Ribic/Eastman u. a. – Conan – Geschichten aus Cimmeria

Kurzgeschichten im großen Format

Story: Esad Ribiĉ, Kurt Busiek, Roy Thomas, Kevin Eastman, Steven S. DeKnight
Zeichnungen: 
Esad Ribiĉ, Kevin Eastman, Steve McNiven, Jesús Saiz

Originaltitel: Conan the Barbarian: Exodus, King-Size Conan (2020) 1

Panini Comics

Hardcover | 100 Seiten | Farbe | 15,00 €
ISBN: 
978-3-7416-2340-0

Cover Conan - Geschichten aus Cimmeria 1

Conan, der Barbar ist ein fester Bestandteil westlichen Alltagswissens. Fast Jede*r kann sich darunter etwas vorstellen und „sieht“ einen Muskelbepackten, schlauen, leicht bekleideten und vor allem egoistischen Kämpfer vor sich. Die Deutung als Fluchtliteratur, verhindertes Ausleben von Wunschträumen oder Horrorvorstellung ist allerdings sicherlich komplett unterschiedlich.

Vielseitigkeit ist Trumpf

Für Autor*innen und Zeichner*innen bietet diese Konstellation viele Vorteile. Da jede*r eigene Vorstellungen hat und auch Robert E. Howard, der eigentliche Schöpfer, seine Geschichten über die komplette Lebensspanne verteilt ohne feste Reihenfolge erstellt hat, ist die Figur tatsächlich sehr flexibel. In den neueren Marvel-Ausgaben hat es sich eingebürgert, den Geschichten eine Landkarte voranzustellen, die die Geschehnisse wenigstens räumlich einordnet.

Conan - Geschichten aus Cimmeria 1 page 3

Zeitlich bewegen sich die hier abgedruckten Geschichten aus Cimmeria zwischen der Jugend des Helden und seinen ersten Erfahrungen als Söldner bis hin zu Erlebnissen mit einem erfahrenen Conan. Natürlich darf auch eine Episode mit seiner einzigen echten Partnerin, der Piratin Belith, nicht fehlen.

Die einen werden sich freuen, einen vielschichtigen Einstieg in die verschiedenen Lebenswelten des Kriegers zu bekommen. Während anfangs noch eher jugendlicher Leichtsinn vorherrscht, wird das später zu fast schon zynischer Arroganz. Andere werden die längeren Storylines vermissen die es erlauben, Umwelt und theologische/gesellschaftliche Rituale einzuführen und Nebenfiguren zu entwickeln.

Mir persönlich gefallen vor allem zwei Beiträge: Kevin Eastman entwickelt in Requiem einen klassischen Rache-Plot – straight forward. Steven S. DeKnight holt dagegen das große Paket der Magie und der Illusion auf die Bretter eines Schiffes.

Conan - Geschichten aus Cimmeria 1 page 4

Unterschiedliche Zeichenstile

Auch die Zeichnungen sind sehr unterschiedlich. Esad Ribiĉ kommt in Aufbruch noch fast ohne Worte aus und malt eher als das er zeichnet. Die Skizzen dazu finden sich übrigens im Anhang des Bandes. Das bereits angesprochene Requiem von Eastman sieht dagegen fast aus, als es sei es mit Holzschnitten gedruckt worden. Gewöhnungsbedürftig aber passend zur Thematik. Jesús Saiz liefert für das Schiff der Verdammten hyperrealistische Zeichnungen ab. Für Abwechslung ist also gesorgt!

Conan - Geschichten aus Cimmeria 1 page 20

Für Fans und Einsteiger

Der Band ist auch preislich leicht als Teaser zu erkennen: 100 Seiten im Albenformat in Hardcover-Ausstattung sollen natürlich neue Leser*innen für die Figur Conan gewinnen und für die diversen Reihen mit dem Barbaren Aufmerksamkeit erzeugen. Eine der Geschichten macht das ein wenig zu aufdringlich, wenn sie dazu auffordert, den Rest in einem anderen Band weiterzulesen. Für die anderen Erzählungen passt das aber ganz gut und je länger die Geschichten sind, desto komplexer und spannender werden auch die Inhalte.

Wie immer gibt es im Anhang ein paar Abbildungen von Variant-Covern, Infos zu den Künstlern und in diesem Fall sogar Seitenentwürfe. Für Fans ist die Anschaffung sicherlich schon wegen des Preises keine Diskussion wert, Einsteiger*innen können hier einen durchaus repräsentativen Einblick gewinnen.

Dazu passen Social Distortion und ein Belgian Triple von Chimay (White).

© der Abbildungen 2019, 2021 Conan Properties International LL („CPI“) / 2021 Panini Verlags-GmbH

ZACK 267

ZACK 267 (September 2021)

Herausgeber/Chefredaktion: Georg F. W. Tempel

Blattgold Verlag

Heft Din A 4 | 84 Seiten | Farbe | 7,90 €
ISSN: 1438-2792

Cover ZACK 267

Zwei verschiedene Westernserien in einer Ausgabe – da muss man in der ZACK-Historie schon sehr weit zurückgehen, um etwas Vergleichbares zu finden. Das aktuelle Heft könnte unter dem Motto „Die volle Ladung Emotionen“ stehen: Es geht um Schwärmereien, Rivalitäten, Arroganz und Wut, Chuzpe und Trauer, kurzum um das Leben selbst.

Der Neustart

Lange erwartet, medial mit vielen, kleinen Ausblicken optimal vorbereitet startet Die Frau mit dem Silberstern, der erste Western von Martin Frei. Dieser erzählt zunächst im Interview mit Alexandra Boisen einiges zu den Motiven für diese Geschichte, aber auch zu seinen anderen Projekten. Die auf zwei Teile angelegte Story setzt mit Leutnant Blueskull ein Jahr nachdem Leutnant Blueberry das Städtchen Silver Creek verlassen hatte ein. Die Lehrerin Miss March vermisst ihren Helden und wünscht sich ihn zurück, aber dieser hat längst andere Aufgaben übernommen. Rusty ist vom neuen Marshall übernommen worden und einige der alten Regeln wie das Waffenverbot sind noch gültig. Die Stimmung in dem Städtchen ist jedoch gespannt, denn konservative Kreise versuchen die Zeit zurückzudrehen. Und dann sind da noch die Träume der Titelheldin.

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Die Zeichnungen des deutschen Allround-Talentes können mit denen von Giraud erwartungsgemäß nicht ganz mithalten. Weder ist die Landschaft ähnlich komplex dargestellt noch sind die Figuren ohne Fehl und Tadel. Was sich allerdings aufgrund des Vergleiches wie ein Makel anhört, ist ehrlicherweise anders einzuordnen. Einige Seiten von Martin Frei sind wirklich erste Sahne (etwa Seite 12 oder die Traumsequenz auf Seite 15), bei anderen sind es nur Details, die nicht ganz gelungen sind. Mal ist ein Gesicht zu dick, mal scheint ein Oberkörper ein wenig zu kurz. Meckern auf hohem Niveau also. Die Story fängt vielschichtig an und verspricht aufgrund der verschiedenen Interessen einiges an Spannung. Bleiben wir am Ball!

Die Fortsetzungen

Während der eine aus Sorge um die Gesundheit seines Vaters nicht ganz bei der Sache ist, will der andere, der junge Herausforderer, zeigen, dass nun seine Zeit gekommen ist.  Zweikämpfe bringen für Michel Vaillant nicht nur einen aggressiven Gegner aus dem eigenen Rennstall, sondern schreiben vor allem auch die Geschichte des Hauses Vaillante weiter. Der Kampf mit dem betrügerischen Investor Slate wird mittlerweile gerichtlich ausgetragen, verursacht aber bei allen Familienmitgliedern eine hohe Stesslast. Denis Lapière entwickelt sein erstes Solo-Abenteuer ohne große Brüche und besänftigt damit wahrscheinlich zunächst die größten Befürchtungen der Fans. Benjamin Benéteau und Vincent Dutreuil haben den Strich etwas modernisiert. Die Figuren sind nicht mehr ganz so ikonografisch, wirken manchmal sogar etwas hölzern. Die Rennszenen sind dagegen an Dynamik kaum zu übertreffen.

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Fans der originalen Suske und Wiske-Comics haben sich wahrscheinlich vor Schreck die Augen gerieben als sie die ersten Seiten von Amoras 2047 gelesen haben: Marc Legendre deutet Gewalt nicht nur an, seine Akteur*innen werden verletzt, gefoltert und auch Tote hat es schon gegeben. Charel Cambré ist von der belgischen Schule geprägt. Seine Zeichnungen können genau diese Spannung zwischen jugendlicher Verharmlosung und Slapstick einerseits, erwachsener Hoffnungslosigkeit andererseits gut transportieren. Suske ist besorgt, verängstigt und wütend und kann sich kaum kontrollieren – Nicht die besten Voraussetzungen für einen Versuch, die vom skrupellosen Krimson gefangengehaltene Wiske zu befreien. Eine der besten flämischen Serien der letzten 10 Jahre.

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Der zweite Western ist ein Klassiker und hat sehr lange gebraucht, bis er endlich auf Deutsch erscheint. Jerry Spring ist die Serie, in der Giraud teilweise aushalf, bevor er Leutnant Blueberry startete. Und damit schließt sich sozusagen ein Kreis. Während Jije für die ersten 21 Bände verantwortlich war, entstand der letzte Band der Reihe nach einem Szenario von Festin. Franz zeichnet in Der Zorn der Apachen den Helden als Beauftragten der amerikanischen Regierung. Er soll Indianern in einer Reservatsangelegenheit beistehen. Einige junge Krieger haben aber Geduld und Hoffnung verloren während skrupellose weiße Geschäftemacher auf die Vernichtung der ursprünglichen Bewohner*innen setzen. Der Stil ist nicht mehr der modernste, das Setting vielleicht auch nicht. Trotzdem haben viele auf diese Erstveröffentlichung schon nicht mehr zu hoffen gewagt!

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Der Abschied

Die Flintenweiber beenden ihr erstes Abenteuer Der Diebstahl des Siegels bereits wieder. Die Wohnung, in der die teilweise verletzten Frauen Zuflucht gesucht haben, wird umstellt und es erscheint keineswegs sicher, dass keine Katastrophe passieren wird. Spannende Mischung von Pierre Pevel aus Steampunk, Mystery und Krimiaction mit drei sehr sympathischen weiblichen Hauptfiguren, die sich keinesfalls einem Männerregime unterwerfen wollen. Étienne Willem verbindet in diesem Semi-Funny Freude an lauter Action mit unfassbarer Komik und einer Portion anarchistischen Witzes. Es bleibt zu hoffen, dass die Fortsetzung ebenfalls ihren Weg in das ZACK finden wird.

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Und sonst?

Parker & Badge versuchen sich als Hundesitter und in Tizombi geht es um lebendes Gemüse. Neben diesen Onepagern gibt es natürlich wie immer auch News und Besprechungen als Trenner zwischen den Comics. Dazu wie bereits oben erwähnt ein Interview mit Martin Frei zum Start der neuen Serie und Gedanken von Christian Endres über das multimediale Watchmen-Universum.

Wie immer eine gute Mischung über verschiedene Genres und Zeichenstile hinweg, nicht nur für die Generation ZACK, sondern für alle, die den Mainstream guter europäischer Comics nicht außer Acht lassen wollen. Dazu gehören natürlich auch Comics aus Deutschland wie die Frau mit dem Silberstern!

Dazu passen The Specials mit der ersten Auskoppelung aus dem neuen Album (Freedom Highway) und ein Sommer Gin mit ein wenig Grapefruit anstelle von Zitrone.

© der Abbildungen 2021 bei den jeweiligen Verlagen und Künstlern c/o Blattgold GmbH

King/Mann – Batman/Catwoman 1

DC Black Label – Liebe, Lügen …und der Joker

Story: Tom King
Zeichnungen: 
Clay Mann

Originaltitel: US Batman/Catwoman 1-3

Panini Comics

Hardcover | 84 Seiten | Farbe | 18,00 €
ISBN: 
978-3-7416-2453-7

Cover King/Mann - Batman/Catwoman 1

Es ist noch gar nicht so lange her, dass in der regulären Batman-Serie die Hochzeit der Fledermaus mit Catwoman angekündigt worden war. Selina hatte diese allerdings dann doch abgesagt um Gotham weiterhin die ungeteilte Aufmerksamkeit ihres Beschützers zu lassen und sich aus Gotham verzogen. Unter dem Black Label ermöglicht DC alternative Geschehnisse und so haben hier die beiden tatsächlich geheiratet und Tom King darf erzählen, was er vorher nur angedeutet hatte.

Auch Helden sterben

Die Geschichte springt dabei über mehrere Zeitebenen. Einerseits sind der Detektiv und die geläuterte Diebin ein glückliches Ehepaar und gönnen sich ein paar Extrasekunden bevor sie sich wieder ihrem Alltag widmen. Vornehmlich geht es dabei um das verschwundene Kind einer früheren Verehrerin von Bruce Wayne. Es scheint entführt worden zu sein und irgendwie ist – natürlich – der Joker darin verwickelt.

King/Mann - Batman/Catwoman 1 page 5

Auf einer zweiten Ebene werden Kleinkriminelle brutal hingerichtet. Ein neuer Killer scheint in der Stadt zu sein; er hinterlässt aber weder Spuren noch bekennt er sich öffentlich zu den Taten oder einem Motiv.

Und schließlich macht sich eine gealterte Frau mit einer Katze als Begleitung auf, einen alten Mann in seiner Residenz aufzusuchen. Beide scheinen eine gemeinsame Vergangenheit zu haben, doch Bruce Wayne ist es nicht. Dieser ist nämlich bereits seit einiger Zeit verstorben.

Tom King spielt auf allen Ebenen geschickt mit (seinem eigenen) Batman-Mythos und den nur hier erlaubten Veränderungen. Und das ist es, was das Black Label so interessant macht: kleine Veränderungen können ein komplett anderes Licht auf Ereignisse werfen, lassen Charaktere plötzlich interessant oder banal werden und erlauben Twists, wo es sonst immer nur weiter geht. Früher gab es in länger laufenden TV-Serien immer die eine „Weihnachtsfolge“, die anders war. Genau so kann man sich das hier auch vorstellen. Irgendwie ist alles bekannt aber eben doch anders. Nur darf sich King hier 9 Folgen Zeit nehmen.

King/Mann - Batman/Catwoman 1 page 6

High Quality in XL

Clay Mann darf hier einerseits großflächig die Liebe und die Vertrautheit zwischen zwei Kämpfer*innen darstellen und damit etwas untypisches abliefern. Er braucht aber weder auf die Kampfszenen und die teils idealisierte Brutalität noch auf die ruhigen, investigativen Momente zu verzichten, denn durch die ineinander verwobenen Zeitstränge hat alles seinen Platz. Dabei stimmt vom Dekor über die Architektur der Gebäude und Stadtschluchten bis zu den figürlichen Darstellungen alles.

King/Mann - Batman/Catwoman 1 page 9

Das XL-Format (21 x 32 cm) erlaubt einzelnen Seiten fast, als Illustration hinter Glas präsentiert zu werden. Das würde allerdings erfordern, sich den Titel doppelt zuzulegen. Das Tempo der Geschichte wechselt von sehr ruhig hin zu Bildfolgen, die Szenen quasi in Zeitlupe zeigen. Ebenfalls gelungen ist das Altern der Figuren: Es werden glaubwürdige Prozesse gezeigt, schließlich handelt es sich bei diesen Protagonist*innen nicht um Superwesen.

Hohe Erwartungen erfüllt

King/Mann - Batman/Catwoman 1 page 10

Die gegenseitige Anziehung zwischen Batman und Catwoman ist schon seit Jahrzehnten ein Thema dieser Serie. Fast hätten sie es bis zur Hochzeit geschafft, die aus dramaturgischen Effekten eigentlich nur zur Scheidung oder zum tragischen Tod hätte führen können. In dieser Alternativwelt durften die beiden ein Leben miteinander verbringen, das spannend genug für eine Miniserie ist, nicht aber weitere Jahrzehnte tragen muss. King und Mann liefern einen spannenden Einstieg in eine Dreiecksgeschichte, die das hohe Niveau des Hochzeitsalbums aufnimmt. Zudem ist die Mischung aus Spannung und Romance vielleicht auch ein Weg, verloren gegangene Leser*innen wieder zu begeistern.

Neben der regulären Ausgabe, die bereits im XL-Format und als Hardcover daherkommt, gibt es auch noch eine auf 555 Exemplare limitierte Variant-Ausgabe mit einem anderen Cover für Sammler*innen.

Cover King/Mann - Batman/Catwoman 1 Variant
limitiertes Variant

Dazu passen Lollypop Lorry (I won’t let you go) und ein gut gekühlter Chardonnay.

© der Abbildungen 2021 DC c/o Panini-Verlag GmbH, Stuttgart

Bec/Carvalho – Crusaders 1

Die stählerne Brücke

Story: Christophe Bec
Zeichnungen: 
Leno Carvalho

Originaltitel: Crusaders 01: La Colonne de Fer

Splitter Verlag

Hardcover | 72 Seiten | Farbe | 17,00 €
ISBN: 
978-3-96792-044-4

Cover Bec/Carvalho – Crusaders 1

Mir ist nicht ganz klar, warum, aber Science-Fiction scheint wieder mehr im Kommen zu sein. Vielleicht ist das aber auch meine ganz persönliche Wahrnehmung, getrieben von dem Wunsch, aus dem Home-Office zu weiten Reisen aufzubrechen. Und natürlich lässt auch die Klimakatstrophe eine vage Notwendigkeit, die Erde verlassen zu müssen, nicht mehr ganz so verrückt erscheinen. Auf jeden Fall ist es für die Erde besser, SF zu lesen als uns als Privatmensch für ein paar Minuten in das All schicken zu lassen.

Die Nachricht aus dem All

Die Menschheit hat in dieser neuen Reihe des erfahrenen Christophe Bec den Schritt in das Weltall bereits getan. Zwar liegt interstellare Raumfahrt noch in weiter Ferne, im Sonnensystem hat der Mensch sich jedoch schon ausgebreitet. Die Geschichte startet auf dem Titan. Die Ressourcen der Erde waren der Menschheit nicht genug und sie hatte auf andere Planeten ausweichen müssen. Die heutigen Bewohner*innen Titans haben ihren Ursprungsplaneten nie betreten und sich zu einer eigenen Identität entwickelt.

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Eines Tages nimmt man dort ein Signal aus den Tiefen des Alls wahr. Es kann keines natürlichen Ursprungs sein und sofort beginnt die Diskussion, ob es richtig ist, sich auf das Abenteuer einzulassen. Sind es Außerirdische und sind sie friedlich? Nach der Entschlüsselung der Botschaft wird klar, dass es sich um Baupläne für interstellare Schiffe und einen Satz von Koordinaten handelt.

Bec nutzt diese Rahmenhandlung für die Darstellung ganz unterschiedlicher Charaktere, die mehr oder weniger sympathisch herüberkommen. Wie in jedem Drama braucht es die toughe Heldin (ja, früher wäre das ein Mann gewesen und es hätte Monster mit Tentakeln gegeben deren einzige Aufgabe es gewesen wäre, die Heldin zu fangen und in unmöglichen Positionen festzuhalten), einen zu sehr von sich selbst überzeugten Mann und ein paar Träger*innen von Geist, Emotion oder Schicksal.

Und – und das ist gleich der dramatische Einstieg in die Geschichte – es gibt/gab tatsächlich Wesen, die Emananten, die die Botschaft gesendet haben, die Lagraner und riesige Artefakte im All, vornehmlich eben jene stählerne Brücke im All.

Bec/Carvalho – Crusaders 1 page 1

Weite und Detail

Leno Carvalho ist ein Debütant. Crusaders ist seine erste professionelle Arbeit und – nicht nur dafür – macht er seine Sache ausgezeichnet. Der Weite des Raumes, der Größe von Maschinen lässt er viel Platz auf der Seite, schreckt auch vor ganzseitigen Illustrationen nicht zurück. Auf der anderen Seite kann er aber auch sehr kleinteilig werden und sich auf Details fokussieren. Im Allgemeinen nutzt er strukturierte Seiten, ohne dabei aber ein Raster anzuwenden.

Perspektiven, Regen, technische Details gelingen gut. Seine Raumschiffe sind erkennbar nicht organischen Materials, haben aber auch keine Unzahl an technischen Applikationen. Sie sehen irgendwie „nutzbar“ aus und drängen sich nicht in den Vordergrund der Geschichte. Der menschliche Körperbau sieht natürlich aus und auch die Uniformen der Protagonist*innen sind eine Mischung aus modisch und zweckorientiert. Die weißen Zähne sind daher sicherlich verschmerzbar in der Hoffnung, dass sie in weiteren Bänden verschwinden werden.

Bec/Carvalho – Crusaders 1 page 11

Einstiegstipp

Es gibt viele Serien, die sich aus unscheinbaren Anfängen aufgrund des Erfolges zu schier endlosen Bandwürmern entwickeln. Das ist hier sicherlich nicht zu erwarten. Es wird aber trotzdem mehr als ein paar aufeinander bezogene Einzelbände geben. Wer also in eine spannende, aber überschaubare Serie mit Zukunftspotential einsteigen möchte, ist hier richtig aufgehoben.  Die Mischung aus Technik, innerer Entwicklung und spannenden Menschheitsfragen stimmt, die Umsetzung auch und bei einem Szenaristen wie Christophe Bec braucht auch niemand zu befürchten, dass die Story irgendwann unaufgelöst in einem Wurmloch steckenbleibt.

Die Aufmachung tut ein Übriges: stabiles Hardcover mit festem Papier, ein Anhang mit Skizzen und mit Splitter ein Verlag, der seine Serien auch durchzieht! Und der zweite Band kommt schon im Oktober.

Zum Serienstart passt ein Sunrise-Cocktail Eurer Wahl und Garage-Rock von The Nomads.

© der Abbildungen 2020 Éditions Soleil / Christophe Bec / Leon Carvalho / Splitter Verlag GmbH & Co. KG · Bielefeld 2021

Oger – Ghost Kid

Ghost Kid

Story: Tiburce Oger
Zeichnungen: 
Tiburce Oger

Originaltitel: Ghost Kid

Splitter Verlag

Hardcover | 80 Seiten | Farbe | 22,00 €
ISBN: 
978-3-96792-066-6

Cover Oger - Ghost Kid

Tiburce Oger ist ein vielseitiger Künstler der sowohl allein als auch im Team arbeitet. Er hat bereits einige Werke zusammen mit Patrick Prugne veröffentlicht aber zum Beispiel in Überleben in Dachau auch die Geschichte von Guy-Pierre Gauthier, einem überlebenden Resistance-Kämpfer umgesetzt.

Plötzlich Vater

Ambrosius Morgan ist einer der letzten Cowboys des alten Schlags. Ihm macht sein Rheuma zu schaffen und er versteht nicht, warum plötzlich Stacheldrahtzäune Weidegebiete voneinander trennen. Er kann seine Tage sowohl in einer einsamen Hütte im tiefsten Schnee verbringen als auch im Bett seiner Chefin, einer verwitweten Ranchbesitzerin. Eines Tages erhält er jedoch einen Brief und erfährt von der Existenz seiner Tochter. Diese ist mit ihrem Mann gen Westen gezogen und wird vermisst.

Oger - Ghost Kid page 3

Der Held macht sich auf den Weg, muss aber zunächst noch seinen Revolver auslösen den er verpfändet hatte. Bei dieser Gelegenheit treffen nicht zum ersten Mal der alte Wilde Westen und die neue, finanzgetriebene Welt aufeinander. Auf seinem Weg aus dem verschneiten Norden gen den heißen Südwesten trifft er dann später den titelgebenden Jungen, der plötzlich wie aus dem Nichts auftaucht.

Ghost Kid ist ein Spätwestern. Die überzogenen Erwartungen an Freiheit und Selbstbestimmung haben bereits dem Frust über die Regeln der Städter Platz gemacht. Der Westen ist aber keineswegs befriedet und Banditen, rebellierende Indianer und mexikanische Freischärler sind genauso gefährlich wie verdorbenes Wasser oder Klapperschlangen.

Oger - Ghost Kid page 7

Realistische Karikaturen

Oger setzt seine spannende Story in einer ganz eigenen Stilistik um. Einerseits wirken die Zeichnungen sehr realistisch, andererseits haben die Physiognomien und Körper der Darsteller eine Kauzigkeit, die teilweise in die Karikatur hineinreicht. Dadurch nimmt Oger der Story ein wenig Schärfe und Brutalität, verwischt aber auch die Grenzen zwischen Gut und Böse.

Es ist eben kein Italowestern, der hier abläuft, sondern die Geschichte eines alten Haudegens, der plötzlich erfahren hat. Vater zu sein und jetzt alles gibt, um das Versäumte aufzuholen. In seinen Handlungen glaubt er sich nur vor sich selbst rechtfertigen zu müssen, ist aber trotzdem kein brutaler Egomane. Die Kauzigkeit trägt dabei zur Sympathiebindung bei.

Detail Oger - Ghost Kid page 11

Immer wieder streut Oger ganzseitige Illustrationen ein und ist auch sonst flexibel in der Seitengestaltung. Das Tempo der Handlung findet sich in den Panels wieder: gehetzt bis zur fast meditativen Ruhe am nächtlichen Lagerfeuer. Dadurch erlaubt er ein sehr abwechslungsreiches Lesevergnügen. Die Zeichnungen bieten dabei genug Tiefe für mehrere Lesedurchgänge, sind aber nicht so detailliert wie etwa bei Giraud.

Ein kleines Schmuckstück

Gerade im Westernbereich gibt es neben vielen Serien auch immer wieder Einzelbände. Sie müssen kein ganzes Universum erschaffen, das für mehrere Abenteuer taugt und können sich auf ein Motiv konzentrieren. Das mag langweilig sein, ist in diesem Fall aber perfekt. Offene Knoten, etwa die Beziehung zur Chefin, müssen nicht beendet werden, grobe Widersprüche können gar nicht erst auftreten.

Detail Oger - Ghost Kid page 10

Der eigenwillige Stil und die untypische Story machen Ghost Kid zu einem spannenden, unbedingt zu empfehlendem Schmuckstück! Das Cover bietet dazu eine Prägung mit Goldfarbe als passende Darbietung und gute Farbgebung auf festem Papier. Vielleicht wird ja auch der eine oder die andere dadurch angeregt, weitere Sachen von Tiburce Oger zu versuchen – es lohnt sich, auch wenn es nicht immer leichte Kost ist.

Dazu passen starker Kaffee und der alte Bob Seger.

© der Abbildungen 2020 Editions Glénat by Tiburce Oger / Splitter Verlag GmbH & Co. KG · Bielefeld 2021

Rodolphe/ Dubois – Terra 1

Die alte Welt

Story: Rodolphe
Zeichnungen: 
Christophe Dubois

Originaltitel: TERRA 1 – LE VIEUX MONDE

Splitter Verlag

Hardcover | 72 Seiten | Farbe | 18,00 €
ISBN: 
978-3-96792-050-5

Cover Rodolphe/Dubois Terra 1

Science-Fiction-Serien können schwierig sein. Bauen die einzelnen Geschichten aufeinander auf, ist es zwar eine komplexe Story, oft auch mit einer Vielzahl an genau beschriebenen Welten, Völkern oder Kontrahent*innen, es ist aber nicht einfach, einen Einstieg zu finden. Andererseits gibt es Reihen, bei denen sich die einzelnen Teile zwar in ein Konzept einfügen und ein besseres Verständnis entsteht, wenn man alle Teile gelesen hat, ein Einstieg aber immer möglich ist. Diese Serie geht einen Mittelweg. Es gibt einen ersten Zyklus, der mit drei Bänden unter dem Reihentitel TER lief. Er ist aber keine Voraussetzung für das Verständnis dieser Geschichte!

Die gute, alte Erde?

Der Raumkreuzer »Jupiter« hatte eine Havarie; ein Teil der Besatzung hat ihn in einem Rettungsshuttle verlassen und schwebt nun in Bodennähe über einem Planeten, der aussieht wie die Erde. Aber ist es die alte Welt? Zwar stimmen Luftdruck und atmosphärische Zusammensetzung, es sind aber aus der Luft keine Anzeichen der menschlichen Zivilisation zu erkennen. Die Besatzung weiß nicht, wie lange ihre Reise gedauert hat. Sie hatten die Erde zu Beginn des großen Konfliktes verlassen, waren aber aufgrund technischer Schwierigkeiten in einen Ruhemodus unbekannter Dauer versetzt worden.

Rodolphe/Dubois Terra 1 page 4

Der Kapitän beschließt, Erkundungstrupps auszusenden. Die ersten Funde lassen vermuten, dass auf dem Planeten (wieder) sehr große Geschöpfe leben, die an die Dinosaurierzeit erinnern lassen und tatsächlich wird ein kleines Erkundungsshuttle von einer Gruppe riesiger krokodilartiger Wesen angegriffen. Goltan, ein Android mit Gefühlen und Beth, eine ehemalige Priesterin, werden von ihrer Gruppe getrennt und müssen ihre Tour alleine forstsetzen.

Rodolphe, der unter anderem auch mit Leo zusammengearbeitet hat, ist ein Spezialist im Beschreiben fremdartiger Planeten und ihrer Flora und Fauna. Hier kann er erfolgreich beweisen, dass er auch begrenzte Projektionen im Rahmen der terranischen Weiterentwicklung beherrscht. SF steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit der Umgebungsbeschreibung. Hier stimmt einerseits die Dynamik der Crew und zwischen den beiden Protagonist*innen als auch die der Welt und einiger ihrer Bewohner*innen. Die Story ist glaubwürdig und spannend erzählt. Terra könnte also ein Projekt für alle werden, für die SF mehr als „Technik“ ist.

Detail Terra 1 page 11

Dschungel und Ruinen

Der Planet bietet von oben den Eindruck, neben den bekannten Wasserflächen hauptsächlich aus bewaldeten Gebieten zu bestehen. Zwar entdecken die Ankömmlinge schnell, dass es Straßen gibt, diese sind allerdings komplett überwuchert, und auch Städte scheinen bis auf wenige Ruinen verschwunden zu sein. Christophe Dubois darf sich also in großen Teilen mit der Darstellung von Urwald beschäftigen. Durch seine Schraffur-Technik wirkt alles ein wenig düster, quasi beschattet. Das passt aber perfekt zu dem Zwielicht unter den Baumwipfeln.

Detail Terra 1 page 24

Die Ruinen, die die beiden Held*innen entdecken, stellt er ebenfalls sehr gut dar. Die Mischung aus einstiger Größe und aktuellem Verfall passt in das Szenario der Suche. Bei der Tierwelt kann er sich dann austoben: gewaltige Größe und Kraft, überwältigende Menge kleiner, gefräßiger Räuber oder evolutionäre Andersartigkeit gelingen allesamt.

Und schließlich sind auch die menschlichen Körper gut geraten. Sie bewegen sich sowohl in bewussten Situationen als auch bewusstlos im Wasser treibend so, dass die Anatomie es mitmacht, und haben angemessene Proportionen. Die Gesichtspartien sind erkennbar und geben eine Vielzahl an Emotionen wieder. Technische Gegenstände wie Raumfahrzeuge, „Nester“ aber auch Zivilisationsartefakte wie Schleusen haben genug Details, um Fans zu überzeugen, drängen sich aber nicht in den Vordergrund. Oft genug dienen Stärken der Zeichnungen zum Übertünchen von Schwächen der Story. Hier sind beide auf hohem Niveau.

Ein empfohlener Einstieg

Rodolphe und Christophe Dubois präsentieren eine glaubwürdige Story in einer spannend gezeichneten Welt. Es gibt genügend Anknüpfungspunkte für weitere Bände, aber man muss auch keine 20 Teile befürchten. Die Hinweise auf den ersten Zyklus in den wenigen Worten auf der ersten Seite langen völlig aus, um Leser*innen ins Bild zu setzen und wer mehr wissen möchte findet im Anhang Illustrationen aus dem Skizzenbuch mit Hinweisen zu den Akteur*innen.

Rodolphe/Dubois Terra 1 page 7

Wie immer präsentiert Splitter ein Lesevergnügen in großformatigem Hardcover mit Anhang zu fairem Preis. Dubois ist in Deutschland noch relativ unbekannt – sein spezieller Stil macht aber Lust auf mehr! Von hier aus ein klarer Tipp, dieser Serie einen wohlwollenden Blick zu schenken!

Dazu passen ein nicht zu süßer Pink-Gin mit Rhabarbersaft und die immer ein wenig unterschätzten Pulp.

© der Abbildungen 2020 Editions & Galerie Daniel Maghen. All rights reserved / Splitter Verlag GmbH & Co. KG · Bielefeld 2021

Andolfo – Mercy 3

Die Mine, die Erinnerungen und die Sterblichkeit

Story: Mirka Andolfo
Zeichnungen: 
Mirka Andolfo

Originaltitel: Mercy – Terzo Volume

Panini Comics

Hardcover | 68 Seiten | Farbe | 20,00 €
ISBN: 
978-3-7416-2162-8

Andolfo - Mercy 3 Cover

Die Horrorserie der gefeierten italienischen Künstlerin Mirka Andolfo geht in die entscheidende Runde. Andolfo arbeitet für DC und Marvel, ist weltweit erfolgreich mit der Serie Contronatura und veröffentlicht Mercy in mehreren Ländern fast zeitgleich. Sie arbeitet fast komplett digital und stellt – speziell in ihren eigenen Serien – Frauenfiguren etwas anders dar. Oft queer, immer aber aktiv und selbstbewusst.

Liebe geht durch den Magen

Band 1 erzählte die Geschichte der Ankunft in Woodsburgh, Band 2 erklärte den Konflikt mit den Jägern. Nun ist es soweit, dass es an die Familiengründung geht. Wesen haben den Wirt gewechselt und Erinnerungen schwinden nicht komplett. Es geht um Verantwortung, Selbstsucht und „Mutterliebe“. Und natürlich auch um die Mine, denn ohne sie gibt es kein Tor in die Heimat.

Andolfo - Mercy 3 page 3

Werden Gregor und Lady Nolwen tatsächlich heiraten? Welche Rolle spielt Goodwill wirklich? Geht Lady Hellaines Plan auf? Und schließlich: Welche Rolle hält das Schicksal für die kleine Rory bereit? Es gibt ein famoses Finale Furioso, soviel sei versprochen!

Romantische Alpträume

Die Story ist rasant, wie bei diesem Genre üblich allerdings nicht ganz widerspruchsfrei. Die Bilder aber müssen keinem roten Faden folgen, sondern dürfen schwelgen. In Blut, in Tentakeln und in großformatigen Alpträumen von fressenden, tentakelschwingenden Geschöpfen. Mirka Andolfo öffnet ihre gesamte Farbpalette, um Gemälde zu erschaffen, die sich als Panels aneinanderreihen. Was früher in den 60-ern in SF-Horror-Klassikern nur angedeutet worden war, findet hier seine grafische Umsetzung: der von Wesen übernommene Mensch als Hülle.

Andolfo - Mercy 3 page 6

Das Album ist in vielen Teilen Splatter-lastig und entspricht damit in gewisser Weise den Erwartungen an eine bestimmte image-Richtung. Er birgt aber trotzdem auch noch Romantik, und zwar nicht nur in den beigefügten (echten) Zeichnungen und Variant-Cover-Abbildungen.

Nichts für schwache Nerven

Die Serie ist nichts für schwache Nerven und auch nichts für kleine Kinder. Wer an dieser Art von Geschichten aber seinen Spaß hat, wird auch hier auf seine Kosten kommen. Gut konstruierte Zeichnungen mit viel Action von der zurecht gefeierten Mirka Andolfo.

Andolfo - Mercy 3 page 10

In den USA erscheinen die sechs Teile als Hefte im kleinen Format. Hierzulande durften wir drei großformatige Hardcover entgegennehmen – meiner Meinung nach die bessere Darbietung. Die Präsentation mit Zusatzmaterial als Hardcover und glänzendem Papier hat seinen Preis, der aber nicht überborden ist.

Dazu passen Maid of Ace, etwa mit „Repent“ und eine Bloody Mary.

© der Abbildungen 2021 Mirka Andolfo / Panini Verlags-GmbH

Bouthier/Chochois – 9/11

Ein Tag, der die Welt veränderte

Story: Baptiste Bouthier
Zeichnungen: 
Héloïse Chochois

Originaltitel: 11 septembre, le jour où le monde a basculé

Knesebeck Verlag

Hardcover | 144 Seiten | Farbe | 24,00 € |

ISBN: 978-3-95728-547-8

Cover Bouthier/Chochois - 9/11

Es gibt Tage, an die erinnert man sich auch Jahre später. Einige davon sind privat, etwa das Kennenlernen des/der Partner*in, die Geburt der Kinder oder ein Olympiasieg. Andere dagegen sind öffentliche Ereignisse von außergewöhnlicher Tragweite wie etwa der Fall der Mauer. In diese zweite Kategorie gehört für sehr viele auch der 11. September, der für die Verwundbarkeit des Westens steht. Natürlich ist dieser Tag nur einer in einer langen Reihe von Anschlägen, die regional eine viel höhere Bedeutung haben mögen. Weltweit markiert das Fallen der Türme aber einen Einschnitt.

Vorher und Nachher

Eine junge Frau aus Frankreich – Juliette – reist das erste Mal nach New York, um dort ihre Schwester zu besuchen. Baptiste Bouthier baut in diese Rahmenhandlung in vielen Rückblicken und Infoteilen die fast schon Schockstarre-artige Reaktion auf die mit Flugzeugen ausgeführten Anschläge in den USA und vor allem auch die Bilder der brennenden Türme in den Fernseh-Live-Übertragungen ein, die damals weltweit das Alltagsgeschehen überlagerten.

Detail Bouthier/Chochois - 9/11 page 3

Der Journalist verknüpft dabei geschickt Erzählungen von Überlebenden und Zeug*innen mit den Erinnerungen der „Heldin“, die die Anschläge als 13-jährige erlebt hat und daraufhin in der Schule, mit Freund*innen aber auch mit den Eltern versucht, das Erlebte zu verarbeiten. Dabei wird nichts ausgespart: Von heimlicher Schadenfreude über Verdrängung hin zu unkontrolliertem Hass auf alles Fremde ist alles dabei! Besonders nahe kommen beim Lesen aber die Teile, die von Menschen in den Türmen berichten, ihren Entscheidungen, nach unten oder oben zu gehen, von Feuerwehrmänner, ihre Teams zu retten oder aufzugeben, und die Ungläubigkeit, dass so etwas überhaupt passieren konnte.

Bouthier versucht dabei, objektiv zu bleiben, auch Verschwörungstheorien zu erwähnen und vor allem, die Folgen zu beschreiben. Natürlich hat man einige der Folge-Anschläge in Nizza, Paris oder London noch im Kopf. Ebenso natürlich weiß wahrscheinlich jede*r, wer Edward Snowden ist oder dass Osama Bin-Laden in Pakistan bei einem Einsatz getötet worden ist. Wie das alles zusammenhängt und in welcher Reihenfolge was passiert ist, ist möglicherweise aber nicht mehr so präsent und auch das wird aufgedröselt.

Wie stellt man Schrecken sachlich dar?

Die umsetzende Grafik dieser Themen könnte effekthascherisch sein, viel Puff und Bäng mit sich bringen. Dann würde sie aber mit dem aufzählenden, faktenorientierten Stil der Geschichte nicht harmonieren. Wenn Héloïse Chochois einen zu sachlichen, an Infografiken orientierten Stil genommen hätte, wären die zu der Story gehörenden Emotionen auf der Strecke geblieben. Zum Glück ist es aber etwas in der Mitte geworden. Die manchmal an Holzschnitte erinnernden Bilder transportieren die Gewalt der Explosionen, des Rauches und des Schreckens eindringlich genug und lassen auch der Angst und dem Nichtwissen, wie zu reagieren sei, auf den Gesichtern der Protagonist*innen genügend Raum.

Ein Tag, der die Welt veränderte page 20

Gleichzeitig können so aber auch Fakten, Reihenfolgen und sogar Bewertungen transportiert werden. Jede*r Betrachter*in erkennt sofort, wer in der amerikanischen Regierung zu den Falken gehört hat und wer zu den Tauben. Auch die Zeichnungen zwingen uns Konsument*innen aber keine Meinung auf. Bei einzelnen Fragestellungen wird deutlich, dass die Autor*innen ihre Zweifel an der Richtigkeit haben, der Holzhammer der Demagogie fehlt aber vollkommen.

Tipp!

Viele junge Erwachsene haben die Abfolge der Ereignisse nicht komplett wahrgenommen und entsprechen somit der Heldin dieser Graphic Novel, die sich auf die Suche nach Informationen macht. Durch die Kompaktheit ist das hier ein gelungener und gut gewählter Startpunkt. Die Wenigsten würden heutzutage ein Sachbuch zu diesem Thema lesen, ein Comic kann da deutlich mehr Menschen den Zugang erleichtern. Und natürlich haben auch viele schon damals Erwachsene im Verlauf der letzten 20 Jahre so viel aufgenommen, dass der Komplex mit all seinen Zusammenhängen und Verschachtelungen nicht mehr so aktiv bewusst ist.

Detail Bouthier/Chochois - 9/11 page 6

Neben dieser eher gesellschaftspolitischen Rezeption gibt es aber noch einen wichtigen Punkt: Die Erinnerung an das Grauen und die Möglichkeit, diese zu verarbeiten. Und auch hier leistet die unaufgeregte Darstellung all des Schreckens einen wichtigen Beitrag! Es geht nicht darum, Ängste zu schüren oder zu unterdrücken. Es geht darum, unaufgearbeitete Ängste nicht zu Hass werden zu lassen.

Dazu passen ein Cold Brew Coffee und positive Musik: New Order, etwa mit „Blue Monday“.

© der Abbildungen 2021 Bouthier, Chochois, Dargaud/Topo, Paris, Frankreich / 2021 von dem Knesebeck GmbH & Co Verlag KG, München

Percy/Takara – Wolverine

Im Dunkel der Nacht

Story:  Benjamin Percy
Zeichnungen: 
Marcio Takara

Originaltitel: US-Wolverine: The Long Night (2019) 1-5

Panini Comics

Broschur | 124 Seiten | Farbe | 15,00 € | 
ISBN: 978-3-7416-2334-9

Percy/Takara - Wolverine - Im Dunkel der Nacht Cover

Filmische Adaptionen von Comic-Romanen gibt es wie Sand am Meer, Comicausgaben von erfolgreichen Filmen oder Serien ebenfalls. Früher war es durchaus üblich, auch erfolgreiche Radio-Hörspiele als Comic umzusetzen bzw. vice versa. Nun, die Zeiten des Radios gehen vorbei und Podcasts besetzen immer öfter die Leerstellen. Was läge also näher als einen erfolgreichen Podcast als Comic zweitzuverwerten? Genau das ist hier passiert und gleich der allererste Marvel-Fiction-Podcast hat seinen Weg zwischen zwei Buchdeckel gefunden.

Tod am Polar

Die Story von Benjamin Percy spielt außerhalb der normalen Comic– oder Film-Kontinuität von Marvel. Wolverine darf daher das sein, was er früher war: Geheimnisumgeben, voll von Schmerz und in Sorge, aber auch brutal. Hier gibt es keine anderen Superhelden, nur die Jäger von Waffe X. Diese gehen über Leichen um ihr Produkt, den fast unbezwingbaren Wolverine, wieder in ihre Fänge zu bekommen. Der Gejagte versteckt sich in Alaska, vor allem, um diejenigen, die er liebt zu schützen.

Wolverine - Im Dunkel der Nacht page 3

In dem kleinen Städtchen Burns passieren im Dunkel der Nacht seltsame Dinge und zwei Agent*innen werden geschickt, um bei der Aufklärung zu helfen. Übel zugerichtete Leichen wurden gefunden und natürlich könnte ein Bär dafür verantwortlich sein. Er müsste sich aber einerseits dem Leben in der Zivilisation sehr angepasst haben und z.B. die Funktionsweise von Türen kennen, andererseits ein Meister darin sein, sich unauffindbar zu machen. Oder aber es geht um ein anderes Geschöpf mit langen und scharfen Krallen.

Percy, von dem sowohl der Podcast als auch das Comic-Szenario stammen, spielt mit falschen Fährten, Rückblicken und fast schon Horror-artigen Erwartungen und Überraschungen. Dabei fließt eine Menge Blut, es ist aber kein Splatter, der hier abläuft. Für alle, die Wolverine alleine toll finden, mit ihm als Bestandteil der X- oder Avengers-Familien nicht viel anfangen können! Und auch Akte-X-Fans werden auf ihre Kosten kommen.

Wolverine - Im Dunkel der Nacht page 4

Das Artwork

Im Gegensatz zu der innovativen Story ist das Artwork „nur“ guter Durchschnitt. Auch das wäre natürlich für viele Comics schon eine Auszeichnung und so solltet ihr das auch verstehen! Marcio Takara zeichnet die Einsamkeit Alaskas, den Frust der Holzfäller aber auch die Trauer einer Mutter um ihr einziges Kind in der gebotenen Sorgfalt und Erkennbarkeit. Sowohl Menschen als auch Monster sind glaubwürdig dargestellt und selbst der gefürchtete Rechteck-Mund taucht nur ganz selten einmal auf.

Das Layout ist für amerikanische Verhältnisse sehr ruhig. Meistens dominieren Streifen und nur selten springen einzelnen Zeichnungen aus ihrem Rahmen. Image-geprägte Leser*innen werden hier vielleicht das eine oder andere Splash vermissen. Der gewählte Stil passt aber zur Handlung: Hier reiht sich nicht Action-Szene an Action-Szene und es geht weniger um die Ausstattung als um den Inhalt. Und dieser steht im Vordergrund und wird durch die Zeichnungen unterstützt.

Wolverine - Im Dunkel der Nacht page 9

Tipp!

Der zehnteilige Podcast war 2018 sehr erfolgreich und wurde auch mit einigen Preisen bedacht. Die Reihe an sich durfte weitergeführt und auch Wolverine von Percy wird fortgesetzt werden. Die grafische Umsetzung ist sehr gut gelungen und bringt genau den Outsider zurück, bei dem wir nicht wissen, ob er gut, böse oder irgendetwas dazwischen ist. Genau diese Spannung ist heute im allzu korrekten, austarierten Superheld*innenbereich fast verloren gegangen und kommt nur noch in „unabhängigen“ Linien wie etwa bei DC im Black Label zum Tragen.

Im Dunkel der Nacht ist für alle – älteren – Fans, für die Popcorn etwas Essbares aber keine Wunschvorstellung für Abenteuer ist! Gerne mehr davon! Percy entwickelt dabei Wolverine, seine Bezugspersonen aber auch Einwohner*innen und Special Agents gleichermaßen und schafft dadurch eine runde und spannende Geschichte. Panini packt wie immer ein wenig Infotexte und Originalcoverabbildungen dazu.

Wolverine - Im Dunkel der Nacht page 12

Dazu passen ein Grog und GBH.

© der Abbildungen 2019, 2021 Marvel c/o Panini Comics, Stuttgart

Töpke/Prinsler – Zombies

… in der Grossen Hoffnung

Story:  Renatus Töpke
Zeichnungen: 
Roland Prinsler

Originalausgabe

Epsilon Verlag

Hardcover | 96 Seiten | Farbe | 20,00 € | 
ISBN: 978-3-86693-235-7

Zombies in der Grossen Hoffnung Cover

Lange war es still um den kleinen Verlag aus dem hohen Norden, doch nun lässt Mark Fischer wieder von sich hören. Mit dem neuen Band platziert sich Epsilon im Independent-Sektor und bringt Horror aus deutschen Landen.

Vier Loser gegen den Rest der Welt

Auf den ersten Blick wirkt der Untertitel etwas irritierend, steht er doch in direktem Zusammenhang mit einer Reihe von 6 Köpfen. Im Laufe der Geschichte wird dann klar, dass aus ursprünglich 4 Freunden eine größere Schicksalsgemeinschaft wird. Die jugendlichen Protagonisten machen eigentlich nichts. Sie chillen, überfallen Frauen und verticken Drogen für einen Möchtegerngangster.

An diesem Tag jedoch ist alles anders, denn aus dem Nichts tauchen erst ein, dann viele, dann gaaaanz viele Zombies auf und den Helden bleibt nichts anderes übrig, als in ihr Hochhaus, die Grosse Hoffnung, zu flüchten. Dort kommt es zu unerwarteten Allianzen und vielen Scharmützeln mit den lebenden Toten. Renatus Töpke wollte nach eigener Aussage einen sehr rasanten Comic schreiben, der Leser*innen durch die Handlung treibt. Im Ansatz ist ihm das auch gelungen, einige Logikbrüche sind aber nicht zu übersehen.

Zombies in der Grossen Hoffnung page 2/3

Zombies auf dem Weg der Vernichtung

Roland Prinsler versucht, in einer Mischung aus Abstraktion und Realismus zu zeichnen. Das passt auch zu dem Tempo, das hier angeschlagen wird. Auch die grundsätzliche grau-weiße Umsetzung mit roter Schmuckfarbe wirkt. Die Mundpartien sehen allerdings leider aus wie in einem schlechten Zeichentrickfilm der 70-er Jahre: Rechteck mit Zahnreihe.

Zombies in der Grossen Hoffnung page 7

Trotzdem wirkt das Ganze wie ein überdrehter, ultraschneller Trip, also dem Horror-Thema durchaus angemessen und wird seine Fans finden.

Fazit

Ich frage mich, ob ein anderes Format vielleicht besser gewesen wäre. Ein großformatiges Hardcover – übrigens handwerklich super gemacht – lässt die passende Stimmung nicht wirklich aufkommen. Ein zweidrittel so großes Heft wäre vielleicht stimmiger gewesen. Sollte Epsilon diesem Weg weiter folgen, wäre das eine Überlegung wert! Ansonsten ist es natürlich schön, alte Bekannte wiederzusehen! Von hier aus also ein „viel Glück“ nach Nordhastedt!

Dazu passen Musik von Knorkator und ein Energy Drink Eurer Wahl.

© der Abbildungen 2021 by Renatus Töpke und Roland Prinsler / Epsilon Verlag Mark O. Fischer

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