Gesamtausgabe – Klassiker des Quartals 2022/1
Story: Carlos Trillo
Zeichnungen: Eduardo Risso
Originaltitel: US-Boy Vampire
Hardcover | 464 Seiten | schwarz-weiß | 50 €
ISBN: 978-3-86425-700-1
Es gibt unzählige Geschichten über Vampire und die unterschiedlichsten Sub-Genres: Am bekanntesten ist wohl die Teenage-Romance, ausgelöst durch den Erfolg der „Twilight“-Romane. Daneben hat sich die Schauerromantik ausdifferenziert. Der sentimentale, fast schon traurige Vampir von Johan Sfar hat mit dem rachegetriebenen Prinz der Nacht von Yves Swolfs kaum etwas zu tun. Vampirella geht noch mal in eine andere Richtung und auch die italienischen Reihen, die oft eine Verbindung mit Kriminalität herstellen, sind eigen. Ihnen allen ist aber gemeinsam, dass Sonnenlicht von den Geschöpfen der Nacht gemieden werden muss.
In der Rubrik „Klassiker“ erscheinen Rezensionen über Titel, die es verdient haben, wahrgenommen zu werden. Viel zu oft werden wegen der Fülle von Neuerscheinungen Werke zu schnell aus dem Fokus genommen. Dies ist so einer.
Unsterblichkeit durch Sonnenschein
Vampire Boy geht in eine sehr eigenständige Richtung. Rund 5000 Jahre ist es her, dass Khufu, der heute Cheops genannt wird, und sein Gefolge durch eine Katastrophe vernichtet worden sind. Einzig seine Geliebte, eine Schlangenpriesterin, und sein 10-jähriger, noch namenloser Sohn haben überlebt. Seitdem sind die beiden unsterblich: sobald die Sonne zu scheinen beginnt und sie ihrem Licht ausgesetzt sind, regenerieren sich ihre Körper. Allerdings altern sie nicht und sie können auch keine anderen Unsterblichen erschaffen. Beide ernähren sich nicht nur von üblichen Lebensmitteln, sondern bedürfen von Zeit zu Zeit frischen Blutes und haben unglaubliche Kräfte.
Der Held der Story erzählt in Rückblicken seine Geschichte. Sein Vater war der hübschen Ahmasi sexuell verfallen. Bei dem Versuch, ihre Untreue zu beweisen, löste diese allerdings die Katastrophe aus. Seitdem hasst die körperbewusste junge Frau den Jungen und versucht ihn zu vernichten. Es gelang ihr schon mehrfach, ihren Gegner für mehrere Jahrhunderte einzusperren und so von dem rettenden Sonnenlicht fernzuhalten. Im Laufe der Zeit konterkarierten aber neugierige Sterbliche alle Lösungen. Und auch der Junge, der zwischenzeitlich versucht hatte, eine Koexistenz zu erreichen, ist mittlerweile bestrebt, seine Gegenspielerin endgültig auszuschalten.
In der Jetztzeit treffen die beiden wieder aufeinander. Boy findet Verbündete bei den letzten beiden Überlebenden eines fast ausgestorbenen Stammes indianischer Ureinwohner*innen, einer blinden als Hexe bezeichneten Frau und einem Magier. Nur dadurch kann er den Anschlägen seiner Gegnerin, die ihrerseits ihren Körper einsetzt, um sich Männer gefügig zu machen, immer wieder entkommen. Und nun scheint sich erstmals nach 5000 Jahren eine Möglichkeit aufzutun, die Unsterblichkeit zu beenden. Normale Menschen sterben dagegen im Übrigen recht häufig in diesem Band.
Carlos Trillo hat eine sehr eigenständige, rasante Geschichte geschrieben, die dem Mythos neue Aspekte hinzufügt. Der melancholische Junge wünscht sich nur zwei Sachen. Er würde gerne älter werden und die körperlichen Freuden eines älteren Menschen kennenlernen. Und natürlich würde er gerne in Ruhe gelassen werden. Seine Gegenspielerin ist dagegen ein männervernichtender Vamp. Sie hat nichts anderes im Kopf, als Männer für ihr Auskommen sorgen zu lassen, und das Kind zu vernichten. Geschickt verwebt Trillo dabei ägyptische, indianische und kreolische Mythen und bedient sich in der Weltgeschichte.
Harte schwarz-weiß Zeichnungen
Die Zeichnungen des Argentiniers Eduardo Risso beschönigen nichts. Bitterböser Humor steht neben melancholischen Szenen und die Gewalt ist ebenfalls ungeschminkt. Diese kommt nicht nur von Mitgliedern eines internationalen Drogenkartells, sondern vor allem von den beiden Unsterblichen. Sie besitzen übermenschliche Kräfte und einen unstillbaren Hunger nach frischem Blut. In Farbe wären diese Szenen möglicherweise nicht darstellbar, im Kontrast der schwarz-weißen Zeichnungen gehen einige Details etwas unter. Der Comic ist daher nichts für schwache Gemüter!
Risso gleitet aber an keiner Stelle in einen Splatter ab. Trotz der vielen Kämpfe steht die Story im Vordergrund und die hat nun mal das Ende der Kämpfe als Ziel. Ihm gelingt der Spagat in der Person des namenlosen Helden sehr gut. Dieser ist einerseits ein kleiner Junge, andererseits bereits über 5000 Jahre alt und frustriert über seine Situation. Diese Gefühlslage kommt in Körperhaltung und Gesichtsausdruck gut rüber. Auch die anderen Personen sind stimmig und komplett!
Die Wertung
Ursprünglich war die Serie bei Cross Cult in drei Bänden erschienen. Aus Anlass des Deutschlandbesuches von Eduardo Risso hatte man sich 2019 zu einer auf 333 Exemplare limitierten, einbändigen Gesamtausgabe entschieden, die mittlerweile ebenfalls verlagsvergriffen ist. Wie es scheint, ist das Buch zu Originalpreisen aber noch gut erhältlich.
Die Mischung aus Vampir und Horror mit einem leichten Mystery-Touch funktioniert extrem gut und ist auch durchaus innovativ! Die Sonne als Lebensspender ist in diesem Genre eher unerwartet und auch der Frust eines vorpubertären Unsterblichen ist nicht allzu oft thematisiert worden. Weder Zeichnungen noch Story sind allerdings kindgerecht.
Das Albenformat passt zu der Dark Horse-Serie und die Telefonbuchstärke ist keinesfalls hinderlich. Insgesamt also ein perfektes Beispiel für einen Comic, der nicht mehr prominent in den Shops präsentiert wird, Beachtung aber durchaus verdient hätte!
Dazu passen Bridge City Sinners mit ihrem ebenfalls ironischen Ansatz und ein Virgin Bloody Mary.
Rezensionsexemplar freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Blu Box.
© der Abbildungen 2019 Strip Art Features / 2019 Amigo Grafik GbR