällt ein wenig aus dem Rahmen: Sie ist keine nette Abenteuergeschichte und auch wenn sie in gewisser Weise ein Happy End hat, konnten Millionen von zu dem Zeitpunkt bereits getöteten davon nicht mehr profitieren. Maryse und Jean-François Charles beschreiben in diesem von Frédéric Bihel umgesetzten Werk die „Befreiung“ des Kongo aus dem persönlichen Eigentums König Leopold II. von Belgien und den dazu nötigen Kampf um die veröffentlichte Meinung.
Besonders hervorzuheben ist dabei, dass es sich bei dem Ehepaar Charles um zwei Belgier handelt, sie also tief in die Geschichte ihres eigenen Landes abtauchen müssen. Das Bild des Königs ist dabei gar nicht so einfach zu fassen. Einerseits steht seine Grausamkeit in Bezug auf die Bewohner*innen des Kongo außer Frage, andererseits setzte er sich durchaus etwa für die Abschaffung der Sklaverei ein und wird im Kongo selbst immer noch respektiert für seine Rolle in der Schaffung und Konstituierung des Gebildes „Kongo“ an sich. Und trotz aller deutlichen Kritik am „Kongogräuel“ ist diese Geschichte kein Hass-Dokument.
So beginnt die Geschichte denn auch 1960
während eines Museumsbesuches mit einer sehr lobenden Erklärung, dass König Leopold II. Belgien den Kongo
geschenkt, die Wilden zivilisiert und der Welt damit Gutes getan habe.
Natürlich werden diese Aussagen auf den folgenden fast 200 Seiten dekonstruiert
und mit der heutigen Kenntnis auch reflektiert. Der Vorwurf der Nestbeschmutzung
wird von traditioneller Seite trotzdem erhoben werden.
Worum geht es?
Leopold
II., einer der reichsten Männer Europas zu seiner Zeit,
hatte den Forscher Dr. Stanley beauftragt, Forschungsstützpunkte im Inneren Afrikas
zu gründen und dann das darum liegende Land gekauft und Freistaat Kongo
genannt. Er selbst war nicht nur König von Belgien, sondern auch Herrscher über
dieses 80-mal größere afrikanische Gebiet und wollte seinen nicht unerheblichen
Einsatz zurück.
Der Freistaat Kongo lieferte im Wesentlichen Kautschuk und Elfenbein. Um den maximalen Profit zu erzielen (und weil er Sklavenhandel wirklich nicht mochte) setzte Leopold, der den Kongo selbst nie betreten hat, Zwangsarbeiter ein und sorgte mit einem blutigen und auf Horror basierendem System dafür, dass möglichst billig möglichst viel produziert werden konnte.
Katholische Priester, die zu Missionszwecken
im Land tätig waren, waren offiziell nicht in Gegnerschaft zu diesem Verhalten
des gläubigen Herrschers und wiesen ihre Priester vor Ort an, keine Kritik zu
äußern oder zu unterstützen. Die evangelischen Missionare waren dagegen eher
bereit, über Missstände zu berichten oder für Verbesserungen zu sorgen.
Paul
Delisle ist einer der Belgier, die während ihrer Zeit
in Afrika erkannt haben, dass es sich bei den Eingeborenen keineswegs um Wilde
handelt, die den Status der Ware nur knapp verlassen haben, sondern um Menschen
mit den gleichen Rechten und findet zunächst sich selbst, dann seinen Frieden
und sein Glück.
Edmund
Morel entwickelt sich vom passiv beobachtenden
Beschreiber zum aktiven Schreiber für die Rechte der Schwarzen und gegen die
Unterdrückung.
Henry Morton Stanley ist nicht nur Forscher, sondern auch immer mehr in die Schachzüge seines Gönners König Leopold eingespannt und gibt kein gutes Bild ab.
König
Leopold II. schließlich wird über die mehr als
20-jährige Periode seiner Herrschaft über den Kongo dargestellt. War er zunächst
noch fasziniert von den Wundern des Kongo, standen später ehr seine amourösen Interessen
im Vordergrund um schließlich vom Kampf um die Deutungshoheit abgelöst zu
werden. Ganz zum Schluss steht dann tatsächlich die Befriedigung über einen
Deal mit Belgien über den Verkauf des Gebietes an sein Königreich in seinen Augen.
Die Umsetzung
Mir persönlich gefallen die Zeichnungen von Frédéric Bihel nicht ganz so gut wie die von Jean Francois Charles in India Dreams. Sie gehören gleichwohl zur Oberklasse. Gerade durch die wasserfarbenartige Kolorierung gewinnen die Figuren und das Dekors etwas Altertümliches, das fast zu perfekt zu dieser Geschichte passt. Es lässt sowohl Landschaften wie auch Gesichter plastisch wirken, erinnert an alte Kunst und ist trotzdem realistisch. Die Schrecken werden dadurch aber auch etwas abgemildert. Der Seitenaufbau ist dabei äußerst flexibel; er verlässt das klassische tabellenartige Schema zwar so gut wie nie, hat aber viel Varianz in der Höhe und Breite und wird dadurch nicht langweilig. Im Verlauf werden immer wieder Zeitdokumente wie Fotos oder Zeitungen eingestreut, die eine größere Schärfe besitzen und sich dadurch deutlich abheben. Auch dieses ist sehr gelungen!
Hinweisen möchte ich darauf, dass die Gräuel wie abgeschlagene Hände oder niedergebrannte Dörfer durchaus gezeigt werden, Massenvergewaltigungen oder -tötungen dagegen nicht. Der Splatter steht hier also keinesfalls im Vordergrund. Trotzdem handelt es sich bei dieser Auseiandersetzung keinesfalls um etwas für jedes Kind geeignetes.
Abgerundet wird diese Gesamtausgabe durch Zeitdokumente und Skizzen im Anhang, ergänzt durch einen Essay von Colette Braeckman, Expertin für Zentralafrika unter anderem für die Le Monde Diplomatique. Dadurch wird dem/der Leser*in noch mehr Möglichkeit gegeben, ein eigenes Bild zu entwickeln oder tiefer in die Materie einzusteigen.
Das Thema „Kongo“ war in diesem noch jungen
Jahr schon mehrfach Thema der Nachrichtensendungen und auch auf Netflix
präsent. Diese Graphic Novel bietet Hintergrundwissen ohne dabei zu belehren
oder vorzugeben. Nebenbei ist das Ganze auch noch – und das ist schließlich für
einen Comic besonders wichtig – eingebettet in spannende Handlungsstränge:
Liebe für das Land, Selbstfindung, Liebe und Familiengründung, beruflicher
Kampf für die Wahrheit und politische Intrigen. Alle diese Themen zusammen sind
von dem Ehepaar Charles so raffiniert miteinander verwoben, dass schon dadurch
das Lesen und Genießen zu einem Genuss wird.
Da auch Dr. Stanley nicht nur seine hier
gezeigten Schattenseiten aufwies und der Popwelt durch einen ihm
zugeschriebenen Satz erhalten bleiben wird, soll das auch die musikalische
Referenz sein: „Dr. Livingstone, I presume“ in der Originalversion der Moody Blues! Dazu passen dann gesamtausgabenangemessene
Getränke mit viel afrikatypischem Heilmittel, Chinin, das ebenfalls von Leopold II. in seiner Wirkung erkannt
worden war: Tonic! Wer mag darf zusätzliche Spirits hinzufügen. Generell sollte
aber nicht überdosiert werden!