Gazzotti/Vehlmann – Allein 11

Allein 11 – die nächtlichen Nagler

Text: Fabien Vehlmann
Zeichnungen: Bruno Gazzotti

Originaltitel: Seuls – Les Cloueurs de nuit

Piredda Verlag

Hardcover | 56 Seiten | Farbe | 14,95 €
ISBN:978-3-941279-90-2

Cover Allein 11

Allein ist eine Serie über Kinder, die sich nach ihrem Tod in einer Zwischenwelt wiederfinden. Zunächst geht es einzig um das Zurechtkommen von Dodji, Leila, Yvann, Camilla und Terry in ihrer gewohnten Umgebung aber ohne Eltern, Freund*innen, überhaupt scheinbar ohne andere Menschen. Nur die Gebäude und alle Sachen sind noch da, aber auch die entlaufenen Tiere aus dem Zoo. Was anfangs noch wie eine nette Gruselstory aussieht, entpuppt sich schnell als Mystery-Story, denn es gibt neben den 5- bis 12-jährigen Kindern noch andere Bewohner*innen der Zwischenwelt, die dort teilweise ohne zu altern und ohne wirklich sterben zu können teilweise schon seit Jahrhunderten leben. Dementsprechend haben sich dort auch Machtstrukturen und Legenden entwickelt und neben freundlichen Akteuren gibt es auch Kriminelle und Despoten.

Die ersten beiden Bände erschienen zu Zeiten von Mirko Piredda und Martin Surmann im ZACK (näheres dazu hier), alle Bände sind als Hardcover im Piredda Verlag erschienen. Nach rund eineinhalb Jahren Pause ist jetzt der aktuelle Band 11 ausgeliefert worden!

In „die nächtlichen Nagler“ steht der neunjährige Yvan im Mittelpunkt. Er muss sich in einer kleinen Hafenstadt alleine durchschlagen und wird von einer Instanz Camillas besucht. Er erkennt, dass sie das Mitternachtskind ist (siehe Band 9) und vernimmt ihre Warnung vor den Naglern, die Yvan für das untere Terrain gewinnen wollen.

Gleichzeitig ist Anton weiterhin fleißig dabei, Theorien über die Zwischenwelt und den zeitlichen Ablauf aufzustellen. Da sich auch in dieser Serie alles auf einen fulminanten Schlusspunkt hin entwickelt, ist die gehäufte Ankündigung eines Kampfes sicherlich ernst zu nehmen.

Im weiteren Verlauf, der eindeutige Horrorelemente hat, wird Yvan in seiner Behausung von einem geheimnisvollen Jungen, dessen Kopf komplett von Fliegen umhüllt und somit nicht erkennbar ist und zombieartigen Kindern überfallen und auf einen Billardtisch genagelt. Als Yvan am nächsten Tag aufwacht, fehlt ihm ein Teil seiner selbst und er weiß, dass die Nagler wiederkommen werden…

Ergänzt wird das Hardcover durch ein mehrseitiges Interview mit Fabien Vehlmann über die Story von „Allein“, seinen Lieblingscharakter und sein Verhältnis zu Bruno Gazzotti, illustriert mit vielen Skizzen und Entwürfen, sowie dem Abdruck der ersten Seite des angekündigten Spinn-Offs „Geschichten aus der Zwischenwelt“, das größeren Fokus auf Details und Nebenfiguren werfen wird.

Gazzotti hat sie Serie als klassischen frankobelgischen Funny im SPIROU/Marcinelle-Stil angelegt. Detailreiche Umgebungen und Hintergründe, dynamische, filmartige Sequenzen und detaillierte Gesichtszüge mit zum Teil karikaturesken Ergänzungen. Durch diese teilweise kindliche, abmildernde Darstellung wird der Horror gekonnt verstärkt, denn er passt nicht in die helle, freundliche Darstellung und wirkt durch diesen Gegensatz umso befremdlicher. Seitenlayout-technisch sollte der/die Leser*in aber nicht allzu viel Innovation erwarten.

Die Figuren sind von Vehlmann über mittlerweile 11 Bände gut entwickelt und haben alle „ihre“ Macken, die sie so sympathisch machen. Es gibt auch genügend Querverbindungen zu alten Hinweisen oder auf noch unbekannte Ereignisse um die Spannung aufrecht zu erhalten. Dabei hilft sicherlich, dass die gesamte Geschichte in aktuell drei Zyklen unterteilt ist.

Die Serie Allein ist eine der besten aktuell laufenden Reihen! Sie ist bereits für jüngere Leser*innen ab 12 – 14 Jahren (je nach Person) lesbar, hält aber für Ältere noch weitere Schichten bereit, die sie ebenfalls lesenswert machen. Die Ausstattung lässt ebenfalls keine Wünsche übrig!

Dazu passen haltbare Getränke, die es in die Zwischenwelt schaffen und sowohl zeitlich als auch gegenüber äußeren Einflüssen äußerst robust sind, also praktisch jedes Getränk in Dosen, und leicht verstörende Musik etwa von The Other (Dreaming of the Devil als Beispiel).

© der Abbildungen 2019 Piredda Verlag, Berlin

Go West – Klassiker des Monats Mai 2019

Go West – Gesamtausgabe

Text: Greg

Zeichnungen: Derib

Salleck Publications

Hardcover | 124 Seiten | Farbe | 25,00 € |

ISBN: 978-3-89908-498-6

Cover Go West

Go West ist eine zehnteilige Serie von Kurzgeschichten mit einer Länge von 7 bis 20 Seiten die in dem belgischen Tintin-Magazin zwischen 1971 und 1978 veröffentlicht wurde. Im Gegensatz zu vielen anderen damaligen Serien war sie von Anfang an auf einen alle Teile überspannenden Plot ausgerichtet und erzählt die Geschichte des arbeitslos werdenden Buchhalters Barnaby Bumper und seiner Gefährten auf ihrem Treck von der amerikanischen Ostküste ins den „Wilden Westen“.

Das Szenario stammt von Michel Régnier, der unter seinem Künstlernamen Greg veröffentlichte. Als Chefredakteur von Tintin überführte er das Magazin aus der klassischen Struktur mit ein bis zwei Seiten pro Abenteuer pro Woche zu einem neuen Format in dem die Geschichten in sieben bis acht Wochen veröffentlicht wurden. Die Teile sollten dabei eine Art „Kapitelstruktur“ aufweisen um einerseits einen wirklichen Lesegenuss zu ermöglichen, andererseits natürlich zum Kauf des nächsten Heftes anregen (Mehr dazu hier). Zu den längeren Alben kamen dann eben auch Kurzgeschichten wie Go West, die aufeinander aufbauten, aber nicht Woche um Woche erscheinen mussten. Greg hat neben dieser Westernserie auch andere Szenarios in diesem Genre verfasst, unter anderem für Chick Bill, den Lucky-Luke-Ableger Jolly Jumper und natürlich für Comanche, gezeichnet von Hermann.

Detail go West page 19

Derib (das ist Claude de Ribaupierre) hatte seine Karriere als Zeichner im Atelier von Peyo begonnen. 1969 begann er an seinem großen Thema, dem Leben der Indianer zu arbeiten und veröffentlichte die ersten Folgen der Geschichten um den kleinen Yakari bevor dann die Arbeit an Go West startete. Sein Hauptwerk Buddy Longway, die Geschichte eines weißen Trappers, sollte kurz darauf starten.

Die noch ganz im Funny-Stil gezeichnete Serie enthält bereits alle späteren Thematiken: Nicht alle Weißen kommen als Eroberer und wollen sich das Land untertan machen. Sie haben zum Teil kaum eine andere Wahl, wenn sie für den Unterhalt ihrer Familie sorgen wollen. Viele von ihnen wollen aber keinesfalls ihren Lebensentwurf anderen überstülpen sondern in Frieden mit anderen Menschen und der Natur leben. Ein weiteres Sujet ist der Konflikt zwischen der Gewalt des Stärkeren und den Errungenschaften der Zivilisation, hier in dem Kapitel „Die Strasse der Sonne“ als Konflikt zwischen Lynchjustiz und Gerichtsbarkeit dargestellt.

Detail Go West page 53

Über allem schwebt aber die Kritik am Rassismus: So besteht die Reisegruppe, die sich im Laufe der Geschichten immer mehr erweitert auch aus einem Farbigen und einem Sioux. Beide spielen tragende Rollen und müssen doch ihre oft von anderen unterstellte Minderwertigkeit erdulden. Derib und Greg vermeiden den Zeigefinger und bringen ihre Kritik trotzdem deutlich rüber. Auch die Indianer werden keinesfalls wie in anderen Western als blutrünstige Wilde dargestellt. Sie sind zu Frieden fähig und willig. Nur in einer Randnotiz weisen die Autoren darauf hin, dass der ausgehandelte Frieden von Medicine Lodge nicht an ihnen, sondern an weißen Soldaten wie General Custer gescheitert ist.

Go West page 93

Der Zeichenstil Deribs entwickelt sich von Geschichte zu Geschichte weiter und verfeinert sich. Anfangs sind es noch sehr großflächige Dekors, die die Handlung begleiten, doch sie werden immer detailreicher und kleiner, so dass am Ende die Figuren immer noch einem Funny entsprechen, die Hintergründe aber schon fast realistisch wirken. Damit vollzieht Derib die Entwicklung, die er in Buddy Longway noch konsequenter verfolgt hat, hier zum Teil nach. Darin liegt auch ein nicht unwesentlicher Bestandteil des Charmes dieser Ausgabe, dass auf so engem Raum so viel Entwicklung sichtbar wird. Zudem ist die Kombination aus Detailreichtum und figürlicher Überzeichnung auch nicht so häufig anzutreffen.

Es gibt noch eine weitere Ausgabe dieses Titels, erschienen 1978 im Carlsen Verlag. Sie enthält aber im Gegensatz zu der bei Salleck Publications als Hardcover erschienenen Gesamtausgabe nur die ersten neun Geschichten. Die zehnte, abschließende Folge wurde hier das erste Mal auf Deutsch veröffentlicht. Die Ausgabe umfasst des Weiteren ein paar redaktionelle Seiten mit einem Text über die Geschichten, ihre Rezeption und die weiteren Werke der beiden Künstler. In dem Artikel finden sich auch Abbildungen der Tintin-Cover mit Bezug zu Go West. Das verwendete Papier ist relativ dünn, aber blickdicht und lässt die Zeichnungen durch die etwas glänzende Struktur gut zur Geltung kommen.

Die Gesamtausgabe von 2014 ist noch lieferbar und daher problemlos zu bekommen.

Go West page 23

Go West ist aus mehreren Gründen zu gut, um in Vergessenheit zu geraten. Zum einen ist es ein früher Vertreter des neuen Weges, Comic-Abenteuer in wöchentlichen Magazinen erzählen zu wollen. War es ursprünglich genug, eine Seite mit einem Gag zu versehen und die Held*innen zu präsentieren, verlangte das Publikum immer mehr einen übergreifenden Plot hinter den Seiten und wollte zwar kurze aber abgeschlossene Inhalte konsumieren. Hier zeigt sich die Konkurrenz des Fernsehens mit seinen Serien. Andererseits ist Go West die Grundlage für die weiteren Serien von Derib über das Leben der Indianer und einer der Startpunkte für ein differenzierteres Bild als die üblichen Western es traditionell vermittelten. Zwar gab es auch im TV-Bereich schon Ansätze, etwa High Chaparral, der Mainstream sah aber entweder den bösen Indianer oder idealisierte nicht minder problematisch den „guten und edlen Wilden“.

Insbesondere wegen der Wüstenszenen wäre dazu eine selbstgemachte Zitronenlimonade perfekt! Musikalische Untermalung kann nur Country und Western sein – Wie wäre es mit The Common Linnets aus unserem westlichen Nachbarland?

© der Abbildungen 2014 Eckart Schott Verlag

Gratis Comic Tag 2019 – Thriller

GCT 2019 die zweite – Thriller – eine Übersicht

Im zweiten Teil der Hilfe für Unentschlossene werden in diesem Beitrag vier Thriller unterschiedlicher Verlage vorgestellt, die es am diesjährigen Gratis Comic Tag beim Händler eures Vertrauens zum Mitnehmen gibt. Das ganze Programm findet ihr hier. Der GCT findet am 12. Mai statt.

Header GCT

Die vorgestellten Hefte sind sehr unterschiedlich und bieten vom Teaser für ein Kickstarter-Projekt bis zum kompletten ersten Band alle Varianten.

Lazarus Eins von Greg Rucka und Michael Lark ist das erste Heft einer dystopischen Serie von Image Comics, hierzulande veröffentlicht von Splitter. Sie spielt in der nahen Zukunft und beschreibt eine mögliche, wenn auch wenig wünschenswerte Zukunft. Die Vermögensverteilung auf der Welt hat sich noch mehr zu einer geöffneten Schere entwickelt, nur sechzehn Familien haben die Welt unter sich aufgeteilt. Der Rest der Menschheit findet sich entweder als „Knecht“ oder als „Abfall“ wieder und kämpft um sein Überleben. Da die Macht der Familien naturgemäß nicht von allen akzeptiert wird, halten sie sich jeweils einen genetisch modifizierten, nahezu unbesiegbaren und unsterblichen Kämpfer, genannt Lazarus.

cover GCT 2019 Lazarus

Greg Rucka, sonst eher bekannt durch Mainstream Comics wie Batman oder Spider-Man bietet hier harte Kost, die von Michael Lark adäquat umgesetzt wird. Blutige Nahaufnahmen in Zeitlupe wechseln sich ab mit in düsteren Farben gehaltenen Szenen. Sicherlich nichts für schwache Nerven aber ein lohnenswerter Einstieg in eine preisgekrönte Science Fiction/Thriller-Serie, von der auf Deutsch bisher 6 Sammelbände erschienen sind.

Schreiber&Leser/Alles Gute verschenken sogar den ersten kompletten Band ihrer Serie Ghost Money. Auch diese Geschichte spielt in naher Zukunft und wird von dem Konflikt von Geheimdiensten auf der einen und Terrororganisationen auf der anderen Seite getragen. Es gibt Daneben superreiche, die kaum wahrnehmbar sind. Sie haben ultraschnelle Privatflugzeuge; Quartiere in mehreren Metropolen und kaum Kontakt zu offiziellen Stellen. Die Dame aus Dubai, so der Titel des ersten Bandes gerät dabei einerseits in das Visier der Ermittler, spielt andererseits aber auch plötzlich eine große Rolle im Leben der eigentlich völlig normalen Lindsey und dann gibt es da noch ein wenig erfüllte und unerfüllte Liebe…

cover GCT 2019 Ghost Money

Thierry Smolderen entwickelt routiniert eine mehrere Fäden umspannende Geschichte aus dem Überschneidungsfeld zwischen Jet-Set, internationalem Terrorismus und Geheimdiensten, das überzeugen kann. Dominique Bertail, aktuell auch mit dem Transgender-Western Mondo Reverso im Gespräch liefert dazu beeindruckende Bilder im klassischen franko-belgischen Stil: grandiose Architektur oder Landschaft steht genauso im Fokus wie detaillierte Nahaufnahme der Emotionen oder Kampfszenen. Für den Einstieg ist diese GCT-Ausgabe perfekt, der Wunsch nach größerem Seitenformat wird aber schnell aufkommen.

Auch The Next Art beteiligt sich wieder am GCT, dieses Mal mit der SENECA-Akte II – Tod in Genf. Wie auch schon beim ersten Teil beinhaltet das Heft (nur) eine Leseprobe und die Möglichkeit innerhalb von 30 Tagen auf Kickstarter.com für die Fertigstellung des Werkes zu sorgen. Allein schon wegen dieses ungewöhnlichen Ansatzes einen Blick wert! Michael Feldmann schafft es aber auch so mit seinem im Wesentlichen schwarzweißen Stil Interesse zu wecken; dafür sorgen auch die wenigen farbigen Details, die in die Zeichnungen integriert sind. Inhaltlich geht es auch hier um eine Verschwörung: Geheimdienste (oder zumindest Teile davon) versuchen mit aller Macht die Aufdeckung und Veröffentlichung von belastendem Material zu verhindern. Geschickt werden dabei reale Ereignisse wie die Barschel-Affäre oder die Katastrophe von Rammstein in die Handlung eingebaut. Im Film gibt es diese Art von Thriller nicht mehr so häufig wie früher, ein Grund mehr also um hier beim Comic zuzuschlagen.

Cover GCT 2019 Seneca II

Zuguter Letzt ein Altmeister dieses Metiers: Warren Ellis hat moderne Pulp-Comics geschrieben, jeweils nur ein Heft aus einer imaginären Serie und diese unter dem Namen Apparat zusammengefasst. Ein Teil davon ist Simon Spector das zusammen mit den anderen jetzt im Dantes Verlag erscheinen wird. Jacen Burrows hat dabei die Ideen von Ellis in einem harten schwarz-weiß umgesetzt. In einer farbigen Ausgabe wäre der deutschen Öffentlichkeit zu viel rot auf den Seiten, so mag es gehen. Natürlich gehört Brutalität zu dieser Art von Comic aber ich muss gestehen, dass ich Ellis nie so viel abgewinnen konnte.

Cover GCT 2019 Simon Spector

Obwohl die Geschichten doch sehr unterschiedlich sind dürfte ein Whisky Sour zu allen passen! Musikalisch etwas düster, zugleich aber kein Gothic: Warsaw haben ein wunderbares Album gleichen Namens veröffentlicht mit bereits vielen Hinweisen auf ihre spätere Inkarnation.

© 2019 Splitter Verlag, Schreiber & Leser, ThenextartVerlag, Dantes Verlag

Gratis Comic Tag 2019 – Deutsche Superhelden

Superhelden aus Deutschland und Österreich im 2019er Gratis Comic Tag – eine Übersicht

Wie angekündigt sollen ein paar Titel des diesjährigen Gratis Comic Tags näher besprochen werden um euch ein paar Tipps zu geben, was sich lohnen könnte.

Header GCT

Die Liste mit allen Titeln gibt es hier und wenn ihr schauen wollt, wo in eurer Nähe Läden mitmachen, könnt ihr hier eine Umkreis-Suche starten. Der GCT findet am 12. Mai statt.

Dieser erste Artikel bringt euch vier Titel mit deutschsprachigen Superhelden näher. Lange Zeit war es sehr still in diesem Bereich. Es gab den einen oder anderen Helden aus der Lehning-Ära, der als Superheld durchgegangen wäre und dann waren da natürlich die „Helden“ Anfang dieses Jahrtausends und ein paar andere Titel. Es handelte sich dabei aber eher um deutsche Varianten von amerikanischen Mainstream-Helden. Oft fehlte es an der Verlässlichkeit der Produktionstermine oder das neue Heft dauerte einfach zu lange und irgendwie sind dann alle wieder verschwunden.

Parallel dazu und quasi unter Radarhöhe der öffentlichen Aufmerksamkeit gab es aber schon immer den Independent-Bereich und in diesem Sammelbecken kreativer Ideen und Publikationen auch schon immer etwas andere Superhelden. Seit ungefähr drei Jahren hat sich diese Schiene nun plötzlich Aufmerksamkeit erworben und aufgrund des Erfolges der Austrian Super Heroes (ASH) sind auch andere Helden en vogue. Eine Einführung in die verschiedenen Universen kann hier aus Platzgründen nicht erfolgen. Die Sammelbände haben aber meistens eine Zusammenfassung der bisherigen Stories der jeweiligen Universen und auch die Sprechblase bietet regelmäßig einen Überblick.

cover GCT 2019 ASH

Die Austrian Super Heroes sind dann auch mit einem Titel beim GCT 2019 vertreten. Das Heft beinhaltet eine längere Story (Lumpen) aus ASH 12 sowie zwei kürzere Origin-Stories über Siggi (aus ASH 16) und die Wassernixe Donauweibchen (aus ASH 11). Alle Geschichten sind von demselben Autoren, Harald Havas, werden aber von verschiedenen Zeichner*innen umgesetzt. Dadurch wird einerseits die Kontinuität der Handlung perfekt gewährleistet, gerade, wenn Origins oder Sologeschichten eingestreut werden, andererseits wird aber trotzdem für Abwechslung in der grafischen Umsetzung gesorgt. Cooles Artwork mit „anderen“ Held*innen, professionell umgesetzt und alle zwei Monate neu. Definitiv einen Blick wert.

Cover GCT 2019 Captain Berlin

Ebenfalls schon lange dabei ist Jörg Buttgereits Captain Berlin. Der Superheld aus der Hauptstadt wurde ursprünglich bereits 1982 als Filmheld konzipiert. 2006 kam er erstmals zurück und zwar in einem Hörspiel für den WDR. Es sollte dann noch weitere Jahre dauern bis 2013 dann tatsächlich der erste Captain Berlin Comic bei Weissblech Comics erschien. Der Held kämpft gegen Nazis und sonstige Monster, insbesondere aber auch gegen seine Erzfeindin Ilse von Blitzen. Getextet von Levin Kurio und gezeichnet von Rainer F. Engel bietet der Comic besten Trash und spaßige Unterhaltung. Natürlich scheinen immer wieder Anklänge an Indiana Jones durch und die Monster könnten aus der Blütezeit der 50er und 60er Jahre stammen, die Plots stammen aber aus der heutigen Zeit. Für den GCT gibt es eine abgeschlossene Geschichte aus dem vergriffenen vierten Heft. Wie auch bei ASH sind aber Sammelbände der vergriffenen Ausgaben erhältlich. Für nostalgische SF-Fans eigentlich ein Must-Try!

Cover GCT 2019 Trachtman

Eng mit dem Captain-Berlin-Universum verknüpft ist Tracht Man. Der Bayerische Held von Christopher Kloiber und Henning Mertens von Plem Plem Productions ist noch etwas grotesker als die beiden anderen Titel. Der Kampf von Tracht Man mit dem Wolpertinger mit einem Auftritt des Captains in einer Nebenrolle ist eher Comedy als Superheldengeschichte, kann aber durchaus überzeugen. Schnelle Wechsel, haarsträubende Storywechsel und ein Ritt durch verschiedenste Stile bieten Entertainment pur. Diese Geschichte ist dem Tracht Man Sonderheft  entnommen. Daneben gibt es aber auch eine reguläre Heftreihe.

cover GCT 2019 Kultgescshichten

Einen etwas anderen Ansatz verfolgen die Kultgeschichten der Leipziger von Kult Comics/Comic Combo. Unter diesem Titel bringen sie nun schon wiederholt Ausschnitte ihres aktuellen Programms. Zu dem Thema Deutsche Superhelden passt der einführende Ausschnitt aus „Das Kamäleon“ von Björn Hammel und Sascha Dörp von dem der  erste Band diesen Herbst erscheinen wird. Ein Held mit Superkräften und einer unscheinbaren Tarnidentität, ein Kommissaranwärter, der in einer Band spielt, eine Organisation, die sich gegen Lautstärke wehrt und auf die Stille setzt sind die Versatzstücke aus denen sich eine spannende und düstere Mischung aus Superhelden- und Thriller-Motiven entwickelt. Tipp!!  Dazu kommen noch drei Kurzgeschichten um den letzten Kobold und seinen Freund, die Waldrappe, von Dirk Seliger und Stefan Pede, die einen Vergleich mit aktuellen Geschichten in Spirou oder dem ZACK nicht scheuen müssen.

Dazu passen Craftbiere am besten. Musikalische Untermalung sollte den Spaßfaktor unterstützen: Attila the Stockbroker!

© 2019 ASH, Weissblech Comics, Plem Plem Productions, Comic Combo, Leipzig

ZACK 239

ZACK 239 (Mai 2019)

Herausgeber: Klaus D. Schleiter

Chefredaktion: Georg F. W. Tempel
MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag
Heft Din A 4 | 84 Seiten | Farbe | 7,90 €
ISSN: 1438-2792

Cover ZACK 239

Die Jubiläumsausgabe des ZACK ist nur noch zwei Nummern entfernt, die Spannung steigt. Die Mai-Nummer bringt gleich zwei neue Abenteuer: zum einen geht Die Flügel des Herrn Plomb in die siebte und letzte Runde und zum anderen kehrt Marvano mit Bonneville auf die Seiten des ZACK zurück. Im kommenden Heft wird dann auch Michel Vaillant wieder starten!

Aber der Reihe nach: der Zweiteiler Bonneville von Marvano hat einen Ort als Helden, die Bonneville Salt Flats, eine Hochgeschwindigkeitsstrecke auf der bereits 1914 der erste Landgeschwindigkeitsrekord aufgestellt worden war (im Übrigen auf einem Benz) und die seit dem immer Schauplatz von Rennen und Rekorden sowie Filmkulisse gewesen ist.

Der erste Teil erzählt aus der Sicht eines kleinen Mädchens die Ereignisse Ende der fünfziger Jahre und führt mit ein paar Rückblicken in die Geschichte des Fleckchens in Utah ein.

ZACK 239, detail page 29

Millenium Saga von Runberg und Ortega geht bereits in die dritte Runde: Lisbeth und ein weiterer Hacker schaffen es, in das Geheimste der SÄPO, der schwedischen Sicherheitspolizei, einzudringen und eine Datei namens Hugin zu entdecken. In einem schnellen, teilweise wie dahingeworfenen Stil aber klassischer Panelaufteilung in dunklen Farben läuft dieser Thriller weiter. Obwohl auf den ersten Seiten gewöhnungsbedürftig nimmt die grafische Umsetzung die Elemente des Buches geschickt auf und entwickelt sich zu einer eigenständigen und doch zugehörigen Darstellung: Tipp!

Bereits erwähnt wurde, dass Die Flügel des Herrn Plomb nun in ihre siebte und letzte Folge gehen. Christophe Gibelin ist alleine für Inhalte und Umsetzung verantwortlich und muss versuchen, die verschiedenen Pfade seiner Spionagestory zusammenzuführen und zu beenden. Der Schauplatz ist Deutschland, die Player sind bekannt. Ob aber alle Beweggründe auch schon so klar sind wird sich zeigen.

detail ZACK 239 page 57

Die Abenteuer des Kochs Samuel Lejeune, der wahrlich schon bessere Zeiten gesehen hat, gehen in Haute Cuisine natürlich auch weiter. In klassischer franko-belgischer Manier (positiv gemeint!) streiten sich Personen in Nahaufnahme, lernen sich kennen und genießen und werden Pläne entworfen. Ein spannender zweiter Teil der Appetit auf mehr macht.

Mortensen verlässt uns dagegen wieder. Sein erstes Zeitreise-Abenteuer im mittelalterlichen Schottland nimmt – wen hätte es überrascht – natürlich ein positives Ende, denn sonst hätte es keinen Sinn gemacht, eine Serie anzukündigen. Lars Jacobsen gelingt es aber, die scheinbar unlösbare Situation doch noch zu knacken (und: ja, Purist*innen mögen hier schreien, dass der Plot unglaubwürdig ist, aber es muss auch nicht alles auf der Goldwaage landen, oder?) und nebenbei wird auch noch eine weitere Theorie geliefert, warum um alles in der Welt ein nicht in diese Zeit gehörendes Ur-Vieh in einem berühmten Loch gesehen worden ist…

Dazu kommen wie immer Parker & Badger und eine neue Verwendungsmöglichkeit für Rucksäcke in Tizombi sowie der dritte Teil von Bernd Hinrichs Artikelserie über auf frankobelgischen Comics beruhenden Verfilmungen.

detail ZACK 239 page 18

In der Rubrik der Rückblicke auf die ehemaligen Chefredakteure und Verantwortlichen des MOSAIK-ZACK sind dieses Mal Martin Surmann und Mirko Piredda die interviewten. Sie leiteten das ZACK von 2003 (#45) bis 2008 (#104) und entwickelten es weg von einer reinen Vorpublikationsplattform zu einem Magazin mit exklusiven Inhalten. Beide arbeiten auch heute noch mit und an klassischen oder modernen ZACK-Serien wie Allein, Cubitus oder Chinaman! Vielen Dank für die mit dieser Serie bewiesene Bereitschaft sich mit den alten Konzepten auseinanderzusetzen und sie erneut zu präsentieren. Vielleicht lässt sich der eine oder die andere ja mal zu Kommentaren mit Bewertungen oder Wünschen verlocken.

Internationale Schauplätze, verteilt über verschiedene Jahrhunderte machen die Empfehlung eines Getränkes nicht einfach: Traubensaft, vergoren oder nicht, gab es wohl immer und er findet in Form eines Grand Cru auch Verwendung in diesem Heft. Dazu empfehle ich, inspiriert durch einen Besuch in einem tollen veganen Café in Rotterdam, Club-Jazz!

Abbildungen © 2019 MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag und den jeweiligen Zeichnern und Verlagen

Africa Dreams Gesamtausgabe

Africa Dreams, Band 1 – 4

Story: Maryse und Jean Francois Charles
Zeichnungen: 
Frédéric Bihel

Originaltitel: L’Ombre du roi / Dix volontaires sont arrivés / Ce bon Monsieur Stanley / Un Procès colonial

Splitter Verlag

Hardcover Überformat | 200 Seiten | Farbe | 36,00 € |

ISBN: 978-3-96219-190-0

Cover Africa Dreams

Die Gesamtausgabe der vier Bände von Africa Dreams fällt ein wenig aus dem Rahmen: Sie ist keine nette Abenteuergeschichte und auch wenn sie in gewisser Weise ein Happy End hat, konnten Millionen von zu dem Zeitpunkt bereits getöteten davon nicht mehr profitieren. Maryse und Jean-François Charles beschreiben in diesem von Frédéric Bihel umgesetzten Werk die „Befreiung“ des Kongo aus dem persönlichen Eigentums König Leopold II. von Belgien und den dazu nötigen Kampf um die veröffentlichte Meinung.

Besonders hervorzuheben ist dabei, dass es sich bei dem Ehepaar Charles um zwei Belgier handelt, sie also tief in die Geschichte ihres eigenen Landes abtauchen müssen. Das Bild des Königs ist dabei gar nicht so einfach zu fassen. Einerseits steht seine Grausamkeit in Bezug auf die Bewohner*innen des Kongo außer Frage, andererseits setzte er sich durchaus etwa für die Abschaffung der Sklaverei ein und wird im Kongo selbst immer noch respektiert für seine Rolle in der Schaffung und Konstituierung des Gebildes „Kongo“ an sich. Und trotz aller deutlichen Kritik am „Kongogräuel“ ist diese Geschichte kein Hass-Dokument.

Detail Africa Dreams page 5

So beginnt die Geschichte denn auch 1960 während eines Museumsbesuches mit einer sehr lobenden Erklärung, dass König Leopold II. Belgien den Kongo geschenkt, die Wilden zivilisiert und der Welt damit Gutes getan habe. Natürlich werden diese Aussagen auf den folgenden fast 200 Seiten dekonstruiert und mit der heutigen Kenntnis auch reflektiert. Der Vorwurf der Nestbeschmutzung wird von traditioneller Seite trotzdem erhoben werden.

Worum geht es?

Leopold II., einer der reichsten Männer Europas zu seiner Zeit, hatte den Forscher Dr. Stanley beauftragt, Forschungsstützpunkte im Inneren Afrikas zu gründen und dann das darum liegende Land gekauft und Freistaat Kongo genannt. Er selbst war nicht nur König von Belgien, sondern auch Herrscher über dieses 80-mal größere afrikanische Gebiet und wollte seinen nicht unerheblichen Einsatz zurück.

Der Freistaat Kongo lieferte im Wesentlichen Kautschuk und Elfenbein. Um den maximalen Profit zu erzielen (und weil er Sklavenhandel wirklich nicht mochte) setzte Leopold, der den Kongo selbst nie betreten hat, Zwangsarbeiter ein und sorgte mit einem blutigen und auf Horror basierendem System dafür, dass möglichst billig möglichst viel produziert werden konnte.

Detail Africa Dreams page 28

Katholische Priester, die zu Missionszwecken im Land tätig waren, waren offiziell nicht in Gegnerschaft zu diesem Verhalten des gläubigen Herrschers und wiesen ihre Priester vor Ort an, keine Kritik zu äußern oder zu unterstützen. Die evangelischen Missionare waren dagegen eher bereit, über Missstände zu berichten oder für Verbesserungen zu sorgen.

Paul Delisle ist einer der Belgier, die während ihrer Zeit in Afrika erkannt haben, dass es sich bei den Eingeborenen keineswegs um Wilde handelt, die den Status der Ware nur knapp verlassen haben, sondern um Menschen mit den gleichen Rechten und findet zunächst sich selbst, dann seinen Frieden und sein Glück.

Edmund Morel entwickelt sich vom passiv beobachtenden Beschreiber zum aktiven Schreiber für die Rechte der Schwarzen und gegen die Unterdrückung.

Henry Morton Stanley ist nicht nur Forscher, sondern auch immer mehr in die Schachzüge seines Gönners König Leopold eingespannt und gibt kein gutes Bild ab.

Detail Africa Dreams page 143

König Leopold II. schließlich wird über die mehr als 20-jährige Periode seiner Herrschaft über den Kongo dargestellt. War er zunächst noch fasziniert von den Wundern des Kongo, standen später ehr seine amourösen Interessen im Vordergrund um schließlich vom Kampf um die Deutungshoheit abgelöst zu werden. Ganz zum Schluss steht dann tatsächlich die Befriedigung über einen Deal mit Belgien über den Verkauf des Gebietes an sein Königreich in seinen Augen.

Die Umsetzung

Mir persönlich gefallen die Zeichnungen von Frédéric Bihel nicht ganz so gut wie die von Jean Francois Charles in India Dreams. Sie gehören gleichwohl zur Oberklasse. Gerade durch die wasserfarbenartige Kolorierung gewinnen die Figuren und das Dekors etwas Altertümliches, das fast zu perfekt zu dieser Geschichte passt. Es lässt sowohl Landschaften wie auch Gesichter plastisch wirken, erinnert an alte Kunst und ist trotzdem realistisch. Die Schrecken werden dadurch aber auch etwas abgemildert. Der Seitenaufbau ist dabei äußerst flexibel; er verlässt das klassische tabellenartige Schema zwar so gut wie nie, hat aber viel Varianz in der Höhe und Breite und wird dadurch nicht langweilig. Im Verlauf werden immer wieder Zeitdokumente wie Fotos oder Zeitungen eingestreut, die eine größere Schärfe besitzen und sich dadurch deutlich abheben. Auch dieses ist sehr gelungen!

Hinweisen möchte ich darauf, dass die Gräuel wie abgeschlagene Hände oder niedergebrannte Dörfer durchaus gezeigt werden, Massenvergewaltigungen oder -tötungen dagegen nicht. Der Splatter steht hier also keinesfalls im Vordergrund. Trotzdem handelt es sich bei dieser Auseiandersetzung keinesfalls um etwas für jedes Kind geeignetes.

Abgerundet wird diese Gesamtausgabe durch Zeitdokumente und Skizzen im Anhang, ergänzt durch einen Essay von Colette Braeckman, Expertin für Zentralafrika unter anderem für die Le Monde Diplomatique. Dadurch wird dem/der Leser*in noch mehr Möglichkeit gegeben, ein eigenes Bild zu entwickeln oder tiefer in die Materie einzusteigen.

Africa Dreams page 103

Das Thema „Kongo“ war in diesem noch jungen Jahr schon mehrfach Thema der Nachrichtensendungen und auch auf Netflix präsent. Diese Graphic Novel bietet Hintergrundwissen ohne dabei zu belehren oder vorzugeben. Nebenbei ist das Ganze auch noch – und das ist schließlich für einen Comic besonders wichtig – eingebettet in spannende Handlungsstränge: Liebe für das Land, Selbstfindung, Liebe und Familiengründung, beruflicher Kampf für die Wahrheit und politische Intrigen. Alle diese Themen zusammen sind von dem Ehepaar Charles so raffiniert miteinander verwoben, dass schon dadurch das Lesen und Genießen zu einem Genuss wird.

Da auch Dr. Stanley nicht nur seine hier gezeigten Schattenseiten aufwies und der Popwelt durch einen ihm zugeschriebenen Satz erhalten bleiben wird, soll das auch die musikalische Referenz sein: „Dr. Livingstone, I presume“ in der Originalversion der Moody Blues! Dazu passen dann gesamtausgabenangemessene Getränke mit viel afrikatypischem Heilmittel, Chinin, das ebenfalls von Leopold II. in seiner Wirkung erkannt worden war: Tonic! Wer mag darf zusätzliche Spirits hinzufügen. Generell sollte aber nicht überdosiert werden!

© der Abbildungen 2019 Splitter Verlag

Stripschrift 456 – November 2018

Stripschrift 456 – Jeroen de Coninck & Vittorio Giardino

Herausgeber und Verlag: Stichting Uitgeverij Stripschrift

Heft Din A 4 | 44 Seiten | Farbe | 8 €
ISSN: 0165-845X

Cover Stripschrift 456

Das Magazin STRIPSCHRIFT aus Rotterdam erscheint mittlerweile im 52. Jahrgang, es ist also eine echte Institution unserer westlichen Nachbarn. Viermal pro Jahr bietet es Interviews, News und fachlich fundierte und reich bebilderte Artikel über Comics und Karikaturen. 2011 erhielt es dafür den P. Hans Frankfurther Prijs für besondere Verdienste. Wer Interesse daran hat, kann es auch außerhalb der Niederlande abonnieren.

Die hier besprochene Ausgabe 456 vom November 2018 soll als ein Beispiel für die wirklich lesenswerte Zeitschrift dienen. Zugleich ist es eine perfekte Ergänzung zur Reddition 69 über Peyo und sein Atelier. Neben einem längeren Interview mit Vittorio Giardino, auch in Deutschland bekannt durch Jonas Fink und Max Friedmann, enthält es ein langes Interview mit dem seit 30 Jahren für das Studio Peyo arbeitenden Jeroen de Coninck. Jeroen hat nicht nur einige der aktuellen Schlumpf-Alben gezeichnet, sondern auch Merchandise-Figuren, Poster und Kinderbücher mit den kleinen blauen Kobolden gezeichnet und entworfen. Die Rezension zum 36. Album gibt es hier.

Das Interview bietet einen Einblick in seine Laufbahn und Arbeitsweise im Studio und auch Ausblicke auf das bereits angekündigte neue Abenteuer.

Stripschrift 456 page 17

Dazu kommt ein Artikel des Theologen Frank G. Bosman aus Tilburg. Er entwickelt aus seiner Sicht eine Analyse der theologischen und philosophischen Grundmuster die bei den Schlümpfen verwendet werden – Lesenswert und anregend! Dieser Artikel beweist wieder einmal, dass gute Geschichten oft ihren Hintergrund in alten Mythen haben. Leider ist das Wissen darum oft genug vergessen.

Giardino erzählt in den zweiten Schwerpunkt des Heftes, warum er seinen ursprünglichen Beruf aufgegeben hat um als Autodidakt Comics zu zeichnen und mit welchen Schwierigkeiten er anfangs zu kämpfen hatte. Mittlerweile kann er es sich leisten, Comics zu zeichnen und erst danach nach einem Verleger zu suchen. Er begründet außerdem, warum er sich für seine Comics so lange Zeit nimmt und erklärt seine Arbeitsweise sehr ausführlich.

Auch wenn bei der STRIPSCHRIFT natürlich der niederländisch-flämische Markt im Vordergrund steht sind die dort abgedruckten Interviews auch für deutsche Leser*innen interessant und einen Versuch wert. Zudem sind viele der abgedruckten Illustrationen hier so nicht verfügbar.

Dazu passen ein traditionelles Leffe und The Selecter!

© der Abbildungen 2018 Stichting Uitgeverij Stripschrift, Rotterdam

Mosaik feiert die 750. Ausgabe

mosaik – mit den Abrafaxen durch die Zeit 521 (Mai 2019)

Der letzte Erbe
Story: 
Jens U. Schubert
Zeichnungen: 
Kollektiv

MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag
Kleinformat | 48 Seiten | Farbe | 3,40 €  
ISSN: 
0323-8857

Cover Mosaik 521

Im Dezember 1955 erschien das erste von insgesamt 229 MOSAIK-Heften mit den Digedags und im Januar 1976 dann das erste Abenteuer mit den Abrafaxen. Die aktuelle Nummer 521 ist also zusammengerechnet das 750. MOSAIK-Heft (und dabei sind die 40 von Anna, Bella und Caramella noch nicht einmal mitgezählt). Comix-online gratuliert dem aktuell mit einer Auflage von rund 100.000 Exemplaren erfolgreichsten in Deutschland produziertem Comic-Magazin herzlich!

Das MOSAIK hat seit rund 60 Jahren einen ganz eigenen Produktionsprozess: Es gibt ein festes Team von ungefähr 20 Leuten. Wenn die Stationen der Geschichte stehen, verfasst der Autor das Manuskript und erste Skizzen zur Bildaufteilung. Das Redaktionskollektiv begutachtet und verbessert diesen Aufbau dann. Eine weitere Besonderheit ist, dass jeder Zeichner für „seine“ Figur zuständig ist. Pro Seite sind also mehrere Zeichner parallel auf einem Zeichenkarton im Din A-3-Format tätig. Nach der Fertigstellung aller Zeichnungsbestandteile wird dann am Computer koloriert.

Zur Feier des Jubiläums liegt dem MOSAIK übrigens ein Riesenposter bei, auf dem nicht nur alle 750 Cover abgebildet, sondern auch die einzelnen Handlungsbögen im Zeitablauf aufgeführt sind.

Im Heft läuft noch das sogenannte Hanse-Abenteuer; Abrax, Brabax und Califax hat es in die Zeit der Hanse verschlagen. Während Abrax und Simon nach ihren Tätigkeiten in Brügge nun wieder in Lübeck angekommen sind, wo Simon verzweifelt versucht, die launische Ulrike als Braut zu gewinnen. Währenddessen entdeckt Genta, die als billige Dienstmagd für Ulrikes Vater arbeitet, einen Brief ihres verstorbenen Vaters, der alles ändert.

Mosaik 521 page 15

Brabax und Califax sind noch immer in Nowgorod. Sie haben mittlerweile drei der vier Erben der Schatzkarte ausfindig gemacht und versuchen, Pelze zu erwerben. Auf ihrer Fahrt nach Pleskau werden sie von einer Horde Wölfe gestellt. Aus dieser Szene entstammt auch das brillante Coverbild! Wer ist der „letzte Erbe“?

Zeichnerisch bewegt sich das MOSAIK meistenteils auf einem guten Niveau für Semi-Funnies. Bei einigen Nebenfiguren ist die Gesichtspartie steigerungsfähig, ansonsten gibt es aber nichts zu meckern. Storytechnisch schaffen es die Verantwortlichen eine Geschichte über ein bis zwei Jahre zu strecken und dabei den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten. Eine beachtliche Leistung die am Kiosk zu Recht honoriert wird.

Begleitend werden wieder Informationen über Geschichte und Technik in Kooperation mit verschiedenen Museen vermittelt. Diese Seiten helfen sicherlich, den einen oder anderen Großelternteil zum Kauf zu überreden. Bei der Elterngeneration sollte das Vorurteil der minderwertigen Literatur eh nicht mehr anzutreffen sein.

Diesem Konzept wird hoffentlich noch eine lange Zeit und viele weitere Jubiläen vergönnt sein! Verdient wäre es.

Dazu passen zuckerarme, selbstgemachte Limonade und eine „Summer“-Playlist, die von den schneebedeckten Weiten Nowgorods ablenkt.

Abbildungen © 2019 MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag

Sempé – Klassiker des Monats April 2019

Sempé – Das Geheimnis des Fahrradhändlers

Story: Jean-Jacques Sempé
Zeichnungen: 
Jean-Jacques Sempé

Übersetzung : Partrick Süsskind

Originaltitel: Raoul Taburin

Diogenes-Verlag

Hardcover | 112 Seiten | Farbe | 16,00 €
ISBN: 
978-3-257-06473-5

Cover Sempé - Das Geheimnis des Fahrradhändlers

Es ist an der Zeit, einen der ganz großen Bildgeschichtenerzähler Europas mit einem Beitrag zu würdigen, auch wenn seine Werke keine Comics im eigentlichen Sinne sind. Jean-Jacques Sempé, 1932 in Bordeaux geboren, hat unzählige Karikaturen veröffentlicht sowie neben eigenen Werke von Goscinny, Modiano und Süskind illustriert. Ihm zu eigen ist die Achtung vor dem Leben mit all seinen Niederlagen und der melancholische Ansatz, der die gezeichneten Personen so lebensecht und liebenswert macht.

Seine bekanntesten Werke sind wahrscheinlich die (auch verfilmten) Geschichten um den kleinen Nick, die er zusammen mit René Goscinny entwickelt hat. Hier soll es aber um das Geheimnis des Fahrradhändlers gehen:

Paul Tamburin arbeitet als Fahrradhändler in Saint-Céron, einem kleinen, typischen französischen Ort. Die Bewohner*innen sind es gewöhnt, Gegenstände wie „Schinken“ oder „Brille“ mit dem Namen des entsprechenden Händlers zu belegen und im Laufe der Zeit wird auch das Wort „Fahrrad“ durch den Namen Tamburin ersetzt. Kurzum, das Leben könnte für den glücklich verheirateten Vater zweier Kinder nicht schöner sein, wenn da nicht ein furchtbares Geheimnis auf seinem Leben liegen würde. Paul kann leider Fahrräder zwar reparieren, verkaufen und verbessern, fahren kann er sie nicht.

Sempé - Geheimnis des Fahrradfahres page 29

Es kommt aber die Zeit, wo scheinbar keine Ausrede mehr hilft und er ein Rad besteigen muss…

Die Geschichte ist so liebevoll erzählt wie es heutzutage fast nur noch in Frankreich möglich zu sein scheint. Engländer, Niederländer und Deutsche würden entweder in Komik abgleiten, psychologisieren oder aber ein Unterschicht-Drama kreieren; Franzosen können einfach erzählen. So gelingt es auch Sempé, die Geschichte trotz aller Dramatik und Tragödie mit Anteilnahme und Sympathie ablaufen zu lassen, seine Strichzeichnungen bringen dabei die einzelnen Begebenheiten visuell auf den Punkt. Manchmal wiederholen sie nur das bereits gesagt, manchmal fügen sie aber auch Aspekte hinzu, die so nie geschrieben hätten werden können. Sie sind dabei einerseits unheimlich fragil und flüchtig, transportieren gleichzeitig aber so viel vom täglichen Kampf um sich selbst, indem sie das kleine Individuum in die große Welt stellen, dass sie absolut liebenswert sind.

Sempés Helden sind keine Superwesen, Ausnahmeerscheinungen oder Monster, sie sind einfach nur wir alle.

Sempé - Geheimnis des Fahrradfahres page 46

Patrick Süskind hat diesen Band im Übrigen sehr gut übersetzt. Mir wird zwar nie ganz verständlich werden, warum die Namen der Handelnden geändert werden, den Satzbau, die Tempiwechsel und die Poesie der Sprache trifft er aber sehr gut.

Das Geheimnis ist ursprünglich bereits von 1996 und liegt seit 2005 in der besprochenen Ausgabe vor. Trotz seines Alters von 25 Jahren ist es aber auch heute noch lesbar, auch wenn es schon ein wenig den Charme der guten, alten Zeit zu versprühen scheint. Das Bändchen ist wie fast alles von Sempé bei Diogenes erschienen und noch lieferbar.

Dazu passen französische Chansons etwa von Coralie Clément und roter Landwein am besten.

©1996, 2005 Diogenes Verlag AG Zürich

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