Seit einigen Jahren ist Comic-Journalismus eine anerkannte Kunstform. Was als Bestandteil der „Graphic Novel“ angefangen hat, ist nun eigenständig und vielfältig. Neben Kriegsberichterstattung geht es um die Begleitung Sterbender, Gentrifizierung von Stadtteilen oder ganzer Regionen oder die Klimakrise. In dieser neuen Serie des jungen französischen Künstlers Guillaume Mazurage werden die Leser*innen mitgenommen auf ein Schiff der Organisation Sea Shepherd. Diese NGO kämpft für die Meere und den Erhalt des vielfältigen Lebens auf und in den Weltmeeren. Fast nie ist dieser Kampf ohne Risiko, teils sogar für das Leben, zumindest aber für die körperliche Unversehrtheit der Freiwilligen.
Der Vaquita – eine der bedrohtesten Säugetierarten überhaupt
Der Vaquita ist ein Schweinswal, der nur in einem kleinen Gebiet im Golf von Kalifornien vorkommt. Er hat es geschafft, auf die Liste der 100 meistgefährdeten Tierarten weltweit zu kommen. Ende 2019 gab es in freier Wildbahn schätzungsweise noch 19 (!) lebende Tiere. Dabei ist der Schweinswal gar nicht das Ziel der Fischerei, er verendet typischerweise als Beifang. Sea Shepherd hat daher die Operation Milagro gestartet, um zu versuchen, die Tiere doch noch vor dem Aussterben zu bewahren.
Der Comic beginnt sehr dramatisch – ein kleines Schlauchboot der Aktivist*innen von Sea Shepherd versucht einen Wal, der sich in einem Netz verfangen hat, zu befreien. Unter ihnen ist der Erzähler, Guillaume Mazurage, der sich auf Anraten seines Freundes und Mentors Pierre Christin aufgemacht hat. Er will nicht über den Walfang schreiben und zeichnen, sondern über die Jäger der Jäger. Was läge also näher als sich selbst in die Gefahr zu begeben und hautnah einige Aktionen mitzumachen.
Gesagt, getan: Im März 2018 wird der Künstler und Journalist Besatzungsmitglied auf der John Paul DeJoria und nimmt an der Milagro-V-Kampagne teil. Er berichtet von der Gefahr für die Aktivist*innen, die von den Fischern sowohl an Land als auch auf See teilweise massiv angegriffen werden, und von den verzweifelten Versuchen, gefangene Großsäuger zu befreien. Es gibt aber auch positive Aspekte: das freundschaftliche Miteinander im Team und die notwendigen Veränderungen im täglichen Leben. Natürlich lebt die Crew vegan.
Grausame Menschen, großartige Natur?
Bei den Zeichnungen ist Mazurage nicht ganz so klar. Zum einen sehen die meisten Aktivist*innen noch sehr jugendlich aus. Das kann natürlich der angepeilten Zielgruppe geschuldet sein. Wer auf Veränderung zielen will, muss die Jugend im Blick haben. Die Älteren haben das Problem entweder schon verstanden oder aber andere Sachen im Kopf und sind kaum noch erreichbar.
Die Schurken sind dagegen klar erkennbar: verhärmte Gesichter, Drei-Tage-Bart und pure Aggression. Für eine vertiefte Auseinandersetzung wäre es vielleicht notwendig, Alternativen zum Fischfang zu entwickeln. Nicht, dass ich die Überfischung verteidigen wollte. Trotzdem stellt sie für die dortige Bevölkerung teilweise die einzige Einnahmequelle dar. Wie schon Bert Brecht sagte: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Die Zeichnungen des Meeres, die Dünung und auch die teils großartigen Begegnungen mit seinen Bewohnern sind dagegen großartig und machen auch die Größenunterschiede zwischen Menschen und Walen sehr deutlich.
Eine klare Empfehlung
Früher gab es immer die Aussage, dass zu bestimmten Anlässen wie Konfirmation/Firmung oder ähnlichen Anlässen ein „gutes Buch“ verschenkt werden sollte. Milagro ist so etwas! Allerdings nicht ganz im Sinne von früher: Sea Shepherd ist eine Organisation, die klar zu illegalen Aktionen aufruft und sie auch durchführt. Sie möchte die Meere und ihre Bewohner*innen schützen und richtet ihre Handlungsweisen daran aus.
Diese Comic-Reportage stellt die Frage nach dem Sinn. Darf der Kapitalismus in seiner Verwertungslogik alles oder gibt es Werte, die darüberstehen sollten? Trotz COVID und Ukraine dürfen wir die Klimakrise, die Umweltzerstörung und die Ausrottung vieler Tier- und Pflanzenarten nicht vergessen. Milagro ist ein (sehr pointierter) Beitrag zu dieser Diskussion und daher zu empfehlen. Meine Meinung dazu: Jede*r, der/die behauptet, die absolute/einzige Wahrheit zu kennen, hat das Problem noch nicht in seiner ganzen Bandbreite erkannt. Ein „die Augen verschließen“ ist aber keinesfalls die Lösung.
Dazu passen The Smiths mit „Meat is Murder“ und ein (veganes) Sierra Nevada Pale Ale.
GCT 2022 zum Dritten – Comics für Kids – eine Übersicht
Endlich! Am Samstag, dem 14. Mai findet er wieder statt, der Gratis Comic Tag. Diese Händler machen mit und veranstalten zusätzlich teilweise noch Aktionen! Damit ihr euch bei der Vielzahl der angebotenen Comics ein wenig orientieren könnt, stellt comix-online einige der Titel etwas ausführlicher vor. Der zweite Teil beschäftigte sich mit Superheld*innen, Teil 1 stellte Fantasy-Titel vor. Haben wir nicht alle den Wunsch, dass unsere Kinder oder Enkel*innen auch Comics lesen sollten? Mit unseren Lieblingen können sie aber meistens nichts anfangen. Wie gut, dass es beim GCT gleich eine ganze Anzahl von neuen Comics gibt, die diese Zielgruppe speziell im Blick haben.
Blasco – Enola Holmes (toonfish)
Wir alle kennen Sherlock Holmes, einige vielleicht sogar noch seinen Bruder Mycroft. Das der Meisterdetektiv aber auch eine Schwester hatte, eben jene Enola, ist eher unbekannt. Zudem verhält sich die gute auch noch völlig rollenbildwidrig und verärgert damit ihre Brüder, die Angestellten, vor allem aber die Gute Gesellschaft. Starke Geschichte für kluge Mädchen, die sich nicht in eine rolle drängen lassen wollen. Ausführlicher Teaser aus Band 1.
Diverse – Star Wars – Die Hohe Republik (Panini Comics)
Star Wars ist ein Multispektakel. Der neueste Ableger sind die Geschichten aus der Zeit der Hohen Republik die zeitlich vor den ersten Kinofilmen spielen. Diese Zeit wird mit Comics und Romanen gleichermaßen erschlossen wobei es aus beiden Gattungen sowohl Bände für erwachsene als auch für jugendliche Leser*innen gibt. Sicherlich ein guter Einstieg für Kinder die in eine Star Wars Familie hineinwachsen!
Wellmann – Nika, Lotte, Mangold! (Rotopol)
Kinder lieben einen krakeligen Stil. Es muss nicht immer alles poliert und glatt sein! Thomas Wellmann zeichnet eher unordentlich und beschränkt sich auf das Wesentliche. Gut wiedererkennbare Figuren, überzeichnete Emotionen und viel Action. Wer die mittlerweile gut eingeführten Figuren noch nicht kennt erhält hier einen guten Einblick!
Härdtfeld – Goofy (Egmont Comic Collection)
Der liebevolle, tollpatschige Charakter hatte am 25. Mai 1932 seinen ersten Auftritt. Was liegt also näher, als den Geburtstag auch mit einem Heft zum GCT zu feiern! Goofy und Micky müssen ein langes Abenteuer in Form einer Queste überstehen. Erwachsene werden, die eine oder andere Anspielung entdecken, für Kinder ist es eine spannende und von Überraschungen geprägte Geschichte.
Goscinny/Attanasio – Spaghetti (All Verlag)
Goscinny hat nicht nur die nach Meinung vieler besten Asterix-geschichten getextet, sondern auch anderen Zeichnern perfekte Szenarien geliefert. Dazu gehört auch Signore Spaghetti der immer auf der Suche nach Arbeit ist und gut sein will, oft genug aber ausgebeutet oder getäuscht wird. Dazu passieren ihm immer wieder die seltsamsten Dinge. Hier wird er als Versuchskaninchen benutzt, um festzustellen, ob ein Stein wirklich Unglück bringt. Rasant!
Weing – Die geheimnisvollen Akten von Margo Maloo (Reprodukt)
Kleine Kinder fürchten Monster. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass sie gar nicht genug Bescheid wissen über diese Wesen? Der kleine Charles, furchtsam, aber nicht mutlos, macht sich zusammen mit der Heldin Margo Maloo auf und begegnet Trollen, Ogern und Vampiren. Ein Höllenspaß der die Furcht nehmen kann!
Tan/Prickly – Die schreckliche Adele (Egmont Bäng Comics)
Auch hier darf man sich als erwachsener nicht von den Zeichnungen abschrecken lassen: zu große Köpfe, fratzenhafte Emotionen und nicht immer erwünschtes Benehmen zeichnen die Heldin der neuen Serie bei Bäng aus. In Frankreich ein Riesenerfolg, hier gerade gestartet. Viele kleine Episoden die von der Länge her eher Zeitungsstrips entsprechen.
Im Fantasy-Beitrag wurden bereits die anderen Comics für Kids besprochen: Die Fantasy-Reihe des Lustigen Taschenbuches und Die Abenteuer von Nilson Groundthumper und Hermy von Stan Sakay aus dem Dantes Verlag.
Dazu empfehle ich einen musikalischen Rutsch durch die Beiträge des diesjährigen ESC und einen Fruchtsaft Orangensaft/Ingwer!
GCT 2022 zum Ersten – Fantasy Comics – eine Übersicht
Endlich ist es wieder so weit! Nach einer Corona-bedingten Pause dürfen wir uns dieses Jahr wieder auf einen großen Schwung an Heften zum Gratis Comic Tag freuen. Am Samstag, dem 14. Mai machen diese Händler mit! Oftmals sind sogar noch weitere Aktionen geplant: Ausstellungen, Signierstunden, Workshops und vieles mehr. Schaut einfach auf der Webseite nach! Da nicht alle Aktionen gemeldet werden, lohnt sich wahrscheinlich auch lokal der Blick in die Zeitungen und Schaufenster.
Comix-online wird in diesem Jahr wieder versuchen, ein paar thematisch gegliederte Überblicke über das Angebot zu geben. Vor zwei Jahren war der erste Beitrag den Western-Comics gewidmet, von denen es in diesem Jahr nicht einen einzigen gibt. Stattdessen habe ich mir den weitgefassten Fantasy-Bereich vorgenommen. Die einzelnen Hefte decken ein sehr großes Spektrum ab. Es sollte also für jede*n etwas dabei sein!
Layman/Bradshaw – Bermuda (Cross Cult)
Ein Schwerpunkt des Verlages Cross Cult sind amerikanische Independents, etwa von image, Boom! oder wie in diesem Fall von IDW. Im Gegensatz zu den Reihen, die bei Marvel oder DC erscheinen, sind die Werke „creator owned“, die Künstler*innen behalten also die Rechte an ihren Werken.
Bermuda ist eine neue Geschichte, die ein wenig Pulp-mäßig daherkommt. Ein Flugzeug gerät über dem Bermudadreieck in einen schweren Sturm und stürzt ab. Die Insassen, ein junger Mann, seine kleine Schwester und ihr Leibwächter überleben und können sich auf eine kleine Insel retten, die von seltsamen Lebewesen bewohnt wird. Eine schöne Variation des altbekannten Themas, von der hier das erste Kapitel präsentiert wird!
Ambrosio/Ferraris – Lustiges Taschenbuch Fantasy Entenhausen (Egmont Ehapa Medien)
Das Lustige Taschenbuch ist nicht nur der erfolgreichste Pressetitel im Comicsegment, er hat mittlerweile auch eine fast unüberschaubare Anzahl von Spinn-Offs hervorgebracht. Sie erscheinen zu Feiertagen, Events aber eben auch zu besonderen Themen. Fantasy Entenhausen sind insgesamt sechs Bände, die auch in einem Schuber erhältlich sein werden.
In der hier komplett abgedruckten Story Aufgerüstet darf sich Donald als Ritter vom Kessel darum kümmern, dass ein böser Fluch aufgehoben wird. Er wird dabei von Danilo (Düsentrieb) begleitet und soll seinem Onkel Geld und Ruhm einbringen. Nette Unterhaltung aus der italienischen Topolino-Produktion, die auch das Logo „Comics für Kids“ trägt.
Sakai – Die Abenteuer von Nilson Groundthumper und Hermy (Dantes Verlag)
Gleiches gilt auch für das Abenteuer von Stan Sakai, der bei uns hauptsächlich wegen seiner Geschichten über den Hasen-Ronin Usahi Yojimbo bekannt ist. Bereits vorher hat er aber zwölf Stories über den Hasen Nilson Groundthumper veröffentlicht. Der sympathische Hase möchte sich als Mietschwert verdingen und wird von den etwas einfältigen Hermy begleitet. Alle Abenteuer der beiden sind jetzt in Deutscher Erstveröffentlichung beim Dantes-Verlag erschienen, eine sehr kurze und eine längere Episode findet sich in diesem Heft!
Der Donjon hat sich längst zu einem Universum entwickelt, dass über alle Zeiten hinweg von unterschiedlichen Teams komplettiert wird. Der Donjon ist eine mit Gold gefüllte Festung, wird es zumindest einmal sein, oder aber ist es – wie in diesem Heft – einmal gewesen. Joann Sfar und Lewis Trondheim erweitern diesen Kosmos ständig, Antipoden + 10000 spielt in der Zukunft der eigentlichen Storyline. Vince setzt das Ganze genau so anarchistisch und abstrus um, wie es gemeint ist. Das komplette Abenteuer reizt hoffentlich den einen oder die andere, tiefer in die Welt um den Donjon einzutauchen.
MacLean/Spicer – Hero Lopper (Cross Cult)
Eine weitere amerikanische Serie, in diesem Fall von image, ist Hero Lopper von Andrew MacLean. Der Held der Geschichte ist Norgal, genannt der Köpfer. Er ist ein Mietschwert, erledigt einen Auftrag auf der Insel Barra und legt sich sofort mit seinem Auftraggeber an. In seinem Gepäck hat er den Kopf einer Hexe. Klingt ziemlich drastisch und wird in leicht karikaturesken Bildern ausgeliefert. Das hier präsentierte Kapitel 1 macht aber durchaus neugierig.
Breitschuh – Luba Wolfsschwanz (Weissblech Comics)
Als einziger Titel in diesem Jahr trägt dieses Heft den Aufdruck „Empfohlen ab 16 Jahren“. Weissblech Comics hat sich schon immer auf die Genres Horror und Erotik konzentriert und verlegt sehr erfolgreich Reihen wie Horror Schocker oder Zombie Terror. Luba Wolfsschwanz ist der Ausflug in eine Fantasy-Welt. Die Heldin wird nach einem blutigen Überfall auf ihr Dorf als einzige Überlebende gefangengenommen und soll die Provinz der Eroberer in einem alljährlichen Gladiator*innenwettstreit vertreten. Die Protagonistin ist weder zimperlich noch zartbesaitet und sucht Rache. Wegen der doch häufigen nackten Brüste und Gewaltszenen wirklich nichts für jede*n!
Dazu empfehle ich Hunnu Guren mit ungewöhnlichen Klängen, die aber gut zu diesem Thema passen, und einen Kräutertrunk (als Tee oder aufgesetzt, je nach Alter)!
Es gibt wohl kaum einen bekannteren Sportler aus dem Bereich der Comics als den Rennfahrer Michel Vaillant. Der Franzose hatte seine Karriere in Deutschland in der Mickyvision, später MV Comix noch als Michael Voss begonnen, startete unter seinem richtigen Namen dann allerdings im Koralle-ZACK durch. Die Reihe umfasst 70 Alben sowie viele Kurzgeschichten. In Deutschland haben schon viele Verlage den Rennfahrer im Programm gehabt. Zuletzt schaffte es der MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag alle 70 Alben einheitlich zu veröffentlichen. Die über viele Jahre erschienen Bände werden allerdings nicht nachgedruckt. Nun besteht die Möglichkeit, neu einzusteigen in die Welt des Motorsports und dem sympathischen Helden, seiner Familie und Freund*innen zu folgen und dabei so ziemlich allen „echten“ Held*innen dieses Sports zu begegnen!
Die Anfänge enthalten schon fast alle Ingredienzien!
Im Vorwort zu diesem Band schreibt Alain Prost, dass er in der Achtung seines Sohnes um Einiges gestiegen sei als dieser ihn in einem Comic Michel Vaillant die Hand geschüttelt habe. Bis zu dieser Begegnung dauert es allerdings noch etwas. Den Anfang machen Kurzgeschichten, die die Reaktion der Tintin-Leser*innen auf einen potentiellen neuen Charakter testen sollten. Das Ergebnis muss gut gewesen sein, Michel Vaillant ging in Serie.
Alle Geschichten in diesem Band sind eine Art Zeitreise. Die Formel 1 von heute lässt sich mit der Ende der 50-er Jahre kaum vergleichen. Zwar gab es auch damals schon Regeln deren Nichteinhaltung zur Disqualifikation geführt hätte. Sie waren aber weniger technifiziert als heute. Und noch ein Unterschied: Ein Unfall war damals immer mit einer Todesgefahr verbunden während heute so viel für die Sicherheit der Fahrer getan wird, dass Unfälle nur noch selten tödlich enden.
Die große Herausforderung, die erste lange Geschichte, präsentiert einen Wettkampf der Kontinente! Ein amerikanisches Team um Steve Warson und ein französisches aus Michel Vaillant und seinem Bruder Jean-Pierre werden in fünf Rennen auf drei Kontinenten gegeneinander antreten und um den Titel „Bester Fahrer der Welt“ kämpfen. Hier wird bereits deutlich, dass es nicht nur um die Perspektive der Fahrer geht, sondern auch um die der Unternahmen. Henri Vaillant wird auch in Zukunft immer um sein Unternehmen oder für die europäischen Autohersteller kämpfen und welche Werbung wäre besser als der Sieg in bekannten Rennen? Ebenfalls kennzeichnend ist, dass Michel und Steve nicht nur „in Aktion“ gezeigt werden, sondern als Menschen mit Sorgen, Freuden und einer Passion für das Fahren. Dadurch wird aus der Serie nicht nur eine nach wenigen Geschichten auserzählte Geschichte sondern die Möglichkeit für eine „unendliche“ Soap!
Bevor der Fahrer ohne Gesicht startet, heiratet Jean-Pierre seine Agnes in einer Extra-Seite, die in der Albenveröffentlichung oftmals unterschlagen wurde. Die Geschichte eröffnet mit dem Test eines Vaillante-Motors für Außenborder. Erneut wird schon sehr früh deutlich, dass weder Firma noch Pilot sich auf die Formel 1 reduzieren werden. Die redaktionelle Begleitung weist darauf hin, dass es sich bei dieser Geschichte um ein neudeutsch Crossover zweier Serien in Tintin handelt. Die zweite Reihe ist heutzutage allerdings bereits so gut wie vergessen. Zurück auf den Rennstrecken müssen Michel und die Sportpresse feststellen, dass der Vaillante des letzten Jahres von einem unbekannten neuen Fahrzeug herausgefordert werden wird. Noch geheimnisvoller aber ist der Fahrer, der wegen eines verspiegelten Helmvisiers nicht zu erkennen ist. Was ist der Grund für diese unheimliche Herausforderung?
Angst auf der Strecke bringt schließlich Steve Warson zurück. Die sowjetischen, amerikanischen und europäischen Automobilhersteller haben sich geeinigt, mit jeweils fünf Teams eine Serie von Rennen gemeinsam zu fahren. Dabei sollen einerseits die besten Fahrer gekürt werden, es geht aber auch um die Frage, welche Maschinen überlegen sind und um daraus resultierende Marktchancen. Die Teams müssen daher Rennen auf Kursen fahren, die ihnen total unbekannt sind. Jede einzelne Rennserie hat ihre Spezialitäten, die in ihrer Kombination nun die Fahrer vor höchste Ansprüche stellen. Parallel dazu gibt es eine Art Krimi-Plot: Bei der Vorbereitung scheint nicht alles mit rechten Dingen zuzugehen. Insbesondere das europäische Team muss sogar um das Leben seiner Piloten fürchten.
Klassische Klare Linie
Jean Graton hat sich seine ersten Sporen mit den typischen Einführungsaufgaben bei Tintin verdient und so verwundert es natürlich nicht, dass auch seine große Chance auf eine eigene Serie dem stilistischen Konzept des Magazins folgt. Details, wo nötig, Schraffuren nur im Notfall, klare Linien strukturieren. Schon sehr früh hält sich Graton aber wegen der dadurch gewonnenen Dynamik nicht mehr an ein klassisches drei- oder vierstreifiges Layout, sondern lässt Überlappungen zu und verzichtet teilweise sogar auf Panel-Einfassungen.
Viele Serien aus dieser Zeit in Tintin waren sehr textlastig. Auch hier sind einige Panels komplett als Textfeld gestaltet, Sprechblasen können auch schon mal mehr als 50% des zur Verfügung stehenden Platzes einnehmen. Gleichzeitig gibt es aber auch Passagen, die ganz ohne Text auskommen und – unterstützt durch Speedlines – ganz der Action gewidmet sind. Man muss dazu wissen, dass Graton sich sehr genau vorbereitet hat und nicht nur viele real existierende Rennfahrer und sonstigen Persönlichkeiten des Motorsports in seine Geschichten integriert hat, sondern auch die Rennwagen sehr detailgetreu gezeichnet hat.
Im Laufe der folgenden 19 Sammelbände wird der Stil noch viel dynamischer werden. Die Liebe zum Sport und die tiefe Integration in den ganzen Rennzirkus wird auf jeder Seite deutlich und auch wenn Jeans Sohn Philippe die Szenarios übernehmen wird, wird sich an der Konzeption der Serie nichts ändern. Zu Recht eine der ganz großen europäischen Comicserien!
Top-Tipp
Für Freund*innen des klassischen europäischen Comics wie er durch Tintin und Spirou aber auch Pilote geprägt worden ist, ist Michel Vaillant mit Sicherheit ein Muss im Regal. Auch, wenn es nicht schaden kann, Motorsport wirklich zu mögen, sind die Geschichten durch die Verknüpfung von Soap-, Krimi, und Abenteuerelementen spannend für alle und sind für lange Zeit auf sehr hohem handwerklichem Niveau produziert worden!
Die Integrale-Reihe bringt zusätzlich Informationen, ergänzt für den deutschen Markt von Volker Hamann, um die Geschichten, den Sport und die Hintergründe und integriert einzelne Illustrationen und Kurzgeschichten. Durch den Formel-1-Look der Bände macht sie sich auch im Regal gut und wer mit Rick Master gerade fertig geworden ist, kann hier gleich weiter machen.
Dazu passen Blyth Power mit „Out from under the King“ und ein Getränk für die Zuschauer*innen von Rennen: Bier vom Fass, leicht zu warm.
Immer noch Corona, meine persönlichen Favoriten und gute Wünsche
Wer hätte das gedacht? Die Pandemie hat uns auch das ganze letzte Jahr in Atem gehalten: Lockdown, Beschränkungen für Kulturveranstaltungen, Verlagerung des Einkaufsverhaltens von lokalen Läden hin zu Online- und Versandhändler*innen. Natürlich wird das Auswirkungen auf die Comic-Branche haben. So finden wir zunächst im Independent-Bereich, etwa dem ZEBRA, bereits Auseinandersetzungen mit den Folgen. Da wird sicherlich noch mehr kommen. Ausstellungen sind weniger geworden oder sie waren zu mindestens schlechter besucht. Auch ich war während des Jahres daher leider nur im MoCa in Noordwijk und im Jan Kruis-Museum in Orvelte.
Die Digitalisierung ist allerdings weiter fortgeschritten. Immer mehr Verlage bieten auch elektronische Ausgaben an. Für mich persönlich ist das allerdings nichts. So gerne ich elektronische Medien und Tools auch nutze, graphische Literatur lese ich immer noch am liebsten auf Papier, freue mich an der Haptik (wenn der Comic entsprechend dargeboten wird) und am Anblick einer Reihe im Regal.
Nachdem meine Winterpause jetzt vorbei ist wünsche ich uns allen für das kommende Jahr, dass mehr Normalität zurückkehrt. Dafür ist es allerdings wichtig, dass alle, denen es möglich ist, sich impfen lassen!
R.I.P.
Wie immer sind wieder viel zu viele Comic-Schaffende gestorben. Ein paar davon sollen hier eine letzte Erwähnung finden: Marcel Uderzo, Jean Graton, Benôit Sokal, Nikita Mandryka, Raoul Cauvin, Dieter Kalenbach und Gérald Forton.
Die besten Comics in 2021
Auch dieses Jahr wieder präsentiere ich hier meine Favoriten: subjektiv, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und unabhängig von Verlagsbemusterungen. Dem letzten Jahr folgend gibt es wieder die gleichen Kategorien: Alben, Graphic Novels, Gesamtausgaben, Sekundärwerke und Zeitschriften. Ein Sonderpreis geht an das „Comeback des Jahres“. Natürlich darf auch die Liste der meistgeklickten Beiträge des Jahres nicht fehlen. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle Leser*innen: Die Zugriffszahlen sind um rund 20% gegenüber 2020 gestiegen!
Album des Jahres
Der beste Comic des Jahres kommt für mich aus Deutschland: Ralf König hat sich einen Jugendhelden vorgenommen und ihm nicht nur Brustwarzen verpasst, sondern auch eine sehr liebevolle Hommage verfasst: Zarter Schmelz übernimmt alle klassischen Elemente von Lucky Luke, twisted aber das gesamte Setting. Seine schwulen, knollennasigen Cowboys, die lila Kühe und Calamity Jane sind so großartig, dass sie zurecht den Mainstream erobert haben.
Eine ganz andere Interpretation des „Wilden Westens“ kommt von Jean Dufaux und Rubén Pellejero. Ihr Regenwolf stellt eine Frau als Hauptakteurin in den Mittelpunkt einer Rachegeschichte. Blanche McDell steht im Schnittpunkt von Liebesgeschichten, Mythologie, Rassismus und Männlichkeitswahn. Obwohl die Vermischung dieser Themen in eine langweilige Political Correctness-Definition abgleiten könnte, ist den Autoren hier eine perfekte, spannende Geschichte ohne erhobenen Zeigefinger mit toller visueller Umsetzung gelungen.
Auffällig in diesem Jahr ist die Anzahl der Western unter den Top 5: Nur Mademoiselle J. von Yves Sente und Laurent Verron konnte sich auf Platz 3 dazwischenschieben. Die ursprünglich als Nebenfigur in einem Spirou-OneShot eingeführte wissbegierige junge Dame hat nun ihre eigene Reihe und bringt Zeitgeschichte in dem typischen, leicht modernisierten Marcinelle-Stil an ihre Leser*innen. Sie atmet gleichzeitig den Charme der 30-er Jahre als auch den des Aufbruchs in eine gleichberechtigtere Welt!
Einer meiner Lieblingszeichner ist Patrick Prugne. Obwohl er sich durchaus auch schon anderen Themen zugewandt hat, sind seine Geschichten aus dem westlichen Amerika/Kanada am besten. In Tomahawk erzählt auch er die Geschichte einer „Rache“, allerdings eingebettet in viel Natur und die spannende Vorgeschichte zu einem erbarmungslosen Krieg. Fast jedes Panel könnte gerahmt an einer Wand hängen!
Platz 5 geht an eine überlange Geschichte, die einen Helden einer Serie nach sehr langer Zeit gealtert und vollkommen verändert zurückbringt: Wenn der Tiger erwacht erzählt die Geschichte von Chinaman, seiner Posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund der Schrecken des Sezessionskrieges und die Annäherung zwischen ihm und seinem Sohn. Serge Le Tendre und Olivier TaDuc sind nach fast 15 Jahren zu ihrer einstigen Erfolgsserie zurückgekehrt, haben alle Elemente übernommen aber sehr konsequent weitergeführt. So ist eine eigenständige Geschichte daraus geworden, die für sich alleine stehen könnte, aus ihrer „Vergangenheit“ aber noch mehr gewinnt.
Die besten Graphic Novels in 2021
Wie auch bei den Comics war es ein gutes Jahr für Graphic Novels. Die Platzierungen:
Ohne jeden Zweifel geht der erste Rang an Die Bestie von Zidrou und Frank Pé. Ihre Interpretation des Marsupilamis ist so faszinierend anders, dass eigentlich jede*r einen Blick hineinwerfen sollte. Einerseits ist die Story „erwachsen“ geworden: ein verängstigtes, wildes Tier kommt mit einem Schiff als Ware für den Zoo nach Brüssel. Es kann nichts anderes tun, als seiner Natur zu folgen, und sich zu befreien. Dazu passt die langsam wachsende, auf Vertrauen beruhende Beziehung zu einem kleinen Jungen, der seinerseits Ausgestoßener ist. Die Zeichnungen von Pé sind – wie immer – allesamt kleine Kunstwerke!
Platz 2 geht an Das Susan-Problem aus der Neil-Gaiman-Bibliothek. P. Craig Russel und Paul Chadwick haben Kurzgeschichten von Gaiman für das Medium Comic aufbereitet und zusammen mit Scott Hampton gezeichnet. Sie beweisen nicht nur, dass Stoffe von Gaiman wie auch die von Ray Bradbury perfekte Startpunkte für Comic-Kleinode sein können, sondern auch, dass sogar literaturtheoretische Abhandlungen so umgesetzt werden können. Der Preis geht aber auch an die Übersetzung und die vielen editorischen Hinweise für Nicht-Engländer*innen!
Beate und Serge Klarsfeld sind die Nazijäger! Was mit einer Ohrfeige begann, endete mit der erst durch die Beiden möglichen gerichtlichen Verurteilung von vielen Nazi-Kriegsverbrechern. Die spannende Geschichte, die Rückschläge aber auch die unermüdliche Aufopferung im Kampf für Gerechtigkeit und dadurch erst mögliche Freiheit schildern Pascal Bresson und Sylvain Dorange!
Platz 4 geht an die in diesem Jahr beendete Gesamtausgabe von Omaha, eine erotische Soap-Opera, die weit weg ist von jedem Schmuddelfaktor! Kate Worley (und nach ihrem Tod Jack Vance für den Abschluss der Serie) hat eine Geschichte im Schnittpunkt von Korruption, Machtmissbrauch, gesellschaftlicher Veränderung und Beziehungsproblemen geschrieben, die auch die Freuden des Sex nicht auslässt. Reed Waller, anfangs noch ihr Ehemann, später von ihr geschieden, hat das Ganze im Furry-Stil graphisch umgesetzt und damit einen der Klassiker des Independent-Comic gezeichnet. Auch heute noch lesenswert!
Der Reigen wäre nicht vollständig ohne die Kinder der Resistance! Auch hier ist die Geschichte an sich nicht neu, die Veröffentlichung in Deutschland ließ aber auf sich warten. Es gab im vergangenen Jahr einige Geschichten über die Resistance, das Schicksal von Kindern unter der deutschen Besatzung und die zaghaften, teils gescheiterten, teils erfolgreichen Versuche der Gegenwehr. Dazu zählen etwa die Bände von Émile Bravo oder Kris/Bailly. Die Kinder der Resistance von Vincent Dugomir und Benoît Ers beschreiben die anfängliche Naivität und Emotionalität und die Entwicklung hin zu wirklichem Widerstand aber auch wirklicher Gefahr für die Handelnden.
Die besten Gesamtausgaben in 2021
Trara! Platz 1 im Bereich der Gesamtausgaben geht an Caroline Baldwin! Schreiber & Leser fährt dabei zweigleisig: Einerseits erscheinen die bereits früher auf Deutsch veröffentlichten Geschichten (1 bis 16) in vier Sammelbänden von denen 3 bereits erschienen sind, andererseits veröffentlichen die Hamburger die bisher nicht erhältlichen Bände 17 bis 19 in Einzelbänden. Für das kommende Jahr sind dann noch Specials geplant! Die Heldin der in einer modernen Klaren Linie gezeichneten Geschichten von André Taymans ist tough, hat ein Alkoholproblem, ein selbstbestimmtes Sexualleben und ist HIV positiv. Das hält sie aber nicht davon ab, auf der ganzen Welt zu ermitteln und immer auf der Seite der Schwachen zu stehen. Zum Serienkompass.
Platz 2 geht an Jerry Spring. Der „Vater des europäischen Westerncomics“ war vor Jahren fast komplett in einer schwarz-weißen Integralausgabe erschienen. Nun hat der All-Verlag die erste farbige komplette Ausgabe gestartet, die nicht nur alle von Jijé gezeichneten Geschichten beinhalten wird, sondern auch den letzten Band von Festin und Franz, der in 2021 erstmals auf Deutsch im ZACK erschienen ist. Ohne Jerry Spring hätte es vermutlich weder Blueberry noch Comanche gegeben.
421 ist eine Serie über einen Geheimagenten von Stephen Desberg und Eric Maltaite. Der Held ist aber nicht nur von James Bond beeinflusst, sondern übernimmt auch Elemente von Indiana Jones und schreckt sogar vor Zeitreisethematiken nicht zurück. Erstaunlicherweise hat diese klassische Geschichte aus dem Spirou-Magazin in der Vergangenheit keinen Weg nach Deutschland gefunden. Das Integral präsentiert daher deutsche Erstveröffentlichungen: Platz 3!
Platz 4 teilen sich gleich drei Integrale von klassischen ZACK-Serien. Die Collector’s Edition von Greg/Hermanns Comanche war ein Meilenstein der jetzt in Sammelbänden angeboten wird. Édouard Aidans und Yves Duval haben mit Sven Janssen einen Abenteurer kreiert, der die ökologischen Aspekte in den Vordergrund stellt und bereits früh kolonialistische Missstände und Hunger in Beziehung gesetzt hat. Ebenfalls besonders ist, dass er alles zusammen mit Frau und kleinem Kind erlebt. Schließlich kommt auch die Collector‘s Edition von Michel Vaillant von Jean und Phillippe Graton erstmalig auf den deutschen Markt. Alle Kurzgeschichten und ungekürzten Geschichten in 20 Hardcovern mit einheitlichem Rückendesign und vielen editoriellen Notizen.
Die besten Sekundärwerke in 2021
Dieses Jahr haben es drei Werke über längst verstorbene Künstler in die Top 3 geschafft.
Das beste Werk ist mit Sicherheit der als Ausstellungskatalog entstandene aber auch perfekt solo zu genießende Band von Dr. Alexander Braun über Will Eisner. Graphic Novel Godfather führt ein in das Werk des amerikanischen Ausnahmekünstlers und beschreibt die Innovationen des Spirit sowie die Gebrauchsorientiertheit seiner Sachcomics die schließlich dazu geführt haben, dass Eisner zum Godfather der modernen Graphic Novel geworden ist. Viele Bildbeispiele belegen den leicht verständlichen, flüssig geschriebenen und extrem informativen Text. Wenn alle Sekundärliteratur so gut lesbar wäre gäbe es nur noch Expert*innen!
Platz 2 geht an die Fleißarbeit des Bremers Kai Stellmann und Science Fiction Pop Art Nick. Die im Selbstverlag erschiene Untersuchung ist nie fertig: Mit jeder neuen Auflage kommen Details hinzu. Stellmann belegt für alle Nick-Geschichten aus der Feder von Hansrudi Wäscher welche Quellen und Inspirationen eingeflossen sind und welche Absichten Wäscher damit verbunden haben könnte. Besser kann der Einblick in einen Entstehungsprozess nicht sein.
Platz drei geht erstmals an ein nicht gedrucktes Medium! Nun ja, es gibt eine kleine Begleitbroschüre, der Gewinner ist aber ein Film: Katzenjammer Kauderwelsch von Martina Fluck! Sie dreht die Annäherung eines Comic-Zeichners aus Heide – Tim Eckhorst – an die großen Söhne der Stadt, Rudolph und Gus Dirks, die in den USA Karriere gemacht haben. Katzenjammer Kids lief schlussendlich bis 2006 und ist einer der ganz großen Zeitungsstrips. 85 lohnende Minuten auf DVD!
Die besten Zeitschriften in 2021
Überraschenderweise heißt der Seriensieger bei Zeitschriften wieder ZACK! Das Magazin feiert in 2022 das Erscheinen der ersten Ausgabe von vor 50 Jahren und profitiert nach dem Verlagswechsel zu Blattgold davon, dass Verleger und Chefredakteur Georg F. W. Tempel nun frei schalten kann. Mit Blechschildern und Pins sowie einer neuen Albenreihe nur für Abonnent*innen expandiert der Kosmos. ZACK bringt sowohl erneuerte Klassiker wie Rick Master, Michel Vaillant oder Tanguy & Laverdue wie auch hochklassige europäische Comic-Kunst wie Amoras, Rani oder Millenium Saga! Die bei euch am häufigsten angeklickte Rezension war im Übrigen die Nummer 264.
Platz zwei geht an ein immer noch innovatives Medium aus den Niederlanden: StripGlossy präsentiert viermal im Jahr eine Mischung aus Sekundärliteratur, Interviews und aktuellen Comics mit und über Comicschaffende aus dem niederländisch/flämischen Raum! Definitiv das Highlight des Jahres war die Doppelnummer 21/22 über Suske en Wiske die sogar in eine zweite Auflage gehen musste!
Cover der ersten Auflage
Die Reddition ist wohl die bekannteste und anerkannteste Sekundärzeitschrift Deutschlands. Zweimal im Jahr erscheint eine Nummer, die sich tiefschürfend mit einem Thema beschäftigt. Durch die gewählte Breite der Artikel kann das gewählte Gebiet oder der Künstler im Fokus vielseitig beleuchtet werden. 2021 ging es um Tillieux und Comics und Musik (Rezension folgt).
Comeback des Jahres
Wie immer an dieser Stelle eine lobende Erwähnung eines – oft unerwarteten – Comebacks einer Serie oder eines Einzeltitels. Dieses Jahr fällt die Wahl schwer und daher sind es dieses Jahr zwei ganz unterschiedliche Gewinner, die es zu feiern gilt: Einerseits hat der Taschen Verlag gerade mit der Marvel Comics Library ein neues Projekt gestartet, das Meilensteine in einem XL-Format wieder zugänglich macht. Band 1 Spider –Man 1962 – 1964 ist gerade erschienen (und mittlerweile auch besprochen). Neben einer informativen Einführung präsentiert der limitiert Prachtband den unvergesslichen Run von Stan Lee und Steve Ditko über den wohl untypischten Superhelden aller Zeiten! Noch nie habe ich Spider-Man in diesem Format genießen können!
Andererseits hat Georg F. W. Tempel damit begonnen, bisher unentdeckte Perlen der ZACK-Geschichte aufzubereiten. Johnny Focus von Attilio Micheluzzi ist so eine! Vier schwarz-weiße Stories über den Reporter sind in Der Weg nach Mombasa bereits erschienen, eine weiter kommt in der diesjährigen Aprilausgabe des ZACK. Durch die fehlende Kolorierung sind die Fähigkeiten des Zeichners unverfälscht sichtbar. Erstaunlich, dass es noch so vieles von dieser Serie auf Deutsch zu entdecken gäbe.
Dahinter kommt eine ebenfalls dicht gedrängte Gruppe, angeführt von Johnny Focus: Serienkompass Bruno Brazil, Lucky Luke 99 und das Programm des All-Verlages.
Will Eisner von Alexander Braun, die Berichte über Asterix 39 und über den Abschluss der Michel Vaillant Reihe im MOSAIK-Verlag komplettieren die Top 10.
Immer für euch unterwegs
Was bleibt?
Auch dieses Mal verbleibe ich mit den besten Wünschen für ein tolles, erfolgreiches und von Gesundheit geprägtes Jahr! Stay safe and healthy! Ich freue mich über eure Kommentare.
Fragt man irgendjemand auf der Straße nach Disney-Comichelden sind sie immer in den Top-5: Die Panzerknacker! Im amerikanischen Original sind es die Beagle Boys, in Italien banda bassotti (Die Dackel-Bande). Wie auch immer, im Laufe der Zeit hat sich herausgestellt, dass es mehr gibt als die Herren mit der 167- auf dem Pullover, die das Cover des Albums zum 70. Jahrestag zieren.
70 Jahre und der Geldspeicher steht immer noch
„Erfunden“ wurde die Verbrecherbande 1951 von Carl Barks. Anfangs war sie übrigens durchaus erfolgreich und konnte Dagobert regelmäßig um Teile seines Goldes bringen. Schon ein Jahr später scheiterten die Panzerknacker dann erstmals und etablierten sich damit in ihrer Rolle. Bereits seit 1952 waren sie Bestandteil des Kanons und wurden auch von anderen Texter*innen und Zeichner*innen eingesetzt. 1964 bekamen sie in den USA ihre eigene Heftreihe, 1986 auch in Deutschland.
Waren es anfangs nur Männer im besten Räuberalter gesellten sich Verwandte aller Altersstufen und Geschlechter dazu. Selbst ein Hund (ja, ein Dackel) mit Namen Achtmalacht gehört inzwischen dazu. Hier haben insbesondere die italienischen Kolleg*innen für eine Vermehrung des Personals gesorgt. Die Geschichten erscheinen im typischen Magazinformat genauso wie im Taschenbuch und auch die Leinwand bzw. Mattscheibe haben die Möchtegerngangster erobert.
War es zum 50 Jubiläum noch ein Standard-Album, wird dieses Jubiläum in einem Hardcover mit Glanzlackumschlag gefeiert! Selbstverständlich ist nicht nur der erste Erfolg der Bande von 1951 abgebildet, es findet sich auch eine Barks’sche Story von 1959: Hans Hackebeil. Drei Geschichten aus diesem Band werden hier erstmals der deutschen Öffentlichkeit präsentiert: Moderne Methoden mit Zeichnungen von Tony Strobl aus dem Jahr 1966, Die große Dürre von Luciano Gatto von 1974 sowie Der Goldtopf des Kobolds von Romano Scarpa aus dem Jahr 1968.
Internationales Flair
Tatsächlich ist der Querschnitt, der hier geboten wird, sehr international denn neben den erwähnten aus USA und Italien sind auch Geschichten aus Norwegen, den Niederlanden, Deutschland und sogar Indonesien vertreten. Und noch etwas sei angemerkt: Don Rosa ist nicht dabei, es wäre aber auch schwierig, hier noch nicht allzu bekanntes zu finden.
Insgesamt macht der Band mit seinen 11 Geschichten auf über 170 Seiten einen guten Eindruck! Er schließt mit einem Festmahl und damit mit einem seltenen Moment des Erfolges für die sympathischen, meistens erfolglosen und doch nie verzweifelnden Helden des Alltags. Ihr Erfindungsreichtum für maschinelle Unterstützungen, Verkleidungen oder Finten ist legendär, die Gegenmaßnahmen allerdings auch.
Weihnachtsduft, sanfte Klänge und … Geschenke
Also: Ein feiner Band, der rechtzeitig zum Fest erscheint, und sicherlich in dem einen oder anderen Stiefel landen oder eingepackt unter dem Baum liegen wird. Die Geschichten sind gut gemischt, enthalten auch Erstveröffentlichungen und die Aufmachung ist so gediegen, dass niemand an Heftchen oder Taschenbücher erinnert wird.
Dazu passen natürlich banda bassotti aus Italien und ein Absolut Gangster Cocktail.
Sekundärwerke über Comics gibt es nicht gerade wie Sand am Meer. Grundsätzlich lassen sie sich aber in zwei Kategorien einteilen. Die eine Richtung versucht, ein Thema mehr oder weniger schöpfend aufzubereiten und soziologische, psychologische oder literaturwissenschaftliche Aspekte einzubeziehen und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit einem Topic, einer Serie oder beteiligten Personen zu ermöglichen. Im Gegensatz dazu gibt es Kompendien für Fans die „unnützes Wissen“ aufbereiten, zum Erinnern einladen und Fan- sowie Funfacts beisteuern.
Im Lucky Luke Lexikon präsentieren die beiden Autoren Horst Berner und Volker Hamann eine schier unglaubliche Menge an Facts über die bisher erschienenen Geschichten mit Lucky Luke. Dabei fallen auch die Filme und Zeichentrick-Adaptionen nicht unter den Tisch.
Was wäre ein Lexikon über den Mann, der schneller schießt als sein Schatten ohne ein Kapitel über ihren Schöpfer, Maurice de Bevere alias Morris? Der schon als Kind von Comics und Western begeisterte Belgier entwarf seine berühmteste Schöpfung bereits vor 75 Jahren. Ihre heutige Gestalt und Ausrichtung erlangte der Cowboy allerdings erst durch die Szenarien von Rene Goscinny.
Später übernahmen andere die Szenarien und auch nach dem Tod von Morris war noch nicht Schluss. Entsprechend der testamentarischen Verfügung wurde die Serie mit dem neuen Zeichner Achdé fortgesetzt. Vorher kamen bereits Spin-offs dazu (Rantanplan, Kid Lucky, Lucky Kid), Filme wurden gedreht oder gezeichnet und viele Kreative gaben im Laufe der Zeit ihren Beitrag. Alle von ihnen finden Erwähnung in den einzelnen Beiträgen.
Wer war nochmal Horseshoe?
Noch viel mehr Fleißarbeit steckt allerdings in dem Hauptteil des Lexikons: Jede einzelne Person, die jemals in einem Lucky-Luke-Comic Erwähnung gefunden hat, jeder Saloon und jede Zeitung werden aufgelistet mit Fundort und kurzer Beschreibung. Viele davon haben auch eine entsprechende Illustration. Fachwissen für Nerds und Fans also, liebevoll aufbereitet und präsentiert.
Fünf Kurzgeschichten komplettieren das Lexikon. Dabei darf sich der Cowboy unter anderem mit einem Doppelgänger herumplagen und wir lernen, wozu so ein Cowboyhut eigentlich gut ist.
Wie wir es von Volker Hamann aus der Reddition kennen, gibt es natürlich auch eine umfassende Comicographie: Welche Geschichte ist wann im Magazin und Album erstveröffentlicht worden? Unter welchem Titel ist sie wann auf Deutsch erschienen. Das Lexikon rundet die Feierlichkeiten zum 75. Geburtstag des Cowboys ab: Band 100, Hommagen von Bonhomme und Ralf König sowie der Start einer neuen Gesamtausgabe waren ein ansprechendes Jubiläumsprogramm!
Dazu passen Wilko Johnson und Roger Daltrey mit „Going back home“ und ein leicht bitterer Kaffee.
Nun ist er also da, der lange erwartete neue Asterix! Das 39. Abenteuer von ihm ist zugleich das fünfte aus der Feder von Jean-Yves Ferri mit den Zeichnungen von Didier Conrad. Erstmals hat Albert Uderzo keine „Endabnahme“ mehr veranstalten können und somit ist dieser Band auch der erste wirklich eigenständige. Ausnahmsweise erfolgt die Wertung am Anfang: Das Warten hat sich gelohnt! Asterix und der Greif ist spannend, witzig, modern und klassisch zugleich und ermöglicht den Galliern eine Zukunft auch ohne ihre Schöpfer.
Es war ja schon bekannt, dass es die Gallier in den Osten verschlagen würde. Terrine, ein alter Bekannter von Miraculix, hatte im Traum um Hilfe gerufen. Caesar, immer auf der Suche nach Attraktionen, hatte davon erfahren, dass es bei den fernen Sarmaten ein Fabeltier geben sollte: eine Mischung aus Löwe und Adler mit Pferdeohren, eben einen Greif. Eine gefangene Amazone dient als Beleg für die Aufzeichnungen eines bereits verstorbenen Chronisten und eine Armee macht sich auf den Weg in die Winterlandschaft. Angeführt wird sie von Zenturio Brudercus, dem Geografen Globulus und dem berühmten Ausdimaus. Die beiden letztgenannten haben schon einige, erfolglose Missionen hinter sich, lassen sich aber nicht ermutigen.
Als Asterix, Obelix, der Druide und Idefix im Dorf der Sarmaten ankommen, müssen sie feststellen, dass hier die Männer die täglichen Verrichtungen und die Kinderbetreuung übernommen haben während die Frauen als kriegerische Amazonen für die externen Operationen zuständig sind. Natürlich will der kleine Held sofort die Führung übernehmen, muss sich jedoch auch aufgrund der durch das Gefrieren verlorengegangenen Zauberkräfte des magischen Trankes mit einer Rolle als geduldeter Begleiter zufriedengeben. So können einerseits die Sarmatinnen, andererseits aber auch Obelix und Idefix tragendere Rollen übernehmen. Der Geschichte tut das gut!
Die Römer müssen trotzdem erhebliche Verluste einstecken, sie werden allerdings eher im Partisanenkampf angegriffen als in den sonst üblichen offenen Schlachten. Dabei gehen beide Seiten raffiniert vor: Hinterhalte, Finten und die Natur bestimmen den Ausgang der Auseinandersetzungen. Erstmals werden dabei auf Seiten der Römer sogar Opfer erwähnt, allerdings nicht explizit. Trotzdem schaffen die Eindringlinge es bis zur heiligen Zone vorzustoßen. Die Prophezeiung besagt, dass der kleinste der Gallier die Rettung bringen wird…
Die Zeichnungen in diesem Band beweisen, dass sich Conrad endgültig freigeschwommen hat. Die Bilder erinnern an das große Vorbild, setzen aber eigene Akzente. Die Römer sehen vom langen Marsch gezeichnet aus, die Gesichter sind nicht frischrasiert, sondern deuten einen Drei-Tage-Bart an und die Pferde leiden teilweise deutlich unter ihren Reiter*innen. Trotz aller Modernisierung ist es aber immer noch der klassische Asterix-Stil der in jedem einzelnen Panel klar macht, aus welcher Serie es wohl stammen könnte.
Die große Schwierigkeit für dieses Reiseabenteuer bestand darin, Schnee und Eis glaubhaft umzusetzen. Es ist lausig kalt, Geräusche klingen bei Frost anders, es kann glatt sein, Pulverschnee verhält sich anders als harschiger Schnee, all diese Kleinigkeiten, die in ihrer Gesamtheit die Glaubwürdigkeit herstellen, sind sehr gut gelungen.
Daneben gibt es eine Vielzahl an kleinen Begebenheiten, die nahezu perfekt umgesetzt sind. Dazu gehören vor allem die Szenen mit Idefix und seinen neuen Freunden, aber auch die Folgen eines fehlenden Senkbleis oder die Gesichtsausdrücke der Dorfchefin Matrojoschkowa wenn sie über ihren Mann, den Schamanen Terrine verzweifelt. Auch die Amazonen sind gut gelungen: kriegerisch, aber unterschiedlich, in Kampfpanzerung, aber nicht sexistisch!
Klare Empfehlung!!
Ferri und Conrad beweisen, dass es ihnen mit der Modernisierung des Klassikers Ernst ist. Frauen sollten eine größere Rolle bekommen. Mit den Amazonen gelingt das nicht immer schon überzeugend, ist aber auf dem richtigen Weg. Ein Asterix ohne Zaubertrank muss ganz anders agieren als üblich und gibt viel mehr Raum für andere, die Römer sind nicht nur tumb, neue kulinarische Genüsse haben unerwartete Nebenwirkungen und die Geschichte ist weiterhin vielschichtig zu lesen. Kinder können weiterhin ihren Gags verstehen, Erwachsene werden das anders lesen, vielleicht den französischen Philosophen Michel Houellebecq in dem Geografen wiedererkennen und Fakenius lieben.
Ein klares Sonderlob geht dabei an den Übersetzer Klaus Jöken. Gerade die Namensgebung lud in der Vergangenheit zu billigen Spielchen ein und die aktuellen Bezüge sind schwierig zu übersetzen. Hier gelingt das perfekt, mit großem Charme und vielen kleinen Anspielungen. Ich sage nur Wolferine!
Viele „alte“ Serien sind bereits modernisiert worden: Rick Master, Michel Vaillant, Die Blauen Boys oder Lucky Luke seien als positive Beispiele genannt. Spätestens mit Asterix und der Greif haben Ferri und Conrad ihre Interpretation der Gallier auf ein Niveau gehoben, das seinen eigenen Platz im Comic-Olymp verdient hat. Natürlich wird es wieder Stimmer geben, die Goscinny zurücksehnen. Ja, seine Skripte waren toll, aber dieser Band ist es auch!
Dazu passen die sich ebenfalls ständig neu erfindenden Ärzte und ein Moscow Mule, gerne auch ohne Alkohol.
Der Cowboy, der schneller schießt als sein Schatten, wird in diesem Jahr 75 Jahre alt. Früher gab es zu einem solchen Anlass häufig Bände, in denen alle möglichen Zeichner*innen ihre Interpretation auf ein oder zwei Seiten abgeliefert haben. Heute ist das oft ein ganzes Abenteuer, in diesem Fall sogar ein überlanges. Ralf König hat seine rund 40-jährige Karriere in der schwulen Subkultur begonnen, schnell aber auch Erfolge im Mainstream-Sektor (etwa Der bewegte Mann oder zuletzt Vervirte Zeiten) erzielt. Mehr dazu im O-Ton. Diese Reihe beweist die Vielseitigkeit der doch schon älteren Figur.
Steckrüben und lila Kühe – der etwas andere Western
Ein Teil eines Pärchens, Bud, erzählt die Geschichte wie er eines Tages in Straight Gulch Lucky Luke vor dem Jobcenter getroffen hat. Der bekannte Cowboy übernimmt dort die Aufgabe einer Gruppe von Schweizer Milchkühen eine Art von Wellness-Aufenthalt zu verschaffen. Die Milch der Kühe soll nämlich zur Herstellung von Schokoladen-Trüffel verwendet werden und die Kühe müssen dafür von der stressigen Überfahrt regenerieren.
Der vor der Tür wartende Mann ist leicht als einer der typischen König Charaktere zu erkennen: Bartwuchs, Knollennase und seitlicher Mund sowie Chaps. Es stellt sich heraus, dass der Typ auf seine Affäre, Terence, wartet. Beide hatten sich bei einem Schafhütejob miteinander vergnügt, dann aber doch nicht getraut. König verweist dabei sehr geschickt auf E. Annie Proulx bzw. die noch bekanntere Verfilmung und spielt sehr offensiv mit Vorurteilen indem er etwa die Klassifizierung als Steckrübe übernimmt.
Daneben schafft er es aber auch noch, bekannten Nebenfiguren der Serie eine queere Identität zu verpassen. Nie haben wir bisher Calamity Jane oder Averell mit diesen Augen gesehen. Sehr spaßige Geschichte mit vielen Verweisen auf andere Geschichten und – wie auch Ralf sagen würde – endlich mit Brustwarzen!
Der Stil von Ralf König ist oft ein wenig reduziert und ohne Hintergrund. Diese Hommage folgt aber vom Prinzip dem klassischen frankobelgischen Comic-Strip: Viele Panels in braven vier Reihen mit Rahmen und kompletter Kolorierung. Auch wenn die Figuren alle in typischer König-Manier gezeichnet sind, sind sie selbst für den gelegentlichsten Leser als Lucky Luke oder die Daltons zu erkennen und auch das Setting ist sozusagen ein mit Plüsch ausgelegter Morris.
Man merkt dem Comic von Anfang bis Ende die Hochachtung an, die der Künstler für die Serie empfindet, aber auch die Punkte, die er bisher vermisst hat und nun in seinem Beitrag zu den Feierlichkeiten nachreicht.
Und noch ein Detail stimmt: Wie immer gibt es ein Originalfoto mit den Helden des jeweiligen Abenteuers!
Die bisher fehlende Sichtweise
Ja, es gibt mit Sicherheit eine ganze Menge Puristen, die dieser Hommage nichts abgewinnen können. Was aber ist die Aufgabe einer Hommage? Meiner Meinung nach die erkennbare Wertschätzung von etwas Existierendem mit eigenen Stilmitteln und das ist Ralf König nahezu perfekt gelungen. Jede*r Leser*in wird sofort das Geburtstagskind Lucky Luke erkennen. Er selbst und die ihn begleitenden Figuren Calamity Jane oder die Daltons sind etwas überspitzt aber sehr treffend wiedergegeben. Gleichzeitig wird jeder Fan von Ralf König die Knollennasen, den seitlichen Mund und vor allem natürlich die liebevoll dargestellte Homosexualität wiedererkennen.
Weder wurde der Klassiker verbogen noch hat der Künstler sich verstellen müssen und dann macht es beim Lesen auch noch verdammt viel Spaß, mehr geht nicht! Ein brillantes Feierwerk das in keiner Lucky Luke Sammlung fehlen sollte und vielleicht ein paar König-Fans dazu bringt, den Cowboy zu lesen bzw. natürlich andersherum den ganzen König zu entdecken. Wie immer gibt es neben der Kiosk-Ausgabe auch wieder ein Hardcover im Buchhandel.
Leser*innen in Frankreich werden übrigens noch bis zum Herbst auf die Choco-Boys warten müssen.
Dazu passen eine heiße Schokolade und die Gay City Rollers!
Lucky Luke wird in diesem Jahr 75 Jahre alt und aus diesem Grund wird natürlich gefeiert! Einen Überblick gibt es hier. Dem aktuellen Trend folgend gibt es neben Geschichten aus der Feder des Schöpfers Morris auch neue Interpretationen von Zeichnern, die sonst eigene Sachen machen. Ralf König wird seine Sicht im Juli präsentieren, jetzt aber erneut Matthieu Bonhomme der den Reigen der Hommagen mit Dem Mann, der Lucky Luke erschoss vor fünf Jahren eröffnet hatte.
Gesucht
Wanted als Titel des Albums ist dabei durchaus mehrschichtig zu verstehen. Gleich am Anfang trifft Lucky Luke auf drei junge Frauen, die bis auf eine kleine Rinderherde fast alles verloren haben. Sie wollen mit dem Erlös der Tiere ein neues Leben beginnen und sind nebenbei durchaus nicht abgeneigt, auch den feschen jungen Cowboy zu angeln. Dabei gehen sie nach dem Motto „Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt“ vor! Das Ziel ihrer Wünsche scheint aber nicht empfänglich und so werden schwerere Geschütze aufgefahren.
Gleichzeitig tauchen Steckbriefe auf, die 50.000$ Belohnung für die lebendige Ablieferung des Helden versprechen. Das zieht nicht nur Kopfgeldjäger an, auch alte Bekannte sehen ihre Chance auf vom Gesetz unterstützte Rache und machen sich auf die Jagd.
Bonhomme verknüpft so sehr geschickt Elemente des klassischen Lonesome Cowboy mit seiner erwachseneren Interpretation – lesenswert, spannend und lustig!
2017 hatte Bonhomme in Angoulême verdientermaßen den Publikumspreis für seine erste Hommage gewonnen. Mit diesem zweiten Teil beweist er, dass das keine Eintagsfliege gewesen war. Die Bilder nehmen in ihren Farben die Stimmung der Szenen auf: nachts sind alle Farben bläulich, die Wüstenszenen sind gelb- bzw. rotstichig und fallen damit anders aus als unter Morris bzw. Achdé gewohnt. Auch der Held ist kantiger, weniger funnyhaft.
(c) Lucky Comics 2021
Die Figuren tragen ihre Emotionen auf dem Gesicht und sind entsprechend glaubhaft, erinnern aber ein wenig an den übertriebenen Ausdruck im Stummfilm. Dadurch werden sowohl die romantischen Szenen als auch die Rachegelüste überhöht und lassen fast das Orchester im Hintergrund erklingen.
Kaufen?
Ja! Für alle Sammler*innen der wohl bekanntesten europäischen Westernserie wahrscheinlich eh keine Frage! Aber auch diejenigen, die zwar das Genre mögen, den Slapstick der frühen Geschichten um Lucky Luke aber nicht, und alle, die den aktuellen französischen Nicht-Fantasy-Stil mögen, ein Tipp! Die Geschichte um die drei jungen Damen erinnert ein wenig an Jessie James von Mazel und Frydman, hat aber durch die Verknüpfung mit dem zweiten Motiv einen ganz anderen Touch.
Zu erwähnen wäre noch das ständige Verweisen auf das „Blümchenkauen“ und die Tatsache, dass nicht-rauchende Cowboys schwach währen. Ich bin mir nicht sicher, ob der Gag so gelungen ist. Dieser kleine Wermutstropfen ändert aber die Gesamteinschätzung nicht.