Legendre/Cambré – Kronieken van Amoras 7

De Kronieken van Amoras 7: Wie niet horen will

Story: Willy Vandersteen, Marc Legendre
Zeichnungen: Charel Cambré

Standaard Uitgeverij
Softcover | 48 Seiten | Farbe | 7,99 €
ISBN: 978-90-02-26981-3

Kronieken van Amoras 7 Cover

De Kronieken van Amoras sind einerseits die „Verlängerung“ einer überaus erfolgreichen Serie – Amoras 2047 –,  in gewisser Weise also so etwas wie eine Zweite Staffel, haben andererseits aber den Vorteil, dass sie keine durchgehende Geschichte erzählen müssen und sich einzelnen zentralen Figuren oder Themen widmen können. Diese Flexibilität nutzen die Künstler weidlich für eine Gesellschaftskritik, die nicht mit dem Holzhammer daherkommt, sondern immer wieder Themen präsentiert, die Fragen hinterlassen und eine Schwarz-Weiß-Einordnung ad absurdum führen. In der Vergangenheit waren das etwa Versuchslabore, Androiden oder Kampfsport.

Die Klimakatastrophe kommt dich zuhause besuchen

Kronieken van Amoras 7 page 2

Auch der siebte Teil Wie niet horen will passt in dieses Schema. Wie bei so vielen gebrochenen Lebensverläufen steht am Anfang ein Trauma. Hier geht es um die Flucht über das Meer und den Verlust der Mutter, die ihr Kind zwar den rettenden Händen noch reichen konnte, dann aber selbst unterging. Es gibt viele Fluchtursachen; eine davon ist politische oder religiös verbrämte Gewalt, die im Hintergrund liegende ist aber oft die durch sogenannte Naturkatastrophen ausgelöste wirtschaftliche Situation. Dürren, Überschwemmungen, Brände werden durch die von Menschen verursachten Klimaveränderungen immer häufiger und stärker, Abhängigkeiten von genetisch veränderten Saatguten immer größer. Vielen bleibt dann nur die Flucht (die man in der europäischen Geschichte gerne Auswanderung nennt).

30 Jahre nach der Katastrophe ist der kleine traumatisierte Gerettete erfolgreich. Er hat Karriere gemacht, viel Geld verdient und beschäftigt sich wissenschaftlich mit den Folgen der Klimaveränderungen.

Es ist Sommer in Antwerpen. Sidonia, Lambiek und Jerom genießen das Wetter am Strand und Suske und Wiske machen eine Probefahrt mit einem Motorrad als sie plötzlich von einem Konvoi ferngelenkter LKWs von der Straße gedrängt werden. Kurze Zeit später explodiert eine gewaltige Sprengladung in der Tunnelunterführung und die unter dem Meeresspiegel liegende Innenstadt läuft voll Wasser. Unsere beiden Held*innen können sich nur knapp in ein Obergeschoß retten als sie sich auch schon Plünderern gegenüber sehen.

Kronieken van Amoras 7 page 2

In den Nachrichten übernimmt ein bisher Unbekannter die Verantwortung und teilt der Bevölkerung mit, dass an den Küsten Millionen von Überschwemmungen aufgrund der Klimakatastrophe bedroht sind und nun endlich einmal die Verursacher im reichen Westen die Folgen am eigenen Leib verspüren könnten. Er kündigt weitere Anschläge an.

Professor Barabas war guten Glaubens in die Sache verwickelt und bittet nun Suske und Wiske, die Beweise für seine Beteiligung zu holen und schickt die Beiden damit buchstäblich in das Herz des Sturms. Marc Legendre spielt damit weiterhin sehr geschickt mit den vorgegebenen Figuren des Vandersteen‘schen Universums, lässt sie im Rahmen der Möglichkeiten aber aktueller und erwachsener erscheinen.

Herausragendes Artwork

Wie auch in allen früheren Bänden dieser Serie oder etwa in den Robbedoes-Erzählungen erlaubt der Stil von Charel Cambré einerseits eine gewisse Distanzierung vom Geschehen indem er Gesichter teils karikiert, andererseits sind die Umgebungen so realistisch, dass man beim Lesen das Tosen des Windes oder das Brausen des Wassers förmlich zu hören vermutet.

Kronieken van Amoras 7 page 3

Dabei gelingt es Cambré, den Szenen Dynamik und Geschwindigkeit mitzugeben, etwa, wenn Suske versucht, sich aus den reißenden Wassermassen zu befreien. Er beherrscht aber auch die eingefrorene Momentaufnahme, etwa bei den Aufnahmen zum Bekennervideo. Dabei ist vor allem wegen des hohen Tempos der Veröffentlichungen weiterhin bemerkenswert, wie viele Details in den einzelnen Panels enthalten sind.

Der Ausblick

Ich konnte vor ein paar Tagen ein Corona-gemäßes Interview mit Carel Chambré führen und plane das Gleiche mit Marc Legendre. Es wird in ein paar Tagen hier veröffentlicht werden . Leider kann man dem entnehmen, dass mit dem kommenden, achten Band die Kronieken ihr Ende finden werden.

Alle, die des Niederländischen mächtig sind, sollten mehr als einen Blick in diese Reihe werfen, gehört sie doch zum Besten, was aktuell verfügbar ist. Alle anderen können sich schon mal auf den Sommer freuen, wenn die Originalserie Amoras 2047 ihren ersten Auftritt im ZACK haben wird.

Zur Lektüre empfehle ich ein wiederentdecktes Antwerpener Seef und für die Ohren Der Polizei aus Mechelen.

© der Abbildungen 2020 Standaard Uitgeverij

Hill/Melnikov – Angel 1

Mensch Sein

Story: Bryan Edward Hill – Angel geschaffen von Joss Whedon

Zeichnungen: Gleb Melnikov – Angel geschaffen von Joss Whedon

Originaltitel: US-Angel Volume 1 – Being Human

Dani Books

Prestige | 136 Seiten | Farbe | 16,99 €
ISBN: 
978-3-95956-141-9

Vampire sind immer noch trendy und begeistern über viele Altersgruppen hinweg in Literatur, Comic, TV/Film oder Spielen. Selbst Vampir-Musicals waren vor Corona ausverkauft. Die Faszination des skrupellos Bösen, von keiner Seele, keiner Reue, keiner Religion Begrenzten scheint einem Urtrieb zu entspringen, sich das Böse ausmalen zu müssen. Und oft kommt sicherlich auch noch eine erotische Komponente der vollkommenen Hingabe hinzu.

Der Vampir mit der Seele

Angel, die von Joss Whedon ursprünglich im Zusammenhang mit Buffy, der Vampirjägerin geschaffene Figur, ist besonders! Der seit Jahrhunderten aktive Vampir erinnert sich an alle Aktionen, an die Gewalt und das Blut, die dadurch hervorgerufene Trauer und bedauert diese! Aufgrund eines Fluchs ist er nämlich der einzige Vampir, der seine Seele zurückerhalten hat und dementsprechend nun alle seine Un-Taten bereut. Er hat daraufhin sein „Leben“ der Bekämpfung von Vampiren, Dämonen und sonstigen Ausgeburten der Hölle gewidmet und ist dabei mehr oder weniger erfolgreich. Der Titel des ersten Sammelbandes, der die Folgen eins bis vier der neuen Serie enthält, lautet daher auch Mensch sein.

Die Serie Buffy – The Vampire Slayer hatte ihren Start 1997, das Spin-Off um Angel folgte nach der dritten Staffel 1999. Da die Figur also schon fast aus der Elterngeneration der heutigen Leser*innen stammt, ist nun der perfekte Zeitpunkt für einen Re-Start! Boom! ist spezialisiert auf crossmediale Stoffe und Kooperationen sowie groß und durch Provokationen wie Faithless bekannt genug für den Markt.

Bryan Edward Hill hat die Aufgabe übernommen, das Bekannte neu zu verpacken, dem heutigen Lesefluss anzupassen und Referenzen an vergangene Epochen zu übersetzen. Es hat im sicherlich geholfen, dass er mit Detective Stories schon einen Mega-Titel betreut hat. Sein Angel ist gestört. Er kann seine Schuld nicht verarbeiten, verletzt sich selbst mit Sonnenlicht und verliert doch immer wieder Vertraute an den Tod. Wieder holt die Vergangenheit den tragischen Helden ein als ein vor Jahren geretteter und nun verzweifelter Vater gewordener Mann Angel bittet, seine Tochter kennenzulernen und kurz darauf stirbt.

Krasses Nachtleben

Der Hauptteil der Geschichte spielt – natürlich – nachts und fern dem Sonnenlicht. Trotzdem schafft es Gleb Melnikov, die Umgebung klar darzustellen, die Düsterkeit aber zu betonen. Er arbeitet dabei mit Schatten und Schraffuren die teilweise Details verdecken, teils aber auch akzentuieren. Sehenswert!

Die Glaubwürdigkeit der Geschichte steht und fällt mit Akzeptanz der Leser*innen für die Abscheu, die Angel befällt, sobald er sich erinnert. Sein aus Verzweiflung entstandener Hass auf alles Vampirische oder Dämonenhafte darf nicht gespielt wirken. Natürlich gilt das ebenso für seine Abneigung gegenüber allem Magischem, selbst wenn er es zur Zielerreichung einsetzt. Meiner Meinung nach passt das hier!

Die Empfehlung

Ich muss zugeben, dass mir Buffy im Fernsehen vor 20 Jahren lieber war als der tragische Vampir Angel. In der aktuellen, neuen Umsetzung im Comic ist es genau anders, denn hier gefällt mir Angel besser! Die ersten Folgen haben genau den richtigen Mix aus romantischer Tragik und Action! Zudem stimmen die Dialoge und die Zeichnungen auch Dank der guten Kolorierung von Gabriel Cassata und Roman Titov!

Jano Rohleder hat mit dieser Serie für seinen Verlag Dani Books den richtigen Riecher gehabt; Angel Band 1 ist für alle Fans der alten Serie, Vampir-Fans, Gothics und Romantiker*innen geeignet! Wer nur Bones kennt, erhält die Gelegenheit das Gesicht von Agent Booth in einer neuen Rolle zu sehen. Und die Sammler*innen sollten einen Blick auf die auf 99 Exemplare limitierte Hardcoverausgabe werfen! Wer übrigens seinen Kaufbeleg scannt bekommt zusätzlich auch noch eine digitale Kopie. Lobenswerte Idee! Der Band enthält natürlich auch eine Galerie der schönsten Variantcover verschiedener Künstler*innen und eine zusätzliche Kurzgeschichte.

Dazu passen Black Country, New Road mit ihrem nervösen Sound und ein samtschwarzes Stout!

© der Abbildungen 2021 20th Television / 2021 dani books

Graton/Lapiere/Benetau/Dutreuil – Michel Vaillant 13 Tage

Zweite Staffel Band 8: 13 Tage

Story: Philippe Graton, Denis Lapière
Zeichnungen: Benjamin Benéteau, Vincent Dutreuil

ZACK-Edition

Originaltitel: 13 Jours

MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag
Softcover | 56 Seiten | Farbe | 15,00 €
ISBN: 978-3-86462-077-5

Cover Michel Vaillant Staffel 2 Band 8

Michel Vaillant besticht seit jeher mit der fundierten Kenntnis über die Abläufe rund um den Motorrennsport, insbesondere rund um die Formel 1. Schon Jean Graton war ein gern gesehener Gast in den Boxen und wusste oft mehr als so manch Reporter. Diese akribische Vorbereitung auf die einzelnen Alben, die perfekte Wiedergabe des Ambiente mit all seinen Gerüchen, Geräuschen und Eitelkeiten hat der Vater im Laufe der Zeit an seinen Sohn Phillippe Graton weitergegeben der nun auch bereits seit 30 Jahren für die Entwicklung der Serie verantwortlich ist.

Eine folgenschwere Entscheidung

Vor einigen Jahren wurde die Serie modernisiert und erscheint nun als Zweite Staffel. Was aber geblieben ist, sind die gut recherchierten Szenarien, die sich um Elektromobilität, Wirtschaftskriminalität und natürlich immer noch die Formel 1 drehen. Aufgrund eines Unfalls hat Renault ausgerechnet vor dem französischen Heim-Grand Prix neben einigen Junior-Fahrern nur noch einen erfahrenen Piloten zur Verfügung. Der Verantwortliche traut sich, den alten Champion Michel Vaillant zu fragen, doch dieser hat nur 13 Tage, um aus dem Nichts heraus die nötige Fitness zu erreichen und sich mit dem Auto vertraut zu machen.

Michel Vaillant Staffel 2 Band 8 page 3

Das Skript von Philippe Graton und Denis Lapìere beschreibt das harte Training. Die Piloten müssen in der Lage sein, mehrere G an Beschleunigungsenergie wegzustecken, Atemstillstände zu kompensieren und eine immense Zahl von Funktionen mit ihrem kleinen Lenkrad beherrschen. Einige der beschriebenen Übungen lassen vielleicht das Herz der Freizeitsportler*innen höherschlagen, die Übungen im Wasser sind dann doch eher herausfordernd!

So ein Rennwagen ist aber nicht mehr wie früher einfach nur ein schnelles Auto, es besteht aus Millionen Einstellungen im Computer, die zwischen Fahrer und Team herausgearbeitet werden müssen. Die besondere Schwierigkeit gerade in diesem Fall besteht in einer Regel, die es den Piloten verbietet, das Auto außerhalb von für alle geltenden Zeiten zu benutzen. Und so bleiben nur weitere Computer in Form von Simulatoren.

Zwei Welten

Glücklicherweise stehen die beiden Zeichner Benjamin Benéteau und Vincent Dutreuil ihren textenden Kollegen in nichts nach! Sie beherrschen die von Selbstzweifeln geprägten Momente genauso gut wie die Rennszenen! Bereits das Cover deutet an, dass das Rennen von Regen begleitet sein wird. Das stellt nicht nur zusätzliche Herausforderungen an die Fahrer im echten Leben, sondern auch an die Künstler!

Michel Vaillant Staffel 2 Band 8 page 5

Dazu kommen all die bereits angesprochenen Trainingseinheiten, der zum Zirkus gehörende Presserummel und sogar Intimität innerhalb der Familie. Spannung und Information. Das war schon immer das Markenzeichen dieser Serie und ist es noch! Erstaunlich, wie diese Serie den Wechsel im Zeichnerstab ohne Verluste wegsteckt.

Der Ausblick

Wahrscheinlich haben es einige schon vernommen: Die Familie Graton hat die Rechte an Michel Vaillant an Dupuis verkauft. Verbunden damit hat Philippe seinen Ausstieg verkündet, denn er möchte sich nach 30 Jahren im Dienst des Lockenträgers wieder auf andere Schwerpunkte konzentrieren! Es bleibt abzuwarten, ob Denis Lapìere mittlerweile allein weitermachen kann, ob ihm ein anderer Autor zur Seite gestellt wird, er vielleicht sogar abgelöst wird und wie es weiter gehen wird.

Michel Vaillant Staffel 2 Band 8 page 6

Wie auch immer: Die sogenannte Zweite Staffel dieses Klassikers liefert bisher Jahr für Jahr mit hoher Präzision spannende, logisch aufgebaute und gut gezeichnete Abenteuer, die hier in Deutschland in der ZACK-Edition einen perfekten Ort gefunden haben. Ein gewisses Sportinteresse sollten die Leser*innen für diesen Band vielleicht mitbringen, das Lesevergnügen geht aber weit darüber hinaus. Dabei ist allein das Cover in einheitlicher Reihenaufmachung schon ein Grund, nach dem Vorabdruck im ZACK auch hier zuzuschlagen.

Der Vorschlag zur musikalischen Begleitung ist dieses Mal eher eine Huldigung für eine ganz große Truppe und eine ihrer gerade verstorbenen Sängerinnen: The Supremes mit Mary Wilson! Dazu passt ein alkoholfreies, isotonisches Weizen.

© der Abbildungen Graton-Lapière-Benétau-Dutreuil / Graton Editeur, 2019; 2021 MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag + PROCOM Werbeagentur GmbH

Derrien/Torregrossa – 1984

1984 – nach George Orwell

Autor: Jean-Christophe Derrien

Zeichner: Rémi Torregrossa

Originaltitel: 1984. D´après lòevre de George Orwell, adaptée par J.-C. Derrien and R. Torregrossa

Knesebeck Verlag

Hardcover | 128 Seiten | Farbe | 22,00 €

ISBN: 978-3-95728-468-6

Cover 1984-Knesebeck Verlag

1948, also in dem Entstehungsjahr von George Orwells Dystopie „1984“, lagen noch fast vier Jahrzehnte zwischen Gegenwart und Zukunft. Heute ist das seit fast vier Jahrzehnten Vergangenheit.

1984 – Synonym für die totale Überwachung

Und obwohl nicht alle Projektionen der Zukunftsvision Realität geworden sind waren wir technologisch gesehen noch nie so nah dran am gläsernen Menschen. Bis auf wenige Ausnahmen am Rand der Gesellschaft sind wir Bewohner*innen der „Ersten Welt“ aufgrund von Handy-Bewegungsdaten, Internet-Nutzungsprofilen, freiwillig bei Amazon, in der Spiele-App oder dem Einkaufsbonusprogramm abgegebenen persönlichen Metadaten und fleißig auf allen social-media-Kanälen geteilten privaten Inhalten so bekannt wie nie. Kein Überwachungsstaat hätte sich diese Informationsfülle ausdenken können, die heute zur Verfügung steht.

Zurück zu der literarischen Vorlage: 1984 beschreibt anhand des Angestellten Winston Smith die schleichende Entfremdung des Einzelnen mit dem kollektiven Staat. Er hinterfragt den Sinn seiner Arbeit, die aus dem Anpassen der dokumentierten Vergangenheit aufgrund tagesaktueller Entscheidungen besteht. Winston erkennt, dass eine Widerstandsbewegung existiert und vor allem ist er dabei, sich in Julia zu verlieben. Intimität und Sex sind als Keimzellen von Individualität und gemeinsamen eigenen Interessen strengstens verboten.

1984-Knesebeck Verlag page 5

Aufgrund von menschlichen Spitzeln und Denunziation aber auch durch technische Überwachung des gesamten öffentlichen und privaten Raumes ist Widerstand über eine längere Zeit unmöglich und wird strengstens bestraft.

Jean-Christophe Derrien ist bisher eher als Autor von Trickfilmumsetzungen verschiedener Comic-Klassiker bekannt geworden: Spirou, Blake und Mortimer oder Bob Morane wurden von ihm aufbereitet. Hier kann er eindrucksvoll beweisen, dass ihm eine Aufarbeitung eines fremden Stoffes auch für einen statischen, also gedruckten Comic gelingt! Er klebt nicht sklavisch am Original, sondern wählt aus und variiert dadurch das Tempo für das gewählte Medium. Viel Text wird dabei in Bildsprache umgesetzt und muss von uns Leser*innen aufgenommen werden: die drückende Stimmung, die durch die überall platzierten Kriegsplakate geschürte Angst, die Uniformität der Gesellschaft.

Schwarz-weiß, farbig, und wieder zurück

Die Geschichte beginnt mit schwarz-weißen Zeichnungen, teilweise auf schwarzem Seitenhintergrund. Rémi Torrregrossa legt Wert auf kleine Details im Hintergrund oder in den Gesichtern seiner Protagonist*innen. Obwohl alles einförmig gemacht wird, gibt es noch Individualität, sie äußert sich aber nicht. Erst als Winston und Julia sich näherkommen, Gefühle entwickeln und sich öffnen, wird es auch farbig. Es gibt aber noch eine weitere Emotion, die in der Lage ist, „Farbe“ zu entwickeln; welche das ist, soll hier nicht verraten werden.

1984-Knesebeck Verlag page 7

Die Zeichnungen sind so realistisch, dass sie beim Lesen das Gefühl der Anwesenheit vermitteln. Wie bei einer gut gemachten Dokumentation begleiten wir Winston, nehmen an seine Gedanken und Handlungen teil und fühlen mit. Geplant ist das in vielen Graphic Novels, erreicht wird das nur selten. Hier haben wir es mit einem dieser seltenen Glücksfälle zu tun: künstlerischer Anspruch und realisierte Umsetzung entsprechen einander virtuos!

Ein Must-Have für den Bücherschrank

Die Zeichnungen zeigen nicht nur die totale Uniformität und Unterdrückung auf beeindruckende Weise, sie deuten auch bereits im emotionalen Überschwang der Individualität an, dass diese niemals bestehen kann. Sie transportieren damit dem Text ebenbürtig die Düsterkeit der Zukunftsvision und warnen eindringlich davor, diese Macht zuzulassen. Natürlich aber enthalten sie kein Rezept gegen diese Diktatur und entsprechen damit dem Gefühl der Hilflosigkeit des Autors kurz nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges.

1984 gehört in jeden Bücherschrank! Nicht nur immer noch, sondern gerade jetzt! Wer mag darf das Original von George Orwell bevorzugen. Als moderne Interpretation, die obwohl originalgetreu doch auch aktuelle Bezüge herstellen kann, ist diese Graphic Novel allerdings ebenbürtig zu sehen! Den Kampf für Individualität, Freiheit und Frieden muss jede*r einzelne selbst beginnen, die Mahnung vor den Folgen des Verlierens bleibt aktuell.

1984-Knesebeck Verlag page 10

Wie immer sind die Comics aus dem Knesebeck-Verlag handwerklich schön! Das Buch sieht edel aus, die „Farben“, insbesondere das Schwarz, sind satt und das Papier so dick, dass nichts durchscheint. Ein weiteres Kleinod für die Sammlung.

Dazu passen ein Grog, denn man möchte sich an etwas Warmen festhalten, und Clockwork-Orange beeinflusste Musik von den Adicts.

© der Abbildungen 2021 Éditions Soleil, Groupe Delcourt, Paris, par J.-C. Derrien and R. Torregrossa / 2021 von dem Knesebeck GmbH & Co Verlag KG, München

Stellmann – Science Fiction Pop Art Nick

Die sensationelle Dokumentation über Hansrudi Wäschers „Nick, der Weltraumfahrer“

Text: Kai Stellmann
Originalausgabe

Verlag Pegasos-Comics UG

Hardcover | 276 Seiten | Farbe | 36,00 €
ISBN:978-3-9821984-0-8

Cover Stellmann Nick, der Weltraumfahrer

Deutschland, Ende der Fünfziger Jahre: Die Kriegsfolgen sind größtenteils überwunden, das Wirtschaftswunder hat Fuß gefasst, die Stimmung ist aber immer noch stark konservativ geprägt. Aus den USA ist eine Kampagne herübergeschwappt die Bildgeschichten für den Auslöser von Verrohung der Jugend hält und schon wieder zur Verbrennung von Schund aufruft. Es gibt eine Institution die Publikationen auf Verstöße gegen den Jugendschutz überprüft und gegebenenfalls indiziert. Trotzdem lassen sich viele Kinder und Jugendliche den Spaß nicht verbieten und kaufen oder tauschen Piccolos, kleine Hefte mit farbigem Umschlag und einem Streifen an schwarz-weißen Bildern, die anfangs für 20 Pfennig verkauft werden.

Der Autor, Kai Stellmann, hat diese Zeit als Kind selbst erlebt. Er beschreibt die Piccolos nicht aus der Sicht des Sammlers, sondern als Leser und Fan. In späteren Jahren hat er selbst eine Buchhandlung für Comics in Bremen geführt und Comic-Käufer*innen wie mich beraten.

Für 20 Pfennig Abenteuer

Während anfangs viele der Comics-Serien als Übersetzungen aus Italien kommen, hier aber oft der Indizierung zum Opfer fallen, setzt sich im Laufe der Zeit ein Name immer mehr durch: Hansrudi Wäscher. Dieser hatte als Kind in der Schweiz lange Zeit im Bett verbringen müssen und dort italienische Comics verschlungen. Als Erwachsener sollte er einen riesigen Ausstoß von Bildgeschichten produzieren und zum wesentlichen Zeichner der später nach dem bekanntesten Verlag sogenannten Generation Lehning werden.

Wäscher zeichnete und textete Dschungelabenteuer, Rittergeschichten und Science-Fiction für mehr als 1100 Piccolos und über 400 Großbände in nur 15 Jahren und bewies damit seine Ausnahmestellung. Dazu muss gesagt werden, dass die produzierten Seiten nicht nur quantitativ aus der Masse hervorstechen, sie waren auch für die damalige Zeit auf einem qualitativ sehr hohen Niveau und wurden vielfach nachgedruckt bzw. fortgesetzt. Es stellt sich daher die berechtigte Frage nach der Herkunft all der grundlegenden Ideen für diese doch sehr unterschiedlichen Genres.

Detail Stellmann Nick, der Weltraumfahrer 1

Quellen der Inspiration

Für die Serien um Nick, zunächst als Der Weltraumfahrer, später als Pionier des Weltraums hat Kai Stellmann sich in jahrelanger Recherche bemüht, alle Einflüsse aufzuspüren und zusammenzustellen. Die „sensationelle Dokumentation“ Science Fiction Pop Art beschreibt akribisch für jeden der 13 Piccolo- und 10 Großband-Zyklen die Werke, aus denen Wäscher seine Ideen gezogen hat. Die Ursprünge liegen teils in Romanen, teils in Comics und Zeitungsstrips, verwerten aber auch Science-Fiction-Filme der damaligen Zeit.

Ich möchte hier nicht spoilern und auf Quellen verweisen, ein paar seien aber gestattet: Brick Bradford, Mystery in Space und Metaluna 4 antwortet nicht. Auch Nick war natürlich selbst wieder eine Quelle für Folgewerke und so sind auch Hinweise auf diese Rezeptionen, z. B. in Perry Rhodan oder Verfilmungen wie Stargate in der Ausarbeitung enthalten.

Detail Stellmann Nick, der Weltraumfahrer 2

Der Aufbau der einzelnen Zyklen folgt immer dem gleichen Schema: Auf eine grobe Inhaltsangabe der einzelnen Hefte bzw. Großbände folgt eine Herleitung welche Quellen Wäscher vermutlich benutzt hat und meistens auch noch eine tabellarische Übersicht der einzelnen Sequenzen oder Motive. Dabei arbeitet Stellmann auch mit vielen Bildzitaten, um deutlich zu machen, dass Details sehr eng kopiert worden sind. Alle diese Auflistungen haben aber nicht das Ziel, den Autor der tausende von Seiten erstellt hat als Plagiator zu bezeichnen. Im Gegenteil, Stellmann treibt eine große Ehrfurcht vor Wäscher und seiner Fähigkeit, Elemente neu zu verknüpfen oder sogar erstmals vertieft und vollständig darzustellen.

Der Kauftipp

Der Autor bringt immer wieder Querverweise auf andere Serien von Wäscher, bezieht die späteren Abenteuer mit ein und verknüpft die damaligen Lebensumstände direkt mit dem Serieninhalt, etwa wenn es um Ideen eines Serienendes geht. Persönlich wird es dann, wenn die auf der beiliegenden CD befindlichen Stücke in den Kontext von Nick gestellt werden. Warum ist das jeweilige Stück entstanden und wer war beteiligt? Dieses eingeflossene Herzblut unterscheidet dieses Buch von einem trockenen Sachbuch!

Detail Stellmann Nick, der Weltraumfahrer 3

Insofern ist die Dokumentation Science Fiction Pop Art nicht nur ein Blick hinter die Kulissen, sondern ein Must-Have für die Generation Lehning, Wäscher-Fans im Allgemeinen und auch für Liebhaber*innen der Science-Fiction der 50-er Jahre, egal in welchem Medium. Und nebenbei bemerkt: Für die akribische Arbeit und die liebevolle Ausgestaltung im eigenen Verlag mit CD ist das Preis-Leistungs-Verhältnis mehr als angemessen!

Natürlich passt dazu nur die auf der beiliegenden CD enthaltene Musik von Wolfsmond bzw. den Wild Black Jets. Man kann sich hier festlesen, deshalb kann ein Old Pulteney nebst einer Flasche Wasser nicht schaden.

© der Abbildungen 2020 Pegasos-Comics UG (haftungsbeschränkt)

Gazzotti/Vehlmann – Allein 12

Allein 12 – Die Aufständischen von Neosalem

Text: Fabien Vehlmann
Zeichnungen: Bruno Gazzotti

Originaltitel: Seuls – Les Révoltés de Néosalem

Piredda Verlag

Hardcover | 48 Seiten | Farbe | 14,00 €
ISBN:978-3-941279-91-9

Cover Allein 12

Allein sein ist etwas, das niemand auf Dauer erleben möchte. Es bietet für Wortspiele Anlass, etwa zu zweit und doch allein, und es ist der Ausgangspunkt für Überlegungen, was man auf eine Inselmitnehmen würde, wenn man dort seine Tage allein zu verbringen hätte. Allein ist aber auch der Titel einer der besten aktuellen Serien aus dem frankobelgischen Raum. Mehr zu den Hintergründen hier.

Brot, Spiele und Rebellion

Natürlich haben auch Bruno Gazzotti und Fabien Vehlmann die klassische Geschichte studiert. Es gab genügend Diktatoren, die versucht haben, ihre Bevölkerung mit blutrünstigen Spielen abzulenken. Die (Stierkampf-)Arenen in Italien und Spanien erzählen noch immer davon. Auch in der Literatur (etwa Spartacus) und im Comic (etwa Mechanica Caelestium) sind entsprechende Szenarien weit verbreitet. Oft genug beziehen diese Beispiele ihren Reiz daraus, dass die Unterdrückten sich keineswegs mit ihrer Opferrolle abfinden, sondern aktiv versuchen, ihre Freiheit, zu mindestens aber ihre Würde wieder zu erlangen.

Allein 12 page 1

In diesem Setting bewegen sich auch die Aufständischen von Neo-Salem. Saul muss beweisen, dass er derjenige ist, auf den die Ältesten gewartet haben, denn nur dann kann er seine Herrscherrolle weiterspielen. Tatsächlich scheint er auch die notwendigen Kräfte zu besitzen, aber nicht kontrollieren zu können. Was läge also näher als das in Klassen separierte „Volk“ zunächst einmal abzulenken und einen Tabubruch dafür zu nutzen.

Dafür ändert Saul die Regeln der etablierten Spiele von Neosalem und erlaubt den Tod der Beteiligten. Bei einer eventuellen Wiedergeburt würden die eingebrannten Schandmale der 8. Klasse nicht mehr sichtbar sein und eine Wiederaufnahme in die 7. Klasse garantiert. So könnte schließlich auch weiterer Klassenaufstieg realisiert werden. Ärgerlich ist nur, dass die Wiedergeburt keinesfalls sicher ist. Und natürlich gibt es noch ein zweites, geheimes Ziel, denn Saul möchte vor allem Leyla ausschalten.

Wie der Titel schon verrät gibt es aber selbst in Neosalem eine Gruppe von Aufständischen, die nicht länger gewillt sind, die Willkürherrschaft zu erdulden. Es reift der Plan, die Spiele für einen Aufstand zu nutzen.

Brillantes Artwork

Allein 12 page 3

Was mir bei dieser Serie ganz besonders gefällt ist der Widerspruch zwischen den auf den ersten Blick sehr freundlichen Zeichnungen und dem teils heftigen Inhalt! Da die handelnden Figuren Kinder sind und der Stil der Marcinelle-Schule folgt, wirkt Allein oberflächlich fast wie ein Semi-Funny. Tatsächlich trachten sich die Akteur*innen aber nach dem Leben, enthält die Story viele Horror-Elemente und ist dystopisch angelegt.

Bruno Gazzotti hat schon eine andere (lesenswerte!) Serie im semi-realistischen Stil über einen Polizisten, der sich wegen der Ängste seiner Mutter als Priester verkleidet aus dem Haus schleicht, gezeichnet: Soda. Seit 2006 arbeitet er an Allein. Seine Bilder sind nicht nur Momentaufnahmen und Umgebung für die Sprechblase, sondern erzählen eigene Geschichten. Sie enthalten so viel Emotionen, Bewegung und Kontext, dass es sich lohnt, die Bände mehrfach zu lesen.

Da Fabien Vehlmann auch genügend Sub- und Parallel-Plots in den Bänden unterbringt wird das mehrfache Lesen auch in dieser Hinsicht zum Genuss! Auf eine Sache möchte ich noch hinweisen: Beiden gelingt es eindrücklich, den Horror des zu schnell erwachsen werden Müssens darzustellen. Sei es der Umgang mit Angst, das der Gefahr stellen, die falsch oder richtig verstandene Romantik oder aber echte Freundschaft. Alle diese Punkte werden ständig in unterschiedlichen Konstellationen thematisiert und tragen viel zur unterschwelligen Grundstimmung des Unbehagens bei.

Allein 12 page 5

Die Empfehlung

Allein ist jetzt wieder komplett lieferbar und würde sich in jeder Sammlung gut machen! Wer bisher schon reingeschnuppert hat, sollte auf jeden Fall am Ball bleiben und sich auch den aktuellen Band zulegen. Für alle anderen sei kurz erwähnt, dass es bisher drei (aufeinander aufbauende) Zyklen gibt, die sich an den unterschiedlichen Farben der Nummerierung auseinanderhalten lassen. Der aktuelle 12. Band gehört zum dritten Zyklus und lässt sich auch ohne Vorkenntnisse lesen. Deutlich mehr Spaß macht es allerdings im Zusammenhang!

Schließen möchte ich mit einem kleinen Spoiler: In Kürze erscheint ebenfalls im Piredda-Verlag ein Making-of mit Zeichnungen und Texten rund um die Serie!

Dazu passen Die Toten Hosen mit Learning English, Lesson Two und ein belgisches Sauerbier/Geuze. Beides widerspricht auf den ersten Blick allen Erwartungen, entwickelt aber eigene Qualitäten.

© der Abbildungen Dupuis 2020 by Gazzotti, Vehlmann, 2021 Piredda Verlag

Orlando – Wonder Woman 13

Die wilde Jagd“ mit dem Jubiläumsheft 750

Story: Steve Orlando, Gail Simone, Greg Rucka, Scott Snyder u. a.
Zeichnungen: 
Bryan Hitch, Colleen Doran, Max Raynor, Jesus Merino, Nicola Scott u. a.

Originaltitel: Wonder Woman (2017) 82-83 & 750 – 753

Panini Comics

Klappenbroschur | 244 Seiten | Farbe | 26,00 €
ISBN: 
978-3-7416-2232-8

Cover Wonder Woman Sammelband 13

Wonder Woman ist eine der ältesten noch laufenden Superheld*innenserien und spätestens nach dem Blockbuster von vor ein paar Jahren auch wieder im Bewusstsein von Nicht-Nerds angekommen. Ursprünglich entwickelt wurde sie 1941 von dem Psychologen William Moulton Marston in Zusammenarbeit mit Max Gaines, dem späteren Gründer von EC-Comics. Ausschlaggebend war, dass es keine Superheldin gab, typisch weibliche Attribute also überhaupt keinen Platz in diesem Genre hatten.

Im Laufe ihrer 80-jährigen Geschichte wurde die Figur nebst ihrer Entstehungsgeschichte mehrfach überarbeitet. Geblieben ist ihr Status als Amazonenprinzessin und die Tatsache, dass Diana – so ihr richtiger Name – sowohl auf der Amazoneninsel Themyscira als auch auf der Erde unter Menschen leben darf. Die Unsterblichkeit der Amazonen hat sie allerdings verwirkt.

Detail Wonder Woman Sammelband 13

Der Kampf gegen Cheetah

Eine ihrer wiederkehrenden Hauptgegnerinnen ist Cheetah bzw. Dr. Barbara Minerva. Diese handelte jahrelang in unbedingtem Gehorsam gegenüber dem Gott Urzkartaga bis Wonder Woman sie davon hatte befreien können. Nun lebt sie in dem Wahn, diese Rettung vergelten zu müssen und Wonder Woman ebenfalls von dem Einfluss ihrer Göttin, Hera, zu befreien.

Nun wissen wir natürlich anhand einer ganzen Reihe von Beispielen (Conan, She, Buffy), dass es nicht ganz so einfach ist, Göttinnen zum Erscheinen zu bewegen. Cheetah versucht daher, Amazonen und auch Wonder Woman selbst in so ausweglose Situationen zu bringen, dass Hera schließlich auftauchen muss, um sie dann zu töten. Die wilde Jagd hat begonnen.

Detail Wonder Woman Sammelband 13

Kollateralschäden und neue Nazis

Aber auch in ihrem Alltag in Boston hat Diana mit Problemen zu kämpfen. Sie sieht es als ihre Aufgabe an, Schurk*innen zu vermöbeln und dingfest zu machen. Aus ihrer Sicht sind die dabei entstehenden Bruchschäden schlimmstenfalls eine lästige Begleiterscheinung. Die Stadt Boston sieht das aber anders und vermutet, dass viele Kämpfe gar nicht stattfinden würden, wenn die Superheldin nicht da wäre. Sie stellt daher Detective Nunes ab, um Diana zu überwachen und gegebenenfalls festzusetzen.

Das wäre normalerweise schon nicht schön, wird aber zum Problem, wenn sich eine mittelalterliche Schwertkämpferin in die Jetztzeit verirrt und mit ihrem Schwert um sich schlägt. Und dann wäre da ja auch noch Warmaster. Die Tochter von Naziterrorist*innen hat den Tod ihrer Eltern nicht verdaut und will sich an Wonder Woman rächen.

Detail Wonder Woman Sammelband 13
nur eine der Doppelseiten

Die Jubiläumsnummer 750

Jahrzehntelang hat DC seine Serien immer wieder neu gestartet. Man glaubte, dass hohe Nummern für Neueinsteiger*innen eher abschreckend wären. Dadurch vergibt man sich aber natürlich auch ein paar Jubiläen und so hatten bereits Superman und der Mitternachtsdetektiv ihre zusammengezählte 1000. Ausgabe. Auch diese Heldin hat eine faszinierende Nummer geschafft und die Zählung sprang von 83 auf 750! Wie immer bei solchen Ereignissen erlebt nicht nur die Hauptstory einen besonderen Lauf (siehe oben), es erscheint auch eine extra-dicke Ausgabe mit vielen Gastbeiträgen und noch mehr Variant-covern!

Da Wonder Woman hierzulande nicht in einzelnen Heften, sondern in Sammelbänden erscheint, hat man sich bei Panini glücklicherweise entschieden, alles in das Paperback zu packen. Es enthält daher acht zusätzliche Stories aus verschiedenen Wonder Woman Inkarnationen sowie eine immense Anzahl an Pin-Ups und Titel-Varianten. Gut gemacht!

Die Zeichnungen

Nicht nur die zusätzlichen Stories bringen unterschiedliche Interpretationen der Amazone in unsere Sammlungen; Nein, auch die regulären Hefte sind jeweils von anderen Künstler*innen gestaltet. Die Heldin wird dabei wirklich unterschiedlich dargestellt und gleitet mal eher in die realistische, mal eher in die zeichentrickartige Welt. Mir persönlich gefallen die Seiten von Max Raynor am besten. Auf jeden Fall ist es wahrscheinlich einmalig in einem Sammelband einer laufenden Serie 12 unterschiedliche Künstler*innen bzw. Teams vereinigt zu finden!

Detail Wonder Woman Sammelband 13

Die Wertung

Wonder Woman wurde lange Zeit unterschätzt. Tatsächlich ist sie in ihrem Ursprung feministisch, lebt mittlerweile offiziell ihre Bisexualität aus und ironisiert ihr eigenes Kostüm. Damit ist sie zwar nicht die einzige moderne Heldin im amerikanischen Superhelden-Mainstream, aber doch weit vorne. Im Rahmen dieser Gattung sind die Themen erfreulich irdisch, auch wenn die Akteure göttlichen Ursprungs sein mögen und somit nicht nur für Hardcorefans. Gerade dieser Band ist auch für Neueinsteiger*innen gut geeignet, da er kaum Vorwissen erfordert und wegen der Jubiläumsstorys sogar noch einen breiten Überblick über die unterschiedlichen Facetten der Figur gibt.

Wer sich schon vorher für WW interessiert hat, muss allerdings zugreifen, denn diese Ansammlung an Illustrationen wird so schnell nicht wieder erscheinen (und wer möchte schon bis zur Nummer 1000 warten). Außerdem ist allein das Ausklappcover einen Blick wert!

Dazu passen The Yeah Yeah Yeahs und ein Weißwein mit geringem Säureanteil fast perfekt.

© der Abbildungen 2020/2021 DC c/o Panini Comics

Burrini – Das Leben ist kein Ponyhof 4

Das Internet schlägt zurück!

Story: Sarah Burrini
Zeichnungen: Sarah Burrini

Edition Kwimbi

Hardcover | 144 Seiten | Farbe | 18,00 € |

ISBN: 978-3-947698-14-1

Wenn das Leben nicht nur aus Sonnenschein und Gänseblümchen besteht, sondern Herausforderungen und manchmal auch Rückschläge enthält, ist ein flapsiger Spruch meistens nicht weit entfernt. Oft lautet er „Das Leben ist kein Ponyhof“. Eigentlich drückt er nichts anderes aus als „Erwarte nicht zu viel, bleib realistisch und tu, was du kannst“. Genau in diesem Sinn ist auch der Titel für die Web-Comics von Sarah Burrini zu verstehen. Der erste Eintrag ihres Blogs datiert vom 4. Juni 2006 und seitdem erscheinen in loser Folge Strips, die oft einen semi-autobiographischen Touch haben.

Vor kurzem ist der vierte Sammelband mit gedruckten Strips erschienen: Das Internet schlägt zurück! Dieser enthält Comics aus den Jahren 2015 bis 2020. Sie sind anfangs noch als Strips angelegt mit 3 bis 4 Bildern in einer Reihe, wechseln dann aber zu Quadraten. Die ersten beiden Bände waren vor gefühlten Urzeiten noch bei Zwerchfell verlegt worden bevor Panini Comics übernommen hatte. Nach einer längeren Pause ist nun endlich Band 4 in der Edition Kwimbi erhältlich.

Die Vier-Bild-Erzählung

Ein Teil der Web-Comics befindet sich in der Tradition der Zeitungs-Tagesstrips. Es geht darum, die Leser*innen jedes Mal neu zu binden, sie mit einer guten aktuellen Geschichte zu überzeugen, gespannt auf die nächste Folge warten zu wollen. Je nach Genre kann das eine fortlaufende Story sein, eine tagesaktuelle Stellungnahme, situationskomisch oder – wie hier bei Sarah Burrini – in gewisser Weise autobiographisch. Dabei kommt es gar nicht darauf an, ob es „wirklich“ ist, es muss nur authentisch sein, also potenziell wirklich.

Die Heldin spielt sich selbst, hat aber Unterstützung durch Ngumbe, einem Elefanten, den Fungoiden El Pilzo, das Quotenpony Butterblume und Kevin-Asmodias, einem Nerddämon. Allein schon diese Zusammenstellung ermöglicht genügend Interaktion um Themen wie Weihnachten, Ferien oder Herbstanfänge zu behandeln. Die einzelnen Rollen sind so überzeichnet, dass sich jede*r Leser*in in einer der Protagonist*innen wiederfindet und mitschmunzelt.

Daneben gibt es selbstverständlich auch die Klassiker aus dem kreativen Alltag: der Ideenverlust, der Termindruck, die Präsentationsangst. Jede WG kennt die Spüle mit dem Abwasch von drei Tagen und die laute Musik trotz des eigenen Katers. Und da Sarah nicht nur Comics zeichnet, sondern diese auch liebt ist eine Superheldenparodie ebenfalls Bestandteil der Geschichten: Nerd Girl kämpft mit sich und der (männlichen) Umwelt.

Die Format-Explosion

Ende 2017 werden aus den Erzählungen im Tagesstreifenformat plötzlich Quadrate. Diese Umstellung verdoppelt einerseits den Platz pro Gag im Buch, erhöht aber auch die Flexibilität in der Darstellung. Sarah Burrini hat nun die Wahl, vier größere, quadratische Panels anstelle der bisherigen Rechtecke zu füllen oder auf zwei, teilweise sogar drei Streifen auszuweichen. Die Erzählung kann daher komplexer werden, ohne auf Folgen aufgeteilt werden zu müssen.

Ansonsten sind die Zeichnungen digital entstanden, wie es bei einem Web-Comic ja auch zu erwarten wäre. Dadurch stehen Filter und Techniken zur Verfügung, die anders nur schwer darzustellen wären, etwa Unschärfe. Die Emotionen der Handelnden und damit auch oft die Stoßrichtung der Pointe lassen sich im Übrigen fast immer aus dem Zusammenspiel von Augen und Mund entnehmen. Hier hat die Künstlerin einiges aus dem Manga übernommen.

Das Ende

Web-Comic-Schaffende haben es schwer! Das Internet wird immer noch von vielen als „kostenlos“ wahrgenommen und die Möglichkeit des Geldverdienens ist auf zusätzliche Inhalte, Fördermitgliedschaften oder eben auf Merchandise beschränkt. In diesem Zusammenhang steht natürlich auch dieses Buch, das mit Hardcover, guter Bindung und Lesebändchen gehobenen Erwartungen entspricht. Das Papier ist leicht glänzend, blickdicht und fühlt sich angenehm an und der Preis ist angemessen. Für alle, die mehr wollen, gibt es die Website.

Halt, fehlt da nicht noch was? Ja, denn das Leben ist kein Ponyhof ist seit Juni 2020 zu Ende! Es wird keine weiteren Folgen mehr geben, auch wenn natürlich weitere Comics von der preisgekrönten Autorin zu erwarten sind. Noch ein Grund mehr, um jetzt zuzuschlagen und sich die Einblicke in einen deutschen Alltag zu gönnen!

Dazu passen “The Final Parade” von The Mighty Mighty BossTones (und Freund*innen), gerne auch als Video, und eine spritzige Rhabarber-ProSecco-Mischung!

© der Abbildungen 2020 Sarah Burrini

ZACK 260

ZACK 260 (Februar 2021)

Herausgeber/Chefredaktion: Georg F. W. Tempel

Blattgold Verlag

Heft Din A 4 | 84 Seiten | Farbe | 7,90 €
ISSN: 1438-2792

2020 war schon fast Geschichte und es stand keine Wahl zur ZACK-Serie des Jahres an. Die Frage danach von comix-online in einem Interview mit Georg F. W. Tempel war ein Auslöser dafür, dass es sie jetzt doch gibt! Wer noch nicht teilgenommen hat, sollte dieses schleunigst hier nachholen! Zu gewinnen gibt es im Übrigen das ansonsten nur für Abonnent*innen erhältliche Michel Vaillant Spezial 1 mit Werbecomics des leider gerade verstorbenen Jean Graton. Außerdem dürfen wir uns schon mal auf einen weiteren Western im Sommer von dem aus Deutschland stammenden Martin Frei freuen!

Die Rückkehrer

Die von Jean Van Hamme und Alcante verfasste Serie Rani kehrt mit dem zweiten von bisher acht Bänden zurück auf die Seiten dieses Magazins. Ursprünglich hatte die Geschichte eine TV-Serie werden sollen, aber manchmal kommt es dann doch anders. Tatsächlich war diese zweite Erzählung bereits erhältlich als die Serie dann doch noch im französischen Fernsehen zu sehen war. Glück gehabt, denn Francis Vallès war die richtige Wahl für die bebilderte Umsetzung des Skripts. Jolanne, die uneheliche Tochter des Marquis de Valcourt, war in Band 1 zu Unrecht eines Mordes bezichtigt worden und hatte erfolglos versucht, zu fliehen. Ihr Halbbruder hatte es geschafft, das eigentlich ihr zustehende Erbe an sich zu reißen und Jolanne zum Tode verurteilen zu lassen.

Band 2 – Die Räuberin – beginnt nun mit einer Verlegung der Gefangenen zum Zwecke der Hinrichtung in einem offenen Gitterwagen zusammen mit einem weiteren Mithäftling. Während einer Übernachtung versucht der Polizeiinspekteur Laroche, Jolanne zu sexuellen Gefälligkeiten zu überreden und bringt damit die weiteren Ereignisse ins Rollen. Routiniert und spannend erzählte Geschichte mit teils brillanten Zeichnungen aus dem Frankreich des Jahres 1743. Mehr zu der History-Serie im Serienkompass, aber: Achtung Spoiler!

Und noch eine Serie kehrt zurück: Stephen Desbergs Thriller Empire USA mit dem etwas unspektakulären Titel 2.3! Jared versucht den letzten Tag seines ermordeten Expartners aufzuklären. Vermutlich hatte er sterben müssen, weil er etwas herausgefunden hat, was niemand erfahren darf. Der Comic spielt im Umfeld der nach der Systemwende in der UdSSR emporgekommenen Oligarchen. Viele von ihnen haben sich mit alten Seilschaften verbandelt und nicht alle sind sich grün. Griffo setzt das kühle Jetset und das ausschweifende Leben der High-Society genauso glaubwürdig um wie die brutale Gewalt, die zum Schutz der Privilegien eingesetzt wird. Auch dieses Szenario könnte durchaus die Basis einer Verfilmung sein – Mal sehen, wann die Streamingdienste Nachschub brauchen.

Die Fortsetzung

Im Januarheft hatte eine ungewöhnliche Reihe ihren ersten Auftritt im ZACK: Das Mädchen von der Weltausstellung wird jede Pariser Weltausstellung sowie zwei Sonderschauen als Anlass für einen Band nehmen. Den Anfang macht die erste von 1855. Einerseits geht es darum, die in Bezug zum Herrscher stehenden Toten mit einer Mischung aus Fake News und Ablenkung aus der öffentlichen Diskussion heraus zu halten, andererseits scheint es aber auch jemanden zu geben, der die Ausstellung sabotieren möchte. Die kleine Julie mit ihren hellseherischen Fähigkeiten steht im Mittelpunkt dieser Mischung aus Krimi und History von Jack Manini und Étienne. Eindeutig mehr als einen Blick wert!

Irgendwie auch hierhin gehören die Onepager und Streifen, die leicht übersehen werden können. Parker & Badger von Cuadrado versuchen sich mit allerlei Jobs über Wasser zu halten, scheitern aber meistens grandios. In diesem Heft geben die beiden den Babysitter. Tizombi von Cazenove und Maury handelt von den Abenteuern einer besonderen Clique auf einem Friedhof: Ein paar Zombies und ihre menschliche Freundin, das kleine Steak, vertreiben sich die Zeit mit Kinoabenden, All-you-can-eat-Orgien und schlechter Gesellschaft. Oft ein wenig neben dem guten Geschmack, immer aber herzerfrischend! Und dann gibt es noch den Vater der Sterne von Piquet und Seb, der ständig versucht, seine eigene Welt des Kampfes und der Siegesorientierung über die romantische, verspielte und ziellose Welt seiner kleinen Tochter zu stülpen.

Der Abschied

Giant von Mikaël ist meines Erachtens eine der besten aktuellen Graphic Novels. In ihr sind mehrere Themen miteinander verwoben: Der Aufschwung New Yorks mit seinen gigantischen Hochhäusern als Symbol und seiner gleichzeitigen Begrenzung auf wenige Gewinner, die breite, teils immer noch hungerleidende Masse der Arbeiter und ihre Konflikte, und am irischen Beispiel die zur Auswanderung führende Not der Bevölkerung, die alles hinter sich lassen muss um einen ungewissen Neuanfang in Amerika zu wagen.

Giant hatte sich nicht getraut, der Frau eines Kollegen von seinem Tod zu berichten und hatte ihr stattdessen in seinem Namen Briefe und Geld geschickt. Nun aber steht sie mit den kleinen Kindern vor ihm in New York und erwartet Antworten. Solidarität, Mut und der Zwang weiter zu machen bekommen so ein ganz anderes, persönliches Bild. Die in Erdfarben gehaltenen Bilder erinnern an alte Fotos, geben aber auch die wehmütige Stimmung perfekt wieder! Mehr als ein Kleinod.

Und sonst

Friedrich Engels wird meistens nur in seiner Kombination mit Marx betrachtet. Nun aber gibt es eine Graphic Novel über den Revolutionär und Unternehmer von drei deutschen Comicschaffenden. Michael Hüster präsentiert ein Interview und eine unveröffentlichte Seite!

Bernd Hinrichs ordnet den Band von Taschen über die gefährlichsten Comics der Welt in ihren historischen Kontext ein. Während in Amerika die bahnbrechenden Hefte aus dem EC-Verlag für kurze Zeit als die innovativsten Comics des Jahrhunderts gefeiert wurden, verschafften sich dort und auch hier Lautsprecher Gehör, die „unsere Kinder“ vor „Schmutz und Schund“ und „Verrohung“ zu beschützen vorgaben. Sehr lesenswerte Besprechung eines vorzüglichen Bandes, der hier zum Sekundärwerk des Jahres gekürt worden war.

Eine sehr abwechslungsreiche Mischung aus französischer und amerikanischer Vergangenheit sowie europäischer Gegenwart, Krimi, Abenteuer und Gesellschaftskritik, abgerundet mit spannenden Beiträgen, News und Rezensionen!

Auch musikalisch dazu eine kleine Zeitreise, zurück in die beginnenden 80-er: Die erste von Madness ist immer noch zusammen mit der ersten von The Specials ein Aufbruch in neue Zeiten! Perfekte Hintergrundmusik zu diesem ZACK und einem Hellen Bio-Bier aus der Finne Brauerei.

© der Abbildungen 2021 bei den jeweiligen Verlagen und Künstlern c/o Blattgold GmbH

Taymans – Caroline Baldwin GA 1

Sammelband 1 mit den Episoden 1 bis 4

Story: André Taymans

Zeichnungen: André Taymans

Originaltitel: Caroline Baldwin Integrale Vol. 1

Schreiber und Leser

Hardcover mit Lesebändchen | 240 Seiten | Farbe | 39, 80 € |

ISBN:  978-3-96582-047-0

Es gibt Krimis und Krimis. Die einen erzählen zum gefühlt millionsten Mal eine bekannte Geschichte: Ein Mann hat irgendjemand umgebracht, wird von einem Polizisten gejagt und am Ende ist nach einigen Verwirrungen der Fall erfolgreich gelöst. Je nach Zeit und Medium gibt es dazu noch ein paar familiäre Probleme, Ärger mit Kolleg*innen und mehr oder weniger Gewalt.

Und es gibt solche, die anders sind, bei denen die Spannung erhalten bleibt, weil nachvollziehbare Charaktere versuchen, ihre Fähigkeiten sinnvoll einzusetzen und die möglicherweise auch gar nicht gut ausgehen. Letztere liebe ich und in diese Kategorie gehören die Abenteuer von Caroline Baldwin!

Eine Heldin, die es gar nicht geben sollte

André Taymans war Mitte der 90-er Jahre bereits ein bekannter Autor und Zeichner von Comics für Kinder, begann aber die Lust daran zu verlieren und wollte etwas anderes machen. Der genaue Verlauf der Odyssee von einer ersten Idee hin zu Moon River ist im Vorwort der gerade erschienenen Gesamtausgabe nachzulesen. Hier soll davon nur verraten werden, dass der Comic weder als Reihe geplant war, noch Caroline Baldwin die Titelheldin oder Hauptperson sein sollte. Egal, 1996 erschien Moon River als erster Teil einer neuen Serie, wurde für gut befunden und mittlerweile haben 16 weitere Teile das Licht der Verkaufsregale erblickt.

Band 1 erzählt die Geschichte eines depressiven ehemaligen Astronauten. Er verschwindet plötzlich obwohl er doch als Aushängeschild einer Firma zu einem wichtigen Vertragsabschluss hätte beitragen sollen. Da möglicherweise die Konkurrenz ihre Finger im Spiel haben könnte, beauftragt die Firma die Privatdetektivin Baldwin mit dem Auffinden und Zurückbringen des alten Helden. Die Heldin trinkt, hat wechselnde Partner und ist auch sonst manchmal eher depressiv unterwegs. Sie ist aber keineswegs bereit, klein beizugeben!

Gleich im Anschluss wird es noch politischer: in Kontrakt 48-A geht es um die Auswirkungen radioaktiver Strahlung und die nicht immer vorhandene medizinische Ethik. Taymans hat mittlerweile einen besseren Bezug zu seiner Heldin entwickelt und sie mehr in den Mittelpunkt gerückt. Sie bekommt einen sehr sympathischen Großvater, einen Erbfall und unsympathische Verwandte für den Hintergrund. Zudem hat sie über diese Linie indianisches Blut und daher auch nicht immer die Vorteile einer Weißen.

Tödliche Texte

Und dann schlugen wieder die Zufälle des Lebens zu. Während die ersten beiden Bände mit einem Umfang von 64 Seiten veröffentlicht worden waren, standen für die weiteren Folgen nur noch 48 Seiten zur Verfügung und Taymans musste das bereits begonnene neue Werk entweder stark kürzen oder ausweiten. Zum Glück für uns entschied er sich für das letztere und so entstanden die zusammengehörigen Nummern Der Tote im Pool und Showdown in Havanna.

Ein rechter Mob verbrennt erotische Romane an einer Tankstelle, kurze Zeit später schwimmt der Autor dieser Romane tot in dem Pool von Carolines Freundin. Als wäre das nicht genug, überrascht Caroline auch noch einen Einbrecher, kann ihn aber nicht überwältigen. Eine Spur führt in die Welt der Literatur mit Massenauflagen und Schreibblockaden. Die Lösung dieses Falls kann aus verschiedenen Gründen nur in Havanna liegen und so macht sich die Heldin auf in eine Stadt, die sich – zumindest hier im Comic – sehr farbig, aufgedreht und musikalisch, aber eben auch als sehr gefährlich präsentiert!

Die Zeichnungen

Caroline Baldwin ist hübsch, aber kein Model. Sie ist eigenwillig, aber nicht egozentrisch. Die Heldin ist depressiv, aber nicht unterzukriegen. Sie ermittelt selbständig, ist aber kein Mann. Und: sie ist sexuell aktiv, aber nicht gebunden. Für die damalige Zeit eine ganze Menge an Tabubrüchen und auch heute noch lange nicht selbstverständlich! Taymans hat für diese Frau und ihre Erlebnisse mit einer nur leicht modernisierten Ligne Claire das nahezu perfekte Stilmittel gefunden.

Sie ermöglicht Emotionen in der Darstellung, verlangt aber keinen Realismus. Hintergründe sind wichtig, wenn sie eine Aufgabe haben, können aber auch durchaus auf eine Farbe reduziert werden, wenn sie nicht ablenken sollen. Bewegungslinien erzeugen Dynamik und alles zusammen strömt eine nostalgische Note aus! Einige Figuren, wie etwa der Großvater, haben ihre Vorbilder in der Realität und den Zeichnungen ist anzusehen, wie der 1967 in Belgien Geborene sich langsam in die Handelnden hineinversetzen kann, sie liebgewinnt und ihnen Persönlichkeit gibt.

Natürlich gehört Caroline Baldwin mittlerweile mit einem eigenen Wandgemälde zum Stadtbild von Brüssel und wurde damit zurecht in die erste Reihe aufgenommen!

Der Tipp

Krimifreund*innen aufgepasst: Wer die Serie noch nicht kennen sollte, darf, muss vielleicht sogar einen Blick riskieren. Die Heldin wird sich noch weiter entwickeln und langweilig wird es definitiv auch weiterhin nicht. Die gleiche Empfehlung geht an alle Fans der klaren Linie, die Generation ZACK und an alle, die auch nicht Graphic Novels zusprechen, Personen entwickeln zu können.

Schreiber & Leser spendiert der Serie unter seinem Label Alles Gute eine Hardcoverausstattung mit allen Extras: durchlaufendes Rückenbild, Lesebändchen, Glanzlackapplikationen auf dem Einband und eine ausführliche redaktionelle Einleitung mit einer Unmenge an Illustrationen! Heutzutage geht der Blick oft genug zurück auf falsche Vorbilder oder Referenzen; diese Serie atmet zwar nostalgischen Charme aus, ist aber immer noch aktuell und die Freiheit fördernd!

Der Lockdown geht noch lange genug, also kontaktiert eure*n Lieblingsdealer*in und bestellt!

Dazu passt Brody Dalle, energisch und unangepasst, und Whiskey on the rocks.

© der Abbildungen 2017 Studio Caroline / André Taymans, 2017 BELG Prod. Sarl., 2021 Schreiber und Leser

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